Title: Herr Wenzel auf Rehberg und sein Knecht Kaspar Dinckel
Author: Felix Salten
Release date: February 29, 2016 [eBook #51333]
Most recently updated: October 23, 2024
Language: German
Credits: Produced by Matthias Grammel and the Online Distributed
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Alle Rechte / insbesondere das der Übersetzung / vorbehalten. Von diesem Buche sind 25 Exemplare auf handgeschöpftem Büttenpapier abgezogen / numeriert und in Ganzpergament gebunden. Sie sind zum Preise von 10 Mark für das Exemplar vom Verlage zu beziehen.
ieses sind die Begebenheiten /
die ich jetzt erzählen
will. Denn ich
habe heute vernommen /
wie des Kaisers
Leben sich gewendet
hat. Und ist von dieser Kunde ein heller
Abglanz in mein Gemüt gefallen / also
daß alle meine Erinnerungen aufleuchten /
wie die Fenster eines Hauses in der
abendlichen Sonne.
Ich war fünfundzwanzig Jahre alt
und saß allein auf meinem festen Schlosse
Rehberg / das in Böhmen liegt. Da
kam Botschaft von meinem neuen Anverwandten
Nikolaus Perrenot / dem
Handwerkerssohn / der sich jetzt Herr
von Granvella nannte und beim Kaiser
Karl V. hoch begnadet war. Er habe
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gehört / schrieb mein Anverwandter /
daß ich in den Wissenschaften erfahren /
wie auch in der Kriegskunst wohl unterwiesen
sei. Deswegen lade er mich ein /
in des Kaisers Dienst zu treten und
wolle sich gerne unterfangen / mir zu
meinem Glück zu verhelfen. Es stünde
anjetzt bei mir / den Rang und die Güter
meines Geschlechtes zu mehren; am
Ende gar noch das goldene Vließ zu gewinnen.
Leicht wäre es möglich / daß meine
Sippe mir dereinst noch gram wird /
weil ich hernach an jener Pforte / durch
welche man zu hohen Würden / zu Reichtum
und Kriegsglorie eingeht / infolge
einer seltsamen Regung des Gemütes
meine Schritte verhielt. Hat mich doch
Herr Albrecht / der Markgraf von
Kulmbach /einen Schelm geheißen /als
ich des Kaisers Armada vor der Affäre
von Geldern verließ / um für immer
heimzukehren. Ich weiß es aber besser /
daß ich kein Schelm bin / indem ich nicht
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anders handeln konnte und alles nur
Gottes Wille gewesen ist / der mein Herz
erschüttert und meinen Sinn gelenkt
hat.
en Zins / den meine beiden
Mieter mir noch schuldeten /
trieb ich damals ein und ritt /
von einem Waffenknecht geleitet /
gen Augsburg. Es war ein wettergrauer
Morgen / als ich eben auf den
großen Platz vor des Kaisers Herberge
kam. Da rührte sich nun ein erstaunliches
Getümmel von Kriegsvolk / Wagen
und Pferden / von Edelleuten /
Schalksnarren und Schreibern / dergleichen
ich noch nie vorher gesehen hatte.
Auch der spanischen Kleidung ward ich
allhier zum erstenmal gewahr.
Indem ich also langsam durch das
Jahrmarktsgedränge ritt / in dem Getöse
schreiender / singender und rufender
Stimmen / davon der Widerhall sich an
den reichen Häusern ringsumher brach /
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mitten in dem tapferen Schmettern der
Trompeten und den Wirbelschlägen der
Becken die stattlichen Pferde mir besah /
die stolzen spanischen Herren musterte /
die vielen kaiserlichen und reichsfürstlichen
Fahnen betrachtete / war mir /
als solle mein Leben jetzt wie ein rechtes
Fest anheben und von Stund ab glanzvoll
vor sich gehen. Ich atmete tief / um
das Lachen der Freude / das mir vom
Herzen her aufstieg / nicht laut herausschallen
zu lassen. Es würgte mich ein
wenig am Halse / tat aber nicht weh
und blieb innen. In dem wunderbaren
Tumult / der mich umgab / spürte ich
die Nähe der gewaltigen Majestät des
Kaisers / war frohen Mutes ihm zu
dienen und bis an den Rand meines
Wesens geschwellt von Ehrfurcht und
Zuversicht.
Wie ich bei dem schweren Fuhrwerk
vorbeikam / fiel mir wegen seines sonderbaren
Betragens ein Bursche auf / daß
ich stille hielt und ihm eine gute Weile
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zusah. Er stand vor seinen beiden Pferden /
redete zu ihnen / und ich sah / wie er
plötzlich den Kopf des einen / es war ein
schwerer Eisenschimmel / umfaßte und
ihn mitten auf die breite Stirne küßte.
Die beiden Tiere drangen zärtlich auf
ihn ein / und wie er gerade zwischen
ihren Köpfen stand / legte jedes die
Schnauze an sein Ohr / das eine rechts /
das andere links / so daß es schien / als
wollten sie ihm freundliche Dinge sagen /
und als horche er mit Heiterkeit ihrem
Zuspruch. Dann wieder streichelte er
ihre Wangen / faßte sie unter dem Kinnbacken /
ganz wie man Weiber karessiert.
Dermaßen trieb er es eine Zeitlang /
schien auf nichts zu achten / mitten im
lärmenden Schwalle allein sich zu fühlen
und es war einem Gespräch zwischen
vertrauten Freunden vergleichbar / wie
er mit seinen Rössern tat und seine Gäule
mit ihm. War ein hochgewachsener
Bursche / breitschultrig und mit mächtigen
roten Händen. Wie ich aber sein
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Gesicht sah / war es völlig das fröhliche /
arglose Antlitz eines gesunden Kindes und
im selben Augenblicke ergriff mich eine
unerklärliche / beinahe heftige Zuneigung
für ihn / als sei er auch mein Freund /
wie er derjenige seiner Zugpferde war.
Ich ritt dann weiter / behielt aber das anmutige Bild / das sich mir geboten / in meinem Gedächtnis. Vor des Kaisers Herberge / als ich aus dem Sattel gestiegen war / fehlte mein Waffenknecht zur Stelle. Er mochte im Gewühl des Marktes sich verloren haben / und ich fand mich allein. Da begab es sich / indem ich umherspähte / wer wohl mein Pferd derweil halten könne / daß jener Bursche mit einem Male vor mich hintrat und sich dazu erbot. Mir kam wieder jene merkwürdige Zuneigung in das Herz geschossen und ich fragte ihn leutselig nach seinem Namen.
»Kaspar Dinckel / gnädiger Herr« / sagte er mit einer bescheidenen / sanften Stimme.
Als ich ihn näher inquirierte / berichtete Kaspar / daß er mit vielen anderen Fuhrleuten aufgeboten sei / die neuen Kanonen / die der Kaiser hier in Augsburg und in Ulm habe gießen lassen / der Armada voraus zu kutschieren.
Da mich sein Wesen nun einmal gefangen hatte / fragte ich ihn / ob er in meine Dienste treten wolle.
Er möchte es schon gerne / meinte er / doch müsse ich ihn zuerst seiner jetzigen Pflicht entledigen.
Wie das zu machen sei?
Ich müsse es vor dem Herrn Hauptmann Rosenzwick / dem Befehlshaber der Kartaunen und Feldschlangen anbringen. Wenn der ihm die Freiheit verwillige und ihn aus dem Gedinge lasse / sei es getan.
Mir war ohnehin der Mut in dieser
letzten Stunde gar hoch gestiegen und
hier auf dem Markte zu Augsburg
dachte ich am Borne aller Gnaden angelangt
zu sein / aus dem ich mit vollen
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Händen schöpfen und ein paar Tropfen
wohl verspritzen dürfe. Es stach mich /
vor diesem lieben Gesellen als ein vielmögender
Herr dazustehen und ich entgegnete
mit wichtiger Miene / daß ich
dem Herrn Hauptmann Rosenzwick
schon ein Wörtlein sagen wolle. Hierauf
wandte ich mich ab / um des Kaisers
Haus zu betreten / sah aber noch / wie
dem Fuhrknecht der helle Freudenfunke
aus den Augen sprang / und gelobte mir /
mein Wort noch heute zu lösen und den
braven Burschen zu mir zu nehmen.
errn Nikolaus Perrenot traf
ich in einem Prunkgemach /
wo kostbare / gewebte Bilder
aus Flandern von den
Wänden niederhingen. Es war ein stolzer
Mann mit einem blassen / klugen
Antlitz / hatte einen langen / weißen
Bart / durch den ich die verkniffenen
Lippen sah. Ich war ihm nie vorher
begegnet und es bestand keine Gemeinschaft
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zwischen mir und ihm / ob er gleich
mein Anverwandter hieß. Sein Vater
war nämlich in Burgund nur ein niedriger
Schlosser gewesen und ich meinte
nicht anders / als daß er mich mit einer
geziemenden Devotion empfangen werde /
weil ich ja doch aus edlem Blute
stammte. Aber der Sohn des Schlossers
war jetzt der Erzkanzler von Kaiser
Karl; er führte den Namen Granvella
nach einem Dominium in Burgund /
das ihm sein Herr geschenkt / und er
schien es für nichts zu achten / daß meine
Base / eine Rehberg von der Czenstochauer
Linie / seinen Sohn geheiratet
hatte. Sein Wesen war /ungeachtet seiner
geringen Herkunft / so gebieterisch /
daß ich / ohne es zu wollen / vor ihm
ganz schüchtern dastand / indessen er in
seinem Armstuhl sitzen blieb. Er meinte /
ich solle erst Soldat werden / um zu vielem
Gelde zu gelangen / dann werde er
mir eine Gesandtschaft anvertrauen / damit
ich an einem fremden Hofe meinen
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Reichtum mehren könne. Ich wußte
nichts / als ja zu sagen und mit dem Kopf
zu nicken und es tat mir nicht wohl / wie
er mich musterte und mit seinen eiskalten
Augen durchsuchte.
Währenddessen wir redeten / trat ein
junger Priester in den Saal / den ich sogleich
als den Sohn des Granvella erkannte.
Er hatte dieselben harten / verschlossenen
Mienen und diesen kühlen /
herrischen Gleichmut / der ihm stolz aus
den dunklen Augen sah. Indem er hörte /
daß wir Vettern seien / neigte er nur
leicht das Haupt gegen mich / der ich
mich von seinem Anstand wie von seinem
geistlichen Gewande bezwungen fand /
und — ob ich gleich bei mir dachte / es
müsse eigentlich umgekehrt sein — bückte
ich mich tief vor ihm zu Boden. Er war
damalen Zweiundzwanzig / also drei
Jahre jünger als ich und war Bischof
von Arras. Heute ist er Kardinal und
Erzbischof von Mecheln / derweilen ich
geblieben bin / was ich in jenem Augsburger
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Zimmer gewesen: ein armer unbegnadeter
Edelmann.
Es kamen / indem ich darinnen blieb /
nacheinander viele Menschen in das Gemach /
vornehme und fürstliche Personen /
wie ich gut merkte / und waren
auch etliche Vließritter mit dabei. Betrugen
sich aber alle mit vieler Unterwürfigkeit
gegen den Sohn des Schlossers
und nahten ihm mit Schmeichelworten.
Konnten jedoch über die
Schranken / die er mit seinen kalten Manieren
rings um sich aufgerichtet hatte /
nicht hinweg in seine Vertraulichkeit gelangen.
Während die Türen gingen /
vernahm ich aus der Tiefe des Hauses
ein wütendes Hundegebell. Mir aber
schien es nicht wie das Bellen richtiger
Hunde / vielmehr als ob Possenreißer
es wollten nachahmen und des Spaßes
wegen vortäuschten. Eben hatten sie ein
ganz erschreckliches Heulen angehoben /
als ein paar von des Kaisers Sekretären
heftig eintraten / unter ihnen Herr Johann
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Obernburger / für die Reichssachen
angestellt / stattlich anzusehn und
fett vom Leibe / daß er schnaufen mußte.
Es war der einzige / den ich von früher
her kannte. Dieser kehrte sich zu dem
Großkanzler und fing mit Getöse seine
Beschwerde an. Es sei wohl gerecht /
wenn der Kaiser die Verleumder strafe /
indem er sie auf allen Vieren laufen und
gleich dem Hundegezücht bellen lasse.
Man könne aber vor solchem Satanslärm
nicht arbeiten / werde empfindlich
gestört und glaube zuletzt / es gäbe nichts
als lauter Verleumder auf der Welt.
Der Schimmer eines Lächelns flog an dem starren Antlitz des Nikolaus Perrenot vorbei / indem er sprach / die Verleumder wüßten eben auf jede Weise die Arbeit der Rechtschaffenen zu kreuzen und man könne ihnen nirgends beikommen.
Der Bischof von Arras befahl: »Laßt sie solange schweigen.«
Ich vernahm dergleichen Dinge mit
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Staunen und es war mir nicht anders /
als sei ich hier im Vorsaal der göttlichen
Gerechtigkeit. Noch eine Weile ließ sich
das Bellen vernehmen / dann ward es
plötzlich still. Ich aber fühlte anjetzt zum
zweiten Male und noch weit heftiger als
auf dem Markte draußen die Nähe der
kaiserlichen Person und erkannte wohl /
daß er von Gott gesetzet sei / schon auf
Erden hier Seligkeit und Verdammnis
auszuteilen. Denn er strafte wie man
in der Hölle straft und ließ die Gerechten /
ob sie auch von einem Schlosser
stammen mochten / im Rate an seiner
Seite sitzen. Darob kam eine große Andacht
in mein Herz / daß ich die Mauern
des Hauses / darin ich war / mit meinen
Blicken durchdringen wollte / um der
Herrlichkeit Seiner Majestät ansichtig
zu werden / gleichwie inbrünstige Beter
durch das Gewölbe der Kirche hindurch
schauen mochten / den Glanz des Höchsten
einmal mit Augen zu erspähen.
