Title: Wanderungen durch die interessantesten Gegenden des Sächsischen Obererzgebirges (Erstes Heft)
Author: Johann Traugott Lindner
Release date: April 14, 2015 [eBook #48705]
Language: German
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Ein Beitrag
zur specielleren Kenntniß desselben, seines Volkslebens, seiner
Gewerbsarten, Sitten und Gebräuche
vom
Finanzprocurator Lindner,
in Schwarzenberg,
Verfasser der »Holzordnung von 1560 und der Gegenwart.«
Erstes Heft
mit 4 lithographirten Ansichten.
Annaberg,
Rudolph und Dieterici.
1844.
Erste Wanderung.
Seite | |
Von Chemnitz aus nach dem Obererzgebirge | 1 |
Der Spiegelwald | 4 |
Schwarzenberg | 7 |
Fürstenberg | 10 |
Aue | 13 |
Die Drutenau | 18 |
Bockau | 20 |
Die Morgenleithe | 24 |
Das Eisenhüttenwerk Erla | 25 |
Bermsgrün | 30 |
Krandorf | 33 |
Das Schwarzwasserthal | 34 |
Breitenhof | 37 |
Breitenbrunn | 37 |
Die Hefenklöße | 40 |
Johanngeorgenstadt | 41 |
Rittersgrün | 47 |
Globenstein | 49 |
Großpöhla | 51 |
Das Weihnachtsfest | 52 |
Scheibenberg | 55 |
Wanderungen durch das Obererzgebirge.
Erste Wanderung.
Die ländliche Wohlhabenheit, welche die volk- und gewerbreiche Stadt Chemnitz meilenweit um sich verbreitet und selbst die nahen Dörfer mit einer gewissen Art bäuerlicher Ueppigkeit angereichert hat, verliert sich allmählig, wenn man über Neukirchen, Leukersdorf, Pfaffenhain und Stollberg nach dem Obergebirge wandert. Die Gegend durch genannte Ortschaften, durchzogen von einer Chaussee, welche aus einem bunt gemusterten Felsit-Porphyr von Leukersdorf gebaut und unterhalten wird, hat eine sehr einfache Physiognomie, die sich erst dann zum Lächeln anschickt, wenn man die Höhe von Hoheneck erreicht und rückwärts nach den weiten und sanft gewölbten Hügeln blickt, über welche der Fuß seinen Weg genommen hat.
Von der Burg Hoheneck sieht man kaum noch Spuren von ihrer herrischen Größe, mit der sie hinab auf das Städtchen Stollberg und seine Flanell-, Barchent- und Leinweber schaute. Ein im neuern Styl gebautes Amthaus steht an dessen Stelle, welches mit den Wirthschaftsgebäuden eines Kammergutes verschanzt ist. Der Berg steigt von da, in der Richtung[2] nach Zwönitz hin, noch gegen eine halbe Stunde an, ehe sich die Straße in einen langen, aber dürftigen Fichtenwald verliert. Die Höhe dieses Berges bietet eine recht artige Fernsicht nach Nordwest. Das wasser- und holzarme Hohenstein im Schönburgischen sonnt sich an seinem Rieden- und Pfaffenberg und terrassirt seine netten Gassen in anständiger Behaglichkeit um sich her. Sein ehemaliger Bergbau, welcher in dem dortigen Thonschiefergebirge getrieben wurde, machte viel Aufsehen, weil die daselbst auf den Gruben St. Lambertus und St. Anna einbrechenden Kupfererze güldisch waren und noch im Jahre 1791 für 29 Thlr. 5 Gr. 3 Pf. fein Gold gewonnen wurde. Das ist freilich, wenn von Gold die Rede ist, viel zu wenig; daneben aber auch eine zu große Erkaltung für den Bergbau in der Gegenwart, als daß ein bergmännisch geregelter Angriff auf die güldischen Erzmittel mit Ausdauer zu hoffen steht.
Die Gegend von Niederzwönitz und dem Städtchen gleiches Namens mit 288 Häusern und 1756 Einwohnern bietet nichts Interessantes dar, wenn man nicht den rastlos thätigen Baumzüchter, Stadtrichter Glück, besuchen und seine Pflanzgärten in Augenschein nehmen will; die Bauern wohnen seltener in einem umschlossenen Gehöft, die Schindeldächer nehmen überhand, Häusler drängen sich zwischen die Güter und der Boden wird steriler. Der Ziegenberg, über welchen nunmehr eine neue Chaussee nach Grünhayn läuft, zeigt in der Ferne den weißen Kirchthurm der in ein enges Thal eingequetschten Stadt Lößnitz und sein dem Himmel näheres Schießhaus. Außerdem ist die Gegend umher, eben so wie um Grünhayn, anmuthlos. Im Laufe diesem Sommers wurde in der Mooshaide bei Grünhayn von den Torfstechern ein Bär ausgegraben, von welchem Haare und die Krallen an den Tatzen gut erhalten waren. Unter die angebundenen gehörte er offenbar nicht.
Dieses Städtchen ist durch das reich dotirte Cistercienserkloster bekannt, welches im Jahre 1170 durch Sittichenbacher[3] Mönche entstanden, durch den Markgrafen Heinrich den Erlauchten eine veränderte Gestalt bekam, von dem Burggrafen Reinhardt von Meißen mit 10 Dörfern von seiner Grafschaft Hartenstein dotirt und somit zu einer besondern Wohlhabenheit erhoben wurde. Allein als im Jahr 1429 die Hussiten mit ihrer Mord- und Zerstörungssucht einbrachen, hatten sie den Abt Bernhardt II., welcher auf dem Concilio zu Costnitz eifrig an Hussens Verdammung gearbeitet, den Untergang geschworen. Dies gelang jedoch der tollen Rotte nicht, weil der Abt in Zwickau war, als sie in Grünhayn einbrach. Daher galt es nun den Mönchen, der Habe ihres Klosters und der bestürzten Einwohnerschaft des Städtchens; Erstere wurden in der Klosterkirche erschlagen und letzteres durch Martern und Qualen an den Mönchen, daß sie die Verstecke der werthvollen Sachen angeben mußten, ein Raub dieser Unmenschen. Kloster und Kirche wurden der Erde gleichgemacht, auch das Vieh der Einwohner im Städtchen hinweggetrieben.
Dieses Klosterthum kam nie wieder zu seiner früheren Wohlhabenheit, vielmehr wurde es im Jahre 1536 säcularisirt und der Rest seines Vermögens zur Verbesserung der Besoldung von Kirchen- und Schuldienern verwendet. Im großen, mit Mauern umgebenen Klostergarten steht noch ein alter Thurm, der Fuchsthurm genannt, dessen frühere Bestimmung die Geschichte nicht aufbewahrt hat. Das sind die einzigen Gegenstände, welche an ehemalige Beten und Müßiggehen, Fasten und Wohlleben erinnern. Jetzt ist es der Sitz des Justiz- und Rentamtes; und als im Jahr 1821 ein neues Amthaus errichtet wurde, gingen die letzten Spuren des ehemaligen Klostergebäudes fast ganz verloren. Die beträchtlichen Ländereien des Mönchthums kamen nach der Säcularisation zum feilen Verkauf, welche 20 Grünhayner Bürger an sich brachten, die unter sich eine Landgemeinde in der Stadt bilden, ihren Richter haben und eben so, wie die Grundstücke, die Zwanziger genannt werden.[4] Das Städtchen selbst entbehrt aller Anmuth, liegt rauh und frostig am nördlichen Fuße des Spiegelwaldes und erntet deshalb später als die Umgegend. Außer der etwa vor 30 Jahren neu erbauten Kirche, welche durch einen Stadtbrand verloren ging, hat das Innere des Städtchens eben kein hübsches Gebäude. Zwischen zwei Schornsteinen reitet ein mit Schiefer gedecktes Thürmlein auf einem Schindeldache und zeigt der Einwohnerschaft die Tag- und Nachtstunden an. Man nennt dieses Gebäude – das Rathhaus. Uebrigens hat das Städtchen viel Feldbau, mithin gute Viehzucht und außerdem nähren sich Viele vom Verfertigen der Regenschirme.
Dieser von Grünhayn gegen Süden gelegene und sparsam mit Nadelholz bestandene Gebirgsrücken ist der Vorhang, welcher eine wunderschöne Gebirgslandschaft, die mit ihrer Ausdehnung von etwa 5 Stunden in die Länge und Breite in bunter Mannichfaltigkeit eine liebliche Scenerie vor die Augen stellt, von der sich der Verehrer der Naturschönheiten nur ungern trennen kann. Auf dem Rücken des Berges angekommen, blickt man tief hinab in ein Labyrinth kleiner stücklicher Berge, die allmählig nach allen Richtungen hin riesenhaft anschwellen und ihr dunkles Fichtengrün an dem Saum des Himmels falbeln. – Bisweilen steigen gespensterartig weiße Nebel aus den dicken Waldungen auf, dehnen und strecken sich phantastisch, bis ihr Gewand zerrissen an fernen Wipfeln der Bäume verschwindet. Der Gebirger sagt in solchen Fällen: »Das Holzweibel heizt ein, es wird ander Wetter.« – Die dunkle Trapperie wallt faltenartig nach den Thalungen auf und nieder und umgrenzt hie und da verschiedentlich geformte Blösen für den Kartoffel- und Futterbau. Links, nach Osten, blähet sich der 3795 Fuß über dem Meere gelegene Fichtelberg im licht indigblauen Mantel[5] auf und beherrscht den Horizont bis zu den in Westen gelegenem Kühberg. Einzelne Gruppen von Häusern, zu dem oder jenem versteckt gelegenen Dörflein gehörig, und verzettelt stehende Wohnungen erblickt man allerwärts; sie verdanken ihre Entstehung irgend einem besondern Gewerbe, oder der bequemern Bewirthschaftung eines unbequem gelegenen Stück Landes. Weiß und schieferblau ruht das Städtchen Schwarzenberg tief in der Niederung der Landschaft, umgeben von Bergen mittleren Ranges, damit die höheren darüber hinschauen und das wie von Kindern aus Nürnberger Häuserchen gebaute Städtchen betrachten können. Viele tausend Menschen machen diese romantische Landschaft zu der lebendigsten des Obergebirges und zugleich zu der besuchtesten von Fremden; und in der That ist sie es werth, von Jedem besucht zu werden, wer Belehrung und Genuß an ihren eigenthümlichen Gewerbsarten, Sitten und Gebräuchen sucht.
Von der Höhe des Spiegelwaldes steigt man über 2000 Fuß hinab bis an die Ufer des Schwarzwassers und stößt unterwegs zunächst auf das ehemalige Klosterdorf Beyerfeld, welches gegenwärtig zur Herrschaft Sachsenfeld gehört. Wer hat nicht schon oft und viel von der Löffelfabrik der Gebrüder Friedrich, der umfänglichsten im Vaterlande, gehört? und wie viel Fremde haben nicht dieses Gewerbe in Beyerfeld aufgesucht, in der Meinung, dieses Etablissement in einem räumlichen Gebäude zu finden, wo man die Löffel aus Eisen fertigen sehen und die Manipulation bis zu ihrer Vollendung beobachten könne? Dem ist nicht so. Die Fabrik bezieht das nöthige Eisen für alle Gattungen von Löffeln von den Hammerwerken, wo es schon unter dem Namen Löffeleisen in Stäbe geschmiedet und nach der Wage, à 44 Pfund, verkauft wird. Der Fabricant liefert dasselbe nach dem Gewichte an die Plattenschmiede, welche zerstreut in nahen und entfernten Ortschaften wohnen; diese verfertigen daraus die Platten, d. h. die eben (platt) abgehenden Eisenstücke,[6] die noch keine Vertiefung haben. Zwei solche Plattenschmiede können täglich gegen 24 und aus einer Wage ungefähr 36 Dutzend Platten schmieden, die sie an den Fabricanten wieder nach dem Gewicht abliefern. Nun kommen die Platten wieder in die Hände der zerstreut wohnenden Löffelmacher, welche sie austeufen, wozu sie einen Ambos, worauf die stählernen Modelle oder Formen befestigt und nach den verschiedenen Größen und Gestalten concav eingelassen sind – und verschiedene Teufhämmer – brauchen, sodann aber zur Ablieferung bringen. Täglich kann ein Löffelmacher 25 Dutzend austeufen und 6 bis 7 Groschen verdienen. Endlich werden sie in's Zinnhaus abgegeben, da verzinnt, dann mit Kleie gescheuert, sortirt und so vollendet auf's Lager und in Handel gebracht. Mit diesen Löffeln, die im Publicum gewöhnlich »blecherne« genannt werden, wahrscheinlich weil das Eisen dazu so dünn wie Blech ausgetrieben wird, treiben die Gebrüder Friedrich, welche jeden Fremden mit Freundlichkeit aufzunehmen pflegen, umfängliche, selbst überseeische Geschäfte und geben dadurch einer großen Menge Menschen Nahrung und Unterhalt.
Am untern Ende des Dorfes liegt das Köhler'sche Vitriol- und Schwefelwerk, welches aber gegenwärtig, wegen gesteigerter Holzpreise und der Concurrenz von Böhmen her, in schwachem Umtriebe steht. Blau und grüner Vitriol, Vitriolöl und Scheidewasser sind die gewöhnlichen Fabricate. Schwefel wird wohlfeiler aus dem Auslande bezogen, als er hier fabricirt werden kann. Da die Fabrication aller dieser Gegenstände längst aus Hofrath Kastner's Metallurgie bekannt ist, so hält es schwer, den Grund aufzufinden, weshalb den Fremden nur ungern der Eintritt in dieses Werk gestattet wird.
So wie sich Beyerfeld vom Spiegelwald herab nach dem Schwarzwasser streckt, eben so dehnt sich vom Teufelssteine aus, welcher durch sein Granatlager bekannt ist, in gleicher Richtung das Nachbardorf »Bernsbach« hinauf bis auf den Rücken des[7] dort waldlosen Berges. Die Fabrication des Feuerschwammes und der Schwefelfäden, welche die mannichfaltigen Zündmaschinen der neuern Zeit gar sehr beeinträchtigt haben, war sonst in diesem Dorfe heimisch. Aus Polen und Ungarn kamen früher ganze Ladungen von Buchenschwämmen, die hier verarbeitet und als Feuerschwamm auf Messen und Märkte verführt, oder verhausirt wurden. Der Handel mit Zunderholz in diesem Orte ist völlig verschwunden und mit ihm die Gelegenheit zum Betteln.
Wie die zusammengedrängten und gegen das Hinabgleiten gesicherten Kinderherrlichkeiten auf dem Brete eines Gypsfigurenhändlers, – so ruhen die 50 brauberechtigten schmucken Häuser des Städtchens, welches überhaupt 193 bewohnte Häuser und 1931 Seelen zählt[1], mit dem Schlosse, der Kirche, Schule, dem Forst- und Rathhause auf einer 60 Fuß hohen, 1200 Fuß langen und kaum 300 Fuß breiten Felsenribbe, die aus dickflasrigem und mit Granitgängen durchsetztem Gneus besteht. Die eng zusammengerückten, steinernen und mit Schiefer gedeckten Gebäude haben sich an den Rändern dieses Felsens durch Mauern und Strebepfeiler gesichert, damit sie nicht den Vorstädtern, welche ringsherum noch 143 Häuser bewohnen, in die Arme fallen.
