Title: Die Sitten der Völker, Erster Band
Editor: Georg Buschan
Release date: January 28, 2022 [eBook #67262]
Language: German
Original publication: Germany: Union Deutsche Verlasggesellschaft
Credits: Peter Becker, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
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Liebe·Ehe·Heirat·Geburt·Religion·Aberglaube·
Lebensgewohnheiten·Kultureigentümlichkeiten·
Tod und Bestattung bei allen Völkern der Erde
Bearbeitet auf Grund der Beiträge hervorragender Fachgelehrter wie
T. J. Allridge, Baudesson, E. Eylmann,
G. Grandidier, A. C. Haddon, Sven Hedin,
E. Hoffmann-Krayer, Ch. Hose, H. Johnston,
T. Atoll Joyce, Th. Koch-Grünberg, A. Krämer,
H. Maître, R. Parkinson, Ch. Rudy, C. G. Seligmann,
B. Spencer, R. Temple, E. Thurston,
A. J. N. Tremearne, L. A. Wadell u. a. m.
von
Dr·Georg Buschan·
Erster Band
Mit 500 Abbildungen im Text, 11 farbigen
Kunstbeilagen
und 3 Kunstblättern in Doppeltondruck
Stuttgart, Berlin, Leipzig * Union Deutsche Verlagsgesellschaft
Nachdruck verboten
Alle Rechte vorbehalten
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart
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Seite
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Einleitung
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Australien und Ozeanien
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Polynesien und Mikronesien
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Die Fidschiinseln
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Melanesien
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Australien
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Asien
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Indonesien
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Die Philippinen
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Malakka oder die malaiische Halbinsel
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Andamanen und Nikobaren
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Hinterindien
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Siam
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Birma
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Französisch-Indochina
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China
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Nach
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Zugehöriger
Text Seite |
Feuerlauf auf Fidschi
(vor dem Titel)
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Zwei Mädchen aus Tutuila
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Wellenreiten der Hawaiinsulaner
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Klubhaus der Palauinsulaner
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Duk-Duk-Tänzer (Gazellehalbinsel)
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Tänzer vom Flyrivergebiet in Festtracht
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Kanuhaus auf Neumecklenburg (Siar)
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Rorohäuptling im Festschmuck
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Szene aus einem Korroborie
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Dajakfrauen mit Menschenschädeln in den Händen,
zu einem Tanze versammelt
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Hahnenkampf auf Borneo
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Betende Menge vor einer Pagode in Rangoon
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Verbrennung der Leiche eines Mönchs in Birma
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Totenzeremonie der Chinesen in Tientsin
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Bei allen Kulturvölkern, in noch ausgeprägterem Maße bei denen, die die höchste Stufe der Zivilisation noch nicht erklommen haben, begegnen wir unter dem gewöhnlichen Volke, vor allem auf dem Lande, indessen auch unter den gebildeteren Schichten eigenartigen Gewohnheiten, Sitten, Anschauungen und Zeremonien, die uns in unserem aufgeklärten Zeitalter recht sonderbar erscheinen, manchmal direkt abgeschmackt und töricht anmuten. Und doch steckt hinter solchen Gewohnheiten, über die wir, wie gesagt, lachen möchten, zumeist ein tiefernster Sinn, den wir aber von unserem christlichen Standpunkte aus nicht zu fassen vermögen. Früher begnügte man sich einfach damit, diese Absonderlichkeiten, denen wir beinahe auf Schritt und Tritt in unserem gewöhnlichen Leben begegnen können, sofern wir nur danach suchen, als den Ausfluß krassen Aberglaubens zu betrachten, über dessen Entstehung man sich keine weitere Vorstellung machte. Seitdem aber die vergleichende Volkskunde sich dieser Dinge angenommen und die Beobachtung gemacht hat, daß sich ähnliche Gebräuche, Sitten und dergleichen nicht nur beim eigenen Volke finden, sondern vielfach auch bei wohl allen höher und niedriger stehenden Völkern angetroffen werden, ja sogar bei den auf der untersten Stufe der Kultur stehenden Völkern, den sogenannten Wilden, und hier in besonderer Häufigkeit und ausgedehnter Ausbildung, so daß ihr ganzes privates und öffentliches Leben und Treiben von solchen zeremoniellen Handlungen gleichsam durchsetzt erscheint, seitdem wir dieses alles festgestellt haben, gewinnen alle diese abergläubischen Gebräuche, Sitten, Veranstaltungen, Redensarten, Zauberformeln und ähnliches mehr eine ganz andere Bedeutung in unseren Augen. Wir wissen jetzt, daß es sich um Überreste uralter, ursprünglicher Anschauungen handelt, die auf den heidnischen Glauben unserer Altvorderen zurückgreifen und sich ähnlich bei den auf primitiver Stufe lebenden Naturvölkern finden, also ein Gemeingut der ursprünglichen Menschheit vorstellen. An einer Reihe Beispiele sei dies nachstehend weiter ausgeführt.
