The Project Gutenberg eBook of Aladdin und die Wunderlampe

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Title: Aladdin und die Wunderlampe

Author: Ludwig Fulda

Release date: November 30, 2004 [eBook #14221]
Most recently updated: December 18, 2020

Language: German

Credits: E-text prepared by Miranda van de Heijning and the Project Gutenberg Online Distributed Proofreading Team

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ALADDIN UND DIE WUNDERLAMPE ***

 

E-text prepared by Miranda van de Heijning
and the Project Gutenberg Online Distributed Proofreading Team

 


 

Aladdin und die Wunderlampe

Tausend und einer Nacht nacherzählt

von

Ludwig Fulda

Mit Bildern von Max Liebert

Berlin 1912


1

1.

K

Kommt, Kinder, faßt mich bei der Hand!

Ich führ' euch in das Morgenland

Und in sein Märchenparadies

Auf einem wohlbekannten Pfade.

Vor langen, langen Jahren wies

Ihn die berühmte Schehersade

Dem argen Sultan Scheherban,

Sodaß der greuliche Tyrann—

Weil ihre Kunst, in bunten Bildern

Ihm eine Zauberwelt zu schildern,

Unwiderstehlich ihn berauschte—

Vergessend Speis' und Trank und Ruh',

Ihr volle tausend Nächte lauschte

Und eine weitre noch dazu.

Von jenen köstlichen Geschichten,

Mit denen sie sein Ohr betört,

Will ich euch eine nun berichten;

Seid also mäuschenstill und hört:

In einer Hauptstadt fern im Osten,

So fern, daß nur mit viel Gefahr

Und ungeheuren Reisekosten

2Man ihr zu nahn imstande war,

Jedoch so reich an Herrlichkeiten,

Daß niemand ihresgleichen sah,

Dort lebte vor geraumen Zeiten

Ein Bürger namens Mustapha

Mit seiner Frau und seinem Sohn.

Sein Brot erwarb er sich als Schneider;

Sein Handwerk aber trug ihm leider

Trotz allem Fleiß nur magren Lohn,

Und knapp war drum bei ihm bemessen

Das Mittag- wie das Abendessen.

Den Sohn—man hieß ihn Aladdin—

Konnt' er nur mangelhaft erziehn;

So ward aus dem ein rechter Flegel,

Der gut tat, nur solang' er schlief,

Der schon frühmorgens in der Regel

Barfüßig auf die Gasse lief,

Sich dort herumtrieb nach Belieben

Mit andern kleinen Tagedieben

Und, bis ihm durch ihr Heer von Sternen

Den Heimweg zeigen ließ die Nacht,

Auf jeden Unfug war bedacht,

Sich aber sträubte, was zu lernen.

Der Vater hieb den Arm sich lahm,

Sah schließlich ein, mit solchem Rangen

Sei nichts Gescheites anzufangen,

Und wurde krank und starb vor Gram.

3Der Bursch, nun fünfzehn Jahr' schon alt,

Groß, schlank, fast männlich von Gestalt,

Statt auf die Hosen sich zu setzen

Für seiner Mutter Unterhalt,

Fuhr fort, auf öffentlichen Plätzen

Herumzulungern ohne Ziel

Und seine Tage zu vergeuden

In rohen Müßiggängerfreuden,

In plumpem Spaß und wildem Spiel.

Einst, als er in gewohnter Art

Sich raufte mit der Gassenjugend,

Merkt' er, daß eifrig nach ihm lugend

Ein fremder Mann mit schwarzem Bart

Und afrikanischen Gewändern

Ihm scheinbar im Vorüberschlendern

Sich näherte. Der Fremde blieb

Dicht vor ihm stehn und sprach: "Vergib,

Mein junger Freund, und laß mich wissen:

Wer ist dein Vater?" Aladdin

Versetzte: "Längst schon hat mir ihn

Des Todes rauhe Hand entrissen.

Im Leben hieß er Mustapha."

Die hellen Tränen rollten da

Dem Fremdling über beide Wangen:

"O Glück, daß ich, mein Sohn, dich treffe,"

Sprach er mit zärtlichem Umfangen;

"Du bist ja mein geliebter Neffe.

4Dein Vater war mein Bruderherz;

Ich aber bin ununterbrochen

Schon auf der Reise hundert Wochen,

Um ihn zu sehn. Drum hat der Schmerz

Mich bei der Nachricht übermannt

Von seinem traurigen Geschicke;

Hab' ich doch gleich beim ersten Blicke

Dich an der Ähnlichkeit erkannt!"

Drauf hieß er ihn die Mutter grüßen

Und zog ein Beutelchen heraus

Und gab ihm Geld.

Auf raschen Füßen

Lief Aladdin vergnügt nach Haus,

Um seiner Mutter klipp und klar

Den ganzen Handel zu erzählen.

Die Mutter konnt' ihm nicht verhehlen,

Wie sehr sie drob verwundert war.

Mit rechten Dingen kaum geschah's!

Wo war der Oheim hergekommen,

Da sie doch nie zuvor vernommen

Von einem Bruder Mustaphas?

Doch weil das Gelb gar lustig klang,

Zerbrach sie sich den Kopf nicht lang;

Und abends wollten beide grad

Von ihrem kargen Mahle naschen,

Als jener Mann mit vollen Flaschen

Und Früchten in die Stube trat,

5Um selber sich zu Gast zu laden.

Von Rührung überwältigt schier

Blickt' er sich um, als woll' er hier

Von neuem sich in Tränen baden,

Und sagte: "Teure Schwägerin,

Wohl vierzig Jahre flossen hin,

Seit ich dies Heimatland verlassen,

Um in der Fremde Fuß zu fassen

Und dem erträumten Glücke nach

Den halben Erdkreis zu durchstreifen;

Es läßt sich also gut begreifen,

Daß nie mein Bruder von mir sprach.

Nun aber endlich heimgekehrt

Und trostlos, weil an seinem Herd

Ich ihn lebendig nicht mehr finde,

Den sehnsuchtsvoll ich suchte—nun

Will wenigstens ich seinem Kinde,

Was ich vermag, zuliebe tun."

Zu Aladdin gewandt hierbei,

Begann er freundlich ihn zu fragen,

In welchem Handwerk er beschlagen

Und welcher Zunft beflissen sei.

Der Bursche schwieg verlegen still;

Die Mutter aber sprach betrübt:

"Kein Handwerk hat er je geübt,

Weil er durchaus nichts lernen will.

Da hilft kein Warnen und kein Schelten;

6Ich glaube wahrlich, daß noch selten

Es einen solchen Faulpelz gab.

Er bringt mich an den Bettelstab,

Und nächstens weis' ich ihm die Türe.

Sein Vater würde sich im Grab

Umdrehn, wenn er davon erführe."

Der Fremdling mahnte drauf den Jungen

In mildem, väterlichem Ton:

"Das ist nicht wohlgetan, mein Sohn;

Doch treibt man etwas nur gezwungen,

Dann wird es einem leicht vergällt.

Berufe gibt es viel auf Erden;

Du mußt nicht grad ein Schneider werden,

Und wenn kein Handwerk dir gefällt,

So will ich gerne mich verpflichten,

Im feinsten städtischen Bazare

Dir einen Laden einzurichten

Mit Linnenzeug, mit Seidenware,

Kostbaren Teppichen und Stoffen,

Sodaß Gewinn und neuer Kauf

Dir Wohlstand bringt. Gesteh' mir offen:

Wie nimmst du diesen Vorschlag auf?"

Der Schlingel, ohne lang' zu schwanken,

Erklärte schmunzelnd sich bereit;

Die Mutter schwamm in Seligkeit,

Hieß ihn sich tausendmal bedanken

Und zweifelte nicht länger dran,

7Der unbekannte Biedermann,

Der gleich ein ganzes Warenlager

Dem Sohn zu schenken sich erbot,

Sei niemand anders als ihr Schwager.

Am nächsten Tag ums Morgenrot

Erschien der neue Oheim wieder,

Nahm seinen lieben Neffen mit,

Ging ihm zur Seite Schritt für Schritt

In den Bazaren auf und nieder,

hielt an vor einem Kleiderstand

Und bat ihn, aus dem dichten Schwalle

Sich auszusuchen ein Gewand,

Das ihm besonders gut gefalle.

Freigebig kauft' er ihm dazu

Noch Turban, Gürtel, Strümpfe, Schuh',

Bis von dem Scheitel zu den Zehen

Er einem jungen Prinzen glich.

"Du sollst nun alle Tage mich

Begleiten beim Spazierengehen,"

Sprach sein Beschützer großmutvoll;

"Denn freien Blick und Welterfahrung

Braucht, wer ein Kaufmann werden soll.

Dem Geist wird mühelos die Nahrung

Geboten, deren er bedarf,

Wenn klar das Auge sieht und scharf.

Einsaugen wirst auf unsern Gängen

Die Bildung du wie Luft und Licht

8Und läufst bei solchem Unterricht

Niemals Gefahr, dich anzustrengen."

Gesagt, getan. Sie gingen beide

Von jetzt ab täglich durch die Stadt,

Und Aladdin, im neuen Kleide

Stolz wie ein Pfau, ward nimmer satt,

Sich wißbegierig anzusehn,

Was ihm sein guter Oheim zeigte.

Sie wandelten durch weitverzweigte

Gewölbe, Hallen und Moscheen,

Betrachteten die schönsten Läden,

Der Straßen emsiges Gewühl,

Die Brunnen, draus erquickend kühl

Das Wasser schoß in Silberfäden,

Von hohen Palmen überschattet,

Und drangen durch ein Gittertor,

Wo freier Zutritt war gestattet,

zum Prachtpalast des Sultans vor.

Auch pilgerten sie manchen Tag,

Die Glieder doppelt rüstig regend,

Hinaus in die begrünte Gegend,

Bis fern die Stadt im Rücken lag

Und zu den Gärten sie gelangten,

Drin unter üppigem Gerank

Die wundersamsten Blumen prangten,

Umspült von Teichen spiegelblank.

Aladdin im Zaubergarten

Aladdin im Zaubergarten


9

2.

N

Nachdem auf solchen Wanderungen

Manch reizend Fleckchen sich dem Jungen

Erschlossen, führte sein Begleiter

Auf nie zuvor betretnem Pfad

Ihn eines Morgens weit und weiter,

Aufwärts und abwärts, krumm und grad.

Bald war kein menschlich Wesen rings

Und auch kein Haus mehr zu entdecken;

Doch unaufhaltsam weiter ging's.

Schon türmte hinter öden Strecken

Sich des Gebirges steile Mauer;

Das Tal, von Felsen eingezwängt,

Ward allgemach zur Schlucht verengt,

Und endlich, von des Marsches Dauer

Erschöpft, hätt' Aladdin sich gerne

Zur Rückkehr wieder umgewandt;

Sein Oheim aber sprach: "Halt' stand!

Ist unser Ziel doch nicht mehr ferne.

Noch ein paar Schritte durch das Tal—

Was ich sodann dir zeigen werde,

10Das wirst auf der gesamten Erde

Du nicht erspähn zum zweitenmal."

So setzten ihren Weg sie fort

Und kamen bis zu einem Ort,

Den riesenhafte Felsenwälle

Allseitig schienen zu verrammeln.

Der Oheim rief: "Wir sind zur Stelle!"

Er hieß ihn trocknes Reisig sammeln,

Schlug Feuer, das bald lustig sprühte,

Warf Räucherwerk aus einer Düte

Hinein und murmelte dann leise,

Sobald sich Qualm und Schwefelduft

Verbreiteten in dichtem Kreise,

Seltsame Formeln in die Luft.

Da gab's ein Krachen und ein Beben,

Als stürzten Erd' und Himmel ein;

zutage trat ein Quaderstein

Und in der Mitte dran, zum Heben,

Ein Ring aus Eisen. Aladdin,

Von Angst geschüttelt, wollte fliehn;

Der Oheim aber hieb sogleich

Ihm einen solchen Backenstreich,

Daß ihm der Kopf geriet ins Wackeln,

Und sprach: "Mein Sohn, ich bin dir jetzt

Als zweiter Vater vorgesetzt;

Kein Sträuben duld' ich und kein Fackeln.

12Gehorch' mir, und du wirst erproben,

Wie sehr dir's frommt. An diesem Platz

Liegt ein für dich bestimmter Schatz,

Der, wenn du glücklich ihn gehoben,

Dich reicher macht als alle Reichen

Der ganzen Welt. Den Quaderstein

Darf niemand außer dir allein

Berühren; dir nur wird er weichen."

Aladdins Oheim murmelt eine Zauberformel

Aladdins Oheim murmelt eine Zauberformel

Und richtig, als nach bangem Säumen

Der Bursch am Eisenringe zog,

Konnt' er den Stein beiseite räumen,

Obwohl er hundert Zentner wog,

Und er gewahrte drunter Stufen

Nebst einer Tür. "In diesen Schacht

zu steigen bist nur du berufen,"

Begann der Oheim; "drum gib acht

Auf alles, was ich nun dafür

Zu deinem Schutz dir anempfehle.

Geöffnet findest du die Tür;

Sie führt in drei gewölbte Säle.

In jedem stehn vier große Becken

Voll Gold und Silber; doch laß ab,

Die Hand nach ihnen auszustrecken.

Schürz' auch dein Kleid und gürt' es knapp;

Denn streift es irgendwo die Wände,

So mußt du deinen Tod erwarten.

An jenes dritten Saales Ende

13Wird auftun sich vor dir ein Garten,

Bepflanzt mit Bäumen mannigfalt,

Ein jeder voll mit Frucht behangen.

Geh' nur gradaus, dann wirst du bald

Zu einer Treppe hingelangen;

Ersteige sie getrost: sie mündet

Auf eine stattliche Terrasse;

In einer Nische angezündet

Steht eine Lampe dort. Die fasse,

Verlösch' sie, gieß' die Flüssigkeit

Mitsamt dem Docht heraus, verhülle

Sie sorgsam unter deinem Kleid

Und bring' sie mir. Wenn dich die Fülle

Des Gartens etwa lockt, so pflück'

Auf deinem Weg hierher zurück

Dir von den Früchten nach Belieben.

Und nun, zu deinem eignen Glück

Befolg', was ich dir vorgeschrieben."

Er steckte noch für jeden Fall

Ihm einen Ring an seinen Finger;

Der werde sich als Hilfebringer

Bewähren stets und überall.

So stieg denn Aladdin hinunter;

Die Säle fand er laut Bericht,

Berührte deren Wände nicht,

Kam in den Garten, eilte munter

Hinan die Treppen zur Terrasse,

14Sah Nisch' und Lampe dort, verfuhr

Streng nach Geheiß, damit er nur

Vom Auftrag keinen Punkt verpasse,

Und kehrte, nun er unterm Kleide

Die Lampe sicher hielt verwahrt,

Zum Garten um. O Augenweide!

Denn Früchte von verschiedner Art

Trug leuchtend jeder Baum zur Schau,

Teils hell, teils dunkel, weiß und blau,

Rot, gelblich, violett und grün,

Und allesamt in buntem Scheine

Durchsichtig wie von innrem Glühn.

Es waren lauter Edelsteine.

Da flammten, funkelten und brannten

Türkise, Perlen, Diamanten,

Smaragd, Rubin, Saphir, Topas

Von gänzlich beispiellosem Werte.

Doch Aladdin, der unbelehrte,

Hielt sie für nur gefärbtes Glas.

Er hätte lieber von den Zweigen

Sich süße Trauben oder Feigen

Gepflückt; als Spielzeug aber war

Der bunte Tand ganz annehmbar.

Drum nahm er sich von jeder Sorte,

So viel er in die Taschen zwang,

Schritt die drei Säle sacht entlang

Und kam zurück zur Eingangspforte.

15Den Oheim, der mit allen Zeichen

Der Ungeduld hier Wache stand,

Bat er, zur Hilf' ihm seine Hand

Beim Ausstieg aus dem Schacht zu reichen.

Der aber rief in einem groben

Befehlerton: "Die Lampe her!"

"Du sollst sie haben nach Begehr,"

Sprach Aladdin, "sobald ich oben."

Der Oheim schrie mit steter Steigrung:

"Die Lampe!" Doch voll Eigensinn

Blieb Aladdin bei seiner Weigrung:

"Wart', bitte, bis ich oben bin."

Des Oheims Wut ward ungeheuer;

Schnell goß er Räucherwerk ins Feuer,

Indem er eine Formel schnaubte.

Der Quader klappte drauf im Nu

Dem Aladdin grad überm Haupte

Wie eines Kastens Deckel zu.—

Wer wird aus diesem Oheim klug?

Ein Bruder Mustaphas? Behüte!

Verwandtschaft, Rührung, Herzensgüte

War samt und sonders Lug und Trug.

Ein Zaubrer war's, nicht hier geboren,

Nein, fern in Afrika daheim,

Und hatte diesen Vogelleim

Aus gutem Grund sich auserkoren.

Nachdem er nämlich festgestellt

16Durch Hexerei, daß in der Welt

Es eine Wunderlampe gebe,

Die zu der höchsten Macht erhebe,

Ja, Geister fähig sei zu binden,

Hatt' er in einem Zauberbuch

Nach manch vergeblichem Versuch

Den Ort entdeckt, wo sie zu finden,

Und so, von Habgier angefacht,

Flugs auf die Reise sich gemacht.

Doch weil ihm ein Gesetz verwehrte,

Selbst in das Schatzgewölb' zu dringen,

Deswegen war vor allen Dingen

Er einem Werkzeug auf der Fährte,

Das ihm dazu geeignet schien.

Sein Auge fiel auf Aladdin

Als einen unerfahrnen Knaben;

Wenn ihm die Lampe der geschafft,

Dann durch der Zauberformel Kraft

Wollt' er lebendig ihn begraben,

Damit er nichts davon verriete.

Und nun? Gescheitert war der Plan,

Die jahrelange Müh' vertan!

Statt des Gewinnes eine Niete!

Vorzeitig hatte ja sein Zorn

Auf immerdar den Wunderborn

Mitsamt der Lampe zugeriegelt,

Und alle seine Kunst und List

17Hätt' ihn kein zweites Mal entsiegelt.

