The Project Gutenberg eBook of Meine zweite Weltreise

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Title: Meine zweite Weltreise

Dritter Theil : Kalifornien. Peru. Ecuador.

Author: Ida Pfeiffer

Release date: March 17, 2025 [eBook #75640]

Language: German

Original publication: Wien: Carl Gerold, 1856

Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by eBooks on Demand at the University of Vienna.)

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE ZWEITE WELTREISE ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1856 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

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Holzschnitt und Druck von Eduard Kretzschmar in Leipzig.

Eine Dame aus Lima.

Meine
Zweite Weltreise.


Von

Ida Pfeiffer,

Verfasserin der „Reise in das heilige Land“, der „Reise nach Island“ und der „Frauenfahrt um die Welt.“


Dritter Theil.

Kalifornien. Peru. Ecuador.


Wien.

Carl Gerold’s Sohn.
1856.

Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich die Verfasserin vor.

Druck von Carl Gerold’s Sohn.

[S. iv]

Inhalt des dritten Bandes.

Dreizehntes Kapitel.
Reise von Batavia nach Kalifornien. — Ankunft in San Francisco. — Die Stadt der Wunder. — Hohe Preise. — Die Spielhäuser — Amerikanisches Gerichtsverfahren. — Die Plaza. — Sacramento. — Amerikanische Reisegesellschaft. — Besuch bei General Sutter. — Mary’s Ville. — Brown’s Valley. — Die Goldwäschereien am Yuba-Flusse. — Die Indianer
Vierzehntes Kapitel.
Crescent-City. — Ausflug zu den Rogue-river-Indianern. — Ein Nachtlager im Wig-wam. — Gefährliche Lage meines Reisegefährten. — Rachsucht der Indianer. — San José. — Acapulco. — Panama
Fünfzehntes Kapitel.
Reise nach Lima. — Die Englischen Dampfer. — Guayaquil. — Callao. — Die Deutschen Auswanderer. — Lima. — Kirchen und öffentliche Gebäude. — Die Peruanischen Damen. — Erdbeben. — Unsicherheit. — Der Badeort Chorillos. — Die Ruinen des Sonnentempels Pachacamac. — Die Hazienda St. Pedro
[S. v]
Sechzehntes Kapitel.
Ecuador. — Reise nach Quito. — Fahrt auf dem Guaya. — Savanetta. — Die Tambos. — Der Camino real. — Guaranda. — Uebergang über die Cordilleren nächst dem Chimborazo-Gipfel. — Die Hochebenen von Ambato und Latacunga. — Ausbruch des Cotopaxi. — Haziendas-Besitzer
Siebzehntes Kapitel.
Quito. — Rohheit des Volkes. — Sehenswürdigkeiten. — Kirchliche Feste. — Die Geistlichkeit und die Regierung. — Die Indianer. — Theater. — Rückreise nach Guayaquil. — Der Chimborazo. — Ein Stiergefecht. — Todesgefahr. — Panama. — Reise über den Isthmus. — Aspinwall

[S. 1]

Dreizehntes Kapitel.

Reise von Batavia nach Kalifornien. — Ankunft in San Francisco. — Stadt der Wunder. — Hohe Preise. — Die Spielhäuser. — Amerikanisches Gerichtsverfahren. — Die Plaza. — Sacramento. — Amerikanische Reisegesellschaft. — Besuch bei General Sutter. — Mary’s Ville. — Brown’s Valley. — Die Goldwäschereien am Yuba-Flusse. — Die Indianer.

Die Reise von Batavia nach San Francisco geht beinahe um die Hälfte des Erdkreises: 150 Meilen durch die Java-See, 2000 durch die Chinesische und bei 8000 durch den stillen Ocean, im ganzen 10,150 Meilen.

Am 6. Juli Nachmittags begleiteten mich meine Freunde, Herr und Frau Steuerwald, bis an das Boot, das mich an Bord des Dreimasters Seneca Baltimore, Kapitän Feenhagen, brachte.

Es ging nun nach einem neuen Lande, zu einem neuen Volke. Bisher hatte sich das Glück mir treu bewährt, es begleitete mich auf allen meinen großen[S. 2] und langen Wanderungen. Ich hoffte, es werde mich gleich gute Aufnahme auch bei den Amerikanern finden lassen und mich ohne Unfall nach der weit entfernten Heimath in die Arme meiner Theueren zurückführen! —

Am 7. Juli früh Morgens wurden die Anker gelichtet, am 9. und 10. schifften wir an den Banda-Inseln vorüber und lenkten in die Gaspar-Straße, welche von den Inseln Leat und Lepa gebildet wird und in die Chinesische See leitet. Alle Waffen wurden in Stand gesetzt, da diese See nicht immer frei von Piraten ist.

Am 12. Juli passirten wir den Aequator. Die See war so ruhig, daß der Kapitän eines Schiffes, welches an unserer Seite segelte, zu uns an Bord kam. Kaum hatte er uns wieder verlassen, so erhob sich so plötzlich eine Bö, daß wir in Angst waren, er könne sein Schiff nicht mehr erreichen; nur mit Mühe gelang es ihm.

Am 22. Juli begann Nachmittags ein heftiger Sturm; wir zogen alle Segel ein und befürchteten einen Tifoon (Orkan).

Am folgenden Tage gelangten wir unter fortgesetztem Sturme zwischen Luzon und der Höhe von Formosa in den stillen Ocean. Von nun an sahen wir durch zwei ewig lange Monate nichts als Himmel und Wasser; die einzigen lebenden Geschöpfe, die wir[S. 3] von Zeit zu Zeit zu Gesicht bekamen, waren einige Möven, welche unsere Segel umflatterten.

Ich ward auf dieser Reise abermals vom Wechselfieber heimgesucht, obgleich weder die Kost noch sonst etwas mir Bekanntes Anlaß gab. Jene war so trefflich, daß ich auf der ganzen Reise nicht nöthig hatte, ein Stückchen Salzfleisch zu essen. Meine Schlafkabine war geräumig wie ein Kämmerchen, und für alle meine Bedürfnisse ward von dem guten und gefälligen Kapitän mit liebenswürdiger Aufmerksamkeit gesorgt. Welcher Unterschied zwischen dieser Reise und jener von London nach dem Kap der guten Hoffnung (Kapitän Brodie)! Mit Grausen denke ich der letzteren noch heut zu Tage.

26. September. Endlich erscholl der längst ersehnte Ruf „Land, Land!“ Abends lag die Küste Kaliforniens vor unsern Augen. Und dennoch, obwohl ich beinahe drei Monate in dem hölzernen Gefängnisse zugebracht, mehr als zwei Monate kein Land gesehen hatte, machte diese Küste durchaus keinen angenehmen, im Gegentheile einen recht traurigen Eindruck auf mich. Sie war über alle Maßen öde und todt. Nackte Sandhügel stiegen von allen Seiten schroff auf, kein Baum, kein Strauch, nicht der ärmlichste Grashalm unterbrach die einförmige Farbe dieser unheimlichen Wüste. Hieher, dachte ich, verbannen sich die[S. 4] Menschen freiwillig — warum? — um ein Klümpchen Gold zu finden! Wie müßte wohl eine Gegend aussehen, die den golddürstigen Weißen fern hielte, wenn er den geliebten Mammon daselbst zu finden wüßte?

27. September. Morgens kam der Pilot an Bord und geleitete uns durch das „goldene Thor“ (so wird die Einfahrt genannt) in die Bay von San Francisco. Diese, obwohl so ziemlich denselben Charakter tragend, wie die Küste, der wir zuerst ansichtig wurden, ist doch im ganzen schön zu nennen. Sie ist von einer Fülle von Bergen, Hügeln und Felsparthieen umgeben, die in den mannigfaltigsten Gruppen bald vortreten, bald zurückweichen, ferner besitzt sie viele kleine Eilande und bildet Buchten, Becken und Straßen, so daß der Blick fortwährend gefesselt bleibt. Ihre Länge beträgt 45 Meilen, ihre größte Breite 12. Wir glitten an den Ziegen- und Vogel-Eiländchen vorüber und warfen endlich Anker vor der Stadt selbst, die zwölf Meilen von der Einfahrt liegt und sich in bedeutendem Umfange auf vielen Sandhügeln ausbreitet.

Den zerstreut umher liegenden Häuschen gönnt man zwar noch nicht das Recht, zur eigentlichen Stadt gezählt zu werden; allein da die Stadt in so raschem Aufblühen ist und sich gewiß mehrere Meilen nach allen Richtungen ausbreiten wird, so werden sie wohl bald[S. 5] dazu gehören. Die eigentliche Stadt besteht blos aus den Theilen, welche knapp am Strande liegen, wo sich die hölzernen Quais und die Magazine befinden. Die Bevölkerung des Ganzen (der Stadt und der sogenannten Vorstädte) wird auf einige sechzigtausend Seelen gerechnet.

Die Häuser in den Vorstädten und in der Umgebung sind sehr klein und von Holz; sie liegen ohne die geringste Regelmäßigkeit und Ordnung, das eine in der Tiefe, das andere auf steilen, spitzen Sandhügeln, was einen höchst erbärmlichen Anblick gewährt. Die Stadt dagegen besitzt schon viele große, zwei bis drei Stock hohe, gemauerte Häuser, die zum Theil auf Plätzen stehen, wo noch vor kurzem die See war, und zwar mit einer Tiefe, daß die größten Schiffe vor Anker gehen konnten. Da nämlich die Sandhügel auf allen Seiten beinahe senkrecht aus dem Meere stiegen, war man gezwungen, sie theilweise abzutragen, mit dem hinunter geworfenen Sande die See zurück zu drängen und so eine künstliche Fläche für die Geschäftsstadt zu bilden. Diese Arbeiten, so wie auch die hölzernen Quais und Werfte überraschten mich mehr noch, als die großen Häuser. Man kann nicht umhin, beide Unternehmungen als Riesenwerke zu betrachten, wenn man bedenkt, wie kurze Zeit das Land[S. 6] von Amerikanern[1] und Europäern in Besitz genommen ist, wie weit man das Holz für die Quais und Werfte zu führen hatte, und wie über alle Maßen theuer die Handwerker und gemeinen Arbeiter waren und noch heut zu Tage sind. Die ausgedehnten Quais und Werfte, in eine Linie neben einander gestellt, würden gewiß eine Länge von vielen Meilen betragen. Die See ist an der Küste so tief, daß Schiffe von zwei- bis dreitausend Tonnen an den Quais anlegen können.

Kalifornien oder Neu-Mexiko gehörte zu dem Staate Mexiko, wurde im Jahre 1846 von den Amerikanern nach einjährigem Kriege erobert und im selben Jahre am 7. Juli zu Monterey den Nordamerikanischen Staaten feierlich einverleibt. Die Bevölkerung dieses neuen Staates mochte damals an 150,000 Seelen betragen, von welchen der größte Theil Indianer waren; heut zu Tage wird sie auf 300,000 geschätzt.

Das erste Goldlager wurde bei Coloma im Distrikte Eldorado durch General Sutter bei Ziehung eines Mühlgrabens im Juli 1848 entdeckt. Man stieß mit der Schaufel auf einen harten Gegenstand, den man im ersten Augenblicke beinahe ununtersucht[S. 7] bei Seite geworfen hätte. Doch die besondere Schwere erregte Aufmerksamkeit, und bei genauerer Untersuchung ergab sich, daß es ein reiner Goldklumpen war. Die Goldausfuhr betrug bis Ende 1849 ungefähr zwanzig Millionen Dollars, im Jahre 1850 vierzig Millionen. Seitdem rechnet man sie durchschnittlich per Monat auf fünf Millionen, welche Schätze alle nach den Vereinigten Staaten und Europa gehen.

Doch wieder zurück zu meiner Ankunft in San Francisco.

Ich hatte gar keinen Empfehlungsbrief, konnte mich daher an niemanden wenden und wußte nur zu gut, daß dieser Platz ganz außergewöhnlich theuer und wohl für Geschäftsleute, aber nicht für Reisende geschaffen sei, deren Kasse stets ab- und nie zunimmt. Ich wanderte den ersten Tag von früh Morgens bis spät Abends umher, um eine nur einigermaßen billige Unterkunft zu finden. Ermüdet und ohne Erfolg kehrte ich auf das Schiff zurück, wo mir der gute Kapitän Feenhagen so lange zu bleiben angeboten hatte, als er den Hafen nicht verließe. Aber noch denselben Abend erhielt ich eine äußerst liebenswürdige schriftliche Einladung, für die ganze Zeit meines Aufenthaltes in dieser Stadt von dem mir vollkommen unbekannten Englischen Hause Colquhonn Smith und Morton. Man kannte mich auch hier schon durch[S. 8] meine früheren Reisen, und kaum las man meinen Namen unter den Angekommenen, so sandte man die Einladung an Bord. Es bedarf wohl keiner Worte, um zu sagen, in welcher Art ich aufgenommen wurde, und wie man bemüht war, mir mit allem an die Hand zu gehen. Wahrlich, von wenig Familien trennte ich mich so schwer als von dieser! Auch der Oesterreichische Konsul, Herr Eduard Vischer, erwies mir viele und große Gefälligkeiten. Dieser Herr machte eine erfreuliche Ausnahme von den meisten Oesterreichischen Konsuln, welchen ich bisher auf meiner Reise begegnete; ich möchte von Herzen wünschen, daß es deren mehrere ähnliche gäbe. Herr Vischer hat aber auch allgemein den Ruf eines sehr guten und gefälligen Mannes.

Einen äußerst drückenden und beängstigenden Eindruck machten anfänglich auf mich die engen, niedrigen Wohnungen, in welchen die Leute hier leben. Die größten Gemächer sind so winzig, daß man in den meisten Wohnungen gewiß in Verlegenheit käme, wenn zehn bis zwölf Personen zur Tafel eingeladen wären. Von den Kämmerchen und Nebengemächern will ich schon gar nicht reden, die sind alle wie für Liliputaner. Mir fiel dieß natürlich um so mehr auf, da ich gerade aus Batavia kam, wo jeder Empfangssaal so groß ist, daß man ganze hiesige Häuser hineinstellen könnte.[S. 9] Solche Grillenhäuser, aus welchen jetzt noch die Hälfte der Stadt besteht, besitzen gewöhnlich fünf bis sechs Behältnisse, die man mit großem Unrecht „Zimmer“ nennt. Die Einrichtung ist reich, meistens überreich, so daß die vielen schönen Möbel dem armen Bewohner beinahe den ganzen Raum stehlen. Die Fußböden sind mit kostbaren Teppichen belegt, die Wände mit Tapeten und Spiegeln bedeckt.

Auch in den neugebauten großen Ziegelhäusern sind die meisten Gemächer sehr klein, besonders die Schlafkammern; man sagte mir, dieß sei Amerikanische Sitte.

Ausgezeichnet groß und schön fand ich dagegen die Verkaufs-Lokale: viele können mit jenen der größten Europäischen Städte in die Schranken treten, so reich an Waaren, so zierlich arrangirt und so prachtvoll sind sie. Die größten und schönsten Waarenlager findet man in der Sacramento-Kle-Montgomery-Straße und auf der Plaza. An Spiel-, Kaffee-, Wein- und Tanzhäusern ist die Stadt überfüllt. Theater gibt es bereits sechs, in welchen Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch gespielt wird. Zeitungen erscheinen dreizehn, große Buchdruckereien bestehen achtzehn, außerdem noch viele kleine, die heute entstehen und morgen wieder verlöschen. Kirchen von allen denkbaren Sekten[S. 10] sind sechsundzwanzig erbaut, die meisten davon ganz unbedeutend.

Das gesellschaftliche Leben ist sehr großartig. Wer sich darin gefällt, findet gewiß jeden Abend in häuslichen und öffentlichen Zirkeln mehr Unterhaltung, als er wünschen kann. Bei Einladungen wird in Hülle und Fülle aufgetischt. Was mir bei den Diners auffiel, war, daß es nirgends Servietten gab, oder so kleine, wie für Puppen. Dieß kommt von dem hohen Preise, der für das Waschen verlangt wird: man zahlt per Dutzend Stücke, groß oder klein, 3 Dollars (1 Dollar à 4 Schilling Englisch oder 2 fl. Oesterreichisch Geld); man gibt daher in den meisten Familien nur die größeren Stücke außer Haus und sucht allen überflüssigen Aufwand an Wäsche so viel wie möglich zu vermeiden. Ueberhaupt findet man hier, in Folge der übertrieben hohen Preise vieler Gegenstände, die höchste Oekonomie an der Seite der größten Verschwendung. Manche Familien mit vier bis sechs Kindern halten nur eine Magd, während es an prächtiger Hauseinrichtung, Garderobe, Gesellschaften und Unterhaltungen nicht fehlt.

Ich füge hier die Preise verschiedener Gegenstände bei, die manche meiner Leser kaum für wahrscheinlich halten dürften.

Eine Wohnung von fünf bis sechs Kämmerchen[S. 11] per Monat auf den besten Plätzen 250 Dollars, etwas abgelegener 150 bis 200; die größten Modemagazine per Monat 700 bis 1000 Dollars. In letzteren werden oft wieder kleine Eckchen von sechs bis sieben Fuß im Geviert per Monat für 100 Dollars abgelassen. Ein Diener, eine Magd 50 und 60 Dollars per Monat nebst Kost und Wohnung, ein Handlanger 4 Dollars, ein Zimmermann, Maurer 8 Dollars per Tag. Eine Kleidermacherin 4 Dollars per Tag nebst Kost. — Ein Huhn kostete 2, ein Kalkuttischer Hahn 10 Dollars, ein Dutzend Eier 2 Dollars. Ein Pfund Rindfleisch ¼ Dollar. Ein Pfund Hammel- oder Schweinefleisch 60 Cents (ein Dollar hat 100 Cents), eine Flasche Milch 25 Cents, ein Pfund gesalzene Butter 75 Cents u. s. w. In den Hotels bezahlt eine Person per Monat für Kost und Wohnung 100 Dollars. Der Preis eines Lohnwagens per Stunde 6 Dollars, eines Reitpferdes, ob auf eine Stunde oder einen halben Tag, 5 Dollars, Sonntags für Wagen oder Reitpferd das Doppelte. Nach einem Dampfboote zu fahren 10 Dollars, nach einem Balle hin und zurück 20 Dollars. Für Reitpferde, die von den Eignern gewöhnlich in Miethställe zur Verpflegung gegeben werden, per Monat 50 Dollars. Ein Lohndiener erhält für jeden Gang 1 Dollar. Zwei bis drei Jahre früher waren die Preise noch ungemein höher. Verhältnißmäßig[S. 12] billig werden dagegen viele Fabrik- und Manufaktur-Gegenstände verkauft, und zwar in Folge der übergroßen Einfuhr, mit der die Bevölkerung in keinem Verhältnisse steht[2]. Viele Europäische und Amerikanische Handelshäuser sollen dabei großen Schaden erlitten haben. Die Einfuhrzölle sind sehr bedeutend; gewöhnliche Bedürfnisse zahlen zwanzig bis dreißig Prozent und so fort bis zu hundert; letzteres jedoch nur für geistige Getränke.

Die Gründe der Stadt, wie die der nahen Umgebung, waren von der Regierung in Lots à 150 Fuß im Geviert getheilt worden. Wer das Glück hatte, solche Plätze im ersten Entstehen der Stadt zu kaufen, konnte mit einigen guten Lots reich werden. Man kaufte die besten zu 5- bis 8000 Dollars, die jetzt 150,000 kosten. Ein dreistöckiges Backsteinhaus auf ein ganzes Lot gebaut, das eine Ecke formt, kommt auf 200,000 Dollars zu stehen, trägt aber einen jährlichen Zins von 130,000 Dollars, so daß Haus und Grund in längstens drei Jahren gezahlt sind.

San Francisco wurde sechsmal von Feuersbrünsten zerstört, von welchen die meisten angelegt waren. Die zwei größten hatten im Jahre 1852 statt. Am[S. 13] 4. Mai des letztgenannten Jahres brannte jener Theil der Stadt ab, in welchem die größten Reichthümer in den Magazinen aufgespeichert lagen, nämlich von der Ecke der Montgomery-Straße bis an die Kerney-Straße. Das zweite Feuer im Juli legte den westlich gelegenen Theil der Stadt in Asche. Während das Feuer noch wüthete, kamen zu den Grundbesitzern schon Leute, um den Grund auf drei oder vier Jahre zu pachten. Sie bauten auf den beinahe noch glimmenden Boden hölzerne Häuschen, die sie vermieteten, und wenn der Kontrakt zu Ende war, hatten sie hinlänglich gewonnen, um den Grundbesitzern das Haus für nichts zu überlassen.

Einstimmig wird San Francisco die Stadt der Wunder genannt. Die Amerikaner behaupten, daß ihre schnelle Entstehung, ihr oftmaliges Wiederaufbauen nach den Feuersbrünsten das Wunderbarste sei, was die Welt je gesehen habe. Dieß ist allerdings wahr. Es gibt auch nur zwei Kräfte, welche solche Wunder bewirken können — Despotie und Gold. Hier war letzteres der Hebel. Der Durst nach Gold, dieser größte der Despoten, zog die Leute aus allen Weltgegenden herbei, und hölzerne oder gemauerte Obdächer entstanden überall wie durch Zauber. Was sind aber diese einfachen Werke gegen jene antiken Städte Hindostans, deren Ruinen noch heut zu Tage die vergangene[S. 14] Größe verkünden, und von welchen, wie uns die Geschichte lehrt, manche ebenfalls in unglaublich kurzer Zeit entstanden, wie z. B. Fatipoor Sikri, eine Stadt voll der schönsten Paläste mit Skulpturen ganz überdeckt, mit prachtvollen Tempeln und Minarets, mit hoch gewölbten Stadtthoren u. s. w., deren Umfang sechs Meilen betrug, die mit vierzig Fuß hohen massiven Steinwällen umgeben und in weniger als zehn Jahren erbaut wurde. Dergleichen Städte kann man Wunderwerke nennen, denn zu ihrer Ausführung muß eine ganze Bevölkerung von Künstlern und Architekten gehören.

Die Wunderwerke San Francisco’s bestehen in ganz gewöhnlichen Wohn- und Zinshäusern, zu deren Erbauung die Goldminen Kaliforniens hinlänglich Mittel geschafft haben und täglich schaffen. Was mich in dieser reichen und luxuriösen Wunderstadt am meisten wunderte, ist, daß man auf zwei sehr große Bedürfnisse gar keine Rücksicht genommen hat, auf reinliche, geebnete Wege und auf Beleuchtung.

Von den Löchern, Hügeln und Unebenheiten in den Straßen der Stadt kann man sich gar keine Vorstellung machen. Hier geht es Stufen hinauf, dort einige hinunter, hier ist der Fußweg erhöht, dort wieder nicht, hier werden Stellen abgegraben, dort liegen ganze Berge von Ziegeln, Bauholz, Kalk und Sand,[S. 15] und keine Lichter werden zur Warnung hingestellt. Dieß macht die Straßen bei Nacht nicht nur für Fahrende und Reiter, sondern auch für Fußgänger wahrhaft gefährlich, was ganz besonders von den hölzernen Quais gilt. Die See darunter ist nicht ausgefüllt, die Bretter sind so abgenützt, daß sie einbrechen. Selbst bei Tage muß man der vielen Löcher wegen mit größter Vorsicht fahren. Nachts ereignet es sich nicht selten, daß Fußgänger in die Tiefe stürzen und nie wieder zum Vorschein kommen.

In den schönsten und befahrensten Straßen liegen alte Kleider, Wäsche, Stiefel, Flaschen, Geschirre, Kisten, todte Hunde, Katzen und ungeheuere Ratten, an welchen die Stadt überreich ist; aller Unrath wird vor die Thüre geworfen — man könnte wirklich Konstantinopel im Vergleiche zu San Francisco die Stadt der Reinlichkeit nennen. Dort gibt es wenigstens Leute und Hunde genug, welche die Straßen säubern, erstere lesen die Kleider, Wäsche u. dgl. auf, letztere verzehren den Unrath.

Zu allem diesem kommt noch die Ungebundenheit der Leute, jeder Mensch kann thun und machen, was er will; die Karren halten nicht selten an den schmalen, ausgetretenen Wegen, die über die bei Regenwetter grundlosen Straßen führen, Reiter befestigen ihre Pferde an den Häusern auf den Gehwegen, so daß[S. 16] der arme Fußgänger tief in den Koth treten muß, um sie zu umgehen. Derlei Willkürlichkeiten arten oft so aus, daß sie mitunter gefährlich werden. So ging ich eines Morgens durch die Stadt, als mir ein Fußgänger zurief. „Ein Bär, ein Bär!“ — Ich wußte gar nicht, was das bedeuten sollte, und konnte mir nicht denken, in den Straßen einer so belebten Stadt einem Bären zu begegnen. Ich sah mich nach allen Seiten um — wirklich kam ein Bär hinter mir her gelaufen und war nicht mehr als zwei Schritte von mir, so daß ich kaum Zeit hatte, auf die Seite zu flüchten. Das Thier war wohl an einem Stricke, der Strick an einem Karren befestigt; der Strick war aber so lang, daß der Bär rechts und links auf die Fußwege unter die Vorübergehenden gelangen konnte. Der Fuhrmann nahm sich nicht einmal die Mühe, die Leute anzurufen.

Ein Geschäfts- oder Spaziergang in San Francisco ist meiner Meinung nach eine wahre Bußaufgabe. In der sogenannten Geschäftsstadt kann man sich kaum durch das Gewirre von Menschen, Reitern, Karren und Wagen winden; in jenen Theilen der Stadt oder Gegenden[3], wo die Straßen nicht mit Brettern belegt sind, muß man fußtief im Sande waten; dabei die ewig einförmige Ansicht der nackten Sandhügel —[S. 17] wahrlich nur derjenige, der sein Glück im Golde findet, mag sich über alle diese Unannehmlichkeiten hinaus setzen und am Ende wohl gar vergessen, daß es Bäume und Wiesenteppiche gibt, die doch wohl schöner sind, als die Teppiche der goldbelasteten Spieltische.

Im Frühling soll die Umgebung freilich einen anderen Anblick gewähren und der dürre Sandboden mit einer wunderbar schönen, üppigen Flora bekleidet sein; aber die Könige des Pflanzenreichs, die majestätischen Bäume, die zierlichen Gebüsche schafft doch keine Jahreszeit.

Außerordentlich schön fand ich in San Francisco die Pferde und Maulthiere. Sie werden, wie die Ochsen und Kühe, alle zu Lande über die Plains (Ebenen) von Nordamerika herüber gebracht. Pferde und Maulthiere sind sehr hoch und kräftig. Es gibt Pferde, mit welchen man sechzig Meilen in einem Tage reiten kann, Maulthiere, die drei Centner tragen. Die Pferde in den Lohnkutschen und Omnibussen sind ungleich schöner als in London. Von einer besonderen Pracht sind die Lohnkutschen. Man kann nicht leicht etwas schöneres in dieser Art sehen; es soll aber auch ein solcher Wagen mit dem Gespann bis 4000 Dollars kosten.

Der Verkehr ist schon sehr leicht und schnell. Dampfschiffe durchkreuzen die Bay, befahren die Flüsse;[S. 18] Stage-coaches, die gleich Postgelegenheiten die Pferde wechseln, gehen nach allen Richtungen des Landes. Auch eine Telegraphen-Linie ist bereits eröffnet und erstreckt sich über St. José bis Sacramento, eine Länge von ungefähr 130 Meilen.

Eines Abends besuchte ich die öffentlichen Unterhaltungsorte, von welchen mich die Spielhäuser am meisten interessirten, da ich bisher noch keine öffentlichen gesehen hatte. Was mir in diesen vor allem in das Auge fiel, war die höchst gemischte Gesellschaft. Neben dem zierlichsten Dandy saß ein Matrose, ein Minenarbeiter im rothwollenen Hemde ohne Jacke, die Hände kaum vom Theer oder Schmutz gereinigt, die Stiefel bis hinauf voll Koth. Der Reiche wie der schmutzig Gekleidete hatten nur Gold und harte Thaler vor sich liegen. Noch vor zwei Jahren soll man blos Gold gesehen haben. In keiner Miene, selbst bei dem sanguinischen Franzosen, dem lebhaften Mexikaner las man Aufregung oder Leidenschaft, obwohl ich das Gegentheil häufig behaupten hörte. Aus den Gesichtern hätte ich nicht beurtheilen können, wer von der Glücksgöttin begünstigt oder vernachlässigt war. Was die Einrichtung dieser Spielhäuser anbelangt, so ist sie darauf angelegt, nicht nur die Leidenschaft des Spielers, sondern auch seine Sinne zu berauschen und zu betäuben. Abscheulich verführerische Oelgemälde hängen an den[S. 19] Wänden, lärmende Musik durchrauscht die geräumigen Säle, schöne Mädchen sitzen hie und da als Lockvögel an den Tischen.

Ich bin weit und breit in der Welt herum gekommen, unter Völker, die in Folge des Klimas und aus Mangel an Erziehung und Religion zu den sinnlichsten gehören; aber solche öffentliche, schamlose Verführungsanstalten sah ich nirgends — man findet sie nur unter christlichen Völkern, unter civilisirten Regierungen. Ich will damit nicht behaupten, daß die Unsittlichkeit unter nicht christlichen Völkern geringer sei; allein sie so öffentlich zur Schau zu legen, so weit geht ihre Schamlosigkeit nicht.

Von den andern öffentlichen Unterhaltungsplätzen, den Tanzhäusern, den Chinesischen Spiel- und Erfrischungshäusern will ich schweigen; nur muß ich bemerken, daß es in den Chinesischen Spielhäusern anständiger zuging, als in den Amerikanischen. Da gab es weder Gemälde, noch Musik, noch Mädchen; letztere wenigstens nicht in den Spielzimmern.

Der Goldüberfluß in San Francisco ist so groß, die Preise sind so hoch, daß gar keine Kupfermünze in Umlauf ist; die Leute wünschen auch nicht, daß es je dazu kommen möge. Jedermann findet hinlänglichen Verdienst; im Gegentheil, es fehlt noch überall an Händen. Dessen ungeachtet vergeht kaum eine Nacht,[S. 20] daß man nicht von Diebstählen hört. In allen Schlafzimmern sieht man Pistolen hängen, und Abends geht niemand ohne Stockdegen oder Pistolen aus, denn auch in den Straßen kommen manchmal Raubanfälle und selbst Morde vor. Die Polizei ist so schlecht organisirt, daß kein Dieb so leicht entdeckt wird, die Bestrafungen so geringe, daß sie kein Mensch fürchtet. Beinahe alle Vergehungen werden mit einigen Wochen Gefängnißstrafe abgebüßt. Sogar die Mörder kommen leicht durch. Der Thäter geht gewöhnlich selbst zum Richter, erzählt den Vorfall nach Belieben, wobei es natürlich immer heraus kommt, daß er den Mord aus Nothwehr begangen habe. Weiß er den Richter auf dem rechten Flecke zu packen (d. h. mit Gold), so kommt er oft nicht einmal in das Gefängniß.

Während meines Aufenthaltes zu San Francisco schoß ein Herr, den ich persönlich kennen lernte, seinen Diener nieder. Die Kugel war in die Seite gegangen, und deshalb der Schuß zwar nicht augenblicklich tödtlich, doch hatte man am dritten Tage die Kugel noch nicht gefunden. Der Herr ging zu dem Richter, gab seine That an und erklärte sie ebenfalls für Nothwehr. Er führte an, daß sein Diener häufig betrunken sei, und daß er demselben in solch einem Zustande den Dienst kündete. Der Betrunkene, darüber erboßt, habe ihm geantwortet, daß er ohnehin nicht mehr bleiben wolle,[S. 21] daß er aber, bevor er das Haus verließe, ihn niederschießen werde; „entweder“, habe er hinzu gefügt, „schieße ich Sie todt, oder Sie müssen mich todt schießen.“ Bei diesen Worten habe der Diener ihm mit der Faust gedroht, worauf er (der Herr) eine Pistole ergriffen und auf ihn geschossen habe. Der Mörder wurde auf einen Tag eingesperrt, den zweiten gegen eine Kaution und das Versprechen, sich nicht aus dem Stadtgebiete zu entfernen, wieder frei gegeben.

Kurze Zeit darauf verließ ich San Francisco und erlebte deshalb nicht den Ausgang der Geschichte; allein man versicherte mir, daß, selbst wenn der Diener stürbe, der Herr mit höchstens einigen Wochen Gefängnißstrafe davon käme.

Vor zwei Jahren soll es noch ganz anders zugegangen sein, da war man seines Lebens am hellen Tage nicht sicher. Hatte einer einen Haß gegen jemanden, oder einen Streit, so schoß er seinen Gegner auf öffentlicher Straße nieder. Zweikämpfe wurden ohne weitere Umstände gleich auf der Plaza ausgemacht; die Kämpfer schossen da auf einander, ohne die Vorübergehenden anzurufen und zu warnen. Mitunter traf eine Kugel statt eines Kämpfers einen ganz Unschuldigen; das schadete aber nichts, deshalb wurde niemand zur Rechenschaft gezogen.

[S. 22]

Viel strenger verfuhr man zu jener Zeit mit den Dieben, zwar nicht das Gericht, das schlief so fest und wo möglich noch fester als heut zu Tage, sondern die Privatpersonen. Sie bildeten einen Verein und übten die Gerechtigkeitspflege selbst aus[4]. Den ersten Dieb, den sie erhaschten, hingen sie sogleich auf der Plaza auf. Dieß wirkte so kräftig, daß die Diebstähle auf lange Zeit aufhörten.

Wie man sieht ist die Plaza ein höchst merkwürdiger Ort für die Stadtbewohner. Jetzt dient sie nicht mehr als Schauplatz so gewalttätiger Scenen; im Gegentheile kehrt mancher vielleicht ein wenig gebessert von ihr heim. Ein sehr wackerer, würdiger Missionär, Herr Taylor, hält nämlich jeden Sonntag Nachmittag kräftige, gute Predigten dort. Ich hörte mehrere und jede befriedigte mich sehr. Er sprach den Leuten so recht an das Herz und Gemüth, und nahm die zweckmäßigsten Beispiele aus dem gewöhnlichen Leben. Man sah es dem trefflichen Manne an, daß er Missionär aus wahrem, innerem Berufe war. Die Leute hörten ihm auch sehr aufmerksam zu, und mancher Händedruck von Zuhörern ward ihm zum Lohne. Meiner Meinung nach hätten die Christen[S. 23] gute Missionäre weit nöthiger als die Heiden. Ein altes deutsches Sprüchwort sagt: „Kehre zuerst vor deiner Thür.“

Von den öffentlichen Anstalten besuchte ich das Gefängniß und das Stadthospital. Um diese Plätze besuchen zu dürfen, mußte ich eine Menge Gänge machen und ein halbes Dutzend Erlaubnißscheine begehren.

Als ich in dem Gefängnisse dem Director meinen Schein vorwies, begab sich ein komisches Mißverständniß. Da sich in San Francisco niemand Zeit nimmt, eine öffentliche Anstalt zu besuchen, wenn ihn nicht ein Geschäft dahin ruft, dachte der Direktor, ich sei gekommen, um einen Gefangenen zu sprechen. Er las den Schein gar nicht durch, sein Blick blieb blos auf meinem Namen haften. Er dachte eine Weile nach und sagte endlich, er könne sich nicht entsinnen, daß ein Verbrecher dieses Namens in dem Gefängnisse säße, worauf dann natürlich die Erklärung folgte.

Das Gefängniß besteht aus dunklen, feuchten Kämmerchen, jedes für sechs Personen und so klein und enge, daß die Leute kaum Platz zum Schlafen haben. Der Boden ist nicht gedielt, es gibt weder Bänke noch Schlafstellen, und wer Decke oder Polster nicht selbst mitbringt, muß sich ohne sie behelfen. Die Kost ist etwas besser: sie besteht aus Suppe, einem[S. 24] Stücke Fleisch und einer hinlänglichen Portion schönen Brodes.

Vor ungefähr sechs Monaten bekam das Gefängniß einen ganz unerwarteten Besuch: eine zahlreiche Gesellschaft von Männern (achtzig bis neunzig) verlangten es zu besehen. Als man sie eingelassen hatte, bemächtigten sie sich der Schlüssel, holten einen Verbrecher heraus, den das Volk schon lange gerne gerichtet sehen wollte und der bei der üblichen Fahrlässigkeit der Regierung wahrscheinlich mit geringer Strafe entkommen wäre, und hingen ihn vor dem Gefängnisse auf.

Das Hospital ist ziemlich gut, besonders wenn man auf die Zeit Rücksicht nimmt, zu welcher es errichtet wurde, im Jahre 1849. Es war damals in San Francisco noch alles so kostspielig, daß man sich wundern muß, wie die zur Errichtung eines anständig geordneten Krankenhauses (gegenwärtig schon mit dreihundert Betten) nöthige Summe durch freiwillige Beiträge zusammen gebracht werden konnte. Die Kranken bezahlen per Woche in den allgemeinen Zimmern 15, in einem besonderen 25 Dollars; die meisten werden jedoch unentgeldlich aufgenommen. Was mir sehr gut gefiel, ist, daß man Unheilbare nicht fortschafft: sie bleiben bis zu ihrem Tode. Wer das Unglück hatte, vor Errichtung dieses Hospitales zu erkranken, der konnte sich noch glücklich schätzen, wenn man ihn in[S. 25] irgend einen Winkel trug und ruhig genesen oder sterben ließ. Kein Mensch hatte Zeit, sich nach einem Leidenden umzusehen, — Gold, Gold war das einzige Ziel und Streben.