In den Dörfern Thüringens pflegen die Kinder am Pfingstheiligabend Lärchenbäume zu holen und sie um den Dorfbrunnen herum einzugraben, die Mädchen aber bunte Papierketten anzufertigen, Girlanden und Kränze aus Fichtengrün zu winden, ausgeblasene, bemalte Eier auf Schnüren aufzureihen und schließlich die Bäume mit diesem Putz zu schmücken. Dieser schönen Sitte liegt der alte heidnische Gedanke zugrunde, die Quellen zur Frühlingszeit zu schmücken und auf diese Weise für das segenspendende Element den Quellgöttern den schuldigen Dank abzustatten. In Bayern ist es auf dem Lande Sitte, bei unreinem Trinkwasser in dieses einen glühend gemachten Stein hineinzuwerfen; bei den Wanderzigeunern Siebenbürgens muß ein Weib, das gern Mutter werden möchte, Wasser trinken, in das der Mann glühende Kohlen unter Hersagen der Worte: „Wie ich die Flamme bin, so sei du die Kohle!“ geworfen hat. Beide Male dürfte dieser Aberglaube mit der reinigenden Kraft des Feuers zusammenhängen. In katholischen Gegenden Süddeutschlands werden am Morgen des Sonnabends vor Ostern alle Kirchenlichter ausgelöscht, und mit Hilfe von Stahl und Feuerstein, Hohlspiegel oder Kristallen (Linsen) wird ein „neues“ Feuer[S. vi] erzeugt, an dem man die Altarkerzen anbrennt. In feierlicher Prozession begibt man sich darauf auf den Kirchhofplatz, wo ein mächtiger Holzstoß errichtet wurde, und zündet diesen mit einer dieser Osterkerzen an, verbrennt auch in seiner lodernden Flamme die Wolle, die der Priester bei der Taufe oder beim Spenden der letzten Ölung zum Abwischen des heiligen Öles gebrauchte, Kirchenlichterreste, alte Meßgewänder und anderes mehr, und wirft schließlich an manchen Orten eine Strohfigur hinein, die den Verräter Judas Ischariot darstellen soll. Dieses ganze Verfahren ist gleichfalls ein Überbleibsel jener uralten heidnischen Feuer, die vorzeiten zu Ehren der im Kampfe über die froststarrenden Winterriesen siegreichen Licht- und Frühlingsgötter bei unseren Vorfahren emporloderten und vermöge ihrer läuternden Kraft die schädigenden und unheilbringenden Dämonen verscheuchen sollten. Der gleiche Gedanke liegt den im Anfange des vorigen Jahrhunderts bei uns noch üblichen Not- oder Willfeuern zugrunde, die veranstaltet wurden, wenn Mißernte, Viehseuche, Pest oder ähnliches Mißgeschick ein Dorf heimgesucht hatten; nachdem alle Feuer in der Gemeinde ausgelöscht worden waren, kamen die jungen Burschen zusammen und erzeugten durch Reiben oder Drehen eines runden Holzes in der Vertiefung eines anderen ein Feuer, von dem sich die Dorfbewohner erst wieder mit ihrem Hausfeuer versorgten, und mit dem sie einen Haufen Reisig in Brand steckten, dessen Asche über die Felder gestreut und den kranken Tieren in das Fressen gegeben wurde. In Holstein wird zwischen Fastnacht und Ostern ein Spiel von den Kindern gespielt, bei dem die eine Hälfte der Mitwirkenden einen Ring (Kreis) um die in der Mitte sitzende Königstochter bildet, die andere Hälfte aber draußen steht und die Kette zu durchbrechen und unter Absingen von Liedern die gefangene Königstochter zu befreien sucht. Dieses von den Kleinen heutzutage gedankenlos betriebene Spiel enthält noch Anklänge an den Glauben unserer Vorfahren von dem Kampfe der Winter- und Sommergötter. Nach dieser Anschauung wurde die Sonnengöttin von den Winterriesen geraubt und in einer Eisburg gefangen gehalten, aus der sie befreit werden mußte, weil sie sonst der Erde den Lenz nicht zu bringen vermochte.