Dem alten und durch wiederholte Brände vielfach veränderten Schlosse, in welchem gegenwärtig das Kreisamt seinen Sitz hat, fehlen die urkundlichen Nachweisungen seiner Entstehung. Es ist nicht umfänglich und steht auf der äußersten Kante des Felsens, ernst und sinnend, wie der bronzirte Napoleon mit verschränken Armen und kleinem Hute auf dem Brete[8] der Gypsfiguren. In der Vorzeit, wo die kriegerische Zerstörungsart noch nicht so weit gediehen war, als in der Gegenwart, hatte diese alte Burg einen Graben und eine Aufzugbrücke, das Städtchen selbst aber Mauern und zwei Thore, welche jedoch niedergerissen worden sind, weil es Thorheit gewesen wäre, ihre Räumlichkeiten für bessere Zwecke unbenutzt zu lassen.
Heinrich I., Otto des Erlauchten Sohn, soll das Schloß zu Anfange des zehnten Jahrhunderts, so wie mehrere andere, zur Bewachung der Sorben erbaut haben. Weniger glaubhaft mag es sein, daß diese kleine Stadt ihren Namen von eben diesem Heinrich, welcher sich Henricus Niger genannt, bekommen haben soll, weil die Gelegenheit näher liegt, daß das Schwarzwasser, welches seinen Lauf durch die Vorstadt nimmt, die Veranlassung für die Benennung des Ortes wurde. Das Schwarzwasser, welches sich unterhalb der Stadt mit der Pöhla (richtiger: Bela, Biela) vereinigt, wurde von den Wenden Czorny-woda (lies: Schorni, daher auch Schornstein), Schwarzwasser, und unsere heutige Pöhla wurde Bela woda, d. i. Weißwasser, genannt.
Nahe an der Stadt ragen zwei schroffe Felsen, der Otten- und Todtenstein empor, die irgend eine gewaltige Erdrevolution der Vorzeit, die keine Geschichte kennt, von dem Stadtberge trennte und dem Schwarzwasser seinen heutigen Weg anwies. Hinter diesen Felsenmassen und rund um das Städtchen erheben sich kegelartige Berge von Gneus und Granit, wie mächtige Bastionen, zu deren Füßen sich üppige Wiesen ausdehnen und darüber hinauf die Einwohnerschaft ihren mühsamen Feldbau betreibt.
Schwarzenberg und seine nahe Umgebung bietet keine Ebene dar; überall nur abgescheuerte Berge mit tiefen Einschnitten, in welchen Quellen und kleine Bäche plätschern. – Es ist ein Gebirge im Gebirge! – Darum aber und weil die Grundstückbesitzer[9] ihre Früchte nicht so bequem nach Hause bringen können, wie die Flachländer, besonders wenn die Witterung ungünstig ist, sind die Scheunen auf dem ganzen Weichbilde zerstreut herum erbaut, wie die Kauen eines Bergwerksreviers, was auch außerdem, wegen Feuersgefahr, sehr zweckmäßig erscheint.
Das Klima in der Niederung von Schwarzenberg ist sehr mild, weil es gegen Osten und Norden durch ein hohes Gebirgsjoch gegen rauhe Winde geschützt ist; man erntet in den Thalungen mit den Chemnitzern ziemlich gleichzeitig, obschon das Schwarzwasser mit Freiberg in einem Niveau liegt. Die Bäche und Flüsse sind mit üppigen Laubhölzern eingefaßt, die Gärten mit Obstbäumen angefüllt, und in günstigen Jahren werden sogar in einigen Gärten hübsche Weintrauben gezogen.
Das Kreis-, Forst-, Rent- und Floßamt hat in das Städtchen von jeher Lebendigkeit und Nahrung gebracht und dasselbe dadurch zu einer gewissen Art von Wohlhabenheit erhoben, wie man sich diese nämlich im Obergebirge zu denken hat; die Einwohnerschaft mußte natürlich auch, unter so günstigen Verhältnissen, an Vielseitigkeit und Gesittung gewinnen, wodurch sich der Fremde um so mehr angezogen fühlt, als ihm freundliche Natürlichkeit mit geselligem Wohlwollen entgegenkommt. Allein das übermäßige Zusammendrängen von Handwerkern allerlei Art, als: 32 Schneidern, 21 Schuhmachern, 12 Fleischern, 12 Bäckern, 8 Tischlern u. s. w., denen 4 Jahrmärkte noch obendrein viel Abbruch thun, scheidet eine Verarmung aus, die nebst einigen anderen zufälligen Calamitäten der Ortsarmencasse jährlich weit über 200 Thlr. kostet.
Unter den Obergebirgern gewinnt die gekerbelte, geglättete und vatermörderliche Vornehmthuerei nur langsam Boden, worauf sie wuchern kann, und wer sie einheimisch zu machen wähnt, stößt immer von sich ab und fällt zuletzt den Sonderlingen anheim. Deshalb halten sich Jahr für Jahr eine Menge Fremde[10] aus allen Ständen, wenn sie zu besserer Jahreszeit das Obergebirge in Geschäften oder zum Vergnügen bereisen, länger in Schwarzenberg[2] auf, als vielleicht in ihrem Reiseplan lag; machen wohl auch sogenannte Abstecher nach allen Richtungen hin und kehren am Abend zurück. Wenn daher ein Freund der Natur und der eigenthümlichen Gewerblichkeit des Obergebirges das Bonitz'sche Walzendrahtwerk[3], die beiden Zainhammer, den fiscalischen Holzanger, welchen die Floßbeamten in einen hübschen Park umgewandelt, in dem Städtchen und in der Nachbarschaft desselben beaugenscheinigt haben, so wird derselbe zunächst
der nur eine Stunde weit gegen Morgen entfernt liegt, besuchen, welcher für die vaterländische Geschichte classisch und in der neuern Zeit durch Errichtung eines Denkmals und eines bewohnbaren Köhlerhauses interessant geworden ist. Der so oft beschriebene, besungene und selbst für die Bühne bearbeitete sächsische Prinzenraub ist so allgemein bekannt, daß keine Lücke für den Zweck dieser Schrift entstehen kann, wenn sie über das Geschichtliche desselben schweigt.
Der Fürstenberg, vor dem Prinzenraube der Schmiedewald genannt, gehört gegenwärtig nur mit einem eben nicht breiten Streife dem Staate, und wird obenhin von den sogenannten Zwanzigern und nach unten von den Begüterten zu Raschau besessen, so daß nur das Denkmal und das Köhlerhäuschen auf fiscalischem Eigenthume stehen. Der Bergabhang ist ziemlich[11] kahl, da die Zwanziger ebenfalls in dem verkehren Wahne stehen, die Hölzer lieber abzutreiben oder auf dem Stocke zu verkaufen, als sie mit Nachhalt zu benutzen und den Nachkommen ein nützliches Andenken zu hinterlassen. Dagegen ist der fiscalische Boden im Laufe des vorigen Jahres in Cultur genommen und von dem fleißigen Förster Müller in Grünhayn mit einer Pflanzung versehen worden, daß man zu seiner Zeit eine dicke Waldung erwarten kann, welche das Denkmal unsers Regentenhauses mit ihrem Rautengrün beschattet und in ein gemüthliches Dunkel hüllt. Dabei ist aber vorauszusetzen, daß das Köhlerhäuschen nicht zu einer gemeinen Kneipe herabsinkt, von wo aus Beschädigungen und Frevel zu fürchten und nicht immer abzuwenden sind.
Dieser mittägige Abhang des Fürstenbergs, welcher auch wegen seines schneeweißen Marmors, der dem von Carrara in Italien ganz ähnlich ist, so wie wegen anderer interessanten Fossilien der dortigen Einlagerungen in Glimmerschiefer die Aufmerksamkeit der Mineralogen anregt, gewährt eine eigenthümliche Ansicht, die den Beobachter um so mehr anspricht, als sie überraschend auftritt. Es ist der sogenannte Graul, eine topographische Benennung eines zum Bergamt Schneeberg gehörigen Bergreviers, auf welchem sich eine kleine Bergwerkswelt mit ihren braunen und weißen Halden, Hütten und Kauen ausbreitet hat und durch das Anschlagen der Glocken des Kunstgestänges in abgemessenen Pausen, so wie durch den aufsteigenden Dampf der Röst- und Arseniköfen, die Aufmerksamkeit gar sehr in Anspruch nimmt. Silber und Kobald, Vitriol-, Schwefel- und Arsenikkiese gewinnt und fördert der Bergmann zu Tage, wo sie verarbeitet und verwerthet werden zu mancherlei Zweck. Silber und Arsenik, diese nahen – aber friedlichen – Nachbarn unter der Erde, feinden sich gar oft gegen einander an, wenn sie in der Hand der Menschen dem Eigennutz anheim fallen. Die Grube »Gottesgeschick« allein hat seit ihrer Veredlung – und das ist wohl kaum 70 Jahre – nahe[12] an 300,000 Thlr. Silber geschüttet und baut gegenwärtig noch in sehr höflichem Feld.
Unweit dieses Bergwerksetablissements steht noch ein obdachloses, zerklüftetes Mauerwerk in einer Wiese, welches unter dem Namen »Dossels-« oder »Dusselskirche« bekannt ist. Das vielleicht 12 Ellen hohe schiffartige Mauerwerk läßt es nicht zweifelhaft, daß es eine Kirche werden sollte. Es ist auch die Sage in der Nachbarschaft, daß ein reicher Hammermeister, Klinger, um wegen eines Mordes an dem Bergmeister Gotterer in Elterlein Ablaß zu erlangen, den Bau angefangen, aber, bald in Abfall der Nahrung gekommen, denselben nur langsam habe betreiben können; zuletzt aber sei der Bau wegen der lutherischen Reformation und weil die klösterlichen Beihilfen weggefallen, ganz zum Erliegen gekommen. Der Oswaldsbach[4], welcher in dem Torfboden der Mooshaide zwischen Grünhayn und Zwönitz seinen Anfang nimmt, sich mit dem Gewässer des erstgenannten Städtchens verstärkt, von da seinen Weg nach Südost durch einen üppigen Wiesengrund verfolgt und sich in eine waldige tiefe Felsenpartie, wo er seinen Lauf nach Süden einschlägt, sodann das halb in die Schlucht eingeklemmte Dörfchen Waschleute (unrichtig: Waschleithe) durcheilt, bewässert mit seinem Forellenwasser das Thal und erreicht die Dusselskirche, von wo aus er den Fuß des Fürstenberges berührt, eine Partie Wasser für die Künste bei Gottesgeschick abgiebt, den Ueberschuß aber der Pöhla bei Wildenau zuführt. In der Mundart des Volks heißt dieser Bach der Osselsbach, auch Dusselsbach, daher auch die Kirche am Dusselsbach – Dussels- oder Duselskirche heißt.
In dem genannten Dörfchen Waschleute hatten sich zu der[13] frommen Klosterzeit in Grünhayn Leute angesiedelt, die das Waschen und Scheuern im Kloster versahen; man hatte sich nicht die Mühe genommen, ihrem Ansiedelungsplatze einen Namen zu geben, denn waren sie nöthig, so wußte Jedermann, wo die Waschleute zu suchen waren. Das Gerichtssiegel des jetzt ansehnlichen und hübschen Dörfchens führt ein Waschfaß, an welchem zwei weibliche Personen mit Wäsche beschäftigt sind.
Man geht denselben Weg, der für eine Excursion gewählt worden war, nicht gern wieder zur Heimkehr. Und so möge denn auch hier vom Fürstenberg aus die Tour von Gottesgeschick durch den Raschauer Gemeindewald über den Wildenauer Berg genommen, und sich von dessen Höhe an der herrlichen Landschaft, die von Osten aus wiederum Schwarzenberg in der Mitte hat, ergötzt werden. Die Sonne sinkt hinter den Burckhardtswald und hält sich das goldkantige Schweißtuch, aus Wolken gewoben, vor ihr blutrothes Gesicht; die Morgenleithe, ein hochansteigendes Glimmerschiefergebirge in Südwest, eingehüllt in ein mächtiges Nachtgewand von Fichtengrün, läßt allmählig ihre Sänger schweigen und überschaut still die rauchenden Schornsteine in den Thälern. Der Wanderer gelangt nach Wildenau, wo der Dichter Ziehnert den Stoff zu seiner Nixenmythe auffand, und dann wieder in das freundliche Rathhaus nach Schwarzenberg, wo ihm das Feuer auf dem Heerde nicht vergeblich knistert.
Allerdings ist es der Mühe werth, das Städtchen und seine Umgebung zu besuchen, welches, nur zwei Stunden gegen Westen von Schwarzenberg entfernt, an der Schneeberger Chaussee liegt. Das erste zum Rittergut Sachsenfeld gehörige Dörflein Neuewelt, mit seinen ordnungslos hingewürfelten, meist ärmlichen Häusern, bietet nichts Beachtenswerthes dar. Es ist eine neue Welt, nach welcher sich kein Auswanderer sehnt. Gegen[14] Westen liegt der hohe, kahle und baumlose Gebirgsberg, über dessen Rücken die neuere Zeit, mit einer gewissen Art von Verwegenheit, einige Feldfleckchen zum Kartoffelbau zusammengemartert hat, dessen Grün über den erdbraunen langgestreckten Körper einen sonderbaren Anblick gewährt. Es ist das trojanische Pferd mit einer phantastischen Chabraque.
Nicht ganz uninteressant ist das große und volkreiche Dorf Lauter, durch dessen Mitte die Straße quer durchführt und dasselbe in Ober- und Unterdorf abtheilt. Ueber den Namen Lauter spricht sich der Pfarrer Körner in seinen Nachrichten von Bockau dahin aus: »Luderij ist ein Wendisch adjectivum von dem substantivo Luder. Dieses Luder ist ein nomen proprium vieler Könige gewesen, so ihren Namen vielen Städten und Bergen durch die geführten Kriege hinterließen. Wie wäre es nun, wenn ich sagte, der Berg Luderij sei so viel als der Lutterberg oder Lauterberg vom König der Franken Clotario oder Luttern? etc.« Haben nun die zanklustigen Einwohner des Dorfes Kenntniß von dieser Etymologie, so wird die Redensart: Luder, Wolfsgrubenluder u. s. w., welche nicht selten in ihrem Wirthshausverkehre vorzukommen pflegt, nicht mehr als Beleidigung gelten dürfen.
Der Ort ist sehr betriebsam; insonderheit werden viel Schlitten-, Trag- und andere Körbe aus Spänen, Wurzeln und Weidenruthen geflochten und nebst vielen Blech- und Topfwaaren (welche letztere aber daselbst nicht verfertigt werden), im Lande verhausirt und auf Jahrmärkten in's Geld gesetzt. Am untern Ende des Dorfes ist seit einigen Jahren eine ziemlich großartige Maschinenspinnerei errichtet, die vom Schwarzwasser getrieben wird. Das Siechthum, welches jetzt auf den sächsischen Spinnereien haftet, hat natürlich auch diejenigen mit ergriffen, die später erbaut und weit in die Thäler des Obergebirges hineingeschoben worden sind. Alle Gewerbsarten haben ihre Grenzen, über welche hinaus sie ihr Gedeihen nicht mehr[15] finden; es ist die Ebbe und Fluth aller menschlichen Unternehmungen, die bald von Segnungen, bald von Abmagerungen begleitet werden.