Ich stand in großer Bewegung da /
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indessen die anderen untereinander sich
besprachen / als mit einem Male alle
Türen geöffnet wurden. Von weitem
kamen jetzt Fanfarenklänge herein / ein
hastiges Gedränge entstand und sagten
etliche / so in meiner Nähe waren / daß
der Kaiser eben aus der Messe komme
und zur Tafel gehe. Trat auch der Bischof
von Arras her zu mir und meinte
in seinem kalten hochmütigen Tone:
»Kommt mit / Herr Junker / den Kaiser
beim Mahle zu betrachten. So könnt
Ihr ihn wenigstens aus der Nähe sehen /
bis ein schicklicher Anlaß sich findet /
Euch zu präsentieren und seiner Gnaden
zu empfehlen.«
In den Kammern all / den Treppenhäusern
und Galerien / durch welche
wir schritten / war ein gewaltiger Zulauf
von Menschen und das Gemäuer
dröhnte vom Klirren der Waffen / der
schweren Sporenschritte / und vom
Lärm der Stimmen. Im Saale aber /
der weit und hoch war wie eine Kirche /
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legte sich eine festliche Stille über
die Menge / gleichsam als wäre sie von
einem dunklen Mantel überbreitet. In
der Mitten stand ein artiger Tisch / aber
nur ein einziger Stuhl davor mit der
Lehne gegen die Fensterseiten / und ich
verwunderte mich / daß der Kaiser allein
beim Essen sitzen werde. Konnte
aber diesem Umstand nicht weiter nachdenken /
denn wir mußten uns sämtlich
der Ordnung nach in einem weiten Bogen
aufstellen. Hinter uns trat eine
Reihe von Hellebardenträgern / die hielten
ihre Spieße verquer / daß der helle
Haufen von Kriegsvolk und Bürgersleuten
nicht herzudrängen konnte. Mich
hatte der gleißende Saal / die köstliche
Vertäfelung / der Prunk des Geschirres
und der Kristalle aufs Heftigste gespannt.
Dabei fühlte ich mich bedrückt
von dem Stolz / dem edlen Anstand und
der reichen Kleidung all der vielen Herren
rings um mich her. Ich kam mir
klein und elend und gar zu nichtig vor /
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und mein Blut entzündete sich plötzlich
in einem heißen / schmerzhaften Wünschen /
mühevolle und gefährliche Taten
zu vollbringen / vornehm und ausgezeichnet
zu werden und mein Haupt so
hoch zu tragen / wie ich es jetzt bescheiden
gesenkt hielt. Ein jähes Hoffen riß
sich in mir los und wie es dieser Stunde
in rasendem Flug um Jahre vorausstürmte /
wollte es mir schier den Atem
rauben.
Unterdessen aber tat sich eine Türe auf und es kamen viele Kämmerlinge herein / Schänken / Truchsesse und Pagen in wohlgeordneten Reihen / die sich alle bei den Kredenztischen / Pfeilern und Fenstern mit ernster Miene an ihre Plätze stellten.
Nun blickte jeglicher gespannt zu der kleinen Pforte in der Schmalwand und als dort zwei Pagen in den Reichsfarben sichtbar wurden / neigten sich alle auf einmal so tief sie nur konnten zur Erde / denn jetzt trat der Kaiser in den Saal.
Er hatte unser gar nicht acht / hielt nur einen Augenblick inne und reichte etlichen Personen / die hinter ihm einhergeschritten waren / die Hand. Das waren lauter kaiserliche Prinzen / Kurfürsten und regierende Herren. Durfte aber keiner mit der Majestät zu Tische gehen / sondern nahmen Urlaub / um ihre eigene Tafel aufzusuchen oder traten beiseite und schauten der kaiserlichen Mahlzeit zu / wie wir.
Ich sah / daß der Kaiser düster blickte
und erschrak darum / denn ich hatte mir's
anders gedacht. Hörte aber später / daß
er immer ein verfinstertes Wesen habe.
Es war ein wunderbar stattlicher Herr /
zierlich und nicht zu hoch gewachsen und
hatte eine feine Anmut der Glieder. Passierte
er vor den Fenstern / wo eben die
Mittagssonne hereinschien / da leuchtete
sein glattes Haar goldblond. Kam er jedoch
in den Pfeilerschatten / so zeigte es
sich / daß es hellbraun war und einen metallischen
Glanz besaß. Niemalen aber
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hatte ich ein Antlitz geschaut / das so bleich
war wie dieses. Denn es sah aus wie das
Angesicht eines Entsetzten und es war die
Blässe der zarten Schläfen / der Stirne /
Nase und der Wangen so gleichmäßig
wie die weiße spanische Halskrause / die
der Kaiser trug. Weil nun auch die Augen
so erloschen und ohne allen Glanz
blickten / weil ihm dazu der Mund mit seiner
breiten / vorgeschobenen Unterlippe
zu klaffen schien / war es / als habe man
einen Toten auferweckt und als starre
er / von der unermeßlichen Schwere des
ewigen Schlafes noch trunken / fremd
und fern in das Licht der Welt.
Als der Kaiser niedersaß / trugen sechs
junge Grafen sechs goldene Schüsseln
herbei und boten sie knieend dar. Der
Hofmeister / Herr Philippe de Beaume /
ein munterer und gefälliger Mann / den
ich vorerst in Granvellas Zimmer allerlei
Schnurren hatte treiben hören / stand
mit unbeweglichen / völlig gefrorenen
Mienen dabei und ließ kein Auge vom
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Kaiser. Dieser musterte die Speisen und
hob dann seinen Blick gleichgültig ins
Leere. Da wurden alle hinweggenommen
und es kam die zweite Tracht / die
wieder aus sechs Schüsseln bestand.
Diesmal winkte der Kaiser und erwählte
unter den leckeren Pasteten und ausländischen
Gerichten nur einen Kalbskopf /
der vor ihm auf den Tisch gesetzt wurde.
Er nahm ein blankes Messers / löste sich
vom Fleisch ein tüchtig Stück herunter
und schnitt es mit dem Weißbrot zusammen
in lauter kleine Brocken. Dann hob
er den Teller unter das Kinn und aß /
jeden Bissen mit zwei Fingern greifend /
so zierlich / daß es eine Lust war. Dabei
blinkte auf dem dunklen Bart seine
schneebleiche zarte Frauenhand und ich
erstaunte / wie er damit wohl ein Schwert
oder gar eine Turnierlanze mochte rühren
können.
Standen da etliche Narren / Hanswürste
und Philosophen in einer Reihe /
die allerhand Schabernack trieben und
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sich heruntermühten / es ihm mit lustigen
Späßen und Sentenzen abzugewinnen.
Das war jedoch / als ob sie in die leere Luft
redeten. Denn von uns blickten alle nur
auf den Kaiser / der aber blieb still für sich /
als habe er nichts gesehen / noch vernommen.
Wie er einmal verlangend das
Haupt wandte / traten in ihren langen
schwarzen Talaren die beiden Leibärzte
an den Schänktisch und mengten aus
zwei hohen Kristallkrügen den Trunk
in einen großen Becher. Der Kaiser
empfing ihn von Herrn Philippe de
Beaume / brachte ihn an die Lippen /
schloß müd die Augen und leerte den
Pokal bis auf den Grund. Ich sah /
wie er manchmal inne hielt und Atem
schöpfte / aber er setzte dabei nicht ab. Er
machte es wie die Kinder tun / die ihre
Portion mit eins bewältigen wollen /
und da er seinerzeit ein schwächliches
Knäblein gewesen / mag ihm wohl mit
vielem Zuspruch zu fleißigem Trinken
angelegen worden sein / also daß er diese
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Art gewohnt und bis in sein Alter bewahrt
hatte.
Während der Kaiser so an seinem
Tische saß und das Mahl seinen Fortgang
nahm / stieß mir plötzlich der Satan
einen argen Gedanken vor die Stirn:
daß nämlich der blasse Mann dort an
seinem Tische / den wir alle mit Neugier
umstanden / gar wohl einem fremdartigen /
gefährlichen Tiere ähnlich sei / das
hier / gezähmt / vor einer bangen Gaffermenge
seine betrübten Possen agiere.
Eilig aber nahm ich meine Zuflucht zur
kaiserlichen Person / indem ich scharf in
Obacht nahm / wie er von all den Grafen
und Edlen unterwürfig bedient wurde /
und wie er es in der majestätischen Ruhe
seiner Gebärden im stolzen Gleichmut
seiner Haltung auszusprechen schien /
daß er sich ganz allein im Saale erachte /
so viele Augen ihn auch bespähen mochten.
Da holte ich ein ander Gleichnis aus
meinem Herzen / um es dem Bösen / der
mir anwollte / entgegenzustemmen. Erschien
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mir nämlich der Tisch mit unseres
gnädigen Herrn einsamer Person wie
ein weltlicher Altar / vor dem wir aus gehöriger
Entfernung zusahen / wie eine
bedeutsame und erhabene Handlung zelebriert
wurde. Ich hatte in diesen wenigen
Stunden meines Hierseins viel
Macht der Erde geschaut und Größe der
Welt. Jetzt in diesem Saale waren sie ja
alle beisammen / die mir bisher begegnet /
und ihrer noch viel mehr. Aber wo war
jetzt im Angesicht des Kaisers ihr Hochmut
geblieben? Bei etlichen hatte er sich
aufgelöst wie neuer Schnee in der Morgensonne
und sie standen kahl in ihrer
Demut mit Befangenheit in den Augen.
Etliche freilich hatten sich noch höher
aufgerichtet / aber es war nicht ihr eigener
Stolz. Sie trugen ihn nur wie des
Königs Livree; er glänzte an ihnen nur
als der Widerschein des Lichtes / das
ihnen hier aufgegangen war. Da merkte
ich / daß nur er allein von allen die Hoheit
besaß / daß nur in seinem Wesen die Freiheit
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wohne / ihrer selbst nicht bewußt.
Und jetzt erst fing ich an / mit der rechten
Andacht seine Gegenwart zu verehren.
Der Kaiser stand auf / schob den Stuhl
zurück und es ward darauf mit wunderbarer
Schnelligkeit alles Gerät hinweggeräumt /
Tische und Schüsseln und Geschirr
beiseite geschafft / so daß der Saal
im Nu wie ausgeleert erschien. Die
Schänken / Truchsesse und das ganze
übrige erlauchte Gesinde zog ab / mit tiefer
Verbeugung nach rückwärts schreitend /
und blieb der Kaiser allein im großen
Raume stehen. Da trat ganz leise der
Bischof von Arras / mein Herr Vetter /
zu ihm heran / neigte sich / schlug das
Kreuz / faltete die Hände und betete ihm /
niedergeschlagenen Blickes / mit seiner
kalten Stimme das Gratias vor. Der
Kaiser sah ihm dabei mit seinen erloschenen
Augen von unten her ins Gesicht und
ließ die Unterlippe klaffen. Als dann
der Bischof von Arras vollendet hatte /
kam Herr Philippe de Beaume herbei /
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brachte ein Federkielchen / das der Kaiser
nahm und sich mit aller Sorgfalt die
Zähne stocherte. Hierauf trugen zwei
kleine Pagen / die wie himmlische Engel
anzusehen waren / ein silbernes Waschbecken
heran / das sie knieend über ihre
Lockenköpfe in die Höhe hielten und darein
der Kaiser seine weißen Hände tauchte.
Zuletzt trat er allein in eine Fensternische /
zog ein schief Gesicht / als sei ihm
übel und blickte nur so für sich hin.
Indem fing die Menge / die im Saale versammelt war / sich zu entfernen an und an meiner Seite stand plötzlich ein Schreiber / der mir sagte / er sei von Granvella gesendet: »Komm mit / ich soll Euch Euer Quartier weisen.«
nten vor der Haustür traf
ich meinen Waffenknecht mit
den Pferden. Ich hatte allbereits
vergessen / daß er sich
heute früh / als wir hereinritten / verloren
hatte. Und daß jener andere Bursche
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derweil meinen Gaul gewartet / daran
dachte ich kaum. Nur wenige Stunden
war ich im Hause des Kaisers gewesen /
mir aber schien es / als hätte ich unterdessen
manches Jahr durchlebt. Wie
lange war das her / seit ich an dieser erlauchten
Schwelle vom Sattel gestiegen?
Und was war ich damals noch?
Ein armer / weltunkundiger Junker.
Jetzt aber meinte ich zu des Kaisers vertrauter
Gesellschaft zu zählen; einer von
denen zu sein / ohne welche er nicht zu
Tische ging. Als ich hier die Bügel verließ /
trat ich auf / wie ich es eben gewohnt
war / hielt mich / ohne weiter auf mein
Gehaben zu achten / und wußte es nicht
besser. Jetzt aber mühte ich mich ab / den
stolzen Schritt der spanischen Herren
nachzuahmen / ihren feierlichen / großen
Anstand / und mein Gesicht sogar versuchte
die bedenkliche Wichtigkeit der
Mienen anzunehmen / die ich am Kaiser
gesehen hatte. Wie fern war jene Morgenstunde
von diesem Mittag.
Der Schreiber führte uns durch ein paar enge Gäßchen. Seiner Reden hatte ich weiter nicht acht / da er mir von meiner Unterkunft schwatzte / und daß ich es jetzt sicherlich zufrieden sein werde / ein wenig ausruhen zu dürfen. Mir war es nicht nach stille liegen noch nach Ruhe und ich merkte scharf auf das üppige Treiben / durch das wir schritten / bestaunte die vergoldeten / purpurn ausgeschlagenen Sänften / die uns begegneten / die Kavaliere auf prunkvoll geschirrten Pferden / die fremdländischen Soldaten / die in kleinen Rotten unter Trommelschlag dahermarschierten / die schönen Frauen / die ihren weißen Hals und ihre runden Brüste merken ließen / und dann die Kramläden / darinnen vielerlei gleißende Waren auslagen.
Wir kamen vor ein stattliches Haus /
von dem mir der Schreiber sagte / es sei
des Kaisers Eigentum / der eine Menge
Edelleute und Offiziere in des Reiches
Dienst darin wohnen lasse / und es sei auf
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Granvellas Befehl auch schon für mich
eine Stuben allda bereitet.
Es war ein wohlstaffiertes helles Gelaß / und indem wir es betraten / sprach der Schreiber: »Hier hat bisher der Georg Dux gehaust. Kennt Ihr ihn nicht? Er ist des Bayernherzogs Wilhelm Bastard und Obrist über fünf Fahnen.«
Dieses war ein Umstand / der mich sehr in Aufregung brachte / denn ich hatte wohl eingesehen / daß hier am Hofe alles nach einer strengen Ordnung vor sich ging und nichts ohne Bedeutung geschah. Deshalb überlegte ich / es müsse wahrscheinlich kein Geringes sein / wozu mein Oheim Granvella mich ausersehen habe / weil er mich das Quartier solch eines hochgeborenen Herrn beziehen ließ.