Die Griechin, die fruchtbar zu werden wünscht, berührt mit ihrem Unterleib in der Nähe der Kallirrhoe bei Athen einen Felsen; diese Handlung steht offenbar zu dem Opfer in Beziehung, das ihre Vorfahren vordem der Mutter Erde aus dem gleichen Grunde darzubringen pflegten. Die Spanierin der Pyrenäen tut das gleiche an einer steinernen Figur in der Nähe von Bouy d’Oueli, sie umarmt und küßt außerdem noch die Statue. Hierin liegen offenbar Anklänge an den Phalluskultus. Deutlicher traten solche noch Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts in der kleinen italienischen Stadt Iseria zutage, wo alljährlich am 27. September die unfruchtbaren Frauen in der Kapelle der beiden Märtyrer Kosmas und Damian aus Wachs hergestellte Opfer darbrachten. Im Dorfe Tunxdorf in der Provinz Hannover besteht noch heute die Sitte, daß die jungen Mädchen am ersten Sonntage im Mai Spalier bilden und eine etwa anwesende jung verheiratete Frau zwingen, dazwischen durchzulaufen, und ihr dabei leichte Schläge mit einer Rute versetzen. Dieses Stäupen oder Auspeitschen, bei dem sich das junge Volk weiter nichts denkt, und das in anderen Gegenden noch vielfach nicht nur an Menschen, zum Beispiel am Aschermittwoch, sondern auch an Tieren und Bäumen vorgenommen wird, geschah früher in der Absicht, die Fruchtbarkeit der betreffenden Person, Tiere und Pflanzen zu steigern. Daher wurden ursprünglich die Frauen mit der Gerte auch auf den Unterleib geschlagen; später, als diese ursprüngliche Bedeutung des Schlagens verloren gegangen war, erstreckte sich das Stäupen auf den ganzen Körper, wenigstens auf keine einzelne Teile von ihm. Auch das Einholen des Maibaumes, eine in der ganzen germanischen und slawischen Welt weit verbreitete Sitte, hängt offenbar mit dem Phalluskult zusammen. An einzelnen Orten tritt an Stelle des Maibaums bei diesen Frühlingsfesten eine männliche Puppe oder auch eine lebendige männliche[S. vii] Person, die als Partnerin ein entsprechendes weibliches Wesen erhält. Zweifelsohne soll hierbei auf das Erwachen der Liebe und der Zeugungstriebe in der Natur beim Eintritt des Frühlings angespielt werden.
In Bosnien hängt eine unfruchtbare Frau, die gern Kinder haben möchte, am Vorabend des St. Georgtages ein neues Frauenhemd unter einen fruchttragenden Baum und sieht am anderen Morgen vor Sonnenaufgang nach, ob etwa irgend ein lebendes Wesen auf das Hemd gekrochen ist. Trifft dies zu, dann erblickt sie hierin ein Anzeichen, daß ihr Wunsch in Erfüllung gehen wird. Bei diesem Aberglauben handelt es sich um ein Überbleibsel der primitiven Auffassung, daß die Seelen, im besonderen die der Kinder, in einem Baume leben und von hier aus durch ein Tier in den Leib der Mutter übertragen werden können.
In Norddeutschland wird die jung Vermählte, wenn sie zum ersten Male das neue Heim betritt, dreimal um den Herd geführt, in Böhmen muß sie sich dreimal vor ihm verneigen und drei ihrer Haare ins Feuer werfen. Wir dürfen in diesen zeremoniellen Handlungen Nachklänge des Opfers vor den Ahnen der Familie erblicken, denn der Herd galt ursprünglich für den heiligsten Platz des Hauses; hier stand der Hausaltar und vor allem die Ahnenbilder.