Am Wege von Lauter nach Aue begegnet man der Porzellanerden-Zeche Andreas Neufang, in der Gegend unter dem Namen »das weiße Zeug« bekannt; sie ist dicht an der Straße links in junge Waldung versteckt. Bekanntlich war der Apotheker Böttger, welcher am 4. Februar 1682 zu Schleiz im Voigtlande geboren wurde, der Erste, der im Jahre 1709 die Entdeckung machte, aus dieser weißen Erde Porzellan herzustellen, was in ganz Europa Aufsehen und Abnahme zur Folge hatte. Seit dem Anschluß Sachsens an Preußens Zollsystem hat sich diese Fabrik mit namhaftem Ueberschuß bewiesen.
Wie ein Häuflein alter lebensmüder Hospitaliten in herkömmlicher Einfachheit der Sitten und Gewohnheit sich an der Wärme der bald scheidenden Sonne erquickt –: so ruht das Städtlein Aue mit seinen 136 meist uralten hölzernen Häusern in einem milden, wunderlieblichen Kessel, der die Aue heißt und dem Oertchen den Namen gab. Hier begrüßen sich das Schwarzwasser und die Mulde, deren Ufer allerwärts mit Laubholz umbuscht sind und rechts und links üppige Wiesen und fruchtreiche Aecker zu Nachbarn haben. Aue war im sechzehnten Jahrhundert ein Dorf; erhielt aber später städtische Gerechtsame, wozu ihr Zinnbergbau am Heidelberg und die Porzellanerde beigetragen haben mag. Später, als sich der erstere erschöpft hatte, gab sich die Einwohnerschaft dem Feldbau und der Viehzucht mit größerer Sorgfalt hin, wozu sich ein in Umschwung kommender Nahrungszweig – das Steinmetzgergewerbe – gesellte, welches im dortigen Muldenthale sich immer mehr und bis zum heutigen Tage erweiterte.
Die geschmacklosen Formen der in den zwei oder drei Gäßchen ungeregelt hingesetzten Häuser erinnern an das Mittelalter;[16] sie umkauern das Rathhaus mit seinem verkreuzten Giebelholzwerk und Thürmlein, woran das Zifferblatt todtenbleich nach dem Gottesacker schaut. Die neuere Zeit hat vor den hölzernen Sitz des Stadtgerichts einen Tanzsaal geschoben, der mit seinem Orchester die Thüre zur Rechtspflege versteckt, die sich freilich auch nur mit einem Läppchen von Gerechtsamen (Nachlaßregulirungen) abgeben durfte, jetzt aber dem Kreisamte Schwarzenberg dingpflichtig ist. Das kleine Bürgerthum erspart dafür einen Stadtrath zu besolden.
Die neuere Zeit hat die Industrie auch in dieses freundliche Muldenthal geführt und sie für Fabriken und Bleichen die bequemere Wasserkraft aufsuchen lassen. Die Holberg'sche Bleich- und Appreturanstalt ist großartig und streckt einen acht Etagen hohen Trocknenthurm weit über das beschindelte Städtchen empor, um dieses seine Ueberlegenheit fühlen zu lassen; um und neben diesem Riesen breiten sich Gärten aus mit sorgsam gepflegten Blumen des In- und Auslandes; Früchte aller Art für die Küche und unmittelbar für den Gaumen, werden in Menge gezogen und regen Lüsternheit selbst für die einfache Gewohnheit des Hauswesens im Orte an. Diese Bleichanstalt, so wie die Laukner'sche Spinnerei, verbunden mit der Geitner'schen Argentanfabrik und der Actienweberei mit 400 Stühlen zu Auerhammer, haben das Städtchen lebendiger gemacht, die Nahrung gesteigert und selbst angefangen, den Geschmack im Aeußerlichen zu heben. Einige hübsche Häuser sind entstanden und anderen hat man eine Saloppe durch Abputz umgeworfen, welche sich, des Dinges ungewohnt, die alte Herkömmlichkeit doch nicht völlig abstreifen lassen. Ob die Einwohner zu Aue und ihre Nachkommen in einem völlig neu und im Sinne der Gegenwart erbauten Städtchen ihre tadellose Gesittung, Fleiß und Genügsamkeit eben so fortpflanzen und von Geschlecht zu Geschlecht vererben werden, als ihre alten Häuschen Zeugniß geben, kann nur von einer fernern Zukunft referirt werden.
Eine Seltenheit muß der Fremde nicht vergessen in Augenschein zu nehmen. Es ist die sogenannte Tausendgüldenstube im Fischer'schen Gasthofe eine Treppe hoch. Die Wände, Decke und Fensterbrüstungen nämlich sind mit einem merkwürdigen Schnitzwerk getäfelt; Blumen, Vasen, Engelköpfe bekleiden alle Flächen des Zimmers und bestehen aus weichem Holz ohne allen farbigen Anstrich. Die Arbeit gehört einer alten Zeit an, die nicht genau zu bestimmen ist, und ein Nürnberger soll sie um 1000 Gülden geliefert haben, was Veranlassung zu dem Namen gab.
Die beiden großen steinernen Brücken über die Mulde und das Schwarzwasser, welche zu beiden Seiten hohe Brustmauern haben, waren früher mit hölzernen Geländern versehen. Dies ist an sich, eben so wie die Bauart der Brücken selbst, nicht der Rede werth; allein diese Brückengeländer führt das Städtchen in seinem Rathssiegel, was so leicht der Heraldiker nicht errathen würde.
Es ist allerdings der Mühe werth, wenn wir uns in dem lieblichen Thale noch ein wenig umsehen und namentlich das mittägige Gehänge betrachten, welches von Lößnitz her zwischen dem Au- und Rumpelsbach liegt und von einem hohen Berge, der Hirnschädel genannt, herab in das Schwarzwasser- und Muldenthal schweift. Das Dörfchen Zelle bildet einen niedlichen Saum dicht an den benannten Flüssen und endet mit dem Pfannenstieler Blaufarbenwerk oben und mit dem Rittergut Klösterlein unten, so daß das langgestreckte Dörfchen wie eine Guirlande zwischen beiden schwebt.
Bei der freundlichen Familie des Herrn Factor Beck in dem Blaufarbenwerke findet jeder anständige Fremde liebevolle Aufnahme und in ihr den Führer zu all' den Naturannehmlichkeiten, die sich so anziehend um das Werk zusammengefunden haben. Insonderheit ladet der kleine Park ein, der sich um den Ellenbogen eines hohen Berges, der nach Pfannenstiel hin sich steil erhebt, herumzieht. Ein Nadel- und Laubgrün macht die[18] Partie schattig und heimlich, und das Schwarzwasser läuft dort wieder zurück, um die Herrlichkeiten noch einmal in seinem Spiegel aufzunehmen.
Der Rumpelsbach kommt aus einem engen waldigen Thal, dem Bärengrund, hervor und tändelt mit allerhand Blumen durch üppige Wiesen herunter, wo ihn der größere Fluß aufnimmt, dessen Ufer Erlen- und Weidengebüsch thalabwärts begrenzt.
Unterhalb dem Rittergute Klösterlein ruht einsam träumerisch und von allen Wohnlichkeiten entfernt, wenn man etwa den dortigen Eisenhammer nicht veranschlagen will, inmitten einer Wiese, die Klosteraue genannt, die Kirche wie ein verschlafener Hirt, dem die anvertraute Heerde entwichen ist. In der Nachbarschaft dieser Kirche zu unserer lieben Frauen war ehedem ein Kloster, welches Markgraf Otto gestiftet und das St. Georgenkloster zu Naumburg reichlich dotirt hatte. Gegenwärtig ist sie das Filial von Schlema.
Von dem Städtchen Aue nach Mittag hin wandelt man durch ein kurzes, von hohen Bergen umringtes fruchtbares Thal, mit Wiesen und Feldern überdeckt, durch welche in sanften Krümmungen die Mulde ihre Wellen, zur Arbeit für allerhand Räderwerk, rastlos dahintreibt. Am obern Ende dieser Drutenau[19] lag ehedem ein Eisenhüttenwerk – Auerhammer – welches in der neuern Zeit der Dr. Geitner'schen Argentanfabrik (Neusilber) Platz gemacht und dadurch der kleinen Einwohnerschaft, die das Hammerwerk im Stiche und folglich in Elend ließ, wenigstens Arbeitsgelegenheit gegeben hat. Der als erprobter Pomolog und Botaniker bekannte Eigenthümer ließ sich angelegen sein, die Schlackenhaufen, Hüttenstätte, Holz- und Kohlenräume in Obst- und Blumengärten umzuwandeln; die vom Alter zusammengesunkenen Häuser wieder aufzurichten und mit einem gefälligen Anstrich zu versehen, damit sie sich vor den fremden Blumenfreunden, wenn diese sich zu dem Gartenvereine einfinden, nicht zu schämen brauchen. Alles dies gab vielfache und lang anhaltende Arbeit, wodurch sich Mancher sein Brot erwerben konnte. Ein grasreicher Wiesengrund zieht sich gegen Abend hinauf nach dem Brünlasberg; ihn durchwässert theils die Zschorla[6], theils der Floßgraben, welcher 3 Stunden Wegs in mancherlei Krümmungen, an steilen Berggehängen, sein Wasser den Mühlen-, Berg- und Hüttenwerken in Schlema bei Schneeberg zuführt[7].
Noch lebendiger und großartiger ist das hübsche Thal durch die Anlegung der Maschinenweberei von einer Actiengesellschaft geworden, in der zeither 400 Stühle webten, die aber bald in ein beklagenswerthes Siechthum zu verfallen schien, wenn sie nicht käuflich in die Hand des Fabricanten Clauß in Chemnitz gekommen wäre.
Da in diesem sehenswerthen Etablissement keine Geheimnißkrämerei und keine Zunöthigung nach Trinkgeldern herrscht, sondern nur eine höfliche Veranlassung vorliegt, für etwanige Kranke oder Beschädigte eine Kleinigkeit in die Büchse fallen zu[20] lassen, so sollte kein Fremder die Gelegenheit unbenutzt lassen, diese Maschinenweberei mit ihren Vorarbeiten anzusehen, weil jede Beschreibung die deutliche Vorstellung davon ausschließt. Diese 400 Stühle, welche von mehrern hundert jungen Leuten bedient werden, können in einem Jahre 40,000 Stück Shirdings, à 64 Ellen, liefern.
Gleich hinter dem Webemaschinengebäude zu Auerhammer braus't die Mulde aus einem engen waldigen Felsenthal hervor, in welchem zunächst das sogenannte Teufelswehr eingebaut ist, welches die Aufschlagewasser auf nur gedachte Maschine führt. Ufer und Bette des Flusses bestehen aus sehr festem Granit von mittlerem Korne und oft fingerlangem milchweißen Feldspath. Es mag mehr dazu gehört haben, als die Gewalt der Fluthen, diese Massen zu durchbrechen und das Haufwerk davon hinaus auf die Aue zu schieben, wo solches den Auer Steinmetzen zur Beute verfällt. Mühsam klettert man am rechten Ufer hinauf und stößt bald in der Nähe der Habichtsleithe wieder auf Glimmer- und Thonschiefer, welcher viele Hornblende aufnimmt und ihm den Namen »Fruchtschiefer« verleiht. Nach kaum einer Stunde Wegs lärmt ein Bach nach dem rechten Ufer der Mulde durch ein tief eingeschnittenes Seitenthal herab, um sich mit diesem Flusse zu vereinigen. Dieses Seitenthal hat rechts einen hohen klippigen Kamm, der theilweise seine ziemlich horizontalen Glimmerschieferplatten hinausschiebt,[21] daß sie mit Erde bedeckt und Feldfrüchte darauf erbettelt werden können. Die übrige Räumlichkeit des Thales liefert um so reichlicher das üppigste Wiesenfutter, je bequemer dieselbe von diesem Gewässer genährt werden kann.
Bockau liegt nicht sonderlich romantisch; der tiefe Thaleinschnitt hebt sich bald heraus und flacht sich in eine lange Mulde aus, welche eine Menge Güter und Häuser aufnimmt und mit der Kirche und der Zeche St. Johannis den übrigen Raum begrenzt hat. Eine Anzahl Häuser im Orte leiten durch ihre Anlage, Größe und ihren architektonischen Geschmack auf eine Zeit zurück, zu welcher viel Nahrung und Wohlhabenheit stattgefunden, die aber gegenwärtig die Lebensfrische verloren hat und der Verkümmerung noch mehr in die dürren Arme zu fallen droht.
Wer hat nicht von den Medicinallaboranten, Olitätenhändlern, Zeeh'schen Pillen, Schneeberger Schnupftabak u. s. w. gehört und von letzterem wohl auch genies't? Bockau mit 1700 Einwohnern ist der bedeutendste Ort im Obererzgebirge, wo officinelle Kräuter gebaut, in Wäldern von Kindern aufgesucht und für den Verkauf gesammelt werden, dann aber als Heilmittel für mancherlei Krankheiten und Verletzungen zugerichtet, auf Märkten und Messen verkauft und durch sogenannte Olitätenhändler, meist Leute im Berghabit und im Dorfe Sosa wohnhaft, in ferne Länder vertrieben werden. Die vaterländische Geschichte hat vom Beginne dieses Medicinalverkehrs und von seiner Verbreitung keine zuverlässigen Nachrichten aufbewahrt, und man glaubt, daß gleichzeitige Ansiedler aus Böhmen, welche Johanngeorgenstadt entstehen ließen, den Kräuterbau eingeführt und deren Nachkommen denselben erweitert haben. Ueberall auf den Fluren findet man Angelica (Angelica archangelica), Baldrian (Valeriana officinalis), Rhabarber (Rheum undulatum) und dergleichen Kräuter- und Wurzelwerk angepflanzt und gepflegt.
Die Angelica hat einen sehr durchdringenden, stechenden Geruch, legt sich in die Kleider und verräth die Heimath der Bockauer auch dann noch, wenn sie viele Meilen weit gereist sind.