So, mit sich selbst in argem Zwist,

Von Grimm gefoltert und von Scham,

Vermied er's, länger zu verweilen,

Und reiste wieder tausend Meilen

Dahin zurück, woher er kam.


18

3.

W

Wer schildert Aladdins Entsetzen,

Als er sich hilflos, wie ein Fink

In eines Vogelfängers Netzen,

Verstrickt sah durch des Zaubrers Wink!

Vergebens, daß er laut und schrille

Nach dem vermeinten Oheim rief;

Mit Bleigewicht bedeckte tief

Ihn Dunkelheit und Grabesstille.

Vergebens, daß ihn Furcht und Schauer

zurück durch die drei Säle trieb;

Der Zugang zu dem Garten blieb

Verschlossen wie durch eine Mauer,

Und nicht imstand, sich zu befrei'n

Aus diesem schrecklichen Gefängnis,

Fing in verzweifelter Bedrängnis

Er an zu weinen und zu Schrei'n,

Bis endlich vor Entkräftung krank

Er auf den Boden niedersank.

So, nicht imstand mehr, sich zu regen,

Lag er entbehrend Speis' und Trank

Und blickte seinem Tod entgegen

19Zwei Tage lang. Zuletzt am dritten,

Als er die schwachen Hände hob,

Um Gottes Beistand zu erbitten,

Da—ganz von ungefähr—verschob

An seinem Finger sich der Ring,

Der ihm vom Zaubrer angesteckt war,

Und dessen Kraft ihm noch verdeckt war.

Bevor ein Augenblick verging,

Erhob auf einmal, fürchterlich

Von Wuchs und Antlitz und Gebärde,

Ein Geist sich vor ihm aus der Erde

Und sagte: "Was begehrst du? Sprich!

Dein Sklav' bin ich und aller derer,

Die diesen Ring am Finger tragen."

Zwar fiel vor Schreck und scheuem Zagen

Dem Aladdin das Sprechen schwerer

Als je zuvor; doch nur bedacht

Auf Rettung, gab er schnell dem Geist

Zur Antwort: "Wer du immer seist,

Hilf mir, sofern's in deiner Macht,

Aus diesem schauerlichen Orte!"

Gesprochen waren kaum die Worte,

Da fand er sich bei Tageshelle,

Nachdem er einen Ruck verspürt,

Im Freien wieder an der Stelle,

Wohin der Zaubrer ihn geführt.

Doch zeigte sich kein Quader mehr

20Und keine Tür zum Gruftgemäuer;

Nur vom erloschnen Reisigfeuer

Ein Häuflein Asche lag umher.

Zwar froh, jedoch zum Sterben matt

Und halb verhungert, suchte gierig

Er nach dem Heimweg in die Stadt.

Zum Glück war das nicht allzu schwierig.

Die Felsen halfen eng und dicht

Ihm auf den schmalen Pfad gelangen,

Den vor drei Tagen er begangen.

Die Gärten kamen bald in Sicht,

Und weit schon grüßten ihn voraus

Die wohlbekannten Türm' und Dächer.

Er schleppte, schwach und immer schwächer,

Sich bis zu seiner Mutter Haus

Und schlug, sobald er es betreten,

Ohnmächtig in der Stube hin.

Die Mutter, die von Anbeginn

Die Zeit mit Weinen und mit Beten

Verbracht und ihn zuletzt, beraubt

Jedweder Hoffnung, tot geglaubt,

War auf das eifrigste bestrebt,

Ihn wieder zu sich selbst zu bringen;

Er aber sagte, kaum belebt:

"Ach, Mutter, hol' vor allen Dingen

Mir was zu essen her; denn fasten

21Mußt' ich drei Tage ganz und gar."

Sie gab ihm, was im Hause war,

Und warnt' ihn, sich zu überhasten,

Denn was man rasch hinunterwürge,

Das könne man nicht gut verdau'n,

Und nur damit er ihr verbürge,

Langsam und ordentlich zu kau'n,

Drum solle, während er bei Tisch,

Ihn keine Frag' und Antwort quälen;

Er mög' ihr eher nichts erzählen,

Als bis er gänzlich satt und frisch.

Er folgte diesem guten Rat,

Indem er so nur Stumm beschäftigt

Dem Leibeswohl Genüge tat.

Dann aber, durch das Mahl gekräftigt,

Beschrieb im kleinen und im großen

Er nach der Reihe ganz genau,

Was ihm inzwischen zugestoßen;

Er wies, als ihm die wackre Frau

Nicht wollte glauben und drauf schwor,

Daß er geträumt, an seinem Finger

Den Ring und zog die bunten Dinger,

Die er vom Baum gepflückt, hervor.

Auch sie, weil nirgends noch dergleichen

Sie je gewahrt und stets verkehrt

Mit armen Leuten, nie mit reichen,

Verkannte völlig deren Wert.

22Sie meinte zwar, daß ihr Besitzer

Sich an dem farbigen Geglitzer

Erfreuen könnte; doch dies Lob

Erschien dem Sohne nicht beträchtlich,

Weshalb er sie beinah verächtlich

In irdgendeine Lade schob.

Die mitgebrachte Lampe kam

Nicht besser weg; zu keinem Zwecke

Schien tauglich dieser Trödelkram,

Als um zu rosten in der Ecke.

Zuletzt gestanden sich die Zwei,

Die Schuld an all dem Unheil trage

Des falschen Oheims Schurkerei;

Denn klärlich trat es nun zutage,

Daß Aladdin von diesem Bösen

Geweiht war schnödem Untergang

Und nur durch Zufall ihm gelang,

Sich lebend aus dem Garn zu lösen.

Die Mutter ließ zu Schimpf und Schmach

Des Zaubrers manchen Fluch erschallen;

Doch waren, noch dieweil sie sprach,

Dem Sohn die Augen zugefallen.

Er hatte ja zwei volle Nächte

Vom Schlaf gemieden zugebracht;

Drum heischte der schon vor der Nacht

Heut unbezwinglich seine Rechte.

Halb zog, halb trug mit treuem Sorgen

24Die Frau den Taumelnden zu Bett;

Da lag er reglos wie ein Brett

Und schnarchte bis zum späten Morgen.

Kaum aber war er endlich wach,

Als auch sein Hunger wiederkehrte

Und nach dem Frühstück er begehrte.

Doch seufzend rief die Mutter: "Ach,

Ich habe keinen Bissen Brot;

Denn alles, was ich noch besessen,

Das hast du gestern aufgegessen.

Wie helfen wir uns aus der Not?

Ich muß erst wieder näh'n und spinnen,

Bevor ich was verdienen kann."

"Nein, Mutter, sorg' dich nicht," begann

Der Sohn nach einigem Besinnen.

"Für unsern heutigen Bedarf

Genügt's, die Lampe zu verkaufen,

Die gestern ich beiseite warf.

Ich will mit ihr zum Händler laufen;

Der wird gewiß mir einen Groschen

Dafür bezahlen oder zwei."

Die Mutter holte sie herbei

Und sprach: "Ihr Glanz ist längst erloschen;

Auch ist von Staub und Rost und Schmutze

Von oben sie bis unten voll;

Wenn sie der Händler kaufen soll,

25Ist's ratsam, daß ich erst sie putze."

So nahm sie Wasser denn und Sand;

Kaum aber hatte sie zu scheuern

Begonnen mit geübter Hand,

Da stieg in einer Ungeheuern

Und grauenhaften Schreckgestalt,

Des Zimmers ganzen Raum erfüllend,

Ein Geist vor ihr herauf, der brüllend

Mit markerschütternder Gewalt

Sie anfuhr: "Was ist dein Begehr?

Um dir zu dienen, komm' ich her.

Gehorchen muß ich jedermann,

Der diese Lampe hält in Händen."

Allein, bevor er Zeit gewann,

Um seine Rede zu vollenden,

Fiel, außerstand, sich zu bemeistern,

Die Mutter um und rang nach Luft.

Das Erscheinen des Geistes

Das Erscheinen des Geistes

Doch Aladdin, der in der Gruft

Gelernt, wie man mit solchen Geistern

Verfährt, ergriff die Lampe schnell

Und säumte nicht, ihm zu befehlen:

"Ein gutes Frühstück schaff' zur Stell'!"

Der Geist verschwand. Nicht drei zu zählen

Vermochte man, da kam er wieder

Mit einer großen Silberplatte

Und setzte sie behutsam nieder.

Was irgend man zu wünschen hatte,

26Das bot sich drauf in Fülle dar:

Zwölf Silberschüsseln, drin ein feines

Und reiches Mahl enthalten war,

Zwei Flaschen voll erlesnen Weines,

Vier Brote von dem besten Mehl,

Kurzum ein Frühstück ohne Fehl.

Die Mutter lag in Ohnmacht noch,

Wie sich der Geist bereits empfohlen,

Und konnt' erst langsam sich erholen,

Indem den würzigen Duft sie roch.

Der Sohn erfaßte sie beim Arm

Und drängte sie, den guten Speisen

Geziemend Ehre zu erweisen;

Denn ewig blieben sie nicht warm.

Sie sprach, verblüfft im höchsten Grade:

"Woher denn dieser Überfluß?

Zeigt uns der Sultan seine Gnade?"

Drauf Aladdin: "Zuerst Genuß,

Erklärungen dann hinterdrein."

Und unbedenklich hieb er ein.

Die Mutter, vor Erstaunen wirr,

Betrachtete bei jeder Pause,

Die stattfand zwischen ihrem Schmause,

Das schöne silberne Geschirr,

Und als die Zwei gesättigt, lag

Noch ganz genug in jeder Schüssel

Für diesen und den nächsten Tag.

27Sie fragte wieder nach dem Schlüssel

Zu diesem seltsamen Erlebnis,

Und als der Sohn ihr wahrheitstreu

Geschildert hatte das Begebnis,

Versetzte sie voll banger Scheu:

"Mit Geistern ist nicht gut zu scherzen;

Drum folg' mir, wirf die Lampe fort

Und nimm den Druck von meinem Herzen."

"Nein," rief er, "einen solchen Hort

Soll, wer ihn einmal hat, behüten.

Nun ist, was erst ich nicht begriff,

Mir klar—des falschen Oheims Kniff

Sowie der Grund von seinem Wüten.

Durchaus die Lampe wollt' er haben,

Weil sie versehn mit Wundergaben,

Und jetzt mit Recht gehört sie mir.

Ich will sie bergen zwar und Schützen

Vor unsrer Nachbarn Neid und Gier,

Im Notfall aber sie benützen,

Sie und den Ring an meiner Hand.

Vertrauen darf ich meinem Glücke,

Weil dieses Schurken arge Tücke

Sich so zum Guten hat gewandt."


28

4.

E

Einmal geht alles auf die Neige,

Hält man damit auch sparsam Haus,

Und daß der Hunger dauernd schweige,

Bewirkt kein noch so fetter Schmaus.

Die Schüsseln wurden also leer,

Und Aladdin, dem unterm Gurte

Bereits der Magen wieder knurrte,

Nahm von den zwölfen eine her

Und trug in seines Mantels Falten

Sie heimlich, um sie feilzuhalten,

Zum Trödler in der nächsten Gasse;

Doch als der höchst verschmitzte Greis

Die Frage tat, um welchen Preis

Er ihm die Schüssel überlasse,

Gestand ihm Aladdin gar ehrlich,

Wieviel sie wert sei, wiss' er nicht.

Der alte Gauner, der begehrlich

Geprüft ihr stattliches Gewicht

Und merkte, daß der junge Fant

29Von seinem Schatze nichts verstand,

Gab ihm, damit nicht vorm Verkauf

Er etwas noch davon erfahre,

Geschwind ein Goldstück für die Ware.

Mit diesem flog in muntrem Lauf,

Des Vorteils froh, der ihm erwuchs,

Der Bursch zum Bäcker und zum Schlächter,

Dieweil ihm jener schlaue Fuchs

Nachsah mit leisem Hohngelächter.

In solcher Art allmählich ließ

Elf Schüsseln, eine nach der andern,

Wenn ihn die Not von neuem stieß,

Nichtsahnend er zum Trödler wandern.

Nun kam ihm bei dem nächsten Fall

Zu Sinn, die Platte loszuschlagen;

Nur konnt' er die nicht selber tragen;

War viel zu schwer doch ihr Metall.

So bat er, weil er noch nicht klüger

Geworden, jenen Schelm ins Haus,

Und schleunig zahlte der Betrüger

Goldstücker zehn dafür ihm aus.

Die zwölfte Schüssel blieb zurück.

Nachdem das schöne Geld zerflossen,

Wollt' er zum Trödler kurz entschlossen

Verschleppen auch dies letzte Stück.

Doch mitten auf dem Wege trat

30Ein Goldschmied freundlich ihm entgegen

Und sagte: "Nicht der Neugier wegen

Frag' ich, warum den gleichen Pfad

Ich oft, mein Sohn, dich wandeln sehe.

Hier wohnt ein Trödler in der Nähe;

Hast du mit dem dich eingelassen,

Dann sei gewarnt und sieh dich vor;

Denn jeden haut er übers Ohr.

Ich will mich gern damit befassen,

Zu schätzen, was dir etwa feil,

Und nimmer würdest du betrogen."

Der Bursche hatte mittlerweil

Die Schüssel aus dem Kleid gezogen.

Die sah der Goldschmied ohne Worte

Von allen Seiten lang sich an

Mit Kennerblick und fragte dann,

Ob er schon andre dieser Sorte

Veräußert hab' und für wieviel.

"Ein Goldstück hat er mir gegeben,"

Sprach Aladdin. "Bei meinem Leben,

Der Spitzbub kennt nicht Maß noch Ziel,"

Versetzte jener voll Empörung.

"Mein Sohn, du warst nicht auf der Hut

Und hast in gründlicher Betörung

Verschleudert ein beträchtlich Gut.

Für solche Schüssel sondergleichen

Ein Goldstück! O der Ungebühr!

31Denn achtundsechzig will dafür

Ich auf dem Fleck dir überreichen."

Von diesem Tag an war das Darben

Für Sohn und Mutter abgestellt,

Und übermalt mit Rosenfarben

Schien die zuvor so graue Welt.

Wenn ihre Barschaft nicht mehr langte,

Ließ Aladdin der Lampe Geist,

Ob auch der Mutter vor ihm bangte,

Erscheinen und gebot ihm dreist,

Ein neues Frühstück anzurichten;

Pünktlich vollzog der seine Pflichten.

Die Silberschüsseln und die Platten

Bracht' er hierauf, so oft es Zeit war,

Zum Goldschmied hin, der stets bereit war,

Den vollen Preis ihm zu erstatten.

Fortan drum ward es ihnen leicht,

Bequem zu leben und behaglich;

Doch weil es leider niemals fraglich,

Daß Mißgunst hinterm Glücke schleicht

Und man sich hüten muß vor Neidern,

Vermieden sie trotz gutem Trunk

Und gutem Essen jeden Prunk

In ihrem Haus und ihren Kleidern

Und hielten hinter sich'rem Schloß

Dadurch geheim den goldnen Bronnen,

Der ihnen unversiegbar floß.

32Vier Jahre waren so verronnen.

Zu einem schmucken jungen Manne

War Aladdin herangereist,

Gerad und schlank wie eine Tanne.

Ein winzig Bärtchen, zart geschweift,

Sproß über seinem Lippenrand,

Und niemand hätte mehr den Lümmel,

Der einst in müßigem Getümmel

Die Zeit vertan, in ihm erkannt.

Sein Blick war jetzt nicht mehr getrübt

Von Trägheit, seine Geisteskräfte

Durch ernsten Umgang eingeübt

Auf die verschiedensten Geschäfte.

Der Menschen Treiben insgesamt,

Ihr Wirken, Trachten, Fürchten, Hoffen

In jedem Handwerk, jedem Amt

Lag wie ein Buch nun vor ihm offen.

Er hatte viel Verkehr gepflegt

In Wechselstuben, Kaufmannsläden

Und sich in seinem Tun und Reden

Ein vornehm Wesen zugelegt.

Jetzt ward ihm auch von selber kund,

Was einst er nicht gewagt zu träumen:

Daß all die Früchte feurig bunt

Von jenes Zaubergartens Bäumen

Kein farbig Glas, wie er gedacht,

Vielmehr die köstlichsten Juwelen.

Er nahm sich aber wohl in acht,

33Aus Furcht, man könnt' ihn drum bestehlen,

Es irgend jemand zu erzählen.

Der Mutter selbst verschwieg er's streng.

Durchwandelnd eines Tags die Straßen,

Vernahm er ungewohntermaßen

Ein laut Bumbum und Schnettretteng.

Zum Schall von Pauken und Trompeten

Rief öffentlich ein Herold aus,

Man möge schließen jedes Haus

Und nicht die Straße mehr betreten.

Prinzessin Bedrulbudur nämlich,

Des Sultans Tochter, wolle heute

Zum Bade gehn, und zwar bequemlich

Gesichert vorm Gegaff der Leute.

Weil Neugier doppelt heftig loht,

Wenn ihr begegnet ein Verbot,

Ward alsogleich durch dies Verfahren

In Aladdin der Wunsch erweckt,

Die Sultanstochter unbedeckt

Von ihrem Schleier zu gewahren.

Er schlich deshalb auf leichten Sohlen

Zur Tür des Bades katzenhaft

Und kauerte sodann verstohlen

Sich hinter einer Säule Schaft.

Er hatte noch nicht lang geharrt,

Als schon mit einem großen Staate

34Von Frauen die Prinzessin nahte.

Sie nahm, von seiner Gegenwart

Nichts merkend, gänzlich unbefangen

Im Vorraum ihren Schleier ab,

Und Aladdin, drei Schritte knapp

Entfernt, vermochte nach Verlangen

Ihr Antlitz hüllenlos zu schaun.

War auch—die Mutter ausgenommen—

Bisher von unvermummten Frau'n

Ihm keine zu Gesicht gekommen,

So ward mit einem Schlag ihm klar,

Daß diese hier die schönste war.

Aladdin belauscht die Prinzessin

Aladdin belauscht die Prinzessin

Herab in reicher Lockenflut

Floß ihr kastanienbraunes Haar

Auf ihrer Augen dunkle Glut

Ihr Blick war sittsam und voll Güte,

Die Wangen sanft gerundet, weich

Und rosenrot wie Pfirsichblüte,

Die Lippen zwei Korallen gleich.