In der Kaschubei stürzen bei der Feier des Erntefestes die jungen Burschen und Mädchen aus einem Versteck mit Eimern voll Wasser hervor und begießen damit die Schnitter dermaßen, daß an ihnen kein trockenes Haar bleibt, um für das nächste Jahr eine recht reiche Ernte zu erzielen. Dieser Vorgang erinnert an ähnliche Verfahren der Naturvölker, die dadurch das belebende Naß des Regens herbeizuführen suchen.
Bei den Zeltzigeunern Siebenbürgens tritt der Mann stets in die Sippe seiner Frau ein, die der Ehe entsprießenden Kinder gehören ihr ebenfalls an und dürfen niemals in die Sippe der Mutter hineinheiraten, wohl aber in die des Vaters. Es handelt sich bei diesem Brauch um ein Nachleben der Idee von der Mutterherrschaft (Matriarchat) zur Urzeit.
In Montenegro schläft die erste Nacht nach der Trauung der Brautführer neben der Braut, angeblich „alles in Ehren“, und in Kupres in Bosnien pflegt jeder der männlichen Hochzeitsgäste die Braut an die Wand zu drücken, gleichsam um damit die eheliche Umarmung symbolisch anzudeuten. Jene Sitte steht wahrscheinlich mit dem früheren Recht der Erstnacht (Jus primae noctis) in Beziehung, diese weist auf die in der Urzeit bestehende Gemeinschaftsehe zurück.
In jüdischen Familien besteht der Brauch, daß eine Witwe, wenn sie wieder eine Ehe eingehen will, dem früheren Schwager die Knoten an einem besonders für diesen Zweck vorhandenen Schuh auflöst, ihm diesen auszieht, vor ihm auf den Boden speit und dabei die biblischen Worte ausruft: „So soll man mit jedem Mann tun, der seines Bruders Haus nicht bebauen will.“ Erst wenn die Witwe dies getan hat, erhält sie die Berechtigung, sich wieder zu verheiraten. Durch diesen uns höchst sonderbar anmutenden Vorgang soll angedeutet werden, daß die sich wieder Verheiratende von der Verwandtschaft des ersten Mannes freigegeben worden ist; er ist zurückzuführen auf den uralten Brauch der Leviratsehe bei den alten Israeliten, wonach nach dem Tode des Mannes, wenn er keinen männlichen Erben hinterlassen hatte, der jüngere Bruder die Pflicht hatte, die Witwe zu ehelichen, um mit ihr einen Stammhalter zu erzeugen, der dann auch den Namen des Verstorbenen annahm, denn dem neuen Gatten wurde es zur ganz besonderen Pflicht gemacht, für die Nachfolge zu sorgen und die Familie des älteren Bruders fortzupflanzen. Die Leviratsehe ist aber wieder nur eine Form der Polyandrie, der Vielmännerehe, die noch heutigentags vorkommt.
Bei den Chewsuren nimmt der Ehemann während der ersten sieben Wochen nach der Niederkunft seiner Frau an keiner Festlichkeit teil, sondern bleibt abgesondert zu Hause; man bringt ihm vom Festschmaus Bier und Fleisch ins Haus. In diesem Brauch lebt die in der[S. viii] Vorzeit und auch bei einzelnen Naturvölkern noch vorkommende Sitte des Männerkindbettes (Couvade) fort. Der Mann mußte nach der Geburt der Frau an ihrer Stelle längere Zeit mit dem Neugeborenen im Bette liegen, sich gewisse Nahrungsbeschränkungen auferlegen und die Besuche der Anverwandten empfangen.