Die Traugott Heinrich Friedrich'sche Handlung ist im Orte die vorzüglichste, und da jeder anständige Fremde in derselben die wohlwollendste und uneigennützigste Aufnahme findet, so wollen auch wir davon Gebrauch machen, um aus dem Munde und den Rechnungsbüchern des Handelsherrn die Eigenthümlichkeit der Nahrungsverhältnisse im Orte zu vernehmen. Wir hören, daß in Bockau jährlich
8 bis 900 Centner Angelica, à Centner 6 bis 15 Thaler, gegenwärtig (1841) 9 bis 11 Thaler,
15 bis 20 Centner Baldrian zu 6 bis 7 Thaler,
10 bis 15 Centner Rhabarber, à Centner 6 bis 8 Thaler,
15 bis 20 Centner wilde Bärwurzel, à Centner 5 bis 6 Thaler, und
2 bis 3 Centner Leibstöckel (Ligusticum levisticum), à 7 bis 8 Thaler,
erbaut und bei Weitem der größere Theil von Herrn Friedrich erkauft und versendet wird. Demnächst bedarf dieser für sein Geschäft 14 bis 16,000 Dutzend kleiner Schachteln zu dem sogenannten Schneeberger Kräuterschnupftabak und bezahlt für das Dutzend 1 bis 4 Groschen Macherlohn. Die Herren Zeeh und Brückner daselbst bedürfen für denselben Zweck ebenfalls 6 bis 8000 Dutzend jährlich; nicht minder sind für Bockau außerdem 50,000 Schachteln zu Räucher-, Zahn- und Seifenpulver, ferner zu Pflaster, Pillen, Räucherkerzen und dergleichen mehr erforderlich, welche à 1000 Stück mit 18 Groschen bis 2 Thaler, auch theilweise mit 8 bis 10 Thaler bezahlt und sämmtlich da verfertigt werden. Viele arme Kinder tragen Jahr für Jahr eine Menge Kräuter aus den Wäldern, von Wiesen und Feldrändern zusammen, als: Johanniskraut (Hypericum perforatum), Johannisblumen (Arnica montana), Waldmeister (Asperula odorata),[23] Huflattig (Tussilago farfara), Bärenlapp (Lycopodium clavatum) und noch mehrere zusammen, und ein jedes derselben verdient täglich 2 bis 3 Groschen. Bei Weitem der größere Theil der genannten officinellen Gegenstände werden auf Messen und sonstigen Vertriebscanälen über Nürnberg nach Frankreich, Italien, Oesterreich, Preußen, Rußland und selbst nach Nordamerika versendet und dafür nicht unbeträchtliche Summen in das Land gezogen.
Außerdem werden noch eine Menge Balsame, Liquor, Spiritus, Tinctur, Oel, Pulver und gebrannte Wässer gefertigt, die theils von den Laboranten selbst auf Messen und Märkten im Ganzen verkauft oder von den sogenannten Olitätenhändlern nach Schlesien, Polen, Westpreußen und bis an die nördlichen Seeküsten vertragen werden. Gegen 800 bis 1000 Thaler Hohlglas wird noch gegenwärtig für die Bockauer Medicinalbereitung von der sächsischen Glashütte bei Karlsfeld bezogen, und noch vor etwa 20 Jahren nährten sich gegen 1700 Familien im Obererzgebirge davon. Die Wohlfahrtspolizei der neuern Zeit hat diesen Erwerbszweig bereits über zwei Drittel vernichtet, weil man gefunden zu haben glaubt, daß die menschliche Gesundheit und das Leben dadurch bedroht und in Gefahr gesetzt werde; und was noch concessionell davon besteht, läßt man absterben, indem die Berechtigungen in der Regel nur der Person ertheilt worden sind.
Man hat es nicht thatsächlich vorliegen, wie weit in Sachsen und den Nachbarländern die Sterblichkeit herabgesunken sein mag, seit die Medicinalbereitung und das Hausiren damit beschränkt und hart verpönt worden ist. Dagegen ist nach öffentlichen Blättern amtlich nachgewiesen, daß in England in einem Jahre 31,000 weibliche Personen an der Schwindsucht, als Folge der zu engen Schnürleiber, verstorben sind. Den Schneidern ist auch bei uns die Verfertigung von solchen Zwangsfutteralen für Siechthum und Tod erlaubt und das Brauen und[24] Verzapfen von baierschem Biere zur Mast der Leber, mithin für Abkürzung des Lebens, gestattet, ohne daß die medicinische Wohlfahrtspolizei ein Bedenken dagegen aufzustellen geneigt ist. Nicht lange wird es dauern, so werden wir auch das Opiumgift bei uns haben, wie in England, und es dürfte eben so wenig mit Erfolg dagegen eingeschritten werden können, als gegen die Schusterzünfte, welche ihr widernatürliches Stiefel- und Schuhwerk für die fortschreitende Veredlung der Hühneraugen zu vervollkommnen suchen. Je mehr sich der Mensch durch Modesucht von seiner Natürlichkeit entfernt und je mehr sich derselbe in der Mannichfaltigkeit der künstlichsten Genüsse, wofür alle Zonen der Erde zinsbar gemacht werden, verliert und darin beharrt, desto ohnmächtiger werden alle Warnungen und alle polizeiliche Maßregeln dagegen bleiben; und wenn ja letztere hier und da durchdringen, wie bei dem Medicinalhandel, so werden sie neue Mißverhältnisse in den Gewerbsweisen und Wohlfahrtszuständen hervorrufen, welche es unentschieden lassen, ob diese nicht schlimmer sind, als jene zu sein schienen. Ist das Volk reif und mündig, so wird es selbst das Unnatürliche und Schädliche von sich entfernen und durch Schule und Beispiel eine geläuterte Zukunft bereiten, in welcher sich manche Hemmnisse und Zwangsmaßregeln entbehrlich machen. Ob diese Zukunft nahe liegt? – dies mag sich der geneigte Leser selbst beantworten, besonders wenn er ein Erzgebirger ist.
Dieser von allen Seiten in einen dunkelgrünen Mantel von Fichtenwald gehüllte Berg hebt sich über 2500 Fuß über das Meer und trägt auf seinem langen, aus Westen nach Osten gestreckten Rücken einen Höcker wie ein Kameel. Von diesem aus irrt das Auge nach Nord und West über eine Menge niedriger Berge und Hügel weit in das flache Land hinab, wo es, wenn es bewaffnet ist, die Sternwarte zu Leipzig und das[25] unbehülfliche Dach der Thomaskirche erkennt; der weiterhin gezogene Horizont verhüllt sich in Nebelschleier und stellt dem forschenden Blicke das Ziel. Die ferne weite Ebene ist mit einer Menge dunkler horizontaler Striche, bald kürzer bald länger, gezeichnet: es sind größere und kleinere Städtchen, Dörfer und Laubgehölze; sie schwimmen wie Meergras auf glatter Fläche und verkästeln die Farben mit den lichten Getreidefluren damenbretartig.
Am südwestlichen Abhange der Morgenleithe, deren Masse aus Glimmerschiefer besteht, ist ein Talkschieferlager, in welchem der berühmte Ochsenkopfer Schmirgel vorkommt und in den früheren Zeiten auf einer Grube, die den Namen »Erzbaum Christi« führte, ausgebeutet wurde. Die Versuche darauf in der neuern Zeit sind zwar mit Anbrüchen belohnt, aber wegen fehlgeschlagenen Absatzes um die früheren höheren Preise unbelohnt geblieben. Die bergmännische Untersuchung der Gebirgsmasse von der ganzen Morgenleithe und vieler anderer Berge in unserm Hochlande bleibt einer Zukunft vorbehalten, in welcher man mit geläuterten Ansichten über den vaterländischen Bergbau urtheilen und erkannt haben wird, daß die Wohlfahrt einer mit Erzen gesegneten Provinz nicht allein über, sondern hauptsächlich in der Erde gesucht und für Jahrhunderte begründet werden kann.
Da Schwarzenberg von der Morgenleithe aus schon in einer Wegstunde wieder zu erreichen ist, so gehen wir nun gegen Süden durch das Rosenthal nach dem kaum eine halbe Stunde entfernten Erlahammer, wie dieses Eisenhüttenwerk gewöhnlich genannt wird. Wenn schon die Rosen an der Benennung des Thales eben so wenig Theil haben mögen, als an dem zwischen Leipzig und Gohlis, so ist es doch wunderlieblich zur Rosenzeit und überhaupt vom Frühling bis zum Herbst.[26] Der bewaldete Rockelmann mit seiner Granitmasse rechts und die fichtengrüne Bärenstallung links, mit ihrem dickflasrigen Gneuse (Augengneus), schließen eine Ebene ein, in welcher das Schwarzwasser Zainhämmer und Walzwerke treibt und üppige Wiesen wässert. An dem steilen Berge zieht hier und da, mit bedächtig langsamem Schritt, ein Stier am Haken; ihn leitet gewöhnlich ein stämmiger Knabe, während der Vater mit kräftiger Hand das Hakengestelle gegen den Berg zu drängen sucht, damit die ganze Gesellschaft sich nicht überschlägt und in's Thal herabkugelt. Es kann nicht anders sein, das nutzbare Land arbeitet sich nach und nach herunter und muß von Zeit zu Zeit eben so wie der Dünger hinauf und die Früchte herabgetragen werden. Wer Fleiß und Arbeit nicht scheut, wird dafür dennoch mit herrlichen Früchten belohnt.
Es mag einmal ein eben erwachender Frühlingsmorgen sein, indem wir das Schwarzwasserthal nach Erla und weiterhin durchwandern. Wir hören die Zippe – die erzgebirgische Nachtigall – auf den höchsten Gipfeln der Fichten flöten; hoch über der Thalebene die Lerche trillern und das allmählig verschwimmende Adagio des Rothkehlchens im Erlengebüsch, während die Eisenhämmer, taub für melodische Töne, auf glühendem Eisen tosen und das widerliche Heulen des Gebläses Ströme von glühendem Kohlengestiebe in die Lüfte treibt. Mit Ackergeräthe zieht der Landmann zu Felde, Berg- und Hüttenleute wechseln die Schichten, und der Holzmacher schreitet in den Wald mit Aexten und magerer Kost im Kober – Alle nebeln ihr Pfeiflein, von welchem der Schwamm am besten riecht.
Plötzlich schließt sich das anmuthige Rosenthal; wir stehen gegen Süden vor dem hohen langen Rothenberg, über welchem sich Crandorf wie ein riesenhafter Reif nach dem jenseitigen Gehänge spannt. Links lehnt er sich an den höchsten Kamm der Bärenstallung, das hohe Rad (nicht hohe Rath) genannt, wo der Erlan bergmännisch gewonnen und als Zuschlag (Flöße)[27] beim Einschmelzen benutzt wird; rechts zieht sich das Gebirge nach dem Thale hin, in welchem das Schwarzwasser seine rauschenden Wellen treibt. Die Breite des Rosenthales verengert sich in eine tiefe Wanne, mit Laubholz ausgefüllt, welches das Eisenhüttenwerk wohlthuend in seine Schatten hüllt.
Dieses Werk hat in der neuern Zeit, und namentlich durch seine gegenwärtigen Besitzer Nestler und Breitfeld wesentliche und für Holz- und Kohlenersparnisse berechnete Verbesserungen erhalten, die sehr kostspielig gewesen sind. Die Anlegung von Blech- und Stabwalzenwerken, die Neubaue beim Frischfeuer, das Schmelzen mit heißer Luft und die Bedachungen von Hütten- und anderen Gebäuden mit Eisenblech haben sich bewährt gefunden und werden ihre Zinsen tragen, wenn nicht abermalige Holzreductionen und Aufschlag auf den Grund gedachter Ersparnisse erfolgen. Die erst vor einigen Jahren mit vielem Aufwand errichtete Maschinenbauwerkstatt, welcher ein Engländer, Namens Payne, vorstand, hat gleich im Anfange vorzügliche Arbeiten geliefert wie z. B. die Webestühle zu Aue, 400 an der Zahl, unwidersprechlich lehren. Indessen hängt die Lebendigkeit einer solchen Maschinenwerkstatt zu sehr mit dem allgemeinen Fabrikverkehre des In- und Auslandes zusammen, daß sich auf eine lange Reihe von Jahren eine gedeihliche Stabilität nicht immer erwarten läßt.
Die Zeit der Entstehung des Hammerwerks Erla läßt sich geschichtlich nicht bestimmt nachweisen, doch liegt sie gewiß nicht fern von der Fündigkeit des dabei gelegenen Rothenberger Eisensteinbergwerks, gegenwärtig des wichtigsten in Sachsen. Und da dieses seit länger als drei Jahrhunderten im Umtriebe steht, so wird sich das Alter des Eisenhüttenwerks selbst annähernd bestimmen lassen. Die Ergiebigkeit des Rothenberges, die Güte des Eisensteines und die Ausdehnung seines mächtigen Ganges, verbunden mit einem Reichthum an Holz, welcher dieses fast werthlos machte, mußte sehr bald zur Anlegung eines[28] Hammerwerks auffordern, und es scheint, daß ein gewisser Gregor Arnold der Begründer desselben wurde. Noch gegenwärtig liefern die drei Fundgruben des Rothenberges – die obere und untere Heinzenbinge und St. Johannes – welche mit ungefähr 140 Mann belegt sind, jährlich 3000 Fuder Eisenstein, das Fuder zu 5 Tonnen und die Tonne zu 5 □Fuß gerechnet, welche jedoch vom Erlahammer nicht allein, sondern auch von den andern Besitzern ähnlicher Werke, in der Eigenschaft als Theilhaber an den Gruben, selbst verschmolzen werden. Das zehnte Fuder erhält allezeit, nach Abzug der Gewinnungskosten, der Staatsfiscus zum Bergzehnten. Die Wasserhaltung sämmtlicher Zechen, welche in der Teufe mit einander durchschlägig sind und sich die Wasser zuführen, geschieht durch Künste, deren riesenhafte Räder über Tage hängen. Mittelst eines Kehrrades und eines eisernen Seiles, circa 110 Centner schwer, wird der Eisenstein zu Tage gefördert. Die größte Tiefe der Gruben beträgt 95 Lachter, à 3½ Elle.
Das Eisenhüttenwerk Erlahammer, so wie jedes andere, gewährt in seinem Umtriebe sehr viel Anziehendes. Das Rohschmelzen im Hohofen, das Toben der Hämmer, das Heulen und Pfeifen der Gebläse und dabei das pausenartige Aufschlagen der Gichtflamme, welche zur Nachtzeit dem Wetterleuchten ähnlich ist, nimmt die Aufmerksamkeit eines jeden Fremden in so hohem Grade in Anspruch, daß er sich bisweilen vergißt und von den Arbeitern gewarnt werden muß, wenn er der Gefahr nahe steht. Die Hitze beim Rohschmelzen, besonders beim Abwerfen der Heerdschlacken, Abstechen und Gießen großer Körper, kann nicht Jeder vertragen; doch ist die Meinung irrig, wenn angenommen wird, daß die Hammerarbeiter deshalb das bloße Hemde und keine Beinkleider auf dem Leibe trügen. Diese leichte Bedeckung hat sich auf den Hammerwerken von den ältesten Zeiten her deshalb als zweckmäßig bewährt, weil der glühende Sinter, der während der Arbeit im Hüttenraume herumspringt und mithin[29] dem Arbeiter sehr oft auf den Leib geräth, leicht auf die Erde fällt, wenn er das Schurzfell lüftet. Das Eisen, welches sich in einer zwölfstündigen Schicht im Hohofen angesammelt hat und dann in einen trogartigen Sandgraben beim Abstechen hineingelassen wird, erstarrt sehr bald und heißt dann eine Ganz (nicht Gans) und in der Mehrheit Gänze, weil es ganze rohe Eisenmasse ist. Diese Gänze, so wie überhaupt das Roheisen, wird in Hütten weiter verschmolzen oder verfrischt und kommt dann in allerhand Formen, Länge, Stärke etc. in den Handel.