Ich hatte Gelegenheit, in San Francisco eine sehr schöne Ausstellung von Gemüsen, Früchten, Getreide-Gattungen und anderen Naturprodukten Kaliforniens zu sehen, die Herr Warren veranstaltete. Ein Kürbis wog 125 Pfund, eine Runkelrübe 35 Pfund, eine weiße Rübe 25 Pfund, ein Blumenkohl 22 Pfund, eine gelbe Rübe 6 Pfund, eine Kartoffel 4 Pfund, eine Zwiebel 2 Pfund, ein Krautkopf hatte 2½ Fuß im Durchmesser. Weizen- und Gerstenhalme gab es von 12 Fuß Höhe, mit sehr großen, reichgefüllten Aehren, Maisstengel von 17 Fuß Höhe mit 3 Kolben, wovon jeder zwischen 550 und 600 Körner zählte. Die Früchte waren weniger ausgezeichnet. Was kann Kalifornien nicht liefern, wenn sich die Leute mehr und mehr mit Ackerbau und Kultur beschäftigen werden!

Nicht minder interessant war die Ausstellung eines Riesen-Eichenstammes. Der Baum kam aus der nördlichen Gegend Kaliforniens und war 250 Fuß hoch; der Stamm hatte am Grunde 97 Fuß, oberhalb des Grundes 85 Fuß im Umfange. Man schätzte sein Alter auf 1500 Jahre. Als er gefällt wurde,[S. 26] war er noch vollkommen gesund. Man löste die achtzehn Zoll dicke Rinde in Streifen ab, stellte sie in San Francisco wieder zusammen und bildete daraus einen niedlichen Saal. Eine Durchschnittsscheibe des Stammes wurde daneben gelegt, damit man sich von dem Durchmesser des Baumes überzeugen konnte.


Ich machte von San Francisco drei Ausflüge in das Innere von Kalifornien. Den ersten nach Sacramento, Mary’s Ville und den Goldminen an dem Yuba-Fluß, den zweiten nach Crescent-City und zu den Rogue-River-Indianern, den dritten nach St. José.

Am 3. October Nachmittags 4 Uhr schiffte ich mich auf dem schönen Dampfer „Senator“ nach Sacramento (100 Meilen) ein.

Die Amerikanischen Dampfer sind die schönsten, die man sehen kann. Sie verdienen mit vollem Rechte, „Wasserpaläste“ genannt zu werden, denn sie sehen vollkommen wie Häuser aus. Die Flußdampfer besonders haben Stockwerke mit großen Thüren, Fenstern und Galerieen. Ständen sie nicht im Wasser, so würde kein Mensch sie für Schiffe halten. Die innere Einrichtung gibt an Pracht und Vollkommenheit der äußeren nichts nach. Wenn man Nachts einem solchen[S. 27] Dampfer begegnet, gewährt dieß einen wahren Feenanblick; alles erglänzt im hellsten Lichte und die Schornsteine speien Feuer, gleich Vulkanen.

Spät Abends lenkten wir in den Sacramento-Fluß, der bis zu der Stadt Sacramento für Dampfer von zwölf- bis fünfzehnhundert Tonnen fahrbar ist.

Am 4. October Morgens 5 Uhr landeten wir an der Stadt. Die Reisenden stürzten wie besessen an’s Ufer, um ihre Reise mit Stage-coaches oder anderen kleineren Dampfbooten ohne Zeitverlust fortzusetzen. Auch ich folgte ihrem Beispiele, und eilte, um meinen Platz auf der Stage-coach nach Gras-Vale zu erobern. Allein meine Eile war umsonst. Die Kutsche war schon um 4 Uhr abgegangen. Ich änderte meine Reise dahin ab, daß ich auf einem Dampfer nach Mary’s Ville (50 Meilen) ging.

Die Zeit bis zur Abfahrt des Dampfers benutzte ich, die Stadt zu besehen, die in einer staubigen, sandigen Ebene liegt, in deren weitem Hintergrunde man dunkle Umrisse von Gebirgen entdeckt. Die Stadt zählt 20,000 Einwohner und bietet in kleinerem Maßstabe dasselbe unvollendete, unsaubere Bild wie San Francisco. Nach den Begriffen der Amerikaner gehört auch Sacramento zu den Wunderwerken der Welt, da sie gleich San Francisco eben so schnell entstanden und eben so oft abgebrannt ist.

[S. 28]

Um 11 Uhr ging es wieder an die Reise. Schon nach einigen Meilen lenkten wir in den Feather-Fluß, an welchem Mary’s Ville liegt. Die Ufer dieses Flusses bleiben sich so ähnlich, daß ich mich, nachdem ich sie einige Zeit betrachtet hatte, in den Saal begab, um auch über die Gesellschaft meine Bemerkungen zu machen. Ich befand mich hier zum ersten Male in einer großen Gesellschaft von freien Amerikanern. Wie in den Spielhäusern zu San Francisco fielen mir vor allem die Kontraste in der Kleidung auf. Die Damen waren durchgehend sehr geputzt und hätten in ihrem Reiseanzuge in den glänzendsten Gesellschaften erscheinen können. Ganz anders verhielt es sich mit den Männern. Manche waren wohl sehr anständig gekleidet; die meisten aber hatten Jacken an, die nicht selten zerrissen waren, derbe, schmutzige Stiefel über die Beinkleider gezogen und die Hände so außerordentlich plump und verbrannt (eine Sache, die mir selbst bei den best angekleideten Herren häufig auffiel), wie die gemeinsten Bauersleute. Man spielte Karten, man kaute Tabak, selbst Jungen von zehn bis zwölf Jahren thaten dieß; allein man spuckte nicht so herum, wie manche Reisende behaupten. Eine andere Gewohnheit aber, nicht minder häßlich als das Spucken, ist, daß sich die Leute wohl der Sacktücher, aber zuvor ihrer[S. 29] Finger bedienen; ich sah dieß sogar bei elegant gekleideten Herren.

Der gesammten Männerwelt muß ich das Zeugniß geben, daß sie gegen mein Geschlecht, alt oder jung, reich oder ärmlich gekleidet, gleich artig und gefällig war. Die Amerikaner gleichen hierin nicht meinen Landsleuten, und überhaupt nicht den Europäern, die ihre Artigkeit gewöhnlich nur der Jugend, Schönheit und dem Putze widmen.

Bei Tische blieb man nicht lange sitzen und sprach beinahe kein Wort; die Leute verschlangen die Speisen brühheiß und halb ungekaut. Sie gönnten sich keine Zeit, obwohl niemand etwas zu thun hatte; allein es ist nun einmal schon ihre Gewohnheit, alles als Geschäft zu betrachten und alles mit größter Hast und Eile zu verrichten. Getrunken wurde nichts als Wasser. Man sagte mir, daß der Amerikaner es vorziehe, die spirituosen Getränke zu verschiedenen Zeiten des Tages in kleinem Maße zu sich zu nehmen. Auf jeden Fall glaube ich jedoch, daß er hierin dem Engländer nachsteht, denn auch Kaffee und Thee wurde nicht sehr stark und nicht in großen Portionen genossen.

Die Fahrt nach Mary’s Ville währte sehr lange, der Fluß hatte in dieser Jahreszeit wenig Wasser, und wir saßen alle Augenblicke auf Sandbänken auf. Es[S. 30] zeigten sich hie und da einige Hügel, später sogar Gebirgsketten.

Ich hielt sechs Meilen von Mary’s Ville bei der dem General Sutter gehörigen Farm[5] an. Es war 10 Uhr Nachts, als ich an’s Ufer gesetzt wurde. Ich wußte weder Weg noch Steg; doch lag die Farm nicht weit entfernt. An dem Gartenzaune angekommen, stürmte ein halbes Dutzend großer Hunde auf mich ein. Ich verhielt mich ruhig, wohl wissend, daß es so bei dem Gebelle bleibe. Alles lag schon in tiefer Ruhe. Durch den Lärm der Hunde aufgeweckt, kam endlich jemand daher. Man empfing den späten Gast auf die zuvorkommendste Weise.

General Sutter, ein Schweizer von Geburt, hat nicht nur, wie bereits erwähnt, die erste Goldmine entdeckt; er zeichnete sich auch als Soldat in dem letzten Kriege gegen die Mexikaner sehr aus. Er lebt seitdem auf seinen bedeutenden Ländereien.

Sein jüngster Sohn, ein Mann von zweiundzwanzig Jahren, ist schon Oberst bei der Landmiliz. Uns Europäern kommt es sonderbar vor, in Amerika junge Leute so hohe Stellen bekleiden zu sehen. Der Amerikaner sagt: „Wenn junge Leute ihr Fach verstehen, sind sie den älteren vorzuziehen, da sie mehr[S. 31] Thätigkeit, Fleiß und Ausdauer besitzen.“ Man findet in Amerika Männer von sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren, die sich als Kaufleute, Advokaten, Schiffskapitaine u. s. w. schon ein schönes Vermögen erworben haben. Freilich fangen sie auch in sehr frühen Jahren zu arbeiten an.

Ich verweilte zwei Tage in der Rock-Farm. Hier wird schon ziemlich viel Getreide und Gemüse gebaut. Der Boden sieht in der trockenen Jahreszeit so unfruchtbar aus (nichts als Sand und Staub), daß man denken sollte, das wenige, was hier wachsen kann müsse mit der größten Sorgfalt gepflegt werden. Man versicherte mich des Gegentheiles. Der Boden wird weder gedüngt noch bewässert, und die Getreidehalme, welche man mir von der letzten Ernte wies, waren groß und überreich an Körnern. Doch muß man auch bedenken, daß der Boden erst vor ein Paar Jahren zum ersten Male aufgebrochen wurde. Wer weiß, wie er sich nach fünfzig Jahren zeigen mag.

Mit Herrn Sutters älterem Sohne, der sich viel mit Botanik beschäftigt, machte ich einen Spaziergang nach einem nahe gelegenen Walde. Ich sah da sehr schöne und sehr verschiedenartige Eichen, an welchen Kalifornien überhaupt reich sein soll, ferner hübsche Schlinggewächse und sehr viele wilde Weinreben, die sich hoch hinauf mit den Bäumen verzweigten. Die[S. 32] Beeren waren klein und nicht sehr süß. Der Boden des Waldes hatte nicht den geringsten Anflug von Gras oder Grün.

Ungefähr zwanzig Meilen von der Rock-Farm entfernt, erhebt sich eine majestätische Gebirgskette, deren höchste Spitze Chasta heißt und 14,000 Fuß hoch sein soll. Vor dieser Kette steigen mitten in der Ebene senkrechte Felswände auf, die man einem riesigen Walle vergleichen könnte. Sie bilden drei Hauptspitzen, welche die „drei Buds“ genannt werden.

Am 7. Oktober ließ mich Herr Sutter nach Mary’s Ville führen. Dieses Städtchen liegt am Zusammenflusse des Feather- und Yuba-Flusses. Ein Privatmann ließ hier eine hölzerne Brücke von vielleicht 120 Fuß Länge bauen, deren Ueberschreitung per Pferd oder Stück Hornvieh einen halben Dollar kostet.

Mary’s Ville, später entstanden als Sacramento, enthält bereits 6000 Einwohner, hat schon zwei Zeitungen und ein Theater. Die Waarenlager sind so überfüllt, daß sie den Bedürfnissen einer zehnmal größeren Bevölkerung genügen würden. Es wird wohl viel hiervon nach den Minen gesandt; aber die Mode- und Luxus-Artikel finden doch nur bei den Städtern Absatz.

Kaum in Mary’s Ville angekommen, war ich so glücklich, dem Herrn Baronet Heinrich Huntley[S. 33] zu begegnen, einem Engländer, den ich in San Francisco kennen gelernt hatte. Dieser Herr besitzt Quarz-Goldminen zu Brown’s-Valley, nahe der Gebirgskette, 14 Meilen von Mary’s Ville, und ließ daselbst eine Dampfmühle zur Stampfung der Steine bauen. Er war so gefällig, mich auf sein Besitzthum mitzunehmen, um mir die Quarzminen, so wie auch die Goldwäschereien an dem Yuba-Flusse, die 6 Meilen davon entfernt liegen, zu zeigen.

Herr Huntley hat sich in Brown’s-Valley erst vor drei Monaten angesiedelt, zu welcher Zeit der Platz einer Wildniß glich. Jetzt standen schon drei kleine Holzhäuschen, und das Hauptwerk, die Dampf-Stampfmühle, war der Vollendung ziemlich nahe. Die Arbeitsleute wohnten in Zelten umher, und es sah recht belebt aus.

Die ganze Umgebung besteht aus reichhaltigen Goldquarz-Lagern. Das Verfahren in den Minen ist wie in anderen Ländern. Man macht Schachten und Gänge, fördert das Gestein zu Tage, schafft es in die Mühle, stampft es zu Pulver, sondert durch Waschen das Metall von dem Quarzstaube, schmilzt es mit Schwefelsäure und bindet es mit Quecksilber. Herr Huntley war so gefällig, mir die ganze Verfahrungsart im Kleinen zu zeigen. Ein Quarzstein von fünf Pfund lieferte auf diese Weise dreizehn Cents Werth[S. 34] in Gold. Jedermann kann graben; da aber das Anlegen einer Mühle eine etwas bedeutende Summe kostet, verkaufen die Minengräber ihre Steine an Herrn Huntley.

Den folgenden Tag führte man mich nach den großen Goldwäschereien an dem Yuba-Flusse. Das Gold wird hier auf zweierlei Arten gewonnen. Die Goldsucher graben Löcher an Stellen im Flußbette, in welche das Wasser nach einiger Zeit Erde und Schlamm absetzt; bei trockener Jahreszeit zieht es sich etwas zurück. Nun schürft man das Angeschwemmte heraus und sondert das sich vorfindende Gold durch Waschen ab. Die zweite, ungleich großartigere Weise besteht in dem Abdämmen des Flusses. Man baut zu diesem Zwecke mehrere hundert Klafter lange hölzerne Fluder, in welche man den Fluß leitet. Der ganze trocken gelegte Theil des Flußbettes wird dann durchwühlt und das Erdreich gewaschen. Zu allen diesen Unternehmungen verbinden sich die Leute in größeren Gesellschaften und theilen den Gewinn am Ende jeder Woche. Es geht dabei so ordentlich und redlich zu, daß nie ein Streit stattfindet. Jede Gesellschaft wählt ein Haupt, welches mit der Austheilung beauftragt ist. Mit nicht minderer Sicherheit kann der Eigenthümer seinen Schatz ohne Schloß und Riegel in seinem Zelte liegen lassen; er wird nie etwas davon vermissen.[S. 35] Nicht so sicher ging es in der ersten Zeit zu. Da wurde gestohlen und gemordet. Die Goldsucher sahen sich gezwungen, der Justiz vorzugreifen und selbst Ordnung zu schaffen. Sie hingen Diebe wie Mörder ohne Umstände auf, und dieses Mittel war probat.

Wer nicht selbst arbeiten will, findet Leute, die sich verdingen. Viele ziehen einen gewissen Lohn dem ungewissen Gewinne vor; sie erhalten sechs bis acht Dollars per Tag.

Jedermann und jede Gesellschaft kann einen freien Platz zum Goldsuchen auswählen; nur muß mit der Arbeit spätestens vierzehn Tage nach der Besitznahme angefangen werden. Wird dieser Zeitpunkt versäumt, so ist das Recht auf den Platz verloren, und jeder andere Liebhaber kann sich darauf niederlassen.

Wenn jemand nur mit einiger Wahrscheinlichkeit anzugeben vermag, daß auf dieser oder jener Stelle Gold zu finden sei, selbst auf Plätzen, wo Häuser stehen, so muß sie der Besitzer gegen Schadenersatz dem Minengräber überlassen. Dieselben Gesetze bestehen auch in Chili und Peru.

Es wurde an dem Flusse ungemein viel gearbeitet, und die Ufer sahen sehr belebt aus. Gegen fünftausend Menschen waren auf einer Strecke von höchstens drei bis fünf Meilen Länge beschäftigt. Zeltdörfer[S. 36] reihten sich an Zeltdörfer; die Leute können sich keine Holzhütten bauen, da sie, so wie eine Stelle ausgebeutet ist, zu einer anderen ziehen. Die verschiedenen Nationen halten sich in Arbeit und Wohnung meistens zusammen, so die Deutschen, die Amerikaner, die Chinesen u. s. w.

Unter den Goldsuchern gibt es im Verhältniß nur wenige, die ein Vermögen zusammenbringen. Sie können nur acht Monate im Jahre arbeiten, bis zu dem Eintritte der Regenzeit. Die Arbeit ist sehr beschwerlich, die Leute müssen den ganzen Tag im Wasser stehen, und während der Dauer ihrer Arbeiten muß jeder auch der geringsten Annehmlichkeit und Erholung des Lebens entsagen. Gehen sie dann während der vier Monate in irgend eine Stadt, so leben sie da wie die Matrosen, die nach einer langen Seereise das Land betreten. Systematisch angelegte Verführungen lauern von allen Seiten auf sie, der Schwindel der Unterhaltung ergreift die Unglücklichen, und wenn sie aus dem Taumel erwachen, ist nur zu oft der schwer erworbene Gewinn verschwunden. Arm, wie das erste Mal, als sie von der Heimath kamen, aber geschwächt an Körper und Seele durch das wüste Leben in der Stadt, müssen sie nach der harten Arbeit zurückkehren, und glücklich noch derjenige, den die gemachte Erfahrung vor Wiederholung bewahrt!

[S. 37]

Die Gegend um Brown’s-Valley wie um den Yuba-Fluß gehört zu den waldigen und gebirgigen. Die Wälder sind aber sehr licht, alle vierzig bis sechzig Schritte steht ein Baum, meistens Eichen. Untergebüsch, Schlingpflanzen gibt es gar nicht; der Boden besteht aus Staub und kleinen Steinen.

Nach einigen Tagen verließ ich diese Gegend und ging wieder nach Mary’s Ville zurück. In dem letzteren Landstriche ist es viel wärmer als in und um San Francisco, obwohl jener nicht bedeutend viel südlicher liegt. Ich war hier abermals so unglücklich, einen Anfall von dem hartnäckigen Sumatrafieber zu bekommen.

In Mary’s Ville fand ich einen Landsmann, einen Wiener, Herrn Rogler. Unsere beiderseitige Freude, von der lieben Heimath sprechen zu können, war so groß, daß mir der gute Mann einen ganzen Tag schenkte und mich an alle Orte begleitete, wo es etwas zu sehen gab.

Am meisten interessirten mich hier die Eingebornen, die noch reine Indianer sind und sich vor jeder Vermischung mit Spanischem Blute bewahrt haben. Diese sogenannten „Wilden“ vermindern sich von Jahr zu Jahr und werden überall von den harten Weißen verdrängt. Vor einigen Jahren lebten noch mehr als[S. 38] sechzig Familien bei Mary’s Ville, jetzt sind sie bis auf zwanzig zusammen geschmolzen[6].

Ich fand diese Indianer noch viel häßlicher als die Malaien. Ihr Wuchs ist klein und gedrungen. Sie haben besonders kurze Hälse und plumpe Köpfe. Die Stirn ist niedrig, das Nasenbein wenig erhoben, die Nasenflügel breit, die Augen schmal gespalten, wenig Intelligenz ausdrückend, die Backenknochen breit, der Mund groß; die Zähne, zwar weiß, stehen selten in schönen Reihen. Die kurzen, dichten und straff um den Kopf herab hängenden Haare sehen gerade wie eine Pelzmütze aus. Die Farbe derselben ist braun, nicht selten lichter und dunkler auf einem und demselben Kopfe; sie pflegen sie wenig und scheinen sie mit keinem Fette zu schmieren. Kinder von vier bis sechs Wochen hatten schon einen ganzen Wald von Haaren auf dem Kopfe. Ihre Hautfarbe ist schmutzig gelbbräunlich; die Weiber sind sehr zum Fettwerden geneigt. Männer wie Weiber haben die Ohrläppchen sehr weit durchstochen und tragen lange, runde, fingerdicke Rollen darin, die mit Zeichnungen oder Glasperlen verziert sind. Sie schmücken sich außerdem[S. 39] mit Glasperlen, Knöpfen, Federn und allem, was sie von den Weißen erhalten können. Die Weiber waren am Kinn ganz wenig tätowirt. Ursprünglich gingen die Männer ganz nackt, die Weiber trugen blos eine fußlange Schürze um die Mitte des Leibes; seit sich jedoch die Weißen hier niedergelassen haben, lesen die Indianer die weggeworfenen Kleidungsstücke, Wäsche, Stiefel u. s. w., von den Straßen auf und bedecken ihren Körper damit oft auf die lächerlichste Weise.

In Bildung und Lebensweise stehen diese Menschen sehr tief. Sie treiben weder Ackerbau noch Viehzucht noch Jagd, nichts als etwas Fischfang. Zu ihren Wohnungen graben sie runde, fünfzehn bis zwanzig Fuß breite, zwei Fuß tiefe Löcher in die Erde, über die sie ein zeltförmiges Dach von Holzwerk und Erdreich legen. Die Thüre ist ein kleines Loch, durch welches man auf Händen und Füßen kriechen muß; eine noch kleinere Oeffnung an der Spitze des Daches läßt den Rauch durchziehen. Sie haben weder Matten noch Geschirre und verstehen nichts als Körbe zu flechten. In dieser Kunst sind sie wahre Meister, wissen die Körbe vollkommen wasserdicht zu flechten und kochen sogar ihre Fische darin. Sie flechten große, um den Vorrath von getrockneten Fischen zu bewahren, kleinere, um Wasser zu holen, und ganz kleine, die ihnen zur Bedeckung des Kopfes dienen.

[S. 40]

Es war gegen Abend, als ich diesen Stamm besuchte. Die Leute saßen vor ihren Höhlen an kleinen Feuern und bereiteten und verzehrten ihr Abendessen, das aus gebratenen Fischen und Eichelbrot bestand. Letzteres war fest, schwer, sehr feucht, hatte die Farbe der Chocolade und einen etwas bitteren Geschmack. Sie zerstampfen hiezu die getrockneten Eicheln zu Pulver und verfertigen daraus das Brot ohne sonstige Beimischung als Wasser. Außer Fischen und Eicheln essen sie so ziemlich alles, was sie bekommen können. Eidechsen, Heuschrecken, Frösche, Käfer u. s. w. sind Leckerbissen für sie.

Ich sah unter diesem Völkchen leider sehr viele Fieberkranke, auch eine Irrsinnige und auffallend wenig Kinder. Die Indianer, die in der Nähe der Weißen bleiben, sterben noch ungleich schneller aus, als jene, die in das Innere der Wälder fliehen. Erstere erhalten von den Weißen als Tauschmittel für Fische häufig Branntwein, der Gift für sie ist, und, wie man schon bemerkt hat, sie erkranken und selbst sterben macht. Ein zweites, noch größeres Unglück sind für sie die Blattern, eine Krankheit, die durch die Weißen eingeschleppt wurde, und an der die Eingebornen sehr häufig sterben.

Ihre Armuth an Kindern rührt hauptsächlich davon her, daß sie sich gemeiniglich nur in ihrem eigenen[S. 41] Stamme verheirathen; sie sind oft ganz verschwistert und verwandt unter einander. Ihre Sitten sollen gut sein. Keine Indianerin wird freiwillig mit einem Weißen umgehen; sie würde von ihrem Stamme verstoßen oder wohl gar getödtet. Will ein Weißer ein Verhältniß mit einer Eingebornen eingehen, so muß er den Häuptling durch Geschenke zur Bewilligung zu gewinnen suchen.

Eine recht malerische Gruppe bildeten die drei Aeltesten des Volkes. Sie hatten einige Europäische Kleidungsstücke an, einen reichen Federschmuck auf den Häuptern und saßen ruhig und ernst auf der Spitze einer ihrer Erdhöhlen. Es schien, als betrachteten sie in ihrem einfachen Naturverstande das rastlose Treiben der nahe wohnenden weißen Fremdlinge nicht mit Erstaunen und Bewunderung, sondern mit Verachtung und Geringschätzung. Ich werde die Blicke nie vergessen, welche diese drei Männer auf mich und meinen Begleiter warfen; als letzterer sie ansprach, würdigten sie ihn kaum einer Antwort.

Von dem Werthe des Goldes haben die Leute noch keinen Begriff: die kleinste wie die größte Summe ist bei ihnen 5 Dollars. Ich wollte eine von den Rollen kaufen, die sie durch das Ohr stecken, so wie eines der wasserdichten Körbchen; sie verlangten für den einen wie für den andern Gegenstand 5 Dollars.

[S. 42]

Abends besuchte ich auch in Mary’s Ville die Spiel-, Tanz- und anderen öffentlichen Unterhaltungs-Häuser. Ich kann von ihnen nur wiederholen, was ich von jenen in San Francisco geschrieben habe: sie sind Kopien in kleinerem Style. Ich möchte wohl behaupten, daß in der kurzen Zeit, seit der Weiße nach Kalifornien kam, viel mehr Verbrechen und Laster begangen wurden, als in den Hunderten von Jahren, während der das Land nur von Eingebornen bewohnt war.

Nach San Francisco zurück ging ich denselben Weg über Sacramento. Die Ufer des Flusses Sacramento werden von den Amerikanern als bezaubernd schön und üppig geschildert. Auf der Herreise konnte ich nicht viel sehen, ich machte sie bei Nacht. Mit großer Erwartung begab ich mich daher auf die Rückreise, bei welcher mich der hellste Tag, das glänzendste Sonnenlicht begünstigten. Ich bemühte mich aber vergebens, die schönen Landschaften zu erblicken, die von Hunderten und Tausenden bewundert werden. Die Ufer waren wohl von einer Reihe von Bäumen und von Gebüschen umsäumt; allein wenige Schritte nach dem Innern zu hörte die Vegetation auf, und der Blick verlor sich auf der sandigen, staubigen Ebene. Und selbst die Bäume, meistens Eichen, Weiden und Eschen, konnte man nicht schön nennen: sie hatten zwar zum Theil dicke Stämme und umfangsreiche Kronen und Aeste,[S. 43] welch letztere sich mitunter weit über das Wasser neigten; allein das Laubwerk war sehr klein, schmal und von schmutzig dunkelgrüner Farbe. Nur Leute, die beständig in der nackten, baumleeren, sandigen Gegend von San Francisco leben, können so viel Wesen aus diesen armseligen Ufern machen.

[1] Unter „Amerikaner“ versteht man nur die Bewohner der Vereinigten Staaten; die übrigen Völker Amerika’s werden bei ihren Völkernamen genannt, wie: Mexikaner, Brasilianer u. s. f.

[2] Die Einfuhr von Gütern jeder Art ist für eine Bevölkerung von wenigstens einer Million, während in Kalifornien kaum 300,000 Seelen leben mögen.

[3] Es gibt Fahrstraßen in der Nähe der Stadt, die meilenlang mit Brettern belegt sind.

[4] Das sogenannte Lynch-Gericht, auch in den Vereinigten Staaten, besonders in früheren Zeiten, von dem Volke häufig ausgeübt.

[5] Farm heißt jeder Landsitz, groß oder klein.

[6] Nahe der Farm des General Sutter lebten, wie er mir selbst erzählte, vor zwei Jahren über zweihundert Eingeborne in einem großen Wig-wam (Dorf), jetzt sind sie bis auf einige dreißig ausgestorben.

[S. 44]

Vierzehntes Kapitel.

Crescent-City. — Ausflug zu den Rogue-river-Indianern.— Ein Nachtlager im Wig-wam. — Gefährliche Lage meines Reisegefährten. — Rachsucht der Indianer. — San José. — Acapulco. — Panama.

Mein zweiter Ausflug galt, wie bereits gesagt, dem neu angelegten Städtchen Crescent-City, nördlich, nahe an der Grenze von Oregon, und den Rogue-river-Indianern.

Die Entfernung nach Crescent-City beträgt nur 300 Meilen; der Preis der Ueberfahrt 50 Thaler. Die Amerikaner sind aber mit freien Ueberfahrten nicht so karg wie die Engländer. Ich hatte oft nur nöthig, meinen Namen zu nennen, und man gab mir freie Fahrten, so auch hier zur Hin- und Rückreise für Crescent-City.

Am 3. November begab ich mich an Bord des Dampfers „Thomas Hunt.“

Wir liefen stets nahe der Küste, die meistens[S. 45] aus spitzen, steil abfallenden Hügeln besteht, welche lange Ketten bilden und wenig geeignete Plätze zu Ansiedelungen bieten. Es sah auch alles unbewohnt aus. Die Berge und Hügel sind stellenweise mit dünnen Nadelwaldungen bedeckt; doch ist die Sandregion noch vorherrschend. Wir kamen durch die Humboldts-Bay.

Am 5. November früh Morgens lenkten wir in die Bucht oder den Hafen von Trinidad. Diese Bucht ist ausnehmend klein und niedlich; ich glaube kaum, daß sie eine Viertelmeile im Durchmesser hat. Sie ist von fünfzig bis sechzig Fuß hohen, steilen Felshügeln umfaßt, die Oeffnung gerade hinlänglich, daß ein Schiff einlaufen kann. In der Mitte erhebt sich ein hoher, schwarzer Fels, der den kärglichen Raum noch mehr beengt. Man könnte die ganze Bildung dieses Beckens für einen ausgebrannten Krater halten. Von dem Städtchen sieht man einige Dutzend hölzerne Häuser an den Säumen der Hügel. Ein schöner Nadelwald im Hintergrunde schließt das Miniaturgemälde.

Das Städtchen Trinidad entstand vor zwei Jahren, geht aber jetzt schon dem Untergange zu. Der Handel nimmt keinen Aufschwung, wie man bei der Errichtung geglaubt hatte, und Ackerbau wird noch nicht betrieben. Viele der Ansiedler sind wieder hinweg gegangen.

[S. 46]

Von Trinidad an werden die Hügelreihen an der Küste niedriger, weniger steil und dichter mit Nadelwaldungen bedeckt.

Unter heftigem Regen, stark bewegter See langten wir Nachmittags vor Crescent-City an. Eine schwere Aufgabe war es, an das Land zu kommen, da die Rhede sehr unsicher und jedem Winde oder Sturme ausgesetzt ist. Von April bis November bietet sie zwar einigen Schutz gegen die vorherrschenden Nordwinde; aber in den Wintermonaten ist sie den Winden ganz Preis gegeben.

Die Lage des Städtchens ist überaus idyllisch. Die hölzernen Häuschen stehen zum Theil in einer Reihe an dem Saume des Meergestades; andere liegen zwischen Bäumen zerstreut umher. Das Ganze wird von hohen Nadelwaldungen überschattet. Gegen Südwesten steigen reichbewaldete Berge auf, auch an schönen Ebenen fehlt es nicht, und in der See liegen viele reizende Gruppen kleiner Eilande und Felsparthieen, von welchen manche nackt, andere bewaldet sind.

Crescent-City wurde erst in diesem Jahre, im Monat Februar, angelegt. Der Wald mußte gelichtet und ein Blockhaus errichtet werden, denn rund umher gab es noch viele Indianer-Stämme. Im Monat August standen bereits neunzig Häuser, zwanzig Magazine waren eröffnet, mehrere Hotels errichtet. Der Handel[S. 47] nach den Minen, die an dem Smith’s-Flusse liegen, war schon in vollem Gange. Täglich sah ich viele Maulthiere mit Lebensmitteln und andern Gütern von hier beladen dahin abgehen. Wenn es sich bewährt, daß von diesem Punkte aus der sicherste und beste Verkehr nach dem Innern geht, so wird sich dieser Ort wunderschnell erheben. Aber auch zu Trinidad siedelten sich die Leute in dieser Hoffnung an, die sich dann nicht bewährte. Die Theuerung ist hier noch weit größer als in San Francisco, von woher alles zugeführt wird.

Herr Grubler, ein Schweizer von Geburt, war so gefällig, mich in seinem Hause aufzunehmen. Dieser Mann gehörte unter die ersten Ansiedler und erbaute das Blockhaus. Er ist auch Präsident und hauptsächlicher Gründer eines sehr nützlichen und lobenswerthen Vereins zur Bildung angehender Redner. Die Mitglieder versammeln sich alle Wochen einen Abend in dem Schulsaale; es werden politische Fragen gegeben, erdichtete Prozesse, so wie auch Novellen und Gedichte vorgetragen, und in dieser Weise bieten diese Abende der ganzen Gesellschaft eine lehrreiche Unterhaltung.

Ich war über die guten, fließenden Vorträge um so mehr erstaunt, als die meisten der Sprecher wie Matrosen oder Minenarbeiter aussahen. Sie hatten Jacken, rothe Wollhemden und dergleichen an. Auch[S. 48] das schöne Geschlecht erschien in ganz einfachen kattunenen Hauskleidern. Der Schulsaal sah ebenfalls nicht sehr elegant aus und ließ leider den rauhen Wind von allen Seiten dergestalt ein, daß man die Unschlittkerzen kaum vor dem Erlöschen bewahren konnte. Wie bald wird dieß alles vielleicht umgeschaffen sein und Pracht und Luxus die ländliche Einfachheit verdrängen! Werden sich die Leute dann wohl besser unterhalten?

Obgleich Crescent-City nur vier Grad nördlicher liegt als San Francisco, äußert sich in Witterung und Temperatur ein viel mächtigerer Unterschied als man vermuthen sollte. Dicke Nebelwolken verhüllten die ganze Gegend, es regnete häufig und schwer, und eine sehr empfindliche Kälte machte sich fühlbar.

Der Hauptzweck meiner Reise hierher war, die Indianer zu besuchen, welche in diesem Theile Kaliforniens noch in ziemlicher Anzahl zu finden sind. Seit sich die Weißen hier niederließen, haben sie sich jedoch etwas mehr in das Innere des Landes zurückgezogen, und man muß, will man größere Wig-wams sehen, wenigstens zehn bis zwanzig Meilen weit gehen.

Ein halbes Dutzend Indianische Familien waren noch in der Nähe des Städtchens angesiedelt. Ich fand sie wie jene bei Mary’s Ville. Nichts erschien mir komischer, als die sonderbaren Anzüge, denn auch hier lasen sie alle von den Weißen weggeworfenen[S. 49] Kleidungsstücke auf. So sah ich einen Indianer, welcher ein Beinkleid, eine sehr schadhafte Mantille und einen zerknitterten Frauenhut trug. Ein anderer hatte weiter nichts als einen Frack an, den er nach eigenem Geschmacke auf der Rückseite ganz mit Glasperlen benäht hatte. Ein dritter trug wieder nur eine Weste, dazu einen alten Männerhut, in welchen er oben ein Loch geschnitten und viele Vogelfedern aufgesteckt hatte. Eben so geschmackvoll waren die Weiber gekleidet.

Um weiter in das Land bis zu den Rogue-River-Indianern am Smith-Flusse vorzudringen, muß man, wie mir die Leute hier versicherten, in bewaffneter Gesellschaft gehen, da diese Indianer sehr wild und hinterlistig sind. Man versprach mir, acht oder zehn Herren zusammen zu bringen, die mich dahin begleiten sollten; allein es fanden sich nicht so viele, und eine geringere Anzahl wollte den Gang nicht wagen.

Glücklicher Weise hörte ein Deutscher Matrose, Karl Braun, der sich vor einigen Monaten hier niedergelassen hatte, von meinem Wunsche. Er war so gut, zu mir zu kommen, um mir zu sagen, daß er Willens sei, zu jenen Indianern zu gehen. Er sei viel mit Indianern in Verbindung, von welchen er Fische gegen Glasperlen eintauschte, und verstehe ihre Sprache. Wenn ich es wagen wolle, könne ich ihn begleiten. Ich war über diesen unerwarteten Zufall sehr erfreut;[S. 50] die Reise ward beschlossen und, sobald der Regen aufgehört hatte, auch angetreten.

Wir gingen am ersten Tage, 7. November, ungefähr sechzehn Meilen, meistens an dem Seegestade, in tiefem Sande oder über Steine. Durch die Waldungen waren die Wege gut. Gegen Nachmittag wandten wir uns dem Innern zu und gelangten sehr bald an den Smith-Fluß, dessen Ufer ebenfalls aus Sand bestanden; doch kaum eine halbe Meile in das Land hinein fingen schon herrliche Nadelwaldungen an. Die Bäume waren sehr hoch und schlank, sie liefern das vorzüglichste Bauholz. Von Schlinggewächsen sah ich wenig, dagegen gab es dichtes Untergebüsch, unter welchem die Brombeer- und Heidelbeer-Staude und andere Waldbeeren. Die Heidelbeer-Staude wächst hier viel höher als bei uns in Europa; sie erreicht eine Höhe von vier Fuß.

Wir kamen an mehreren Wig-wams vorüber, hielten aber nur kurz an, um wo möglich vor einbrechendem Regen, der in unfreundlichen Wolken über uns schwebte, das Nachtlager zu erreichen. Die Wig-wams waren klein, sie bestanden höchstens aus sechs bis acht Hütten oder Höhlen, jenen bei Mary’s Ville gleich, nur daß das hölzerne Dachgerippe statt mit Erde hier mit Blättern und Aesten überdeckt war.

Den Smith-Fluß übersetzten wir in einem ausgehöhlten[S. 51] Baumstamme, statt der Ruder bedienten sich die Leute ganz schmaler Brettchen.

Je weiter wir uns von den Niederlassungen der Weißen entfernten, desto weniger fanden wir die Leute bekleidet, endlich ganz im Naturzustande. Nur die Weiber trugen um die Hüften eine kurze bauschige Schürze, die aus Grasfasern oder aus Elenthierfell verfertigt war. Das Fell wird in sehr feine Streifen geschnitten und nur oben in einer Breite von drei Zoll ganz gelassen. Sie schlagen es zwei Mal um die Mitte, es sieht aus wie ein recht zottiger Pelz. Dergleichen Schürzen sah ich schon an den kleinsten Mädchen, wenn sie noch kaum gehen konnten. Von den Häuptlingen trug hie und da einer ein Thierfell um die Achsel geworfen.