Ihr Wuchs und Gang war ohne Tadel,

Und ihre liebliche Gestalt

Verriet in Reizen tausendfalt

Holdseligkeit vereint mit Adel.

Kein Wunder drum, daß Aladdin,

Nachdem die Herrliche verschwunden,

Noch immerdar wie festgebunden

Und wie verzaubert sich erschien.

36Obwohl erstarrt zu Stein und Erz

Er sich zu rühren nicht vermochte,

Konnt' er empfinden, wie sein Herz

In seiner Brust vernehmlich pochte.

Sogar als er zuletzt gewaltsam

Sich loszureißen war gewillt,

Verfolgte dennoch unaufhaltsam

Ihn auf dem Weg nach Haus ihr Bild.

Der Mutter war's ein leichtes Ding,

Sein ganz und gar verändert Wesen

Gleich von der Stirn ihm abzulesen.

Sie wunderte sich drob und fing

Ihn auszuforschen an, warum

Er so zerstreut, verstört und stumm;

Ob ihm vielleicht zu Kopf gestiegen

Ein Streit? Ein Ärger? Ein Verdruß?

Doch er, wie eine harte Nuß,

Blieb unzugänglich und verschwiegen.

Auch als am Abend auf den Tisch

Von ihr ein braungebratner Hase

Getragen ward und in die Nase

Der Duft ihm drang verführerisch,

Schob er, der immer seinen Mann

Gestanden sonst als guter Esser,

Hinweg die Gabel und das Messer

Und rührte keinen Bissen an.

Da merkte sie, daß an dem Toren

37Heut jedes Mittel war verloren,

Und beide schwiegen um die Wette.

Er träumte wachend, seufzte tief

Und ging zu guter Letzt zu Bette;

Doch fraglich ist es, ob er schlief.


38

5.

A

Am Morgen drauf—am Spinnrad schon

Saß die besorgte Frau voll trüber

Gedanken—trat herein ihr Sohn

Und setzte sich ihr gegenüber.

"Ach, Mutter," hob er an, "vergib

Mir nur mein gestriges Betragen;

Verzeih' mir, daß auf deine Fragen

Ich dir die Antwort schuldig blieb.

Doch wenn du mir's mit Recht verübelt,

Heut will ich offen dir gestehn:

Ich kann, so viel ich nachgegrübelt,

Nicht fassen, was mit mir geschehn.

Ich bin nicht krank, und dennoch lieber

Hätt' ich den ärgsten Schmerz gefühlt

Als dieses rätselhafte Fieber,

Das mir im Innern tobt und wühlt.

Mit Namen weiß ich's nicht zu nennen

Und weiß auch nicht, wie man's behebt;

Du aber wirst's gewiß erkennen,

Wenn du vernimmst, was ich erlebt."

39Drauf gab er ihr genaue Kunde,

Wie gestern bei dem Badegang

Der Sultanstochter ihm gelang,

Ihr Antlitz aus dem Hintergrunde

Befreit vom Schleier zu erblicken,

Und wie dies Bild seit jener Stunde

Sein herz an unsichtbaren Stricken

Hinziehe zu der schönen Fee.

"Kurzum", so schloß er seine Schildrung,

"Kein Zweifel, für mein tödlich Weh

Gibt's keine Hilfe, keine Mildrung,

Es wäre denn, daß unverweilt

Sie selbst, jawohl, sie selbst mich heilt

Von allen Nöten und Beschwerden;

Gefaßt somit ist mein Entschluß:

Prinzessin Bedrulbudur muß

Auf immerdar die Meine werden!"

Die Mutter, die von ihrem Spinnen

Ablassend eifrig zugehört,

Rief lachend aus: "Bist du von Sinnen?

Ja, bist so völlig du betört?

An solch unmögliches Beginnen

Denkt nur ein ausgemachter Narr."

"Nein, Mutter," sprach er, "nein, du irrst;

Zwar wußt' ich, daß du lachen wirst;

Doch mein Entschluß ist fest und starr.

Und ob du zehnmal sagst, entglitten

40Sei mir mein sämtlicher Verstand,

Es bleibt dabei, den Sultan bitten

Will ich um seiner Tochter Hand."

"Mein Sohn," begann die Mutter ernst,

"Damit du recht erwägen lernst,

Wie kindisch deine Reden sind,

Antworte mir: Wer soll es wagen

Ihm diese Bitte vorzutragen?"

"Du selbst!" rief Aladdin geschwind.

"Ich? Gott behüte mich davor!

Schon der Gedanke macht mich beben!

Wie dürftest du dein Aug' erheben

Zu einem Sultanskind empor?

Hast du vergessen, daß ein Schneider

Bescheidnen Rangs dein Vater war,

All deine Ahnen Hungerleider?

Und ist, so frag' ich, nicht sogar

Für unsres Herrschers Schwiegersohn

Ein Prinz noch von zu niedrem Stande,

Falls er in seinem Heimatlande

Nicht Aussicht hat auf einen Thron?"

Sie predigte nur tauben Ohren.

"Nenn's Wahnwitz, nenn' es Eigensinn;

Ich hab' es mir einmal geschworen,

Und nichts erschüttert mich darin.

Solange mich des Himmels Bau

41Nicht krachend unter seinen Lasten

Begräbt, werd' ich nicht ruhn und rasten,

Bis die Prinzessin meine Frau.

Ja, wenn du mich nicht elend sterben

Willst sehn bereits am heut'gen Tag,

Dann mußt du, kost' es, was es mag,

In meinem Namen um sie werben."

Ein Herold verkündet das Nahen der Prinzessin

Ein Herold verkündet das Nahen der Prinzessin

Die Mutter wurde höchst verlegen.

Ihn zum Verzicht auf seinen Plan

Durch Überredung zu bewegen,

Schien hoffnungslos bei solchem Wahn.

Nochmals versuchte sie's mit Güte:

"Gott weiß, daß für mein armes Teil

Ich allezeit mich um dein Heil

Mit meiner ganzen Kraft bemühte.

Für dich vollbrächt' ich schlimmsten Falles

Die schwerste Tat aus eignem Trieb;

Denn wahrlich, ihrem Kind zulieb

Tut eine Mutter freudig alles.

Ja, wenn ein Mädchen dir gefiele,

zu vornehm weder noch zu reich,

Nicht säumen würd' ich, sondern gleich

Dir ebnen deinen Weg zum Ziele,

In deinem Namen um sie frei'n

Und meinen Segen dir verleihn.

Doch nimm nur an von ungefähr,

Daß ich dir deinen Willen täte,

42Verwegen vor den Sultan träte

Mit solchem frevelnden Begehr—

Würd' überhaupt ich vorgelassen?

Würd' augenblicklich nach Gebühr

Nicht einer mich beim Arme fassen

Und mich befördern vor die Tür?

Nimm aber an, daß mir's gelänge,

Durch all der Bittenden Gedränge

Dem Sultan selber mich zu nah'n,

Und er, der gnädig ist für jeden,

Wär's auch sein letzter Untertan,

Gestattete mir frei zu reden—

Wie dann begründ' ich dein Gesuch?

Welch ein Verdienst ist dir zu eigen?

Kann ich auf deinen Namen zeigen

In irgendeinem Ehrenbuch?

Kannst du durch eine seltne Leistung,

Durch eine vielgerühmte Kunst

Nachsicht verschaffen der Erdreistung,

zu flehn um diese höchste Gunst?

Und sei noch dessen eingedenk,

Daß man vorm Sultan darf erscheinen

Nicht ohne kostbares Geschenk.

Du selber wirst wohl kaum vermeinen,

Es finde sich in deiner Habe

Ein Kleinod von so hehrem Glanz,

Daß ich es bieten könnt' als Gabe

Dem größten Herrn des Morgenlands."

43"Ei, grade wenn ich dies bedenke,"

Versetzte ruhig Aladdin,

"Dann wird mir neuer Mut verliehn.

Ich hätte nichts, was zum Geschenke

Für einen Sultan gut genug?

Entsinn' dich doch der hübschen Sachen,

Die dazumal ich bei mir trug,

Als ich der Höhle finstrem Rachen

Entronnen war mit heiler Haut,

Und die mein Mangel an Erfahrung

Für bunte Gläser angeschaut.

Längst aber ward mir Offenbarung;

Lernt' ich doch von den Juwelieren

Den Unterschied von falsch und echt.

Juwelen sind es, nicht zu schlecht,

Um eine Krone zu verzieren

Durch auserlesne Farb' und Art.

Die werden, kann ich dir versprechen,

Dem Sultan, wenn er sie gewahrt,

Gewaltig in die Augen stechen,

Sodaß er überfließt von Gnade."

Die Zauberfrüchte kurz und gut

Nahm insgesamt er aus der Lade,

Worin bis heute sie geruht,

Und ordnete sie mit Bedacht

In einer schönen alten Vase,

Die seiner Mutter eine Base

44Einst zum Geburtstag überbracht.

Ja freilich, von gemeinem Glase

Kam dieses lautre Feuer nicht,

Das nun mit stärkerem Gefunkel

Sie blendete bei Tageslicht

Als in des Abends halbem Dunkel.

Nachdem an dem erhabnen Schimmer

Die beiden lange sich geletzt,

Nahm Aladdin das Wort. "Was jetzt?

Sag', Mutter, zweifelst du noch immer,

Daß mein Geschenk der Sultan schätzt?

Du wirst, so wett' ich, im Palast

Mit dieser Gabe gut empfangen.

Sprich, welchen Einwand du noch hast,

Um mir zu weigern mein Verlangen?"

Zwar konnt' er sie nicht überzeugen;

Doch weil er wild und wilder bat,

So wußte sie sich keinen Rat

Als widerstrebend sich zu beugen.

"Wohlan, mein Sohn, weil du's verlangst,

Will ich das Wagnis auf mich nehmen,

Will trotzend meiner Herzensangst

Mich zu dem schweren Gang bequemen.

Nur gib nicht mir die Schuld, wenn später

Daraus entquillt ein Unglücksborn,

Und wenn uns in gerechtem Zorn

45Der Fürst bestraft als Missetäter."

"Warum denn gleich das Ärgste glauben?"

Erwiderte der Sohn ihr heiter.

"Und sollt' er wirklich zürnend schnauben,

Dann hilft gewiß mein Glück mir weiter.

Die Lampe, die nun schon seit Jahren

Auf Wunsch uns üppig tränkt und speist,

Wird mir auch künftig in Gefahren

Als Beistand senden ihren Geist."

So wußt' er überaus gewandt

Auch ihren letzten Widerstand

Mit Gründen aller Art zu brechen,

Und sie erklärte sich bereit,

Beim Sultan morgen vorzusprechen,

Wenn's im Bereich der Möglichkeit.


46

6.

V

Vor lauter Ungeduld erweckte

Bereits vor Tag, bei Dämmerschein

Der Sohn die Mutter, und sie steckte

Sich in ihr Feierkleid hinein.

Die Vase, bis zum Rand gefüllt

Mit den Juwelen, ward in Linnen

Von ihr behutsam eingehüllt;

Ein feines weißes Tuch für innen,

Ein gröberes als Überzug,

Sodaß, nachdem sie die vier Enden

Verknotet mit geschickten Händen,

Sie das Geschenk als Bündel trug.

Sie machte dergestalt beklommen

Nach dem Palast sich auf den Weg,

Und grad als dort sie angekommen,

Ward aufgetan das Torgeheg'.

Erst ging hinein der Großvezier

Mit andern hohen Würdenträgern,

Lakaien, Reisigen und Jägern;

Dahinter drängten, zahllos schier,

In dichtem Schwarm sich all die Leute,

Die bei des Herrschers Diwan heute

Drauf rechneten, der Huld von oben

47Abzugewinnen einen Strahl.

So, gehend halb und halb geschoben,

Kam sie zum weiten, lichten Saal,

Worin der Diwan ward gehalten.

Dort saß der Sultan in Person,

Umwogt von seines Purpurs Falten,

Ihr gegenüber auf dem Thron,

Der Großvezier an seiner Seite,

Sodann, gewärtig seines Winks,

Ein äußerst stattliches Geleite

Von Staatsbeamten rechts und links.

Wer nun der Reihe nach gerufen

Herantrat an des Thrones Stufen,

Der legte seine Bittschrift nieder,

Sprach zur Begründung einen Satz,

Erhielt Bescheid und mußt' hinwieder

Dem Nächsten räumen seinen Platz.

Die Mutter war noch lang' nicht dran;

Doch ehe sie sich recht besann,

Verstrich des Diwans kurze Stunde.

Der Fürst stand auf, entließ die Zahl

Der Harrenden und schritt im Bunde

Mit seinem Hofstaat aus dem Saal.

Der Schwarm verlief sich, und sie ging,

Da weiteres Bemühn vergeblich,

Nach Haus, wo sie der Sohn erheblich

Enttäuscht und mißgestimmt empfing.

48Sein Unmut blieb ihr nicht verborgen;

Doch fühlte sie sich frei von Schuld,

Ermahnte sanft ihn zur Geduld

Und gab ihr Wort, sie werde morgen

Von neuem hingehn.—Welche Qual!

Der arme Junge saß auf Kohlen.

Denn fruchtlos mußte siebenmal

Sie den Versuch noch wiederholen,

Stets mit dem nämlichen Verlauf:

Sie kam und sah den Sultan thronen,

Recht sprechen, warnen und belohnen,

Und immer wieder brach er auf,

Bevor an ihr die Reihe war.

So hätte dort wohl unabwendlich

Sie Tag für Tag ein volles Jahr

Gewartet, wäre sie nicht endlich

Dem Blick des Herrschers aufgefallen,

Weil ohne Bittschrift in der Hand

Sie stets als hinterste von allen

Dem Thron grad gegenüberstand.

Drum, als der Diwan war beendet

Am siebten Tag und er sich eben

In sein Gemach zurückbegeben,

Sprach er zum Großvezier gewendet:

"Geraume Zeit bemerk' ich schon,

Wie täglich, wenn ich Sitzung halte,

Sich gegenüber meinem Thron

49Erwartend aufstellt eine Alte.

Sie trägt was in ein Tuch geschlagen

Und steht so bis zum Schlusse still.

Kannst du mir künden, was sie will?"

"Vermutlich will sie sich beklagen,"

Erwiderte der Großvezier.

"Du weißt ja, Herr, wie häufig Frauen

Ein unbedeutend Leid vor dir

Mit großem Wortschwall wiederkauen.

Vielleicht hat man zu wenig Mehl

Ihr auf dem Markte zugewogen,

Vielleicht beim Wechseln sie betrogen."

Der Sultan gab ihm drauf Befehl,

Sie nächstesmal ihm vorzuführen.

Und richtig, tags darauf, sofort

Nachdem man aufgetan die Türen,

Stand sie beharrlich wieder dort.

Der Sultan winkte vor Beginn

Der Sitzung, als er sie erblickte,

Dem Großvezier, und dieser nickte

Zum Obersten der Wache hin.

Der gab der Mutter flugs ein Zeichen,

Mit ihm zu gehn, gebot sodann

Den Vorderen, vor ihr zu weichen,

Und brachte sie zum Thron heran.

Dort warf sie sich—weil dies gebührend

Ihr schien nach allgemeinem Brauch—

50Vorm Sultan nieder auf den Bauch,

Den Boden mit der Stirn berührend.

Doch er befahl ihr aufzustehn

Und sagte: "Gute Frau, tagtäglich

Hab' ich seither dich unbeweglich

Dort nah dem Eingang harren sehn.

Was ist es, sprich, das du begehrst?"

Sie warf sich nochmals nieder erst

Und hauchte, vor Erregung heiser:

"Bevor, erhabner Herr und Kaiser,

Den Anlaß du von mir erfährt,

Der mich bewog zu diesem Schritte,

Vernimm die demutsvolle Bitte,

Daß mein unglaubliches Verlangen

Du gnädig im voraus verzeihst;

Denn ich vergehe fast vor Bangen.

Erscheint ja doch mein Unterfangen

Sogar mir selber allzu dreist."

Der Sultan, um ihr Mut zu machen,

Ließ augenblicks den ganzen Hauf

Des Volks entfernen durch die Wachen

Und forderte den Hofstaat auf,

Ihn mit der Frau allein zu lassen;

zurück blieb nur der Großvezier.

"Du darfst", so sprach er dann zu ihr,

"Nunmehr getrost ein Herz dir fassen.

51Was immer dein Begehren sei,

Dir ist's vorweg, mein Wort zum Pfande,

Vergeben. Also rede frei!"

Da lösten sich die Zungenbande

Der Mutter. Ohne weitre Scheu

Berichtete sie wahrheitstreu,

Durch welch geheimes Abenteuer

Sich seiner Tochter Aladdin,

Ihr Sohn, genaht; wie heftig ihn

Seitdem verzehre wildes Feuer;

Wie redlich sie sich unterdessen

Ihn abzukühlen angestrengt,

Doch wie von Leidenschaft besessen

Er sie zu diesem Gang gedrängt.

Nur seiner Drohung, daß er sterbe,

Wenn nicht um deren Hand sie werbe,

Die doch fürwahr, mit ihm verglichen,

Nicht minder unerreichbar fern

Als an dem Firmament ein Stern,

Sei schließlich zögernd sie gewichen.

Der Sultan, keineswegs empört

Noch spöttisch, äußerte die Frage,

Nachdem er ruhig zugehört,

Was in dem Tuch verhüllt sie trage.

Sogleich entnahm sie wunschgemäß

Dem Bündel das Geschenk des Sohnes

52Und stellte vor den Fuß des Thrones

Das vollbeladene Gefäß.

Der Herrscher, von dem bunten Scheine

Geblendet, wähnte sich im Traum

Und traute seinen Augen kaum

Beim Anblick all der Edelsteine,

So groß und prächtig, wie noch keine

Zeit seines Lebens er geschaut,

Und in Betrachtung ganz versunken

Saß er ein Weilchen ohne Laut.

Dann aber rief er freudetrunken:

"Wie schön! Wie köstlich! Wie vollendet!",

Nahm jeden einzeln in die Hand

Und sprach, zum Großvezier gewendet:

"Sag', ob in meinem ganzen Land

In allen Ländern dieser Erde

Man je was gleich Vollkommnes fand?"