Ein kräftiger, schwarzer Menschenschlag mit Zähnen wie Elfenbein hauset in den Hohöfen und Eisenhütten; das Innere ihrer Hände besteht aus einer hufartigen Rinde, an welche sich die krummen, wenig gelenkbaren Finger anschließen. Diese einfachen, gutmüthigen Leute werden häufig schwerhörig und blödsichtig – eine Folge der gellenden Hammerschläge und der stechenden Hitze. – Der Lebenslauf eines Hammerschmiedes ist sehr einfach; als Knabe von 10–12 Jahren kommt er mit in die Hütte, lernt die Arbeiten des Vaters, aber – nichts in der Schule, weil er nicht hineingeht, verheirathet sich eher oder später, führt die Kinder auf seine eigene Bahn und kommt im Alter weg, – wohin? Dies weiß selten Jemand. Daher sagt P. Wild in seinen Gedichten von den Knaben der Hammerschmiede:
Eben so sagt man im Obergebirge, wenn von einer Person die Rede ist, deren Aufenthalt unbekannt ist, und die für todt gehalten wird:
»Er ist weggekommen wie ein alter Hammerschmied.«
Die Hammerschmiede haben selten ein Eigenthum bei einem Eisenhüttenwerke; sie wohnen in herumzerstreuten Häusern, die dem Hammerherrn gehören, in mehreren Familien zusammen, und weil die Hütten Tag und Nacht im Umtriebe stehen, die[30] Schicht aber 12 Stunden dauert, so folgt daraus, daß der Hammerschmied so lange arbeitet und eben so lange schläft. Von dem übrigen Weltverkehre weiß er nichts, und seine Urtheile darüber sind häufig von solcher eigenthümlich drolligen und lustigen Art, daß sie in einem Anekdotenbuche aufgenommen zu werden verdienten, wenn der Dialekt und das Geberdenspiel mit abgedruckt werden könnte.
Das Alter und die Unfähigkeit zur Arbeit läßt den Hammerschmied zuletzt von einem Hammerwerke zum andern, wo er etwa Kinder oder Bekannte hat, aus langer Weile schlendern, und er stirbt zuletzt da oder dort, ohne daß man sich immer die Mühe giebt, die Verwandtschaft davon in Kenntniß zu setzen. So war es von jeher und bis zur neuern Zeit herauf, die auch eine bessere Cultur in das Hüttenwerk zu bringen gedenkt, welche wohl Eingang finden kann, da sich die mehrsten Hammerherren mit großen Opfern die Aufgabe gemacht haben, ihre Werke für Holzersparnisse zu reformiren, Stabeisen und Bleche zu walzen, mit erhitzter Luft zu schmelzen und den Feuern eine sachgemäßere Construction zu geben, wodurch der Hammerschmied zum Selbsturtheilen genöthigt wird, dadurch an Vielseitigkeit gewinnt oder – ausscheiden muß. Gegenwärtig trifft man schon sehr unterrichtete Leute, wenn von ihrem Fache gesprochen wird, welche die Vorzeit nicht aufzuweisen hatte.
(nicht Bergmanns-, Beermanns- oder Permißgrün).
Gleich hinter Erlahammer klettern 121 Häuser und Güter in zwei langen Aesten, wovon der eine »der Sack« genannt wird, den Berg hinauf, die über 1176 Menschen bewohnen. Dieses Dorf hat in seinem Bereiche, wenn nicht etwa gerade die kleinen hier in Menge wachsenden Kirschen in ihrer Reife stehen, nichts Anziehendes; gleichwohl läßt sich von seiner Entstehung,[31] seinen Familienzuständen, Gewohnheiten, Trachten und von seiner Sprache so viel Interessantes sagen, daß wir doch einige Schritte näher treten wollen.
Vermuthlich fällt die Zeit der Entstehung dieses Dorfes gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, weil 50 Jahre später nur »21 seßhafte Man, darunter 9 kleine Heußler« verzeichnet worden sind. Das jugendliche Hammerwerk Erla an seinem Fuße zog damals, wie es höchst wahrscheinlich ist, die ersten Blechschmiede aus dem Orte Bermsgrün am baierschen Fichtelgebirge herein, welche sich allmählig hier seßhaft machten. Geburts- und Heimathsscheine waren dort wie hier nicht üblich, und man fühlte das Bedürfniß eines Tauf- und Geschlechtsnamens nicht, weil es genügte, daß sie Blechschmiede waren. Die Kinder und Nachkommen behielten diese Benennung mit Hinzufügung eines sogenannten Spitznamens zur Unterscheidung bei und behalfen sich damit bis auf den heutigen Tag, wo nicht weniger als 72 Familienväter gezählt werden, die sämmtlich Blechschmidt heißen. Sehr nahe mußte es diesen Blechschmieden liegen, ihren Anbau ebenfalls Bermsgrün zu nennen, zur Erinnerung an die frühere Heimath.
Die ganze Bevölkerung besteht in Bauern, welche den Hammerwerken Eisenstein, Flöße, Kohlen und andere Bedürfnisse zuführen und nebenbei ihre Felder bestellen; in Holzmachern, Köhlern und Bergleuten, überhaupt aber in einem stämmigen, breitschulterigen und dickwadigen Menschenschlage. Kein Kauf- oder Handelsmann, kein Landreisender und außer einigen Schmieden und einem Töpfer kaum ein anderer Handwerker findet sich im ganzen Dorfe. Dadurch läßt sich's erklären, daß die Einwohnerschaft, aus Mangel allen Verkehrs nach Außen hin, auf einer flachen Stufe geselliger Conversation stehen geblieben ist und an der Herkömmlichkeit ihrer Altvordern festzuhalten strebt. Selbst die modischen Namen, welche den Kindern in der Taufe gegeben werden, sind hier noch fremd.[32] Gottlieb, Traugott, David, Friedrich, ingleichen Sophie, Gottliebe, Dorothee u. s. f. hört man in jedem Hause; dagegen zieht in den Fabrikdörfern Alexis am Schubkarren, Oskar hütet die Gänse und Heloise sammelt Holz im Walde. Der Dialekt ist dem am baierschen Fichtelgebirge verwandt; ein flexible singende Betonung der Worte hört sich, besonders bei Kindern und Frauenzimmern, nicht übel an und wird im ganzen Obergebirge nicht weiter getroffen. Brutolmet – Brotschrank, Kupwihting – Kopfweh, Krabassen – Krebse, Hutzengieh – Spazierengehen, besappen – die Kleider unten herum schmutzig machen, luschane – laß sehen u. dergl. m. sind Ausdrücke, die man öfters hört, der Fremde aber nicht immer versteht. Die Tracht der Männer ist freilich in Form und Schnitt um 50 Jahre zurück; dagegen die der bejahrten Weiber mit ihren niedrigen, steifen und mit breiten weißen Tressen besetzten Hauben noch viel weiter. Dieser Kopfputz scheint aus verzinntem Blech gefertigt und wie ein Hausgeräth von Erbe zu Erbe übergegangen zu sein. Jetzt fangen sie aber an, seltener zu werden. Mädchen und junge Frauen kleiden sich daneben auffallend bunt: brennend roth, hochblau, pomeranzengelb und grasgrün sind die Farben des Anzuges und Bänderwerks von Kopf bis zum Fuß, als hätte der Schneider den Regenbogen dazu verschnitten. Diese grelle Farbenpracht schmerzt das Auge beim Sonnenschein, wenn sich die Bermsgrüner Sonntags vor der Kirche auf dem Marktplatze in Schwarzenberg, wohin sie eingepfarrt sind, in Gruppen, wie sie es zu thun pflegen, aufstellen und sich beschauen lassen. Die Bermsgrüner kennen die Genüsse nicht, woran sich der Großstädter so häufig dem Arzte und dem Todtengräber in die Hände liefert, mithin auch die Sittenverfeinerungen nicht, wodurch der Mann nach der Mode so oft die vernünftige Natürlichkeit verliert. Eine gewisse Art von blöder Unbehülflichkeit nimmt ihn gefangen, wenn er mit Personen zusammentrifft, die nicht seines Gleichen sind; doch ist er gutherzig,[33] er ist der Kirchlichkeit sehr zugethan und doch fröhlichen Gemüths und, unbekannt mit dem buntscheckigen Getriebe der Welt, ist er doch rechtlich und wohlwollend. Dadurch erklärt es sich, daß Bermsgrün, im Verhältniß zu seiner Einwohnerzahl, die wenigsten Processe, geringsten Schulden und gegenwärtig nur 14 Almosenempfänger hat. Der Ort war seit dem Anfange dieses Jahrhunderts beglückt, gute Schulmeister zu haben. Die Namen Mehlhorn, Schulze, Seifert und Schubert haben einen guten Klang: denn ihr Fleiß ist nicht ohne Segen geblieben. Wenn schon die neuere Zeit mit ihren Schöpfungen an der bequemen Herkömmlichkeit rüttelt und zu modischer Genußsucht und größerer Abrundung der Sitten auffordert, so wird das ehrenhafte Bermsgrün doch so lange in seiner Einfachheit zu verharren suchen, bis die Erfahrung lehrt, daß es besser ist – nachzufolgen.
Von
welches Bermsgrün im Gegentrume liegt und 112 Güter und Häuser mit 979 Einwohnern zählt, läßt sich eben so viel Eigenthümliches und Rühmliches melden, wie von diesem, wenn auch schon in anderen Farben. Der Anbau dieses Dorfs wird mit der Zeit, zu welcher Bermsgrün entstand, ziemlich zusammenfallen. Bei diesem gab das Hammerwerk Erla und bei jenem der Eisensteinbergbau am Rothenberg die nächste Veranlassung. Und deshalb besteht Krandorfs Einwohnerzahl zum größern Theil aus Bergleuten, wie ihre Vorfahren auf Jahrhunderte zurück. Wer die vaterländische Bergwerksverfassung kennt und weiß, daß Fleiß und Gehorsam, Zucht und Ordnung die wesentlichsten Tugenden des Bergmanns sein müssen, wenn er zu diesem gefährlichen Beruf gewählt, beibehalten und gefördert werden soll – der wird sich die zuvorkommende Freundlichkeit der Einwohner, den Sinn für Schicklichkeit im häuslichen Verkehr[34] und die ameisenartige Thätigkeit, nach vollbrachter Schicht, in diesem freundlichen Dorfe erklären können. Hier spaltet Einer Holz für den künftigen Winter und kästelt es unter die breitästigen Bäume auf, die der Urgroßvater vor das Häuschen pflanzte; dort bessert ein Anderer am Zaun des Gärtchens oder ist sonst thätig für sein kleines Besitzthum. Ueberall vor den Häusern findet man aufgehängtes Grubenzeug, blutroth von Eisenstein gefärbt; und Tag für Tag badet sich der Bergmann, wenn er von der Grube kommt, weil Alles im Hause reinlich sein muß, wo die weißesten Spitzen geklöppelt werden.
Die überall erwachte Genußsucht und der Kleiderluxus haben hier noch nicht Wurzel gefaßt. Der Kittel ist des Bergmanns Ehrenkleid, er tritt damit vor den Altar des Herrn und vor seine Vorgesetzten. Sein Aufwand und der Unterhalt des Hauswesens bleibt dem schmalen Lohne stets angemessen, den er als Bergmann erhält; deshalb aber haben die Einwohner wenig Processe unter sich und verhältnißmäßig wenig Arme.
Da unsere Tour von Erla aus nicht über Krandorf, sondern im Schwarzwasserthal hinauf zu nehmen ist, so wenden wir uns bei der Kirche erstern Orts um, setzen uns aber einige Augenblicke auf die Bank vor dem Pfarrhause und sehen in das herrliche Thal hinab, welches nach Norden hin von Schwarzenberg verschlossen wird. Von hier aus sieht das Städtchen groß und fast einer Mittelstadt ähnlich. Seine Schiefer-, Ziegel- und Schindeldächer und der mancherlei farbige Abputz der dicht zusammengedrängten Gebäude gewähren fast den Anblick, wie eine geöffnete Königsseer Schachtel mit ihrem bunten Tectur-, Siegel- und Gläserwerk.
Oberhalb der zu Erlahammer gehörigen Maschinenbauwerkstatt lehnt sich an eine Felsengruppe ein fast in italienischem Styl erbautes Häuschen, umgeben mit einem freundlichen Gärtchen[35] und wird von dem Engländer Payne und seiner Familie bewohnt. Hier ist die letzte Parthie der lieblichen Landschaft von Schwarzenberg aus in der Richtung nach dem 4 kleine Wegstunden aufwärts gelegenen Johanngeorgenstadt. Bis dahin nimmt Alles eine wildromantische Physiognomie an.
Zu beiden Seiten des Thales senken sich waldige Bergwände steil hernieder und baden ihre Füße in den Wellen des Schwarzwassers, die, das ganze Thal entlang, über Geschiebe und Felsentrümmer, lärmend dahin eilen. Die neuere Zeit hat die kleinern und größern Streifen an beiden Ufern in Wiesen umgewandelt und dadurch, so wie wegen der vor 10 Jahren angelegten Chaussee, welche bis an die böhmische Grenze keine Berge übersteigt, dem Thal eine besondere Freundlichkeit und Frequenz verliehen. Noch vor 60 Jahren konnten kaum Fußgänger dasselbe passiren. Der hintere Rothenberg, Magnetenberg und Wolfgarten einer-, so wie die zerrissenen vordern und hintern Hirschsteine andererseits, stehen sich eine Stunde Wegs mit ihren Gneus- und Glimmerschiefermassen bis zur königlichen Antonshütte einander gegenüber. Diese wurde vor 14 Jahren vom Finanzministerium in der Absicht gebaut, um die geringhaltigen Erze der obergebirgischen Reviere, welche wegen der Transportkosten nicht nach Freiberg abgeliefert werden konnten und deshalb auf den Gruben und Halden nutzlos liegen blieben, zu Gute zu machen und dem Bergbau selbst eine größere Lebendigkeit zu verleihen. Gegenwärtig steht ein Ofen und 3 Amalgamirfässer im Umtriebe und wird dadurch jährlich 3000 Mark Silber zur Münze, so wie 40 Ctr. Kupfer und 25 Ctr. Nickelspeise abgeliefert. Die Anlage der Hüttengebäude in architektonischer Beziehung ist für das Auge eben so anziehend, als das riesenhafte gußeiserne Cylindergebläse, und Jedermann wird von den Hüttenbeamten zuvorkommend aufgenommen und herumgeführt, wer solches wünscht.
Ganz in der Nähe haben sich seit der Anlage dieses Werks[36] noch einige Hüttenleute durch Erbauung kleiner Häuser angesiedelt und somit diesem sonst so vergessenen Winkel des Thales ein munteres Ansehen gegeben, wovon in der bessern Jahreszeit viele Spaziergänger zu profitiren suchen.
Hier mündet der Halsbach, nachdem sein Gewässer die Gruben: Unverhofft Glück, Ritter St. Georg, weißen Adler, fünf Brüder und Pluto, welche auf Grünsteinlagern bauen und silberhaltige Bleigänze gewinnen, begrüßt und ein Pochwerk nebst Wäsche getrieben, welche ihn milchartig gefärbt haben, in das Schwarzwasser aus. Das ganze Hüttenetablissement ist ein Werk des für den vaterländischen Bergbau viel zu früh verstorbenen Oberberghauptmanns Freiherrn von Herder.