Gegen Abend erreichten wir ein großes Wig-wam, dessen Bewohner sich „Hüna-Indianer“ nannten. Mein Begleiter war bisher auf seinen Wanderungen nicht so weit gekommen; er kannte aber dennoch einen jungen Mann unter ihnen, mit dem er in andern Wig-wams zusammen getroffen war und Fische gegen Glasperlen umgetauscht hatte. Wir beschlossen, hier die Nacht zuzubringen. Es fing wieder an zu regnen, die Kälte wurde unleidlich, und ich mußte daher noch froh sein, ein Plätzchen in solch einem Erdloche mitten unter den ekelhaften, nackten Eingebornen zu finden. Wir lagerten[S. 52] uns an das Feuer, welches in der Mitte der Hütte lustig loderte und um das bereits ein halbes Dutzend Indianer hockten. Bald füllte sich die Hütte so mit Neugierigen, daß die Hitze, die Ausdünstung zum Ersticken wurde. Ging ich halb verzweifelnd in’s Freie, so hatte ich noch mehr zu leiden, nicht nur von der Kälte und dem Regen, sondern von den Bewohnern des ganzen Wig-wams, die sich so um mich drängten, daß ich wie in einem festen Kreise eingeschlossen war und mich kaum bewegen konnte. Sie zogen mich hin und her, sie befühlten jedes meiner Kleidungsstücke vom Hute bis zum Schuhe. Ja ein Mal schleppten sie mich sogar ein Stück weit in den Wald hinein zu entfernten Hütten; nur mit Mühe kam ich wieder unter das Dach meines Wirthes.

Mein Reisegefährte hatte Zucker, Kaffee und Brod bei sich, ich führte ein Stückchen Käse und Brod mit. Der Matrose kochte einen ganzen kleinen Kessel (er trug einen solchen von Weißblech mit sich) voll Kaffee, aber so schwach, daß das Wasser blos einen leichten Anflug von brauner Farbe bekam; nichtsdestoweniger fanden die Indianer dieses heiße, bräunliche Wasser so köstlich, daß der Kessel bald geleert war und eine zweite Auflage erfolgte, denn sie sahen, daß der Matrose noch ein solches braunes Pulver hatte, und jeder wollte davon haben. Sie griffen darnach, um es zu[S. 53] essen, und eher war keine Ruhe, bis alles verzehrt war. Mein Führer konnte nichts von seinen Lebensmitteln für den folgenden Morgen retten. Den Zucker warfen sie nicht in den Kaffee; sie aßen ihn mit größter Begierde, eben so das Brod. Nach diesem Mahle begannen sie ihre Kocherei. Sie brachten große, schöne Lachse herbei, an welchen die Flüsse Kaliforniens überreich sind. Die Köpfe und Schwänze wurden abgehauen, die Körper aufgeschlitzt mit Hölzchen ausgespannt, an größere Hölzer gesteckt und am Feuer gebraten. Aus den Köpfen und Schwänzen bereiteten sie eine Art Suppe. Sie füllten ein Körbchen mit Wasser und warfen glühende Steine hinein, die sie fortwährend durch frische ersetzten; als das Wasser hoch aufbrodelte, warfen sie die Köpfe und Schwänze hinein und ließen sie einige Zeit kochen. Dieses Verfahren erforderte sehr wenig Zeit, weniger als das an unsern Sparheerden. Die Suppe sah gräulich und dick aus, denn mit den Steinen kam mitunter auch eine Portion Asche in das Körbchen; das nahmen die Leute aber nicht so genau. Sie langten die Suppe mit Muscheln heraus und tranken sie. Die gebratenen Fische rissen sie mit den Händen in Stücke und legten sie auf flache Körbchen, die ihnen als Teller dienten. Hierauf rösteten sie Eicheln in der heißen Asche. Diese, nebst dünnen, langen Graswurzeln, dienten als Dessert.[S. 54] Die Wurzeln wurden nicht nur roh, sondern ungewaschen, mit der daran klebenden Erde genossen. Sie schmeckten ungemein zart und fein; man konnte sie mit der Zunge zerdrücken. Dieses Mahl wäre hinlänglich reich und auch schmackhaft gewesen, hätten ihm nicht zwei Hauptwürzen gefehlt: Reinlichkeit und Salz — beide sind diesen Menschen unbekannt.

Nach dem Essen bemalten sich die Männer und Jünglinge das Gesicht ganz abscheulich mit brauner, rother, blauer oder schwarzer Farbe. Sie bestrichen sich das Gesicht zuerst mit Fischfett, dann rieben sie mit den Händen die Farbe ein, und um verschiedene Zeichnungen hervor zu bringen, fuhren sie hie und da mit dem Finger über die bemalte Stelle, wodurch die Farbe verschwand. Daß dadurch ihre angeborne Häßlichkeit noch um vieles widerlicher wurde, bedarf wohl keiner Erwähnung. Nach dieser Operation fingen sie zu singen an. Ihre Gesänge fand ich melodischer und besser vorgetragen, als ich es bei einem so rohen Volke vermuthet hätte. Die Unterhaltung währte bis tief in die Nacht. Man war dann doch so galant, mir eine der Höhlen insofern zu überlassen, als sich die Männer entfernten und nur die Weiber bei mir blieben. Eine derselben legte sich so knapp an meine Seite, daß ich mich kaum umwenden konnte. Auf der andere Seite standen große Körbe voll geräucherter[S. 55] Fische, über unsern Köpfen hingen die zu räuchernden, man kann sich daher das angenehme Nachtlager auf dem kalten Boden ohne Polster und Decke vorstellen.

Ich hatte an dem Mahle wenig Theil genommen, da ich beabsichtigte, mich Nachts, wenn alles schliefe, mit einem Stückchen Käse und Brod schadlos zu halten. So lange die Leute wach waren, wagte ich es nicht, diese Kleinodien aus der Tasche zu ziehen; jeder hätte davon kosten wollen, und am Ende wäre für mich selbst nichts übrig geblieben. Als ich die Weiber schlafen, d. h. schnarchen hörte, richtete ich mich ein wenig auf und zog meinen Schatz behutsam hervor; allein der Schlaf meiner Nachbarin war entweder sehr leise oder Verstellung: sie erwachte sogleich, frug mich, was ich thue und bedeutete mir, daß ich mich niederlegen und nicht rühren solle. Sie schürte das Feuer an, bis ich mich wieder auf die Erde hingestreckt und schlafend gestellt hatte, und legte sich dann abermals an meine Seite. Vermuthlich hatte man Mißtrauen gegen mich.

Am Morgen fing das Leben und Treiben schon vor Tagesanbruch an. Es wurde reichlich gekocht und tapfer gespeist. Die Zeit während des Kochens benutzte ich, mit einem Indianer auf den Fischfang zu gehen. Er nahm eine zwanzig Fuß lange Stange mit, an welcher ein Speer aus Knochen mittelst einer langen[S. 56] Schnur befestigt war. Sobald er den Speer geworfen hatte, ließ er die Stange, je nach der Kraft und Größe des Fisches, entweder in das Wasser fallen oder er behielt sie in der Hand. Er warf den Speer, ohne je zu fehlen. Die Schnur war von den Gedärmen des Elenthieres ausnehmend schön gearbeitet und glich einer starken Musiksaite.

8. November. Nach dem Frühstücke setzten wir unsere Reise fort. Wir gingen auch heute sechzehn bis achtzehn Meilen stets durch herrliche Waldungen. Schon nach einigen Meilen betraten wir das Oregon-Gebiet und stießen bald auf Stämme der Rogue-River-Indianer. Wir kehrten in mehreren ihrer Wig-wams ein; mein Begleiter suchte Fische einzutauschen; er hatte bisher noch keine bekommen.

Ich kroch heute wie gestern in viele der Höhlen, um der Leute Thun und Treiben zu beobachten.

Die Indianer im Norden Kaliforniens und besonders in dieser Gegend stehen auf der tiefsten Stufe der Bildung; sie sollen gar keine Begriffe einer Religion, keine Ahnung eines künftigen Lebens haben. In manchen Wig-wams findet man eine Art Zauber- oder Wundermann, der die Krankheiten heilen, bei Diebstählen die Diebe ausfindig machen und die Orte angeben soll, wo die gestohlenen Sachen verborgen liegen.

Die Indianer von Kalifornien und Oregon skalpiren[S. 57] nicht und machen keine Gefangenen; sie tödten die Männer, doch nie die Weiber. Kommt zufällig während ihrer Kämpfe ein Weib, ein Kind in die Schußweite der Pfeile, so schreien sie ihnen zu, sich zu entfernen, da sie nur gegen Männer und nicht gegen Wehrlose kämpfen wollen.

Ich fand die Leute hier ein weniges größer und stärker als im südlichen Kalifornien, doch nicht hübscher. Unter den Weibern, die nicht nur am Kinn, sondern auch an den Händen und Armen etwas tätowirt waren, gab es sehr fette, überaus plumpe Gestalten. Die Haare trugen Männer, Weiber wie Mädchen in langen Wülsten. Da sie Kämme nicht kennen, fahren sie sich mit den Händen durch die Haare, streichen sie glatt, drehen sie auf jeder Seite des Kopfes zusammen und umwickeln sie mit einem Streifen Thierfell oder sonst einem Lappen. Die Mädchen tragen dieselben Haarwülste, nur haben sie die Haare vorn etwas abgeschnitten; die Männer tragen nur eine Haarwulst im Nacken. Durch die Ohrläppchen stecken sie runde Holz- oder Messingscheiben, die Männer und Knaben hängen auch verschiedene Zierathen von Perlen an den unteren Nasenknorpel. Beide Geschlechter schmücken sich leidenschaftlich gern mit Glasperlen und Vogelfedern. An Waffen besitzen sie blos Bogen und[S. 58] Pfeile, seit sich die Weißen überall niederlassen, auch Messer. Die Elenthiere fangen sie in Schlingen.

Sie sind überaus unrein, suchen sich gegenseitig das Ungeziefer vom Kopfe und geben jeden Fund gewissenhaft dem Eigenthümer, der ihn gierig verspeist. Die Männer gehen zwar häufig Morgens in den Fluß; aber sie tauchen nur ein Mal und kommen, gleich den Malaien, eben so schmutzig von dem Bade zurück, als sie hingegangen sind. Dennoch sah ich unter diesem Volke bei weitem nicht so viele Hautkrankheiten wie bei den Malaien oder Dayakern. Dieß ist meiner Meinung nach den Schwitzbädern zuzuschreiben, die sie häufig gebrauchen und deren jeder Wig-wam wenigstens eins besitzt. Diese Schwitzbäder bestehen in Erdhöhlen, ähnlich ihren Wohnplätzen, aber kleiner. Sie schließen den Zugang, machen ein tüchtiges Feuer an und bleiben so lange darin hocken, bis sie recht in Schweiß gerathen.

Auch bei allen diesen Stämmen, die ich sah, gab es auffallend wenig Kinder, obwohl die Leute gesund und kräftig aussahen. Die kleinen Kinder werden in schmale, längliche Körbchen, die mit einem Deckel versehen sind, gebunden und so von den Müttern auf dem Rücken getragen. Diese Last hindert die Frauen nicht, alle Arbeit zu verrichten, die ihnen, wie bei den meisten rohen Völkern, größtentheils zufällt, aber sehr[S. 59] gering ist. Sie haben zu kochen, Körbe zu flechten und Eicheln zu sammeln. Letzteres Geschäft ist das beschwerlichste; sie müssen oft viele Meilen danach gehen und große Lasten heimschleppen, denn wenn der Mann auch mitgeht, trägt er doch gar keine, oder höchstens eine kleine Last.

In vielen Hütten traf ich die Männer spielend. Sie saßen im Kreise um ein kleines Feuer und hielten feine, kleine Stäbchen in den Händen, von welchen die meisten weiß, einige wenige schwarz waren. Jeder warf seine Stäbchen derart vor sich hin, daß die schwarzen alle weit aus dem Kreise der weißen flogen. Er faßte sie hierauf wieder zusammen, gab sie hinter dem Rücken von der linken in die rechte Hand und begann das Werfen von neuem. Es gab viele Zuschauer und auch zwei Musikanten, welche getrocknete Krebsscheeren auf ein Stöckchen gefaßt hatten und damit an ein Brettchen schlugen. Ein anderes Spiel ist eine Art Errathen mittelst Lehmkügelchen. Sie spielen um Muschelgeld, das einzige, welches sie kennen und das Werth bei ihnen hat. Mit diesem kaufen sie auch ihre Weiber. Wenn sie spielen, geschieht dieß gewöhnlich in der Häuptlings-Hütte. Die Weiber sind für die Dauer des Spieles aus der Hütte gebannt. Ihre Leidenschaft für das Spiel ist so stark, daß sie es Tage und Nächte fortsetzen. Diese unglückselige[S. 60] Beschäftigung war Ursache, daß mein armer Gefährte auch hier keine Fische bekommen konnte.

In einem der Wig-wams blieben wir über Nacht. Ich schlief wieder in einer Hütte mit mehreren Weibern. Meinem Gefährten wäre es aber diese Nacht beinahe sehr schlecht ergangen: er war nahe daran, ermordet zu werden. Eine Ahnung, wie er mir am folgenden Morgen sagte, flüsterte ihm zu, vorsichtig zu sein, er traute den Leuten nicht und hatte sich eine Hütte ausgebeten, um allein zu schlafen. Das Gefühl der Unsicherheit ließ ihn nur leicht schlummern, und das war sein Glück, denn gegen die Mitte der Nacht hörte er in den Zweigen, mit welchen er den Eingang der Höhle vermacht hatte, ein leises Knistern und Rauschen, und als er hin blickte, war schon ein Indianer auf Händen und Füßen in die Hütte gekrochen, eben im Begriffe sich aufzurichten und ein Messer zu zücken. Der Matrose sprang sogleich auf, hielt ihm eine Pistole entgegen und drohte ihn niederzuschießen; der Indianer zog sich zurück, vorgebend, daß er nur gekommen sei, nachzusehen, ob der Fremde genug Holz zum Unterhalte des Feuers hätte.

Man schildert die Indianer als falsch, hinterlistig, rachsüchtig und feig, und sagt, daß sie die Weißen nur dann zu tödten suchen, wenn sie selbe einzeln finden. Wie können sich aber diese armen Menschen gegen die[S. 61] wohlbewaffneten Weißen, gegen diese übermüthige Raçe, von der sie so viel Unbill erleiden, anders rächen? Rache liegt nun einmal in der Natur des Menschen. Was würde wohl der Weiße thun, wenn man so mit ihm verführe, wie er mit dem armen Wilden? Auf dieser kleinen Strecke Landes, die ich durchwanderte, sah ich mehrere zerstörte, abgebrannte Wig-wams, aus welchen die Indianer von den weißen Ansiedlern mit Gewalt vertrieben worden waren, weil sie nicht freiwillig von ihrem heimatlichen Boden wichen. Die Weißen verführen ihre Weiber und Töchter, und wo ihnen dieß nicht gelingt, nehmen sie dieselben ihnen mit Gewalt weg. Während ich in Crescent-City war, ereignete sich ein ähnlicher Fall. Drei Meilen von der Stadt hatten sich einige Amerikaner als Farmer (Landbebauer) angesiedelt. Ein Eingeborner kam mit seinem Weibe vorüber auf seinem Wege nach der Stadt. Die Männer sprangen aus ihrer Hütte, rissen das Weib von seiner Seite, schleppten es in ihre Wohnung und schlossen die Thüre. Der arme Wilde schrie und heulte, schlug an die Thür und forderte sein Weib; statt dessen kamen die Männer heraus, prügelten ihn derb durch und jagten ihn fort. Mit zerschlagenem Körper kam er nach der Stadt und klagte. Und was geschah den feigen, weißen Missethätern? Sie wurden verurtheilt, sich mit dem Wilden abzufinden, d. h.[S. 62] ihm einige Glasperlen und andern werthlosen Kram zu geben. Derlei Grausamkeiten werden natürlich von Stamm zu Stamm erzählt, und so geschieht es öfter, daß wenn einzelne Weiße unter sie kommen, die Uebermacht auf der Indianer Seite ist, diese gleiches mit gleichem vergelten und den Unschuldigen für den Schuldigen büßen lassen. Viele unpartheiische Männer gestanden mir, daß die Eingeborenen überall, wo man ihnen mit Liebe und Güte entgegenkam, harmlos gefunden wurden.

9. November. Morgens verließen wir den gefährlichen Wig-wam. Wir waren auf die Rückreise bedacht, mein Begleiter wagte sich nicht weiter. Wir schlugen eine andere Richtung ein und kamen Nachmittags an eine kleine Niederlassung von einem Dutzend Weißen. Auch hier war das erste, was ich sah, ein großer in Asche gelegter Wig-wam. Die Farmer lebten, der Weiber wegen, in stetem Streite mit den Indianern. Letztere rächten sich, wo sie konnten, und erschlugen zu Ende einen der Weißen, worauf diese an den Wig-wam Feuer legten und die Eingebornen fortjagten. Seitdem gehen sie nie ohne scharfgeladene Gewehre an die Arbeit, um so mehr, da seit einiger Zeit von andern nachbarlichen Ansiedlern vier Männer vermißt wurden. Von zweien wurden die Körper kürzlich an verschiedenen Plätzen im Walde unter Laub und Aesten verborgen gefunden, ein dritter Körper[S. 63] eine weite Strecke von der Farmer Wohnplatz in dem Flüßchen, aus welchem sie ihren Wasserbedarf nehmen. Die Ansiedler sagten uns, daß sie, als sie den halbverwesten Körper da zufällig fanden, vor Ekel alle erkrankten. Den vierten Leichnam hatten sie noch nicht aufgefunden.

Wir kehrten bei den Farmern ein; sie wohnten in zwei kleinen Hütten, Blockhäusern ähnlich, hatten aber schon den Bau einiger Häuser begonnen. Die Leute lebten sehr gut. Sie hatten die schönsten Wildgänse, die sie selbst schossen, herrliche Fische, die sie für Kleinigkeiten von den Indianern eintauschten, Kartoffeln, Brod, Thee und Kaffee, kurz wir hielten Abends ein köstliches Mahl, ein gleiches Morgens.

Die Kälte war sehr empfindlich; Nachts stieg sie beinahe auf einen Grad unter Null (Réaumur). Morgens war alles weiß vom Reife. Dennoch ist das Land immer grün. Schnee fällt sehr selten, und wenn er fällt, berührt er kaum den Boden, er schmilzt schon während des Fallens. Die Farmer versicherten mir, daß der Grund eine reiche Ernte zu geben verspreche. Sie waren erst sehr kurze Zeit angesiedelt und hatten kürzlich einen Strich Landes angebaut. In der Umgebung von Crescent-City sah ich in dieser vorgerückten Jahreszeit noch alle möglichen Gemüse im Freien gedeihen, darunter so große und schöne, wie in Herrn Warren’s Prachtausstellung zu San Francisco.

[S. 64]

Ich glaube, daß der größte Theil Kaliforniens, besonders der nördliche, für Europäische Ansiedler sehr vortheilhaft wäre. Das Klima ist gesund, der Boden sehr ergiebig, selbst wo er sandig und trocken aussieht. Die üppigen Waldungen zeugen von seiner Fruchtbarkeit. Er ist Urboden und benöthigt daher weder Bewässerung noch Düngung; bis es zur letzteren käme, könnten die Ansiedler bereits einen schönen Viehstand haben.

Nahe dem Oregon-Gebiete wird der Acker von der Regierung um einen Dollar verkauft, in dem Oregon-Gebiete noch umsonst gegeben, da sie auf alle Weise Ansiedler dahin zu bekommen sucht. Möchten die Leute doch mehr in der Absicht des Ackerbaues als des Goldsuchens nach diesen Ländern kommen! Farmer können sich mit einiger Ausdauer und Umsicht in kurzer Zeit einen ausreichenden Wohlstand, ein angenehmes häusliches Leben verschaffen; von den Goldsuchern sind im Verhältniß zu der großen Zahl nur gar wenige reich heimgekehrt, bei den meisten kann man sagen: „Wie gewonnen, so zerronnen!“

Am vierten Tage, 10. November, kam ich von meinem Ausfluge wieder nach Crescent-City zurück, das Loos des armen, ausgestoßenen Indianers tief bedauernd. Man muß zwar gestehen, daß sich die Regierung um die Indianer bekümmert; allein ihre[S. 65] Hauptsorge geht dahin, sie nach entfernteren Plätzen zu schaffen, ihnen für das abgenommene Land einige Entschädigungen zu geben und an die Ansiedler Befehle zu erlassen, sie gut zu behandeln. Jedes Jahr werden Beamte nach ihren neuen Wohnplätzen gesendet, um ihnen einige Geschenke zu bringen und nachzusehen, ob sie nicht Hungers sterben. Aber ein bedeutender Fehler der Regierung ist die allzugroße Nachsicht mit den Ansiedlern, da letztere, meistens roher und weniger gutartig als die Wilden, diese Nachsicht nicht vertragen, ohne sich zu übernehmen. So lange es der Gerichte noch so wenige im Lande gibt, daß der Eingeborne nicht leicht zu ihnen gelangen kann, und so lange dieselben den Ansiedlern gegenüber nicht größere Strenge bezeugen, wird der arme Indianer immer der Spielball des übermüthigen Weißen sein.

Das Land fand ich, wie gesagt, nicht nur sehr fruchtbar, sondern auch romantisch. Die schöne Gebirgskette Siskïyon, die sich im Osten von Mary’s Ville zeigt, erstreckt sich bis hieher, steigt in mehrfachen Ketten auf, und fruchtbare Thäler und Ebenen breiten sich überall dazwischen aus. Die höheren Spitzen waren in dieser Jahreszeit mit Schnee bedeckt, dem ersten, den ich sah, seit ich mein Vaterland verlassen hatte.

Als ich nach Crescent-City zurück kam, fand ich den Dampfer, mit welchem ich die Reise von San[S. 66] Francisco machte, bereit, Abends die Anker zu lichten. Das Wetter, das schon den ganzen Tag stürmte, wurde so schlecht, daß wir erst am 11. November mit Mühe an Bord gelangen konnten. Auf der Reise begleiteten uns Stürme und Nebel, so daß wir zu Trinidad gar nicht einlaufen konnten. Als kleine Entschädigung dieses bösen Wetters sah ich einen schönen Nebelregenbogen.

Den dritten kleineren Ausflug nach St. José (60 Meilen) verdanke ich der gefälligen Einladung des Oesterreichischen Konsuls, Herrn Vischer. Es war dieß eine sehr große Aufmerksamkeit von seiner Seite, wenn man bedenkt, wie hoch hier die Zeit geschätzt wird und wie theuer jede Unterhaltung ist.

22. November. Die Reise ging zu Lande. Wir setzten uns auf die Außenseite des Omnibus, um die Schönheiten der Gegend, die als ganz bezaubernd geschildert wird, recht genießen zu können.

Die Ebene, in welcher St. José liegt, erstreckt sich bis San Francisco auf der einen, bis Monterey auf der andern Seite, ist bei 120 Meilen lang, zehn bis fünfzehn breit, und wird ihrer großen Fruchtbarkeit wegen schon jetzt die Kornkammer des nördlichen Kaliforniens genannt.

Das erste Drittheil der Reise kann ich nicht für schön erklären. Das wellenförmige Land ist ohne Vegetation,[S. 67] hie und da sieht man verkrüppelte Bäumchen, deren Kronen ganz nach einer Seite stehen. Diese seltsame Erscheinung verursachen die anhaltend starken Nord-Ost-Winde, die das Klima von San Francisco so unangenehm machen. Der Boden ist noch wenig bebaut und größtentheils eine magere Viehweide, auf welcher die armen Thiere nur während des Frühlings genügende Nahrung finden. Man behauptet jedoch, daß das Erdreich vortrefflich sei und daß es ihm blos an Kultur fehle.

Drei Meilen von San Francisco liegt die Missionsstation Dolores, in die ich schon früher durch Madame Morton eingeführt wurde. Das Kloster, die Kirche und einige Häuser der noch da wohnenden Spanier[7] sind von ungebrannten Ziegeln erbaut, die Thüren und Fenster alle so niedrig, die Häuser selbst so erbärmlich, daß ich sie, das Kloster nicht ausgenommen, eher für Scheunen als für menschliche Wohnungen gehalten hätte. Die Kirche enthält ein schönes Seitenaltar-Bild, welches ich der Altspanischen Schule zuschreiben möchte.

In dem Gebiete San Mateo (22 Meilen) fängt die Landschaft an, hübscher zu werden. Der Berg Diabolo, 3600 Fuß, überragt die ihn umgebenden Gebirge.[S. 68] Große, umfangreiche Bäume, meistens Eichen, bilden parkähnliche Parthieen; Landsitze, Gasthäuser, kleine Farmer-Wohnungen beleben die Gegend. Der Boden bestand zwar aus Sand und Staub, in welchem die Pferde oft fußtief einsanken; doch konnte ich mir vorstellen, daß nach der Regenzeit, im Frühlinge, wann die Felder grünen, die Blumen blühen, das Gras sich überall hervor drängt, die Bäume mit frischem Laube prangen, diese Landschaft recht lieblich und freundlich sein und dem durch den Anblick von Naturschönheiten wenig verwöhnten Städter bezaubernd erscheinen mag.

St. Clara, durch das der Weg führte, ist ein nettes Oertchen mit einer hübschen Kirche und einem Jesuiten-Collegium für Knaben. Schon das Wörtchen „San“ vor den Namen der Städtchen und Dörfer zeigt, daß Kalifornien einst zu dem katholischen Mexiko gehörte. In den meisten größeren Orten findet man hübsche Kirchen und Schulgebäude.

Eine vier Meilen lange Baum-Allee, von der Geistlichkeit gepflanzt, führt von St. Clara nach St. José. Letzteres Städtchen ist etwas bedeutender als ersteres, besitzt einige hundert Häuschen, die zum größeren Theile neu und von den kürzlich eingewanderten Ansiedlern bewohnt sind.

Wir fuhren noch vier Meilen weiter nach der[S. 69] großen Farm des Herrn Vischer. Diese Farm von 750 Akres würde bei uns gewiß schon zu den großen gehören; hier wird sie zwar auch nicht zu den ganz kleinen gezählt; doch gibt es noch aus den Zeiten der Mexikanischen Regierung, wo Grund und Boden so viel wie keinen Werth hatte, Landbesitzer, deren Gründe sich sieben bis zehn Leguas (eine Legua = drei Meilen Englisch) in die Länge, vier bis sechs in die Breite erstrecken. Der Werth dieser Besitzungen steigt mit jedem Tage bedeutend; Leute, deren Ländereien vor der Goldentdeckung kaum 50,000 Dollars werth waren, gehören heut zu Tage zu den Millionären. Was die Besitzungen sehr vertheuert, sind die Umzäunungen. Jeder Eigenthümer muß sein Land aus zwei Gründen umzäunen lassen. Erstlich wird alles Hornvieh, so wie auch die Pferde, Maulthiere, Schafe, Schweine, auf freie Plätze zur Weide getrieben, zweitens lassen sich auf offenen Plätzen die neuen Ankömmlinge nieder, bauen sich Zelte und Hütten, pflanzen u. s. w., ohne um Erlaubniß anzufragen. Der Eigenthümer hat nach Amerikanischen Gesetzen kein Recht, die Eindringlinge von uneingefaßten Räumen zu vertreiben, und selbst wenn er diese später einzäunen läßt, geht die Vertreibung sehr schwer, oft nur mit kostspieliger Proceßführung oder gar mit Gewalt ab. An manchen Orten schlug und schoß man sich, wie im Kriege. Ueberhaupt[S. 70] kann man sich von den Eigenmächtigkeiten und Gewaltthätigkeiten der Ansiedler gar keine Vorstellung machen. Manche treiben die Freiheit so weit, sogar leer stehende Hütten und Häuser in Besitz zu nehmen.

Diese Umzäunungen, hier Pfänzen genannt, kosten in einem Lande, wo die Arbeit so theuer ist, ein schweres Geld. Herr Vischer z. B. benöthigte für die Umzäunung seines Landes 30,000 acht Fuß hohe Pflöcke. Der Preis per 1000 Stück im Walde war 50 Dollars, das Zuführen und Zuspitzen kam auf 30, das Einschlagen in die Erde auf 20 zu stehen, so daß die Umzäunung 3000 Dollars kostete.

Zwölf Meilen von San José liegt ein sehr großes, bedeutendes Quecksilber-Bergwerk. Wir sollten es besuchen, der Wagen stand schon vor der Thüre; allein unausgesetzter, heftiger Regen machte die Parthie im wahren Sinne des Wortes zu Wasser, die Wege waren unfahrbar geworden, und ich mußte mich mit der Beschreibung begnügen, die mir Herr Vischer davon machte.

In dieses Bergwerk fährt man auf einem 1500 Fuß hohen Berge in die Stollen ein und kommt 800 Fuß tiefer wieder an das Tageslicht. Die Zinnobererze enthalten fünfunddreißig bis fünfundvierzig Prozent. Das Bergwerk gehört einer Gesellschaft in Mexiko, deren Betriebskapital auf eine Million Thaler geschätzt wird.[S. 71] Das Gewerk ist so reich, daß es den Bedarf der ganzen Welt decken könnte. Seit es bearbeitet wird (seit ungefähr zehn oder zwölf Jahren), ist der Preis des Quecksilbers in Peru von achtzig auf fünfzig Dollars gefallen.

Das Wetter klärte sich auch den folgenden Tag nicht auf, es blieb uns daher nichts anderes übrig, als das Merkwürdigste der Reise, den Besuch der Minen, aufzugeben, und im wohlverschlossenen Omnibus nach der Stadt zurück zu kehren.

Wenige Tage, bevor ich San Francisco verließ, brachten die Zeitungen ganz wunderbare Berichte aus Unterkalifornien, das noch zu Mexiko gehört.

Einige fünfzig Amerikaner hatten San Francisco auf einer Schaluppe verlassen, bei Félipe in dem Distrikte Sonora gelandet, daselbst eine Standarte aufgepflanzt und das Land förmlich in Besitz genommen. Das friedliche Völkchen, eines solchen Piraten-Einfalls nicht gewärtig, war nicht einmal mit Waffen versehen; es setzte sich bei Guaymas kaum zur Wehre, um so mehr, als die Piraten vorgaben, der Vortrab einer bedeutenden Macht zu sein. Die fünfzig Amerikaner blieben Sieger und erklärten einen Länderstrich mit einer Bevölkerung von 10,000 Seelen für unabhängig von Mexiko.

Die Veranlassung dieses widerrechtlichen Zuges[S. 72] war der Durst nach Gold, denn es ging die Sage, daß es da Gold und Silber in großer Menge gäbe.

Und was sagte man in San Francisco zu diesem Raubanfalle? Die Einen nahmen die Parthie der Räuber, die Anderen sahen darin einen Geniestreich! —

Gerade den Tag vor meiner Abreise, am 15. December, ging, ungehindert von der Regierung, ein zweiter Trupp solchen Gesindels, 256 an der Zahl, nach Sonora ab, um den Vorgängern zu helfen. Wie ich später hörte, ist der Raubzug verunglückt. Die Mexikanische Regierung sandte Truppen gegen diese Leute aus, mit dem Befehle, sie gleich Räubern überall niederzuschießen, wo sie ihrer ansichtig würden. Die meisten der Flibustier sind auch zu Grunde gegangen.


Die Gesellschaft der Linie, deren Dampfer nach Panama gehen, gab mir auf einfaches Ansuchen des Herrn Mathes, eines dabei Angestellten, freie Ueberfahrt von San Francisco nach Panama.

Am 16. December ging ich Nachmittags, in Begleitung der mir so überaus theuer gewordenen Familie Morton, an Bord des Prachtdampfers „Golden Gate,“ Kapitän Isham. Um 4 Uhr wurden die Anker gelichtet.

In meinem Leben habe ich kein schöneres Schiff[S. 73] gesehen. Es hatte 800 Pferdekraft oder 2500 Tonnen Gehalt, und faßte mit Bequemlichkeit 800, im Nothfalle auch tausend Reisende. Der Verbrauch an Kohlen war per Tag fünfzig Tonnen, die Schnelligkeit zwölf Meilen per Stunde. Seine Länge betrug 300, die größte Breite 75 Fuß. Der Hauptsaal war 130 Fuß lang. Man konnte diesen Dampfer wahrhaftig einem großen Palaste vergleichen — er hatte vier Stockwerke, von welchen zwei sich über dem Wasser befanden. Es liefen breite Galerien längs dem Borde, auf die sich geräumige Thüren und Fenster öffneten. Die Einrichtung des ersten Platzes war in jeder Beziehung prachtvoll, nicht minder die des zweiten; selbst der dritte war in seiner Art vollkommen. Die Tafel, für die erste und zweite Klasse dieselbe, war verschwenderisch besetzt, die Gerichte köstlich bereitet, zwei Mal des Tages frisches Brod. Und wie das Schiff durch seine Pracht und Bequemlichkeit, zeichneten sich Kapitän und Schiffsoffiziere durch ihr zuvorkommendes, aufmerksames Benehmen gegen die Reisenden aus. Mit Freuden sprachen wir bei der Ankunft in Panama diesen Herren unseren Dank in einer öffentlichen Adresse aus.

17. December. Wir segelten an den Eilanden St. Catarina, St. Clemens, St. Barbara und St. Anacapa vorüber. Am letzteren ging vor vierzehn Tagen der prachtvolle Dampfer „Winfield[S. 74] Scott“ (2500 Tonnen) zu Grunde. Die Nacht war ungemein finster und neblig, und der Kapitän hatte die große Unvorsichtigkeit, bei diesem Wetter nicht außerhalb der Inseln, sondern zwischen denselben und dem Festlande zu fahren. Glücklicher Weise ging dabei kein Menschenleben verloren. Doch sank das Schiff so schnell, daß gar kein Gepäck und kaum die Goldbarren und die Hälfte der Postpackete gerettet werden konnten.

Auch wir fuhren durch die enge Straße; allein der freundliche Mond leuchtete uns aus allen Kräften, und die See war so ruhig, als schliefe sie und träume höchstens von dem Unheil, das sie zeitweise anrichtet.

18. December. Diesen Morgen hielten wir eine halbe Stunde vor St. Diego an, einige Reisende abzusetzen. Wir waren aber so weit von der Küste entfernt, daß ich von dem neu angelegten Städtchen der Amerikaner wenig, von dem älteren der Mexikaner, welches vier Meilen höher liegt, gar nichts sah.

In der Nähe von St. Diego steigt eine sehr hohe Gebirgskette auf, deren Spitzen die Schneeregion erreichen. Die ganze Küste, die wir bisher nie aus dem Auge verloren, so wie die Gebirge sind wenig mit Vegetation und Wald bedeckt.

19. December. Fern dem Festlande, dagegen nah dem bedeutenden Eilande Cerroo und dem kleinen[S. 75] Bonnitos. Ersteres hat sechsundzwanzig Meilen Länge, sieht schön und fruchtbar aus, ist aber dennoch unbewohnt, da es ihm an Wasser fehlen soll. Bonnitos ist ein in vielen Zacken aufsteigender Fels, ohne Baum und Busch mit spärlichem Grün.

20. December. Meistens auf hoher See, das Kap Lazaro passirt und in die Magdalenen-Bay gelenkt.

21. und 22. December. Fortwährend auf hoher See.

Schon seit einigen Tagen fing die rauhe Witterung Kaliforniens der Wärme zu weichen an. Mit jedem Schwunge des Rades fühlte man die Annäherung der Tropen; ein warmes Kleidungsstück nach dem andern wurde verbannt. Abends bildete das Deck einen schönen Vereinigungsplatz, man drängte sich durch einander, man spazierte auf und nieder, größere und kleinere Gruppen bildeten sich, Kinder sprangen und spielten umher, die ganze Scene war reich beleuchtet von dem vollen Monde und von Tausenden von Sternen. Wahrlich, der Reise auf diesem Wasserpalaste werde ich stets mit großer Freude gedenken!

Die Gesellschaft bestand fast ausschließend aus Amerikanern, und wiederholt muß ich sagen, daß die Herren durchgehend gegen mein Geschlecht überaus artig und gefällig waren. In keinem Lande kam mir[S. 76] Aehnliches vor. Die gemeinsten Amerikaner, Jungen von zehn Jahren, standen hierin dem gebildetsten Europäer nicht nach. Auch in allem übrigen ging es höchst anständig zu. Kein Mensch kam je mit einer brennenden Cigarre in den Salon, niemand kaute da Tabak oder spuckte zu Boden, nie wurde eine Ursache zur leisesten Rüge gegeben. Dieß Benehmen setzte mich um so mehr in Erstaunen, als man wohl nirgends eine gemischtere Gesellschaft finden mag, als auf Reisen von und nach Kalifornien. Bei Tafel gab es die beste Gelegenheit, dieses Gemisch zu beobachten. Der reich gewordene Minenarbeiter, Handwerker oder Krämer saß neben dem großen Kaufmanne oder Spekulanten. Mit aufgestützten Ellbogen saßen die Leute am Nachtische; mit Händen, welchen man es hundert Schritte weit ansehen konnte, daß sie nur den Spaten, die Schaufel zu führen gewohnt waren, langten sie nach den Schüsseln. Ich gestehe aufrichtig, daß ich mich unter dieser natürlichen, aber dennoch anständigen Gesellschaft weit fröhlicher und heimischer fühlte, als auf einem der Englischen Dampfer, welche von Europa nach Indien gehen. Dort herrschte auf dem ersten Platze durchgehends ein Putz (noch ärger als bei den Frauen auf den kleinen Reisen von San Francisco nach Sacramento und Mary’s Ville), als ginge es täglich nach einem Balle. Hier waren die Frauen anständig,[S. 77] aber einfach gekleidet. Auch nimmt es der Amerikaner ziemlich gleich auf, ob man mit dem Messer oder mit der Gabel nach dem Munde fährt, ob man anders sitzt, geht und steht wie er. Er hat noch nicht die kleinliche Schwäche des Britten, welcher jeden, der nicht gerade alles so thut wie er, für roh und ungebildet hält.