Als dann mein Waffenknecht mit dem
Reisesack kam / sah ich mich schon als einen
Obristen über fünf Fahnen wie den
Dux / mit einer breiten Feldschärpen um
den Leib / und eine goldene Gnadenkette
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hatte ich mir auch schon um den Hals
gedacht. Während ich auf dem schöngedielten
Boden hin und her ging / war ich
meinen Hoffnungen völlig dahingegeben /
die mich gepackt hatten und all mein
Denken in die Ferne schleiften. Ich warf
mich endlich gar vor dem Kruzifix / das ob
dem Bette hing / in die Knie / um den Heiland
anzuflehen / er möge mir soviel Ehre
geben / als ein braver Edelmann nur immer
in des Kaisers Diensten gewinnen
könne / und dabei stand auf einmal der
schöne Herr Philippe de Beaume vor
meiner Seele. Ich sah ihn mit den blütenweißen
Spitzenkragen / den Borten
am Kleide / mit seinem munteren / von
der Wichtigkeit der Aufwartung angestrafften
Gesicht / und ich dachte mir aus /
daß es auch mir dereinst könne gewährt
sein / dem Kaiser das Federkielchen zu reichen /
wenn er gespeist hatte.
Mein Waffenknecht / der ein stiller /
unterwürfiger Mann war / ließ mich
zufrieden / da er mich so in mich selbst versunken
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sah / und ordnete nur schweigsam /
auf den Fußspitzen hin und her gehend /
meine Habseligkeiten. Wie ich aber dann
meine Kleider musterte und bekümmert
überlegte / daß es doch ein gar zu unansehnlicher
Staat sei / unterfing er sich
mich anzureden.
»Ein tolles Wesen / hier in Augsburg ... gnädiger Junker« / meinte er leise.
»Schön ist's / lieber Jakob« / sagte ich darauf / so recht aus meiner Freude heraus.
»Hab' dergleichen mein Lebtag nicht gesehen« / ließ er sich wieder vernehmen.
»Dein Herr auch nicht« / gab ich ihm zurück.
»Ich muß den Herrn noch um Verzeihung bitten / daß ich am Tor nicht zur Stelle gewesen« / sprach Jakob weiter. »In dem höllischen Treiben hier hab' ich mich so verwirrt / daß ich nicht aus noch ein wußte... ist aber ein tüchtiger Kerl / der Euer Gnaden Pferd am Zügel hielt.«
Bei diesen Worten erst fiel mir der Fuhrknecht wieder ein / und mit einer seltsamen Rührung mußte ich des zärtlichen Spieles mich erinnern / das er mit seinen Gäulen getrieben.
»Hat er geschwatzt mit Dir und hast ihm was für seine Mühe gegeben?«
»Geschwatzt hat er gar nicht« / berichtete Jakob / »und was ich ihm geben wollte / hat er nicht genommen.«
»Warum nicht?«
»Er lachte mich aus und meinte / für Euer Gnaden sei es gern geschehen.«
»Hättest ihm trotzdem was geben müssen« / schalt ich.
»Ja geben« / erwiderte Jakob. »Er hat sich's nicht aufdrängen lassen. >Den lieben Herrn seh' ich schon wieder< / rief er und war weg.«
Mir war's ordentlich wie eine Freude /
daß dieser Bursch mich einen lieben
Herrn nannte. Und daß er's dem
Jakob nicht gleich aufgebunden hatte /
ich wolle ihn zu mir nehmen / erschien
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mir als eine zarte Handlung. Jetzt aber
empfand ich es auch plötzlich sehr stark /
daß ich mein Wort bei ihm gelassen und
noch mit keinem Gedanken eingelöst
hatte und ich wollte sogleich zu ihm senden /
damit er mir seinen Hauptmann
weise.
»Weißt Du wie der Bursche heißt?« fragte ich Jakob.
»Nein.«
»Also / er heißt Kaspar Dinckel und ist von den Fuhrleuten...«
In diesem Augenblick ward die Türe aufgestoßen / ein Page lief erhitzt herein und rief mir zu: »Der Bischof von Arras läßt Euch zur Tafel bitten. Folgt mir / so schnell Ihr könnt / ich soll Euch hinführen. Aber rasch. Die Herren sind schon bei Tisch.«
Dies neue Ereignis gab mir einen gewaltigen Ruck / daß ich ganz kopflos wurde / an nichts weiter mehr dachte und mich in großer Hast mit dem Knaben des Bischofs hinweg begab.
Wir hatten nur ein paar Schritte zu
laufen und langten auch schon vor dem
Hause an / wo der von Arras wohnte.
Der Page die Treppe hinauf / immer
voran / öffnete. Eine lang hingestreckte
festliche Tafel schimmerte mir entgegen.
Lärm / Gelächter / Rufen füllten den
hochgewölbten Saal. Denn es waren
gut ihrer vierzig Herren da beisammen.
Diener / Mundschänken / Edelknaben
huschten hin und her oder standen aufwartend
hinter den Stühlen. Der Bischof
hieß mich willkommen / hochmütig
und kalten Tones wie ich ihn nun schon
kannte. Er winkte einem Kavalier / der
uns vom Tische her ansah und nun herbeikam:
»Das ist mein Bruder Thomas /
derselbe / der Euere Base Margarete zur
Frau hat.« Herr Thomas Perrenot
gab mir artig die Hand und sagte: »Es
trifft sich gut / daß ich eben heute in Augsburg
bin.« Es war ein vornehmer Herr
von etwa dreißig Jahren / der den schwarzen
Bart nach der spanischen Mode trug.
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Er war hochgewachsen / aber ebenso
mager und bleich wie der Bischof. Damals
diente er dem Erzherzog Max / demselben /
der heutzutage als Kaiser über
uns regiert. »Wie geht es meiner
Base?« fragte ich / und es verdroß mich
dabei / daß mir schon wieder vor diesen
Enkeln eines Schlossers aus lauter Befangenheit
der Atem stockte. »Ich hoffe
gut« / sagte Thomas gleichgültig und
schaute nach dem Sessel / den er eben verlassen.
»Grüßt sie von mir und findet sie
in Gesundheit wieder« / sprach ich und
zwang mich dabei zu einem weltläufigen /
gelassenen Ton. Er nickte kurz und
trat von mir weg.
Zum erstenmal in meinem Leben saß ich nun in so erhabener Versammlung / speiste mit großen Herren und hatte eine Weile nichts zu tun / als darauf zu achten / wie sie sich untereinander auf spanisch / lateinisch / deutsch und französisch unterhielten.
»Ihr seid wohl eben erst nach Augsburg
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gekommen« / sprach mich mein
Nachbar zur Linken an. »Ich sah Euch
heute zum erstenmal / als der Kaiser tafelte.«
Das war ein blutjunger Mensch; kaum zwanzig / hatte ein fröhliches / vom Wetter ganz verbranntes Gesicht und lachte / wenn er redete / mit den braunen Augen.
»Wißt Ihr schon Euer Regiment?«
Und als ich bekannte / daß ich noch gar nichts wisse / riet er mir: »Macht / daß Ihr zu den Schwadronen des Markgrafen von Kulmbach kommt. Es ist eine Truppe / die der Kaiser liebt.«
»Steht Ihr bei dem Markgrafen?« fragte ich ihn.
Er lachte mit den Augen: »Ich bin ja sein Leutnant. Johann Schnabel von Schönstein / dem Herrn Junker aufzuwarten.«
Ich hielt mich an den Schnabel / weil
er hier doch der einzige war / der mir
Rede stand. Und er berichtete mir / daß
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er zwölf schöne Beutepferde besitze / Juwelen
und Dukaten genug / daß der
Markgraf von Kulmbach ein wilder /
rauflustiger Herr sei / unter dessen Fahnen
ein tapferer Offizier leichter als irgendwo
zu Kriegsruhm und Gold gelangen
könne. Mir flößte der Schnabel
immer mehr Respekt ein / weil er / soviel
jünger als ich / schon Leutnant und im
Krieg gewesen war. Am meisten aber /
weil er so dreist und mit so lachenden Augen
von all den erlauchten Herren / die
hier umhersaßen / zu reden wußte.
»Seht Ihr die zwei käsegelben Gesichter
dort / die beiden Pfaffen / die
neben dem Bischof sitzen / das sind die
spanischen Beichtväter des Kaisers.
Und dort der spitzschnauzige Kerl / dem
das schwarze Haar bis zu den Augen
herunterwächst. Das ist der Contarini /
der Gesandte von Venedig. Er ist schlau
wie ein Fuchs / bissig wie ein Wolf und
frech wie ein Dachs. Aber ich mag ihn
gerne leiden / denn ich weiß mir keinen
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andern / der dem Kaiser so ein Maul
anzuhängen wagt wie er... Schaut
Euch den Mann dort gut an... den
alten / mit der Hexennase und dem traurigen
Blick. Er hat eine Gewohnheit /
sich unterm Tisch in den Hosenlatz zu
greifen und zu kratzen / ist aber ein vielerfahrener
und berühmter Feldhauptmann:
der Wolf Fürstenberg; war
lange in Castilien / noch unterm Vater
des Kaisers... Der andere auch / der
weißhaarige Spanier neben ihm / Gonzalez
heißt er... Weiß Gott / wie alt
der schon ist / nimmt aber noch jeden
Abend einen Buben zu sich ins Bett und
es wird einmal von den Pagen einer zu
ihm in den Sarg steigen müssen / damit
er sich nur überhaupt begraben läßt.
Dort drüben sitzen alle die spanischen
Kerls beisammen. Seht Ihr... alle
ausgedörrt wie geröstete Pflaumen...
Das schnappt uns hier die besten Gnaden
weg / hat den Vließorden im Handumdrehen /
und dabei kann man sterben
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mit ihnen vor Langeweile / so steif sind
sie... Und jener Kleine dort / der aussieht /
als wolle er jeden Augenblick vom
Sessel rutschen...«
Ich hätte ihm gerne nur immer weiter gelauscht und hatte ein wunderliches Gefühl dabei aus Schrecken / Neugier und aufwachendem Verstehen gemischt. Aber der Bischof hob eben die Tafel auf. Es entstand ein allgemeines Stühlerücken / ein heftiger Lärm / da jeder seine Stimme nur noch lauter erhob / und während sie so miteinander schwatzten / durcheinander liefen / lachten und sich begrüßten, wurden die Tische von einem Dienerschwarm hurtig beiseite geschoben / an die Wand gerückt und die Stühle im Kreise aufgestellt. Man setzte sich wieder / ein jeder wo er gerade mochte / man plauderte in den Fensternischen und jetzt fingen sie wieder an / schweren Wein in hohen Krügen herumzureichen.
Ein stämmiger Mann mit einem feisten
Gesicht und lockigem Vollbart überschrie
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alle anderen / so daß ich näher ging /
um zu hören / was es gäbe. Er stand von
anderen Generalen umringt und zeterte
mit hitzigen Gebärden darauf los:
»Nein! Es paßt nicht für ihn / und es ist nicht gut für uns / diese verfluchte Kopfhängerei...«
Er trank in tiefen Zügen und ich fragte einen jungen Offizier / wer dieser Mann wohl sei.
»Den kennt Ihr nicht? Das ist der Markgraf von Kulmbach.«
Indem hatte ich überhört / was ein anderer dem Markgrafen entgegnet hatte. Der aber riß jetzt heftig den Becher von den Lippen und schaute zornig zur Seite:
»Von Geburt an? Hol' Euch der Teufel! Und warum war er dann bei Pavia so lustig / wenn er von Geburt an die Mieselsucht hat? Er muß nur wieder in den Krieg / versteht Ihr...?«
Der venezianische Gesandte saß gelassen
da und mit pfiffigem Lächeln:
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»Ich hab' ihn in Neapel gesehen / Euern
Kaiser« / sagte er / »da ist er auch recht
von Herzen fröhlich gewesen / hat mit
den Frauen karessiert und sich mit einem
silbernen Zänglein die grauen Haare
einzeln ausreißen lassen / damit er als ein
junger Stutzer gefalle.«
»Nun also!« brüllte der Markgraf. »Krieg muß er haben und schöne Weiber! Gebt ihm beides / dann habt Ihr einen fröhlichen Herrn.«
»Ach was / ich kenn' ihn besser« / fuhr der Herr Philippe de Beaume auf. »Er hat's von seinem Lehrmeister / vom Croy. Der hat ihm als Kind schon das Regieren eingebläut / davon ist er in die Melancholie verfallen.«
»Hofschwatz!« schrie der Markgraf. »Hof- und Kammerschwatz!«
»Sei doch still / Kulmbach« / rief jetzt
der alte Fürstenberg mit einer hellen /
freundlichen Stimme. »Hat der Kaiser
denn nicht Kriegsgloria genug / und kann
er nicht grad' soviel Weiber haben wie der
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Großtürke? Sei nur still / lieber Kulmbach /
da ist nichts zu machen. Er hat's
von seiner Mutter...«
Der greise Gonzalez hob das kahle / verknitterte / vom Alter braungelbe Antlitz: »Die Königin Johanna...« sagte er mit dünnem / schleifenden Ton / »die Königin Johanna... da bin ich ja damals mit in Arragonien gewesen /... bei der Abgesandtschaft war ich / die für Castilien werben kam.«
»Was denn weiter?« fuhr ihn der Markgraf Kulmbach an.
Gonzalez horchte zu ihm hinüber / als könne er ihn nicht sehen: »Damals war ein großes Fest in Arragonien... da haben sie uns die schöne Prinzessin gebracht / und mitten im Saal ihr den Halsschmuck abgenommen... ja... da konnten wir ihre frischen / runden Brüste sehen... und unserem Herrn Philipp vermelden / daß sie wohlgestaltet sei...«
»Ihr hättet ihr lieber in das Herz
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schauen sollen / statt auf die Brüste...«
meinte der Fürstenberg.
Plötzlich stand der Leutnant Schnabel mitten unter den Generalen: »Ihr habt sie vielleicht gekannt / Herr Graf?« fragte er und lächelte mit den Augen.
»Freilich...« gab ihm der Fürstenberg zurück. »Ich war ja dazumalen lange in Castilien und bin dabei gewesen / als König Philipp starb.«
»Ist es wahr / daß sie selbst ihn vergeben hat?« donnerte der Markgraf dazwischen.