Der Magnetenberg hebt sich hinter der Antonshütte steil empor und wird 70 Ellen hoch von dem Wassercanal umgürtet, der dem Poch- und Wäschwerke, so wie der Schmelzhütte hinlängliches Wasser zuführt, wenn der Halsbach im Sommer zu schwach wird. Gegen Süden schiebt er ein Knie weit in das Thal hinein, auf welchem kanzelartig der »Prinz-Friedrich-Stein« ruht. Für diesen geliebten Prinzen und nunmehr den verehrten König Friedrich August spricht, schreibt, malt, zeichnet, meißelt und baut der Erzgebirger so gerne, um sich ein Andenken auf der Scholle Land oder auf dem Felsenstücke zu bewahren, den sein Fuß betrat, wenn er die Provinz besuchte. Eine Tafel von Granit, gehalten von eisernen Platten und umgeben mit einer Barriere und Bänken, nimmt zwar nur einen kleinen Raum in Anspruch, er gewährt aber eine eben so eigenthümliche als überraschende Aussicht. Dicker jugendlicher Wald, über ihn hinausragende greise Tannen, und das anmuthige Grün der nachbarlichen Buchen – sind die Colonnaden, auf welchen der Himmel ruht. Tief im Thale knarren die Räder der Eisen- und Erzwagen – sie übertönen die liebliche Sprache der Vögel und beinahe das Rauschen der Wellen, die der Fellbach dem Schwarzwasser in die Arme wirft.
Da wo sich das Eisenstübel und der große Kammerstein, welcher den blumigblättrigen Feldspath führt, einander erblicken, liegt das Hammerwerk
mit einer Handvoll hölzerner Hütten und Häuser in seiner Anspruchlosigkeit. Christoph Müller von Berneck aus Joachimsthal erbaute es mit landesherrlicher Vergünstigung im Jahre 1593, nachdem dessen Vater vorher schon oberhalb Breitenhof am Rothenbach auf einem Kieslager Bergbau getrieben und dabei viel Magneteisenstein getroffen hatte. Dieser Hans von Berneck nennt seinen Grubenbau selbst ein altes Bergwerk und erhielt im Jahr 1569 schon die Erlaubniß zur Erbauung einer Vitriol-, Schwefel- und Zinnschmelzhütte mit dem Vorzuge, daß innerhalb 10 Jahren Niemandem gestattet sein solle, ein ähnliches Hüttenwerk anzulegen; jedoch in der Voraussetzung, daß sich der Besitzer befleißigen solle, sich mehrentheils aus kaiserlicher Waldung zu verholzen.
Diese Anlagen sind theilweise bis zur Gegenwart erhalten, periodisch betrieben und unter dem Namen »Vitriolwerk St. Christoph« bekannt. Wie lebhaft der von Berneck sein Berg- und Hüttenwerk betrieben haben muß, geht aus einer Bittschrift hervor, nach welcher er am 7. Nov. 1594 um die Erlaubniß zur Anlegung einer Mühle bat, »weil er täglich über 100 Personen halten müsse.«
Oberhalb Breitenhof mündet der Ortbach in das Schwarzwasserthal auf der Stelle aus, wo das Dorf
seinen Anfang nimmt. Wie ein Zug Wallfahrer steigen die grauen beschindelten Güterchen und Häuser des sehr verarmten Dorfes von der Sohle des Ortsbaches einen hohen Berg nach dem Forstwalde empor, auf dessen Culmen der Tempel ruht,[38] welchen die aus 1972 Köpfen bestehende Einwohnerschaft für ihren Gottesdienst benutzt und ihre Todten um denselben beerdigt. Wäre es nicht bekannt, daß in frühern Zeiten das Dorf Rittersgrün nach Breitenbrunn eingepfarrt gewesen, so würde es schwer sein, zu errathen, weshalb es die Kirche letztern Orts ihren Küchlein so unbequem gemacht, sich unter ihre Flügel zu sammeln. In ihrer Nachbarschaft erheben sich noch die Trümmer eines ehemaligen Jagdschlosses, umgeben von einem 6 Ellen breiten Wallteichlein, welches aber dermalen für andere Zwecke ausgefüllt ist. Jedenfalls würde es besser gewesen sein, wenn dieser Reservoir für das wasserarme Dorf erhalten worden wäre.
Am 13. März 1604 brannte dieses Jagdhaus ab und 6 Jahre später wurde es wieder auf- und höher gebaut.
Die Jagdherrlichkeiten der Vorzeit sind eben so wie die jagdbaren Thiere selten und dünn geworden, und es werden deshalb schon lange keine Hoflager mehr in der Provinz gehalten.
Im vorerwähnten Forstwalde wurden zuerst auf dortigen Kalklagern die Helvine getroffen; auch zeichnet sich der Granat, Peponit und andere Fossilien vor vielen andern aus und zieht fleißig Mineralogen dahin. Aus dem Umstande, daß ein Revierförster das Forstgut, welches mit dem Walde grenzt, benutzt, ist der Pleonasmus – Forstwald – entstanden. –
Der schon bei Breitenhof erwähnte Lagerbergbau ist wahrscheinlich der älteste im Obergebirge und mithin auch die Ursache zum Anbau und zur frühzeitigen Bevölkerung des Dorfes. Die Gruben Fortuna, Kaltwasser, alte Grube und St. Christoph haben außer Eisenstein hauptsächlich Zinnstein geschüttet und, in Verbindung mit dem von Berneck'schen Hammer- und Hüttenwerk in Breitenhof, Nahrung und Wohlhabenheit um sich her verbreitet. So geregelt aber und einfach der Erwerb eines Bergmanns auch immer sein mag, so hebt er ihn doch zur Wohlhabenheit nicht empor; deshalb tritt er in Dürftigkeit und[39] Entbehrungen über, wenn die Gruben auflässig werden. In einem solchen Zustande befindet sich Breitenbrunn bei weitem zum größern Theil, weil seine Ländereien im rauhen Klima nur magere Ernten geben und das Klöppel- und Nähwesen der Volksmenge und ihrem Bedarf nicht gewachsen ist. Holzmacher und Fuhrleute, Handwerker und Butterhändler geben nur precären Gewinn und scheiden von Zeit zu Zeit eine Menge Arme aus, die Unterstützung verlangen (gegenwärtig hat der Ort 27 Almosenpercipienten, welche zusammen wöchentlich 15 Thlr. 22 Ngr. erhalten), die aber nicht ausreichend gewährt werden kann, weil selbst die Gemeinde für die Zeit der Noth weder Communeigenthum noch sonst ein anderes Einkommen hat und beziehen kann, folglich auch der Gemeinderath in ewigen Ferien lebt.
Ein solches unsicheres Gewerbsleben hat nothwendig auf den sittlichen Zustand der Einwohner und auf die sinnlichen Genüsse mächtigen Einfluß ausgeübt: denn es sind offenbar zu viel Wirthshäuser im Dorfe, die den mühsam errungenen Dreiern und Sechsern Eintrag thun.
Wir wenden uns wieder hinab in das Schwarzwasserthal, wo wir den grobkörnigen Granit zu beiden Seiten in mächtigen Bergen aufsteigen sehen, die überall mit Fichtenholz bestanden sind und der Landschaft eine ernste Physiognomie aufdrücken. In ewigem Getöse scheuern die Wellen an den Granitblöcken des Flußbettes – sie arbeiten für die Steinsetzer.
Steinheidel auf einer beträchtlichen Berghöhe, Fellbach, Erlabrunn und andere in den Thalungen herumgezettelte Häuserchen verdanken ihre Entstehung vorzüglich dem Bergbau, der theils noch im Gange, theils lange schon auflässig geworden ist. Ihre Bewohner sind regelmäßig von dem größern Weltverkehr und seinen Genüssen abgeschieden und kennen seine Herrlichkeiten und Thorheiten nicht.
Eine oder einige Kühe sind die Ernährerinnen des kleinen[40] Hausstandes und darum auch das Werthvollste in demselben, die Kinder folgen unmittelbar darauf. –
Eine an der Chaussee, wie große Wollsäcke aufgethürmte Granitparthie, die mehrere senkrechte Klüfte zertheilen, die wiederum durch Quereinschnitte getrennt sind und solchemnach die Masse in parallelepipedische Stücke absondert, haben scherzweise dem Gebilde den Namen verliehen.
Die Hefenklöße, eine Lieblingsspeise der Erzgebirger, haben allerdings im Kleinen dieselbe Form. Vor etlichen zwanzig Jahren rutschte ein solcher Hefenkloß herab auf die Straße und versperrte sie, was sich leicht über lang oder kurz wieder zutragen kann. Solche Parthieen zu plötzlicher Absperrung der Wege mögen ihren Werth im kleinen Gebirgskrieg haben; diesem wollten wir allenfalls die Hefenklöße abtreten, wenn nicht zugleich den ordentlichen Klößen Gefahr drohte.
Von dort, wo der Steinbach seine rauschenden Wellen in das Schwarzwasser jagt, nimmt die Thalung eine finstere Miene an, die weder die schüchtern herabschauenden zwei Häuser am Rabenberge, noch das Teumerhaus mit der neuen Papiermühle auszuglätten vermögen. Fichtenwälder zu beiden Seiten der Gebirgsabhänge lassen ihr dunkelgrünes Gewand überall herabrollen bis an die Straße und verbergen die Rippen und Knochen des Granitgebirges da, wo es steil nach dem Thale herein die Knie beugt.
Doch wird nun die Straße lebendiger; das Nestler'sche Walzenwerk mit seinem rußigen Kleide, die Haberlandsmühle, so wie das Zoll- und Chausseehaus mit seiner nachbarlichen Bretmühle verkünden die Nähe eines bevölkerten Oertchens. Es ist
welches sich mit seinen 384 meist hölzernen und mithin löschpapiergrauen Häusern, in welchen 3472 Menschen wohnen, gegen das Hinabgleiten von seinem, 2300 Fuß über dem Meer gelegenen Fastenberg in das Wittigsthal sträubt. Es ist eine Exulantenstadt; denn als die Lutheraner in Böhmen, die sich auch Utraquisten nannten, in der Mitte des 17ten Jahrhunderts von den Papisten hart bedrängt wurden, kamen ein großer Theil von Gottesgabe, Platten und andern Grenzorten zur Nachtzeit herüber an den Fastenberg, Wittigsthal und Jugel, um den Verfolgungen zu entgehen. Am 2. Februar 1654 ertheilte der Churfürst Johann Georg diesen armen Leuten Erlaubniß zum Anbau und schenkte ihnen das nöthige Holz mit dem eigenhändigen Bemerken, daß dieser neue Ort »Johanngeorgenstadt« heißen solle. Sie ist regelmäßig gebaut. Ein Schulmeister aus Schwarzenberg, Namens Zacharias Georgi, hatte die Baustellen vermessen, in welche sich die Exulanten durch's Loos zu theilen wußten.
Durch den raschen Angriff des Baues wurden hier und da Erzgänge getroffen, die sich bald edel bewiesen und der neuen Einwohnerschaft Nahrung und Gedeihen brachten. Da aber der Bergbau seine Segnungen dem Bergmann nur periodisch in die Hände legt und solche hinwieder in längern oder kürzern Zeitabständen versagt: so mußten auch Dürftigkeit und Entbehrungen die neue Stadt um so sicherer abmagern, als ihre Ländereien, so ausgedehnt sie auch immer sein mögen, nur für Gemenge, Hafer, Heufutter und Kartoffelbau ertragsfähig sind. Gegenwärtig sind die sogenannten Tiefbaue der dortigen Gruben in lebhaften Angriff genommen, und wenn die bergmännischen Hoffnungen nicht trügen, kann der Ort über lang oder kurz an fröhlicher Lebendigkeit gewinnen. Das Spitzen- und Nähwesen und einige Handwerker, worunter etliche sehr geschickte Tischler[42] sind, können den Wohlstand in einer bevölkerten Stadt wohl fördern, aber nicht allein aufrecht erhalten, besonders da der seit langen Zeiten ausgebildet gewesene Grenzhandel durch das diesseitige Zollsystem vernichtet worden ist, ohne daß dieses eine andere Hilfsquelle zu öffnen vermochte.
Wohlthätig indessen macht sich die Schafwollkämmerei des Kreisoberforstmeisters von Leipziger und des Majors von Peterkowsky in Schneeberg, die dieselben in Johanngeorgenstadt etablirt haben. Sie beschäftiget zur Zeit gegen 400 Menschen beiderlei Geschlechts und gleicht eine nicht geringe Lücke des Nothstandes aus. Dennoch aber sind gegenwärtig 71 Arme vorhanden, welche allwöchentlich den Almosenfond in Anspruch nehmen, ohne daß er gnügen kann.
Das Bergmagazin vor der Stadt ist ein großartiges, massives Gebäude und schaut weit über die nach Westen ausgedehnten Fluren hinaus, deren Früchte nicht selten Frost und Schnee übereilt. Merkwürdig ist es, daß die Johanngeorgenstädter kein Kraut anpflanzen und lieber die Krauthäupter, die in mehr als hundert Wagen aus der Schwarzenberger Gegend im Herbste zu ihnen gebracht werden, ankaufen und dennoch die Strünke, die sich als so nützliches Viehfutter im Winter sehr lange aufbewahren lassen, entbehren. Man hat mir erzählt, daß zwar das Kraut sehr gut auf dem Fastenberg gedeihe, allein die Feldbesitzer könnten es vor den Dieben nicht erhalten. Und wenn ja dann und wann ein solcher Dieb eingefangen oder zur Anzeige gebracht worden wäre: so habe ihn die Obrigkeit wieder laufen lassen – weil er gewöhnlich arm gewesen und keine Kosten habe bezahlen können. Derartige Patrimonialgerichts-Böcke können wohl bisweilen vorgekommen sein, seit die Thurmuhr auf dem Rathhaus gebaut wurde; allein gegenwärtig, da ein königliches Justitiariat errichtet, ist wohl davon keine Rede mehr. Die Einwohnerschaft darf mit Vertrauen ihre Felder mit Kraut bepflanzen, wie die viel höher gelegenen Wiesenthäler;[43] der Nutzen für sie und ihre Viehbestände ist von großer Bedeutung.
Wer mag Johanngeorgenstadt verlassen, ohne die freundliche Zuvorkommenheit dankbar zu rühmen, mit welcher der Fremde aufgenommen zu werden pflegt! Was die Natur hier an einladender Lieblichkeit versagt, sucht man im geselligen Leben durch Heiterkeit und fröhlichen Sinn auszugleichen. Man erzählt sich, daß diese Stadt besonders reich an hübschen Mädchen und Frauen sei; es muß wahr sein, weil es auswärtige Frauen bezweifeln.