23. December. In die niedliche Bucht von Acapulco eingelaufen. Die Berge umher sind zwar nicht hoch, auch nicht so üppig bekleidet, wie im Indischen Archipel, doch herrlich im Vergleiche zu den öden Sandhügeln Kaliforniens. Die hoch gefiederte Cocos-Palme, die umfangreiche Mango, die zarte Banane und andere Bäume und Gebüsche umgürten theilweise die See und steigen die Hügel hinan.

Hier setzte ich den Fuß zum ersten und wahrscheinlich auch zum letzten Male auf Mexikanischen Grund und Boden.

Das Städtchen Acapulco liegt auf hügeligem Grunde in einem Winkel der Bucht, so verborgen, daß man es von Bord aus kaum gewahrt. Dagegen thront das Fort recht stattlich auf dem äußersten Ende eines weit in die See vorgeschobenen Hügels. Das Städtchen, mit 1500 Einwohnern, hat ein höchst armseliges Ansehen. Die Häuser sind von Holz, Lehm oder ungebrannten Ziegeln erbaut und haben nur ein Erdgeschoß, das[S. 78] mit stark vergitterten Fenstern versehen ist. Das Innere sieht etwas freundlicher aus; die Zimmer sind hoch, luftig und gegen den Hofraum mit Veranden umgeben, in welchen die Leute speisen und den größten Theil des Tages verbringen.

Auf dem Platze, welcher als Markt dient, und durch viele kleine Buden sehr verunstaltet ist, prangt eine ziemlich hübsche katholische Kirche von ungebrannten Ziegeln. Dieß Material scheint bei den Spaniern sehr beliebt zu sein; alle ihre Bauten in Kalifornien waren damit aufgeführt.

Der ganze Ort sah sehr ruinenhaft aus: ein heftiges Erdbeben hatte am 4. December vergangenen Jahres die meisten Gebäude mehr oder minder beschädigt, manche der Ziegelhäuser sogar theilweise eingestürzt. Zum Glück fand das Erdbeben Abends 9 Uhr statt, während noch alles wach war und augenblicklich fliehen konnte. In Folge dessen kam niemand dabei um. Auch die Festung, die ich bestieg, um den Ueberblick über die Bucht und Gegend zu haben, hatte stark gelitten; ihre festen Steinwälle und Mauern waren zum Theil geborsten und eingestürzt.

Acapulco ist berühmt durch die Perlen, welche auf verschiedenen, zwanzig bis dreißig Meilen entfernt gelegenen Eilanden gefischt werden. Die Perlenfischerei geht auf sehr einfache Weise vor sich. Die Fischer[S. 79] sind mit Messer und Körbchen versehen, tauchen in die Tiefe, oft fünfzig bis achtzig Fuß, lösen die Schaalthiere, die zu dem Austergeschlechte gehören und gegessen werden, los, und kommen nach ein bis zwei Minuten mit oder ohne Beute wieder an die Oberfläche des Wassers. Die einzige Gefahr, die sie zu bekämpfen haben, sind die die Küste umschwärmenden Haifische, welchen sie jedoch auf geschickte Weise zu entgehen wissen. Sie führen, wie sie mir sagten, beständig ein langes, abgerundetes Stück Holz mit sich und stecken es, können sie dem Unthiere nicht durch Tauchen oder Schwimmen entkommen, in seinen aufgesperrten Rachen; bis sich das Thier dieser Maulsperre entledigt, hat der Taucher genügend Zeit, aus seiner gefährlichen Nähe zu kommen.

Das Schaalthier wird geöffnet, die Perle in dem Thiere und nicht, wie viele fälschlich glauben, in der Schaale gesucht — letztere enthält nur die sogenannte „Perlmutter“. In vielen Schaalen gibt es Auswüchse, welche ungeformten Perlen gleichen. Diese Auswüchse rühren von andern Thieren her, gleich den Auswüchsen an Blättern oder Pflanzen. Obwohl jede Auster Perlenstoff und manche sogar acht bis neun Perlen enthält, bedarf es doch gar vieler Thiere, bis der Fischer so glücklich ist, eine schön geformte, reine Perle zu finden. Je mehr Stücke eine Auster enthält,[S. 80] desto sicherer, daß sie unbrauchbar sind. Man glaubt, daß die Perle durch eine Krankheit des Thieres erzeugt wird; wenn daher ein Thier viele Stücke enthält, genießen es die Leute nicht, sie halten es für der Gesundheit schädlich.

Die Perlen an den Küsten Mexiko’s und Granada’s zeichnen sich durch ihr besonders reines Wasser aus. Sie sind selbst am Platze sehr theuer.

Ich sah in Acapulco auch sehr schöne, aus ganz kleinen Muscheln verfertigte Blumen, so wie auch graziöse, höchst richtig geformte Wachsfigürchen, die Mexikaner in ihren Trachten und Handthierungen vorstellend. Die Wachsfigürchen kommen aus der Stadt Mexiko.

Die Einwohner von Acapulco kann man gar keiner Race zuzählen; sie haben sich aus der Verzweigung der Stammbewohner, der Neger und der Spanier, welche vor etwas mehr als dreihundert Jahren das Land eroberten, gebildet. Je nach der näheren oder ferneren Vermischung mit der einen oder andern Nation ist ihre Hautfarbe braun, schwarz oder weiß, eben so verhält es sich mit den Gesichtsbildungen.

Nach sechsstündigem Aufenthalte am Lande gingen wir wieder an Bord, wo wir uns viel mit den jugendlichen Tauchern unterhielten, die das Schiff von allen Seiten umschwärmten und uns Reisenden zuriefen, Geld in die See zu werfen, in dessen Auffangen sie[S. 81] große Geschicklichkeit bewiesen. Die Jungen machen sich schon frühzeitig mit dem Meere vertraut, um für die Perlenfischerei tüchtig zu werden.

Von Acapulco an hielten wir uns stets auf hoher See und wurden des Landes erst kurz vor Panama wieder ansichtig.

Den heiligen Abend brachten wir ruhig wie jeden andern zu; am Christtage gab es bei Tische viele Hurrah’s mit Champagner und andern Weinen.

28. December. Heute erschien wieder Land; es zeigte sich anfänglich in hohen Gebirgen, welche später großen Ebenen wichen. Auch hier gehörte die Vegetation nicht zu den üppigsten; die Flächen sahen sogar mitunter etwas nackt aus. Abends 9 Uhr lagen wir vor Panama. Wir hatten die 3300 Meilen von San Francisco hierher (den Aufenthalt abgerechnet) in elf Tagen und neunzehn Stunden zurückgelegt.

29. December. Schon um 4 Uhr Morgens begann das rege Leben auf unserm Wasserpalaste. Alles wollte eilig an’s Land, um die besten Maulthiere zu dem Uebergange über den Isthmus zu bekommen. Auch ich that dieß frühzeitig, obwohl ich nicht im Sinne hatte, den Isthmus zu passiren; aber Land bleibt Land: man zieht festen Grund und Boden dem besten Schiffe vor.

[S. 82]

Ich war so glücklich, bei Dr. Autenrieth eine herzliche Aufnahme zu finden.

Mein erster Gang war nach dem Platze, wo ich die ganze Schiffsgesellschaft versammelt fand, sich zur Reise anschickend. Da ging es munter her, alles drängte durch einander, der Platz war voll von Menschen, Maulthieren, Pferden, Trägern und Gepäck. Die Bemittelten ritten, die kleinen Kinder wurden getragen, die Armen folgten zu Fuße nach, das Gepäck ward auf Maulthiere geladen.

Die Breite des Isthmus beträgt etwas über hundert Meilen, von welchen man 23 zu Maulthier, einige vierzig in Booten und den Rest auf der erst kürzlich begonnenen Eisenbahn zurücklegt. Diese kleine Reise, so wie alles in dieser Gegend, kommt sehr hoch zu stehen, da des starken Zudrangs wegen alles sehr theuer ist. So kostete z. B. die kleine Fahrt von dem Dampfer an das Land (drei Meilen) per Kopf zwei Dollars; für das Tragen durch das Wasser von dem Boote, welches bei Ebbezeit nicht ganz an das Ufer gelangen kann, hatte man einen halben Dollar zu bezahlen, eben so viel für das an’s Land Schaffen des Koffers. Noch ärger ist es, wenn jemand an Bord eines Schiffes zu gehen hat, da begehren die Leute oft das Zwei- und Dreifache. Es ist ein großer Fehler, daß die[S. 83] Gesellschaft der Dampfschiffe nicht Anstalt trifft, die Reisenden vor diesen Plünderungen zu bewahren.

Die Miethe eines Maulthieres für die dreiundzwanzig Meilen betrug, weil es nicht sehr viele Reisende gab, achtzehn Thaler; sind der Reisenden viele, dann steigt sie auf zwanzig und mehr. Ein Platz in dem Boot auf dem Flusse kostet fünf, die Eisenbahn acht Thaler, das Gepäck zwanzig Cents per Pfund, so daß diese kleine Reise ohne Kost und Nachtlager auf nicht viel weniger als vierzig Thaler kommt.

Die Lage Panama’s[8] ist schön, das Land rings umher blühend. Kleine Eilande und Felsen, darunter Taboga, Taboguilla, steigen von allen Seiten aus dem Meere; eine Hügelkette, deren höchster Punkt der Aneon (500 Fuß), zieht sich bis nahe an das Seegestade. Die Gebirgskette von Mexiko und Neu-Granada ist hier schon sehr abgeflacht; man sieht sie in der Ferne.

Die Stadt zählt mit den Vorstädten und der nächsten Umgebung gegen 10,000 Seelen. Sie hat[S. 84] bedeutende Festungswerke, welche auf der Seeseite mit einem halben Dutzend Kanonen und einigen Bombenkesseln versehen sind. Von den drei Plätzen zeichnet sich der Hauptplatz durch Größe, Reinlichkeit und die Kathedrale mit einer hübschen Façade aus. Einen angenehmen Eindruck machte es auf mich, die Straßen gesäubert zu sehen von alten Kleidungsstücken, Wäsche, Schuhwerk, todten Hunden, Katzen und Ratten und anderem Plunder, über welchen man in San Francisco bei jedem Schritte zu klettern hatte. Auch über die Wohnungen war ich entzückt, obwohl sie weder mit schönen Einrichtungen noch mit Teppichen u. dgl. prangten; die Zimmer waren hoch und groß, man konnte doch wieder frei athmen und sich bewegen.

An Kirchen und Kapellen ist die Stadt überreich; man zählt mehr als ein Dutzend, die im Gebrauche sind, und eine ganze Menge, die in Ruinen liegen. Wenn Kirchen allein die Menschen gut machten, so müßte dieß hier der Fall sein.

Die größte Kirche ist die Kathedrale, die am meisten ausgeschmückte die sogenannte „Negerkirche.“ An dieser ist sehr viel Silber angebracht, aber geschmacklos und ohne Wirkung. Die hölzernen Statuen der Heiligen sind gräßlich geschnitzt und bemalt, mit Menschenhaaren verziert und in Seide, Sammet, Spitzen u. dgl.[S. 85] so barock gekleidet, daß man mit Erstaunen nach ihnen sieht.

Am Sonntage wurde bei der großen Messe viel musicirt und gesungen, aber so ohrenzerreißend, daß nach dieser musikalischen Ausführung mir die Malaische Musik sicher gefallen hätte und ich mein über letztere gefälltes strenges Urtheil zurücknehmen muß. Die Melodien während der Wandlung klangen so munter, daß ich mich im Theater und nicht in einer Kirche zu befinden wähnte.

Schon auf meinen früheren Reisen in Chili und Brasilien habe ich bemerkt, daß viele der dortigen Priester so tief an Bildung und nur zu häufig auch an Charakter stehen, daß man ihnen eher alles, als den Gottesdienst und den Volksunterricht anvertrauen sollte. Nicht einmal bei den Eingebornen, weder dort noch hier, stehen sie in Achtung oder Ansehen. Da gehe man nach Batavia oder Padang, dort gibt es Männer, die ihr Amt auf wahrhaft würdige Weise vertreten, dagegen auch bei Hohen und Niederen in unbestrittener Achtung stehen. — Wäre in den Spanisch- oder Portugiesisch-Amerikanischen Ländern die Zahl der wackeren Priester nicht gar so gering, so würde es mit der Volks-Erziehung und Modalität nicht so schlecht stehen, wie es leider der Fall ist.

Unter den Ruinen sind die schönsten: das ehemalige[S. 86] Kollegium sammt Kirche und die St. Domingo-Kirche. Beide würden herrliche Skizzen zu Bildern geben. Sie sind noch nicht so sehr zerstört, daß man nicht theilweise ihre schönen Formen, kühne Kuppel-Wölbungen, hohe Portici sehen könnte. Zierliche Schlingpflanzen ranken sich an halb eingestürzten Wänden auf, Bananen, Strauchwerk, Blüthen und Blumen decken den Boden und blicken aus den verfallenen Thüren und Fenstern. In der Ruine der St. Domingo-Kirche zeichnet sich einer der gewölbten Bogen durch seine besondere Bauart aus und zieht die Aufmerksamkeit aller Sachverständigen in hohem Grade an. Seine Wölbung ist so gering, daß sie auf dreißig Fuß Länge kaum drei Fuß Höhe beträgt.

Das Volk in Panama besteht aus demselben Gemische von Alt-Spaniern, Indianern, Negern u. s. w., wie in Acapulco. Unter den Mischlingen gibt es viele hübsche Leute mit schönen Augen, Haaren und Zähnen. Man rühmt auch ihre kleinen Hände und Füße. Dieselben sind wohl klein, aber selten schön; man sieht, wie bei den Malaien, zu viel Knochen, die runde Form fehlt, auch sind die Finger etwas zu lang.

Seit solche Massen von Reisenden den Isthmus hier durchziehen, gibt es so viel Verdienst, daß das Volk nicht den geringsten Mangel zu leiden hätte, wenn es arbeiten wollte; aber es ist träge, wie in allen[S. 87] heißen Ländern. Es zieht die Armuth, die Unreinlichkeit der Arbeit vor. Seine Hauptnahrung besteht aus Reis und Früchten. Sehr gern essen die Leute frisches Schweine- und getrocknetes Ochsenfleisch. Letzteres wird meistens von Buenos-Aires eingeführt. Es ist in lange, schmale Stücke geschnitten und wird nach der Elle verkauft.

Die Tracht des Volkes ist Europäisch. Der Mann hat das Europäische Beinkleid, die Jacke an, das Weib ein die Straße fegendes, langes Kleid, welches sehr weit ausgeschnitten und mit einer oder zwei so breiten Falben versehen ist, daß solche bis tief unter die Brust fallen. Wäre dieser Anzug rein und nett gehalten, so stände er ziemlich gut; allein das Kleid hängt so lose, daß es von der einen Schulter gewöhnlich hinab gleitet und Brust und Schulter entblößt, während es auf der andern beinahe bis an den Hals reicht. Sie wischen mit den breiten Falben den Schweiß vom Gesichte, bedienen sich derselben statt der Taschentücher und putzen den Staub u. dgl. überall damit ab. Beide Geschlechter tragen runde, kleine Strohhüte, die sie sehr schön zu flechten verstehen. Dem weiblichen Geschlechte passen sie nicht gut, da sie zu klein sind und kaum auf dem dickgeflochtenen Haare sitzen. Weiber und Mädchen tragen sehr gern Blumen im Haar; in Ermangelung frischer ersetzen sie selbe durch[S. 88] künstliche. Das Rauchen von Cigarren ist eine Hauptleidenschaft beider Geschlechter: man sieht schon zehnjährige Kinder mit der Cigarre im Munde. Eigenthümlich ist es, daß die Leute, vorzüglich wenn sie mit Arbeiten beschäftigt sind, den brennenden Theil der Cigarre in den Mund stecken, wodurch sie länger währt. Ich würde diese Sonderbarkeit wohl nicht beobachtet haben, hätte Dr. Autenrieth mich nicht darauf aufmerksam gemacht.

Die beliebteste Unterhaltung des Volkes sollen Hahnenkämpfe sein; doch scheint die Leidenschaft dafür nicht gar so groß zu sein, da ich weder Streithähne noch Gefechte sah.

Von den öffentlichen Anstalten Panama’s besuchte ich nur die Spitäler, deren es zwei gibt, das eine für das Volk, das andere für Fremdlinge. Ersteres ist von der Regierung, letzteres von den Europäern gegründet. Das Volkshospital ist unter aller Kritik. Es besteht eigentlich bloß aus einem langen, breiten, auf einer Seite ganz offenen Gange, in welchem der von ansteckender Krankheit Befallene neben dem leicht Erkrankten liegt. Unreinlichkeit und Armseligkeit sind die Haupteigenschaften dieses Ortes, der mehr einem Gefängnisse als einer Heilanstalt gleicht. Jeden andern als den im tiefsten Schmutze und Elend aufgewachsenen Eingebornen müßte schon sein Anblick tödten.[S. 89] Ich sah da ein Dutzend Menschen, meistens mit bösen Augen, abscheulichen Geschwüren und Hautkrankheiten behaftet, in den ekelhaftesten, schmutzigsten Verbänden auf dem ungedielten Boden kauern.

Einen ganz andern Anblick gewährt das Fremden-Hospital. Man hat zwar nur ein abgetakeltes Schiff dazu verwendet; aber alles ist schön, rein und wohlgeordnet, und der Kranke sehr gut gepflegt.

Unter den nahen Ausflügen Panama’s fand ich einen Spaziergang nach dem Berge Aneon höchst lohnend. Man kann mit größter Bequemlichkeit in einer Stunde auf seine Spitze gelangen und genießt eine der reizendsten Aussichten: stundenlang möchte man da sitzen und schauen. Man überblickt die ganze Stadt, von welcher ein Theil weit in die See vordringt, in deren Hintergrunde sich ein großes, höchst fruchtbares, üppiges Thal anschließt, von einem Flusse durchschnitten. Leider deckt noch Wald und Gebüsch den größten Theil des Grundes. Der weite Ocean mit vielen Inseln und Eilanden auf der einen Seite, Reihen von Hügeln und Bergketten auf der andern rahmen das liebliche und zugleich großartige Bild ein. Kein ähnlicher Naturgenuß ward mir in Kalifornien zu Theil, obwohl ich durch bedeutende Strecken jenes Landes reiste.

Schade, daß Panama so ungesund und das Klima[S. 90] so heiß ist. Der Fremde wird leicht und schnell von dem hartnäckigen, bösartigen Panama-Fieber befallen, und häufig bringt dieß ihm sogar den Tod. Die Ursache soll in der geringen Kultur des Bodens liegen, und das große, schöne Thal ist zum großen Theil sumpfiger Grund.

[7] So nennen sich alle Eingebornen, die nicht reine Neger oder Indianer sind.

[8] Panama ist der Hauptort und größte Hafen des Distriktes gleichen Namens in der Republik Neu-Granada, welche über zwei Millionen Einwohner zählt, und deren Hauptstadt Bogota im Innern liegt.

[S. 91]

Fünfzehntes Kapitel.

Reise nach Lima. — Die Englischen Dampfer. — Guayaquil. — Callao. — Die Deutschen Auswanderer. — Lima. — Kirchen und öffentliche Gebäude. — Die Peruanischen Damen. — Erdbeben. — Unsicherheit. — Der Badeort Chorillos. — Die Ruinen des Sonnentempels Pachacamac. — Die Hazienda St. Pedro.

Am 7. Januar 1854[9] ging ich von Panama mit dem Dampfer „Bolivia,“ 750 Tonnen, Kapitän Straham, nach Lima.

Eine Englische Gesellschaft hat bisher noch immer den Vortheil, die Linie von Panama nach Valparaiso allein, ohne Amerikanische Konkurrenz, zu befahren. Dieß ist Ursache, daß die Preise sehr hoch, die Versorgung der Reisenden sehr schlecht ist. Obwohl der Engländer stets von Philanthropie mit Begeisterung spricht, zeigt er auf seinen Dampfern doch[S. 92] ganz das Gegentheil. Recht von Herzen würde es mich freuen, eine Amerikanische Gesellschaft erstehen zu sehen. Man wirft den Amerikanern vor, daß sie nur Dollar-Menschen seien — auf ihren Schiffen ziehe ich sie den Engländern bei weitem vor.

Ich will hier nur wieder eine kleine Skizze von der Einrichtung dieses Dampfers geben.

Die Schlafkabinen auf dem ersten Platze sind so beschränkt, besonders jene der Frauen, daß sich diese nur eine nach der andern aus- und ankleiden können. Sind die Kabinen besetzt, so müssen die Nachkommenden in dem Speisesaale schlafen, denn aufgenommen werden so viele Reisende als kommen. Ist auch der Speisesaal schon voll, so stopft man die Leute auf dem Vorderdeck in eine Kajüte, die zwar rein und hübsch, aber nicht in Kabinen getheilt ist; einfache Vorhänge bergen jede Schlafstelle. Beide Geschlechter werden dahin gewiesen, obgleich der Engländer in seinem eigenen Lande so empfindlich ist, daß z. B. auf manchen Eisenbahnen in die Wartezimmer der Frauen kein Herr gehen darf. Aber wo es Geld zu verdienen gibt, schweigen alle andern Rücksichten.

Die Kost war sehr gut, der Kapitän äußerst gefällig und aufmerksam.

Der zweite Platz ist gar unter aller Kritik; er besteht aus einem Loche, in welches nicht einmal eine[S. 93] Treppe, sondern nur eine Leiter führt. Die Leute haben weder Schlafstellen noch Polster oder Teppiche, sie können sich auf den nackten, schmutzigen Boden hinstrecken. Die ganze Einrichtung ist ein langer Tisch und eine lange Bank, die Kost besteht aus den Resten der Speisen, die von der Tafel des ersten Platzes abgenommen werden. Tischzeug, Gläser und ähnliche Dinge mangeln gänzlich; dieß würde Ueberfluß sein. Die Aufwärter bilden die Gesellschaft der Reisenden.

Der dritte Platz ist das offene Deck, über welches sich kein Linnendach spannte, die armen Reisenden gegen Regen oder die Tropensonne zu schützen. Wahrlich, eine echt philanthropische Behandlung! Welcher Gegensatz zu dem Amerikanischen Dampfer „Golden Gate,“ wo selbst der Deckreisende eine geräumige Kajüte, ein gutes Bett und eine treffliche Kost findet, und dafür nicht mehr zu bezahlen hat, als auf dem Englischen Dampfer!

Bis 11. Januar fuhren wir stets auf hoher See. Am 10. Mittags passirten wir den Aequator, ohne von der Hitze im geringsten zu leiden. Der Kapitän, der schon seit mehreren Jahren die Reise von Panama nach Valparaiso macht, versicherte mir, daß er die Temperatur längs der Küste nie heiß gefunden habe; der Himmel sei meistens bedeckt, die Kraft der Sonne dadurch gelähmt.

[S. 94]

Am 11. Januar traten wir in den Golf von Guayaquil und bekamen Land von der Republik Ecuador zu sehen. Im Vordergrunde liegt ein abgeplatteter Felshügel, an welchen sich das Festland in unübersehbaren, öden Flächen schließt. Später kamen wir an einem langen Fels vorüber, der seiner merkwürdigen Gestaltung wegen der „todte Mann“ genannt wird.

12. Januar. Früh Morgens in dem Städtchen Guayaquil angekommen, welches an dem schönen Flusse Guaya, 50 Meilen stromaufwärts, liegt.

Guayaquil, mit 12,000 Einwohnern, ist der erste Hafenplatz und die zweite Stadt des Landes; die Hauptstadt Quito liegt jenseits des Chimborasso in einer Höhe von 10,000 Fuß.

Die Lage von Guayaquil ist recht artig: der Strom breitet sich gewiß über eine halbe Meile aus, die Umgebung ist sehr fruchtbar; den Hintergrund bildet eine schön bewachsene Hügelkette. In weiter Ferne steigen die mächtigen Cordilleren auf. Bei ganz heiterem Wetter soll man den 21,000 Fuß hohen Chimborasso sehen.

Die Bauart der Häuser fand ich sehr zweckmäßig: sie sind beinahe durchgehend einstöckig, gegen die Straße zu mit breiten Galerien versehen, die auf Säulen oder Bogen ruhen, unter welchen man geht[S. 95] und auf diese Weise jederzeit vor der Sonne geschützt ist. Die Wohnungen sind geräumig und ebenfalls gegen den Hof zu mit breiten Galerien umgeben, die Zimmer hoch und luftig. Hier ist die Hitze sehr bedeutend.

Mein erster Gang in den Städten ist gewöhnlich nach den Bazaren und Märkten: man hat da den besten Ueberblick des Volkes und der Landesprodukte. Ich benutzte die kurze Zeit unseres Aufenthaltes hier zum Besuche dieser Orte. Der Markt von Guayaquil liegt an dem Flusse. Ich war überrascht von der Mannigfaltigkeit und dem großen Ueberflusse der Lebensmittel. Es gab ganze Boote voll mit Ananas[10] oder andern Früchten, Getreide aller Art, Reis, Mais, Gemüse, Jamswurzeln, Fleisch, Fische, Geflügel, Eier, Chocolade u. s. w. Alles ist hier ungleich billiger als in Panama, dessen ungeachtet gibt es hier wie dort keine Kupfermünzen. Die kleinste Silbermünze ist ein Quarto medio (2½ Cents), deren man aber so wenige sieht, daß man sagen könnte, sie seien gar nicht im Kurse.

13. Januar. Gegen Abend kamen wir nach Payta (Peru), einem elenden Orte mit der traurigsten Umgebung. So weit das Auge reicht, sieht es weder einen Grashalm, noch viel weniger einen Busch[S. 96] oder Baum. Die einigen Dutzend Häuser oder Hütten sind von Rohr, mit Lehm überklebt, flach gedeckt; man unterscheidet sie kaum von dem sandigen, staubigen Grund und Boden. Das Land ist hügelig und durchaus sandig.

Wir hielten hier, wie in Guayaquil, einige Stunden an; der gute Kapitän Straham nahm mich überall mit an’s Land. Ich hatte nichts eiliger zu thun, als einige der Hügelchen (dreißig bis vierzig Fuß hoch) zu besteigen, weil ich hoffte, vielleicht doch im Hintergrunde einiges Grün zu erspähen; allein vergebens, stets neu aufsteigende Hügelchen bildeten eine Fortsetzung dieser todten, grauenvollen Wüste. Das Trinkwasser wird auf Eseln 14 Meilen weit hergebracht, eben so weit wird die Wäsche zum Waschen gesandt. Um nur einige Vegetation zu sehen, muß man 21 Meilen weit nach einem Flusse wandern. — Und an einem solchen Orte lassen sich Menschen nieder!

14. und 15. Januar. Häufig Land gesehen, denselben traurigen, einförmigen Charakter tragend, theils niedrige Küsten, theils Hügel und Berge, alles öde und wüstenartig.

16. Januar. Casma, ein Landungsplatz an der See mit ein paar erbärmlichen Laubhütten, den Reisenden Schutz verleihend, die auf den Dampfer warten; die Stadt selbst liegt 6 Meilen landeinwärts.[S. 97] Hier beginnen wieder höhere Gebirge, doch sind sie gleichfalls öde.

Wir hielten nur eine Stunde an, um Reisende und Fracht einzunehmen. Je näher wir Lima kamen, desto mehr glich das Deck einem Bivouak. Die Zahl der Reisenden stieg außerordentlich; man errichtete Nothzelte; Kisten, Koffer und Körbe beengten den Raum so sehr, daß für die Leute selbst wenig Platz blieb. Auch die Kabinen wurden voll bis zum Erdrücken. Das Uebelste dabei war, daß die Leute trotz der vollkommen ruhigen See mehr seekrank wurden, als ich dieß irgend wo in der Welt bemerkt hatte.

Die Frauen und Mädchen kamen in großem Putze an Bord; allenthalben rauschten seidne Kleider, schöne Chinesische Umschlagetücher; Edelsteine und Perlen fehlten auch nicht. Gestickte Schuhe, seidene Strümpfe sah man sogar an Dienerinnen. Viele der so reich geschmückten Frauen trugen das kleine, runde Männer-Strohhütchen, das ganz abscheulich stand. Alle die Pracht und Herrlichkeit machte jedoch wenig Effekt: es fehlte an geschmackvoller Zusammenstellung, und die Farben waren meistens sehr grell und unpassend gewählt. Die Peruanischen Frauen haben sehr kleine und wohlgeformte Füße. Sie wechseln auch, wie man mir sagte, zweimal in der Woche die Schuhe und ziehen dieselben so mühsam an, wie unsere Modewelt die Handschuhe.[S. 98] Sie stülpen den halben Schuh rückwärts um und zwängen ihn dann mit der größten Anstrengung über die Ferse.

17. Januar. Der hohen, öden Gebirge blieben wir stets ansichtig; sie nahmen an Höhe zu, je näher wir Callao kamen.

Bei Huacho, einer kleinen befestigten Stadt, gleich Payta von einer Wüste umgeben, wurde ebenfalls kurzer Halt gemacht. Der Kapitän beeilte sich, Callao zu erreichen, wo wir schon Tags zuvor hätten eintreffen sollen; allein der Dampfer fuhr sehr langsam, wir machten durchschnittlich per Stunde nicht mehr als sechs Meilen. Da, wie gesagt, keine Konkurrenz existirt, werden natürlich alte, schlechte Dampfer benützt, — der Reisende muß sich alles gefallen lassen.

Callao ist der bedeutendste Hafen von Peru. Die Rhede ist schön durch die Masse der sie umgebenden Gebirge; doch fehlt es auch hier an Wald und Vegetation.

Das Städtchen Callao, mit 7000 Einwohnern, erinnerte mich beim ersten Anblick durch seine Bauart einigermaßen an den Orient. Die Häuser haben nur ein Erdgeschoß oder höchstens einen Stock mit unregelmäßig angebrachten Fenstern, oft nur mit hölzernen, dicht vergitterten Balkons, die wie Verschläge an den Wänden hängen, und mit platten Dächern (Terrassen).[S. 99] Sie sind theils aus ungebrannten Ziegeln erbaut, theils aus Rohrwänden und mit Lehm beworfen. Die Zimmer sind etwas düster, da sie ihr Licht gewöhnlich nur von einem Fenster erhalten, mitunter nur von einem Verschlage, der auf die Terrasse mündet. Diese Verschläge sind statt der Glasscheiben mit hölzernen Gittern und Läden versehen, welch letztere man mittelst einer Schnur, die tief in das Zimmer hinab hängt, öffnen und schließen kann.

Die Festung, die seit der Unabhängigkeits-Erklärung von Peru den Namen Independenzia führt, gehört zu den bedeutenderen. Sie bildet ein regelmäßiges Achteck, ist umfangreich, gut erhalten, und von einem breiten, tiefen Graben umgeben, der mittelst einer Verbindung mit der See unter Wasser gesetzt werden kann.

Ich verweilte nur einen Tag in Callao. Vor allem besuchte ich auch hier den Wochenmarkt, der mich durch die reiche und mannigfaltige Zusammenstellung von Lebensprodukten beider Hemisphären noch mehr in Erstaunen setzte, als jener von Guayaquil. Die Abstufungen der Cordilleren (denen man hier sehr nahe ist) bieten so zu sagen alle Klimate der Welt, und so kommt es, daß man hier neben der saftigen Traube die hochgelbe Granadilla, neben dem Pfirsich die Mango, neben der Aprikose oder dem Apfel die Platane oder[S. 100] Chirimoya u. s. w. sieht. Letztere Frucht (von den Engländern Custod-apple genannt) wird von mehreren Reisenden für die Königin aller Früchte erklärt. Ich würde der Mangostan den Preis ertheilen, die auf Java vorkommt; sie schmeckt ungleich feiner und ist dabei leicht und gesund. Die Granadilla ist die Frucht einer Passions-Blume, an Geschmack unserer Stachelbeere ganz ähnlich. Pfirsiche, Aepfel, Aprikosen stehen den Europäischen bei weitem nach: man kann sie kaum anders als gekocht genießen. Die Ursache mag wohl an der vernachlässigten Kultur liegen, da der Eingeborne zur Arbeit zu träge ist und es wenige, beinahe keine Europäischen Pflanzer gibt.

Von den Getreidegattungen wird Gerste und Mais am meisten gebaut; sie bilden auch den Hauptnahrungszweig des gemeinen Volkes. Auffallend waren mir Kolben ganz schwarzen Maises, die ich unter den Haufen der gelben, weißlichen, braunen und andern liegen sah. Dieser schwarze Mais kommt nur in ganz kleinen Kolben und zwar selten vor; er wird nur zu Backwerken verwendet.

Nachmittags wanderte ich nach dem Platze (unweit der Festung), wo einst Alt-Callao stand, das im Jahre 1746 durch ein schreckliches Erdbeben zu Grunde ging. Ein Theil sank in die See, der andere in Trümmer; 3000 Menschen sollen dabei das Leben verloren haben.[S. 101] Von den Resten der Stadt ist nichts mehr zu sehen, als hie und da kleine Bruchstücke einer Wand oder Schichten von Ziegeln. Manche Reisende wollen behaupten, daß man den in die See gesunkenen Theil der Stadt noch sähe — eine der gewöhnlichen romantischen Uebertreibungen.

Freundlicher war ein Gang nach den Gärten und andern Pflanzungen, die in der Nähe von Callao am Saume eines Bächleins liegen. So sandig, wüst und öde die Gegend rings umher ist, so schnell erscheint Leben und Vegetation an Orten, die nur einigermaßen bewässert werden können. Ein Dutzend Deutscher Ansiedler hat sich da niedergelassen und erzielt sehr ergiebige Ernten. Sie bauen besonders viele Weinreben, die sich auf dem Gestein fortranken, es wie ein Netz überziehen und sich kaum einen Fuß hoch über die Erde erheben.

Vor ungefähr zwei Jahren erging von der Regierung Peru’s eine Aufforderung nach Deutschland, Ansiedler hierher zu senden; man machte ihnen gute, vortheilhafte Bedingungen, und diesem zu Folge schifften sich alsbald über zweitausend Auswanderer nach dem fernen Lande ein. Schon auf der Reise starb beinahe die Hälfte. Die Schiffe waren überfüllt, die Lebensvorräthe, das Wasser schlecht und verdorben, und die Leute wurden nicht besser behandelt als die Sklaven,[S. 102] die man von Afrika bringt. In Peru angekommen, fanden die Ueberlebenden, daß man sie von allen Seiten betrogen und belogen hatte. Statt sie in ein ihnen angemessenes Klima zu weisen, gab man ihnen Ländereien bei Callao und Lima, wo die große Hitze Europäischen Arbeitern tödtlich ist. Die ihnen gebotenen Geldunterstützungen standen in keinem Verhältnisse zu der Theuerung des Landes; nur zu bald versanken die Armen in Elend und Krankheit. Der Hamburger Konsul in Lima, Herr Rodewald, nahm sich ihrer mit aller Macht an, verwendete sich für sie bei der Regierung, schrieb um Hülfe nach Deutschland, veranstaltete Sammlungen und unterstützte sie kräftig aus seinen eigenen Mitteln. Dessen ungeachtet starben die meisten, trostlose Witwen und Kinder hinterlassend, welche das Klima natürlich besser vertrugen, da sie mit Feldarbeiten wenig oder nichts zu thun hatten. Unverzeihlich ist es von der Regierung eines Landes, durch Lüge und Betrug Leute, Familien zur Auswanderung zu bewegen und sie dann so gewissenlos ihrem Schicksale zu überlassen. Könnte ich doch allen Auswanderern zurufen, sich, bevor sie solch einen wichtigen Schritt unternehmen, Kenntnisse von dem Lande, dem Klima, den Kosten und den Hülfsmitteln, die ihnen daselbst zu Gebote stehen, zu verschaffen, und nicht unbedingt den Vorspiegelungen zu glauben, die ihnen[S. 103] von gewissenlosen, gewinnsüchtigen Agenten gemacht werden. Ist der arme Mann einmal von seiner Heimath weg, so hat er nicht leicht mehr die Mittel zur Heimkehr und muß bleiben, wo ihn sein Schicksal hingeworfen hat.

Freilich ist die Schuld auch häufig an den Ansiedlern. Viele haben die falsche Meinung, daß, wenn sie in einen fremden Welttheil gehen, ihnen gleich, wie das Sprüchwort sagt, die gebratenen Tauben in den Mund fliegen müssen; ist dieß dann nicht der Fall, so ergreift sie Unzufriedenheit und Mißmuth. Gerade der Ansiedler muß sich, wenigstens in den ersten Jahren, auf mehr Mühen, Arbeiten und Beschwerden gefaßt machen, als in seiner Heimath. Aber so sind die Menschen, nie genügsam und bescheiden in ihren Wünschen und Anforderungen. Sah ich doch selbst bei manchen Auswanderern, die sich erst seit kurzer Zeit angesiedelt hatten, den Tisch mit schönem Fleische, Gemüse, gutem Brot u. s. w. besetzt, den Kaffee- und Theetopf zweimal des Tages auf dem Feuer stehen, und dennoch waren die Leute nicht zufrieden. Warum? — Weil sie hier wie in der Heimath arbeiten mußten. Daheim mochte es ihnen an der Arbeit wohl noch weniger gefehlt haben, wohl aber an den trefflichen Lebensmitteln; wie oft mögen sie ihren Hunger kaum nothdürftig mit Kartoffeln oder schlechtem Brote gestillt haben!