»Wie meint Ihr?« fragte Fürstenberg ruhig.
»Nun / vergiftet soll sie ihn haben...« / schrie der Markgraf.
»Ihr seid sehr töricht / dergleichen laut gegen die Wände zu schmettern« / sagte Contarini spöttisch.
Schnabel ersah mich jetzt und blinzte
mich fröhlich an: »Merkt auf! Merkt
auf!« rief er zu mir herüber / »hier vernehmt
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Ihr die Welthistorie aus der
Quelle.«
Mir wurde Angst / die Generale könnten es übel ansehen / daß ich so nahe dabei war und lauschte. Achtete aber niemand meiner geringen Person / sondern steckten alle nur die Köpfe zusammen / um den Fürstenberg erzählen zu hören.
»Sie hat's mit dem König arg getrieben« /
sagte er halblaut / »und es ist kein
Wunder / wenn ihr jetzt nachgeredet
wird / sie habe ihn vergiftet. Laßt nur /
Herr Contarini« / wandte er sich zu dem
Venezianer / »in Castilien sprach damals
jeder Mensch davon. Ich selbst
habe es auch geglaubt und an den Kaiser
Maximilian geschrieben. Denn die Arragonische
ist von je eifersüchtig gewesen /
und wenn die Wut sie erfaßte / hat sich
der muntere Herr Philipp nicht zu helfen
gewußt. Damals war ein junges
Weibsbild am Hof / ein burgundisches
Fräulein / schön... wir schauten alle
nach ihr. Eines Tages fängt die Königin
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an / ihr Gemahl halte es mit der Burgunderin.
Sie ist darüber ganz von
Sinnen gekommen / hat sich den Kopf
gegen die Wand gerennt / die Brüste
geschlagen.«
»Die Brüste hab' ich gesehen...« pfiff Gonzalez dazwischen.
»Still... Ruhe...« riefen die anderen. »Weiter.«
»Und am nächsten Morgen« / fuhr der Fürstenberg fort / »am nächsten Morgen war der schöne / heitere Herr Philipp tot / war das burgundische Fräulein unter der Erde.«
»Weiter! Weiter!« Alle rückten näher heran.
»Ich weiß noch / daß ich die Königin
jammern hörte / ehe ich noch den Palast
betrat. Es war / wie wenn ein gestochenes
Tier brüllte / ein Heulen und
Winseln und rasendes Kreischen. Die
Leute liefen zusammen / standen in den
Höfen / auf den Treppen / in den
Gängen... sie rührten sich nicht und
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waren alle versteinert von diesem
Schreien.«
»Daß sie aber dann noch den Toten mit sich herumschleppte...« sagte Herr Philippe de Beaume mißbilligend in seiner kleinen / höflichen Weise.
Der Fürstenberg nickte ihm zu. »Die
Königin war von Sinnen / denn sie grub
sich in den festen Glauben ein / ihr Vater
halte sie wie einst gefangen / um sie
vom König Philipp zu trennen. Dann
wieder kehrte sich all ihr Toben gegen
Philipp: >Er lebt / er lebt< / schrie sie /
>und buhlt mit einer anderen... deshalb
werde ich hier eingesperrt!< So heftig
kam die Raserei über sie / daß man für
ihr Leben fürchtete. Da verfiel jemand /
um sie zu retten / auf den Gedanken /
man solle vor ihren Augen die Gruft
öffnen / damit sie selber nachschauen
könne / in wessen Armen ihr schöner Philipp
ruhe. Also wurde sie nach Burgos
geführt und alle glaubten / jetzt werde sie
geheilt sein / jetzt werde sie endlich auf
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eine christliche Weise trauern. Sie aber
fiel nur aus dem einen Wahn in den
anderen. Kaum hatte sie den König
durch die Glaswand des Sarges erblickt /
als sie zu schreien anfing: >Herauf!
Herauf! Du nicht allein dort unten /
und ich hier oben nicht allein!< Und
sie ruhte nicht / bis der Sarg gehoben
und in ihr Zimmer getragen wurde.
Dann lebte sie stiller / war getröstet /
und man konnte zu ihr sprechen.«
»Habt Ihr das auch mit angesehen?« wollte der Schnabel wissen.
»Ja... Ich kam etliche Wochen
später zur Königin / und fand sie in ihrer
Stube mit dem Leichnam. Ich hab'
damals geglaubt / mein Verstand gehe
zum Teufel / wie ich sie so mit dem Toten
Zwiesprache halten hörte. >Ach / der
Fürstenberg ist da< / rief sie / als ich eintrat.
>Er kommt vom Kaiser.< Dann
vergaß sie mich wieder / und redete von
anderen Dingen zu dem Toten. Der
König lag da / in seinen Staatskleidern /
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wie lebendig. Seine Wangen waren
frisch / seine Lippen rot / denn sie hatte
ihn schminken lassen / und mich schauderte
... wirklich / mir wurde heiß und
kalt / wie sie verliebt zu ihm redete / von
den Heimlichkeiten ihres Bettes zu ihm
flüsterte / ihm Vorwürfe machte / ihn
bat und flehte / und wie er nicht hören
wollte...«
»Nicht hören wollte« / lachte der Markgraf / »wenn er doch mausetot war...«
»Ihr habt gut lachen / mein lieber
Kulmbach« / sprach der Fürstenberg
darauf. »Hättet Ihr nur den König
gesehen / wie er auf seinen Kissen lag /
als ob er atmen würde. Seine Augenlider
standen noch ein wenig auf / und
es schien / als spähe er von der Seite her /
lauernd nach der Königin / und auf seinen
Lippen schwebte ein lebendiges / ein
spöttisches Lächeln... da war es / als
wollte er sich jetzt an ihr rächen / als sei
er hart und grausam und unerbittlich
51
gegen all das Schluchzen und Weinen
... da war es / als müsse es ihm ganz
leicht sein / das Haupt zu wenden und
ihren sehnsüchtigen Klagen ein gutes
Wort zu geben. Aber als wolle er einfach
nicht / und als zeige er ihr / daß er
sie in Zeit und Ewigkeit verschmähe...
Ja / mein lieber Kulmbach / ich hab' doch
all' meine Vernunft zusammennehmen
müssen / um mir vorzustellen / daß dieser
Mann dort vor zwei Monaten gestorben /
daß er weit / weit von uns entfernt
ist / daß er nicht hört und nicht sieht und
nicht fühlt und nicht denkt / und daß ich
eigentlich mit der Königin ganz allein
im Zimmer sei...«
»Einmal bin auch ich ihr so begegnet« /
fing Gonzalez mit seiner dünnen /
verknitterten Stimme an. Er saß tief
in seinem Stuhl versunken / blickte ins
Leere und redete nur vor sich hin: »Das
war lange nach Philipps Tod... Jahre
... Mitten in der Nacht bin ich ihr begegnet /
als ich mit meinen Truppen
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durch die galizischen Wälder von Orense
her nach Astorga ritt... oder war es
Braganza / wohin wir damals mußten?
... Ganz finster war es / und da kam sie
auf einmal angejagt... die Fackeln leuchteten
... man konnte das Zaumzeug
ihrer Maultiere sehen... am hellsten
aber sprühten die Fackeln um den gläsernen
Sarg... das war / als komme der
König in Qualm und Feuer dahergezogen
... Meine Soldaten mußten sich am
Wegrand aufstellen / daß der rasche Zug
vorbei könne... alle bekreuzten sich und
beteten laut... Ich aber ritt herzu und
grüßte die Königin... da ließ sie die
Bahre niedersetzen / ließ die Fackelträger
herbeikommen / neigte sich zu dem Toten
und erzählte ihm / daß ich da sei... Ich
habe ihn angeschaut... er sah aus wie
eine alte Puppe... ein wenig schadhaft
war er schon... zwei Zähne lagen ausgefallen
auf seiner Brust... die Halskrause
war schmutzig und die Farbe auf
seinen Wangen hatte Trockensprünge...
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>Er schläft< / sagte die Königin zu mir...
>er schläft noch immer und das ist gut /
denn er wird alle vergessen... im Schlafe
... alle anderen wird er vergessen haben /
wenn er dann aufwacht... Wir müssen
weiter...< meinte sie zum Abschied...
>er will nach Miranda. Ich weiß / daß
er nach Miranda will. Dort war auch
einmal eine... und jetzt muß er dort
schlafen / um auch die in Miranda zu
vergessen...< Hernach ließ sie den Sarg
heben. Sie lächelte gnädig / als sie mich
entließ / und wir schauten ihr noch lange
nach wie ihre Fackeln den finsteren Wald
hinter uns ganz erleuchteten...«
»So ein Satan von einem Weibe...«
»Nein« / widersprach der Fürstenberg. »Es war nur eine Traurigkeit in ihrem Gemüt von jeher... Gott hatte die Pforten ihrer Seele verschlossen / daß sie verdunkelt blieb wie eine Kammer ohne Fenster / nur schwarze Gedanken krochen darin umher und ein Argwohn mit blinden Augen...«
»Trotzdem« / meinte einer / »die Arragonische wird schon im Recht gewesen sein / als sie das Weibsstück aus Burgund beiseite schaffen ließ...«
Da sagte der Fürstenberg laut: »Nein! Ihr irrt Euch! Das burgundische Fräulein starb ohne Schuld. Die war mit einem deutschen Offizier verlobt. Ich hab' ihn gut gekannt. Er hat sich umgebracht / am selben Tage noch. Und das Schlimmste daran / daß er gemeint hat / sie sei ihm wirklich mit dem König untreu gewesen. Die Wut der Königin hatte ihn angesteckt. Daß man seine Braut getötet hatte / galt ihm schon als Beweis und als Strafe ihrer Schuld.«
Der Venezianer sah scharf auf den Fürstenberg: »So denkt Ihr / all die Greuel seien um nichts geschehen... und der König war gleichfalls schuldlos?«
Auch der Fürstenberg maß den Italiener:
»Das denke ich so wenig wie
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Ihr. Denn ich weiß es anders. Aber
die arragonische Johanna hat es nie erfahren /
wen König Philipp geliebt hat.
Bei all ihrer Eifersucht / bei all ihrer
Wachsamkeit... niemals...«
»Wißt Ihr es?« riefen einige zugleich.
»Ich weiß es...« sprach er leise. »Sie konnte keine Ruhe finden / als die Königin ihren Gatten aus der Gruft holte. Und wie dann Johanna mit dem Sarg in der Welt umherirrte / ist sie immer hinterdrein gefahren / kreuz und quer / ohne Rast. Jahrelang. Dann aber traf sie es besser und war als Reitbursche verkleidet heimlich im Gefolge der Johanna.«
»Warum denn? Was wollte sie...?« fragten etliche. Und andere wieder drangen in Fürstenberg: »Wer war sie? Wie hat sie geheißen? Sagt uns doch / wer sie war!«
»Das werde ich niemals verraten...«
sprach der Fürstenberg und tauschte wieder
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einen Blick mit dem Contarini.
»Aber was sie wollte / das war / den
toten Geliebten nicht bei der anderen
allein lassen... ihn sehen / solange die
andere ihn auch noch sah. Und dann:
wenn die andere den Leichnam mit verbuhlten
Reden schändete / ihn mit Gebeten
wieder reinigen.«
»Ja / konnte sie ihn denn immer sehen...?« fragte Herr Philippe de Beaume.
Und der Venezianer sagte plötzlich: »Immer! Von den vier Maultieren / die den Sarg trugen / ritt sie rückwärts das linke. Da hatte sie des Königs Antlitz stets vor sich...«
Der Fürstenberg aber wandte sich zu dem Markgrafen: »Da seht Ihr / mein lieber Kulmbach / von welch einer Mutter der Kaiser stammt...«
In der andern Ecke des Saales hoben
jetzt die Musikanten ihr Spiel an und
es stimmten auch von den deutschen Offizieren
etliche mit Gesang ein. Die große
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Türe ward geöffnet und kamen etwa
zwanzig junge Mädchen in den Saal.
In lang herabschleifende / bunte Tücher
gehüllt / schritten sie paarweise bis in die
Mitte der leeren Runde. Sogleich entstand
ein Gelächter / ein Zujauchzen /
Schreien und Getöse an den Wänden
ringsum. Die Hübschlerinnen grüßten
lächelnd nach allen Seiten. Die Musik
schwieg still. Da warfen sie sämtlich
zugleich die Arme in die Höhe / daß die
Tücher von ihnen abglitten / und nun
standen sie nackend / so wie Gott sie geschaffen /
vor der aufbrüllenden Versammlung.
In mir dröhnten noch all die neuen
Worte / die düsteren Geschichten und
dreisten Reden / die ich eben vernommen
hatte. Jetzt blendete der jähe Anblick
all der nackenden Mädchen meine
Augen / und das Blut fing mir an in
den Schläfen zu pochen. Es war nicht
anders / als ob ein schwerer Nebel vor
mir herabsinke / aber ich sah durch die
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Verschleierung meiner Sinne hindurch
die weißen Leiber glänzen / die runden
Hüften / die vollen Brüste mit den roten
Beeren darauf / ich sah das Lächeln
dieser Dirnen / ihre heißen Augen / und
noch viel mehr / und ich begann mit den
anderen zu lärmen / als nun die Mädchen
beim Schall der Pauken und beim
Tönen der Zimbeln ihren Tanz aufführten.
»Merkt auf / jetzt nehmen die spanischen Pfaffen Reißaus!« hörte ich den Schnabel flüstern.
Mitten durch den Reigen der entblößten
Mädchen schritten die beiden
hochgewachsenen / blassen Mönche und
das leuchtende Fleisch der Dirnen blinkte
hell gegen die schwarze Seide der priesterlichen
Gewänder. Sie gingen mit
gesenktem Haupte / wie um nichts zu
sehen / und die Tanzenden wichen vor
ihnen zu beiden Seiten. Nur ein ganz
junges Ding / dem die blonden Haare
wie ein goldener Mantel den schmalen
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Rücken bedeckten / sprang aus der Reihe.
Andacht und Schuldbewußtsein in
ihrem Kindergesicht / lief sie den beiden
Spaniern nach / bückte sich / als sie den
einen erreichte / haschte nach seiner Hand
und küßte sie schnell. Der Priester schien
es nicht zu merken. Das Mädchen aber
stand noch eine Weile wie entrückt.
Dann riß sie sich zusammen und tanzte
mit den übrigen im Kreise.