Tief unterhalb des sich steil abstürzenden Fastenbergs gegen Morgen liegt das Eisenhüttenwerk Wittigsthal mit seinen Hütten, umschanzt mit riesenhaften Halden, Kauen, Poch- und Wäschwerken des Bergwerks und in wechselseitiger Benutzung des Schwarzwassers, welches sich hier mit dem Breitenbach vereinigt. Ein ehemaliger Hammermeister Kaspar Wittig erhielt den 28. Mai 1651 landesherrliche Vergünstigung zu Anlegung des Eisenhüttenwerks, das von ihm den Namen trägt. Eilf Jahr später, den 19. Juni 1662, erlangte er auch die Erbgerichtsbarkeit, um, wie es in dem Rescripte heißt, »das unbändige Hammervolk besser im Zaume zu halten.«
Die gegenwärtigen Besitzer dieses Werks, Nestler und Breitfeld, sind die Ersten, welche mit vielen Opfern die zur Zeit möglichst großen Holzersparnisse durch Schmelzen mit erhitzter Luft und Erbauung sogenannter französischer Feuer und eiserner Bedachungen, Gartengeländer und dergleichen errungen haben.
Ober- und Unterjugel sind beide älter als Johanngeorgenstadt, denn schon im Jahre 1571 erhielt Sebastian Preisler[44][9] Concession zu Erbauung einer Glashütte und 8 Häusern; ebenso hatte Johann Gabriel Löbel die Vergünstigung zu Anlegung eines Blaufarbenwerks erhalten. Die Glashütte ist längst schon eingegangen, und das Farbenwerk kaufte den 11. October 1668 der Churfürst um 8500 Thlr. an sich und vereinigte es mit dem zu Schlema bei Schneeberg, welches seitdem ein Doppelwerk genannt wird.
Uebrigens waren beide Jugel nach Eibenstock eingepfarrt, seit dem 18. Septbr. 1657 hingegen gingen sie bequemlich in die neue Kirche nach Johanngeorgenstadt.
Wir wandeln jetzt von Wittigsthal aus einen Weg nach den Quellen des Schwarzwassers hinauf, dicht an der böhmischen Grenze, und bald befinden wir uns in einer rauhen, eben nicht anmuthigen Gegend, die uns aber bald dies-, bald jenseits der Grenze manches Interessante darbietet. Als sich Prinz Albrecht, derselbe, welcher im Jahre 1455 seine Befreiung am Fürstenberge fand, mit der Prinzessin-Tochter des böhmischen Königs Podibrat vermählte, erhielt dieselbe die Herrschaft Schwarzenberg zur Morgengabe mit. Die Abgrenzung dieser Herrschaft von dem eigentlichen Böhmen mochte sehr unbestimmt, so wie die werthlose und undurchdringliche Waldung, wenig von Menschen, ungleich mehr aber von wilden Thieren bewohnt, die Ursache sein, daß man sich darum wenig kümmerte, ob einige Joche Land mit seiner Wildniß da- oder dorthin gehörten.
Am südlichen Abhange des sächsischen Fichtelberges liegt ein beschindeltes Häuflein Häuser, wie ein Volk frostiger Rebhühner, in steriler Gegend. Es ist Gottesgabe, also benannt von dem reichen Segen des damaligen Bergbaues in seiner Nähe, denn außerdem gediehen nicht immer Erdäpfel und Hafer. Churfürst[45] Johann Friedrich befahl den 2. November 1534: »daß jedem, so sich alda niederlassen will, 15 Ellen breit und 30 Ellen lang zu einem Wohnplatz eingeräumt und ein Schichtglöckchen angeschafft werden solle.« Eben so ertheilte derselbe Churfürst ein Jahr später eine Bergordnung für das damals jugendliche Städtchen Platten; beide gehörten daher zu Sachsen. Allein die großen Jagden, welche die Könige von Böhmen und die Churfürsten von Sachsen alljährlich abzuhalten pflegten, hauptsächlich aber deren Jagdpersonal gaben vielfach Gelegenheit zu unangenehmen Irrungen, besonders bei Verfolgung des Wildes, so daß zuletzt durch den sogenannten »ewigen Egerschen Erbvertrag«, welcher den 26. October 1556 zu Schneeberg seine wechselseitige Genehmigung fand, die Grenzen zwischen beiden Ländern durch Grenzsteine bestimmt, dabei aber auch Gottesgabe, Platten und die dazwischen gelegenen Ländereien, gegen Reservat des halben Bergzehnten und diesseitiger jährlicher Gewähr von 180 Stämmen Schacht- und Grubenhölzer, an Böhmen für immer abgetreten werden.
Schon lange her ist der Bergbau in dem damals an die Krone Böhmens abgetretenen Landestheil, bis auf die Eisensteingrube Irrgang am Hengstgebirge bei Platten, ohne alle Bedeutung, und das Ausbringen von Zinn nicht mehr der Rede werth. Die sogenannten Försterhäuser und die am Streitseifen liegen ordnungslos zerstreut auf ihrem magern Boden, den nur ein dürftiges Gras bedeckt, aus welchem verkrüppeltes Ahorngesträuch und kränkelnde Vogelbeerbäumchen emporzustreben suchen.
Das Schwarzwasser, welches durch Moor- und Torfboden seinen Lauf nimmt, führt ein gelbes coventartiges Wasser, was selbst für die Wässerung nicht so tauglich ist, als da, wo es in die tieferen Gebirgswannen hinabgestiegen ist. Dessenungeachtet verlassen wir die Gegend noch nicht, bis wir den böhmischen[46] Spitzberg bei den Försterhäusern erklettert und von da aus die fernen Gegenden nach Karlsbad hin betrachtet, auch theilweise die Grenzörtchen Börnichen und Abertham (Aberdam) betrachtet haben. Der bewaldete und aus Basalt bestehende Spitzberg hat die Form eines riesenhaften Heuschobers und wird daran, weit nach Sachsen hinein, erkannt. Auf ihm wächst, nach Paulus' Orographie, die isländische Zwergbirke (Betula nana), die ich aber nicht habe auffinden können. Von hier aus fällt das Gebirgsjoch, welches Sachsen von Böhmen trennt, steil in dieses gesegnete Land hinab; die Thäler sind tief eingefurcht und jagen ihre Gewässer rasch in die Ebenen hinaus. Die meist ärmlichen Wohnungen der Menschen hängen sich an die jähen Abhänge, die hier schon allerwärts die beschwerliche Bewirthschaftung mit reichlicherem Ertrage lohnen.
Böhmen ist das Land der Musik und sie hat sich an allen Grenzorten, wo sonst reger Bergbau war, in eben dem Maßstabe erweitert und vervollkommnet, wie jener zum Sinken kam. Preßnitz, Platten und andere Orte entsenden ganze Schaaren Musiker in fremde Länder, die oft in einem Jahre nur einmal heimkehren, um die Angehörigen zu sehen und mit Geldmitteln zu versorgen. Dieser Sinn für Musik hat sich auch weit über die Grenze nach Sachsen herein verbreitet und zur Nachahmung aufgefordert, sich den Unterhalt durch Geigen, Blasen und Pfeifen zu verschaffen.
Damit aber das Herumziehen mit musikalischen Instrumenten nicht in gemeine Bettelei ausarte und das Publicum belästige, müssen alle derartige Gesellschaften, auf Anordnung der Kreisdirection, eine Probe ihrer Leistungen ablegen und erhalten nur dann Erlaubniß für das gewählte Gewerbe, wenn solches als vorzüglich genannt werden kann. Im Laufe vorigen Jahres wurden im Kreisamtsbezirk Schwarzenberg allein von 9 musikalischen Gesellschaften derartige Proben abgelegt.
Das böhmische Grenzörtchen Abertham hat sich von langen Zeiten her einen Namen mit seinen Käsen, die es aus Ziegenmilch bereitet, erworben und bis zur Stunde erhalten. Sie haben die Größe eines Zwiebacks oder eines Zweithalerstücks und werden weit und breit verführt. In früheren Zeiten mußte die Amtsschreiberei (Rentamt) zu Schwarzenberg dergleichen Käse ankaufen und zur Hofküche nach Dresden einliefern.
Dieses Abertham mit seinem Nachbarorte Börnichen treibt noch ein anderes Geschäft, was seiner Eigenthümlichkeit halber, einer kurzen Erzählung werth ist.
Es besteht nämlich in dem oft lebensgefährlichen Aufsuchen der Gimpelnester, der Erziehung dieser Vögel (Dompfaffen) und in der Kunst, denselben Melodieen pfeifen zu lehren. Dann wird ein Handel damit nach Wien, Berlin und anderen Städten des In- und Auslandes getrieben, welcher, wenn der Fleiß des Lehrers und das Talent der Vögel gut war, viel Geld in die Heimath bringt.
Sonderbar ist es, daß nicht jeder von diesen kleinen gefiederten Lehrlingen, auch wenn sie aus einem und demselben Neste sind, gleiche Gelehrigkeit besitzt, vielmehr giebt es eben nicht seltene Fälle, daß alle Mühe und Arbeit verloren und es gerathener ist, ihnen die Freiheit wieder zu geben, wo sie durch ihre Dummheit in ihrem Vogelstaate vielleicht zu Ehrenstellen gelangen, wie überall, wo es Gimpel giebt. Die ganz schwarzen, als Seltenheit auch ganz weißen Vögel dieser Art, welche letztere rothe Augen haben wie die Albino's, lernen zwar auch wenig, werden aber dennoch als Raritäten mit in den Handel gebracht.
Von diesem kleinen Abstecher zurückkehrend, gehen wir den Mückenbach, der die Grenze bildet, hinunter und gelangen bald nach den obersten Häusern von
wo das Kaffgebirge und der Taubenfels, von Osten her wie ein Keil nach dem Thale eingetrieben ist, um Räumlichkeiten für die Einwohnerschaft zu erzwingen. Der nur erwähnte Mückenbach, der Kaff-, Zwei- und Kunertsbach treten hier zusammen und bilden mit ihrem krystallhellen Gewässer die Pöhla (Biela), welche dem Thal entlang wunderliebliche Wiesen bewässert und die Füße des Haueisens, des Ochsenkopfs, des Klötzerwaldes rechts, so wie der hintern und vordern Kehlung, des Forstwaldes und des Härtenberges links, benetzt. Dieses gegenwärtig eine volle Stunde lange Dorf gehört nicht unter die jüngern Ansiedelungen des Obergebirges, denn am 20. Juli 1584 erhielt Nicolaus Klinger zu Elterlein Concession zu Anlegung eines Hammerwerks in Oberrittersgrün, so wie der Obristwachtmeister Hannibal von Schmerzinger die Erbgerichte über sein Hammerwerk, Arnold Rothenhammer und die von ihm erbauten 17 Häuser den 13. März 1670, um für sein Hammerwerk die Berg- und Hüttenleute unterzubringen, von welchen Erstere den Lagereisenstein des nachbarlichen Rothenberges und des sogenannten Glimmer ausbeuteten.
Der Hammerberg und der Gänsegrund sonnet gegenwärtig an seinem mittägigen Gehänge eine ansehnliche Zahl ordnungslos hingewürfelter Häuser, welche in der Mehrzahl Hütten- und Waldarbeiter bewohnen.
Der Ort fand von jeher viel Nahrung im Handel und Vertriebe der Hölzer aus böhmischer Waldung, und wer die Bestechlichkeit der dortigen Forstdienerschaft zu benutzen und zu erhalten verstand, konnte es zur Wohlhabenheit bringen und[49] selbst in dieser Lage mit dem Walddominialamt in Joachimsthal in ersprießlichem Einverständnisse leben. Jetzt ist dieser Holzverschleiß nicht mehr so lebhaft, weil in dieser Richtung hin die Waldungen niedergetrieben und gelichtet sind, deshalb aber leidet Rittersgrün ziemlich an geregelter Arbeitsgelegenheit.
Einer zahlreichen Familie mit ihren Abkömmlingen muß ich noch gedenken, die sich ebenfalls, wie in Abertham und in Börnichen, mit dem Unterricht der Gimpel beschäftigen und deshalb unter dem Namen: »Gimpel-Poller« bekannt sind. Ein Stamm davon hauset in dem sogenannten Ehrenzipfel, welcher am obern Ende von Rittersgrün einem Anbaue gleicht, welchen man an das Hauptgebäude anflickt, um etwa Auszügler hinein zu stecken.
Wir gehen dem Flusse entlang nach den aus 16 Häusern bestehenden Schweizerdörfchen
hinab und begreifen nicht, wie es hat kommen mögen, daß sich Menschen in einem solchen Felsengewirre ansiedeln konnten. Das Thal ist enge; hier thurmhohe, den Einsturz drohende Gneus- und Glimmerschiefermassen; da eine Wüste von Felsgetrümmer, als hätten sich Riesen damit geworfen, und dennoch hier und da ein Stückchen Feld oder Grasboden, hervorgemartert unter vielen tausend Gesteinstücken, die wie Wälle haushoch um die kleinen Herrlichkeiten aufgeschichtet sind, weil es außerdem weiter keine Räumlichkeit gab. Die kleine Einwohnerschaft sieht die Sonne eine Stunde später auf- und eben so lange früher untergehen,[50] was das Forststrafgesetzbuch vom 2. April 1838 S. 181 hätte bemerken sollen.
Die Pöhla zerschellt ihre farbenlosen Wellen unter Tosen und Rauschen an den Klippen, womit ihr Bett belastet ist, und wirft sie in weißem Schaum die regellose Treppe hinab nach der sanfteren Mündung. Hier am Fuße des Drachen- und Rottenberges ist ihr Weg mit Türkis und Smaragd[12] bestreut, beide Ufer mit Laubholz und Blumen bekränzt, unter welchen sie noch weithin die Mädchenjahre vertanzt. Hebel in seinen allemannischen Gedichten konnte kein schöneres Bild für seine Wiese wählen, als das eines Mädchenlebens. Gar oft saß ich am westlichen Abhange des Zigeuners,[13] lauschte dem Gekose der Wellen und dem Geplätscher kaum geborner Quellen, wie diese sich bald überkugelnd der älteren Schwester nacheilen, bald tändelnd umher die Blumen auf nachbarlichen Wiesen tränken und dann auf den wunderlichsten Wegen ihre Führerin wieder zu erlangen streben. Hier tanzt die lebensfrohe Pöhla über die Räder der Mühlen, dort macht sie gewaltige Pas über die Wehre. Es ist die schottische Zeit des Mädchens. Die frühzeitige Verbindung mit dem Schwarzwasser bringt eine andere Farbe in ihr heiteres Leben und Tropfen der Wermuth, herabgesandt von Beyerfelds Vitriol- und Schwefelwerk, verbittern ihr die Ehe. Adoptirt von der Mulde bei Aue, entschließt sie sich zur weitern Reise in die Elbe und mit dieser vielgeprüften Lebenssatten in die Wasserewigkeit der Meere. Hier wird sie über lang oder kurz, vielleicht unter tropischen Himmelsstrichen, durch die Macht der Sonne zur Auferstehung gerufen;[51] geisterartige Gebilde erheben sich aus dem großen Todtenacker der Flüsse, formen sich in Wolken und geben sich in endlos wechselnden Gestalten den entferntesten Ländern in erquickendem Thau und Regen kund, um den Glauben ihrer
an die Fortdauer nach dem Tode und an das Wiederfinden der früher Heimgegangenen zu befestigen.