[S. 104]

Bevor ich Lima, die Hauptstadt von Peru, betrete, will ich dieses Reiches mit wenigen Worten erwähnen.

Peru faßt auf 2300 Quadratmeilen eine Bevölkerung von 2,150,000 Seelen und ist in elf Departements, diese in 63 Provinzen getheilt. Die Staatseinkünfte werden auf 10 Millionen Dollars gerechnet, eben so hoch die Ausgaben. Die Staatsschuld beträgt gegen 60 Millionen Dollars. Auf die Tilgung dieser Schuld wird nur ein ganz kleiner Theil der Einnahmen verwendet.

Die legislative Gewalt besitzt der Kongreß, welcher sich alle zwei Jahre in Lima versammelt und aus zwei Kammern besteht, der Kammer der Senatoren (21) und jener der Deputirten (81).

Die executive Gewalt und das Recht, die Minister zu ernennen, liegt in den Händen des Präsidenten, welcher alle vier Jahre neu erwählt wird. Der jetzige Präsident heißt José Rufino Echenique.

Diese Regierungsform besteht seit dem Jahre 1824, in welchem sich das Land von der Spanischen Regentschaft lossagte. Die einzige Festung Callao hielt sich unter General Bodin bis Februar 1826 und ergab sich unter sehr ehrenvollen Bedingungen. Obgleich dieser General große Tapferkeit bewies, hinterließ er doch einen sehr schlechten Ruf. Man schreibt die lange[S. 105] Vertheidigung mehr seinem Eigennutze als der Treue und Anhänglichkeit an seinen Monarchen zu. Er soll nämlich große Vorräthe von Lebensmitteln aufgespeichert und sie zur Zeit der Noth den Reichen, die in die Festung geflohen waren, zu den unverschämtesten Preisen überlassen haben. Die Leute mußten die Lebensmittel, wie man erzählt, beinahe mit Gold aufwiegen. Mit ungeheueren Reichthümern beladen ist der General nach der Uebergabe der Festung nach Spanien, seinem Vaterlande, gegangen.

Seit der Unabhängigkeits-Erklärung fanden in Peru so viele Revolutionen statt, daß eine Ruhe von ein paar Jahren unter die Seltenheiten gehört, und daß man der politischen Bewegungen am Ende schon nicht mehr viel achtet. Alle Revolutionen gingen bisher vom Militär aus. Hochgestellte Offiziere, lüstern nach der Präsidenten-Würde, suchten das Militär zu gewinnen, und die Unruhen begannen. Auch jetzt, als ich nach Peru kam, war das Land im Aufstande, und diese Revolution war die erste, die vom Civil ausging. Sie hatte ihren Anfang im September vorigen Jahres genommen. Ursache der Revolution war die schlechte Verwaltung der Staatseinkünfte, die sich seit der Auffindung des Guano (Vogeldünger) auf den Chincha- und andern Eilanden[11] sehr vermehrt hatten und doch[S. 106] weder für das allgemeine Wohl noch zur Tilgung der Staatsschulden verwendet wurden. Man wirft dem gegenwärtigen Präsidenten vor, einen großen Theil der Reichthümer des Landes in seine und seiner Anhänger Hände zu leiten. Um dieß leichter zu bewirken, hat er die Leute aufgefordert, unberichtigte Rechnungen aus den Zeiten vergangener Revolutionen für gelieferte Lebensmittel, Schadenersätze u. dgl. vorzubringen. Die Gläubiger, die solche Schulden einzufordern hatten, dachten daran schon lange nicht mehr, viele hatten die Papiere verloren oder zerrissen, andere waren gestorben und den Erben fehlte es an Beweisen. Es wurde jedoch den Leuten unter der Hand gesagt, daß man ihre Forderungen leicht anerkennen würde; nur möchten sie höhere Summen angeben, damit man, einer scheinbaren Gerechtigkeit wegen, einiges streichen könne.

Die Agenten des Präsidenten und dessen Anhang kauften diese Papiere insgeheim um geringe Summen, und durch diese Umtriebe, so wie mit der Manipulation der Staatspapiere und dem Guano-Handel soll[S. 107] sich der Präsident allein schon einige Millionen Dollars erworben haben.

Die jetzige Revolution war noch nicht bis Lima gedrungen. Der Präsident hatte das Militär noch auf seiner Seite; auch besoldete er theils aus der Staats-, theils aus eigener Kasse eine Legion Spione, die sogleich jede Person, auf die der leiseste Verdacht fiel, ergriffen und der Regierung überlieferten. Viele schmachten in den Gefängnissen, andere wurden des Landes verwiesen[12].

Schon seit vielen Jahren hat Peru das Unglück, von habsüchtigen, eigennützigen Beamten regiert zu werden, die auf nichts anderes bedacht sind, als ihre Taschen zu füllen.

Am 19. Januar fuhr ich nach Lima, wo der Hamburger Konsul, Herr Rodewald, so gütig war, mich in sein Haus einzuladen, eine Gefälligkeit, die für mich von um so größerem Werthe war, als man in diesem Lande ausschließlich die Spanische Sprache spricht, mit welcher ich mich noch nicht vertraut gemacht hatte.

Von Callao nach Lima (zwei Leguas, sechs Englische Meilen) führt seit dem Jahre 1851 eine Eisenbahn, deren Steigung so bedeutend ist (450 Fuß),[S. 108] daß man auf der Fahrt von Lima nach Callao gar nicht des Dampfes bedarf. Was mir bei dieser Eisenbahn am meisten auffiel, ist, daß sie durch einen großen Theil der Vorstädte Lima’s geht, ohne durch Geländer abgesperrt zu sein. Die Dampfwagen fahren hier durch die Straßen wie in andern Städten die mit Pferden bespannten Kutschen. Kinder spielen an den Hausthüren, Reiter lenken die Thiere eilig zur Seite, Leute laufen über die Schienen, und lärmend braust die Lokomotive mitten hindurch. Ungeachtet dieser augenscheinlichen Gefahr ereignete sich erst ein Unglück. Ein Esel wurde überfahren und die Maschine kam dadurch aus dem Geleise, bei welcher Gelegenheit mehrere Menschen verwundet wurden und einer das Leben verlor.

Die Stadt Lima, mit 96,300 Einwohnern, wurde am 6. Januar des Jahres 1534 von Pizarro gegründet; am 18. Januar desselben Jahres legte er den Grundstein zu der Kathedrale. Die Stadt ist in regelmäßige Quadrate eingeteilt; der Fluß Rimac, über welchen eine einzige, aber schöne, auf fünf Bogen ruhende Steinbrücke führt, theilt sie in zwei ungleiche Theile. Die Straßen sind lang, ziemlich breit und gerade.

Der Hauptplatz ist ein schönes Viereck. Auf zwei Seiten laufen an den Häusern Bogengänge hin, unter[S. 109] welchen es einige reiche, geschmackvolle Waarenlager gibt; auf der dritten Seite steht die Kathedrale nebst dem bischöflichen Palaste, auf der vierten Seite der Palast des Präsidenten und das Haus der Senatoren. Diese Paläste gleichen von außen so erbärmlichen Gebäuden, daß ich wirklich nicht weiß, wie man ihnen den hochtrabenden Titel „Palast“ beilegen konnte. Im Hofraume sehen sie etwas besser aus. Der Palast des Präsidenten ist überdieß noch durch viele kleine Verkaufsbuden verunziert, die wie Kleckse daran hängen. In der Mitte des Platzes prangt ein leidlicher Springbrunnen, der zu jeder Zeit des Tages von Eseln und deren Treibern umgeben ist, denn kein Haus in Lima hat einen eigenen Brunnen: alles Wasser wird mittelst Esel in die Häuser gebracht. Manche Familie gibt für den Wasserbedarf allein im Monat vier bis sechs Dollars aus.

An der Südseite dieses Platzes, wo jetzt Wohnhäuser stehen, stand der Palast Pizarro’s. In demselben wurde Pizarro am 26. Juni 1546 ermordet. Er saß mit einigen Freunden an der Tafel, als die Verschwornen den Palast umringten und der Ruf: „Nieder mit dem Tyrannen!“ erscholl. Er fiel mit dem Schwerte in der Hand. Die Stelle, wo er fiel, ist nicht genau bezeichnet, eben so wenig der Ort, wo er begraben liegt. Einige behaupten, in der Kathedrale, andere in der[S. 110] Franziskaner-Kirche. Ich suchte und fragte in beiden Kirchen vergebens nach seiner Grabesstätte.

Kirchen und Klöster hat Lima in großer Menge aufzuweisen. Die Geistlichkeit ist im Besitze unzähliger Gebäude und ausgedehnter Ländereien; ein Fünftheil der Stadt soll ihr Eigenthum sein. Manche Klöster schätzt man auf achtzig- bis hunderttausend Dollars Einkünfte.

Unter den Kirchen gefielen mir die Kathedrale, die Franziskaner- und die St. Petri-Kirche am besten. Die der Augustiner und die der Dominikaner gehören ebenfalls zu den vorzüglichen, so wie viele andere in allen Gegenden der Stadt sehenswerth sind. Ihre Bauart ist imposant, ihre Kuppeln sind hohe, herrliche Wölbungen, und im Innern findet man vieles und schönes Schnitzwerk in Holz, alles Basrelief und sehr reich vergoldet. Der innere Reichthum an Silber, Gold und Edelsteinen ist nicht mehr so groß, als er gewesen sein soll. Die silbernen Tabernakel, so wie die silbernen Säulen an den Altären in der Kathedrale sind so schmutzig, daß man sie, wenn man auf ihre Kostbarkeit nicht aufmerksam gemacht wird, gewiß ganz übersehen würde. Bei großen Festen sollen die Kirchen prachtvoll mit Sammt, Blumen u. s. w. geschmückt, feenartig erleuchtet sein, die Heiligen in großem Pomp mit Gold und Edelsteinen prangen und die Priester[S. 111] in überreichen, goldgestickten Meßkleidern erscheinen. Leider gab es während meiner Anwesenheit kein Fest, ich mußte mich mit den schlecht geschnitzten hölzernen Heiligen in ihrem Alltagsputze begnügen. Dessen ungeachtet machten die Kirchen einen imposanten Eindruck. Die majestätischen Wölbungen, die langgezogenen, hohen Schiffe, die Seitenaltäre und Nischen mit den sie stützenden Pfeilern und Säulen, die mit Gemälden und Statuen gezierten Wände (besonders wo dieß nicht übertrieben ist und nicht Bilder in grotesken Anzügen mehr an das Heidenthum, als an das Christenthum erinnern), das Halbdunkel, durch welches hie und da ein Lämpchen gleich einem Sterne schimmert, die tiefe Stille oder der am Altar fungirende Priester im würdigen Ornate erheben das Gemüth unstreitig mehr, als Tempel mit ganz einfachen, weißen Wänden in prosaischer Nacktheit.

Die äußere Religiosität des Volkes ist noch ziemlich groß. Viele nehmen die Hüte ab, wenn sie an einer Kirche vorüber gehen, aber gewiß thun es alle, wenn Morgens oder Abends die Glocke zum Gebete ruft. Der Fußgänger bleibt stehen, der Eseltreiber steigt von seinem Thiere ab, das Gespräch erstirbt, alles fleht zum unsichtbaren Wesen. Ist aber dieser Augenblick vorüber, so kehrt das gewöhnliche Getreibe wieder, der Eseltreiber mißhandelt sein Thier wie zuvor,[S. 112] der Verkäufer betrügt den Käufer, böse Nachrede tritt an die Stelle des Gebetes.

Außer den Kirchen ist gar kein öffentliches Gebäude hübsch zu nennen. Im ganzen macht Lima auf den Ankömmling keinen sehr vortheilhaften Eindruck. Die Vorstädte zeigen gleich den Orientalischen Städten nichts als lange Mauerwände mit Eingangsthüren und sehr wenigen Fenstern. Erst mehr gegen das Innere der Stadt wird der Anblick etwas freundlicher. Die Häuser sind da meistens stockhoch, haben große, hochgewölbte Eingangspforten und zahlreichere Fenster. Die angehängten, eng vergitterten hölzernen Balkons findet man überall. Die Dächer sind platt, wie in Callao; die meisten Zimmer erhalten hier wie dort das Licht durch Verschläge, die auf das Dach münden.

Auch hier, wie im Orient, geht die eigentliche Façade der Häuser auf den Hofraum. Die Empfangsgemächer (durchgehend im Erdgeschosse) liegen dem großen Hausthore gegenüber; die Hallen unter dem Thore, die Mauerwände in dem Hofe sind hie und da mit hübschen Fresken bemalt, die Höfe nett gepflastert und mit Blumentöpfen geziert. Der Salon, in welchen man von der Hausthüre gerade hinein sieht, ist niedlich ausgestattet, die Fenster und Glasthüren werden mit Draperien versehen, durch die Saalthüren hindurch erblickt man im Hintergrunde ein kleines Gärtchen;[S. 113] mit wahrem Vergnügen bleibt man bei jedem Hausthore stehen, um diesen lieblichen Anblick länger zu genießen. Abends ist ein Gang durch die Straßen noch anziehender: die Gemächer sind erleuchtet, Thüren und Fenster geöffnet, und die graziösen Gestalten der Peruanischen Damen beleben die freundlichen Bilder.

Das schönste Haus ist jenes der Alt-Spanischen Familie Torre-Tagle; es zeichnet sich durch seine schöne Façade und architektonischen Verzierungen gegen die Straße zu aus. Jetzt ist das Haus auf einen Seitenzweig der Familie übergegangen.

Von den öffentlichen Anstalten sah ich das Museum, die Akademie der bildenden Künste und die Bibliothek. Das Hospital besuchte ich nicht, es herrschte das gelbe Fieber und viele daran Erkrankte lagen in demselben.

Das Museum als solches ist eins der erbärmlichsten von allen, die ich bisher gesehen hatte. Jede Gattung aus dem Naturreiche ist mit einigen schlechten, ganz verwahrlosten Exemplaren angedeutet. Aus dem Insekten- und Crustaceen-Reiche fehlen sogar diese. Statt der Peruanischen Insekten sieht man ein halbes Dutzend Kästchen mit den gewöhnlichsten Chinesischen Käfern; von Seeprodukten ist gar nichts vorhanden. Das Werthvollste sind vier sehr gut erhaltene Mumien in hockender Stellung, wie sie in den Inkas-Gräbern[S. 114] aufgefunden wurden, desgleichen eine ziemliche Anzahl Alt-Peruanischer Trink- und anderer Gefäße. Aus acht Oelgemälden von einst regierenden Inkas ersieht man, daß dieselben schöne, wohlgebildete Leute mit edlen Gesichtszügen waren. Auch die lebensgroßen Bildnisse aller Spanischen Vicekönige sind hier aufgestellt; aber gerade jenes von Pizarro steht im ungünstigsten Lichte und ist vom Alter so geschwärzt, daß man kaum mehr als die Umrisse unterscheiden kann.

Die „Akademie der bildenden Künste“ ist nichts weiter als eine erbärmliche Zeichenschule für die ersten Anfänger. Aus welchem Grunde sie den Namen „Akademie“ führt, konnte ich nicht ermitteln, denn sie besitzt weder eine Büste oder Statue, noch ein Gemälde, noch eine größere Zeichnung. Alles, was ich sah, waren einige angehende Künstler, die sich mit dem Zeichnen von Nasen, Augen und Ohren beschäftigten.

Die Bibliothek enthält in zwei schönen Sälen 30,000 Bände. Es sollen darunter werthvolle Handschriften sein.

An öffentlichen Spaziergängen besitzt Lima die Alameda und die Brücke. Die Alameda besteht aus Baum-Alleen längs des Rimac-Flusses. An einer Seite steht die Arena für die Stiergefechte. An dem Ende der Alameda befindet sich eine Anstalt für kalte Bäder. Die Gebirgswelt sieht man nicht nur von[S. 115] hier aus, sondern beinahe von jeder Straße, vorzüglich den 1275 Fuß hohen „Cerro de San Cristoval,“ auf dessen Spitze ein Kreuz errichtet ist, zu welchem jedes Jahr eine große Wallfahrt stattfindet.

Sehr schön ist der außerhalb der Stadt gelegene Friedhof oder das „Pantheon.“ Es wurde im Jahre 1807 gegründet. Die Kapelle so wie das Haus des Aufsehers sind sehr niedlich, die Gärten in verschiedene Abtheilungen gesondert, von schönen Baum-Alleen durchschnitten und mit hohen Mauern eingefaßt. Sie enthalten mehr als tausend Nischen zur Aufnahme von Verstorbenen, nebst vielen andern Grabesplätzen. Unter den Nischen gibt es solche, die für immerwährend angekauft werden können; in den anderen bleiben die Leichen nur so lange, bis man den Platz für die Nachfolgenden benöthigt. Die Gebeine werden dann in gemauerte Gewölbe oder große Gräber geschafft. Die Leichen der Kinder werden in einem hölzernen Thurm aufgeschichtet. Ich hob die Thüröffnung auf und sah eine große Anzahl solcher kleiner Geschöpfe, in Tücher geschlagen, aufgehäuft. Die Armen werden in große Gruben begraben.

Vor Erbauung des Pantheons wurden viele Verstorbene in den Kirchen beigesetzt.

Außer dieser äußerst zweckmäßigen Einrichtung, daß die Todten nicht mehr innerhalb der Stadt beerdigt[S. 116] werden, erfreut sich Lima zweier Vortheile, die sehr zur Gesundheit beitragen. Der eine besteht in vielen künstlich gezogenen Wassergräben, die, von dem Rimac gefüllt, die Straßen von Osten nach Westen durchschneiden; der zweite in einer Gattung ganz schwarzer Vögel von der Größe eines Huhnes, deshalb auch Gallinazo genannt, welche Thiere, gleich den Hunden in Konstantinopel, die Straßen von allem aasartigen Unrathe säubern. Schon in Callao fielen mir diese zahmen Raubvögel auf, die dort wie hier sich mitten in den Straßen unter den Leuten bewegen.

Den Wochenmarkt besuchte ich mehrere Male. Eine große, gemauerte, schöne Halle dient vorzüglich zum Fleisch-, geschlachtetem Geflügel- und Gemüse-Verkauf. Die Verschiedenartigkeit der Lebensmittel ist noch größer und natürlich die Menge bedeutender, als in Callao. Den vielen Fleischbuden nach zu urtheilen, muß das Volk hier ziemlich häufig Fleisch genießen. Sonderbar kam es mir vor, in den Fleischbuden statt der Männer Weiber zu sehen, welche die schwersten Ochsenkeulen handhabten und den Käufern pfundweise den Bedarf zutheilten. Das Geflügel wird wie in Italien nicht nur in ganzen, sondern auch in halben und Viertel-Stücken verkauft.

Das Leben in Lima ist theuer; man kann annehmen, daß ein Haushalt, der in Deutschland 1500 Thaler[S. 117] kostet, hier gewiß auf 4000 zu stehen kommt. In jedem wohlhabenden Hause wird ein Mayordomo gehalten, welcher das Silberzeug, die Wäsche, so wie die Dienerschaft unter seiner Aufsicht hat und die Einkäufe der Lebensmittel besorgt.

Außerordentlich ist der Verbrauch des Eises; man braucht per Tag für etwa 1000 Dollars. Es wird von Nordamerika gebracht und kommt auf diesem Wege billiger, als von den nahen Cordilleren, von wo es durch Maulthiere getragen werden müßte. Man genießt es nicht blos mit Wasser oder Wein, man bereitet auch Eis aus Milch und Früchten. Schon am frühesten Morgen sind die zahlreichen Eisbuden belebt. Die Milch-, Obst- und Fleischhändlerin, den Koch, den Mayordomo kann man da in gemüthlicher Ruhe beisammen sitzend finden. Das Eis ist durchschnittlich schlecht bereitet, grob, wenig consistent und fade.

Das Volk besteht hier wie zu Acapulco, Callao und gewiß allen Spanisch-Südamerikanischen Staaten, aus einem solchen Gemische, einer solchen Verzweigung Indianischen, Europäischen und Afrikanischen Blutes, wie man es in keinem anderen Theile der Welt finden kann. Unter der reichen Klasse, den Kreolen und Alt-Spaniern[13] gibt es sehr schöne Mädchen und Frauen.[S. 118] Die Damenwelt von Lima hat den Ruf, ihre Reize durch eine sehr geschmackvolle und kostbare Toilette zu erhöhen; ihr Gang, ihr Benehmen wird als graziös geschildert. Daß sie ganz besonders kleine, wohlgeformte Hände und Füße haben, nur seidene Strümpfe und die engsten Schuhe tragen, habe ich bereits erwähnt. Auch mit geistigen Fähigkeiten, mit natürlichem Verstande und Witz, desgleichen mit Talenten, besonders für Musik, soll sie die Natur reichlich ausgestattet haben. Leider sollen sie wenig Ausdauer besitzen, dieselben auszubilden.

Ich selbst kann darüber kein Urtheil fällen, ich war zu kurze Zeit in Lima, um in mehrere echt Alt-Spanische Häuser eingeführt werden zu können; auch ist für Fremde der Zutritt nicht sehr leicht zu erhalten. Ich sah nur in den Logen im Theater, wo ich die berühmte Sängerin Fr. Hayes, den nicht minder geschätzten Tenoristen Herrn Mengis und den ausgezeichneten Violinkünstler Herrn Hauser hörte, einen Theil der eleganten Gesellschaft und fand an Schönheit und Grazie alles bestätigt, was mir die Herren von der Frauenwelt gesagt hatten.

Vor noch wenig Jahren bedienten sich die Frauen, wenn sie auf der Straße oder nach der Kirche gingen,[S. 119] einer eigenthümlichen Tracht, die aus einem langen, schwarzseidenen Oberkleide (Saya) und dem Manto bestand, der den Körper von den Hüften bis über den Kopf verhüllte und nur einem Auge Raum zum Sehen gestattete. In diesem Anzuge soll die Frau dem Manne unkenntlich geblieben sein, selbst wenn sie neben ihm stand. Jetzt ist diese Tracht wie verschwunden, man sieht sie kaum zuweilen in der Kirche oder bei Prozessionen. Man sagt, sie habe gar zu leicht Anlaß zu unbescheidenen Zusammenkünften gegeben; die Herren suchten die Saya bei Gemahlinnen und Töchtern abzuschaffen. Jetzt ersetzen die Frauen den Manto durch ein großes Umschlagetuch, das sie über Kopf und Kleid schlagen. Diese großen, aber nicht sehr reizend stehenden Tücher tragen sie nicht nur in der Kirche und auf den Straßen, sondern sogar im Parterre des Theaters.

Die Weiber aus dem Volke sah ich nirgends so reich und verschwenderisch gekleidet wie hier. Milch- und Obst-Verkäuferinnen saßen in Barège- oder Seidenkleidern, Chinesischen Tüchern, seidenen Strümpfen, gestickten Schuhen auf den Eseln, mit dem Verkaufskram an der Seite. Alles hing jedoch nachlässig, auch zerrissen am Körper, die Farben waren höchst grell oder verschossen, alles stand schlecht zu der dunklen oder gelben Gesichtsfarbe. Ich gedachte jedesmal der etwas derben, aber passenden Worte Sancho Panso’s, welcher,[S. 120] als er Hoffnung hatte, zum König einer noch unentdeckten Insel gemacht zu werden, von seiner Frau sagte: „Sie wird sich als Königin ausnehmen, wie ein Schwein mit einem goldenen Halsbande.“

Die Männer, Europäer wie Eingeborne, reich oder arm, tragen über ihrem Anzug auf Reisen oder auch nur bei gewöhnlichen Reitparthieen den Poncho wie in Chili. Selbst Frauen bedienen sich dieses Kleidungsstückes, wenn sie einen Ausflug zu Pferde machen.

Die reichen und vornehmen Frauen gehen nur zur Kirche zu Fuß, sonst fahren sie in Calezas, zweiräderigen, von Maulthieren gezogenen Gläserwagen. Die Maulthiere sind weit vor die Kutsche gespannt, und der Kutscher sitzt auf einem der Thiere.

Die Herren, die viel außer Hause zu thun haben, wie z. B. Aerzte, reiten auf Maulthieren oder Pferden.

Die Kleinverkäufer, Wassermänner u. s. w. bedienen sich der Esel, die hier sehr mißhandelt werden. Oft hängt auf einem solchen armen Thiere die ganze Familie, Mann, Weib und Kind, nebst den größten Lasten als Zugabe. Ein Peruanisches Sprichwort sagt: „Lima ist die Hölle der Esel, das Fegefeuer der Ehemänner, der Himmel der Frauen.“ Wenn es eine Seelenwanderung gäbe, müßte der Gedanke, in einen Peruanischen Esel oder in ein Javanesisches Postpferd verwandelt werden zu können, zur Verzweiflung bringen.

[S. 121]

Ungleich besser geht der Eingeborne mit dem Llama um: er gebraucht es zwar auch als Lastthier; allein er behandelt es mit Liebe und Zärtlichkeit, man möchte beinahe sagen, er habe Hochachtung für dieses Thier. Das Llama ist von dem Fuße bis zum Scheitel fünf Schuh hoch und gehört zu dem Geschlechte der Kameele. Die Llamas werden als Lastthiere gebraucht, sie sind für die schlechten Wege in den Cordilleren ungleich brauchbarer, als Esel und Maulthiere, und bringen gewöhnlich die Erze in die Niederungen. Ein Llama geht per Tag drei bis vier Leguas und trägt hundert Pfund; ladet man ihm mehr auf, so legt es sich nieder und steht nicht eher auf, als bis ihm die Ueberfracht abgenommen ist[14].

Selten bekommt man diese schönen, sanften Thiere in Lima zu sehen, denn das warme Klima vertragen sie nicht. Zufällig kam doch während meiner Anwesenheit eine kleine Heerde von vierzig bis fünfzig Stück nach der Stadt, um Salz nach den Gebirgen zu bringen.

Wenn diese Thiere gereizt werden, spucken sie um sich. Der Speichel soll so scharf und ätzend sein, daß er auf der Haut einen brennenden Schmerz verursacht.

Außer der Seltenheit, Llamas in Lima zu sehen, erlebte ich auch noch eine andere Merkwürdigkeit, nämlich[S. 122] einen ziemlich starken Regen, der fünf bis sechs Stunden anhielt — eine Erscheinung, deren sich die ältesten Leute nicht zu entsinnen wußten. Es regnet hier im Sommer nie, im sogenannten Winter höchst selten, und da fällt meistens mehr feuchter Nebel als Regen, der kaum die Steine befeuchtet. Donnerwetter gibt es diesseits der Cordilleren nie.

Die Temperatur ist, obwohl Lima nur zwölf Grad südlich vom Aequator liegt, nie drückend heiß. Ich war in der Mitte des Sommers hier[15], und fand den Thermometer im Zimmer nie über 20 Grad Réaumur. Man schreibt diese gemäßigte Temperatur den Luftströmungen von den nur achtundzwanzig Leguas von der Stadt entfernten, mit ewigem Schnee bedeckten Cordilleren zu. Dagegen gibt es häufig Erdbeben. Ich erlebte in den fünf Wochen meines Aufenthaltes drei. Das erste war sehr bedeutend, richtete aber doch keinen Schaden an; bei dem zweiten ließ sich ein starkes, donnerähnliches, unterirdisches Geräusch vernehmen, welches gegen vierzig Sekunden anhielt; das dritte bestand aus ein paar ganz leichten Stößen. Bei jedem Erdbeben stürzt das Volk auf die Straßen, wirft sich auf die Knie und schreit, während es sich[S. 123] beständig an die Brust schlägt: „Misericordia!“ Die Glocken läutet man in allen Kirchen.

Eine große Unannehmlichkeit Lima’s ist die Unsicherheit (das Räuberunwesen). Gegen 6 Uhr Nachmittags, wo es kaum dunkelt, darf man sich weder vor ein Stadtthor, noch auf die Alameda oder sonst einen einsamen Ort allein wagen; sogar zu Pferde wird man angefallen und beraubt. Bei Hausberaubungen, die jedoch seltener vorfallen, brechen die Diebe nicht immer durch Fenster und Thüren ein, sondern sie ersteigen die Terrassen (meistens aus einer leichten Rohrdecke bestehend), machen eine kleine Oeffnung und lassen sich in das Zimmer hinab.

Vor noch wenig Jahren ging das Raubsystem viel großartiger vor sich. Berittene oder unberittene Banden von dreißig bis vierzig Mann kamen Abends zu irgend einem Hause (gerade nicht in den belebtesten Straßen); die Hälfte der Leute stellte sich vor demselben auf, die übrigen gingen hinein, schlossen schnell die Thüre und ersuchten die erschrockenen Bewohner ganz höflich, sich nicht stören zu lassen, ihnen nur alle Schlüssel zu geben, da sie schon selbst finden würden, was sie benöthigten. Bis die Nachbarn oder Vorübergehenden, durch die aufgestellte Wache aufmerksam gemacht, bewaffnete Hülfe bringen konnten, waren die Vögel mit ihrer Beute schon längst davon geflogen.

[S. 124]

Auf dem sehr besuchten Wege von Lima nach Chorillos (zwei Leguas) sind beständig berittene Patrouillen im Gange; dessen ungeachtet ist es für einen einzelnen Reiter gefährlich, sich nach 6 Uhr auf der Straße blicken zu lassen.

Die Peruanische Kavallerie, größtentheils aus Negern bestehend, soll von geringem Werthe sein. Besser als diese ist, wie man mir sagte, die Infanterie, zu welcher meistens Gebirgs-Indianer genommen werden. Man schildert sie als tapfer und ausharrend, Hunger und Beschwerden lange und leicht ertragend, und zählt sie zu den besten Truppen der Welt. Im gewöhnlichen Dienste sehen die Truppen nicht sehr glänzend und kriegerisch aus; hätten sie nicht ein Schwert umgegürtet, so würde man sie kaum von den Tagelöhnern unterscheiden. Bei Paraden dagegen nimmt sich das Militär, besonders die Kavallerie, recht gut aus: es ist mit weißem Linnenzeug uniformirt, die Pferde sind hübsch und gut gezäumt.

Herr Konsul Rodewald war außerdem, daß er mir den angenehmsten Aufenthalt in seinem Hause bot, auch noch so gefällig, einen kleinen Ausflug zu veranstalten, um mir den Badeort Chorillos und die Ruinen eines Peruanischen Sonnentempels zu zeigen, welche vier Leguas von Chorillos bei dem Oertchen Lurin stehen und unter die interessantesten gezählt[S. 125] werden, von jenen, die noch längs der Küste vorhanden sind.

Nach Chorillos (zwei Leguas) geht täglich ein Omnibus. Ich fuhr in demselben, die Herren waren zu Pferde. Der Weg zieht sich durch eine sandige Ebene, auf welcher man nur hie und da kleine grüne Fleckchen gleich Oasen gewahrt. Auch die über einander geschichteten Gebirgsmassen zur Seite sind ohne alle Vegetation. Der Badeort selbst macht einen ungefälligen, traurigen Eindruck: erbärmliche Lehmhäuschen stehen in schmutzigen, staubigen Straßen zusammen gedrängt. Ich würde Chorillos eher für einen Verbannungs- als Belustigungs-Ort gehalten haben. Man sollte glauben, daß wohl nur wirklich Kranke, welchen die Seebäder verordnet sind, hierher kommen. Dem ist aber nicht so: das zarte Geschlecht sucht, ohne krank zu sein, Vergnügen in diesem traurigen Badeorte, Erholung in dem Luftwechsel, und die Herren zieht nicht nur die Damenwelt, sondern auch der grüne Tisch an, auf dem sie oft bedeutende Summen zurücklassen. So sucht der Mensch Wechsel in das Leben zu bringen und vertauscht oft das Bessere gegen das Schlechtere. Aber Licht und Schatten schaffen ein schönes Bild; eines wie das andere allein ist eintönig und wird mit der Zeit unerträglich.

Am folgenden Morgen ging es zu Pferde nach[S. 126] Lurin. Wir wählten den Weg über die Pampas, das heißt: „Sandsteppen,“ in welchen nichtsdestoweniger einige hübsche Zuckerrohr-Pflanzungen (Haziendas) liegen.

Eine Legua hinter Chorillos zeigt noch eine kleine Reihe gemauerter Bogengänge, daß hier einst eine Wasserleitung existirte.

Kurz vor dem Oertchen Lurin lenkten wir unsere Rosse etwas rechts nach dem 555 Fuß hohen Hügel Pachacamac, auf welchem die Ruinen des umfangreichen Sonnentempels stehen.

Pachacamac (Schöpfer der Erde) war der mächtigste Gott der Yunkas. Als die Yunkas von den Inkas überwunden wurden, warfen diese die Götzenbilder aus dem Tempel, weihten ihn der Sonne und bestimmten königliche Jungfrauen (Sonnen-Jungfrauen) ein ewiges Feuer darin zu unterhalten. So wie die Inkas die Yunkas vertrieben, ihre Götzenbilder zerstört, sie gezwungen hatten, die Sonne anzubeten, eben so erging es den Inkas später durch die Christen, als Pizarro das Land eroberte. Die christlichen Horden verfuhren jedoch mit dem Volke noch grausamer, als die Inkas mit den Yunkas. Die Sonnen-Jungfrauen wurden den rohen Kriegern übergeben und das Volk durch Feuer und Schwert zur Annahme einer neuen Religion gezwungen, die es hassen und verabscheuen[S. 127] mußte, da es die Anhänger derselben die schändlichsten Gräuelthaten verüben sah! —

Von dem Tempel, den wir von allen Seiten untersuchten, bestehen nur mehr einfache Mauerreste, die gleichwohl von seiner ehemaligen Größe zeugen. Die wenigen erkennbaren Kämmerchen gleichen kleinen Zellen ohne Fenster und erhielten das Licht wahrscheinlich von oben. Auch zwei kleine Feuerstellen waren noch zu erkennen. Die Mauern, Wände und Wälle sind aus ungebrannten Ziegeln aufgeführt: hie und da besteht die unterste Lage aus behauenen Steinen. An einer einzigen Wand fanden wir noch ein kleines Stückchen sehr feines und hartes Plaster von ziegelrother Farbe, ganz ähnlich wie ich es in den ausgegrabenen Häusern zu Pompeji bei Neapel gesehen hatte.

Die schönen Monumente der Peruanischen Bauart stehen bei Cusco im Innern des Landes, zweihundert Leguas von Lima. Die Hauptkunst der Peruanischen Baumeister bestand darin, die größten Steine ohne Mörtel so ineinander zu fügen, daß sie eine Festigkeit bekamen, als wäre das Ganze aus einem Stücke gehauen. Noch heut zu Tage liegen die Steine so fest auf einander, daß man mit keiner Messerklinge dazwischen dringen kann.

Erheiternd ist der Blick von den Ruinen über das zu Füßen liegende Thal. Die Umgebung von[S. 128] Lurin ist lieblich; blühende Felder, zartes Gebüsch bedecken den ursprünglich sandigen Boden. Als die Spanier Peru eroberten, war das Thal von Pachacamac das fruchtbarste an der Küste und reich bevölkert. Die Wasserleitung in der Nähe von Chorillos spricht noch von jenen schönen Zeiten.

Von den interessanten Denkmälern einer zerstörten Vergangenheit hinweg begaben wir uns nach der prosaischen Hazienda St. Pedro, die zu dem Kloster St. Pedro gehört, große Zuckerpflanzungen und viele Sklaven besitzt.

Dergleichen Haziendas werden auf eine bedeutende Anzahl von Jahren verpachtet. Jede Verbesserung, die der Pächter anbringt, erhält er zu gut gerechnet. Oft belaufen sich zu Ende des Pachtes die Forderungen so hoch, daß der Besitzer froh ist, wenn der Pächter um einen geringen Preis den Pacht fortbehält. In dieser Hazienda hat der Pächter eine Dampfmaschine zum Zuckerpressen (die erste im Lande) errichtet.

Es war Sonntag, und als wir ankamen, endete so eben der Gottesdienst. Der ganze Haufen der Sklaven wurde von der Kirche in eine Abtheilung des Hofes getrieben und diese geschlossen. Sie gingen singend, lachend und lärmend nach ihrem Gefängnisse, aber gerade dadurch kamen sie mir wie eine Heerde Vieh vor. Nie ergriff mich eine Scene so sehr, wie[S. 129] diese, denn an keinem Orte sah ich die Menschheit so erniedrigt, so ganz dem Thiere gleich gestellt. Jede Freude war nun für mich dahin: ich konnte dieß Bild nicht aus dem Gedächtnisse streichen.

Die Armen sandten nach Branntwein, den ihnen ihr Herr verkauft; sie wollten den Tag mit Trunk, Tanz und Gesang verbringen.

Ich war in Brasilien und in andern Ländern auf vielen Plantagen, die mit Sklaven bearbeitet wurden; allein überall sah ich diese besser gekleidet, als hier, und nirgends wurden sie eingesperrt.

Die Sklaverei ist in Peru bei der Unabhängigkeits-Erklärung nicht aufgehoben, sondern dahin bestimmt worden, daß die von Sklaven erzeugten Kinder nach fünfundzwanzig Jahren frei sein sollen. Später wurden jedoch statt der fünfundzwanzig Jahre fünfzig festgesetzt. Eingeführt darf kein Sklave mehr werden. Betritt ein Sklave Peruanischen Boden, so ist er frei; dieß gilt auch von jenem, der z. B. von seinem Herrn in ein fremdes Land oder über See mitgenommen und wieder zurückgebracht wird. Im allgemeinen sollen die Sklaven gut behandelt werden, besonders die Haussklaven, und von den Gesetzen sehr in Schutz genommen sein. Der Sklave kann sich, wenn er hart behandelt wird, selbst an einen andern Herrn verkaufen; auch läßt man ihnen Zeit und Gelegenheit, sich Geld[S. 130] zu verdienen, damit sie sich selbst loskaufen können. Die meisten aber ziehen es vor, das Verdiente in Branntwein zu vertrinken und den Brodherrn für ihre Bedürfnisse sorgen zu lassen.