Mit beifallspendender Gebärde

Gab dies der Großvezier ihm zu,

Worauf er fortfuhr: "Möchtest du

Behaupten, daß ich einen Mann,

Der solcherlei vermag zu schenken,

Nicht, ohne lang' mich zu bedenken,

zum Schwiegersohn erwählen kann?"

Der Großvezier war sehr betroffen

Von diesem Wort. Seit Jahren schon

Ließ nämlich ihn der Sultan hoffen,

53Er werde seinen eignen Sohn

Mit der Prinzessin einst vermählen.

Er sagte drum ins Ohr ihm leise:

"Ja, Herr, ich kann es nicht verhehlen,

Daß dies Geschenk von höchstem Preise

Der Sultanstochter würdig ist;

Doch gönne mir drei Monat Frist.

Mein Sohn, den vormals du zum Gatten

Ihr zu bestimmen hast beehrt,

Stellt sicher dies Geschenk in Schatten

Durch eins von doppelt reichem Wert."

Das schien dem Sultan eine Flause;

Doch gab er seiner Bitte nach,

Weil er sein Günstling war, und sprach

Zur Mutter freundlich: "Geh' nach Hause

Zu deinem Sohn und meld' ihm dies:

Den Antrag, den er stellte, wies

Ich nicht zurück; drei Monat sind

Vonnöten aber, eh' zum Gatten

Ich jemand gebe meinem Kind,

Um sie geziemend auszustatten.

Nach Ablauf dieser Zeit komm wieder."

Die Mutter ging nach Haus zurück,

Und diesmal bebten ihre Glieder

Nicht vor Verzagtheit, nein, vor Glück.


54

7.

W

Wer könnte wohl in Worte fassen,

Wie selig unser junger Held,

Nachdem die Mutter ihm bestellt,

Was ihm der Sultan melden lassen!

O Wonne, daß nach langem Dürsten,

Nach vielen Nächten ohne Schlaf

Die Botschaft aus dem Mund des Fürsten

Sein kühnstes Hoffen übertraf!

Er tanzte rund herum im Zimmer,

Schwor in den feurigsten Ergüssen

Der Mutter Dankbarkeit auf immer

Und überhäufte sie mit Küssen.

Drei volle Monat waren freilich

Als vorgeschriebne Wartezeit

Für seine Sehnsucht endlos weit.

Es war darum gewiß verzeihlich,

Daß ihn des Ziels Erwartung quälte

Und er beständig nach der Uhr

Nicht Wochen, Tage, Stunden nur,

Vielmehr auch die Minuten zählte.—

55Zwei Monat waren abgelaufen,

Als eines Morgens ahnungslos

Die Mutter sich, um was zu kaufen,

Zum Markt begab. Ein laut Getos'

Der Fröhlichkeit scholl ihr entgegen,

Als wär' ein Fest herangerückt;

Mit Blumenkränzen allerwegen

Ward eilig Haus für Haus geschmückt,

Und Lämpchen wurden hundertfach

Hinaufgereicht auf hohe Leitern

Für Prachtbeleuchtung auf dem Dach.

Die Straßen wimmelten von Reitern

Auf edlen, reichgezierten Pferden,

Und alt und jung war aufgeputzt.

Die Mutter, ganz und gar verdutzt,

Vermochte draus nicht klug zu werden.

Sie fragte drum den ersten besten,

Weshalb denn heute jedermann

Sich rüste wie zu großen Festen.

Der gab zur Antwort: "Schau mal an,

Das weißt du nicht? Ei, das erzählt sich

Ja doch die ganze Stadt erfreut;

Dem Sohn des Großveziers vermählt sich

Prinzessin Bedrulbudur heut."

Die Gute flog bestürzt nach Haus

Und rief dem Sohn, der sich zur Stelle

56Befand, entgegen auf der Schwelle:

"Ach, Ärmster, nun ist alles aus!

Den Sultan hat sein Wort gereut;

Denn im Palast ist Hochzeit heut.

Dort wird mit feierlichem Prunke

Der Sohn des Großveziers getraut,

Und die Prinzessin ist die Braut."

Als ob des Blitzes jäher Funke

Durchzucke seines Lebens Mark,

Empfand sich Aladdin zerschmettert,

Blieb standhaft aber doch und stark;

Und als verzweifelnd er durchblättert

Seite für Seite sein Gedächtnis

Nach Mitteln gegen diese Pein,

Fiel ihm des falschen Freunds Vermächtnis,

Die Wunderlampe, wieder ein.

Zur Mutter sprach er drauf entschieden:

"Der Hochzeit setz' ich einen Damm!

Laß schaun, wer heute mehr zufrieden,

Ich oder dieser Bräutigam."

Er tat, was ihm bereits geläufig:

In seine Kammer eingeschlossen

Rieb er die Lampe, wie schon häufig,

Und aus dem Boden aufgeschossen

Erschien der Geist gleich einem Riesen,

57Ihn fragend: "Was ist dein Geheiß?"

Drauf Aladdin: "Du hast mit Fleiß

Mir öfters dienstbar dich erwiesen

Bei Wünschen, die gering und nichtig.

Das Werk jedoch, das ich dir nun

Befehlen will für mich zu tun,

Ist über alle Maßen wichtig.

Du sollst mir meine Qualen lindern

Und drum als unsichtbarer Gast

Die Hochzeit, die heut im Palast

Gefeiert werden soll, verhindern.

Begib dich hin, vom Wind getragen,

Ergreif' den Bräutigam beim Kragen,

Entführ' in ein Versteck ihn, sperr'

Dort fest ihn ein und laß verborgen

Ihn schmachten bis zum nächsten Morgen."

Der Geist versetzte fügsam: "Herr,

Wie du befiehlst," und war verschwunden.

Am Hofe ward mit aller Kraft

Inzwischen seit den frühsten Stunden

Für die Vermählung vorgeschafft.

Mit einem wahrhaft beispiellosen

Und noch nicht dagewesnen Glanz

War der Palast verwandelt ganz

In einen duft'gen Hain voll Rosen.

Die Tafel funkelte von Gold;

Prunkteppiche von schwerster Seide

58Bedeckten sorgsam aufgerollt

Zu wundersamer Augenweide

Den Marmorboden und die Treppe,

Und rings mit Perlenschmuck beschwert

Wog der Prinzessin Hochzeitsschleppe

Drei Fürstentümer auf an Wert.

Der ganze Hofstaat war beisammen

Nebst Sendlingen aus aller Welt;

Den angefachten Opferflammen

Entstieg der Rauch zum Himmelszelt.

Grad sollte die Vermählungsfeier

Beginnen; Festmusik erscholl;

Schon trat herein in ihrem Schleier

Die Sultanstochter anmutsvoll

An ihres hohen Vaters Arm,

Und in der Würdenträger Schwarm

Schritt ihr entgegen ihr Verlobter—

Da plötzlich Nacht und wieder Licht;

Der Geist erfüllte mit erprobter

Vollendung seine Dienerpflicht.

Man sah sich an, man sah sich um,

Die Augen starr, die Mienen dumm:

Was war geschehn? Der Bräutigam

Stand nicht mehr dort, wo er gestanden

Grad eben, sondern war abhanden,

Wie fortgewischt von einem Schwamm.

59Man forschte, spähte; doch vergebens.

Der Großvezier, der schon geglaubt,

Er sei am Ziele seines Strebens,

Schien vor Erregung sinnberaubt.

Der Hofstaat mit betäubtem Hirne

Begann zu tuscheln, dicht geschart;

Der Sultan runzelte die Stirne

Und brummte was in seinen Bart.

Die Gäste ratlos und befangen,

Verkrümelten sich allgemach,

Und über der Prinzessin Wangen

Herunter floß ein Tränenbach.

Die Feierstimmung war verraucht,

Verwandelt alle Lust in Wehe.

Denn da zum Abschluß einer Ehe

Den Bräutigam man dringend braucht,

So blieb am Ende keine Wahl,

Als die Vermählung zu verschieben

Samt Freudenfest und Hochzeitsmahl,

Bis man ihn wieder aufgetrieben.

Der Sultan flößte seiner Tochter

Gar zärtlich Tröstung ein und Mut;

Allein mit Mühe nur vermocht' er

Zu stillen ihrer Augen Flut,

Obwohl weit mehr verletzte Scham

Und schwergekränkter Stolz die Quelle

Der Tränen war als Herzensgram.

60Am nächsten Morgen aber kam

Der Großvezier in höchster Schnelle

Zum Sultan, der halb ungeduldig,

Halb mürrisch ihm entgegensah,

Und rief: "Mein Sohn ist wieder da!

Er ist, o glaub' mir, weder schuldig,

Noch weiß er selbst, was ihm geschah.

Gebiete drum, daß man die Feier

Heut rüsten soll zum zweitenmal,

Und gib dadurch zurück dem Freier,

Was ihm ein Unstern gestern stahl."

Hierzu, wenngleich das Fest verpfuscht

Ihm vorkam, war der Fürst erbötig;

Denn für sein Ansehn schien ihm nötig,

Daß alles möglichst ward vertuscht.

Die Hauptstadt wurde von Trompeten

Und Pauken abermals durchlärmt,

Das Hochzeitsessen aufgewärmt

Und alle Gäste neu gebeten.

Als Aladdin, dem keine Spur

Von sämtlichen Begebenheiten

Entgangen war, davon erfuhr,

Beschloß er, herzhaft fortzuschreiten

Auf seinem Pfade bis zum Sieg.

Den Geist beschwor er drum von neuem,

Und als dem Boden er entstieg,

Sprach er zu ihm: "Du hast mit treuem

61Gehorsam, was ich dir befohlen,

Genau vollbracht. Dieselbe Not

zwingt mich indessen, mein Gebot

Von gestern dir zu wiederholen.

Den Sohn des Großveziers entführe

Heut abermals in gleicher Art,

Und hinter fest verschlossner Türe

Halt' ihn bis morgen früh verwahrt!"

Der Geist entfernte sich, die Tat

Alsbald wie tags zuvor verrichtend;

Nur diesmal in noch stärkrem Grad

Als gestern wirkte sie vernichtend.

Im feierlichsten Augenblick

Verschwand urplötzlich aus dem Saale

Durch ein unfaßliches Geschick

Der Bräutigam zum zweiten Male.

Vom ganzen Hof und hohen Adel

Ward er gesucht wie eine Nadel.

In alle Winkel ward geguckt,

Gestöbert ward in allen Ecken;

Er war so wenig zu entdecken,

Als ob der Boden ihn geschluckt.

Hiermit begann ein Trauerspiel:

Prinzessin Bedrulbudur raufte

Die schönen Haare sich und fiel

Bewußtlos hin; der Sultan schnaufte

Vor Ingrimm wie ein wildes Tier;

62Der unglückselige Großvezier

Wand sich in Krämpfen wie ein Wurm,

Die Augen rollend rings im Kreise;

Die Gäste flohen gruppenweise,

Wie eine Herde vor dem Sturm,

Und seufzend sprach der Oberkoch

In tiefem, hoffnungslosem Härmen

Zum Küchenjungen: "Einmal noch

Kann ich den Hochzeitsschmaus nicht wärmen."


63

8.

D

Der Großvezier fand keinen Schlummer

In dieser Nacht. Am andern Tag

Bei Sonnenaufgang, als vor Kummer

Halb krank er noch im Bette lag,

Trat aschenfahl und übernächtig

Sein Sohn herein. Der Vater schrie,

Vor Jähzorn seiner nicht mehr mächtig:

"Hinweg mit dir, und laß dich nie

Mehr sehn!" Da fiel er auf die Knie:

"Mein Vater, schein' ich so verdächtig,

Daß du Gehör mir weigern willst?

Wenn dir bekannt, was unverschuldet

Ich heut und gestern nacht erduldet,

So wett' ich, daß dein Groll zerschmilzt.

Ich wurde beidemal gepackt

Von unsichtbaren Fäusten, stärker

Als Menschenhand, und eingesackt

In einen engen, finstren Kerker,

Zu schmal, um nieder mich zu legen,

Ja, selbst um aufrecht mich zu regen;

Die Tür von außen fest verrammelt

64Und alles Rütteln ohne Zweck!

So kauert' ich, noch kaum gesammelt

Vom ersten fürchterlichen Schreck,

Erneuter Hexerei gewärtig,

Gefaßt auf meinen Untergang

Und mit dem Erdendasein fertig,

Wer weiß, wieviele Stunden lang,

Bis endlich beidemal die Tür

Von selber aufsprang. Aber gäbe

Man tausend Bräute mir dafür,

Ich möchte nicht, solang' ich lebe,

Dies noch ein drittes Mal erleiden.

So sehr mir die Prinzessin teuer,

Ich will sie lieber dauernd meiden,

Als dem geheimen Ungeheuer

Zum Spielball dienen unbeschränkt.

Ich glaube, Bedrulbudur denkt

Hierin nicht anders, und sie kann,

Auch wenn sie liebenswert mich findet,

Nicht recht vertrauen einem Mann,

Der unfreiwillig stets verschwindet.

Drum wünsch' ich, ob du gleich dem bösen

Verhängnis nicht mit Unrecht grollst,

Daß du den Sultan bitten sollst,

Er möge die Verlobung lösen."

Der Großvezier erkannte klar,

Wenn auch im Innersten bekümmert:

65Sein Lieblingsplan von manchem Jahr

Lag rettungslos vor ihm zertrümmert,

Sodaß, wie nun die Sache stand,

Statt auf ein Wunder noch zu harren,

Er selber den verfahrnen Karren

Am besten stecken ließ im Sand.

Er trug dem Sultan untertänig

Drum seines Sohnes Bitte vor

Und fand ein sehr geneigtes Ohr.

Der Herrscher freute sich nicht wenig,

Als unverhofft er sie vernahm,

Daß dem Entschluß, den er im stillen

Gefaßt um seiner Tochter willen,

Ihr Bräutigam entgegenkam.

Mit Windeseile flog die Kunde

Von der Entlobung durch die Stadt,

War tagelang in aller Munde;

Doch schließlich schwatzte man sich satt.

Es wußte ja vom wahren Grunde

Nur Aladdin allein Bescheid,

Und da nunmehr sein Weizen blühte,

Nahm mit beruhigtem Gemüte

Zum nächsten Schachzug er sich Zeit.

Erst als ein Monat noch entwichen

Und so, wie vorbestimmt, verstrichen

Die ganze Frist von dreien, sandte

66Von neuem er die Mutter fort

Zum Sultan, der sie gleich erkannte

Und sich an sein gegebnes Wort

Erinnerte. Mit freiem Mute

Bat sie den Fürsten auf den Knien,

Gewähren mög' er Aladdin,

Was zu versprechen er geruhte,

Da die bedungne Frist vorbei.

Dem Sultan war die Mahnung peinlich.

Er hatte ja für unwahrscheinlich

Gehalten, daß die Schwärmerei

Des jungen Manns nach so viel Wochen

Noch immer nicht erloschen sei;

Denn was er unbedacht versprochen,

War niemals ernst gemeint gewesen.

Konnt' er zum Gatten seines Kinds

Wohl einen Schwiegersohn erlesen,

Der nicht geboren war als Prinz?

Und doch vor offener Verneinung

Sich scheuend, zog im Widerstreit

Er seinen Großvezier beiseit

Und fragte leis nach dessen Meinung.

"Herr," sagte jener gleichfalls leis,

"Wenn du dein Wort nicht willst verletzen,

Genügt es, einen solchen Preis

Für die Prinzessin festzusetzen,

Daß, wenn des Werbers Überfluß

67An Geld und Gut auch ohnegleichen,

Trotz allem er die Segel streichen

Und voll Beschämung abziehn muß."

Der Ratschlag schien dem Sultan schlau;

Deshalb sich zu der Mutter eilig

Umwendend sprach er: "Gute Frau,

Ich gab mein Wort und halt' es heilig.

Dein Sohn soll keinen Hindernissen

Begegnen; aber um zu wissen,

Was er zur Morgengabe beut,

Und ob er wirklich zur Erringung

Der hohen Braut kein Opfer scheut,

Mach' ich ihm eines zur Bedingung:

Ich fordre, daß er vierzig Becken

Von schwerstem Gold mir schicken soll,

Die sämtlich bis zum Rande voll

Von herrlichen Juwelen stecken,

Den damals mir geschenkten gleich,

Die jeden Stein im ganzen Reich

Weitaus an Schönheit übertrafen,

Hertragen sollen diese Fracht

Auf Häupten vierzig schwarze Sklaven

In reicher, auserlesner Tracht,

Geführt von vierzig jungen weißen,

Die noch verschwenderischer gleißen.

Dies die Bedingung. Wird genau

Von ihm bestanden diese Probe,

68Dann—höre, daß ich's laut gelobe—

Wird meine Tochter seine Frau."

Die Mutter schritt bedenklich heim,

Jedoch gelabt vom Hoffnungsschimmer,

Des Herrschers Fordrung werd' auf immer

In ihrem Sohne jeden Keim

Des närrischen Begehrs ersticken.

Doch als von diesem Trost beseelt

Sie klipp und klar ihm aufgezählt,

Was er dem Sultan solle schicken,

Und sicher dachte, daß erschrocken

Er sich bequeme zum Verzicht,

Rief er mit strahlendem Gesicht

Und überschäumendem Frohlocken:

"Nichts weiter? Ei, der Sultan irrt

Im Glauben, daß durch die Bedingung

Er mich ins Bockshorn jagen wird.

Wähnt er, mir fehle zur Bezwingung

Solch eines Probestücks die Macht?

Ich könnt' ihm noch ganz andre Launen

Befriedigen. Er soll erstaunen,

Und du nicht minder. Gib nur acht!"

Er ging in seine Kammer, rieb

Die Lampe, bis der Geist erschienen,

Der unterwürfig ihm zu dienen

69Wie stets bereit war. Er beschrieb

Des Herrschers Anspruch ihm ausführlich

Und fragte dann, ob er dies all

Ihm schaffen könne Knall und Fall.

Der Geist erwiderte: "Natürlich."

"Wohlan," sprach Aladdin, "so eile,

Damit ich flugs den ganzen Tand

Ihm senden kann."