Die Musik wurde lauter / das Getöse und Jubilieren stieg / und ich trank von dem Weine / der immerzu dargereicht wurde / denn meine Kehle war beständig trocken.
»Gib dir keine Mühe / Markgraf...«
hörte ich neben mir eine heisere / knurrende
Stimme. Da stand ein feister /
alter Offizier / den ich schon früher gesehen /
dicht neben mir. Mit weißen
Locken / mit einem blauroten Gesicht /
von dessen Stirne die Berauschtheit loderte.
Er sah mit verkniffenen Augen
zu den Hübschlerinnen hinüber und
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schnaufte dabei: »gib dir keine Mühe /
Kulmbach« / keuchte er den Markgrafen
an / »du hast ja gehört / es wird nicht
anders... er hat's von seiner Mutter...«
»Ach was...« antwortete der in seinem wilden Ton. »Von seinem Vater wird er schon auch was haben / und der war lustig genug...«
Der feiste Offizier knurrte wieder:
»Bild' dir nichts ein... ich hab' die
langen Reden von Fürstenberg auch
vernommen. Schwatzt jeder was anderes
und keiner das Rechte. Ich sag'
dir / der ganze Mensch ist von der ersten
Stund an verpfuscht... glaub's mir...
wenn er auch der Kaiser ist... Sie hat
ihn auf einem Abtritt geboren... weißt
du das nicht? Daran liegt alles / sag'
ich dir. Seine Frau Mutter hat ihn von
sich gegeben / während sie meinte / ihr
Wasser zu lassen... Das war eine Komödie /
damals in Gent / als sie den Ball
abhielten / und die Königin / wie's am
schönsten war / beiseite ging. Die Hofleut'
61
hätten es gern vertuscht... aber das
Knäblein zeterte / als sie's aus dieser feinen /
ersten Wiegen herauszogen. Das
hörten die Wachen / und brachten's aus
... Laß gut sein... er ist auf einem Abtritt
geboren / und seither scheint ihm die
ganze Welt zu stinken. Er bringt den
Geruch nicht aus der Nasen.«
Der Alte lachte wieder. Ich aber faßte den Schnabel heftig an: »Wer ist der Kerl / der solche Scherze wagt...?«
»Der?« sagte Schnabel mit seinen fröhlichen Augen. »Er hat ein grobes Maul / sonst aber ein treuherziger Mann ... es ist der Rosenzwick / der die Kanonen über hat...«
»Rosenzwick...« Der Name fiel in
meine verwirrten Sinne. Rosenzwick
... ich griff ihn auf / und stöberte in meinem
Gedächtnis nach irgend einem Gedanken
mit diesem Namen / wie man
mit einem Lichte im Finstern nach verlorenen
Dingen sucht. Rosenzwick...
aber das Wort flackerte nur so über
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mein Denken hin und verlosch gleich
wieder.
»Er redet übrigens nur / was jeder weiß« / sagte der Schnabel / und seine Augen jubelten wieder. »Die Kammerfrau / die dazumal der Königin Johanna Hilfe brachte / hat sich noch kürzlich in Flandern hochberühmt / sie habe den Kaiser Karl aus dem Dreck gezogen...«
Eh ich mich deswegen noch besinnen konnte / fuhr ein schreiendes Lachen auf / daß ich dem offenen Kreis mich wieder zuwandte.
Da sprang ein schlankes Weib an mir vorbei / drehte sich wie toll / und warf die Arme / indessen ihr von den Brüsten und vom Nacken hellroter Wein in breiten Bächen herabstürzte.
Ich tat einen Schritt vor / und sah
den Bischof von Arras unfern von mir
in seinem Lehnstuhl sitzen / wie er in hocherhobener
Hand ein Kelchglas schwang
und wie gerade ein anderes Mädchen an
seinem Sitze vorübertanzte. In diesem
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Augenblicke schleuderte der Bischof ihr
den roten Wein mitten ins Gesicht. Ich
betrachtete meinen Vetter / den Bischof.
Er war viel bleicher noch als sonst / hielt
die schmalen Lippen hart zusammengepreßt
und starrte mit brennenden Augen
auf die blinkenden Frauenleiber /
die sich vor ihm drehten. Sein Knabe
füllte ihm aus einer hohen Kanne beständig
frischen Wein in den Pokal / und
im Bogen schleuderte der Bischof dann
die berauschende Flut auf jede Dirne /
die tanzend in seine Nähe kam.
Alle die im Kreise umherstanden / stießen
jenes schreiende Lachen aus / so oft
der Weindunkel an Schultern / Armen /
Stirn oder Nacken der Mädchen klatschend
aufspritzte. Der Wein funkelte
in roten / dampfenden Lachen auf dem
Estrich / benetzte die nackten Füße der
Tanzenden / daß es aussah / als ob sie
im Blute wateten / er rann von weiß
glänzenden Rücken / floß ihnen die blinkenden
Hüften herab / alle Mädchen
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waren davon mit unzähligen funkelnden
Perlen besprengt. Der Wein rann
ihnen über die Augen / zog schimmernde
Streifen über ihre Wangen / lief ihnen
über den Hals und betäubte sie mit seinem
schweren Duft.
Ein starkes Weib mit zornigen Augen trat vor den Bischof. Er schwang den Arm und der Burgunder traf sie dicht unter der Kehle. Sie hob mit beiden Händen ihre vollen Brüste / neigte den Kopf und schlürfte mit den Lippen den süßen Trank / der ihre Haut benetzte / indessen alle ihr zuriefen und lachten. Dreimal schleuderte der Bischof die Fülle des Pokals gegen sie. Dann aber fing sie an / sich feierlich zu drehen und die von ihr absprühenden Tropfen bespritzten die andern Mädchen wie ein feiner Regen.
Es kam auch das blonde / junge Ding /
das dem kaiserlichen Beichtvater so inbrünstig
die Hand geküßt hatte. Wie ein
Kind war sie noch / mager an allen Gliedern.
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Als des Bischofs Wein sie traf /
fuhr sie schaudernd zusammen / und ich
merkte / da ich ihr mit den Augen folgte /
wie es sie oft noch überlief.
»Gefällt Euch die Kleine dort?« stieß mich der Schnabel an / »ich schick' sie in Euere Stuben / wenn Ihr sie haben wollt...«
»Ja / sie gefällt mir...« sagte ich.
Uns gegenüber hatte einer von den deutschen Reitern das starke Weib an die Wand gedrückt / hielt sie an den Brüsten fest / indessen seine Kameraden allerlei Kurzweil mit ihr trieben. Der Bischof von Arras schüttete mit ernsthaft zusammengepreßten Lippen einen Becher nach dem andern über zwei üppige Dirnen / die sich vor ihm mit unzüchtigen Gebärden umschlungen hielten.
Aus der schallenden Musik hervor /
über die Musik hinweg / kam eine heftige
Stimme: »Ist der Herr Wenzel auf
Rehberg im Saale...?« Und noch einmal /
den Lärm der Instrumente niederpressend:
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»Ist der Herr Wenzel auf
Rehberg da? In des Kaisers Namen!«
Als hätte der Burgunderwein des Bischofs mich selbst auf bloßem Leib getroffen / zuckte ich zusammen / da mir mein Name aus diesem wüsten Treiben plötzlich entgegenflog. Mir war nicht anders / als sei ich auf einer Missetat ertappt worden / und ich zitterte / weil ich gewahrte / daß des Bischofs Augen suchend umhergingen.
Der Schnabel stieß mich in die Seite: »Ihr seid ja doch der Rehberg...«
Da sah ich nun ein / daß ich mich nirgends mehr verbergen könne / sprang mit einem langen Schritt vor / stand beschämt und niedergeschlagenen Blickes da und es drehte sich alles um mich herum.
»Seid Ihr der Herr Wenzel auf Rehberg...?« rief die heftige Stimme wieder.
Ich nickte nur und schwieg.
»Dann folgt mir auf der Stelle.
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Denn der Kaiser begehrt Euch zu sehen.«
Jetzt war es auf einmal ganz ruhig in mir. Auch im Saale war es völlig still geworden und die Musik hatte ausgesetzt. Ich erhob das Antlitz und sah wie alle nach mir schauten / ernst / neugierig und mit Achtung. Nur der Bischof / den ich grüßte / schien mich gar nicht zu bemerken. Ich ahmte die spanische Würde nach / als ich nun quer durch den Kreis der nackten Weiber schritt. Sie wichen vor meinem Weg zur Seite / wie vorhin vor den Priestern. Ich sah noch die blonde Kleine neben mir / wie sie von unten her mit geducktem Halse ehrfürchtig zu mir aufblickte. Ich sah einen Tropfen roten Weines leuchtend wie ein Rubin auf ihrer Brustspitze schweben. Dann stand ich an der Türe vor dem alten Kämmerling / der meiner wartete / und war draußen.
n des Kaisers Herberge ward
ich über halb dunkle Treppen /
durch dämmernde Galerien /
an den schweigsam
hinwandelnden Garden vorbei in dasselbe
Zimmer geführt / das ich heute
Morgen betreten hatte.
Der Herr von Granvella war da und besprach sich leise mit einem der kaiserlichen Leibärzte. Als er mich gewahrte / sagte er: »Wartet.«
Ich stand im Zwielicht des weiten Raumes / hörte nur das Flüstern der beiden / und die tiefe Stille des kaiserlichen Hauses / in der alle Verwirrung des Weines und der Weiber von mir abglitt.
Indessen huschte der Arzt aus dem Zimmer und Granvella redete mich an: »Der Kaiser findet keinen Schlaf... es ist Gelegenheit / Euch vorzustellen... habt Ihr Euch eine besondere Truppe gewählt / dann sagt es mir jetzt...«
Ich überwand die Scheu / die mich
bei seiner kalten Stimme befiel / und
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brachte unter Räuspern und Schlucken
heraus: »Wenn ich beim Regiment
des Markgrafen Kulmbach eintreten
könnte...«
Granvella stand ohne zu antworten auf / schritt zu einer niederen / verborgenen Türe und winkte mir. Während wir durch ein paar hohe / spärlich erhellte Gemächer gingen / redeten wir keiner ein Wort. Vor einer hohen Pforte blieb er stehen und sprach mich kurz an: »Beugt ein Knie vor dem Kaiser / und tretet nicht allzu nah an ihn heran. Redet nicht / es sei denn / er fragt Euch. Und vor allem / schaut ihm nicht zu dreist in das Antlitz.«
Da ging eben die Türe sachte auf / der andere Leibarzt kam heraus und ließ uns den Weg frei.
Mich schüttelte ein Fieber der Ehrfurcht / als ich in der Tiefe des großen Saales beim schwachen ruhelosen Schein einer Kerze des Kaisers ansichtig wurde.
Bleich und verfallen tauchte sein Angesicht vom dämmernden Zwielicht umwoben aus der Finsternis des Gemaches. Er stand hinter einem kleinen Tisch / hatte beide Hände auf die weiße Marmorplatte gestemmt und wie seine dünnen Arme aus dem dunklen Samt der Schaube hervorkamen / waren sie so weiß wie der Stein / worauf sie sich stützten.
Kniend vergaß ich Granvellas Befehl und schaute ergriffen zum Kaiser empor. Ihm hob und senkte sich das Kinn / wie er mit der klaffenden / vorgeschobenen Unterlippe nach Atem schnappte. Wirr stand sein kurzer Bart aus den Wangenhöhlen und seine Augen blickten erschöpft ins Leere.
Ich vernahm wie Granvella sprach /
aber er hatte jetzt eine gedämpfte / liebreiche
und demütige Stimme: »Dieses
ist der Junker Wenzel auf Rehberg /
der sich der kaiserlichen Gnade empfiehlt.
Er stammt aus einem alten böhmischen
71
Hause / ist mir verwandt und bittet /
unter Eurer Majestät Fahnen eingestellt
zu werden.«
Der Kaiser sah mich an / mit einer unermeßlichen Gleichgültigkeit und wie aus der Ferne. Dann glitten wieder seine Blicke über mich hinweg ins Leere. Granvella redete weiter: »Geruhen Eure Majestät Erlaubnis zu geben / daß der Junker bei dem Markgrafen von Kulmbach sich melde...«
Weil keine Antwort kam / blickte ich wieder auf und merkte / daß der Kaiser zitterte. Ein Beben ging durch seinen schmalen Leib. Er riß die Hände vom Tisch und starrte mit Entsetzen darauf nieder / als drohe ihm von da her eine Gefahr. Ich sprang schnell auf / da verfärbte sich der Kaiser noch mehr und war wie von einem kalten Grausen an allen Gliedern geschüttelt. Ich spähte rasch / was seine Augen gebannt halte / und gewahrte eine kleine graue Spinne / die / vom Scheine des Lichtes angelockt /
mit hochgehobenen Beinen langsam ihren Weg über den Marmor nahm.
Herzuspringend / schlug ich das Tier mit der flachen Hand und wischte es hinweg.
»So« / entfuhr es mir leise und ich lächelte dem Kaiser zu.
Seine Brust keuchte und er sah mich verstört an. Gleich darauf winkte er heftig mit der Hand gegen mich / drohend / seine Mienen krochen zusammen / wurden spitz und böse und Granvella herrschte mir zu: »Entfernt Euch / Junker! Entfernt Euch!«
Gescheucht verließ ich das Gemach / ereilte die Treppe und wollte heim / als mich der Kämmerling anrief und mir von Granvella meldete / es sei alles in Richtigkeit /ich solle mich morgen früh nur zum Markgrafen begeben.
Wie ich aus dem Palaste trat / stand
der Vollmond am Himmel und beschien
den weiten Platz mit den schlafenden
Häusern. Nur wenig Schritte hatte
73
ich getan / da flog das eiserne Klirren
rasenden Hufschlags durch die Stille.