Herr Rodewald hatte einen Sklaven, dem er die Freiheit schenken wollte; dieser wies das Geschenk zurück, mit der Bemerkung, daß er sorgenloser lebe, wenn ihn sein Herr behalte.

Den Rückweg nach Chorillos nahmen wir durch die Playas, d. h. an der Meeresküste.

Die Nacht blieb ich in dem Badeorte und am folgenden Morgen fuhr ich nach Miraflores, einem Dörfchen, auf halbem Wege zwischen Chorillos und Lima gelegen. Auch hieher ziehen viele Familien aus der Stadt, um in den Sommermonaten eine bessere, frischere Luft zu genießen. Niedliche Ranchos (Sommerhäuschen) mit Gärten und ein hübscher Platz zieren das freundliche Oertchen; im Vergleich zu Chorillos könnte man Miraflores ein kleines Eden nennen.

Ich verlebte hier zwei sehr angenehme Tage in Gesellschaft der beiden geistreichen, höchst gebildeten Frauen Smiths und Dardnell. Erstere Dame ist eine ausgezeichnete Malerin, Madame Dardnell mit einer schönen Stimme begabt, und beide sind höchst achtungswerthe, liebenswürdige Hausfrauen.

[S. 131]

Nach Lima zurückgekehrt, dachte ich an die Fortsetzung meiner Wanderungen.

Ich war mit der Absicht nach Lima gekommen, von hier aus die Cordilleren zu überschreiten, nach Loretto an den Amazonenstrom, und von dort mit den Brasilianischen Dampfern nach Para (an der Ostküste Amerika’s) zu reisen. Allein die Revolution hinderte die Ausführung dieses Planes. Sie hatte sich gerade nach den Gegenden gezogen, durch die ich sollte. Ich hätte weder Führer noch Maulthiere bekommen, denn bei Revolutionen oder Kriegen nimmt hier Freund wie Feind Leute und Thiere in Beschlag; erstere werden den Soldaten eingereiht, letztere für die Kavallerie oder Artillerie benützt.

Vergebens wartete ich bis gegen Ende Februar, die Lage der Dinge änderte sich nicht, man rieth mir daher, mein Glück über Quito zu versuchen. Ich war dazu um so mehr geneigt, als mir Herr Muncajo, Chargé d’affaires der Republik Ecuador, sehr viel von Seite seines Gouvernements versprach. Er sagte mir, daß der Präsident sein besonderer Freund sei, daß er mir Briefe an ihn, wie auch an andere hochgestellte, wichtige Personen geben, daß sich der Präsident sicher selbst sehr für meine Reise interessiren und sie auf alle Art unterstützen werde.

[S. 132]

Im Vertrauen auf diese Versicherungen und wohl ausgerüstet mit einem Dutzend, wie ich meinte, sehr gewichtiger Briefe, begab ich mich fröhlichen Muthes auf die Reise, und ging auf dem Dampfer Santiago, Kapitän Joy, wieder zurück nach Guayaquil.

[9] Den Antritt des neuen Jahres feierte ich in Panama bei Dr. Autenrieth.

[10] Aber nicht so süß und aromatisch, wie im Ostindischen Archipel.

[11] Man hat berechnet, daß auf den Chincha-Inseln allein noch ein Vorrath von mehr als zwölf Millionen Tonnen Guano vorhanden sei. Die Regierung verkauft den Guano auf eigene Rechnung in Europa und Nordamerika und gewinnt per Tonne fünfzehn bis fünfundzwanzig Dollars.

[12] Wie ich später in Zeitungen las, endete die Revolution mit dem Sturze des Präsidenten.

[13] Alle, deren Hautfarbe der weißen nur etwas nahe kommt, nennen sich „Alt-Spanier,“ sie wünschen sehr, zu dieser Race gezählt zu werden. Kreolen heißen jene, die von echt Europäischen Eltern geboren sind.

[14] Ein Esel trägt für gewöhnlich zweihundert, ein Maulthier dreihundert Pfund.

[15] Die Jahreszeiten, bekanntlich jene der nördlichen Hemisphäre, sind entgegengesetzt.

[S. 133]

Sechzehntes Kapitel.

Ecuador. — Reise nach Quito. — Fahrt auf dem Guaya. — Savanetta. — Die Tambos. — Der Camino real. — Guaranda. — Uebergang über die Cordilleren nächst dem Chimborazo-Gipfel. — Die Hochebenen von Ambato und Latacungo. — Ausbruch des Cotopari. — Haziendas-Besitzer.

Auf dem Dampfer Santiago fand ich die Kabinen besetzt und bekam einen Platz in der bereits beschriebenen Kajüte auf dem Vorderdecke angewiesen. Ich kam Abends an Bord und mußte den Weg dahin im Finstern suchen — der Zugang war nicht einmal mit einem Lämpchen erleuchtet. Ich tappte über die Achsen der Wasserräder durch Kohlenschmutz und Nässe, gerieth zu weit links, und stieß — an die Hörner von Ochsen, die, wie ich am folgenden Morgen sah, kaum zwei Schritte von dem Eingange der Kajüte standen. Mich rechts wendend, fiel ich über einen Kohlenhaufen, der noch nicht eingeräumt war und gerade vor unserer Thüre lag — eine höchst comfortable Einrichtung, die der Reisende aber auch mit schwerem Gelde bezahlen muß.

[S. 134]

Am 1. März erreichten wir Guayaquil.

In dieser, der wichtigsten Hafenstadt des Reiches Ecuador, gibt es keinen Gasthof. Jeder Reisende muß sich mit Briefen an Familien versehen, um irgend wo aufgenommen zu werden. Ich wagte es, ohne Brief zu dem Hamburger Konsul Herrn Garbe zu gehen, der mir sein Haus auch gastfreundlich öffnete.

Ecuador hat sich im Jahre 1830 von dem Spanischen Mutterlande losgesagt und als Republik erklärt. Die Bevölkerung des Landes besteht aus 400,000 Seelen, die Staatseinkünfte betragen 900,000 Dollars, die Ausgaben bedeutend mehr; dessen ungeachtet hat der Staat keine Schulden. Die Regierung macht einen kurzen Prozeß und zahlt die Gehalte meistens nur zur Hälfte. Die Regierungsform ist dieselbe wie in Peru.

Die Hauptausfuhr des Landes besteht in Cacao (jährlich fünfzehn, sogar bis fünfundzwanzig Millionen Pfund), Kaffee noch wenig, aber von vorzüglicher Güte, vielen heilsamen Kräutern und Pflanzen, schön geflochtenen und sehr dauerhaften Strohhüten (dreißig bis vierzigtausend Stück per Jahr), die in ganz Südamerika von Männern und Frauen getragen werden.

Ich kam unglücklicher Weise nach Guayaquil zur Regenzeit, die im Monat December beginnt, bis halben April währt, und natürlich zur Reise in das[S. 135] Innere die ungünstigste ist. Man sagte mir, die Wege seien so schlecht, daß jeder Verkehr mit der Hauptstadt des Landes (Quito), die Post ausgenommen, für diese Zeit unterbrochen werde. Der Postbote selbst habe die größte Mühe durchzukommen und müsse oft auf Bäume klettern und sich von einem zum andern an den Aesten fortschwingen, um derart über die grundlosen Sümpfe zu gelangen. Ich dachte aber, daß manches von der Beschreibung übertrieben sein möge; auch traute ich mir noch so viel Kraft und Ausdauer zu, eben so gut fortkommen zu können, wie der Postbote, und traf meine Anstalten zur Reise.

Wider meinen Willen war ich gezwungen, meine Reise drei Wochen zu verzögern, da ich abermals einige Anfälle des abscheulichen Sumatra-Fiebers hatte.

Während meines Aufenthalts zu Guayaquil wurde der Unabhängigkeits-Tag (6. März) gefeiert. Vormittags fand in der Kirche ein Hochamt statt, Abends eine Beleuchtung. Letztere war über alle Maßen erbärmlich, kaum, daß hie und da ein Paar Kerzen an einem Fenster prangten. Am folgenden Abend ward dasselbe Kinderspiel wiederholt. Zugleich mit diesem Feste wurde die Sklaverei gänzlich aufgehoben, welche, vermöge eines Vertrages bei der Unabhängigkeits-Erklärung, noch zehn Jahre länger, nämlich bis 1864, hätte dauern sollen.

[S. 136]

Am 22. März ging ich Abends 5 Uhr mit dem Postboten in einem kleinen Boote nach dem Städtchen Bodegas ab.

Man hatte mich zu überreden gesucht, einen Diener mitzunehmen, besonders weil ich der Spanischen Sprache nicht mächtig sei, und weil in den Gebirgen während der Regenzeit, wo jeder Verkehr unterbrochen ist, die Tambos (Schenken) unbewohnt wären; die Leute gingen für diese Zeit in die Niederungen, ich könnte daher weder einen Trunk Wasser, noch Feuer oder sonst etwas bekommen. Trotz meinem Abscheu gegen solche Diener ließ ich mich leider dazu bewegen — die Folge zeigte, daß ich auch dießmal Unrecht hatte, nachzugeben.

Bodegas liegt 15 Leguas stromaufwärts an dem Flusse Guaya. Wir hatten eine häßliche Nacht: es war stockfinster und der Regen strömte unausgesetzt auf uns herab.

23. März. Nachmittags landeten wir an der Treppe des ersten Beamten von Bodegas. Das ganze Städtchen steht während der Regenzeit so tief unter Wasser, daß man in Booten von einem Hause zum andern fährt. Die Häuser sind auf Pfähle gebaut.

Als ich die wenigen Stufen hinan stieg, hob ein Neger mein kleines Gepäck aus dem Boote und trug es mir nach; ich hielt ihn für den Diener des Hauses.[S. 137] Kaum hatte er es jedoch abgelegt, so verlangte er zwei Realen[16] für diese unbedeutende Mühe. Der Beamte so wie mein Diener hörten dieß unverschämte Begehren; allein weder der eine noch der andere machten die geringste Einwendung: weil das Zahlen nur mich und nicht sie anging, waren sie zu träge, den Mund zu öffnen. Ich erzähle absichtlich dergleichen Prellereien und Betrügereien, um meinen Lesern einen Begriff von diesem abscheulichen Volke zu geben, und zugleich zu beweisen, daß ich Recht habe, wenn ich behaupte, mich als einzelne, schutzlose Frau unter den Wilden überall besser befunden zu haben, als unter Christen. Ueberall, wo ich hinkam, hieß es zwar in diesem Lande: „Pobrezita Sennorita;“ dabei war man aber schon bedacht, wie man dieser „armen Frau“ ihr bischen Geld abnehmen könnte.

So hatte ich z. B. einen Brief an einen Kaufmann in Bodegas, Herrn Verdesotto. Dieser Mann kam zu mir, und seine erste Frage war, ob ich einen Sattel habe. Als ich es verneinte, sagte er, ich müsse durchaus einen solchen haben, da man mir keinen mit den Maulthieren vermiethen werde; er besitze einen[S. 138] sehr guten, beinahe ganz neuen, den er mit einer Unze bezahlt habe; aus Rücksicht der Empfehlung wolle er ihn mir um die Hälfte überlassen. Als er sah, daß ich zu dem Handel nicht geneigt war, erklärte er, mich ohne Sattel nicht fortlassen zu können, und wollte mir denselben um acht Thaler geben. Ich bezahlte das Geld, und er sandte mir einen Sattel, der so schlecht, zerrissen und erbärmlich war, daß man ihn kaum mehr gebrauchen konnte[17]. Derselbe ehrliche Mann wollte mich auch noch um einen halben Thaler mehr betrügen. Er hatte für mich für den kommenden Tag ein Boot von hier nach Savanetta bestellt, sagte der Preis sei 2½ Thaler und verlangte im voraus das Geld. Zufällig erfuhr ich von dem Beamten, bei welchem ich wohnte, daß man nur zwei Thaler zu bezahlen habe; der Betrüger mußte mir daher einen halben Thaler wiedergeben.

In dem Hause des Beamten aß ich zum ersten Male nach der Landessitte. Das Mahl fing mit der Sopa an, einer Art Wassersuppe mit Fett, Kartoffeln und vielem rothen Pfeffer, dann kamen kleine Stückchen geröstetes Fleisch, Reis, geröstete Pisangs, und zum Schlusse Locro, ein Mittelding zwischen Sauce und Suppe, aus kleinen Fleischstückchen, Brod, Käse, ein[S. 139] Paar hart gekochten Eiern und rothem Pfeffer bestehend. Als Nachtisch fungirte eine Süßigkeit unter dem allgemeinen Namen Dulce (Früchte, zu einer Sulze in Zucker gekocht), ohne welche der Reichste wie der Aermste (den Indianer ausgenommen) keine Mahlzeit schließen kann; der Arme begnügt sich mit Syrup (Molasses); aber süß muß die Mahlzeit enden.

Zum Schlafen wurde mir eine Hängematte angewiesen; glücklicher Weise gab es keine Mosquitos, weshalb ich auch ohne Netz schlafen konnte.

Die Hängematten sind hier wie in Peru so beliebt und so im Gebrauche, daß eher jedes Möbel, nur dieses nicht, fehlen darf. Den ganzen Tag über wiegt sich alles in Hängematten, jeder Besucher trachtet einer solchen habhaft zu werden. Mädchen und Frauen verrichten sogar die Handarbeiten in schaukelnder Bewegung.

24. März. Savanetta, 5 Leguas. Von dem Postboten hatten wir uns schon gestern getrennt; dieser setzte seine Reise ohne Unterlaß fort.

Savanetta ist ein kleines, schmutziges Oertchen mit elend gebauten, strohgedeckten Bambushütten. Aus seinem Aeußeren würde man auf größte Armuth schließen; dessen ungeachtet soll sein Handel ziemlich bedeutend sein. Es ist der Hauptstapelplatz der Lebensmittel und Waaren, welche von und nach den Cordilleren[S. 140] gebracht werden. Die höher gelegenen Gegenden liefern hauptsächlich Kartoffeln, Butter, Käse, Schweinefett, Eier, Geflügel; auch die meisten Säcke zur Verpackung der Cacaobohnen werden in den Gebirgen verfertigt. Alles wird hier in kleine Boote oder auf Thiere geladen, erstere gehen auf dem Savanetta-Flusse nach dem Guaya, auf diesem nach Guayaquil, letztere mit Salz, Zucker, Kaffee und anderen Waaren nach Quito und anderen Gegenden.

Mädchen und Frauen sahen durch die Nachlässigkeit in der Kleidung ekelhaft aus. Sie tragen Kleider nach Französischem Schnitt, sind aber zu bequem, sich in die engen Leiber derselben zu pressen. Sie lassen sie lose herab fallen; eben so luftig hängt das Hemd über die Achseln. Die Leute kamen mir wie Megären vor. Die Negerinnen bedienen sich derselben Tracht, nie aber sah ich sie an einer Indianerin. Letztere tragen gefärbte wollene Röcke und ein drei Ellen langes, eine Elle breites Stück Wollenstoff, das sie gleich einem Shawl über den Obertheil des Körpers schlagen.

In der trockenen Jahreszeit macht man die Reise schon von Bodegas aus zu Lande; in der jetzigen aber ging es noch eine Legua über Savanetta hinaus zu Boot. Doch mußte ich hier Maulthiere miethen. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich, daß mich mein Diener betrogen hatte. Ich nahm ihn nach Quito, wohin er[S. 141] ohnedieß zu gehen hatte, unter der Bedingung mit, daß ich nur ein Maulthier für ihn, aber keins für sein Gepäck zu bezahlen habe. Als ich bei der Abreise von Guayaquil in dem Boote vieles Gepäck sah, sagte er, es gehöre nicht ihm; der Bootführer habe es da- oder dorthin zu bringen. Hier erwies es sich, daß es dem Schurken, meinem Diener gehörte, der nach Quito ging, um zu handeln. Er mußte für sein Gepäck ein Thier miethen, dessen Zahlung natürlich bei der meinigen eingerechnet wurde. Zum Glück kam die Reise doch nicht so hoch zu stehen, als ich dachte; der Preis per Maulthier bis Quito (62 Leguas) betrug nur zehn Thaler.

Die Nacht in Savanetta gehörte zu den schlechtesten, obwohl ich nicht ohne Empfehlungsbrief gekommen war. Ich fing schon früh an, einen geringen Begriff von der Gastfreundschaft dieses Landes zu bekommen. Sie steht bei weitem nicht auf dem Höhepunkt, auf welchem ich sie unter den Arabern, Beduinen oder den wilden Völkern Borneo’s und anderer Länder gefunden habe. In Bodegas betrog mich der eine, an den ich einen Brief hatte, mit dem Sattel, der andere, bei dem ich wohnte, wies mir eine Hängematte zum Schlafen an, während die Uebrigen vom Hause in Betten unter Mosquito-Netzen schliefen, und ließ mich Morgens, obwohl es schon gegen 9 Uhr war, ohne[S. 142] Imbiß aus seinem Hause ziehen. Hier mußte ich in eine Garküche gehen, um meinen Hunger zu stillen, und Nachts auf dem Boden schlafen, in einem Gemache mit vielen Leuten, die rund um mich ihre Mosquito-Netze aufzogen. Mir gab man keins, obwohl es hier ganze Schwärme dieser abscheulichen Thiere gab.

25. März. Playas, 4 Leguas. Erst um 9 Uhr kamen wir fort. Die erste Legua machten wir in einem kleinen Kahne, der von den Leuten mehr fortgestoßen und gezogen, als gerudert wurde. Dann ward meine Geduld noch eine ganze Stunde auf die Probe gestellt, bis die Thiere erschienen. Die Umgebung glich einem Sumpfe, wir setzten uns auf abgehauene Baumstämme und erwarteten so die Maulesel. Die ferneren drei Leguas waren zwar sehr schlecht: es ging beständig durch Morast und Wasser, allein der Beschreibung nach hatte ich es mir noch ärger vorgestellt. Eine große Entschädigung für den schlechten Weg bot mir der Anblick der schönen Waldungen, durch die wir ritten. Obgleich die Bäume weder sehr hoch noch sehr umfangreich waren, fand ich hier doch eine so reiche, herrliche Vegetation, eine solche Fülle der schönsten, mannigfaltigsten Flora, wie sie mir auf allen meinen Reisen nur in Brasilien vorgekommen ist. Wenn die Sonne nur einigermaßen durch das Gewölk drang, schwärmte sogleich eine große Anzahl der[S. 143] verschiedenartigsten, buntgefärbtesten Schmetterlinge und Libellen umher, sich scherzend verfolgend oder auf den Blumen wiegend. Einige dieser holden Schwärmer fielen mir zur Beute; wie ein tüchtiger Jäger nie ohne Gewehr, war ich nie ohne Schmetterlingsnetz, und da das Reiten sehr langsam ging, konnte ich, auf dem Maulthiere sitzend, gar manchen Gefangenen machen.

In Playas betrat ich zum ersten Male einen Tambo, d. h. eine Art Schenke, meistens eine erbärmliche Hütte, gerade groß genug, den Eigenthümer sammt Familie nebst einigen Gästen gegen das Unwetter zu schützen. In derlei Schenken findet der Arriero (Eseltreiber) ein Glas Branntwein, die Thiere Klee, der Reisende, wenn es gut geht, eine Portion Sopa. Wir waren nicht so glücklich. Die Bewohner hatten keine Reisenden erwartet und so wenig gekocht, daß sie uns nichts überlassen konnten. Ein zweites Mal ihre Kochkunst zu entfalten, dazu waren sie viel zu faul. Ich hatte Käse und Brod bei mir, an Wasser fehlte es nicht, und ich gab mich daher zufrieden. Für die Nacht mußte ich mit der offenen Veranda vorlieb nehmen, die das Wohngemach umgab.

26. März. Jorje, 6 Leguas. Heute erhielt ich schon einen richtigeren Begriff von den hiesigen Wegen in der Regenzeit, und fand es sehr natürlich, daß niemand reist, wenn nicht das wichtigste Geschäft[S. 144] ruft. Wir hatten viel bergauf zu steigen, das Erdreich war weich und lehmig, die Thiere glitten vor- und rückwärts aus, sanken von einem Loch in’s andere, von Pfütze in Pfütze; es galt noch als ein Glück, wenn Löcher und Pfützen nicht grundlos waren, und die Thiere sich herausarbeiten konnten; aber oft versanken sie so tief, daß man absteigen und ihnen die Lasten abnehmen mußte. Gerade an den schlechtesten Stellen hieß es: zu Fuße gehen. Ich kam kaum vorwärts, glitt und fiel fast bei jedem Schritte. Zwar rief ich meinen Diener; aber weil ich nur eine Frau war und seine Maulthiere leider schon bezahlt hatte, ging er ruhig seines Weges und überließ mich meinem Schicksale. Einer der Arrieros, ein Indianer, nahm sich meiner an, zog mich aus den Pfützen und half mir fort. Wir hatten zu einer Legua durchschnittlich zwei starke Stunden nöthig. Auch mehrere Gießbäche warfen sich über den Weg; sie waren jetzt tief und reißend, mitunter höchst gefährlich; im Sommer soll von den meisten das Flußbett kaum benetzt sein.

Die Gegend war schön: man hatte herrliche Ueberblicke üppiger Gebirgsthäler, von Hügeln durchzogen und von den ersten Ketten der Cordilleren umschlossen.

In dem Tambo zu Jorje fand ich ausnahmsweise ein gedieltes Zimmer zum Schlafen und eine Sopa. Alles war zwar ekelhaft und schmutzig; aber das muß[S. 145] man in diesen Ländern nicht so genau nehmen, und dem Himmel danken, wenn man ein Obdach und ein dampfendes Gericht findet, besonders in solcher Jahreszeit, wo die Tambos häufig geschlossen oder die Leute auf den Besuch der Reisenden nicht vorbereitet sind.

Wir waren diesen Tag so unvorsichtig gewesen, unserem Arriero voraus zu reiten; zur Strafe hatte ich für die Nacht nichts von meinem Gepäcke, nicht einmal meine wollene Decke; ich vermochte kaum zu schlafen vor Kälte, die hier Nachts schon sehr empfindlich ist. Die beladenen Thiere konnten der gräßlichen Wege halber nicht bis Jorje gelangen.

27. März. Bogia, 2 Leguas. Diesen Morgen kamen wir erst nach 9 Uhr fort, da wir unsere Thiere erwarten mußten. Die Wege waren heute noch schrecklicher als gestern; wir hatten den sehr bedeutenden Berg Angos zu ersteigen. Glücklicher Weise trafen wir zu Jorje einen Zug leer gehender Thiere, die demselben Eigenthümer gehörten, von welchem wir die unseren gemiethet hatten. Das Gepäck wurde abgetheilt und den leeren Thieren aufgebürdet. Trotz dieser Abhilfe verzweifelten die Leute beinahe, an einigen Stellen durchzukommen. Nachdem wir die Hälfte des Berges erstiegen hatten, wozu wir sieben Stunden benöthigten, wurde beschlossen, in dem ersten besten[S. 146] Tambo einzukehren, weil weder wir noch die Thiere weiter konnten.

Ich kam so durchaus beschmutzt an, daß ich aussah, als hätte ich ein Schlammbad genommen. Die Schuhe nebst dem Regenmantel gab ich meinem Diener, sie zu reinigen; allein er ließ sie liegen und that mir durchaus keine Dienste. Es war gerade, als hätte ich ihn nur mitgenommen, um das Vergnügen zu haben, seine Maulthiere und seine Kost zu bezahlen. Ich mußte Schuhe und Mantel selbst waschen, und konnte mir sogar das hierzu nöthige Wasser nur mit Mühe verschaffen, denn obwohl in diesen Gegenden überall der größte Ueberfluß an Holz und Wasser ist, findet man davon in den Hütten doch keine Vorräthe. Die Trägheit der Leute geht so weit, daß sie nicht einmal hinein schaffen, was vor der Thüre liegt. Das Wasser holen sie in Töpfen, die kaum zwei Flaschen enthalten; ein größeres Gefäß zu tragen, wäre schon eine viel zu beschwerliche Arbeit. Zum Waschen der Hände und des Gesichts erhält man höchstens eine kleine Tasse voll. Ich sah nicht selten die Kartoffeln in dem Wasser waschen, in welchem die Leute erst sich selbst, dann das Kochgeschirr gereinigt hatten. Eben so sparsam wird mit dem Holze umgegangen. An ein Trocknen der durchnäßten Kleidung ist nicht zu denken,[S. 147] da kaum so viel Feuer vorhanden ist, um die Sopa zu kochen.

Der Tambo Bogia war einer der schlechtesten. Die Hütte hatte kaum Raum für die Familie und die Feuerstelle. Ich mußte mein Quartier vor der Hütte auf einer hölzernen Bank aufschlagen. Gewöhnlich springt das Dach so weit vor, daß man gegen den Regen geschützt ist, was wir wahrhaftig sehr nöthig hatten, denn Regen war auf dieser Reise unser steter Begleiter. Selten zerstoben die schweren Wolken auf Augenblicke und ließen uns die wundervollen Naturschönheiten gewahren. Welch’ entzückende Gebirgswelt! Welche Massen von Bergen und Bergketten. Die niedlichsten, üppigsten Thäler lagerten dazwischen, oft tief, tief unter uns. Das Geräusch der tosenden Wildbäche schlug nicht einmal an unser Ohr, wir sahen nur den Lichtstreifen in der Tiefe, gleich einem Silberfaden. Was für einen hinreißenden Zauber muß diese Reise in schöner Jahreszeit entfalten! Entschädigten mich doch jetzt die seltenen Momente der Anschauung überreich für die unzähligen Mühen und Leiden. —

Diese Nacht um 11 Uhr fühlte ich vier gleichmäßige Erdstöße von Süden nach Norden; sie folgten ziemlich rasch auf einander; kaum hatte ich Zeit, zur Ueberzeugung zu gelangen, daß es ein Erdbeben sei. Ich sprang von meinem Lager auf — in demselben[S. 148] Augenblicke stürzten die Einwohner unter dem Rufe „Misericordia!“ aus der Hütte und warfen sich auf die Kniee.

Nach überstandener Gefahr sagten sie mir, daß dieses Erdbeben wie zwei andere, die sie kürzlich verspürten, von dem Vulkane Cotopaxi herrühre, welcher gegenwärtig so thätig sei, wie er es seit 57 Jahren nicht gewesen.

28. März. Tamboco, 6 Leguas. Lange ging es noch den Angos hinauf — wir hatten heute wie gestern zu steigen. Einen Theil des Weges nannte man „Camino real.“ Ein ähnlich schlechter, unausgesetzt halsbrecherischer Weg wie dieser ist mir nirgends vorgekommen. Ich stieg oft von meinem Thiere ab, und mußte, um nicht fortwährend zu gleiten, gleich den Indianern mit bloßen Füßen gehen — eine unangenehme Aufgabe, da es beständig regnete und kalt war. Besonders eisig waren die Gebirgswässer, die sich respektlos über den „königlichen Weg“ ergossen.

Statt schöner Aussichten umhüllten uns Nebel und Wolken. Bald senkten sie sich in dichten Massen auf uns nieder, daß wir kaum dreißig Schritt weit sehen konnten, bald ließen sie die Höhen etwas freier, verdeckten dagegen die Tiefe unter uns. Zuweilen zerriß wohl auch das graue Leichentuch, und wie durch[S. 149] Fensterchen sahen wir dann auf die blühenden, in der Sonne erglänzenden Landschaften. Besonders reizend war dieses Bild durch den auffallend bezeichneten Uebergang der Vegetation von der tropischen Zone in die gemäßigte; hier wucherten die Palme, der Kaffee- und Cacaobaum, die Banane, das saftige Zuckerrohr, etwas höher hinauf erinnerten mich die mit Getreide, Kartoffeln, Feldbohnen, Klee[18] bepflanzten Felder an meine Heimath.

Wenn man so schöne, reiche Gegenden sieht, sollte man meinen, die Bewohner müßten damit übereinstimmen — leider ist dieß hier weniger der Fall als irgendwo. Die erbärmlichen Hütten des Volkes sind von Strauchwerk geflochten, mit Erde überworfen; keine Oeffnung außer dem Eingange verbreitet Licht über die grenzenlose innere Dürftigkeit. Da gibt es weder Betten noch Hausgeräth, noch Kisten und Körbe, da die Leute nichts zu bewahren haben. Sie schlafen entweder auf dem nackten Erdboden oder höchstens auf einem Bambus-Gestelle mit einer Strohmatte überlegt, in den einzigen Kleidungsstücken, die sie besitzen, und die sie so lange tragen, bis sie als Lumpen vom Körper fallen. So dürftig wie ihre Wohnung und Kleidung ist ihre Nahrung. Sie leben durchgehends schlecht,[S. 150] die Indianer beinahe ausschließend nur von Gerste, die sie ein wenig rösten und zu Pulver stoßen. Dieses Mehl essen sie für gewöhnlich ohne alle Beimischung in trockenem Zustande, oder sie rühren es mit Wasser ab und trinken es. Wenn sie auf einige Zeit vom Hause gehen, nehmen sie nichts mit als solches Mehl in einem ledernen Sacke. Auch der wohlhabende Alt-Spanier genießt es zuweilen, mischt dann aber gewöhnlich etwas Zucker bei, wodurch es einen ziemlich guten Geschmack erhält. Auf langen Reisen nimmt er es gleichfalls mit, und mischt dann nebst Zucker zerriebenen Cacao und Zimmet bei. Auf diese Art bereitet, ist es nicht nur ein sehr schmackhaftes, sondern auch ein sehr gesundes und nahrhaftes Gericht. Man braucht wenig Raum, um es mitzuführen und weder Feuer noch Topf zum Kochen. Der Soldat auf Märschen hat selten eine andere Nahrung als Gerstenmehl.

Daß die Indianer die Parias dieses Landes sind, ist leicht begreiflich; aber selbst bei den Alt-Spanischen Bauern, ja sogar bei den Hazienda-Besitzern sieht man selten äußerlich anscheinende Wohlhabenheit. Und doch stehen sich viele, z. B. die Eigenthümer von Tambos, gewiß nicht so schlecht, um in einem so elenden Zustande zu leben. Sie lassen sich ihre Sopa, ihren Klee verhältnißmäßig sehr gut bezahlen. Sie begehren für ein paar Löffel dieser erbärmlichen Wassersuppe,[S. 151] die nichts als einige Kartoffeln und etwas rothen Pfeffer enthält, einen Medio[19], eben so viel für die Fütterung eines Maulthieres. Im Sommer nehmen sie des Tages oft mehrere Thaler ein, ohne Ausgaben zu haben, denn jeder Wirth ist zugleich der Erzeuger der Produkte, die er verkauft.

Diesen Nachmittag stieß ein kleiner Trupp von acht Llamas zu uns. Ich fühlte mich ganz glücklich, diese lieben Thiere mit ihren schlanken Hälsen, ihrer stolzen Haltung, ihren sanften Augen um mich zu sehen. Ich schreibe meine Vorliebe für die Llamas der Geschichte Robinson Crusoe’s zu, die ich als Kind gelesen. In Verbindung mit dieser Geschichte kehrten bei dem Anblicke dieser Thiere die Erinnerungen meiner frühen Jugend in mein Gedächtniß zurück.

Der Tambo zu Tamboco war im Vergleich zu dem vorigen ein Palast. Er war aus ungebrannten Ziegeln erbaut und bestand aus einem großen Gemache mit einem halben Dutzend hölzerner Schragen zum Schlafen. Ein Theil des Gemaches diente zwar zur Bewahrung der Feldgeräthschaften, und das ganze war voll Schmutz und Unrath; doch war man vor Wind und Wetter wohl geschützt und nicht gezwungen, mit den Tambo-Besitzern in Gemeinschaft zu leben.

Eine sonderbare Sitte herrscht in diesem Lande.[S. 152] In den Tambos, wo man übernachtet und Abends etwas genießt, muß man sogleich bezahlen, da der Wirth dem Gaste nicht bis zur Abreise traut, obgleich er dessen Thier nebst der Ladung unter seinen Händen hat, ein Beweis, welche hohe Meinung die Leute selbst von einander haben.

29. März. Guaranda, 5 Leguas. Heute gab es nur hie und da schlechte Stellen; der größte Theil des Weges war ziemlich gut. Wir waren nun der schönen Gebirgskette, deren Haupt der Chimborazo ist, schon ganz nahe; allein Nebel und Wolken hielten uns den edlen Ahnherrn sammt seiner riesigen Verwandtschaft gänzlich verborgen. Wir mußten uns mit dem Anblicke der nahen Thäler begnügen, deren Hügelreihen mit den üppigsten Pflanzungen prangten.

Der Pueblo (Markt, Dorf) Guaranda liegt in einem schönen, beinahe zirkelrunden Thale, am Fuße des Chimborazo. Ich stieg hier bei einem ziemlich wohlhabenden Hazienda-Besitzer ab und wurde freundlich aufgenommen.

Ich kam gerade zu einer kleinen Feierlichkeit zurecht; es wurde ein acht Monate altes Kind reicher Leute begraben. Da in kleinen Orten alles Aufsehen erregt und das Volk erscheinen macht, besonders in einem Lande wie dieses, wo die Leute an Arbeiten nicht gewöhnt sind und daher Zeit genug haben, so[S. 153] sah ich bei dieser Gelegenheit die schöne und unschöne Welt vereint. Das Kindchen saß in einer Art kleiner Loge, die mit weißem Musselin drapirt, mit Gold- und Silberfransen und Blumen verziert war, und mittelst Stangen getragen wurde. Der Kopf des Kindes war durch eine Schlinge um den Hals an den oberen Theil der Loge befestigt, aber so lose, daß er hin und her schwankte. Dieß machte einen abscheulichen Eindruck, denn es sah aus, als wäre das Kindchen aufgehangen. Dem Zuge folgte Musik, aus zwei Violinen und einer Harfe bestehend, welch’ letztere auf den Rücken zweier Jungen ruhte. Der Spieler riß von Zeit zu Zeit einen jämmerlich klingenden Accord herunter. Auf dem Friedhofe wurde das Kind in einen kleinen Sarg gelegt.

Die Leute sahen hier schon viel blühender aus als in der heißen Gegend von Guayaquil. Die Kinder besonders waren mit ihren rothen Backen, den großen, feurigen Augen gar hübsch anzusehen. Auch an schönen Frauen und Mädchen gab es keinen Mangel, besonders unter der wohlhabenden Klasse. Die reinen Indianer sind gerade nicht hübsch, doch auch nicht unangenehm. Der Kopf ist ein klein wenig zusammen geschoben, der Körper gedrungen, die Augen bei vielen etwas schmal geschlitzt (doch haben sie mitunter auch schöne Augen), die Nase etwas breit, aber bei weitem nicht so gequetscht, wie bei den Malaien.[S. 154] Auch der Mund ist nicht gar so groß und häßlich wie der Malaische, die Zahnkiefer sind gut geformt, die Zähne glänzend weiß. Ihre Hautfarbe ist schmutzig bräunlich-gelb. Am meisten entstellt sie das Haar, welches in größter Unordnung um das Gesicht flattert; hätten sie es besser geordnet, so würden sie sich im ganzen nicht übel ausnehmen.

Die Kleidung der Alt-Spanier, desgleichen der Indianer, ist wie in Peru. Die Frauen und Mädchen tragen hier Umschlagetücher, die zugleich den Kopf und das halbe Gesicht verbergen. Sogar zu Hause lieben sie es, ihren höchst nachlässigen Anzug mit solch einem Tuche zu bedecken. Sie sind beständig so eingewickelt, daß sie kaum die Hände gebrauchen können. Freilich haben sie dieß auch nicht nöthig, denn arbeiten ist nicht ihre Leidenschaft. Ich sah bei Familien, in welchen es drei bis vier erwachsene Töchter gab, Kleider und Wäsche in dem elendesten Zustande, die Kinder in Lumpen herum laufen, mit nackten Füßen oder ganz zerrissenen Schuhen; man hätte sie für Bettelkinder halten können. Dergleichen beleidigt das Auge der Leute nicht, weder Mütter noch Töchter gewahrte ich je beschäftigt, zerrissene Wäsche oder Kleidungsstücke auszubessern; dagegen ist das Hemd oft oben und unten mühsam ausgenäht und gestickt, welche nutzlose Arbeit sich bis auf die Polsterüberzüge, ja bis auf die Handtücher erstreckt.

[S. 155]

In Guaranda war ich genöthigt, die Thiere zu wechseln. Man muß sich nie bereden lassen, dieselben Thiere von Savanetta bis Quito zu behalten, außer man ruht hie und da einen Tag aus, denn mit abgematteten Thieren ist es nicht möglich, den Uebergang über den Chimborazo zu machen.

30. März. Der heutige Tag gehörte unter die besonders merkwürdigen meines Lebens; ich überstieg die Riesenkette der Cordilleren oder Anden an einem der interessantesten Punkte, dem Chimborazo. Zur Zeit, als ich jung war, galt dieser Berg für den höchsten der Welt (21,000 Fuß); seit man aber die Spitzen des Himalaja-Gebirges in Asien gemessen, ist er in die zweite Klasse getreten.

Wir brachen sehr zeitlich auf, da wir elf Leguas auf theilweise schrecklichen Wegen, beinahe unausgesetzt bergan, zu machen hatten. Vor diesen elf Leguas gab es kein Obdach für die Nacht.