Der Geist entschwand

Und kam nach nicht viel größrer Weile,

Als während man die Augenlider

Zuschließt und öffnet, wie geheißen

Mit vierzig schwarzen Sklaven wieder,

Sowie mit vierzig jungen weißen,

Sodaß der umfangreiche Zug

Sich auf die Straße mußt' erstrecken,

Weil Haus und Hof nicht weit genug.

Ein jeder von den schwarzen trug

Auf seinem Haupt ein goldnes Becken,

Und jedes Becken wies in Fülle

Demanten, Perlen und Berylle,

Smaragd, Saphir, Topas, Rubin

Von höchstem Reiz des Farbenspieles

Und überlegen noch um vieles

Den Früchten, die sich Aladdin

Im Zaubergarten einst gepflückt.

70Nachdem das Werk soweit geglückt,

Rief er die Mutter, die mit starren,

Weit aufgerissnen Augen gaffte.

"Schau," sprach er, "muß der Sultan harren?

Gesteh', daß ich zur Stelle schaffte,

Was er vorhin sich ausbedang!

Jetzt aber zögere nicht lang

Und bringe meine Morgengabe

Geradeswegs in den Palast,

Damit an meiner großen Hast

Er merkt, wie sehr ich Sehnsucht habe,

Mein Herz nach so viel Sturmgebraus

Zu steuern in der Ehe Hafen."

Die Mutter schritt somit voraus

Dem wundersamen Zug der Sklaven.

Das gab ein Aufsehn! Jedem Haus

Entströmten gierige Beschauer,

So daß in Kürze jung und alt

Zu einer dichten Menschenmauer

Auf allen Straßen stand geballt.

Was irgend Beine hatte, lief,

Was irgend Lungen hatte, rief

Mit Stimmen, gellend wie Posaunen,

Man möge kommen, sehn und staunen.

Einmütig wurde die Verkündung

Des Urteils allerorten laut,

Daß in der Stadt seit ihrer Gründung

71Man solchen Aufwand nie geschaut,

Nie Sklaven edler von Gestalt,

Von Wuchs und Haltung angetroffen,

So bunt geschmückt, so mannigfalt

Bekleidet mit den feinsten Stoffen.

In schöner Ordnung—denn zur Seite

Den schwarzen Beckenträgern war

Jeweils ein weißer als Geleite—

Hinwandelten sie Paar für Paar.

Dazu der Edelsteine Glänzen,

Der vierzigfache Spiegelschein

Des lautren Goldes—allgemein

War die Begeistrung ohne Grenzen.


72

9.

D

Die Nachricht war gleich einem Blitze

Gedrungen an der Pförtner Ohr,

Eh' des Palastes offnem Tor

Sich näherte des Zuges Spitze.

Sie sahn den schmucken Vordermann

Der achtzig Sklaven mit Verbeugung

Für einen fremden König an

Und wollten drum zur Ehrbezeugung

Ihm küssen seines Kleides Saum.

Doch der erwiderte: "Gebt Raum

Und bückt euch lieber vor dem Rechten.

Ich bin nur einer von den Knechten

In unsres großen Herren Sold."

So stieg der Zug hinan die Treppen;

Die Schwarzen hatten arg zu schleppen

An ihrer schweren Last von Gold,

Und von den weißen angeleitet

Betraten sie den lichten Saal

Des Diwans. Längst schon vorbereitet

Und überaus gespannt befahl

Der Sultan, daß man ihnen Platz

Gewähre. Kunstgerechterweise

Vor ihm gereiht in halbem Kreise

73Beeilten sie sich, ihren Schatz

Am Fuß des Thrones aufzustellen,

Worauf nach wohlversehnem Amt

Sowohl die Dunklen als die Hellen

Sich niederwarfen insgesamt.

Die gestörte Hochzeitsfeier

Die gestörte Hochzeitsfeier

Die Mutter nahte nun dem Thron

Und sprach mit vielen Huldigungen:

"Hier sendet Aladdin, mein Sohn,

Erhabner, was du dir bedungen.

Er hofft, es werde dir gefallen

Und der Prinzessin ebenfalls."

Der Sultan, kaum ein Wort zu lallen

Imstande, mit gerecktem Hals

Und überzeugt, ihn wolle necken

Ein Trug der Sinne, blickte bald

Verwundert auf die vierzig Becken

Mit ihrem funkelnden Gehalt

Von größrem Wert als ganze Länder,

Bald auf die fürstlichen Gewänder

Der achtzig wohlgestalten Sklaven

Und sagte laut zum Großvezier:

"Fürwahr, der Himmel soll mich strafen

Wenn ein Geschenk wie dieses hier

Je Sultanstöchtern ward geboten!"

"So ist es," stimmte jener bei,

zumal er einsah, daß der Knoten

Nicht anders mehr zu lösen sei.

74Wie hätte noch der Fürst sein Wort

Zurückziehn können als Empfänger

Von solchem beispiellosen Hort?

Er fragte jetzt sogar nicht länger

Nach des Bewerbers Rang und Stand

Und allen andern Eigenschaften;

Für jeden Vorzug konnt' als Pfand

Sein ungeheurer Reichtum haften.

"Geh'," sprach er drum in mildem Ton

Zur Mutter, "meld' ihm, daß mit warmen

Gefühlen ich und offnen Armen

Ihn grüßen will als Schwiegersohn."

So waren jetzt nach hartem Ringen

Die Schwierigkeiten weggeräumt;

Sie selber durft' ihm Kunde bringen,

Daß alles, was er sich erträumt,

Was für unmöglich ihr gegolten,

Was als Verrücktheit sie gescholten,

Und was ihm ihre Zweifelsucht

Verargt als frevelhaft verstiegen,

Ihm jetzt als eine reife Frucht

Bereit war in den Schoß zu fliegen.

Er aber, wenn auch überschwenglich

Beglückt, ließ keine Zeit entfliehn,

Um das zu tun, was unumgänglich

Ihm zu des Werkes Krönung schien.

75Er hieß den Geist von neuem kommen

Und sprach, als dieser schnell genaht:

"Bereite mir sofort ein Bad

Und bring', nachdem ich es genommen,

Mir ein Gewand, so reich und prachtvoll,

Wie sonst es nur ein König trägt."

Er fühlte drauf alsbald sich machtvoll

Erfaßt und durch die Luft bewegt.

Ein schöner Raum, an allen Wänden

Mit buntem Marmor ausgelegt,

Empfing ihn; dort bedient, gepflegt

Von zarten, unsichtbaren Händen,

Nahm er das Bad in einer lauen,

Von Wohlgeruch erfüllten Flut.

Sodann, erquickt und ausgeruht,

Konnt' er in einem Spiegel schauen,

Daß er zu seinem Vorteil ganz

Verwandelt, schöner war und schmucker.

Statt des bisherigen Gewands,

Das immer noch den armen Schlucker

Verraten hatte, fand er Kleider,

So prächtig, so mit Gold bestickt,

Daß jeder Prinz und Fürst als Neider

Nach ihnen hätte hingeblickt.

Sobald er fertig angezogen,

Erschien der Geist auf seinen Wink,

Und er gebot ihm: "Zeig' dich flink!

76Ich habe mittlerweil erwogen,

Was mir noch fehlt. Ein edles Roß

Verlang' ich, das an Schönheit alle

Verdunkelt in des Sultans Stalle;

Zu diesem ferner einen Troß

Von Sklaven, jenen gleich zu achten

An Kleiderprunk und Stattlichkeit,

Die mein Geschenk dem Sultan brachten;

Acht Sklavinnen dann zum Geleit

Für meine Mutter, deren jede

Ihr ein so köstliches Gewand

Soll bringen, daß im ganzen Land

Bald von nichts andrem mehr die Rede.

Auch einen Beutel mit zehntausend

Goldstücken brauch' ich noch. Nur schnell

Ans Werk!"

Der Geist entschwebte sausend,

Und alles war im Nu zur Stell'.

Den Sklavinnen gab Aladdin

Befehl, zur Mutter hinzueilen

Und ihr ein Staatskleid anzuziehn.

Das bare Gold ließ er verteilen

An feine Sklaven, mit der Weisung,

Sie sollten's auf der ganzen Länge

Des Wegs mit voller Hand zur Speisung

Der Armut werfen in die Menge.

Er stieg zu Pferd und zog inmitten

78Des Trosses durch die Straßen hin.

Selbst Kennern kam nicht in den Sinn,

Daß er noch nie zuvor geritten,

Weil mit dem feinsten Ebenmaß

Und Anstand er im Sattel saß.

Aladdin reitet zum Schloß des Sultans

Aladdin reitet zum Schloß des Sultans

Vielköpfig, massig, nicht zu zählen,

Lief wiederum das Volk herbei;

Betäubend schwang aus allen Kehlen

Sich Beifallruf und Jubelschrei,

Besonders wenn, vom Sklaventroß

Geschnellt, als ungewohnter Segen

So rechts wie links ein Hagelregen

Von goldnen Münzen sich ergoß.

Wer war der Ritter hoch zu Roß?

Bei Namen konnt' ihn niemand nennen,

Nicht einmal einer unter zehn,

Die noch vor kurzem ihn gesehn,

Den alten Aladdin erkennen.

Er, jüngst noch dürftig, unansehnlich,

Sah nun sich selber nicht mehr ähnlich;

Denn zu der Lampe Wunderkräften

Gehörte die geheime Macht,

Dem Glückspilz, den sie hoch gebracht,

Auch äußern Adel anzuheften.

So lag am Tage sonnenklar,

Daß all der Pracht, womit er prunkte,

Durch sein Verdienst er würdig war.

79Er wurde rasch zum Mittelpunkte

Für jedes Auge; jauchzend hob

Zum Himmel ihn des Volkes Lob

Und gönnte gern ihm dieser Erde

Vollkommenstes und reichstes Heil.

Bis zum Palasttor mittlerweil

Gelangt, stieg artig er vom Pferde.

Die Pförtner bildeten zwei Reihen

Von Tor zu Tür, um dem Empfang

Vermehrte Würde zu verleihen;

Durch diese schritt er sacht entlang,

Trat in den Saal und vor den Thron.

Der Sultan, seiner harrend schon,

War überrascht und höchst erbaut

Sowohl von seiner Prachtentfaltung

Wie seinem Wuchs und seiner Haltung,

Schritt ihm entgegen, zog ihn traut,

Ihm wehrend, auf die Knie zu sinken,

An seine Vaterbrust und ließ,

Indem er ihn willkommen hieß,

Ihn sitzen dicht zu seiner Linken.

"Erlauchter Fürst," sprach Aladdin,

"Ich danke dir, daß mein Erkühnen,

Statt es durch harten Spruch zu sühnen,

So nachsichtsvoll du mir verziehn.

Ich wüßte nichts, was mich entschuldigt,

80Als daß mein Herz, von holdem Zwang

Besiegt, in willenlosem Drang

Der reizenden Prinzessin huldigt,

Und daß die Liebe, die gewaltsam

In meinem Innern flammt und loht,

Nicht enden wird, bis unaufhaltsam

Mein Leben selbst erlischt im Tod."

"Mein Freund," versetze halb im Scherz

Der Sultan, "um durch dieses Feuer

Heillos versengt zu sehn dein Herz,

Halt' ich fortan dich viel zu teuer.

Ist dies das Mittel, dich zu töten,

So weiß ich, was dich heilen soll."

Er gab ein Zeichen. Flugs erscholl

Musik von Zimbeln und von Flöten.

Er führte drauf ihn liebevoll

Zum wunderbaren Nebensaal,

Worin bereits auf goldnen Tellern

War aufgetischt ein leckres Mahl,

Das aus den kaiserlichen Kellern

Versorgt war mit dem besten Wein.

Der Sultan aß mit ihm allein;

Der Großvezier und all die Herrn

Von Rang und von Geblüt umkreisten

Den vollbesetzen Tisch von fern

Und mußten zusehn, wie sie speisten.


81

10.

N

Nach Tische ward an Aladdin

Vom Sultan väterlich die Frage

Gerichtet, ob es ihm behage,

Sogleich die Hochzeit zu vollziehn.

Er gab zur Antwort: "Herr, du weißt,

Wie sehr ich nach dem Glück verlange,

Das die Prinzessin mir verheißt.

Jedoch damit ich ihrem Range

Gemäß an unserm Hochzeitstag

Sogleich in tadellosen Räumen

Ein neues Heim ihr bieten mag,

Laß noch für kurze Zeit mich säumen.

Ein Schloß, versehn mit jeder Zier,

Will ich errichten. Weise mir

Drum einen angemessnen Bauplatz."

Der Sultan drauf: "Mein Sohn, du hast

Die Auswahl. Hier vor dem Palast

Liegt, wie du siehst, ein leerer Schauplatz,

Wo für dein Schloß genügend Raum.

Nur laß es möglichst rasch erbauen;

Denn, glaube mir, ich kann es kaum

Erwarten, euch vermählt zu schauen."

82Nach dem Gelöbnis, daß er sicher

Den Bau nach Kräften fördern werde,

Nahm Aladdin mit feierlicher

Umarmung Abschied, stieg zu Pferde

Und trabte durch die gleichen Gassen

Mit dem Gefolg zurück nach Haus,

Umbrandet wieder von den Massen

Des Volks mit lautem Jubelbraus.

Daheim kaum angelangt, beschwor

Den Geist er abermals und sagte:

"Schon dein bisherig Wirken ragte

Durch Kraft und Schnelligkeit hervor.

Doch zu dem ungemeinen Werke,

Das jetzt mir unentbehrlich ist,

Bedarf ich deiner ganzen Stärke.

Du sollst in möglichst kurzer Frist

Grad gegenüber vom Palaste

Des Sultans mir ein stolzes Schloß

Errichten, das vom Erdgeschoß

Bis zu des Daches Flaggenmaste

Der Sultanstochter, meiner Frau,

Trotz ihrem sehr verwöhnten Auge

Zur künftigen Behausung tauge.

Welch ein Gestein du für den Bau

Verwenden willst, ob Marmorquadern,

Schneeweiß mit feinen schwarzen Adern,

Ob Jaspis, ob Achat, Lasur,

83Das stell' ich ganz in dein Ermessen;

Doch sollst du—dies beding' ich nur—

Nicht einen großen Saal vergessen

Im obern Stockwerk, der bekrönt

Von einer Kuppel, an den Wänden

Durch Gold und Silber sei verschönt.

Auch soll, um hellstes Licht zu spenden,

Er vierundzwanzig Fenster zählen;

Die Rahmen seien alabastern,

Das Gitter sollst du mit Juwelen

Von unerreichtem Glanz bepflastern.

An einem wohlverwahrten Platz

Befinde ferner sich ein Schatz

Gemünzten Goldes aufgespeichert,

Der für mein Lebtag mich bereichert.

Auch will ich, daß man eine Flucht

Von Küchen trifft am rechten Orte,

Nebst Vorratskammern jeder Sorte,

Und Ställe voll von edler Zucht.

Ingleichen soll das Lustschloß innen

Bevölkert sein mit einem Heer

Von Dienern und von Dienerinnen.—

Das alles schaff' mir nach Begehr,

Und wenn du fertig bist, komm wieder."

Als er dem Geiste dies gebot,

Sank abendlich die Sonne nieder.

Am andern Tag ums Morgenrot

84Erschien der Geist an seinem Bette:

"Vollendet ist, was du bestellt;

Schau," sprach er, "ob es dir gefällt."

Er trug darauf ihn an die Stätte.

Wie sehr war Aladdin verwundert!

Da stand, erbaut in einer Nacht,

Ein Schloß, wie noch kein halb Jahrhundert

Voll Menschenarbeit es vollbracht.

Er glaubte wahrlich nur zu träumen,

Als ihn der Geist in allen Räumen

Herumgeleitete. Da war

Sein Auftrag Punkt für Punkt vollzogen,

Bei weitem überholt sogar:

Gewölbe, Säulen, Pfeiler, Bogen

Von höchster Schönheit, ein Gewimmel

Von Dienstbeflissnen überall;

An Silberkrippen in dem Stall

Die schönsten Rappen, Füchse, Schimmel;

Mundvorrat jeder Art, nicht sparsam

In Küch' und Kammern schon verfacht;

Der Schatz in sicherem Gewahrsam,

Von einem Schließer treu bewacht,

Mit Gold gefüllte Riesensäcke,

Gehäuft, getürmt bis an die Decke.

Nachdem sich Aladdin das Ganze

Von Grund aus angesehn, zumal

Auch noch den großen Kuppelsaal,

85Sprach er, geblendet von dem Glanze,

zum Geist: "Ich muß dir Beifall zollen;

Befriedigt wurde musterhaft

Von dir mein Wünschen und mein Wollen.

Nun sei nur noch herbeigeschafft

Ein langer Teppich aus Damast,

Von feenhaftem Farbenschimmer;

Du sollst, befehl' ich, vom Palast

Des Sultans ihn bis an die Zimmer

Der Herrin dieses Schlosses breiten.

Ihn soll auf ihrer Wanderung

Ins neue Heim ihr Fuß beschreiten."

Der Geist entfernte sich im Schwung,

Und eh' sich's Aladdin versah,

Lag der damastne Teppich da.

Der Geist kam wieder ohne Rast

Und trug nach Haus ihn unverdrossen,

Grad als die Pforten am Palast

Des Sultans wurden aufgeschlossen.

Die Pförtner wunderten sich sehr,

Als drüben, dicht vor ihren Nasen,

Wo gestern noch die Stätte leer

Und nur bewachsen war mit Rasen,

Ein Wunderbauwerk hoch und hehr

Sie ragen sahen in die Lüfte.

Die Nachricht schwirrte mit Gesumm

Beflügelt im Palast herum;

86Der Hofstaat machte höchst verblüffte

Gesichter, und der Großvezier

Lief, als er eine Weile stier

Den rätselhaften Spuk beglotzt,

zum Sultan hin und sprach entrüstet:

"Wer sich mit einem Kunststück brüstet,

Das jeglicher Erfahrung trotzt,

Der steht im Bund mit Zauberei!"

Der Sultan gab zur Antwort: "Ei,

Man muß nicht gleich das Schlimmste denken.

Was ist denn weiter auch dabei?

Ein Mann, der so vermag zu schenken,

Den drum mein fürstliches Vertrau'n

Erkor zu meiner Tochter Gatten,

Der kann sich wohl den Spaß gestatten,

Ein Schloß in einer Nacht zu bau'n.