In dem tiefen Schatten einer engen
Gasse kam es heran. Ich sah nichts als
die Funken aus den Steinen spritzen /
näher und näher / als liefe das Pferd
dort auf einer schmalen Feuerspur durch
die Finsternis. Und ehe ich mich noch besinnen
konnte / brach es auch schon aus der
Dunkelheit der Seitengasse in das freie
Mondlicht: ein Rappe / vom Dampf
seines Schweißes wie von einem Geisternebel
umwallt / ein schwarzgepanzerter
Mann darauf / dem der schwarze Mantel
um die Schultern flatterte / und nur
die goldene Mantelspange blitzte hell / als
trage er seine glühend gewordene Seele
mitten auf der Brust. Den Platz querüber
sauste er dahin / und es war / da er
vor dem Haus des Kaisers anhielt / nur
ein einziger Augenblick: das letzte Aufsprühen
der Funken unter dem dröhnenden
Eisen / das Niederschmettern des
Pferdes / das wie von einem Streich gefällt
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hinschlug / als wollte es die Flammen /
die seine Hufe aus dem Boden
gestampft hatten / mit dem eigenen Leib
ersticken / und der jähe Sprung des Reiters
auf die oberste Stufe des Tores.
Aufgerichtet stand er als ein dünner
schwarzer Streif vor der weißbeschienenen
Mauer / dann glitt er wie ein
Schatten in den Flur. Mir zuckte es /
wie ich so völlig erstarrt da stand / durch
die Glieder: Da ist der Satan um Mitternacht
zu dem Kaiser gekommen...
Dann zwang es mich gleich zu dem
gestürzten Tier / aber wie ich mich
darüber beugte / war es in Blut und
Schaum verendet / und von dem
Mondlicht / das in seinen gebrochenen
Augen schimmerte / kam ein solches
Grauen in mein Gemüt / daß ich erschreckt
entfloh. Auf dem raschen Weg
zur Herberge ward ich gepeinigt von
einem Elend / das ich nicht kannte /
dessen Nähe aber ich beklommen fühlte
und ein Ahnen öffnete sich in mir
75
wie eine frische Wunde / die schmerzhaft
ist und blutet.
In meiner Stube aber war das kleine blonde Mädchen / das der Schnabel mir gesendet hatte. Die sparte mir das Alleinsein. Ich schloß sie erlöst in meine Arme / wie sie / als ich kam / nackend im Bette sich aufrichtete. Und ich ergötzte mich an ihr bis zum Morgen.
er Schnabel weckte mich frühe.
»Heraus mit Euch!« schrie er und seine Augen lachten über mir. »Die ganze Armada ist auf den Beinen / wir marschieren!«
Schnell war ich vom Lager auf und nach und nach fiel mir erst wieder ein / daß ich in Augsburg sei / und was mir seit gestern alles begegnet war.
»Der Markgraf hat schon Botschaft
von Granvella« / erzählte mir der
Schnabel / unterdessen ich mich rüstete.
»Er soll Euch aufnehmen. Na / Euch
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kann's nicht fehlen / wenn der Granvella
Euer Gönner ist...«
»Er ist mein Anverwandter...« sagte ich stolz.
Mir fiel der schwarze Reiter wieder ein und ich erzählte dem Schnabel von dieser Erscheinung.
»Das ist der Alba gewesen...« sagte er. »Der steht jetzt in Ungarn im Felde. Er hat ein junges Weib daheim in Spanien / und nun reitet er / wenn's der Krieg erlaubt / vierzehn Tage lang / um eine Nacht bei ihr zu schlafen.«
Wir ritten durch enge Gassen und hatten Mühe genug / rasch vorwärts zu kommen. Von überall her liefen Soldaten zusammen / die Hörner wurden geblasen / die Trommeln allenthalben gerührt / und es war ein Rufen und Schreien und Waffendröhnen / welches mich mit Lust erfüllte.
Wie wir aufs freie Feld kamen / sah
ich weithin überall Truppen / die sich
sammelten und formierten. Die bunten
77
Feldzeichen und Fahnen wimpelten
hoch im Morgenwind. Der Himmel
aber war tief von dunklen Wolken verhängt
und die Luft rauh. Doch das
kümmerte mich nur wenig / denn ich
war dem kriegerischen Getümmel ganz
dahingegeben.
»Dort stehen die Kulmbachschen Reiter!« meinte der Schnabel. Wir sprengten herzu und trafen gleich den Markgrafen / der sein Roß tummelte und nach allen Seiten Befehle erteilte.
»Herr Markgraf / hier ist der Rehberg!« rief der Schnabel.
Ich verhielt mein Pferd und zog den Hut.
»'s ist gut Herr / 's ist gut...« rief mir der Markgraf kollernd zu.
Ich wollte meinen Gruß und Einstand nach Gebühr hersagen und tat den Mund auf.
»'s ist gut / Herr!« brüllte mich der
Markgraf an / »haltet das Maul / ich
werd' schon selber sehen / was Ihr
78
könnt...« damit warf er sein Pferd
herum / und ließ mich verdutzt / wie ich
war / zurück.
Die Schwadronen stellten sich in Ordnung. Ich nahm meinen Platz vor der Front neben dem Schnabel. Wir sahen jetzt nichts vor uns als freies Ackerfeld / das sich bis zu den Mauern von Augsburg hinzog / und rechts und links von uns die anderen Truppen zu Fuß und zu Pferd in einigen Treffen aufgestellt. Ich war fröhlich / weil ja nun alles für mich erst seinen rechten Anfang nehmen sollte.
Auf einmal vernahmen wir von weit her Zurufe wie ein Brausen / die Trompeter fingen alle zu blasen an / die Trommeln und Pauken schlugen Wirbel.
»Der Kaiser!« sagte der Schnabel.
Und da kam er herangeritten / in großem
Abstand hinter ihm sein Gefolge.
Er ritt auf einem schlanken / braunen
Tier / das unter ihm wie im Tanzschritt
ging und seinen Reiter sanft zu wiegen
79
schien. Indem er näher kam / sah ich
die Blässe seines Gesichtes von einem
ganz feinen Rosa-Hauch überflogen.
Die Unterlippe klaffte freilich wiederum
herab / so daß man seinen offenen
Mund von weitem schon wahrnahm.
Als er an unserer Front vorbeisprengte /
ging ein leiser Regen an und ich sah / wie
der Kaiser sein Barett abnahm / es unter
dem Mantel verbarg und barhaupt
weiter ritt. Ich verwunderte mich dessen /
aber der Schnabel rief mir voll
Munterkeit zu: »Seht / was für ein
Filz! Da hat ihm der Fugger vor zwei
Tagen das neue Barett aus Lyoner
Samt verehrt und jetzt fürchtet er / es
verdirbt / steckt's ein / als könne er sich
keinen neuen Hut kaufen...«
»Was redet Ihr da für Unsinn?« fuhr ich den Schnabel heimlich an.
»Unsinn?« gab er lachend zurück / »fragt wen Ihr wollt / er ist ein Filz / und macht's immer so...«
Indessen war der Kaiser vorüber und
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nach einer Weile rückten wir ab. Der
Regen hörte bald auf / aber der Boden
war aufgeweicht und der Straßenkot
spritzte uns bis an die Hüften. Das
schwere Fuhrwerk / darauf die neuen
Kanonen waren / zog dem Heere ganz
voran. Dahinter kam das Fußvolk /
zwölf Fahnen stark / das der Baron
Madrizzi befehligte / nachher ritten wir
von des Kulmbachs Kürassieren / uns
folgten dann die übrigen Soldaten / der
Kaiser mit Troß und Wagen und die
Nachhut.
Ich ward gleich beim Ausmarschieren an des Markgrafen Seite befohlen. Er schien mir jetzt recht gnädig und meinte: »Wenn Ihr gehorsam seid und tapfer / Freund / dann will ich dem Herrn Granvella gern die Liebe tun und Euch befördern...«
Ich dachte nun freilich bei mir / wenn
ich gehorsam bin und tapfer / sollte ich
wohl ohne Granvellas Fürsprache zu
Ehren kommen / unterfing mich aber
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nicht / dergleichen laut werden zu lassen
und sagte nur: »Ich werd' mich schon
zusammennehmen.«
»Wenn wir abends rasten« / sprach der Markgraf / »will ich Euch in Eid und Pflicht nehmen... 's ist gut / Herr!«
Ich wußte jetzt schon / was dieses »'s ist gut / Herr« bedeute / wollte mirs nicht noch einmal so schön erklären lassen / wie vordem / zog den Hut / und ritt an meinen Platz / zur Seite des Zuges.
Ein paar gute Stunden ging es nun vorwärts. Ich ließ meinem Pferd die Zügel / es ging im langsamen Trott mit den anderen / ich gab mich meinen Gedanken hin und lauschte auch wohl den Liedern / die unsere Reiter angestimmt hatten.
Die Kürassiere sangen:
Dann wieder sangen die Reiter:
Es war eine nachdenkliche und milde Melodie und doch wie verhaltener Sturm darinnen. Hell und dunkel erschien mir das Lied / hob mein Gemüt hoch empor und umfing es doch wieder mit Beklommenheit.
Da plötzlich kam von hinten her ein
Reiter vorbeigeprescht / ganz dicht am
Straßenrand und fuhr wie das böse
Wetter dahin / daß mein Tier erschreckt
in die Hinterfüße stampfte. Und im
Blitz des Vorbeisausens erkannte ich /
daß es der Kaiser sei. Bis auf den heutigen
Tag weiß ich nicht / was mich antrieb.
War es die Erinnerung an den
Schwarzgepanzerten von heute Nacht /
der seinen Gaul zu Tode gejagt / die
mich jetzt befiel / war es die Wut / die ich
83
im vorübersausenden Kaiser verspürte
und die mich mitriß / oder all die in mir
angesammelte Erwartung / die jetzt mit
einem Mal in mir zu sieden begann...
ich hackte die Sporen ein und galoppierte
dem Kaiser nach. Hinter mir fegte das
Lied her / das die Reiter sangen / vor
mir stob der Kaiser dahin und es war /
als müsse ich ihn erjagen. Ich wußte
von nichts mehr. Mir klangs nur in
die Ohren: »Ich weiß nicht / bin ich arm
oder reich. Oder geht es mit mir zum
Verderben.« Und sonst konnte ich weiter
nichts denken. Den Kaiser einzuholen /
war ich nicht imstande / aber wie
wir beim Fußvolk vorübersprengten /
hörte ich ihn zu dem Obristen hinüberrufen:
»Es geht all zu langsam. Das
Fuhrwerk muß rascher fahren.«
Jetzt waren wir bei den schweren
Wagen / die in langer Reihe bedächtig
dahinzogen und Mühe hatten im tiefen
Kot nicht stecken zu bleiben. Jetzt sah
ich / wie der Kaiser über einen Kutscher
84
herfuhr / der neben seinen Gäulen fürbaß
schritt. Jetzt sah ich des Kutschers
Hand / wie sie auf dem Hinterteil des
einen Zugpferdes auflag / diese breite /
rote / große Hand... ich erkannte sie in
der Sekunde: Das war der Kaspar
Dinckel / den ich vergessen hatte. Wie
ein Feuer gings mir jetzt auf / und zugleich
auch / daß ein Unheil bevorstehe.
Eine furchtbare Beschämtheit und eine
eiskalte Angst schnürten mir im Nu die
Kehle. Ich spornte mein Pferd wie
rasend. Jetzt hatte ich Eile / jetzt auf einmal
hatte ich Beflissenheit und Drang
und Begier / dem Kaspar Dinckel mein
Wort zu halten.
Aber ehe ich ihn noch erreichen konnte / war alles schon vorüber.
Ich hörte das breite vlämisch gequetschte Deutsch / womit der Kaiser ihn anschrie: »Treib Deine Gäule an / Bursch / es geht all zu langsam...«
Er rührte sich nicht / zog seine Hand
nicht vom Schenkel des Pferdes / ließ
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sie breit darauf liegen wie vorher. Unbekümmert
schritt er dahin / den blonden
Kopf zwischen die breiten Schultern geduckt /
mit schleppenden Schritten. Ich
sah / daß er widerspenstig war. Ich trieb
mein Pferd / daß es schnaubte. Ich
stellte mich in den Bügeln auf. Wenn
ich dazu komme / wenn er mich erkennt /
dann ist alles gewonnen. Rascher als
ein Funken aufstiebt / jagte die Angst
mir solches Erwägen hervor.
»Hörst nicht / Kerl!« schrie der Kaiser und seine Stimme schnappte. Der aber ging / die Hand auf dem Pferde liegend / als höre er nichts / als sähe er niemanden.
»Kaspar...!« wollte ich rufen / denn nun war ich nahe.
Aber der Kaiser hatte seinen Stecken erhoben und schlug zu. Ich sah den Streich auf die breite Schulter herabzucken / ein kleiner / schwächlicher / boshafter / rasch hinschnalzender Streich: »Da hast...« kreischte der Kaiser / »da hast...!«
Da reckte sich der Fuhrknecht auf. Mir stockte der Atem wie er's tat. Wie er dastand / das gute Angesicht von einem jähen Zorn lodernd und bös zusammengefaßt / wie er ausholte mit dem Arm ... Und im weiten Bogen pfiff seine Peitsche / pfiff und schmitzte dem Kaiser übers Haar / über die Stirn / mitten über das kleine / blasse / entsetzte Antlitz.
»Daß dich spanischen Bösewicht Gotts Element schänden möge!« rief er mit seiner schweren / langsamen Stimme. Und stand noch aufrecht mit freier wutbrennender Stirn und schimpfierte den Kaiser noch mit den funkelnden Augen.
Er kennt ihn nicht / durchfuhrs mich /
kennt den Kaiser nicht und dabei durchfuhr
mich die unerklärliche Zuneigung /
die ich für den Burschen hatte / durchfuhr
mich der Jammer über sein Elend /
durchfuhr mich die Pracht seiner Gebärde /
die frische Kraft seines ausschwingenden
Armes und zugleich auch
87
durchfuhr mich Geringschätzung gegen
den schwächlichen /kleinen Mann /der da
verkauert im Sattel hing und von dem
jungen Kutscher gepeitscht worden war.
Mit Gewalt riß ich mich aus dem
Zwang dieses Augenblicks / ließ mein
Pferd noch ein paar Sprünge tun und
befand mich an des Kaisers Seite. Jetzt
erst ersah mich der Kaspar Dinckel.
Zu spät. Wäre er auch nur um zwei
Atemzüge früher meiner gewahr geworden /
ich hätte ihn noch retten können.