Zu Anfang war der Weg wirklich fürchterlich, ich sah mich abermals genöthigt, auf den schlechtesten Parthien vom Maulthier zu steigen und zu Fuß zu gehen, was mir um so beschwerlicher fiel, als die kalte Gebirgsluft sehr auf meine Brust wirkte. Ich fühlte große Beängstigungen, Athemlosigkeit und Zittern am Körper — ich fürchtete jeden Augenblick, hinzusinken; allein es hieß: Vorwärts, und nur mit der größten[S. 156] Mühe schleppte ich mich fort durch Koth und Schlamm, durch Gießbäche, Löcher, Sümpfe und über Gestein. Wenn ich mich schon auf der Höhe befunden hätte, würde ich mein Uebelbefinden der zu feinen Luft zugeschrieben haben, die bei vielen dieselbe Erscheinung bewirkt. Man nennt dieses Uebel „Veta.“ Es währt bei manchen nur einige Tage, bei anderen, wenn sie auf den Höhen verbleiben, wohl auch einige Wochen.

Nach den ersten zwei Leguas fing der Weg an, mehr felsig und steinig zu werden; ich konnte dann wenigstens auf meinem Thiere sitzen bleiben. Wir hatten fortwährend Regengüsse, Schauer, sogar einen kurzen Schneefall. Der Schnee löste sich sogleich auf, als er die Erde berührte; nur an sehr wenig Stellen blieb er liegen; ich kann daher doch sagen, daß ich über Schnee ging. Die Wolken und Nebel lüfteten sich leider kein einziges Mal; ich bekam die Kuppe des Chimborazo nicht zu sehen, ein Unglück, das mir noch ungleich empfindlicher war, als mein körperliches Leiden.

Bis auf den höchsten Punkt des Ueberganges rechnet man von Guaranda sechs Leguas. Der Rücken des Berges bildet da eine kleine Ebene von ein paar hundert Schritten, die von allen Seiten abfällt, die Nordseite ausgenommen, auf welcher die Kuppe des Chimborazo beinahe senkrecht emporsteigt.

[S. 157]

Auf dieser kleinen Hochebene ist ein Haufen Steine zusammengeworfen, nach einigen als Zeichen, daß man hier den Höhenpunkt des Ueberganges erreicht habe, nach andern als Denkmal eines Mordes, der hier im vorigen Jahre an einem Engländer verübt wurde. Dieser Mann ging von einem Arriero allein begleitet über die Cordilleren. Wahrscheinlich wäre ihm nichts widerfahren, hätte er nicht die Unvorsichtigkeit gehabt, bei jeder Gelegenheit, wo es etwas zu zahlen gab, seine mit Gold wohlgefüllte Börse sehen zu lassen. Diesem Schimmer konnte der Führer nicht widerstehen, und als er sich mit dem Krösus in dieser verlassenen Gegend allein sah, schlug er ihn von rückwärts mit einem großen, in ein Tuch gewickelten Stein (gewöhnliche Art des Todtschlags hier zu Lande) auf’s Haupt. Die Leiche verbarg er im Schnee. That und Thäter wurden jedoch bald entdeckt, letzterer durch das Gold, von welchem er einige Stücke wechseln ließ.

Ich stieg, obwohl im höchsten Grade ermüdet, von meinem Thiere ab, trug einen Stein herbei und fügte ihn dem Denkmale hinzu; ich dachte: der Stein wird noch da ruhen, wenn meine Gebeine schon längst in Staub verwandelt sind. Dann kletterte ich an der Westseite des Berges hinab, bis ich Wasser fand, füllte damit meinen Becher, trank einige Mund voll, eilte mit dem Rest auf die Ostseite und goß ihn in das[S. 158] erste Bächlein. Dasselbe that ich mit einem Becher Wasser von der Ostseite des Berges. Ich hatte in den Reisen des Herrn v. Tschudi gelesen, daß er dieß auf der Wasserscheide bei Passeo de serro auf den Cordilleren gethan habe. Der Gedanke, daß ein Becher Wasser, der nach dem stillen Meere fließen sollte, auf diese Art nach dem atlantischen Ocean floß, und so umgekehrt, machte ihm Vergnügen und gefiel auch mir so gut, daß ich ihn gleichfalls in Ausführung brachte[20].

Die Höhe des Ueberganges konnte ich nicht mit Bestimmtheit erfahren; die einen gaben 14,000, die andern 16,000 Fuß an. Ich möchte sie auf nicht ganz 15,000 schätzen. Die Schneelinie wird unter dem Aequator auf 15,000 Fuß gerechnet. Wir kamen über kein eigentliches Schneefeld, hätten jedoch, um zur ewigen Schneelinie zu gelangen, höchstens noch zwei- bis dreihundert Fuß zu steigen gehabt; sie lag ganz nahe an unserer Seite. Der Thermometer stand auf Null (Réaumur).

Die Vegetation hört nur auf dieser kleinen Hochebene gänzlich auf. Bis drei Leguas von Guaranda[S. 159] findet man Feldbau, dann folgen magere Waldungen mit vielen schönen Blumen. Farrenbäume, wie auf den Höhen von Sumatra oder Java, fand ich nirgends; das höchste Farrenkraut maß hier nur drei Fuß. Dagegen rankten sich noch sehr verkrüppelte, dünne Bäumchen bis zu einer Höhe von 14,000 Fuß, aber nur auf der Westseite; auf der Ostseite zeigte sich lange kein Baum. Die Bäumchen hatten ein merkwürdiges Aussehen: sie waren beinahe von Rinde ganz entblößt und trugen gar kein Moos.

Auf der kleinen Hochebene des Chimborazo herrschen häufig rauhe, sehr heftige Winde, die dem Reisenden Sand und Steinchen in großer Menge in das Gesicht werfen. Man bindet deshalb gewöhnlich eine seidene Maske vor, die an den Augenstellen mit Gläsern versehen ist. In den Monaten August und September ist der Uebergang mitunter sogar lebensgefährlich: plötzliche Winde kommen nicht selten mit solcher Kraft, daß sie die Maulthiere sammt der Last in die Luft führen und weit vom Platze erst wieder zur Erde setzen.

Von dieser Hochebene bis zur Nachtstation Chacquiporgo, einem einzelnen, elenden Hause, rechnet man noch fünf Leguas. Die Wege waren nun gut, es ging zeitweise sachte nach abwärts oder über Hügelland; allein der beständige Regen, die kalten Winde[S. 160] machten diesen Ritt im höchsten Grade unangenehm. In meinem Leben kam ich nie so gänzlich erschöpft an, wie diesen Abend. Ich litt sehr von Brustbeschwerden, dabei klapperten mir die Zähne vor Kälte, ich war so steif und starr, daß ich mich nur mit Mühe von meinem Maulthiere bis zur Schlafstelle schleppen konnte. Obgleich von Koth und Schmutz ganz bedeckt, Gesicht und Hände nicht ausgenommen, fühlte ich mich unfähig, mir selbst Wasser zu holen, mein Diener brachte mir keins, ich sank hin auf die hölzerne Lagerstätte und hüllte mich in meinen Mantel. Doch fand ich wenig Erholung, die Brustbeschwerden zwangen mich oft, aufzusitzen. Erst nach einigen Stunden war ich im Stande, einige Bissen Brot und Käse zu mir zu nehmen. Ich erhielt nichts Warmes, weder zu essen noch zu trinken; auch Morgens mußte ich ohne warmen Imbiß weiter ziehen. In der Winterszeit hält sich kein Wirth hier auf, denn es reist Niemand.

Das Haus Chacquiporgo auf dem Chimborazo ist das einzige Gebäude, welches zwischen Guayaquil und Quito von der Regierung für Reisende errichtet ist. Es besteht aus zwei Gemächern mit einigen hölzernen Schlafstellen und Bänken und einem großen Raume für die Arrieros. In keinem Lande der Welt, von allen, die ich bisher bereiste, sah ich so wenig, oder, besser gesagt, nichts für Reisende gethan,[S. 161] wie in diesem. Die Tambos sind so über alle Maßen klein und unsauber, daß man sie für Schweineställe und nicht für menschliche Wohnungen halten möchte. Der Reisende findet darin nichts weiter, als ein Obdach gegen Regen und Sturm und, wenn es gut geht, zum Imbiß die elende Sopa. Dem armen Arriero ist in den Tambos nicht einmal ein Plätzchen gegönnt; er kann von Glück sagen, wenn er neben dem Tambo ein Dach findet, das auf vier Pfählen ohne Seitenwände ruht. Sein Loos ist wirklich bedauernswerth. Den ganzen Tag muß er auf den schrecklichsten Wegen neben seinen Thieren herlaufen; kommt er Abends an, und hat er die Thiere abgeladen, so muß er fort, das Futter für sie zu schneiden (der Wirth thut dieß nicht; nur in Ortschaften, wo die Kleefelder entfernter sind, findet man den Klee in gebundenen Büscheln). Hat er sein Tagwerk vollbracht, so kann er sich auf die nasse Erde hinstrecken, mit seinem zerrissenen Poncho bedecken und seinen Hunger mit Gerstenmehl stillen.

Nicht minder bemitleidete ich die armen Lastthiere. Man nennt Lima „die Hölle der Esel;“ man kann diesen Namen auf ganz Peru und Ecuador ausdehnen, und nicht nur auf die Esel allein, sondern auch in Bezug auf Maulthiere, Pferde und Arrieros anwenden.

Man beladet hier z. B. ein Maulthier, ein Pferd[S. 162] mit acht bis zehn Arobas (eine Aroba = 25 Pfund), einen Esel mit vier bis sechs. Die Ladung muß hinauf, die Thiere mögen auf Rücken und Seiten ganz wund sein, das kümmert nicht. Eines Tages empfand ich während des Reitens einen beständigen, starken, unangenehmen Geruch; als ich Abends abgestiegen war, fand ich mein Kleid voll Blut, das von einer Wunde meines armen Thieres herrührte. Ich sah mehrmals auf schlechten Wegen zwei Personen auf einem Pferde oder Maulthiere, auch wohl auf einem Esel sitzen.

Wie ganz anders sorgt der Türke, der Perser, der Hindu, ja sogar der Kannibale auf Sumatra (der Battaker) für Reisende und Thiere. In den Karavansereien der Türken und Perser, in den Serai’s der Hindu findet der Reisende ein Kämmerchen für sich, der Treiber ein gleiches mit seinen Gefährten, die Thiere einen gedeckten Stall; der Battaker hat in jedem Dorfe Hütten (Soppo) für die Reisenden errichtet. Und diese Hütten sind ohne Unterschied dem Eingebornen wie dem Fremdlinge geöffnet, ohne daß er dafür etwas zu bezahlen hat. Wie höchst nöthig wären nicht dergleichen menschenfreundliche Anstalten zwischen Guayaquil und Quito, einer Straße, die von vielen Reisenden begangen wird, auf welcher im Sommer täglich große Züge von Lastthieren verkehren! Und mit wie geringen Kosten könnten mehrere hölzerne Häuser aufgeführt[S. 163] werden, in einem Lande, wie dieses, wo es nirgends an Baumaterial fehlt.

31. März. Ambato, 8 Leguas. Schon gestern fiel mir der merkwürdig grelle Unterschied zwischen der Ost- und Westseite der Cordilleren auf. Auf der Westseite ist das gebirgige Element vorherrschend, mit Klüften und Pässen und meistens schmalen Thälern, die wie zwischen die Berge eingeschoben erscheinen; dabei die üppigste Vegetation, Ebenen und Höhen mit den schönsten Waldungen, und die Berge selbst in bedeutender Höhe mit üppigen Feldern bedeckt. — Ganz anders ist es auf der Ostseite; Berge und Hügel werden von großen Hochebenen zurückgedrängt, die wegen ihrer geringen Vegetation das Auge durch ihre Einförmigkeit ermüden. Die schönen Wälder verschwinden, die Blumen sind seltener, und Haidegras, das jedes Thier verschmäht, bedeckt große Strecken. Drei Leguas von dem Uebergangspunkte entfernt, sah ich wohl schon wieder in den Tiefen hie und da kleine Viehheerden weiden; den ersten Anbau fand ich aber erst sieben Leguas hinter dem Uebergangspunkte. Eine Strecke von neun bis zehn Leguas ist daher unangebautes Land, von welchem jedoch gewiß ein großer Theil urbar gemacht werden könnte, wäre die Bevölkerung nicht so geringe.

[S. 164]

Wir ritten heute viel zwischen Alleen von Kaktus und Aloe. Die Kaktus wachsen hier zu einer Höhe von acht bis zehn Fuß; die Aloes glichen jenen, die ich um Neapel gesehen habe; der Blüthenstamm schoß aus der Mitte der Blätter zu einer Höhe von einigen zwanzig Fuß.

Die Hochebene von Ambato gehört zu den schönen; sie ist von dem Chimborazo, dem Tungaragua und andern majestätischen Bergen eingefaßt. Die Temperatur ist hier schon wieder so mild, daß die Banane und andere südliche Früchte vorkommen.

Das Städtchen Ambato liegt in einem Kessel dieser Hochebene und gewährt, von der Höhe gesehen, mit seinen Gärten und Fruchtbäumen, die es von allen Seiten umsäumen und durchschneiden, einen wahrhaft überraschenden Anblick. Ich hielt mein Thier mehrmals an und betrachtete mit Vergnügen das liebliche Bild. Das Städtchen ist ungemein ausgedehnt, die Häuser sind jedoch über alle Beschreibung erbärmlich und klein, da die meisten gar keine Fenster und nur eine Thür haben; erst gegen den Platz zu gestaltet sich das Ganze ein wenig besser.

Ich stieg hier ebenfalls bei einem Hazienda-Besitzer ab. Die guten Leute verstehen noch nicht, daß man einem Reisenden, besonders wenn er von Regen triefend[S. 165] ankommt, wie es mit mir der Fall war, ein Fleckchen anweist, wo er sich waschen und umkleiden kann. Hier bietet man ihm nicht einmal eine Erfrischung an, wenn man auch weiß, daß er vielleicht ein Dutzend Leguas mit leerem Magen gemacht hat. Er muß unter der Familie in seinen nassen, beschmutzten Kleidern oft zwei bis drei Stunden sitzen bleiben und mit Geduld die Mahlzeitstunde erwarten. Die Familie, die sich den ganzen Tag in den Hängematten schaukelt und die Zeit mit Schwatzen verbringt, ist froh, wenigstens ein neues Gesicht angaffen zu können. Bei mir, die ich der Spanischen Sprache nicht mächtig war, hatten sie wahrhaftig kein anderes Vergnügen.

1. April. Latacunga, 8 Leguas. Aus der Tiefe des Kessels steigend, gelangten wir an einen schönen Gebirgsfluß, der sich in eine natürliche Grotte verlor und nach einigen hundert Schritten wieder zum Vorschein kam. Einige tiefe Schluchten oder Erdspalten hatten wir auf lebensgefährlichen Brückchen zu überschreiten, andere zu durchziehen. In solchen Schluchten ist ein Zusammentreffen, selbst mit einzelnen Reitern, sehr unangenehm, da die Wege so schmal sind, daß gerade nur ein Thier Platz hat. Der Arriero schreit, pfeift und lärmt auch beständig, wenn er an einen solchen natürlichen Hohlweg gelangt, um sein Dasein so weit als möglich zu verkünden. Diese[S. 166] Stellen abgerechnet, war der Weg gut, und zum ersten Male trübte kein Regen unsere Tagereise.

Ein großer Theil der Hochebene von Ambato war kultivirt; Dörfer oder Hütten gab es jedoch nur sehr wenige. Der Tungaragua, der sich aus den Wolken immer mehr und mehr heraus arbeitete, stieg ohne Verbindung mit den andern Bergen als kolossaler Kegel majestätisch vor uns auf.

Von der Hochebene Ambato kamen wir in die noch weit bedeutendere und schönere von Latacunga, an deren Eingange das Städtchen gleichen Namens liegt. Den Chimborazo verliert man nun schon aus dem Gesichte, dagegen tauchen andere hohe Berge auf, unter welchen besonders der Cotopaxi und der Iliniza.

In Latacunga, einem gleich Ambato sehr ausgedehnten Neste, stieg ich ebenfalls wieder bei einem Hazienda-Besitzer ab. Ich wurde zwar überall freundlich aufgenommen, allein Morgens ließ man mich stets fortziehen, ohne mir auch nur eine Tasse Thee oder Chocolade zu reichen, obgleich die Morgen kalt, nebelig oder gar regnerisch waren, und man wohl wußte, daß ich oft bis Abend keinen Ort finden würde, wo ich einige Erfrischungen erhalten konnte.

Ich war nun schon viel mit Hazienda-Besitzern[S. 167] in Berührung gekommen, brachte ganze Tage unter ihnen zu und hatte daher Gelegenheit, ihre Lebensweise zu beobachten. Die Mehrzahl lebt in einer Unordnung, in einer Dürftigkeit und Unsauberkeit, die jede Beschreibung übertrifft. Ich ziehe das Haus eines nur einigermaßen bemittelten Deutschen Bauers den meisten dieser Hazienda’s vor. In ersterem findet man doch so viel Reinlichkeit, daß man sich mit Lust an den Tisch setzt, um das einfache, aber gut gekochte Mahl zu verzehren. Nicht so in den letzteren. Da wird der Tisch mit einem zerrissenen Tuche gedeckt, das vor Schmutzflecken kaum eine weiße Stelle mehr aufzuweisen hat. Auch an den anderen Tischgeräthschaften ist selten das Nöthigste vorhanden. So fand ich z. B. in einer Hazienda elf Personen an der Tafel, und ich glaube nicht, daß es drei ganze Bestecke der gemeinsten Art gab. Eine Person besaß einen Löffel, die andere eine Gabel, die dritte ein Messer. Hatte der Löffelbesitzer seine Suppe gegessen, so gab er den Löffel seinem Nachbar, eben so ging es mit Messer und Gabel; die Kinder aßen zum Theil mit den Fingern. Eine zerbrochene Waschkanne enthielt das Trinkwasser, ein Glas diente der ganzen Gesellschaft. Die Kinder kamen in zerlumpten Kleidern zu Tische, mit bloßen Füßen oder mit abgenützten Schuhen, mit beschmutzten Händen und Gesichtern; dabei hatten sie[S. 168] aber ein so hübsches, blühendes Aussehen, so feurige, schöne Augen, daß ich mit wahrem Vergnügen diesen bausbackigen Engelsköpfen zusah, wie sie einen Bissen nach dem andern mit wahrer Herzenslust verschlangen. Eine in Lumpen gehüllte Negerin oder ein paar kleine, halbnackte Negerkinder besorgten die Aufwartung bei Tische.

In demselben Hause wurde mir ein Zimmer zum Schlafen angewiesen, das Gott weiß wie lange nicht gereinigt worden war, und außer dem Bett nichts als zwei zerbrochene Stühle nebst dem Fragmente eines Tischchens enthielt. Alles, was ich benöthigte, mußte ich begehren; ich fand nicht einmal Wasser, und als man es mir brachte, mußte ich vor die Thür gehen, mich zu waschen, denn ein Waschbecken war nicht vorhanden.

In einem andern Hause lag ich kaum ein halbes Stündchen im Bette, so sprang ich wieder heraus — ich war im vollsten Sinne des Wortes von Ungeziefer bedeckt. Die ganze Nacht brachte ich auf einem Stuhle zu, und Morgens war ich so voll rother Flecke, als hätte ich einen Ausschlag bekommen. Und beinahe in jedem Hause traf ich eine, auch mehrere erwachsene Töchter, die ohne große Mühe das Hauswesen in guter Ordnung hätten halten können. Allein das ist nicht[S. 169] ihre Sache. Das große Tuch um Kopf, Schultern und Arm geworfen, sitzen sie den ganzen Tag umher, und stehlen, wie wir Deutsche sagen, unserem lieben Gott die Zeit. Bei der grenzenlosen Bettelhaftigkeit einerseits findet man andererseits mitunter einigen Luxus zur Schau gestellt. In einem Hause war der Empfangssaal mit Teppichen, Spiegeln u. s. w. geschmückt, in einem andern fand ich ein ziemlich gutes Klavier, eine sehr schöne Englische Reiseschatulle — alles Gegenstände, die hier sehr hoch kommen, da man sie mühsam über die Gebirge schleppen muß. Die Frauen, die Töchter zeigten mir kostbare Kleider, Chinesische Shawls u. s. w. Mich wunderte dieß um so mehr, als die Hazienda-Besitzer hier zu Land durchschnittlich nicht sehr wohlhabend sind. Sie besitzen wohl viel Grund; aber es fehlt an Märkten und an Straßen. Große Städte gibt es nicht, und die Wege sind so schlecht, daß es kaum die Mühe lohnt, Lebensmittel drei bis vier Tagereisen weit zu senden.

2. April. Machacha, 11 Leguas. Heute ging es fortgesetzt auf der Hochebene von Latacunga. Die Wege waren sehr gut und führten größtentheils zwischen Hecken von Kaktus und Aloe, reich untermischt mit schönen Blumen, hindurch. Umfaßt von dem Kranze der herrlichsten Gebirge, von welchen, wie bemerkt, der Cotopaxi und Iliniza die hervorragendsten, würde diese[S. 170] Hochebene entzückend schön sein, hätte die eigensinnige Natur nicht zwei Hauptsachen vergessen: Waldparthien und Wasser. Kultivirt ist wenig; es mag wohl an Händen fehlen. Der Boden scheint auch nicht aus so fetter Erde zu bestehen, wie auf der Westseite der Cordilleren. Der größere Theil des Thales zeigt wohl ein frisches, saftiges Grün; doch gibt es auch viel Staub und Sand und genug Strecken voll großer Steine und Felsstücke, die gewiß einst der Cotopaxi in seiner Wuth rings umher geschleudert hat. Dieser Riesen-Vulkan hielt den ganzen Tag meine Aufmerksamkeit gefesselt. Die mächtigsten Rauchsäulen entwirbelten seinem Krater, umfangreichen Baumstämmen mit reichen Kronen, oder Aehren vergleichbar, oder in wild sich auf einander folgenden Wolken aufsteigend. Leider zerstoben die pittoresken Gebilde eben so schnell, als sie entstanden.

Der Cotopaxi war bis an den Krater mit einer leichten Schneedecke bekleidet; der ihm gegenüber stehende Iliniza aber prangte in einer so dichten, weißen Hülle, daß man sah, wie die Strahlen der Sonne keine Macht über ihn ausübten.

Die Nacht brachte ich sehr schlecht in einem Tambo zu.

3. April. Quito, 8 Leguas. Morgens, bevor[S. 171] ich das Maulthier bestieg, blickte ich noch einmal nach dem Vulkan zurück, um ihm Lebewohl zu sagen, denn der Weg leitete uns nun in die Hochebene von Quito. Der Feuerspeier schien meine Aufmerksamkeit dankbar anzuerkennen und lohnte mir mit einem prachtvollen Ausbruche. Dichte Rauchwolken wirbelten auf, das Feuer schlängelte sich gleich blitzenden Flammen hindurch, überstieg die Rauchwolken und senkte sich in einem dichten Regen zur Erde. Wie herrlich müßte dieses Schauspiel bei Nacht gewesen sein! Doch auch so war ich reichlich befriedigt, und dankte Gott, daß er mir gestattete, von vielen Wundern der Natur auch dieses zu erblicken.

Wenn man anstatt über Ambato über Riobamba nach Quito geht, kommt man dem Cotopaxi um vieles näher, und sieht bei dieser Gelegenheit die Ruinen dreier kleiner Gebäude, die noch aus den Zeiten der Inkas stammen. Der Zeichnung nach, die ich später zu Gesicht bekam, würde sich jedoch der Umweg nicht lohnen, am wenigsten in der Regenzeit.

Das Wetter war heute herrlich, die Wege trefflich, drei Leguas ausgenommen, welche wieder zu den sehr schlechten gehörten. Es gab Schluchten, steile Hügel, große Steine mitten auf dem Wege. Nicht einmal so nahe der Stadt sorgt die Regierung für[S. 172] einige Abhilfe. Für Wege und Brücken wird in diesem Lande gar nichts gethan. Findet man hie und da eine feste, gemauerte Brücke, einen etwas besseren Weg, so kann man versichert sein, daß sie noch aus den Zeiten der Spanischen Regierung rühren.

[16] Ein Thaler hat hier acht Realen, auf eine Unze gehen zwanzig bis einundzwanzig Thaler, je nach dem Kurse. Ein hiesiger Thaler ist um ein Fünftheil weniger werth, als ein Spanischer Thaler.

[17] In Quito gab man mir, im Umtausche gegen einen andern, einen halben Thaler dafür.

[18] Der Klee erreicht hier eine Höhe von 2½ Fuß.

[19] Auf einen Thaler gehen sechzehn Medios.

[20] Gut war es, daß ich es dießmal that, wo der Regen sehr stark und ich um Wasser nicht verlegen war; auf der Rückreise hätte ich ungleich größere Mühe gehabt, denn die Quellen, die hier die Wasserscheide bilden, liegen weit auseinander.

[S. 173]

Siebzehntes Kapitel.

Quito. — Rohheit des Volkes. — Sehenswürdigkeiten. — Kirchliche Feste. — Die Geistlichkeit und die Regierung. — Die Indianer. — Theater. — Rückreise nach Guayaquil. — Der Chimborazo. — Ein Stiergefecht. — Todesgefahr. — Panama. — Reise über den Isthmus. — Aspinwall.

Quito liegt ebenfalls in einer Hochebene, die zwar auch groß und schön, aber bei weitem nicht so ausgedehnt und von keinen solchen Riesenbergen eingesäumt ist, wie jene von Latacunga. Die Stadt selbst sieht man erst zwei Leguas, bevor man sie erreicht. Ihr Anblick hat nichts überraschendes. Die Häuser sind niedrig und mit leicht aufsteigenden Ziegeldächern gedeckt. Ein Paar Thürme oder Kuppeln unterbrechen diesen Steinhaufen. Die beiden Berge Panicillo und Pinchincha, an welche sich die Stadt lehnt, sind weder mit Bäumen noch mit Untergebüsch bewachsen; eben so ist das ganze Gebirge beschaffen, das die Hochebene einfaßt. Die einzige Schönheit dieser Gegend besteht in dem Kreise der angehäuften Berge,[S. 174] von welchen einer über den andern blickt. Es breiten sich wohl überall in dem Thale schöne Wiesenteppiche aus, und viele kultivirte Felder liegen dazwischen; doch erwartet man unter diesem himmlischen Klima eine ungleich mehr in’s Auge fallende Vegetation, herrliche Waldungen, Hecken, Gebüsche, Blumen u. s. w. Die Berge sind nur mit ganz kurzem Grase bewachsen; die Kultur bemerkt man natürlich erst bei genauerer Betrachtung, und so kommt es, daß der Reisende, der von dieser Stadt und deren Lage die übertriebensten Beschreibungen gelesen hat, durch den Anblick sehr enttäuscht wird.

So ging es auch mir, je näher ich kam, desto mehr fiel meine Begeisterung. Die nächste Umgebung hat außer Feldern und Wiesen wenig Gärten oder Fruchtbäume. Die Häuschen in der Vorstadt sind klein, halb zerfallen und über alle Beschreibung unrein gehalten, die Straßen so voll Pfützen und Unrath, daß man sich die Nase hätte verhalten mögen, das Volk in die ekelhaftesten Lumpen gekleidet. Letzteres gaffte mich an, lachte mich aus, wies mit den Fingern nach mir, lief mir nach — Fremdlinge kommen selten in dieß vergessene Land, und sind sie nicht ganz so gekleidet, wie der Eingeborne (ich trug wohl den Poncho, allein der kleine Strohhut fehlte mir), so treibt das Volk sein Gespött mit ihnen.

[S. 175]

Näher dem Platze werden die Häuser etwas stattlicher: sie zeigen ein Stockwerk und statt der Fenster Glasthüren mit Balkonen. Der Platz weist einige hübsche Gebäude auf, darunter die Kathedrale, der Palast des Bischofs und jener des Präsidenten. Beide Gebäude haben eine Säulenkolonnade. Der Palast des Präsidenten würde sich nicht übel ausnehmen, wäre er nicht schon halb in Ruinen zerfallen, was besonders von der Treppe an der Façade gilt. Er ist jedoch wenigstens nicht wie jener in Lima durch die angehängten kleinen Kaufmannsbuden verunziert. Den Platz schmückt ferner ein Kunstbrunnen, welchem jedoch eine Kleinigkeit fehlt — das Wasser.

In der Stadt Quito, die gegen 50,000 Einwohner zählen soll, gibt es keinen Gasthof. Ich war wohl mit vielen Empfehlungsbriefen versehen; allein ich hatte nur einen, an Herrn Algierre lautend, bei der Hand; die übrigen lagen im Koffer, der in Wachstuch eingenäht war.

Wir hielten vor dem Hause des Herrn Algierre an, fanden es aber verlassen. Herr Algierre war vor einigen Tagen mit seiner Familie nach seiner Hazienda gegangen. Für den ersten Augenblick wußte ich nun nicht, wohin mich wenden. Mein Schlingel von Diener kümmerte sich nicht im geringsten um mich, das Volk fing an, sich um mich zu versammeln, bestürmte[S. 176] mich mit neugierigen Fragen, schrie und lachte — ich war eine Frau, allein, ohne männlichen Schutz, es ließ daher ohne Rückhalt seiner Ausgelassenheit die Zügel schießen. Die Unannehmlichkeit meiner Lage stieg von Minute zu Minute, da trat endlich ein Herr herbei, reichte mir schnell einen kleinen Strohhut, wie ihn die Leute hier zu Lande tragen, und sagte meinem Diener, mich in sein Haus zu bringen. Daselbst angekommen, packte ich meinen Koffer schnell aus, zog mich ein wenig an, nahm unter den Briefen jenen an den Amerikanischen Chargé d’affaires, Herrn White, heraus, und eilte, von einem Indianerjungen begleitet, nach dessen Wohnung. Mein Diener war bereits verschwunden.

Noch war nicht alles Unangenehme überstanden. Mein Anzug gab diesem civilisirten Volke abermals Anlaß zu Gespött. Ich trug nämlich eine Mantille und einen seidenen Hut, nicht das landesübliche große Tuch, und ging ohne Begleitung, denn den Indianerjungen beachtete man nicht. Glücklicher Weise lag Herrn White’s Wohnung nicht sehr entfernt, und nach einigen Minuten war ich in Sicherheit.

Herr White und seine Frau boten mir sogleich ihr Haus an. Auch Herr de Paz, der Spanische Minister, und seine Gemahlin erwiesen mir in der Folge sehr viele Aufmerksamkeiten.

[S. 177]

Ich kam in Quito häufig in Häuser der Alt-Spanier. Bei den Reichen sieht man, wenigstens in den Empfangssälen, viel Luxus. Die Wohnungen bestehen aus großen Gemächern, was man, der Außenseite der Häuser nach zu urtheilen, nicht vermuthen würde; aber auch hier, wie in Peru, geht die eigentliche Façade nach dem Inneren zu, auf hübsche Höfe, die mit Blumen, Springbrunnen u. dgl. geschmückt sind.

Die Frauen fand ich liebenswürdig, nur sehr wenig gebildet, woran wohl zum Theil die Abgelegenheit ihrer Stadt Schuld sein mag. Es verliert sich dahin nicht so leicht ein guter Lehrer, viel weniger ein Künstler oder Gelehrter; daher hören und sehen die Leute wenig oder nichts von Künsten und Wissenschaften, um so weniger, als sie der Literatur nicht hold sind. Ich glaube, daß die ganze Damenwelt Quitos kein anderes, als ein Gebetbuch zur Hand nimmt. Was geistige Auffassungskraft und Talente betrifft, sollen sie, gleich den Peruanischen Frauen, das männliche Geschlecht übertreffen. Sie mengen sich auch in alles, und ganz besonders in die Staatsangelegenheiten, für welche sie oft mehr Interesse zeigen, als die Männer. Dafür werden hier aber auch Mädchen und Frauen für politische Vergehen eben so gut gestraft, wie die Männer, und nicht selten auf Monate und Jahre in Klöster gesperrt. Ich lernte eine junge, sehr interessante Frau[S. 178] kennen (Schwiegertochter des Generals Algierre), die auf ein ganzes Jahr in ein Kloster gesperrt werden sollte; sie hielt sich jedoch lange Zeit verborgen, bis die Geschichte halb in Vergessenheit gerieth, und entging glücklich der Strafe. Gegen die Verbannung der Jesuiten, die vor ungefähr zwei Jahren statt hatte, kämpften die Frauen mit aller Macht; doch blieben die Männer Sieger, und die geistlichen Herren mußten den Wanderstab ergreifen und dem schönen Lande Lebewohl sagen.

Die einzigen Sehenswürdigkeiten Quitos sind die Kirchen. Die Jesuiten-, Franziskaner-, St. Domingo-Kirche und die Kathedrale zeichnen sich besonders aus. Sie sind ganz im Geschmacke der Augustinerkirche zu Lima, im Innern reich und fein vergoldet von der Decke bis zum Grunde, mit schönem Holzschnitzwerk bedeckt, die Statuen abgerechnet, die hier wie in Lima wahren Fratzengestalten gleichen. Zu meinem größten Erstaunen hörte ich dessen ungeachtet stets von den vielen guten Bildhauern und Bilderschnitzern sprechen, die Quito besitzen soll[21]. Die Hauptaltäre, desgleichen die Säulen rings um den Tabernakel, sind mit Silberplatten belegt. Außer diesen vier Kirchen gibt[S. 179] es noch mehrere andere, die reich an Vergoldung und innerer Ausstattung und nur etwas klein sind. An den Festtagen erscheinen die Heiligen in kostbaren Kleidern, mit echtem Schmucke. Der Schmuck, den die heilige Maria am Grün-Donnerstage trägt, soll über 200,000 Thaler werth sein. Das ausgezeichnetste Stück daran ist ein Rosenkranz von sehr großen, schönen Perlen.

Die Spitäler für Kranke, Irrsinnige und Aussätzige fand ich unter aller Kritik. Es wäre gewiß Gott viel wohlgefälliger, wenn die Leute etwas weniger auf die Ausschmückung seiner Tempel verwendeten und dagegen jene Anstalten etwas besser bedächten. Ich bediene mich nie wohlriechender Wässer; aber bei dem Besuche der Spitäler hätte ich gern ein Fläschchen Kölner Wasser herzaubern mögen. Die verpestete Luft, die in den Gemächern herrschte, wäre allein hinreichend, Gesunde krank zu machen. Die sogenannten Säle bestehen aus langen Gängen mit Nischen, in welchen die armen Kranken auf hölzernen, mit Ochsenhäuten überspannten Schragen liegen, ohne Polster und Decke. Die Unreinigkeit war grenzenlos, die Luft dick von Gestank. Jeder der Gänge hatte blos zwei winzige Fensterchen, das eine am oberen, das andere am unteren Ende, und selbst diese waren fest verschlossen.

[S. 180]

Eben so beschaffen ist das Irrenhospital, in welchem sich auch die Leprekranken, jedoch in einer besonderen Abtheilung, befinden. Die Irrsinnigen liefen im Hofe, der gegen die Straße zu nicht einmal geschlossen war, frei herum; die Leprekranken sind eingesperrt. Wenn sich ein Paar Leprekranke verheirathen wollen, wird es ihnen gestattet, und so finden sogar an diesem Orte des größten Elendes manchmal Hochzeiten statt. Zum Glück für die Nachkommenschaft erfreut sich ein solches Ehepaar nie eines Kindes.

Weder in diesem noch in dem andern Hospitale sah ich eine Arznei an der Seite eines Kranken stehen. Es ist wohl eine Apotheke vorhanden; aber Gott mag dem beistehen, der etwas von den Heiltränken nimmt, die da zusammen gemischt werden. Die Unordnung ist so groß, daß die Leute gar nicht finden, was man verlangt. Ich benöthigte Terpentingeist für meine Insekten und Senfmehl für mich. Ich fühlte mich nämlich, vielleicht in Folge der feinen Luft oder der beschwerlichen Reise, während der ersten vierzehn Tage sehr unwohl, konnte nur sehr langsam gehen, der Athem fehlte mir; auch hatte ich Stechen auf der Brust und Husten. Nichtsdestoweniger ging ich jeden Tag aus und schleppte mich überall hin, wo es etwas zu sehen gab. Doch wieder auf die Apotheke zurück zu kommen — beim Suchen nach dem Terpentingeist wurde von ein Paar[S. 181] Dutzend Flaschen jede geöffnet und dazu gerochen, denn sie waren nicht einmal mit Etiketten versehen; das Senfmehl wollte gar nicht zum Vorschein kommen. Nachdem ich eine Viertelstunde gewartet hatte und eben fortgehen wollte, fand man es in einem Winkel. Die Preise sind ungefähr zehnfach so hoch als bei uns in Deutschland, so daß die Armen keine Arznei kaufen können und (vielleicht zu ihrem Glücke) zu Hausmitteln ihre Zuflucht nehmen müssen.

Das Kollegium ist nicht groß, aber für die Zahl der Schüler hinreichend. Schon in Guayaquil erzählte man mir von einem Museum, das sich in dem Kollegium Quito’s befinden solle; in Quito selbst bestätigte man mir sein Vorhandensein. Als ich in das Kollegium ging, um es zu besehen, führte man mich in — einen ganz leeren Saal, der vielleicht einst zu einem Museum bestimmt und schon in vorhinein mit diesem Namen getauft worden ist.

Auch eine Münze wird den Besuchern gezeigt, die aber den größten Theil des Jahres friedlich ruht.

Um einen gesammten Ueberblick der Stadt und Umgebung zu haben, muß man den nicht sehr hohen Berg Panicillo ersteigen. Man übersieht die ganze Hochebene mit den sie begrenzenden, übereinander gehäuften Gebirgszügen und vielen einzelnen Gebirgsstöcken. Die Gebirge haben keine auffallenden oder pittoresken[S. 182] Formen. Die ganze Gegend scheint wasserarm zu sein: nirgends zeigt sich ein Fluß; ein winziges, kleines Bächlein stürzt sich von dem Pinchincha in eine Schlucht und versieht ganz Quito mit Trink- und Waschwasser. Morgens und Abends wird es in offene Kanäle geleitet, welche die Straßen der Stadt durchlaufen, und säubert sie so wenigstens einigermaßen vom Unrathe.