Er gibt als reichster Mann der Welt

Uns nur ein augenfällig Zeichen,

Daß man mit sehr viel barem Geld

So ziemlich alles kann erreichen.

Der Bau dort stammt aus goldnen Quellen,

Und wenn du trachtest, ihn als Frucht

Von Zauberkünsten hinzustellen,

So spricht aus dir die Eifersucht."—

Zur Stunde, da sich so die beiden

Besprachen, war in ihrem Haus

Die Mutter Aladdins drauf aus,

88Mit jenem Staat sich zu bekleiden,

Den ihr die Sklavinnen gespendet,

Und ließ, nachdem durch deren Walten

Ihr Putz in Bälde war vollendet,

Von ihnen sich die Schleppe halten

Auf ihrem Wege zum Palast.

Auch Aladdin, im Vaterhause

zum allerletztenmal zu Gast,

Brach auf nach kurzer Ruhepause.

Die vielbewährte Wunderlampe

Nahm er dabei wohlweislich mit,

Bestieg sein flinkes Pferd und ritt

Gradaus zu seines Schlosses Rampe.

Der Sultan erblickt das Schloß Aladdins

Der Sultan erblickt das Schloß Aladdins

Der feierliche Freudenklang

Von Trommeln, Pfeifen und Trompeten

Erscholl der Mutter zum Empfang.

Von des Palastes Zinnen wehten

Im Winde fröhlich bunte Fahnen;

Aus Schalen strömte Balsamduft;

Der Hofstaat stand auf den Altanen

Und schwenkte Tücher durch die Luft.

Die Stadt ward neuerdings geschmückt

Mit Laubwerk, Teppichen und Lichtern;

Viel deutlicher war den Gesichtern

Des Frohsinns Stempel aufgedrückt

Als beim gestörten Hochzeitsfeste

Von damals. Die verdutzte Schar

89Des Volks erblickte zwei Paläste,

Wo tags zuvor nur einer war;

Zumal bestaunten sie den neuen,

Und laut bekannte jedermann,

Er müsse den Vergleich nicht scheuen,

Ja, steh' dem alten weit voran.

Inzwischen ward, weil sich der Freier

Ausdrücklich hatte vorbehalten,

In seinem eignen Schloß die Feier

Der Hochzeit glänzend zu gestalten,

Vom Sultan öffentlich erklärt,

Daß gültig nun zu Recht bestehe

Prinzessin Bedrulbudurs Ehe

Mit dem Gemahl, der ihrer wert,

Und dem sein Vaterherz gewogen;

Auch wurde der Vertrag vollzogen

Mit hergebrachter Förmlichkeit.

Dann leerten einen Freudenbecher

Die Mutter und der Fürst zuzweit.

Er selber gab ihr das Geleit

In der Prinzessin Wohngemächer.

Dort kam in ihrem reichen Schmuck

Und ihrer Schönheit holdem Prangen

Die Braut entgegen ihr gegangen

Mit einem warmen Händedruck

Und einem Kuß auf ihre Wangen.

90Sie nahm, bereit zur Überführung

In ihres Ehegatten Schloß,

Vom Vater Abschied. Beiden floß

Ein Tränenstrom herab vor Rührung.

Und als der Sonne letztes Blinken

Gewichen war dem Dämmerschein,

Da formte sich der Zug. Zur Linken

Schritt ihr die Mutter, hinterdrein

Die Sklavinnen und Zofen all,

Voran ein Trupp von Musikanten

Mit schmetterndem Posaunenschall,

Zuletzt unzählige Trabanten,

Lakaien, Pfeifer, Paukenschläger

Und Knappen, die als Fackelträger

Dem Zuge Licht zu spenden hatten.

So schwebte die Gebieterin

Auf dem damastnen Teppich hin

Zum kerzenhellen Schloß des Gatten,

Und all das heitre Volksgewimmel

Entsandte wie aus einem Mund

Gebet und Segenswunsch zum Himmel

Für ihren jungen Ehebund.


91

11.

V

Von seiner Dienerschaft umgeben

Stand Aladdin am Eingangstor

Und führte mit beglücktem Beben

Die Braut zum Kuppelsaal empor.

Sie war beim ersten Anblick schon

Entzückt von ihm, da beim Vergleiche

Sie fand, daß nimmer ihm der Sohn

Des Großveziers das Wasser reiche.

Und Aladdin? Ach, wer beschriebe,

Was er im Innersten empfand,

Wie nun das Traumbild seiner Liebe

Holdselig leibhaft vor ihm stand!

Er rief: "Du Herrlichste von allen,

Vor der das Taggestirn erbleicht,

Gesteh' mir, ob ich nicht vielleicht

Verurteilt bin, dir zu mißfallen!"

"Mein Prinz—denn dieser Name scheint",

Versetzte sie, "dir zu gebühren—

Mir hat mein Vater dich zu küren

Befohlen und mich dir vereint.

92Des Vaters Willen sich zu fügen

Ist einer guten Tochter Pflicht;

Doch ich vollzog sie mit Vergnügen;

Denn wisse, du mißfällst mir nicht."

Mit dieser feinen Antwort scheuchte

Sie seiner Sorge letzten Rest;

Und nun begann ein Zauberfest,

Das ihr viel Staunenswerter deuchte,

Als was daheim sie je geschaut.

Die Tafel überschwemmten Rosen,

Von Diamanten rings betaut;

Von einer gleichfalls grenzenlosen

Verschwendung zeugten die Pokale,

Die Schüsseln, Teller, Gabeln, Messer;

Sogar die Speisen waren besser

Als je beim kaiserlichen Mahle.

Zu Flötenspiel und Lautenklang

Ertönte, reizend anzuhören,

Ein doppelstimmiger Gesang

Von allerliebsten Mädchenchören.

Nach Schluß des Mahls erschien ein Schwarm

Von Tänzern und von Tänzerinnen,

Um einen Reigen zu beginnen.

Der Schloßherr selbst bot seinen Arm

Der Herrin, und voll Anmut schwangen

Nach einem alten Brauch des Lands

Die Neuvermählten sich im Tanz.

93Die Mitternacht war längst vergangen,

Da sich im Schloß zu Ende neigte

Die Lustbarkeit.

Am Tag darauf,

Als schon des Sonnenballes Lauf

Sich nah dem Mittagsgipfel zeigte,

Schritt Aladdin mit einem Heere

Von Dienern auf dem kurzen Pfad

Hinüber zum Palast und bat

Den Schwiegervater um die Ehre,

Sein Schloß in Augenschein zu nehmen.

Gewiß, der Sultan mochte gern

Zu dieser Einkehr sich bequemen

Und ging, begleitet von den Herrn

Des Hofs, mit ihm dorthin zu Fuße.

Das Schloß, obwohl er's nun schon oft

Von seinem Fenster aus mit Muße

Betrachtet, schien ihm unverhofft

Noch prächtiger, als er es nah

Und näher jetzt vor Augen sah.

Im Innern erst vermochte kaum

Er sein Entzücken zu bemeistern,

Und gar der große Kuppelraum

Schien grenzenlos ihn zu begeistern.

Er sprach zum Großvezier: "Ein Wunder

Wie dies hab' ich noch nie gewahrt.

94Hiergegen ist, bei meinem Bart,

Mein eigener Palast nur Plunder."

Doch als er wieder heimgekehrt,

Um manchen großen Eindruck reicher.

Da schlängelte der alte Schleicher

Von Großvezier sich unbegehrt

An ihn heran mit dem Vermerk:

"Wer könnte diesen Bau betrachten,

Erhabner, ohne für ein Werk

Der Zauberkunst ihn zu erachten?"

Der Sultan drauf mit strengem Blick:

"Das hochzeitliche Mißgeschick,

Das deinem Sohn so schlecht bekam,

Kannst du noch immer nicht verschmerzen,

Bist Aladdin deswegen gram

Und suchst ihn grundlos anzuschwärzen."

So scheiterte die Lästrung kläglich.

Der Fürst begab, sobald er wach,

Vielmehr von jetzt ab sich tagtäglich

Gleich in sein Lieblingswohngemach,

Wo freien Ausblick er genoß

Auf seines Schwiegersohnes Schloß,

Und ward nicht müd, vom Fenster aus,

Ganz in Bewunderung vergraben,

An Form und Schmuck des stolzen Baus

Das Auge stundenlang zu laben.

95Wer aber dächte, daß nunmehr

Sich Aladdin daheim verschlossen

Und ferngehalten vom Verkehr,

Der hätte gänzlich fehlgeschossen.

Im Gegenteil, er ward beständig

Lustwandelnd in der Stadt gesehn,

Ging zum Gebet in die Moscheen,

Tat manchen Einkauf eigenhändig,

War bei den hohen Edelleuten

Oft zu Besuch, und jedesmal,

Wenn er mit einer großen Zahl

Betreßter Diener ausritt, streuten

Sie Gold umher aus vollen Händen.

An seines Schlosses Pforten kam

Kein Bettelmann, der nicht mit Spenden

Vollauf beladen Abschied nahm.

Auch wenn er, um der Jagd zu pflegen,

Ins Feld hinausstob ungehemmt,

Ward jedes Dorf auf seinen Wegen

Von einem Goldstrom überschwemmt.

Kein Wunder war's, wenn dergestalt

Ihm der Berühmtheit Rosenwolke

Das Haupt umspann, und wenn er bald

Vergöttert ward vom ganzen Volke.

Er aber wurde drum nicht eitel,

Nein, zeigte dem bedrohten Staat

Sich von der Zehe bis zum Scheitel

96Als echten Helden durch die Tat:

Des Reichs gesamte Grenze stand

In eines Aufruhrs hellem Brand.

Der Feldherrn keiner konnt' ihn dämpfen,

Bis Aladdin, dem Ruf der Not

Gehorchend, mannhaft sich erbot,

Auf eigne Faust ihn zu bekämpfen.

Vom Herrscher an des Heeres Spitze

Berufen zog er in das Feld,

Nicht achtend Mühsal, Frost und Hitze!

Bald war von ihm der Feind umstellt

Und wurde wie beim Hasenjagen

Trotz aller seiner Übermacht

In einer einz'gen großen Schlacht

Zerstreut und in die Flucht geschlagen.

Dann führte seine tapfren Krieger

Er heimwärts im Triumph, das Haupt

Von einem Ruhmeskranz umlaubt,

Und hieß nun Aladdin der Sieger.—

In stetem Fluß allmählich reihte

Sich Tag an Tag und Jahr an Jahr;

Er aber ward es kaum gewahr

An seiner schönen Gattin Seite,

Geliebt und liebend, hochgeachtet

Und doch von schlicht bescheidnem Sinn.

Die Bosheit, die von Urbeginn

Das Gute zu vernichten trachtet,

98Sollt' aber nach der Gnadenfrist

Auch ihn mit hartem Streiche treffen.

Der Zauberer befragt die "schwarze Kunst" über Aladdin

Der Zauberer befragt die "schwarze Kunst" über Aladdin

Der Zaubrer, der mit schnöder List

Ihn einst sich ausgesucht als Neffen,

Dann heimgewandert und seit Jahren

In Afrika nun wieder saß,

Wollt' eines Tages, rein zum Spaß,

Genaueres davon erfahren,

Wie Aladdin zugrund gegangen.

Denn daß der Bursch aus jener Gruft

Nie mehr, nachdem er drin gefangen,

Zurückgekehrt zu Licht und Luft,

War nicht im mindesten ihm fraglich;

Die Frage, die er noch gespart,

Galt einzig seiner Todesart.

Er setzte sich darum behaglich

An einen Tisch, worauf mit Sand

Gefüllt ein Viereck sich befand

In Schachtelform, nahm einen Stift

Und zog damit nach Zaubrerweise

Im Sande Linien und Kreise

Nebst Lettern einer fremden Schrift.

Berechnend, murmelnd unverständlich,

Nach Grundsatz, Regel und Gebot

Geheimer Schwarzkunst, bracht' er endlich

Heraus, daß Aladdin nicht tot,

Nein, daß er aus der Gruft entsprungen,

99Zu Glanz und Ruhm sich aufgeschwungen

Und obendrein als der Gemahl

Der Sultanstochter herrlich lebe.

Ha, war das tückische Gewebe

Zerfetzt? Er wurde leichenfahl,

Krebsrot und wieder kreideblaß

Und dann vor Mißgunst gelb und gelber.

"Wie?" rief er aus in Wut und Haß,

"Der Schatz, den mühsam für mich selber

Ich ausgespürt mit saurem Schweiß,

In zähem, jahrelangem Fleiß,

Der Lampe hohe Wunderkraft

Ward mir zu meines Forschens Lohne

Von einem niedren Schneidersohne,

Von einem Tagedieb entrafft!

Er, den vermodert ich gewähnt,

Er darf zu schwelgen sich erfrechen

Im Reichtum, den er mir entlehnt!

Doch nur Geduld, ich will mich rächen!"

Er warf somit am selben Tag

Aufs Pferd sich ohne viel Besinnen

Und galoppierte stracks von hinnen

Zum Reich, das fern im Osten lag.


100

12.

N

Nachdem er auf der langen Reise

Sich und sein Pferd halb tot gehetzt,

Sich nur an kurzem Schlaf geletzt,

Sich nur genährt mit knapper Speise,

Mit kargem Trank erfrischt, gelangte

Der Zaubrer in des Sultans Reich,

Und bald vor seinen Augen prangte

Die Hauptstadt, wo sein Schurkenstreich

Ihm damals kläglich war mißlungen.

In einem kleinen Gasthaus stieg

Er ab, um seinen Rachekrieg

Zu fördern durch Erkundigungen.

Das Wichtigste ward ihm natürlich

Enthüllt, bevor ein Tag verfloß;

Denn alle Welt sprach unwillkürlich

Von Aladdin und seinem Schloß.

Er ließ zu dem berühmten Bau

Von seinem Wirt sich hingeleiten,

Und als er ihn von allen Seiten

101Beschnüffelt hatte ganz genau,

Da wußt' er, daß dem Aladdin

Zu einem Werk von solcher Größe

Nur jene Lampe Kraft verliehn.

Er gab sich selber Rippenstöße

Vor Ärger, weil dies Meisterstück

Ihn völlig erst ermessen lehrte,

Was ihm entgangen war, und kehrte

Zu seinem Gasthaus dann zurück.

Wo mochte wohl die Lampe stecken?

Wenn ihren Aufbewahrungsplatz

Er fähig wäre zu entdecken,

Dann könnt' er den ersehnten Schatz

Von ihm erlisten, Raub um Raub,

Und von der angemaßten Zinne

Zurück ihn schmettern in den Staub.

Er nahm behend wie eine Spinne,

Die rastlos webt an ihrem Netze,

Das Zauberviereck wieder vor,

Und durch die magischen Gesetze,

Die mit Gekritzel er beschwor

Und knifflicher Berechnungsart,

Ward bald unfehlbar ihm verraten:

Die Lampe war im Schloß verwahrt.

Der Zufall, der verruchten Taten

Oft beisteht, war auch ihm gewogen.

102Willkommen traf die Nachricht ihn,

Daß vor drei Tagen Aladdin

Auf eine große Jagd gezogen

Und fern sei bis zum Wochenschluß.

Er trat in eines Klempners Laden

Und sagte: "Freund, es soll dein Schaden

Nicht sein, wenn du mir dienst. Ich muß

zwölf Lampen haben, nagelneu,

Von blankem Kupfer." "Meiner Treu,"

Erwiderte mit breitem Lachen

Der Klempner—denn er war erfreut,

Solch glänzendes Geschäft zu machen—

"Gleich zwölf? So viele hab' ich heut

zwar nicht auf Lager; doch bis morgen

Werd' ich die fehlenden besorgen."

Mit einem Korb am Arme kam

Der Zaubrer wieder tags darauf,

Verpackte drin den ganzen Kram,

Gab für den abgeschlossnen Kauf

Weit höhern Preis als nach Verpflichtung,

Bewegte dann sich in der Richtung

Des Schlosses langsam durch die Stadt

Und zwang das Volk, dem Ruf zu lauschen:

"Hört, hört! Wer alte Lampen hat,

Kann hier sie gegen neue tauschen."

Die Leute dachten allgemein:

"Der Mensch da hat wohl einen Sparren."

103Die Kinder hielten ihn zum Narren

Und liefen gröhlend hinterdrein.

Ihn aber konnt' es nicht beirren;

Er ließ im Korb die Lampen klirren

Und wiederholte hundertmal

Aus Leibeskräften sein Gekrähe

Bis in des Schlosses nächste Nähe.

In ihrem großen Kuppelsaal

Saß Bedrulbudur. Das Gehöhne

Der Kinder und die schrillen Töne

Des Rufers drangen auch zu ihr,

Und einer Sklavin aufzutragen

Gebot ihr drum die Wißbegier,

Sie mög' hinuntergehn und fragen,

Was dieser wüste Lärm bedeute.

Die Sklavin ging und lachte hell,

Da sie zurückkam: "Der Gesell,

Der dort umringt wird von der Meute,

Ist ohne Zweifel gänzlich toll.

Sein Tragkorb ist von einem Haufen

Der schönsten neuen Lampen voll;

Er aber will sie nicht verkaufen,

Nein, will sie tauschen gegen alte."

Auch der Prinzessin Lachen schallte

Nun laut und klang im Echo nach,

104Bis eine andre Sklavin sprach:

"Vergib mir, Herrin; doch ich finde,

Da sich's um alte Lampen dreht

Und gleich hier neben auf dem Spinde

Zufällig eine solche steht,

So könnte man, wenn's dir beliebt,

Erproben, ob der Kerl tatsächlich

Für diese da, die schon gebrechlich,

Uns eine nagelneue gibt."

Dem stimmte die Prinzessin zu.—

Klang dir im Innern keine Warnung,

O Bedrulbudur? Ahntest du

Nicht schmählichen Betrugs Umgarnung?

Die Wunderlampe war's, die dort

Unscheinbar stand seit ein paar Tagen,

Weil Aladdin, der immerfort

Sie sonst mit sich herumgetragen,

Aus Furcht, sie könn' in Wald und Feld

Verloren gehn, nicht auf die Jagd

Sie mitgenommen. Wer nun fragt,

Warum aufs Spind er sie gestellt,

Anstatt sie sorgsam einzuschließen,

Den darf die Antwort nicht verdrießen,

Daß hin und wieder ein Versehn

Wohl jedem unterläuft im Leben,

Und daß die Allerklügsten eben

Die dümmsten Fehler oft begehn.