Seine grimmig gestrafften Züge
lösten sich im Nu. Das Gesicht wurde
ihm gleich ganz hell. Er lächelte mir
entgegen und senkte doch wieder rasch
in Beschämung die Augen. Ich wollte
ihn anreden / aber da hörte ich den Kaiser
zischen und pfauchen und wie ich
mich gegen ihn wandte / deutete er nur
immer mit fuchtelndem Arm wie rasend
auf den Kaspar / indessen sein Mund
keuchend offen stand und ihm der
Schaum über die Lippen trat. Seine
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Stimme war von Wut / von Schmerz
und Krampf völlig verhängt / jeder Ton
zugeschnürt / und vom Schnappen des
Atems zerpreßt. »Henken...!« kreischte
er »... Henken...! stracks... an den
nächsten Baum!« Seine Augäpfel verdrehten
sich / er stieß nur ein kurzes Heulen
noch heraus / das umkippte ehe die
Zunge es erwischen und ein Wort daraus
machen konnte. Dann sank er
nach hinten über / als sei er von einem
Lanzenstoß aus dem Sattel gerannt.
Es hatten sich etliche Leute schon herumgesammelt / von denen einige den Kaiser auffingen. Andere legten allbereits Hand an / um Kaspar zu fahen.
»Das ist der Kaiser gewesen / dem Du so mitgespielt hast...« rief ich nun laut. »Laßt ihn los / er hat den Kaiser nicht gekannt...«
Die Männer gaben ihn frei und Kaspar Dinckel bekreuzte sich. »Dann sei Gott meiner Seele gnädig...« sagte er.
Wir sahen einander traurig in die Augen / und mir preßte eine solche Pein das Herz zusammen / daß Kaspar es wohl merken mußte: »Ich hab wirklich geglaubt / es sei nur so einer... von den spanischen Windhunden...« Und weil ich schwieg / setzte er hinzu: »Die wollen immer nur die Gäule schinden...«
»Wirf Dich zu des Kaisers Füßen / Kaspar...« rief ich und fühlte wohl / wie meine Lippen dabei zitterten.
»Ach nein« / sagte Kaspar mit sanftem Trotz in den Augen. »Nun ist es getan / nun sollen sie mir auch den Strick drehen...«
»Bitt um Dein Leben / Bursche!« Ich wollte streng sein / wollte daß es ein Befehl werde / aber es klang wie ein angstvolles Bitten und es schauten alle erstaunt zu mir her.
»Dem Kaiser ist sehr übel...« sagte
einer von den spanischen Rittern / die
nach und nach herbeigekommen waren.
Ich sah hinüber / den Kaiser von den
90
Seinigen umringt / halb im Sattel sich
wieder aufrichtend. Seine Augen waren
noch verdreht und wie gebrochen
und sein Kopf wackelte hin und her.
»Was gibts da / was war da?« rief eine schmetternde Stimme vor mir / die ich kannte. Es war der Hauptmann Rosenzwick / der um sein Fuhrwerk bekümmert / an den Kreis sprengte.
»Der Knecht da... hat den Kaiser ins Gesicht gehaut...«
»Mit der Peitschen...«
»Nein / mit der Faust...«
Die Leute schrien durcheinander.
»Er soll gehenkt werden / hat der Kaiser befohlen.«
»Sogleich an den nächsten Baum..«
Der Rosenzwick schielte von der Seite her zu der Gruppe hinüber / wo der Kaiser war / und ich meinte zu bemerken / wie ein leises Schmunzeln unter seinem weißen Schnurrbart zuckte.
»So! So!« knurrte er. »Dann henkt ihn nur gleich auf.«
Schon ward Kaspar wieder an der Schulter ergriffen.
Aber ich warf mich dazwischen: »Herr Hauptmann vergönnt mir ein Wort...« Ich ritt ganz nah an seine Seite. »Der Bursch da ist ohne Schuld. Hat den Kaiser nicht erkannt. Ich bitt Euch / Herr / laßt ihm Zeit / und ich werfe mich dem Kaiser zu Füßen. Ich bitt Euch / ich bitt Euch / ich bitt Euch!« Halb von Sinnen schrie ich ihm das zu. Er sah mich an.
»Was wollt Ihr junger Mann?«
»Laßt mir den Burschen... ich steh mit meinem Kopf für ihn. Gebt eine Stunde Frist...« Und die Frage in seinem Auge erspähend / antwortete ich vorweg: »Ich bin der Junker Wenzel auf Rehberg / stehe bei dem Markgrafen von Kulmbach... und ich bitt Euch... ich bin in das Schicksal dieses Burschen verstrickt...«
»Es ist viel gewagt / Herr Junker.«
»Ich wage alles« / schrie ich auf. »Alles wage ich.«
»Nehmt ihn also auf eine Stunde..«
»Ich danke Euch / Herr Hauptmann ...« Und eilig befahl ich / daß Kaspar hinweggeführt werde / zu meinen Reitern.
»Erst bindet ihn« / befahl der Rosenzwick / »er muß gebunden werden ...«
»Ich mags nicht leiden...« rief der Bursche wie toll. »Bin mein Lebtag nicht gebunden worden... sollen mich lieber gleich aufhängen...«
»Kaspar...« redete ich ihn an. Da bot er willig seine Hände dar und lächelte noch nach mir zurück / als sie ihn fortbrachten.
»Zum Kaiser jetzt« / sagte ich mir /
riß mein Pferd herum und lenkte es
ins Gras / wo seitab vom Wege das
Gefolge noch immer um den Herrn bemüht
war. Sie hatten seinen Gaul
gewendet / daß er nun mit dem Rücken
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gegen die Straße stand / auf der die
Truppen langsam vorbeizogen.
Es war ein dichtes Getümmel um den Kaiser / denn alle Personen von Rang waren herbeigesprengt / weil es im Flug durch die Armada geeilt war / der Majestät sei ein Unglück geschehen.
Den Markgrafen von Kulmbach / der auch mit dabei war / ging ich sogleich um seine Fürsprache an. »Laßt mich zufrieden mit Eurer Narrheit« / schrie er mir in die Augen. »Der Kerl soll baumeln!«
»Herr Markgraf« / drang ich auf ihn ein / »des Burschen Blut kommt über mich...«
Er brüllte. »Was geht's mich an? Lamentiert nicht so um solch ein Vieh ... es wird so schad nicht sein...«
»Erlaubt Herr Markgraf« / sprach
da der Rosenzwick dazwischen / »es ist
ein kreuzbraver Geselle / der den Kaiser
nur in aller Unschuld geschlagen
hat... und« — er schien wieder zu
94
schmunzeln — »aus Haß gegen die
Spanier...«
»Er hat nicht gewußt / daß es der Kaiser war« / begann ich wieder.
Der Markgraf wurde ruhig und nachdenklich. Das benützte ich und fing nochmals von vorne an und stellte ihm den ganzen Hergang dar.
»Schließlich« / sagte der Rosenzwick / »was braucht er sich um mein Fuhrwerk zu kümmern?... Was braucht er meine Kutscher schlagen... zum Teufel mit dem ganzen Unwesen / dem spanischen!«
»Jawohl!« schrie der Markgraf plötzlich heraus / »henken... henken... bei uns nur immer henken / spießen und rädern... Wegen solch einer verdammten Dummheit einfach henken...!«
Indessen ward in dem Getümmel eine Gasse frei und der Kaiser kam langsam hindurchgeritten. Er war noch sehr bleich und blickte wie im Traum.
»Sitzt ab und kniet...« flüsterte mir der Markgraf zu.
Wie der Blitz waren wir alle von den Pferden und ich lag auf dem Boden. Der Kaiser hielt an und hinter mir hörte ich den Markgrafen sprechen: »Dieser Junker da / wenn es Euer Majestät nicht mißfällt / bittet um Gnade für den armen Fuhrknecht...«
Der Kaiser verzog das Gesicht / schaute umher / als spähe er an den Bäumen und sprach mit erwürgter Stimme: »Noch nicht gehenkt?«
»Der Junker da bittet um Gnade« / fuhr der Markgraf unbekümmert fort.
»Henken! Henken!« schrie der Kaiser.
»Es ist ein ehrlicher Mensch!« knurrte der Rosenzwick. »Schenk Euer Majestät ihm das bißl Leben... ein braver Kerl.«
Auf den Knien liegend / das Haupt gesenkt / hörte ich über mir des Kaisers Stimme / breitgequetscht / überschnappend / zornig: »Henken! Henken!«
Ich sprang auf / denn ich mochte es nicht länger leiden im Staube vor ihm zu liegen. Nun wollte ich sprechen / sann darüber nach / womit ich ihn wohl bewegen könnte / aber wie ich ihn so vor mir erschaute / ganz blaß und armselig und mit giftiger Miene umherlauernd / meinte ich ihn zu ertappen / wie er sich inwendig freute / uns zu quälen / wie es ihn nach unseren Bitten gelüstete und da ging mir eine schallende Rede im Kopf herum / die ich nicht wegbrachte / sie ward lauter und lauter und schlug mir beinahe zum Mund heraus: Daß dich spanischen Bösewicht Gotts Element schänden möge! Ich wandte die Augen von ihm / sah an ihm vorbei zur Straße hinüber / wo all die Soldaten dahinzogen. Die läßt er alle marschieren / mußte ich denken. Das Lied sprang in mir auf. »Er macht es wie's ihm gefällt.« Ist alles ringsumher nur für ihn / und das zwang mich wieder / ihn anzuschauen.
»Er hat des Kaisers hohe Person nicht gekannt« / sagte eben der Markgraf. Aber es kam kein Bescheid. Wir standen umher / wußten nichts zu sagen und mir fiel plötzlich wieder ein / was ich tags zuvor hatte denken müssen: Daß wir alle um ihn herumstanden / wie um ein fremdartig Tier. Jetzt war es mir genau wiederum so. Dort saß er zu Pferd / blickte spähend / mit Angst und Wut / mit Haß und Schadenfreude auf uns. Hier standen wir und schauten mit Angst und Neugierde auf ihn / und lag eine unermeßliche Weite zwischen uns wie von Ufer zu Ufer des Meeres / wie von einer Welt zur anderen.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen /
aber als ich zu reden anfing /
ward ich staunend gewahr / daß ich gar
keinen Mut mehr nötig hatte. Alle
Scheu war von mir gewichen und ich
sagte laut: »Ich biete mein eigenes Leben
für das des Knechtes...« in mir
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selbst aber ging eine andere Rede weiter:
Daß dich spanischen Bösewicht Gott's
Element schänden möge!
Der Kaiser blinzelte mich an. Ich schwieg. Zwei- / dreimal wollte ich anheben und weiter reden / er aber blinzelte mich wißbegierig an / wie man einen Menschen betrachtet / der den Veitstanz hat / oder dem sonst sehr übel ist. Und ich schwieg unter diesen blinzelnden Augen. Ich haschte in meinem Herzen nach der Courage / die mir entgleiten wollte; es half nichts / sie schwand mir dahin und hätt' ich mich gleich zu Tode geschämt / sie war mit einem Male fort / irgendwo in mir verkrochen / von den Blicken des Kaisers verscheucht und kam erst langsam wieder hervor / als nun ein anderer zu reden begann.
Das war der Markgraf. Indessen
schaute ich auf den Striemen in des
Kaisers Antlitz. Er lief aus dem Haar
hervor / die Stirne abwärts / sprang von
den Brauen zur Wange und stürzte
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sich / ein dünner brandroter Faden / in
den schütteren Bart.
Plötzlich hörte ich den Rosenzwick sagen: »Es ist mein Kutscher / gnädiger Herr / laßt ihn mir / ich will ihn schon strafen. Nur gehenkt soll er nicht werden / denn er ist brav und hat's nicht verdient.«
Der Kaiser wandte seinen Blick zu mir / als wollte er mich auffordern / weiter zu bitten. Von beiden Seiten stießen mich der Markgraf und der Rosenzwick an: »Ich flehe um Eurer Majestät Gnade. Es ist ein so lieber Bursche / ich wollt' ihn in meine Dienste nehmen / Majestät / ich bin schuld daran / Majestät ... mein Herz hängt an dem Gesellen.«
Der Kaiser lächelte. So überraschend war dieses Lächeln / daß ich fassungslos zu sprechen aufhörte. Da stieß mich der Rosenzwick an / daß ich erwachte: »Kniet nieder und dankt dem Kaiser... Euer Bursche ist begnadigt...«
Ich warf mich flüchtig zur Erde / hielt die Hand vor den Mund / damit das Jauchzen in mir nicht laut hervorschmettern solle /und dann murmelte ich irgend ein Zeug ohne Sinn / stotternd ... Majestät... und wieder... Majestät. Wie ich aber zu Pferde sprang / fing ich einen seltsamen Blick auf / den mir der Kaiser nachsandte. Es war wie ein kaltes Staunen / und als ob er mir's nicht gönnen wolle / daß ich nun meinen Willen hatte. Im Abreiten spürte ich ihn noch im Rücken hinter mir herstechen / diesen Blick / und alle meine Freude war davon wie verschüchtert. Da ich jedoch nach kurzem Traben dem Kaspar begegnete / den sie gefesselt hinter unserer Schwadron einherführten / war ich doch des Glückes voll / weil nun alles so gut abgelaufen schien. Ich winkte ihm zu / lächelte / und schrie: »Gebt ihn los / Ihr Leute / der Mann ist frei!«
Kaspar schwieg still. Doch während
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sie ihm dann abseits des Weges im Grase
die Stricke lösten / schauten wir einander
an / und mir war so warm zu Mute /
als hätte ich einem verlassenen Kinde
Gutes erwiesen.
Sowie Kaspar der Bande ledig war / hob er mit einem singenden Schrei die Arme hoch in die Luft / warf die Hände / und trieb es fröhlich genug. Alle lachten. Ich lachte auch / und am meisten der Kaspar.
Dann trat er zu mir / und den Hals des Pferdes streichelnd / sagte er: »Es ist derselbe Fuchs / den Ihr gestern hattet...«
»Und von heut' ab sollst du ihn pflegen« / meinte ich.
Kaspar schaute lachend zu mir auf: »Jetzt muß ich schon Euch gehören / gnädiger Herr / denn Ihr habt mich ja gradaus vom Galgen geholt.«
»Was bist du auch so dreist?« schalt ich ihn.