In den 109 dicht zusammengedrängten und vielfach in einander verkästelten und beschindelten Häusern, mit Einschluß von dem nebenangelegenen Kleinpöhla, wohnen nicht weniger als 1489 Menschen, von welchen das Männergeschlecht bei den beiden Hammerwerken, dem sogenannten Biedermann'schen und dem Pfeilhammer, großentheils seine Nahrung findet, Weiber und Kinder hingegen das Spitzenklöppeln treiben. Schon im Jahre 1593 besaß Hans Klinger den Pfeilhammer und nach ihm der Hauptmann Karl Goldstein zu Quedlinburg und der Kammermeister Marcus Röhlig 1600. Das Erbgericht zu Großpöhla erhielt Velten Hans durch den Grafen Ernst von Schönburg zuerst in dieser Eigenschaft. Die Leistner'sche Spitzenhandlung ist sehr gut renommirt, auch die großartige Kalkbrennerei und der Magneteisensteinbergbau des Pfeilhammerbesitzers. Großpöhla ist in dem Rufe, viel schöne Mädchen und Weiber zu haben, denen jedoch eine große Geschwätzigkeit und ein solcher ungemeiner Wortverbrauch im Conversationsleben, das heißt unter sich, eigen ist, wie es im Gebirge nicht leicht wieder vorkommt. Sie wiederholen nämlich häufig die Phrasen stückweise; z. B. »Wo gehst Du hin – gehst de?« – »Was machst Du denn Mahd (Magd) – he, Mahd?« – »Kneip die Katz nicht in Schwanz – kneip se, sie hot Junge[52] im Leib – hot se.« – »Tausende, güldige, schöne Band-, Borden- und Zwirnlorn von Ehrenfriedersdorf, sei sie ner amol so gut und hol' sie mein'n Bruder 'n Gevatter Schererzgottlieb a weng Tobakpfeifenfeuer 'rein;« statt: »hole doch meinem Bruder Tabakfeuer;« – mag wohl erdacht sein, ist aber für die Vielredenheit sehr bezeichnend. Zu der Geschwätzigkeit gesellt sich noch unter den Proletariern eine Menge sonderbarer Gebräuche und das Familienleben bezeichnender abergläubischer Gebahrungen, besonders zur Weihnachtszeit, denen man in folgendem Liedchen begegnet, welches eine Pöhlaerin in ihrem Dialekt selbst zum Verfasser hat.
Nachdem die Pöhla den Lux- und Friedrichsbach aufgenommen hat, tritt sie hinaus in ein breites, lachendes und mit Wiesen und Feldern bedecktes Thal – das erzgebirgische Chamouny. Es ist das einzige Längen- oder Hauptthal des Obergebirges, welches sich vom Fichtelberg herab bis nach Zwickau und mithin von Osten nach Westen zieht und alle Wässer der Transversalthäler, als die Pöhla, das Schwarzwasser, Mulde und dergl., aufnimmt und sie zu folgen nöthigt. Der breite, fächerartig entfaltete Schatz von Feldern des mit ungefähr 2200 Menschen bevölkerten Dorfes Raschau und die an seinen Flanken wie bunte Wäsche herumgelegte Länderei des Dorfes Grünstädtel (sonst Dorfstädtel genannt) liefern eins der lieblichsten Bilder des Erzgebirges. Die Strohdächer der Begüterten beurkunden eine gewisse bäuerliche Wohlhabenheit, die sich durch Berechtigung zu städtischer Gewerblichkeit im Dorfe Raschau unterhält, indem die Erzeugnisse des Areals rings umher einen sichern und schnellen Absatz finden. Seit etlichen zwanzig Jahren ist ein Bad hier, etablirt von einem gewissen Dr. Karch aus Annaberg; allein, wenn schon das Wasser einige Grade wärmer ist, als die den Ort durchwässernde Mittweida, so dürfte man doch schwerlich mehr Wirkungen darin finden, als die der Reinigung, was bekanntlich auch heilsam für den Körper ist.
Das hiesige Vitriol- und Arsenikwerk Allerheiligen hat in der neuern Zeit eine größere Bedeutung erhalten und wird in den Händen des gegenwärtigen Besitzers ein besseres Gedeihen finden.
In dem Thale aufwärts dehnen sich die Dörfer Mittweide, Markersbach und Obermittweider-Hammer immer so, daß sie sich die Hände reichen; doch sind sie, weil rechts und links die Gneus- und Glimmerschieferberge näher zusammenrücken, in eine engere Thalschlucht eingebettet, die man in der Gegend »den Grund« zu nennen pflegt. Ueberall gewerbliche Lebendigkeit, hauptsächlich Nagel- und Plattenschmiede, und ziemlich mühsamer, aber doch, wegen des milden Klimas, noch lohnender Feldbau. Von Markersbach gegen Morgen hebt sich das Gebirge stufenweis über Unter- und Oberscheibe nach
dessen geradlinige Gassen 165 Häuser bilden. Es hat 790 Einwohner, die sich hauptsächlich mit Fertigung von Band, Borden, Blonden, Fransen, auch Spitzenklöppeln beschäftigen. Eine vor etwa 17 Jahren angelegte Pappfigurenfabrik scheint sich keiner rentirenden Lebendigkeit zu erfreuen. Dieses Städtchen, in dessen Nähe ein gewisser Kaspar Klinger im Jahre 1515 reiche Silbererze erschürft hatte, wurde 1525 von Ernst von Schönburg, welcher diese Gegend bis Oberwiesenthal hinauf mit seiner obern Grafschaft Hartenstein bis zum Jahre 1559, wo solche der Kurfürst August an sich kaufte, besaß, am westlichen Fuße des Scheiben- oder auch Orgelberges zu Gunsten der Bergleute angelegt. Der Bergbau hat jedoch in der spätern Zeit seine Segnungen vertagt und die Gegenwart das Absehen auf solche materielle Interessen gerichtet, die leichter zu beurtheilen und ohne Anlagecapital schneller erreichbar sind, oder zu sein scheinen. Und so haben alle menschliche Unternehmungen in ungeregelten Pausen ihr Steigen und Fallen.
Der Scheibenberg, dem gleichnamigen Städtchen gegen Südost gelegen, erhebt sich 2443 pariser Fuß über die Nordsee und seine schwarze Basaltmasse gleicht, aus der Ferne gesehen, dem Hügel eines Riesengrabes, wie der hinter ihm nach Ost und Süd gelegene Pielberg und Bärenstein, die mit ihm ein rechtschenkliges Dreieck bilden, deren Winkel eine Meile von einander entfernt liegen. Dieser Scheibenberg ist es auch, welchen der berühmte Bergrath Werner in Freiberg als Beweismittel für seine Neptunität aufstellte und dadurch einen interessanten Streit mit den Plutonisten hervorrief.
An seinem Fuße gewinnt man Thon (Wackenthon), groben Sand, aus Quarzgerölle bestehend, und Streusand, welcher ein Gegenstand des Handels ist.
Wunderlieblich ist aber die Um- und Fernsicht auf dem langgedehnten Plateau des Berges selbst. Gegen Osten, tief im Thale, durch welches die jugendliche Zschopau fließt, haben sich die 156 Häuser des Städtchens Schlettau mit einer Mauer umgürtet, hinter welcher sich im Hussitenkriege 1429 die Einwohner zwar tapfer, aber vergeblich vertheidigten. In dem dortigen Schlosse, außerhalb der Ringmauer befindet sich gegenwärtig die Looßische und Naumann'sche Spinnfabrik, deren Besitzer sich zugleich in der neuern Zeit als Baumzüchter empfohlen und eigentlich den Anfang gemacht haben, das kahle Städtchen mit Laubgrün zu umhüllen. Schlettau hat für seine Häuserzahl ungewöhnlich große Feldflächen (2800 Acker à 2 Scheffel), die der Einwohnerschaft, neben dem Posamentir-, Spitzen- und Blondengewerbe, hauptsächlich Nahrung und Unterhalt gewähren. Man sagt von den Schlettauern sprüchwörtlich: »wenn die Bauern auf dem Felde sind, ist kein Bürger zu Hause.«
Gegen Mitternacht dehnt sich das Städtchen Elterlein mit 194 meist hübschen Häusern und 1888 Einwohnern an dem südöstlichen Abhange des Schatzensteines hinauf, damit es von da[57] aus seinen Reichthum an Feldern, Wiesen und Torfbrüchen übersehen kann; denn auch hier ist Feldbau und Viehzucht, wie in Schlettau, die Hauptnahrung, und wer diese nicht hat, ist immer mehr oder minder, bei allem Fleiße und aller Sparsamkeit, in seinem täglichen Unterhalte durch Mangel bedroht, wie dies die Schaar von Schuhmachern und Nagelschmieden lehrt. Eine Menge Roßhändler hausen ebenfalls im Orte, und wer viel Geld hat, kann immerhin wohlfeile Thiere bekommen.
Vor Jahrhunderten breitete sich eine dichte Waldung von hier aus bis Wiesenthal an der böhmischen Grenze. Reisenden war in der Nähe, wo jetzt Elterlein liegt, ein Altärlein für die Andacht aufgerichtet, um welches sich bald einige Häuserlein erhoben, die Schutz und Nahrung gewährten. Sie hießen: »die Häuser am Altärlein« und gaben Anlaß für die allmählige Erbauung des Städtchens, welches in seinem Rathssiegel ein Altärlein mit 2 Kerzen bis zur Stunde führt und eigentlich Altärlein, statt Elterlein heißen sollte.[14]
Noch werfen wir einen Blick von unserm Scheibenberge aus gegen Süden; ein langes Dorf, Crottendorf genannt, zieht sich mit seinen 294 Gütern und Häusern, welche 2530 Menschen bewohnen, über eine Stunde lang herab, nach dem umbuschten und in Laubgrün gehüllten Walthersdorf. Beide haben weit ausgedehnte Fluren für ihren bedeutenden Flachsbau, der leider! meist roh in's Ausland verführt wird, weil Niemand spinnen kann und mag, so lange das Spitzenklöppeln einige Pfennige für den Tag mehr einbringt. Nicht weit entfernt vom obern Theile Crottendorfs liegt der sogenannte fiscalische Marmorbruch, der mehr für eine großartige Kalkbrennerei, als für die Bildhauerkunst benutzt wird, weil ein dortiger Marmorarbeiter sich mehr andern Beschäftigungsarten zugewendet hatte[58] und dabei seine eigene Kunst vernachlässigte. Wir verlassen die Berghöhe, auf welcher kein Strauchholz die Aussicht störte, indem wir dem fernen Greifenstein im Norden, welcher seine wulstigen Granitmassen noch über die ihn umgebenden Fichten erhebt, so wie dem entlegenen Auersberg im Westen und dem Fichtelberg im Süden einige freundliche Blicke zuwerfen, und treten bald eine zweite Wanderung an, ehe die Sonne lange Schatten zieht.
Druck der Teubner'schen Officin in Leipzig.
[1] Diese und alle folgende derartige Angaben sind aus den Schriften des Central-Comité des statistischen Vereins vom Jahre 1837 genommen.
[2] Schwarzenberg brannte am 2. Mai 1824 bis auf das Schloß und die Kirche nieder, ist aber mit weit hübscheren Häusern, die dem Städtchen eine entsprechende Sauberkeit verleihen, völlig wieder aus der Asche hervorgegangen.
[3] In den ältesten Zeiten war es ein Kugelhammer, verfiel aber in eine Caducität. Am 9. Octbr. 1557 verlieh Kurfürst August dieses verfallene Werk an den Bergschreiber Hans Schwarz in Annaberg.
[4] In den Mittheilungen des statistischen Vereins für das Königreich Sachsen, 3. Liefer., S. 5, wird des Oswalds- oder Schwarzbaches, welche die Pöhla in Wildenau, kurz vor ihrer Vereinigung mit dem Schwarzwasser, aufnimmt, keiner Erwähnung gethan, ob es schon namhafte Bäche sind und Mühlen und Bergwerksmaschinen treiben.
[5] M. Körner in seinen Nachrichten über Bockau hält Druiden für gleichbedeutend mit Götzenpriestern, welche den suevischen Völkern angehörten, die nach Plinii, Senecae und Caesaris Berichten zwischen dem Rhein und der Elbe wohnten. Diese Priester, erzählt er weiter, haben unter Eichen und Buchen, auf welchen die Misteln oder Mispeln wuchsen, Gottesdienst gehalten; daher sei Drude oder Drudenfuß noch heut zu Tage ein Gegenstand des Aberglaubens unter den gemeinen Leuten. Dagegen will M. Oesfeld, in seinen historischen Beschreibungen vom Erzgebirge, Trute von Gertraut, Traut oder Traute, welches so viel als lieb heißt, ableiten, und dafür Trautenau oder Liebenau bei Halle als Beleg angesehen wissen.
[6] Schorlau, Zschorla heißt wendisch: die Quelle, daher zschörlen: quellen.
[7] Nach Melzer's Chronik von Schneeberg, S. 89, ist dieser Floßgraben im Jahre 1556 zu bauen angefangen und 1559 vollendet worden.
[8] Bockau ist, nach M. Körner, ein altes sorbisches oder wendisches Wort und heißt so viel als: Gott oder Gotteshain, Götzenhain. Es hieß in ältern Zeiten Boug und Bouh und böhmisch: Buh (lies: Buch). Ow, owe, iz, ina sind Distributivendungen, wodurch Heimath und Besitz bezeichnet wird. Deshalb ist Boukowe oder Boukow, Bukwiz und Bukwina entstanden. Auf den Kirchen- und Gerichtssiegeln befindet sich gegenwärtig ein aufrecht stehender Bock, weil die Einwohner nur der Aussprache, nicht aber der Etymologie zugethan scheinen.
[9] Es hat sich die Sage im Volke erhalten, das die jetzt allgemein bekannten Preißelbeeren ihren Namen von diesem Preißler empfingen, weil dieser sie erst in den Handel gebracht und genießbar zu machen gelehrt habe.
[10] Rittersgrün besteht eigentlich aus Ober-, Unter- und Hammer-Rittersgrün; diese bilden aber gegenwärtig eine Gesammtheit, die 157 Häuser mit 2319 Menschen zählt. Hammerrittersgrün hat eigene Gerichte.
[11] Aus einem Rescripte vom Churfürst Johann Georg III. d. d. Dresden den 27. August 1686 geht hervor, daß aus einer Menge alter Wäschen und Pochwerken kleine Häuser entstanden sind, nachdem jene wahrscheinlich aus Mangel an Erzen nicht mehr benutzt werden konnten.
[12] Die Schlacken von den Eisenhüttenwerken sehen himmelblau und smaragdgrün; sie werden gepocht, um das darin im Kleinen befindliche Eisen auszuwaschen, der Schlackensand aber wird in die Fluth getrieben, wo er abgerundet ihr Bett bedeckt.
[13] Am Zigeuner liegt die Grube Fridolin mit ihren schönen einfachen Säulen des Zinnsteins, Pistacit, Arinit, Sahlit u. s. w.
[14] Siehe des Pfarrers Schreiter zu Elterlein Geschichte des Prinzenraubes. Leipzig, bei Kummer 1804, S. 51.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Die unterschiedliche Schreibweise von Ortsnamen wurde beibehalten.
S. 17: Blaufarbarbenwerk → Blaufarbenwerk
mit dem Pfannenstieler Blaufarbenwerk oben
S. 32: Gäuse → Gänse
Oskar hütet die Gänse und Heloise sammelt Holz