105Die Sklavin nahm die Lampe, trug

Zum Zaubrer hurtig sie hinunter,

Hielt ihm sie hin und sagte munter:

"Wenn diese da dir alt genug,

Gib eine neue mir zum Tausche."

Zugreifend voll Begier verschlang

Er mit den Augen seinen Fang

In schlecht verhehltem Freudenrausche;

Dann ließ er unters Kleid ihn wandern.

Den Korb jedoch mit den zwölf andern

Wies er der Sklavin vor zur Wahl.

Sie wählte lachend, und die Rotte

Begoß ihn mit vermehrtem Spotte.

Doch er, geschmeidig wie ein Aal,

Entkam durch eine Seitengasse,

Ließ dort, sobald ihn dieser Schlich

Geborgen hatte vor der Masse,

Den angefüllten Korb im Stich

Und lief davon, sein Gasthaus meidend.

Was lag ihm noch an seinem Pferd?

Was lag an andrem Geldeswert?

Jetzt war nur eins für ihn entscheidend!

Nachdem er eine halbe Meile

Vorm Stadttor endlich Halt gemacht,

Beschloß er, noch für eine Weile

Sich zu gedulden, bis die Nacht

Ihm Schutz vor Überrumplung böte.

106Erst als im Westen sich verlor

Der letzte Schein der Abendröte,

Zog er die Lampe sacht hervor

Und rieb sie.

"Was ist dein Begehr?"

So rief im nächsten Augenblicke

Der Geist, an Länge, Breite, Dicke

Fünfmal so massig wie ein Bär;

"Die Lampe macht es mir zur Pflicht,

Daß ich gehorsam dich bediene."

Der Zaubrer sprach mit Siegermiene:

"Du sollst das Schloß, das jener Wicht

Von dir sich hat erbauen lassen,

Mit seinen sämtlichen Insassen

Und mir zugleich alsbald von da

Forttragen durch des Äthers Wellen

Und an dem Punkt in Afrika,

Wo ich daheim bin, niederstellen."

Gehorsam seinem neuen Meister

Vollzog der Geist noch in der Nacht

Mit Hilfe seiner Nebengeister

Den Auftrag.

Zeitig aufgewacht

Begab der Sultan sich wie täglich

Zum Fenster, um in froher Schau

Zu mustern den erhabnen Bau.

107Sein Staunen aber war unsäglich,

Als er den leeren Platz erblickte,

Vom Schloß dagegen keine Spur.

Er rieb die Augen sich, er zwickte

Sich in den Arm; dies konnte nur

Entweder Trug sein oder Traum!

Doch welche Vorsicht er auch übte,

Die Sonne schien, kein Wölkchen trübte

Den Himmel bis zum fernsten Saum.

Unzweifelhaft, er träumte nicht!

Mit steifem, starrem Angesicht

Stand er und stand wie angewurzelt

Und murmelte: "Das Schloß ist fort,

Soviel steht fest. Wär's eingepurzelt,

So lägen doch die Trümmer dort.

Der Kuckuck weiß, was hier geschehn!"

Zum Schluß, wie stets in schweren Fällen,

Ließ er dem Großvezier bestellen,

Er wünsche schleunigst ihn zu sehn.

Der Großvezier kam angerannt;

Der Sultan faßte seine Hand,

Zog ihn zum Fenster hin und fragte

Voll Spannung: "Wirst du was gewahr

Vom Schloß, das gestern hier noch ragte?

Mich foppt, so scheint's, mein Augenpaar."

Der Großvezier war höchst betroffen;

Jedoch er sammelte sich bald.

108"Herr," sprach er, "liegt nunmehr nicht offen,

Was mir schon längst für sicher galt,

Wenngleich du mir nicht beigepflichtet?

Dies Schloß, ich wiederhol' es frei,

So schnell verschwunden wie errichtet,

Es war ein Werk der Zauberei."

Der Sultan, der dem Lästerwort

Nicht mehr zu widerstehn vermochte,

Ward kirschrot im Gesicht; er kochte

Vor Zorn und fluchte: "Pest und Mord!

Ein Gauner, listig und verlogen,

Hat an der Nase mich gezogen!

Wo ist der Schurk', der das gewagt?

Noch heute soll sein Blut verschäumen!"

Drauf jener: "Herr, laß uns nur säumen,

Bis er zurückkehrt von der Jagd."

"Nichts da! Das wäre zu viel Schonung,"

Entgegnete der Sultan wild;

"Vom Henker werd' ihm die Belohnung,

Mit der man Hochverrat vergilt.

Geh', schick' ihm dreißig Reiter nach!

Die sollen unterwegs ihn greifen,

Verhaften und mit Schimpf und Schmach

Gefesselt vor mein Antlitz schleifen!"


109

13.

A

Auf seinem Rückweg nach der Stadt

Begriffen, ahnungslos und heiter,

Traf Aladdin die dreißig Reiter.

Ihr Hauptmann grüßte höflich glatt,

Und er, von Heimweh schon beschwingt

Und in der Meinung, jene wären

Vorausgesandt zu seinen Ehren,

Sah sich mit einem Schlag umringt.

"Mir ziemt, mein Prinz, dich aufzuklären,"

Begann der Hauptmann; "doch ein Sprecher,

Der Unheil meldet, spricht nicht gern.

Uns ward vom Sultan, unsrem Herrn,

Befohlen, dich als Staatsverbrecher

In Haft zu nehmen und gefangen

Zu führen vor sein Angesicht."

"Sag' nur, was hab' ich denn begangen?"

Rief Aladdin mit heißen Wangen.

Drauf jener: "Prinz, das weiß ich nicht."

"Wohlan, da habt ihr mich. Vollzieht,

Was eures Amts! Ich folg' euch willig,

110Ist's auch gewiß nicht recht und billig,

Was unverschuldet mir geschieht."

Er warb vom Pferd geholt, an Armen

Und Hals mit Ketten fest umschnürt

Und so zum Schrecken und Erbarmen

Des Volkes in die Stadt geführt.

Der Liebling aller war in Not!

Man wußte nicht, aus welchem Grunde,

Sah nur ihn von Gefahr bedroht

Und wollte drum, zu raschem Bunde

Vereinigt, ihm die Freiheit schaffen.

Ein Teil ergriff metallne Waffen,

Ein andrer Steine, Knüttel, Stangen,

Den Reitern sperrend Weg und Raum;

Mit ihrem Häftling konnten kaum

Sie bis in den Palast gelangen.

Der Sultan, der bereits ihr Nah'n

Erwartet hatte vom Altan,

Befahl dem Henker, alsogleich

Dem Schändlichen, der sein Vertrauen

Getäuscht, mit einem scharfen Streich

Das Frevlerhaupt herabzuhauen.

Es ward ihm keine Frist verliehn,

Sich durch Verteidigung zu retten;

Der Henker hieß, nachdem die Ketten

Ihm abgestreift, ihn niederknien,

112Band ihm sodann die Augen zu,

Erhob das Richtschwert, wie befohlen,

Um auf des Herrschers Wink im Nu

zum Streich gewaltig auszuholen.

Aladdins schlimmste Stunde

Aladdins schlimmste Stunde

Da—was ist das? Was dröhnt und gellt?

Was schwillt und wirbelt, brandend, brausend?

Vom Volke haben viele Tausend

Im Aufruhr den Palast umstellt.

Man reißt und rüttelt an den Mauern,

Man bricht aus ihnen Stein um Stein,

Und lange kann es nicht mehr dauern,

Da stürzen sie zertrümmert ein,

Und alle Tore klaffen splitternd.

"O Herr, bedenk'!" so wendet zitternd

Zum Sultan sich der Großvezier,

"Schau hin, wie meuterische Horden,

Vollständig zügellos geworden,

Gleich einem grimmen Riesentier

Sich gegen deine Mauern türmen!

Der Mensch hat auch dein Volk behext,

Und wenn du diesen Spruch vollstreckst,

Dann wird es den Palast erstürmen."

Der Sultan fuhr erschreckt zusammen.

Er merkte wohl, daß durch den Tod

Prinz Aladdins das Reich in Flammen

Auflodern würde. Drum gebot

113Er dem verblüfften Henker knapp

Vorm Streich, das Leben ihm zu lassen;

Der nahm die Binde von ihm ab,

Und den erregten Menschenmassen

Ward mit Trompetenstoß verkündigt,

Der Sultan habe kurz und gut,

Wie sehr auch Aladdin gesündigt,

Ihn zu begnadigen geruht.

Dies Wort, voll Beifallslärm umtönt,

Goß Öl in die erzürnten Wogen;

Die sämtlichen Empörer zogen

Nach Haus beschwichtigt und versöhnt.

Doch Aladdin, als er befreit

Sich sah, hob zum Altan die Hände:

"Herr," bat er flehentlich, "vollende

Die Gnade, die du mir geweiht,

Und sage mir, durch welch Verbrechen

Verdient' ich solch ein Strafgericht?"

"Ei, willst du dich noch gar erfrechen,

Zu tun, als wüßtest du das nicht?

Komm'," rief der Sultan, "komm' hierher!

Dein Stolzes Schloß, wo mag es liegen?

Zeig' mir's! Nicht finden kann ich's mehr."

Als Aladdin emporgestiegen,

Ließ er ihn durch das Fenster blicken

Und fragte barsch: "Was siehst du da?"

Der Ärmste glaubte zu ersticken,

114Als er die leere Stelle sah.

Versteinert, reglos blieb er stehn,

War nicht imstande, sich zu sammeln,

Geschweige denn ein Wort zu stammeln.

"Nun sprich! Kannst du dein Schloß erspähn?"

So forschte jener streng und hart.

"Bekenne, wo es hingekommen,

Und was aus meiner Tochter ward!"

"Mein Fürst," sprach Aladdin beklommen,

"Obgleich ich selbst nicht ahnen kann,

Was mittlerweil sich hier begeben,

So schwör' ich dir bei meinem Leben,

Ich habe keinen Teil daran!"

Der Sultan schrie: "Du Strolch, mitnichten

Entschuldigst du dein Bubenstück!

Gern will ich auf das Schloß verzichten;

Jedoch mein Kind gib mir zurück!

Sonst lass' ich meinem Wort zum Trotz

Dir deinen Kopf herunterschlagen,

Als wäre der ein Tannenklotz."

"Herr, eine Frist von vierzig Tagen

Gewähre mir!" bat Aladdin.

"Ich werde, sollt' es mir mißlingen,

Verlornes wiederzuerringen,

Mich meiner Strafe nicht entziehn."

Der Sultan sagte: "Wohl, so sei's;

Ich will dir diese Frist vergönnen.

115Du würdest doch um keinen Preis

Dem Rächerarm entrinnen können."

Bekümmert, mit gesenktem Haupt

Schlich Aladdin wie ausgestoßen

Von dannen, und dieselben Großen,

An deren Freundschaft er geglaubt,

Die gestern noch ihm auf dem Fuß

Gefolgt, um sich vor ihm zu bücken,

Vermieden heute seinen Gruß

Und kehrten lieblos ihm den Rücken.

Was konnt' er tun? Wohin sich wenden?

Er lief, im Kopfe wirr und kraus,

Umher, die Stadt von Haus zu Haus,

Von Tür zu Tür nach allen Enden

Durchwandernd, ohne zu verstehn,

In welcher Absicht, fragte jeden

Mit abgeriss'nen irren Reden,

Ob irgendwer sein Schloß gesehn.

Gar manche wurden übermannt

Von Mitleid; andre wieder lachten

Ihn aus, vermutlich, weil sie dachten,

Er sei nicht richtig bei Verstand.

Nachdem er so mit müdem Blick

Drei Tage lang herumgeschlendert,

Wollt' in der Stadt, wo sein Geschick

Sich so bejammernswert geändert,

116Er nicht mehr weilen, sondern trollte

Sich ohne Plan hinaus aufs Feld.

Unendlich lag vor ihm die Welt;

Nur wußt' er nicht, wohin er sollte.

"Weh mir! Ich ward so bettelarm,

Daß ich mein traurig Los verfluche!"

So rief er aus in bittrem Harm.

"Wenn ich den Erdkreis auch durchsuche,

Beharrlich pilgernd Jahr um Jahr,

Wo find' ich die Geliebte wieder?

Weit besser, daß die Augenlider

Der Tod mir schließt auf immerdar!"

Er näherte sich einem Fluß

Und wollt', um seine Qual zu kürzen,

Sich mit verzweifeltem Entschluß

Kopfüber in die Fluten stürzen.

Es war um Sonnenuntergang;

Der Feuerball mit letztem Blinken

Schien ihm den Abschiedsgruß zu winken.

Ein Ruck, ein Anlauf—und er sprang.

Das Ufer war an dieser Stelle

Besonders steil, und seinen Rand

Umschloß ein kahles Felsenband

In rauh zerklüftetem Gefalle,

Sodaß der lebensmüde Springer

An einem Felsstück hängen blieb

Und jener Ring, den er am Finger

118Noch immer trug, daran sich rieb.

Das war sein Glück; denn alsobald

Wie aus dem Wasserdunst verdichtet,

Stand mächtig vor ihm aufgerichtet

Desselben Geistes Schreckgestalt,

Der einst ihm in der Gruft erschienen,

Und rief: "Ich bin des Ringes Knecht.

Mir zu gebieten ist dein Recht;

Sag' an, womit kann ich dir dienen?"

Der Geist führt Aladdin nach Afrika

Der Geist führt Aladdin nach Afrika

Drauf Aladdin: "O Geist, errette

Zum zweiten Male mich vom Tod

Und bring', bevor der Morgen loht,

Mein Schloß zurück zur alten Stätte!"

Der Geist versetzte: "Dies Gebot

Verträgt sich nicht mit meinem Walten.

Ich diene nur dem Ring. Du mußt

Dich an den Geist der Lampe halten."

"Nun wohl; jedoch wenn dir bewußt,

Wo sich zurzeit mein Schloß befindet,"

Sprach Aladdin, "befehl' ich dir

Kraft dieses Ringes, der dich bindet:

Befördre mich sogleich von hier

Gradaus an seinen neuen Platz!"

Kaum ausgesprochen war der Satz,

Da trug beflügelt ihn der Riese

Nach Afrika, zu jenem Ort,

Wo nun inmitten einer Wiese

119Das Bauwerk stand, und setzte dort

Ihn sänftlich nieder auf das Gras.

Zwar blieb es Aladdin verborgen,

Daß er im Innern Afrikas

Gelandet war; doch er genas

Von allen Martern, allen Sorgen,

Als er den wohlbekannten Bau

Trotz dunkler Nacht im Sternenschimmer

Gewahrte, ja sogar die Zimmer

Dicht vor sich sah, die seiner Frau

Zur Wohnung dienten; und sie schlief

Wahrscheinlich dort schon fest und tief.

Um Lärm und Aufsehn zu vermeiden,

Hielt er gewaltsam sich zurück,

Wie schwer's auch war, so nah dem Glück

Bis morgen früh sich zu bescheiden.

Er streckte, von der langen Pein

Ermattet, unter einer Palme

Sich aus zum Schlummer, und die Halme

Des Grases wiegten mild ihn ein.


120

14.

E

Erweckt von süßen Vogelliedern

Hob er sich mit gestählten Gliedern

Vom Lager zeitig, und gelenkt

Von Sehnsucht fiel zu seiner Freude

Sein erster Blick auf das Gebäude,

Das ihm erschien wie neu geschenkt.

Auch die Prinzessin, die vor Kummer

Und tausend Ängsten Nacht für Nacht

In all der Zeit nur wenig Schlummer

Gefunden hatte, war erwacht.

Wer aber schildert ihre Wonne,

Da vor dem Fenster sich im Strahl

Der eben aufgegangnen Sonne

Leibhaftig vorfand ihr Gemahl!

Erst wechselten sie hundertfach

Kußhände, Grüße, Flüsterworte;

Dann schlich durch eine kleine Pforte

Verstohlen er in ihr Gemach.

Versteht sich, daß die Neuvereinten

Sich herzten, sich im Überschwang

121Umschlungen hielten endlos lang

Und heiße Freudentränen weinten

In ihres Wiedersehens Rausch.

Zuletzt indessen unterbrach

Der Zärtlichkeiten holden Tausch

Bedeutsam Aladdin und sprach:

"Vergib mir, mein geliebtes Weib,

Ich muß, eh wir einander klagen,

Was wir erlebt in diesen Tagen,

Vor allem dich nach dem Verbleib

Der unscheinbaren Lampe fragen,

Die, während ich zur Jagd gezogen,

Im Saale stand auf einem Spind."

"Ach," seufzte sie, "sei nur gelind!

Ich selber wurde ja betrogen.

Längst ahnt mir, daß uns ihretwegen

Ereilte dieser Schicksalsschlag."

Drauf Aladdin: "Da sie zu hegen

Ich töricht unterlassen, lag

Die Schuld an mir. Doch jetzt erwägen

Wir besser, was den Schaden heilt.

Drum sag' mir, wo sie hingeraten."

Sobald sie dies ihm mitgeteilt,

Rief er: "Ich rieche nun den Braten!

Den Händler kenn' ich! Dieser Schuft,

Schon einmal wollt' er mich vernichten."

Sie fuhr dann fort, ihm zu berichten,

122Wie nachts unmerklich durch die Luft

Entführt, sie morgens beim Erwachen

Sich hier in diesem fremden Land

Befunden, Afrika genannt,

Und wie der Kerl mit frechem Lachen

Sich ihr als Schloßherrn vorgestellt.

Drauf Aladdin mit Zornesfunken

Im Auge: "Solchen Erzhalunken

Hat nie zuvor gesehn die Welt.

Sprich, hast du nicht vielleicht erfahren,

Wo er die Lampe hält versteckt?"

Sie gab zur Antwort: "Wohl gewahren

Konnt' ich, daß unterm Kleid verdeckt

Er sie beständig bei sich trägt.

Denn seit ich hier bin, kommt er täglich

Zu längerem Besuch und legt

Es darauf ab, mich unerträglich

Mit ekler Huldigung zu quälen.