Er aber meinte: »Ich bin gar nicht
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dreist / Herr Junker / mich hat's nur
wegen der Pferde verdrossen...«
Indessen sprengte einer von den spanischen Offizieren heran. Er hielt am Wegsaum / wie er uns auf der Wiesen erspähte / kam dann zu uns / und an sein Hütchen greifend / fragte er mich: »Ist das dort der Schuft / der dem Kaiser mit der Peitschen ins Gesicht gefahren ist?« Und ohne meine Antwort zu erwarten / rief er die Soldaten an: »Heda! Hole einer von Euch den Profosen. Aber schnell!«
»Was wollt Ihr?« rief ich zornig. »Der Kaiser hat ihm gerade das Leben geschenkt.«
Da meinte der Spanier höhnisch: »Das Leben freilich. Das will ich ihm auch nicht nehmen. Aber seine Nase und seine Ohren wird er mir schon hergeben müssen.«
Kaspar sah mich erstaunt an und
ich wurde zornig: »Kein Haar werdet
Ihr dem Burschen da krümmen...«
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schrie ich dem Spanischen ins Gesicht.
»Ihr werdets nicht hindern...« erwiderte er mir langsam.
»Herr!« ich hob mich dabei in den Bügeln / »ich rat Euch / treibt Eure Possen anderswo...«
»Ich treibe keine Possen. Ich komme vom Kaiser.« Er sprach immer langsam und wie mir schien verächtlich.
»Er ist begnadigt... in Teufels Namen...« / sagte ich erbost.
»Da habt Ihr recht« / rief in diesem Augenblick der Leutnant Schnabel / der eben herangaloppiert kam. »Da habt Ihr recht... in des Teufels Namen begnadigt. Gebt Euch zufrieden Rehberg / es ist wie der Hauptmann sagt.«
Nun wurde mir plötzlich Angst. »Was meint Ihr denn?« fragte ich den Schnabel / »der Kaiser...«
Der Schnabel lachte verlegen: »Den
Galgen hat ihm der Kaiser geschenkt...
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ja... freilich... aber ungestraft läßt er
seine Keckheit nicht.«
Weil er nun merkte / wie's mich angriff / redete er mir im Ernste zu / und berichtete mir genau / was des Kaisers Wille sei: »Ihr habt Euch zu rasch davon gemacht / Junker Rehberg. Der Kaiser folgte Euch lange mit den Augen / ward dann nachdenklich und befahl zuletzt / was Ihr vom Spanier gehört habt. Es soll ein Signum sein / sagte der Kaiser / daß der Bursch sich an kaiserlich römischer Majestät Person vergriffen hat. Schaut nicht so wild und faßt Euch. Es ist nichts mehr dran zu ändern...«
»Und hat niemand« / fragte ich verzagt / »hat niemand von Euch ein Wort darüber gered't?«
»Das hat der Rosenzwick sich erlaubt.« Schnabel lachte wieder. »Der hat ja immer ein loses Maul.«
»Und was sagte er dem Kaiser?« drängte ich.
»Er meinte / nun habe der Junker Rehberg sich vergeblich gefreut / und es sei doch nur eine halbe Gnade.«
»Weiter nichts!« fuhr ich empört heraus / »weiter hat er ihm nichts gesagt ...«
Schnabel war erstaunt: »Noch mehr? Wißt Ihr denn / was der Kaiser darauf erwidert hat? Wer hieß den Junker sich freuen / meinte er. Und dann: wenn ihm der Bursch gar so lieb ist / wird er ihn auch ohne Nase und Ohren behalten...«
»Gewiß« / rief ich aus / »ich will ihn halten und pflegen und er soll mir nicht geringer sein / weil ihn der Henker geschändet hat.«
Und plötzlich / ich wußte selbst gar nicht warum / brach ich los: »Was hab ich denn dem Kaiser getan / daß ihn meine Freude verdrießt?«
»Besinnt Euch« / meinte der Schnabel scharf / »der Kaiser weiß nichts von Euch / er kennt Euch nicht...«
In diesem Augenblick sprach mich Kaspar an. Er hatte während dieser Wechselreden immer nur mich voll Zuversicht angeschaut. Jetzt stand er neben meinem Bügel und redete zu mir: »Ist es wahr / gnädiger Herr / daß ich solchen Gräuel erleiden soll?«
»Es ist wahr / mein armer Kaspar ... leider Gottes...« Ich vermochte seinen Blick nicht auszuhalten.
Da faltete er die Hände / und seine Stimme klang seltsam verändert / wie aus einem Abgrund zu mir herauf: »Gnädiger Herr / das nicht... um mein Leben hätte ich nie gebeten... aber laßt das nicht an mir geschehen... ich bitte Euch.«
»Kaspar« / antwortete ich ihm / »bei Gott / ich kann dir nicht helfen. Ich will gern alles für dich tun / was du nur verlangst / aber...«
Er fiel mir ins Wort: »Ist das
Euer Ernst / daß Ihr alles für mich tun
wollt?« Und seine Augen trafen mich
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mitten ins Gesicht / als suchten sie nach
meinem guten Willen.
»Ich schwöre es dir / Kaspar« / sagte ich in diesen Blick hinein / »was du verlangst / will ich tun.«
Er spähte rasch zur Seite nach dem Spanischen und dem Schnabel / die sich miteinander unterhielten. Dann flüsterte er auf die Pistole in meinem Sattel deutend: »Da habt Ihr etwas / was mir helfen kann.«
»Kaspar« / rief ich leise. »Du bist ein Mann / wirst es verschmerzen und noch lange leben... bei mir leben.«
»Nicht bei Euch und nicht anderswo. Ich ertrag's nicht / gnädiger Herr. Verzeiht mir / aber das leid ich nicht. Haltet Euer Wort / und alles wird sein / als hätt' mir der Kaiser nicht das Leben geschenkt... besser noch / denn der Henker wird mich nicht angerührt haben...«
Ich schaute / während er mit festem
Tone also redete / in sein helles Gesicht /
darauf die Jugend blühte / und auch
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mir war's unerträglich / daß er von Blut
und Wunden sollte entstellt / unkenntlich
und verstümmelt werden. Ich war
auf einmal beinah froh und wie getröstet /
weil der Kaiser damit um seinen
Willen kam und ganz sachte flüsterte
ich ihm zu: »Nimm dir / was du willst...«
»Nein« / entgegnete er mit einem unbeschreiblichen Lächeln. »Ich selbst darf es nicht tun / um meiner Seele Willen« / und dabei drang er mit seinen Augen in mich ein.
»Kaspar...« / sprach ich / »... Freund...«
»Macht schnell...« flüsterte er mir zu / »jene werden nicht mehr lange warten / und der Spanier soll mich nicht haben.«
»Nein« / gab ich zurück / als lenke er meine Worte in mir / »der Spanier soll dich nicht haben...«
Er lachte frisch auf und trat näher heran.
»Kaspar...« fing ich an / »vergib mir die Schuld / die ich um dich trage...«
Er streichelte die Mähne meines Pferdes: »Gnädiger Herr / ich hab nichts zu vergeben / vielmehr müßt Ihr mir verzeihen /... und laßt Euch danken / weil Ihr so barmherzig zu mir seid.«
»Kaspar« / sagte ich noch einmal / aber er hatte seine Wange auf den Hals meines Pferdes gelegt. So stand er vor mir und sah zu mir herauf / und ich hörte / wie seine Hand die Brust des Tieres klopfte / damit es ruhig bleibe.
Da zog ich das Pistol hervor und während wir uns in die Augen schauten / setzte ich ihm den Lauf an die Schläfe. Wie dann der Schuß fiel und der erschrockene Gaul ein paar Schritte tat / sah ich Kaspars lächelndes Antlitz unter mir versinken und sah noch / wie es im Abgleiten von der ersten Blässe des Todes überflogen ward.
Jetzt gab ich meinem Tier die Sporen
und sprengte im Bogen auf die
Straße zurück. Rascher als vor kurzer
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Frist der Kaiser an mir vorbeigesaust
war / galoppierte ich die Reihen entlang
bis ich den Markgrafen ersah / inmitten
seiner Offiziere. Stracks redete ich ihn
an: »Herr Markgraf / vergönnt mir /
daß ich Abschied nehme.«
Der wilde Kulmbach sah mich verdutzt an und die an seiner Seite waren / horchten auf.
»Was gibts / was wollt Ihr?« fragte der Markgraf.
»Abschied von Euch nehmen / Exzellenz« / sagte ich ruhig.
»Ihr seid wohl toll geworden?« brüllte er los.
»Das bin ich keineswegs / Herr Markgraf. Ich war es gestern und heut vielleicht / aber in dieser Stunde bin ich wieder bei Sinnen.«
»Ich versteh Euch nicht!« schrie der Markgraf erbost. »Laßt mich in Frieden / ich mag das Geschwätze nicht. Macht / daß Ihr auf Eueren Platz kommt!«
»Mein Platz / edler Herr / ist nicht hier / und deshalb will ich Urlaub nehmen.«
Ein junger Leutnant mengte sich ein. »Gewiß ist es die Sache mit dem Fuhrknecht / die Euch verdrießt. Macht doch nicht so viel Wesens um solch einen Kerl.«
Bevor ich ihm aber antworten konnte / wetterte mich der Markgraf an: »Ich weiß es schon! Da habt Ihr wider des Kaisers Mandat verfahren / Herr. Seid froh / daß ich Euch nicht schwer drum büße.«
»Ihr könnt mich gar nicht büßen / Herr Markgraf / denn noch habt Ihr mich nicht in Eid genommen. Ich aber will auch gar nicht mehr zu des Kaisers Fahnen schwören.«
»Habt Ihr gestern so gewollt und heute so? Seid Ihr ein kleines Kind / oder habt Ihr mich zum besten? Wißt Ihr / daß es gradaus in den Krieg geht / und macht Euch unterwegs davon?«
Der Junge lachte höhnisch.
»Herr Leutnant« / antwortete ich seinem Lächeln / »wenn Ihr mit mir dort auf die Wiesen wollt / da möcht ich Euch schon zeigen...«
»Der Teufel wird mit Euch auf die Wiesen!« tobte der Markgraf / »wer die Sache des Kaisers verläßt / ist ein Schelm und mit Schelmen ficht kein ehrlicher Soldat!... Macht / daß Ihr fortkommt!« fuhr er mich an / als ich ihm entgegnen wollte.
Langsam wandte ich mein Pferd und langsam ritt ich querfeldein / bei Tag und bei Nacht / bis ich wieder zu Hause war / in Böhmen.
nd es sind viele Jahre verflossen
seit jenem Tag. Kaspar /
dachte ich damals...
Er war gerechter gegen das
liebe Vieh und milder / als der Kaiser
gegen ihn gewesen. Der Kaiser / dachte
ich weiter. So ist dies alles geschehen:
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Weil ich nur in seine Nähe kam / hat
mich die Hoffahrt ergriffen / daß ich
dem armen Burschen / der mir am
Platz zu Augsburg die Zügel hielt /
gleich meinen Dienst verhieß. Und dann
hat mich dies Treiben so weit von meinem
Worte fortgerissen / daß ich seiner
nicht mehr gedachte. Wie geht das zu /
dachte ich / was für eine Luft weht da /
daß ich so schlecht werden mochte / solch
ein Prahler / und so von Eitelkeit und
von Untreue ergriffen? Neben mir stand
der Rosenzwick in jenem Saale / wo die
nackten Dirnen tanzten. Hätte ich ihn
angeredet / mit wenig Worten nur gebeten /
dann wär der Kaspar nicht mehr
beim Fuhrwerk gewesen / sondern bei
mir / der Kaiser hätte ihn nicht angeschrien
und mit dem Stecken geschlagen /
und er hätte dem Kaiser nicht die Peitschen
ins Gesicht geschmitzt. Dann läge
er jetzt nicht dort / als ein Toter auf dem
Anger bei Augsburg / sondern könnte
sich seines Lebens und seiner Jugend
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freuen noch viele Jahre. Ein Wort
damals von mir / nur eines. Nicht einmal
den Fuß hätte ich rühren brauchen /
nicht einmal den Kopf wenden / nur den
Mund auftun / so dicht stand der Rosenzwick
an meiner Seite. Aber ich war
in Völlerei / war in Wollust versunken /
in schnöder Gier nach Rang und Ehre
und hab' des armen / aufrichtigen Burschen
vergessen. Und weiter ist es geschehen /
weil diese Schuld auf mir lag /
daß mein Herz jauchzte / als ich den
Peitschenhieb gegen des Kaisers Antlitz
erblickte. Es ist geschehen / daß dieser
geringe Bursche / dem ich die Treue
gebrochen / vor mir den Arm erhob und
gleichsam den Schleier von des Kaisers
Angesicht herabriß / also daß er mir als
ein kleiner und elender Mensch plötzlich
enthüllt ward. Es ist geschehen / daß
ich ihn keuchend boshaft / mit Schaum
vor dem Mund in all seinem Jammer
erschaute / daß ich den feigen Blick aus
seinen Augen ertappte und daß ich in
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meinem Gemüte vergeblich suchte nach
der frommen Ehrfurcht vor dem Gesalbten
des Herrn. Was war aus mir
geworden von einem Tag auf den andern
seit ich in Augsburg eingeritten
voll Andacht und Achtung und voll Begier /
dem Kaiser mein Schwert zu
weihen? Es hatte sich also gewendet /
daß ich ihn / wie ein Verräter / heimlich
einen spanischen Bösewicht gescholten /
und daß mein Arm als Rebell nach dem
Schwert gezuckt hatte / um es gegen
meinen Herrn zu ziehen. Es hatte sich
also gewendet / daß mir jener niedere
Knecht / der unter meines Pferdes Hufen
veratmet hatte / teuerer war / als
Kaiser Karls Majestät.
Und es sind viele Jahre verflossen
seit jenem Tag. Nun aber ist mir die
Kunde geworden / Kaiser Karl habe
vor wenig Monden all seine Kronen
von sich abgetan / sei in ein spanisch Kloster
gegangen / und ein Mönch geworden.
Ist ihm doch auch nicht wohl gewesen /
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und ich hab ihn am Ende doch
nicht gekannt. Was wußte der Kulmbach
von mir / und was konnte er denken /
da ich ihm so davonging. Und was
weiß ich vom Kaiser / als daß er in jener
Unglücksstunde zornig gewesen. Einen
Schelm hat mich der Markgraf geheißen /
aber das ist leicht gesagt. Die
Menschen reden und wissen nichts voneinander /
und man kann es ihnen auf
keine Art beweisen / wie sie Unrecht tun.
Und die Welt ist so geworden / daß der
Kaiser des Kaisers Sache verläßt. Ich
bin kein Schelm. In Gottes Namen.
Druck von W. Drugulin in Leipzig.