Auf dem Panicillo sind noch Mauerreste einer Festung zu sehen, die unter der Spanischen Regierung erbaut worden war.

Neben dem Panicillo erhebt sich der bedeutend höhere Pinchincha, ein einstiger Vulkan, der aber seit mehreren hundert Jahren erloschen schien. Zwei Tage, bevor ich Quito verließ, öffnete sich an einer Seite des Berges, und zwar gerade an jener der Stadt zugewandten, eine kleine Spalte, welcher Rauch entstieg. Man kann sich denken, in welche Unruhe diese Erscheinung die Stadtbewohner versetzte. Ich habe in der Folge nicht vernommen, ob die gefahrdrohenden unterirdischen Kräfte eine fernere Thätigkeit entwickelten.

Das Leben in Quito ist sehr billig; dennoch gibt es hier, wie in Peru, Chili, Neu-Granada u. s. w., keine Kupfermünzen. Als die kleinste Münze kann man den Medio betrachten. Es existiren zwar Quartillos (zwei auf einen Medio); sie sind aber so selten, daß man sie kaum zu sehen bekommt. Man pflegt[S. 183] statt der Scheidemünze Brot oder Eier heraus zu geben, welche Gegenstände auch der Verkäufer an Geldesstatt annimmt.

Man findet in Quito ganz eingerichtete Miethhäuser, mit Spiegeln, Teppichen, Möbeln, Lampen u. s. w. Für ein sehr wohleingerichtetes Haus mit acht bis zehn Zimmern zahlt man per Monat höchstens 50 Thaler — ein sehr billiger Preis, wenn man bedenkt, wie hoch Möbel, Teppiche, Spiegel u. dgl. durch den Transport über die Cordilleren zu stehen kommen, denn obgleich es in Quito der Sculpteurs in Menge gibt, ist doch niemand im Stande, einen ordentlichen Stuhl oder Tisch zu verfertigen.

Auch die Dienerschaft wird nicht besonders theuer bezahlt. Ein Diener, eine Magd erhalten nebst Kost drei Thaler per Monat, ein Koch sechs Thaler. Letzterem gibt man gewöhnlich für den Unterhalt des Hauses eine bestimmte Summe. In Familien z. B., die aus Mann, Frau, einem Kinde und ein Paar Dienstleuten bestehen, erhält er einen Thaler per Tag, wofür er zwei reichliche Mahlzeiten schafft, Morgens eine Suppe, Sancochado genannt, die aus Fleisch, Mais und Juka (Jams-Wurzeln) bereitet wird, dann noch zwei Fleischgerichte, Kartoffeln, Eier, Brot, Butter und Milch; zur zweiten Mahlzeit Hühnersuppe mit Reis, dreierlei Fleischgerichte, Kartoffeln, Brot und[S. 184] oft noch eine Mehlspeise, und Abends Brot und Milch zum Thee. Wahrlich genug für einen Thaler, der nur achtzig Cents gilt!

Ich befand mich gerade in der Charwoche zu Quito und hatte deshalb Gelegenheit, den wichtigsten kirchlichen Festen beizuwohnen.

Die erste feierliche Prozession fand am Palmsonntage nach der Kathedrale statt; sie stellte den Einzug des Erlösers in Jerusalem dar. Den Zug eröffnete die Geistlichkeit, ihr folgten der Präsident, die Stabsoffiziere, Beamten und Honoratioren, dann kam ein lebensgroßes, aus Holz geschnitztes Christusbild, auf eine Eselin gebunden; das Thier erwartete jedoch die Prozession vor der Kirchenthüre und trat erst in ihre Reihe, als sie in die Kirche einzog. Den Schluß machte das Volk. Ich sah hier zum ersten Male einem Esel den Eintritt in eine Kirche gestattet.

Am Montage sollte die Indianische Prozession statthaben. Indianer, Mischlinge, Alt-Spanier, mit einem Worte alle Ecuadorianer bekennen sich zwar zur katholischen Religion; allein die Alt-Spanier wollen nicht mit den Indianern auf eine Stufe gestellt werden, und daher haben letztere ihre besondere Prozession. Machen es ja die Anglikaner und Protestanten auch nicht anders, die haben gar Sperrsitze und Logen in den Kirchen, und wehe dem Armen, der sich in die[S. 185] aristokratischen Plätze eindrängen wollte! In den katholischen Kirchen Ecuador’s wie Peru’s findet doch wenigstens keine Absonderung der Reichen und Armen statt. Der Sklave kann sich neben seinen Herrn setzen, wenn er einen Platz an seiner Seite leer findet. Es gibt wenig Bänke in der Kirche; man pflegt kleine Teppiche mitzunehmen, um darauf zu knieen.

Die Indianische Prozession bekam ich leider nicht zu sehen; sie wurde von dem Bischof zum ersten Male verboten, weil es in den vergangenen Jahren gar zu toll dabei zugegangen war. Die Anzüge der Leute sollen so barock und komisch gewesen sein, daß der Zug der lächerlichsten Maskerade, nicht aber einer heiligen Prozession glich.

Die Hauptprozession fand am Grün-Donnerstag Nachmittags statt. Bei dieser machte das Militär den Anfang, hierauf folgten Beamte und Honoratioren, Laienbrüder, Geistliche und eine bildlich dargestellte Scene aus der Leidensgeschichte Jesu. Nach dieser kamen abermals Beamte, Honoratioren, Geistliche und Laienbrüder, eine zweite Scene u. s. w.; ich zählte im ganzen sechs verschiedene Scenen. In einer sah man Christus am Oelberge, wie ihm der Engel den Labebecher reicht, während die drei Jünger im Hintergrunde schlafen; in einer andern sah man ihn, das Kreuz tragend, in einer dritten an die Schandsäule gebunden,[S. 186] gegeißelt u. s. w. Die Schmerzens-Mutter war mit dem Dolche in der Brust dargestellt, hatte aber dabei ein langes Schleppkleid von schwarzem Sammet an und war mit Edelsteinen und dem bereits erwähnten kostbaren Rosenkranze geschmückt. Die Figuren dieser Scenen waren lebensgroß in Holz geschnitzt und vollkommen bekleidet; auf dem Kopfe trugen sie sogar Perücken. Sie waren auf Tribünen befestigt und wurden mittelst vieler Stangen zu meinem Erstaunen von Indianern getragen. Ich sage: zu meinem Erstaunen, denn die stolzen Alt-Spanier, die sich mit den Indianern nicht vermengen wollen und eine besondere Prozession für sie veranstalten, sollten ihnen um so weniger gestatten, die Bildnisse Gottes und seiner Heiligen zu tragen.

Den Schluß der Prozession machten neun Domherren in langen, schwarzen Kleidern mit zwölf Fuß langen Schleppen, die sie nachzogen. Hinter jeder Schleppe gingen vier Jungen, die nichts anderes zu thun hatten, als die Schleppen gehörig auszubreiten, wenn sie sich aufschlugen oder zusammenrollten.

Ich fand an dieser Prozession durchaus nichts erbauliches; sie kam mir im Gegentheile eher wie ein theatralisches Gepränge vor.

Am Charfreitag Abends ging das Kirchen- und Gräberbesuchen an. Die Beleuchtung der Kirchen war[S. 187] wahrhaft blendend, der ganze Hintergrund strahlte in dem Glanze von Hunderten von Lichtern. Auch bei dieser Gelegenheit waren Scenen aus dem Leben Jesu dargestellt, z. B. das letzte Abendmahl, die Brotaustheilung, die sieben Sakramente u. s. w. Lächeln kann man über solche Scenen nicht, der Gegenstand ist zu ernst, zu würdig; aber bis in das Innerste muß sich jeder nur einigermaßen denkende Mensch verletzt fühlen, wenn er mit dem Heiligsten solch ein schmachvolles Spiel treiben sieht. Eine Beschreibung der fratzenhaften Figuren, der barocken Stellungen, der überaus komischen Zusammenstellung der Kleidertrachten aus ältester und neuester Zeit zu machen, wäre schwer, wenigstens für meine Feder. Die Figur z. B., die in den sieben Sakramenten die letzte Oelung empfing, hatte die vollsten, schön gefärbtesten Wangen und leuchtende Augen, gleich funkelnden Sternen. Gar abscheulich nahm sich die Ehe aus: Braut und Bräutigam hatten die Gesichter ganz verzogen und so unsichere Stellungen, daß man meinte, jetzt und jetzt müßte das eine vor-, das andere rückwärts sinken. In der Scene, wo Jesus die Kindlein zu sich kommen läßt, hatten diese Banditenmäntel um, die ihnen bis über die Füße hingen, und dazu auf den Köpfen Strohhütchen oder Käppchen.

Es wäre nöthig, daß der Papst einige ernste,[S. 188] würdige Priester hierher sendete, um so manchem unsinnigen Treiben Schranken zu setzen. Unter den bestehenden Verhältnissen ist es freilich nicht zu wundern, daß das Volk so verdummt und charakterlos ist. Die Geistlichkeit schiebt die Verderbtheit des Volkes auf die Regierung. Unzweifelhaft tragen beide Schuld. Noch sind diese Länder viel zu weit zurück und vor allem zu demoralisirt, um einer republikanischen Verfassung fähig zu sein.

Jede andere Regierungsform, auch die absoluteste, wäre für solche Staaten besser, als diese republikanische Karikatur. Ich bin nun schon zu alt, um in meinem Leben noch Gutes von jenen Gegenden zu hören; aber ich hoffe, daß sie mit der Zeit alle von den Amerikanern der Vereinigten Staaten verschlungen werden, die mit einem Theile Mexiko’s bereits den Anfang gemacht haben. Es ist wahr, ich sah auch in Kalifornien mitunter abscheuliche Handlungen, es waren aber mehr Einzelnheiten, wie sie unter jeder Regierung vorkommen, und besonders unter einer neuen und in einem Lande, in welches der Golddurst so viele Abenteurer lockt.

Am traurigsten ist in Ecuador das Loos der Indianer, dieser armen Nachkommen der rechtmäßigen Besitzer des Landes.

Ich habe bereits erwähnt, daß während meines Aufenthaltes zu Guayaquil die Sklaverei aufgehoben[S. 189] wurde. Gänzliche Freiheit! Welche schöne Worte! — Man sollte glauben, daß Ecuador den übrigen Republiken weit voraus sei. Leider ist dem nicht so. Die Lage der Indianer ist schlechter als Sklaverei. Diese unglücklichen Menschen haben nicht einen, sondern mehrere Herren, denen sie dienen müssen, von welchen sie aber keiner kleidet oder speiset. Für ihre Bedürfnisse müssen sie selbst sorgen, das ist der einzige Vortheil, den sie von der Freiheit haben. Jeder männliche Indianer muß jährlich eine Kopfsteuer von drei Thalern zahlen, die mit seinem neunzehnten Jahre beginnt und mit dem fünfzigsten aufhört. Der sogenannte Alt-Spanier[22], er mag Bauer oder was immer sein, ist von dieser Steuer befreit. Eine Geldtaxe ist in diesem Lande, wo der Verkehr durch die hohen Gebirge, durch die grenzenlos schlechten Wege, durch Mangel an Brücken u. s. w. so erschwert ist, die härteste Last, besonders für den Indianer, der ohne Besitzthum, gedrückt und niedergehalten ist.

Die philanthropischen Ecuadorianer behaupten zwar, daß der Indianer, die Kopfsteuer ausgenommen,[S. 190] dieselben Rechte besitze, wie der Alt-Spanier, daß er Land bekommen könne, soviel er im Stande sei zu bebauen. Wie kann er aber Land begehren, wenn er keine Mittel hat es urbar zu machen, wie kann er die Zeit abwarten, bis es ihm Ernten gibt, und dabei noch der Regierung, die ihn mit nichts unterstützt, sondern nur von ihm haben will, die schwere Kopfsteuer zahlen?! —

Gewöhnlich vermiethet er sich als Arbeiter bei den Haziendas-Besitzern. Diese geben ihm ein Stückchen Land zum Unterhalte, unterstützen ihn mit allem was er bedarf, natürlich gegen Abrechnung, bezahlen seine Kopfsteuer und geben ihm einen jährlichen kleinen Gehalt. Der Hazienden-Besitzer sucht dem Indianer in Lebensmitteln, Branntwein, Kleidungsstücken fortwährend so viel vorzustrecken, daß letzterer sein Schuldner bleibt, denn so lange der Indianer Schuldner seines Herrn ist, kann er ihn nicht verlassen. Im entgegengesetzten Falle kann er es thun. Stirbt er als Schuldner seines Herrn, so ist die Schuld aufgehoben: sie wird nie von seiner Familie gefordert.

Ein ferneres großes Uebel für diese armen Menschen sind die Truppenmärsche. Der Indianer ist zwar als Ersatz für diese schwere Kopfsteuer von dem Soldaten-Dienste befreit; allein er muß bei den Märschen die Effekten, Lebensmittel der Soldaten auf seinem[S. 191] Rücken tragen und erhält als Entschädigung, Schimpfworte und Rippenstöße. Geht ein freier Indianer zufällig in dem Augenblicke an einer Kaserne vorüber, in welcher man eines Arbeitsmannes oder eines Gehülfen bedarf, so springt ein Soldat auf ihn zu und reißt ihm den Strohhut vom Kopfe, als Zeichen, daß er ihm folgen müsse. Folgt er nicht gutwillig, so wird er mit Prügeln dazu gezwungen. Ich selbst war in Quito mehrmalen Augenzeuge solcher barbarischer, widerrechtlicher Handlungen.

Kommt ein Indianer zum ersten Male von den Gebirgen in die Ebenen, so kann er von jedermann mit Gewalt auf eine bestimmte Zeit in Dienst genommen werden. Er wird zwar dafür bezahlt, aber natürlich sehr schlecht. Ich sah in einem Hause einen Indianer sammt seinem Weibe für einen Thaler per Monat ohne Kost und Kleider dienen. Die armen Menschen kamen mir wie die Parias in Hindostan vor; sie aßen alles was man im Hause weg warf, sie kochten die äußeren Blätter des Kohles, des Krautes, mischten etwas Gerstenmehl bei und genossen das Gericht ohne alle andere Zuthat, ja sogar ohne Salz; sie schliefen auf der Erde in einem Winkel der Küche oder der offenen Veranda, kaum zur Hälfte mit ihren zerrissenen Ponchos zugedeckt.

Diese bedauernswerthe Menschenklasse, noch die[S. 192] beste und rechtschaffenste im ganzen Lande, wird nicht nur von Alt-Spaniern, sondern auch von den Mischlingen, ja sogar von den Negern, als tief unter ihnen stehend betrachtet und mit Verachtung behandelt.

Während meines Aufenthaltes in Quito fügte es der Zufall, daß eine Theatervorstellung angekündigt wurde, eine Sache, die sich in dieser Stadt selten ereignet, da sich nicht leicht ein Trupp Schauspieler oder Künstler über die Cordilleren verliert. Ich freute mich sehr auf diese Vorstellung, da ich erwartete eine Gesellschaft zu sehen, wie sie bei uns auf dem Lande von Dorf zu Dorf wandern, die Bühne in der ersten besten Scheune aufschlagend.

Hier diente das Museum als Theater. Man stellte hölzerne Bänke hinein, brachte Stühle auf die Gallerie und zündete Talglichter an, die den Leuten die Kleider beschmutzten. Am Eingang des Vorsaales, in welchem man die Billete löste, paradirte ein wachthabender Soldat, sein Gewehr vor den Eingang pflanzend und die Leute mit dem „A donde va“ (Wohin geht Ihr?), so derb anschreiend, daß man ordentlich zurückprallte. Man mußte antworten: „In das Theater!“ Bei dem wirklichen Eingang in das Theater stand ein zweiter Posten, ebenfalls das Gewehr vor die Thür pflanzend und denselben martialischen Anruf[S. 193] wiederholend. Ist mir doch in meinem Leben kein ähnlicher Unsinn vorgekommen!

Das Publikum war echt republikanisch. Da sah man lumpig gekleidete Indianer, deren Weiber sogar ihre Säuglinge mitbrachten, Neger, deren Ausdünstung gerade keine Wohlgerüche verbreitete, Gassenjungen, die sich um Plätze balgten, als wären sie auf offener Straße; dazwischen saßen Herren und Offiziere mit ihren Frauen und Töchtern, erstere in ihren Ponchos, letztere in den großen Umschlagetüchern, die sie zugleich über den Kopf gezogen hatten. Nur eine Gesellschaft von drei Frauen und einigen Herren machte eine Ausnahme. Diese Leute waren geschmückt, als hätte es einen Besuch des Opernhauses in Paris oder London gegolten — die Damen sehr entblößt und beladen mit Schmuck, Federn und Blumen, die Herren in schwarzem Anzuge mit Glacé-Handschuhen. Das sah wirklich komisch aus inmitten dieser schmutzigen, etwas gar zu gemischten Gesellschaft.

Die Vorstellung selbst war nicht ein Theaterstück, wie ich erwartete; ein Taschenspieler machte die erbärmlichsten Kunststücke, die man nur sehen kann. Jedes Kind hätte sie zum besten geben können; es fand auch nicht die geringste Täuschung statt. Aber das Publikum war damit zufrieden, es klatschte dem Pfuscher aus Leibeskräften Beifall zu, erhob sich und[S. 194] stieg sogar auf die Bänke. Bei einem der Kunststücke wurde eine Pistole losgeschossen. Dieser unvermuthete Lärm schreckte die schlummernden Säuglinge auf, und sie fingen alle plötzlich aus vollen Kehlen zu schreien an, so daß der große Künstler mit seiner Vorstellung einhalten mußte, bis die kleinen Störer von ihren Müttern beschwichtiget und wieder eingeschlummert waren.

Nach dem ersten Akte verließ ich das Haus, es war mir nicht möglich länger zu bleiben. Die einzige Freude, die mir diese Unterhaltung verschaffte, war zu sehen, daß der Eintritt niemand versagt war. Der Indianer, der Neger hatte, sobald er bezahlen konnte, dieselben Rechte, wie jene geputzte und geschmückte Gesellschaft. Die Preise waren für Quito so hoch (der erste Platz einen halben, der zweite einen Viertel-Thaler), daß es mir ein wahres Räthsel wurde, woher das Bettelvolk und die Gassenjungen das Geld hiezu aufgebracht haben mochten.

Vor meiner Abreise von Quito besuchte ich noch die Hazienda des Generals Algierre, die von allen Hazienda’s, die ich in Ecuador gesehen, eine glänzende Ausnahme macht. Da herrscht doch geregelte Ordnung, Reinlichkeit und Wohlhabenheit. Das Wohnhaus ist eines der schönsten im Lande. Der älteste Sohn des Generals, Herr Carlos Algierre hat einen Theil seiner Erziehung in Paris genossen; er ist ein feiner, gebildeter[S. 195] Weltmann und verbindet damit, wie man mir allgemein versicherte, einen sehr gediegenen Charakter, wie überhaupt die ganze Familie. Ich fand bei ihm die auserlesensten Werke der französischen Literatur.

Vater und Sohn haben sich durch Anlegung einer Fabrik, in welcher weißes Kammertuch erzeugt wird, um ihr Vaterland verdient gemacht. Sie ließen die hiezu nöthigen Maschinen von Belgien kommen. Ueber neunhundert Lastthiere waren nöthig, sie von Guayaquil nach Chillo (so heißt die Hazienda) zu schaffen. Die größeren Maschinen mußten von Menschen getragen werden. Die Baumwolle wird angekauft, wie sie von der Ernte kömmt, und verläßt als fertiges Kammertuch die Fabrik. Ein Belgier leitet das ganze Werk. Außer dieser Fabrik gibt es nur noch eine im Lande, in welcher grobes Tuch für die Ponchos gemacht wird.

Chillos liegt fünf Meilen von Quito in einem herrlichen, fruchtbaren Thale, von mächtigen Gebirgen eingefaßt, über welche die Spitze des Cotopaxi ragt.

Die Briefe, die mir der Ecuadorianische Chargé d’affaires in Lima, Herr Muncayo, für den Präsidenten und die hohen Beamten mitgab, brachten mir nicht den geringsten Nutzen. Der Präsident dieser großen Republik von 400,000 Seelen fand sich im Gefühle seiner hohen Stellung zu stolz und zu gewichtig, mir den Anblick seiner Person zu gönnen. Er[S. 196] gab mir, nachdem ich ihm den Empfehlungsbrief gesandt hatte, weder eine Antwort, noch ließ er mich zu sich bescheiden. Ein anderer Großer des kleinen Reiches, ein Herr Larrea, an den ich ebenfalls einen Brief hatte, trieb die Höflichkeit noch weiter: er lud Herrn und Frau White zu einer Abendunterhaltung ein, ohne meiner zu erwähnen, obgleich ich Herrn White’s Gast war. Unter solchen Umständen war natürlich an meine projectirte Reise nach dem Amozonenstrom nicht zu denken, denn ohne kräftige Hilfe der Regierung, nicht etwa mit Geld, sondern mit sichern Leuten, konnte ich sie nicht unternehmen. Die wilden Indianer-Stämme, durch deren Länder die Reise geht, geben den Reisenden weder Boote noch Leute; man muß alles mit Gewalt erzwingen, oder durch seine eigenen Leute Boote zimmern lassen, und sogar die nöthige Nahrung theils mitnehmen, theils sich durch Erlegung von Wild verschaffen.

Ich war zu meinem großen Leidwesen gezwungen, diesem Plane zu entsagen, und wollte dafür zu Lande nach Bogota, der Hauptstadt Neu-Granadas, gehen. Diese Reise, fortwährend zwischen den Cordilleren hinführend, soll im Sommer herrlich, in der Regenzeit aber fürchterlich sein. Nichts destoweniger war ich dazu entschlossen, denn das schöne Wetter abzuwarten, dauerte mir zu lange, die Regenzeit endigte, nach dieser Richtung[S. 197] erst im Monate Juni, und jetzt waren wir noch im April. Ich handelte von dem Koche des Herrn White einen guten Sattel aus, bei welcher Gelegenheit ich abermals sah, wie geneigt dieses Volk zu Betrügereien ist. Der Mann verlangte drei Thaler für den Sattel in Gegenwart zweier Herren. Ich sagte ihm selbe zu, wenn der Sattel gut befunden würde (den Sattel hatten wir nicht gesehen, da er ihn in einem andern Hause bewahrte). Als ich ihn gesehen und bezahlen wollte, schob der Verkäufer die drei Thaler zurück, dreist behauptend, daß er vier Thaler gefordert habe. Alle diese Schlechtigkeiten und viele andere, mit deren Erzählung ich meine Leser verschone, ärgerten mich so sehr, daß ich sehnlichst wünschte, bald aus dem Bereiche der südamerikanischen Republiken zu kommen. Die größten Mühen und Beschwerden sind nicht vermögend meine Reiselust zu vermindern; allein Völker mit so schlechtem, nichtswürdigem Charakter würden es nur zu bald bewirken. Ich fühlte mich unter den Kannibalen Sumatras ungleich zufriedener, als unter diesem christlichen Gesindel.

Ich hatte schon Thiere gemiethet zur Reise nach Bogota, und ging nur noch zu dem Spanischen Minister, Herrn de Paz, um Abschied zu nehmen. Dieser gute Mann bot seine ganze Beredsamkeit auf, mich von der Reise abzubringen. Er sagte mir, daß ich sie,[S. 198] obwohl die Entfernung nur 250 Leguas (750 englische Meilen) betrage, in der jetzigen Jahreszeit nicht unter fünfzig Tagen machen könne, daß ich die größten Schwierigkeiten finden dürfte, einige der vorkommenden bedeutenden Flüsse zu übersetzen, und daß ich als Frau den unverschämtesten Betrügereien und Schlechtigkeiten von Seite der Eingebornen ausgesetzt wäre, da in dieser Entfernung Briefe oder selbst Befehle der Regierung sehr wenig oder gar nicht geachtet werden. Ich gab seinen Vorstellungen Gehör, wozu wohl auch mein Wunsch, diesen erbärmlichen Völkern baldigst den Rücken zu kehren, viel beitrug, und änderte meinen Reiseplan dahin ab, daß ich nach Guayaquil zurückkehrte.

Ich kann wohl sagen, daß ich Herrn de Paz mein Leben danke, da mich seine Vorstellungen dieser Reise entsagen machten. Meine Gesundheit hatte durch die beständig sich wiederholenden Anfälle des Sumatra-Fiebers sehr gelitten, und ich glaube kaum, daß ich fünfzig Tage voll Mühen und Entbehrungen mit stetem Regen und Klimawechsel hätte überstehen können.

Am 25. April verließ ich Quito, und zwar bloß in der Begleitung eines Arrieros. Ich hatte gelobt, keinen Diener mehr mit mir zu nehmen. Die Reise ließ sich sehr gut an, und ich genoß das Glück, viermal den Chimborazo in voller Schönheit zu sehen,[S. 199] das erste Mal bei meiner Ankunft in Ambato, das zweite Mal bei der Abreise, das dritte Mal bei dem Uebergange und das vierte Mal in Guaranda. Die Sonne selbst schien entzückt zu sein, das herrliche Werk Gottes beleuchten zu können; sie goß ihr ganzes Feuer, ihr volles Licht auf ihn und machte sein jungfräulich-schneeiges Haupt in unbeschreiblichem Schimmer erglänzen. Ich versank in Anschauung und tiefe Bewunderung. Leider währten diese erhabenen Anblicke stets zu kurz — Wolken und Nebel umschwebten bald die Spitzen, senkten sich immer tiefer und tiefer und verhüllten nur gar zu rasch dieß Heiligthum der Cordilleren mit ihrem undurchdringlichen Schleier. —

Ich bemerkte, daß der Chimborazo nicht in einer Spitze ausgeht: er hat eine Hauptkuppe und drei kleinere; zwischen der Hauptkuppe und den kleineren scheint sich eine ziemlich bedeutende schiefe Fläche von Westen nach Osten zu ziehen.

Am überraschendsten ist der Anblick des Berges von Ambato aus, welcher Ort bedeutend tiefer liegt, als Guaranda. Man glaubt wahrlich, den Koloß beinahe an die Himmelsdecke stoßen zu sehen. Das letzte Drittel seiner Höhe steigt in wunderbar ebenmäßiger, kuppelartiger Form empor.

Das Vergnügen, das ich in der Anschauung dieses herrlichen Berges fand, ließ mich alle Gefahr vergessen.[S. 200] Erst als ich auf die kleine Hochebene, an die Stelle gelangte, wo der Engländer von seinem Arriero ermordet worden war, machten mir die die ganze Gegend verdeckenden Nebelwolken die grausige Einsamkeit fühlbar, in der ich mich befand. Doch glücklich ward auch diese Tagereise (die vierte von Quito) vollbracht, und ohne Unfall erreichte ich Guaranda.

Hier kam ich abermals zu einer mir ganz neuen Scene zurecht. Es war gerade Sonntag, und die Leute unterhielten sich mit einem sein sollenden Stiergefecht, das aber eben so läppisch und erbärmlich war, wie die Künste des Taschenspielers in Quito. Dem Stier waren an den Hörnern Stricke befestigt, die von vielen Männern an zwei Seiten gehalten wurden, so daß er sich weder links noch rechts einen Schritt weiter bewegen konnte, als man es für gut fand. Man suchte ihn durch Zuwerfen von bunten Tüchern und anderen Gegenständen aufzureizen, allein ohne Erfolg; er blieb ruhig stehen und blickte die versammelte Volksmenge wie verblüfft an. Am Ende warf man ihm gar eine Schlinge um den Hals und band ihm die Füße. Nachdem er so gefesselt war, stürmten die Männer und Jungen auf ihn ein und quälten ihn auf allerlei Weise. Viele waren auch zu Pferde und jagten im Triumphe um ihn herum; es konnte kein grausameres und zugleich alberneres Kinderspiel geben als[S. 201] dieses. Was würden die guten, gemütlichen Hindostaner von diesen Menschen gedacht haben, wenn sie dieselben eine so schmähliche Tierquälerei hätten verüben sehen! Nachdem das Spiel mehrere Stunden gewährt, die Männer, gleich Schuljungen dem gefesselten Thiere gegenüber ihren Muth und ihre Unerschrockenheit gezeigt, machte die Nacht dieser edlen Unterhaltung ein Ende.

Ich mußte in Guaranda einen Tag bleiben, um frische Thiere zu miethen. Ich verstand nun schon so viel von der Spanischen Sprache, um mit den Leuten ein wenig verkehren zu können und ihre Gespräche aufzufassen. Zu meinem Erstaunen hörte ich Frauen in Gegenwart ihrer Kinder, in Gegenwart von Männern und Jünglingen Gegenstände besprechen, die bei uns kaum zwischen Frauen allein besprochen werden. Diese Leute haben nicht das geringste Zartgefühl. Ein Herr, der auf Besuch zu der Familie kam, bei welcher ich wohnte, zog ohne Umstände sein Reitbeinkleid, das er über ein anderes Beinkleid trug, vor der ganzen Gesellschaft aus.

Ich fand in Guaranda einen Italiener, den ich ersuchte, die Thiere für mich auszuhandeln, und die Dauer der Reise auf vier Tage festzustellen. Man macht sie, wenn die Regenzeit im Abnehmen ist, gewöhnlich in drei Tagen; ich wollte aber vier Tage[S. 202] dazu verwenden, weil man durch viele Waldungen und Gebüsche kommt, die von Insekten und Schmetterlingen reich belebt sind, so daß ich mir eine ausgiebige Jagd versprechen konnte. Ich bezahlte deshalb für die Thiere auch mehr als den gewöhnlichen Preis. Der Vermiether verlangte die ganze Summe in vorhinein; ich wollte nur die Hälfte erlegen, um den Arriero in meiner Gewalt zu haben. Allein der Italiener gab vor, den Mann gut zu kennen, und versicherte mir, daß ich nichts dabei wage, wenn ich das ganze Geld sogleich gäbe. Leider that ich es. Kaum waren wir eine Tagereise von Guaranda entfernt, so sagte mir der Arriero, daß ich die Reise in drei Tagen machen müsse, sein Herr habe es ihm so aufgetragen. Vergebens berief ich mich auf die Versicherung des Italieners, auf die größere Bezahlung. Das Geld war in den Händen des Eigentümers, und wie mir der Arriero sagte, hatte sein Herr dem Italiener einen kleinen Theil davon abgegeben, damit er mich zur Vorausbezahlung bewege. Gegen dergleichen Betrügereien ist freilich nichts zu machen — kein Mensch hätte meine Klage angehört, niemand mir Recht verschafft.

Die Wege von Guaranda nach Savanetta waren noch gefährlicher als auf der Herreise, da es viel und stark bergab ging. Die Thiere glitten beinahe bei[S. 203] jedem Schritte aus, oder stolperten über die Steine, oder fielen in die Löcher, von welchen die Straße voll war. Ich hatte das Unglück, daß mein Maulthier gerade an einem sehr steilen Abhange in ein Loch stürzte, wobei der Sattelgurt riß, so daß ich mit dem Sattel über den Kopf des Thieres flog. Der Arriero, statt mir zu helfen, lachte aus vollem Halse über meinen Sturz. Glücklicherweise kam ich unbeschädigt davon.

In die größte Lebensgefahr aber geriet ich auf dem Flusse Guaya. Ich mußte nämlich von Savanetta bis Guayaquil in einem kleinen Boote fahren (drei Tage). Während des Fahrens an die Außenseite steigend, hatte ich das Unglück auszugleiten und in den Fluß zu stürzen, der voll von Kaimans ist. Im ersten Augenblicke erschrack ich nicht so sehr, obwohl ich nicht schwimmen konnte, da ich dachte, daß die Bootsleute gute Schwimmer seien und mich gewiß augenblicklich heraus holen würden. Ich wußte auch, daß ich zweimal an die Oberfläche des Wassers käme, und sie mich derart leicht sehen könnten. Die Kaimans hatte ich ganz vergessen. Als ich aber das erste Mal an die Oberfläche kam, sah ich mich vergebens nach einem Retter um — ich hatte gerade nur so viel Zeit, das Boot zu gewahren und zu bemerken, daß die Leute gar keine Miene machten, mir zu Hülfe zu kommen. Ich sank das zweite Mal. Nun bekam ich wohl Angst, verlor aber[S. 204] zum Glück die Besinnung nicht; ich wußte, daß man die Hände vor sich strecken und gleich Rudern gebrauchen müsse — ich versuchte, was in meinen Kräften lag — auf menschliche Hülfe hatte ich nicht mehr zu rechnen. Und siehe — als ich zum zweiten Male auftauchte, befand ich mich unmittelbar an dem Boote; ich hatte nur nöthig, mich daran zu klammern. Die Bootsleute betrachteten dieß alles ruhig und gelassen; keiner reichte mir die Hand oder ein Ruder. Einer der Reisenden (ein Eingeborner) half mir in das Boot. Ich gestehe aufrichtig, daß, wenn ich dieser Scene gedenke, es mich heute noch kalt überläuft. Gottes Schutz schien mich auf allen meinen Reisen zu geleiten, bewahrte mich in zahllosen Gefahren; aber so augenscheinlich, so unverkennbar ruhte seine Hand nie auf mir wie dießmal. Ich kann mit Worten meine Gefühle nicht ausdrücken, aber tief fühle ich seine unendliche Güte und Barmherzigkeit.

Kaum war ich gerettet, so stürzten sich zwei Bootsleute in den Strom, um sich zu baden. Sie schwammen die längste Zeit um das Boot herum; es war gerade, als wollten sie mir zeigen, daß sie mir hätten helfen können, wenn sie gewollt.

Als ich in Guayaquil meinen Unglücksfall erzählte, und mich über die Schlechtigkeit der Bootsleute beklagte, wunderte man sich noch, daß sie mich wieder[S. 205] in das Boot gelassen und nicht weggestoßen hatten. Es soll sich manchmal ereignen, daß die Leute einen Reisenden, vorzüglich wenn er fremd ist, vorsätzlich in das Wasser werfen, um sich seiner Habe zu bemächtigen.

In Guayaquil widerfuhr mir zum Abschiede noch der letzte Betrug von Seite eines edlen Ecuadorianers. Das Boot, in welchem ich die Fahrt von Savanetta nach Guayaquil machte, gehörte einem reichen Kaufmann, Namens Alvaro, der gleichfalls nach Guayaquil fuhr, jedoch in einem andern Boote. In dem Preise der Ueberfahrt hatte ich mein kleines Gepäck ausdrücklich mit einbedungen. Nichts destoweniger war der reiche Mann so unverschämt, mir bei der Ankunft zu Guayaquil meinen Koffer nicht auszuliefern, bis ich ihm einen halben Thaler mehr bezahlte.

Geld, Geld ist das einzige, wornach die Leute in diesem Lande streben; die Menschen thun es zwar überall, aber doch nicht auf so niederträchtige Weise, durch ähnlich unverschämte Betrügereien wie hier.

Von Guayaquil fuhr ich mit dem Dampfer wieder nach Panama, wo ich am 21. Mai anlangte und von Dr. Autenrieth herzlich willkommen geheißen wurde. Wenige Tage später ging ich über den Isthmus nach Aspinwall, eine sehr kleine Reise (117 englische Meilen), die aber, wie ich bereits beschrieben, sehr großes Geld kostet. Eine Eisenbahn war nun[S. 206] schon zum größten Theile vollendet, man war der lästigen Flußfahrt überhoben und hatte nur mehr sechszehn englische Meilen zu reiten. Diese kleine Strecke kostete fünfzehn Thaler. Für das Gepäck mußte man per Pfund fünfzehn Cents (hundert auf einen Dollar) bezahlen. Ein Platz auf der Eisenbahn kostete 12½ Thaler. Glücklicherweise gehört die Eisenbahn einer Amerikanischen und nicht einer Englischen Gesellschaft; in Folge dessen gab man mir mit größter Bereitwilligkeit unentgeldlich eine Karte.

In einigen Monaten wird die Eisenbahn bis Panama beendet sein, und der Reisende diesen vor kurzem noch so beschwerlichen Uebergang in wenigen Stunden machen können.

In Aspinwall wird man von Trägern, Wirthen und dergleichen Volk auf wahrhaft Kalifornische Art mitgenommen. In den ersten Gasthöfen zahlt man per Tag vier und fünf, in den billigsten zwei Dollars.

Aspinwall besteht erst seit anderthalb Jahren. Dieses junge Städtchen hat ein ganz Nordamerikanisches Ansehen; die Häuser sind alle von Holz und wurden aus den Vereinigten Staaten herüber gebracht, wodurch sie billiger zu stehen kommen, als wenn sie bei der übertrieben theuern Arbeit hier angefertigt worden wären. Wo der Amerikaner etwas zu verdienen hofft, ist er flink bei der Hand; nur will er die Gelegenheiten gar zu[S. 207] gut benützen, und prellt den Reisenden wo er kann — das thut aber der Amerikaner nicht allein, das thun alle civilisirten und uncivilisirten christlichen Völker.

Am 31. Mai Abends verließ ich Aspinwall auf dem schönen Dampfer „Eldorado“, Kapitän Grey, mit der Bestimmung nach Neu-Orleans.

[21] Ich besuchte einige der vorzüglichsten Ateliers und fand überall die gleich schlecht geschnitzten, hölzernen Figuren, wie in den Kirchen.

[22] Hier wie in Peru nennt sich zwar alles „Alt-Spanier“, was nur einige Tropfen Spanischen Blutes in seinen Adern hat, und nicht reiner Indianer oder Neger ist; allein die Regierung geht, der jährlichen drei Thaler wegen, dabei etwas genauer zu Werke.