Ja, mehr noch, er verlangte dreist,

Ich solle zum Gemahl ihn wählen,

Weil du nicht mehr am Leben seist.

Mein Vater habe dir im Zorn

Den Kopf herunterschlagen lassen.

Dies Lied begann er stets von vorn,

Obwohl ich glühend ihn zu hassen

Beteuerte. Der eitle Wahn

Erfüllt ihn, daß ich auf die Dauer

Nicht widerstehe, wenn die Trauer

123Um dich allmählich abgetan.

So hab' ich stets vor seiner List

Und seiner Schlechtigkeit gezittert

Bis heute, wo du bei mir bist."

"Ihm soll", rief Aladdin erbittert,

"Was andres blühen, als er meint.

Sei nur getrost! Von diesem bösen,

Ruchlosen, ränkevollen Feind

Werd' ich uns hoffentlich erlösen.

Was auch geschieht, mit Zuversicht

Vertraue mir bis zur Entscheidung,

Und siehst du später in Verkleidung

Mich wiederkehren, staune nicht."

Sobald er seines Schlosses Mauern

Verlassen, ging er querfeldein

Und traf in einem Palmenhain

Nach kurzer Wandrung einen Bauern.

Er fragte diesen nach dem Wege

Zur nächsten Stadt, und ob sein Kleid

Mit ihm zu wechseln er bereit.

Der Bauer war durchaus nicht träge,

Für dieses Fremden reiche Tracht

Sein schäbig Zeug daranzusetzen,

Und Aladdin, nachdem er sacht

Geschlüpft war in die alten Fetzen,

Schritt auf den ihm beschriebnen Pfaden

Der Stadt entgegen, kam hinein

124Und fragt' in einem Krämerladen,

Ob ein gewisses Pülverlein

Zu haben sei. Der Krämer nickte,

Betonte nur, weil das geflickte

Gewand des Käufers ein Beweis

Der Armut schien, den hohen Preis.

Doch als der Fremde nicht verlegen

Ein Goldstück aus dem Beutel zog,

Bracht' er das Pulver ihm und wog

Ein Lot ihm ab.

Auf gleichen Wegen

Kam Aladdin ins Schloß zurück

Und sprach zu seiner Gattin: "Höre!

Notwendig für mein Wagestück

Ist mir dein Beistand. Ich beschwöre

Dich drum, befolge meinen Rat!

Wirf dich in deinen schönsten Staat,

Schmück' mit Geschmeide dich und Spangen,

Um den Entführer, wenn er naht,

Mit wärmstem Gruße zu empfangen.

Damit kein Argwohn ihn beirrt,

Stell' dich, als ob du mich vergessen,

Wenn dir's auch noch so sauer wird,

Und lad' ihn ein zum Abendessen.

Sobald er dann mit dir in frecher

Behaglichkeit bei Tische sitzt,

Laß ihm kredenzen einen Becher,

125Gefüllt mit Wein, in den verschmitzt

Vorher dies Pulver du gestreut,

Und bitt' ihn höflich, dir zu Ehren

In einem Zug ihn auszuleeren.

Von dieser Bitte hocherfreut

Wird er den Wein hinuntertrinken

Und leblos auf den Boden sinken,

Bevor er noch den Trunk bereut."

Wenn dieses Spiel auch recht verfänglich

Ihr vorkam, so versprach sie fest,

Sie werde tun, was unumgänglich.

Er barg sich für des Tages Rest

In einem abgelegnen Flügel

Des Schlosses. Als die fernen Hügel

Die Dämmerung mit ihrem grauen

Gewebe langsam überspann,

Rief Bedrulbudur ihre Frauen,

Mit deren Beistand sie begann,

Aufs wunderbarste sich zu schmücken.

Voll Sorgfalt ward ein herrlich Kleid

Ihr angelegt und zum Entzücken

Verziert mit flimmerndem Geschmeid.

Ihr Gürtel, ihre Spangen waren

Gleichwie der Reif in ihren Haaren

Mit Diamanten dicht besetzt;

Und um den Hals die Perlenkette—

Welch noch so große Fürstin hätte

126Sich glücklich nicht mit ihr geschätzt?

Sie sah, nachdem der Putz vollendet,

Ihr Bild in einem Spiegel an

Und dachte sich: "Wo lebt ein Mann,

Der nicht von so viel Reiz geblendet

Vor mir die Waffen mußte strecken?"

Sie stieg hierauf zum Kuppelsaal

Empor, worin schon für das Mahl

Ein Tischlein stand mit zwei Gedecken.

Sie hatte noch nicht lang' geharrt,

Als pünktlich zur gewohnten Stunde

Der Zaubrer eintrat und erstarrt

Von so viel reichem Schmuck im Bunde

Mit so viel Schönheit stehen blieb.

Sie schritt holdselig ihm entgegen,

Als wäre sein Besuch ihr lieb,

Und tat, als ob nur seinetwegen

Sie so verlockend sich und prächtig

Gekleidet. Zögernd nahm er Platz,

Noch immer keines Wortes mächtig.

"Freund, sollte dich der Gegensatz

In meiner Stimmung Wunder nehmen,"

Begann sie lächelnd, "So vernimm,

Ich mag mich jetzt nicht länger grämen.

Denn daß durch meines Vaters Grimm

Mein Gatte seinen Tod gefunden,

Davon hast du mich überzeugt.

128Gesetzt auch, daß ich tiefgebeugt

Mit unheilbaren Herzenswunden

Wehklagen wollt' um ihn beständig,

Er würde doch nicht mehr lebendig.

Ich gönn' ihm seine Grabesrast,

Und weil sich meine Fesseln lösten,

Bin ich entschlossen, mich zu trösten,

Und lade dich bei mir zu Gast."

Aladdin holt sich die Wunderlampe wieder

Aladdin holt sich die Wunderlampe wieder

Der Zaubrer bildete frohlockend

Sich ein, gewonnen sei das Spiel,

Sah sich im Geiste schon am Ziel

Des kühnsten Wunsches, dankte stockend

Und setzte sich mit ihr zu Tisch.

Wie dort zu ihm verführerisch

Nun ihre Blicke sich erhoben,

Da schien es ihm unzweifelhaft,

Sie habe sich in ihn vergafft

Und wolle sich mit ihm verloben.

Ein üppig Mahl ward aufgetragen,

Und eine Sklavin reichte Wein.

Selbst schenkte die Prinzessin ein,

Goß unbemerkbar ohne Zagen

Das Pulver in des Gastes Becher

Und sprach: "Willst du mir frohen Mut

Bereiten, dann als wackrer Zecher

Trink' auf mein Wohl dies Rebenblut!"

"Ja, du Geliebte, du Verehrte,

129Dies auf dein Wohl und unsern Bund!"

So rief er hochbeglückt und leerte

Den Becher aus bis auf den Grund.

Nach einem letzten kurzen Schnaufen

Fiel er bewußtlos rücklings hin.

Geholt von einer Dienerin

Kam Aladdin herbeigelaufen.

Als Bedrulbudur ihn umschlang,

Sprach er: "Begib dich auf dein Zimmer;

Denn mancherlei bleibt mir noch immer

Zu tun, obwohl dir dies gelang."

Nachdem sie sich entfernt, verlor

Er keine Zeit. Er riß der Leiche

Das Kleid auf, zog die wunderreiche

Geraubte Lampe draus hervor,

Ließ das entseelte Jammerbild

Fortschaffen von zwei starken Knechten

Hinaus ins nächtige Gefild,

Damit die Geier sein gedächten,

Wenn sie's gelüstete nach Speise,

Berief dann in gewohnter Weise

Den Geist und sagte: "Bring' sofort

Mein Schloß an seine alte Stelle!"

Noch nicht vollendet war das Wort,

Als schon der Geist in Windesschnelle

Mit fast unmerklichem Vollzug

Das Bauwerk durch die Lüfte trug.


130

15.

D

Der Sultan, der bis jetzt unendlich

Um seine Tochter sich gegrämt,

War vor Verwundrung wie gelähmt

Als morgens breit und gegenständlich,

Zurückgekehrt zum alten Platz

Das Schloß zu ihm herübergrüßte.

Der Anblick bot ihm für verbüßte

Betrübnis reichlichen Ersatz.

Er ließ ein Pferd sich satteln, trabte

Zum Schloß, verfügte sich geschwind

Zu seinem lang entbehrten Kind

Und ihre Zärtlichkeit erlabte

Sein Vaterherz. Dann wollt' er wissen,

Welch unglückselige Verkettung

Sie damals plötzlich ihm entrissen,

Und welchem Umstand ihre Rettung

Zu danken sei. Mit knappen Strichen

Erzählte sie vom fürchterlichen

Schwarzkünstler, der durch Zaubermacht

Sie mit dem Schloß entführt bei Nacht;

Wie von dem Schändlichen bedrückt

Sie schon geglaubt, ihm zu erliegen,

131Bis ihrem Gatten es geglückt,

List gegen List ihm obzusiegen.

Ihr Vater war damit zufrieden,

Und als nunmehr auch Aladdin

Ins Zimmer kam, da zog er ihn

An seine Brust und sprach: "Hienieden

Ist man dem Irrtum ausgesetzt.

Vergib mir, wenn aus Übereilung,

Mein Sohn, ich blindlings dich verletzt.

Du brachtest meinen Schmerzen Heilung,

Indem du mir mein Kind befreit

Und sie behütet hast vor Schande;

Dies dank' ich dir für alle Zeit."—

Gefeiert ward im ganzen Lande

Die Wiederkehr des jungen Paars.

Ihr Glück verdüsterte kein Schatten.

Doch nicht die letzte Prüfung war's,

Die beide zu bestehen hatten.

Der Zaubrer nämlich, der ein Leben

Von großer Zähigkeit besaß,

War durch das Pulver, als dem Fraß

Der Geier man ihn übergeben,

In Wahrheit nur betäubt gewesen,

Von seinem Scheintod aufgewacht

Am nächsten Tag und bald genesen.

Er schwor, von Racheglut entfacht

132Und vollgepfropft mit Gift und Geifer,

Er wolle vor Vergeltungseifer

Nicht rasten fürder und nicht rosten,

Und drum begann zum drittenmal

Er schleunigst über Berg und Tal

Die Reise nach dem fernen Osten.

Nach einem ganzen Wanderjahr

Voll Mühe, Drangsal und Gefahr

Kaum in der Hauptstadt angekommen,

War er nach einem neuen Kniff

Umschau zu halten im Begriff.

Er hörte dort von einer frommen,

Betagten Wundertäterin

Erzählen, die Fatime hieß

Und sich mit schlicht erhabnem Sinn

Der stillen Andacht überließ

In einer abgeschiednen Klause.

Durch Gassen, die man ihm beschrieb,

Schlich er zu ihrem kleinen Hause

Bei dunkler Nachtzeit wie ein Dieb,

Drang in ihr ärmlich Zimmer, weckte

Mit rohem Schütteln die Erschreckte,

Hielt einen Dolch ihr vor und sprach:

"Du sollst entseelt sogleich erblassen,

Kommst du nicht meiner Vorschrift nach!"

Sie mußt' ihm ihre Kleider lassen

Sowie den Schleier und die Haube,

133Nebst dem geweihten Rosenkranz.

Obwohl dem Räuber sie sich ganz

Willfährig zeigte, ja, zum Raube

Hilfreich sogar die Hand ihm bot,

Stach er sie vorsichtshalber tot.

Sodann vor einem Spiegel schor

Den Bart sich weg der Halsabschneider,

Warf sich in seines Opfers Kleider,

Und als die Sonne stieg empor,

Trat er verschleiert auf die Gasse.

Der eine sprach zum andern: "Schau,

Dort geht einher die fromme Frau,"

Und eine große Menschenmasse

Umgab ihn rings voll Dankgefühl

Und folgte, Segenswünsche hegend,

Ihm nach bis in des Schlosses Gegend.—

Als die Prinzessin das Gewühl,

Vom Kuppelsaal herunterlugend,

Wahrnahm und obendrein erfuhr,

Daß all dies bunte Volk der Spur

Fatimens folge, deren Tugend

Und Heiligkeit ihr längst bekannt

Als der Verehrung Gegenstand

Und als das Vorbild frommer Sitten,

Da dachte sie, daß ihr gezieme,

Die Frau zu sich heraufzubitten.

134Zu der vermeintlichen Fatime

Kam eine Botin, sie zu holen.

Der Zaubrer, nicht an seinem Sieg

Mehr zweifelnd, schmunzelte verstohlen,

Als er mit ihr den Saal erstieg,

Und fing, nachdem er ihn betreten,

Mit solcher Inbrunst an zu beten,

Daß die Prinzessin sich verneigte

Voll Ehrerbietung. Da der Schlimme

Sie ansprach mit verstellter Stimme,

Sowie nur hinter Schleiern zeigte

Sein glattgeschorenes Gesicht,

Erkannt' ihn Bedrulbudur nicht

Und sprach "Laß mich die Gunst begehren,

Fatime, daß du dauernd weilst

An unserm Herd und gute Lehren

Zu frommem Wandel mir erteilst."

Der abgefeimte Tückebold

Erklärte gern sich einverstanden;

Das war es ja, was er gewollt!

"Ein stilles Zimmer ist vorhanden

Im Schloß," fuhr die Prinzessin fort

In ihrer gläubigen Betonung,

"Und deiner Andacht wirst du dort

Obliegen können ohne Störung.

Erst aber mögest du mir ehrlich

Gestehn, wie dir das Schloß gefällt."

Der Zaubrer gab zur Antwort. "Schwerlich

136Ist seinesgleichen auf der Welt;

Und dennoch, trotz der Raumverschwendung

Und dem Geschmack der Farbenwahl,

Bedrückt mich, daß in diesem Saal

Noch etwas mangelt zur Vollendung."

"Was ist es?" Scheinbar auf ihr Drängen

Erwiderte der Schuft: "Verzeih',

Von dieser Kuppel müßt' ein Ei

Des Vogels Roch herunterhängen."

Sie fragte, wo man das wohl fände.

Der Zaubrer drauf: "Gewaltig groß

Ist dieser Roch und nistet bloß

Auf Spitzen schroffer Bergeswände."

Sie dankte für den Rat und führte

Die falsche Heilige, noch immer

Nichtsahnend, selber auf ihr Zimmer.

Aladdin tötet den verkleideten Zauberer

Aladdin tötet den verkleideten Zauberer

Zum Saal zurückgekehrt, verspürte

Nun die Prinzessin, an der Angel

Des Zaubrers haftend, jenen Mangel,

Den nie zuvor sie wahrgenommen.—

Als Aladdin von einem Ritt

Heimkommend ihr entgegenschritt,

War sie so wunderlich beklommen,

Daß er sie fragte nach dem Grund.

Sie mußt' ihm ihr Gelüst enthüllen,

Und er, sobald ihr Wunsch ihm kund,

Gab ihr sein Wort, ihn zu erfüllen.

137Er ging alsbald in sein Gemach

Und rieb sie Lampe, die verschlossen

Jetzt stand in einem sichren Fach.

Nachdem der Geist emporgeschossen,

Sprach er: "Dich wiederum zu sputen,

Befehl' ich dir. Es fehlt uns noch

Im Saal ein Ei des Vogels Roch.

Verschaff mir's binnen drei Minuten!"

Kaum war das Wort entflohn, da fing

Der Geist so furchtbar an zu dröhnen,

Zu schrei'n, zu wimmern und zu stöhnen,

Daß Hören ihm und Sehn verging

Und zitternd er zu Boden sank.

"Elender," brüllte mit Gepolter

Der Riese, "spannst du mich zum Dank

Für meinen Frondienst auf die Folter?

Befiehlt, ich soll auf meinen Schwingen

Als Deckenschmuck für seinen Saal

Dir meinen eignen Vater bringen?

Sei froh, wenn nicht mein Donnerstrahl

Dich und dein Schloß in Asche wandelt.

Ich weiß zu deinem Glück, du hast

Nicht aus dir selber so gehandelt.

Dein Todfeind weilt bei dir zu Gast.

Er ward nicht von dir umgebracht,

Nein, kam ins Land, um sich zu rächen,

Ergatterte durch ein Verbrechen

138Der heiligen Fatime Tracht,

Und deine Frau, von ihm umgarnt,

Trieb zu dem schändlichen Befehle

Dich arglos an. Drum sei gewarnt;

Er will dir meuchlings an die Kehle."

Sprach's und verschwand. Sofort verfügte

Sich Aladdin zurück zum Saal,

Wo seine Gattin sich vergnügte

Mit einem Ballspiel, und befahl,

Man mög' ihm gleich Fatime holen.

"Sei mir gegrüßt!" rief Aladdin,

Als der vermummte Feind erschien;

"Denn warm hat man dich mir empfohlen.

Gib, fromme Frau, mir deinen Segen."

Der Zaubrer kam ihm sacht entgegen,

Und er bemerkte, wie der Strolch

Ein Messer unter seinem Kleide

Heimlich herauszog aus der Scheide.

Schnell griff er seinen eignen Dolch

Und bohrte dessen scharfes Erz

Dem Schurken mitten in das Herz.

Von seinem Blute ward im Saal

Der Boden ringsumher gerötet.

"Weh, was begingst du, mein Gemahl?

Du hast die Heilige getötet!"

Schrie Bedrulbudur sich verfärbend.

139Er aber sprach voll Seelenruh':

"Nein, liebe Gattin, komm herzu!

Hätt' ich gesäumt, so läge sterbend

Ich selber hier; denn dieser Tote

Bekam den Lohn, der ihm gebührt:

Erkenn' ihn, der dich einst entführt

Und jetzt mit Meuchelmord mir drohte."

So hatte glücklich unser Held

Sich des Verfolgers nun entledigt,

Der ihm beharrlich nachgestellt,

Und ward vom Schicksal reich entschädigt

Für allen ausgestandnen Harm.

In der geliebten Tochter Arm

Entschlief im hohen Greisenalter

Der Sultan, und sein Schwiegersohn

Mit seiner Frau stieg als Verwalter

Des weiten Reiches auf den Thron.

Sie herrschten als beglückte Leute,

Umringt von Kind und Kindeskind,

Und wenn sie nicht gestorben sind,

So leben sie gewiß noch heute.