Aus den angeführten Beispielen dürfte zur Genüge hervorgehen, von wie großer Wichtigkeit für das Verständnis unserer modernen Einrichtungen und Sitten die Kenntnis der Gewohnheiten und Bräuche bei den niederen Völkern ist. Leider ist es zurzeit nicht mehr möglich, allen unseren heutigen Gebräuchen in der Weise auf den Grund zu gehen, wie es wünschenswert wäre, denn dazu fehlen uns vielfach die Unterlagen. Die Völkerkunde ist eine verhältnismäßig sehr junge Wissenschaft. Man sammelte früher wohl hier und da sogenannte „Kuriositäten“ oder „Raritäten“, wie übrigens der Ausdruck für ethnographische Gegenstände in den exotischen Ländern noch heute gang und gäbe ist, aber ein ernsthaftes, systematisch betriebenes Sammeln setzte erst gegen Ausgang vorigen Jahrhunderts ein, als der große Bastian die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Welt auf die Tatsache lenkte, daß die Naturvölker mit auffälliger Schnelligkeit dem Untergange entgegen eilen, und daher den Warnruf erließ, in zwölfter Stunde noch alles zu sammeln, was sich von ihnen noch erhalten hätte. Auf diese eindringliche Mahnung hin wurden Expeditionen ausgerüstet, und vieles von dem materiellen Besitz der im Aussterben begriffenen Stämme, also von ihren Waffen, Werkzeugen, Kleidung und vielen anderen Gegenständen des täglichen Lebens konnte noch gerettet und den ethnographischen Museen einverleibt werden. Weniger trifft dies aber für den geistigen Kulturbesitz der fraglichen Völker, wie Sitten, Gebräuche, religiöse Ansichten und dergleichen zu, obwohl manche der Forschungsreisenden gerade auch auf dieses Gebiet bei ihren Forschungen Gewicht legten; aber leider gehört, um in das Innenleben der primitiven Völker einzudringen, das ein ganz anderes als bei uns Kulturmenschen ist, viel Zeitaufwand und Mühe, und zum anderen haben ihre Vorstellungen verschiedentlich durch europäischen Einfluß, der manchmal auf Umwegen, auf denen man es gar nicht vermuten würde, schon in früheren Zeiten zu ihnen gelangte, eine Abänderung erfahren.
An einer zusammenfassenden Darstellung dieser Gebräuche, Sitten und Gewohnheiten der Völker des Erdenrunds fehlte es bisher in der Literatur. Aus der Erkenntnis dieses Mangels ist das vorliegende, für die weitesten Volkskreise bestimmte Buch entstanden. Ist es schon an und für sich für gebildete Kreise reizvoll, die Sitten und Gebräuche der verschiedensten Völker der Erde durch Wort und Bild kennen zu lernen, so ist eine solche Zusammenstellung auch von wissenschaftlichem Werte unter dem am Eingang bereits erörterten Gesichtspunkte; vermögen wir doch durch sie unsere modernen Kulturverhältnisse besser zu verstehen und die Entwicklung der menschlichen Einrichtungen von den primitiven Zuständen an durch alle Stufen der Kultur hindurch zu verfolgen. Bei der Abfassung habe ich mich bemüht, ein für jedermann verständliches Werk zu schaffen, für das die neuesten Arbeiten bedeutender Forschungsreisender benutzt wurden. Da gerade auch deutsche Gelehrte an der Erforschung der Probleme der Völkerkunde lebhaften Anteil genommen haben, so war es mein Bestreben, in dem vorliegenden Werke die Ergebnisse dieser neben den gleichwertigen fremder, meist englischer Forscher, zur vollen Geltung zu bringen. Möge daher dieses die Sitten und Gebräuche aller Völker der Erde behandelnde Werk in allen Kreisen des deutschen Volkes Beifall finden und das Interesse für die Völkerkunde in die weitesten Volksschichten hineintragen, sowie schließlich auch dazu die Anregung geben, daß mancher über die Sitten und Gebräuche seines eigenen Volksstammes nicht achtlos hinweggeht oder sie gar belächelt, sondern sie als ein altes Erbstück der Vorväter weiter pflegt und hegt.
Der Verfasser.
Östlich und nördlich von dem Festlande Australien breitet sich in der Richtung nach Amerika zu eine aus unzähligen Eilanden bestehende Inselwelt aus, die man insgesamt als Ozeanien bezeichnet. Innerhalb ihrer Bevölkerung lassen sich zwei Typen unterscheiden, eine schwarze und eine braune Rasse; dementsprechend führen die Inseln, auf denen die erstere vertreten ist, die Bezeichnung „Melanesien“, das heißt schwarze Inseln; die übrigen, mit denen wir uns zuerst beschäftigen, werden „Polynesien“ und „Mikronesien“ genannt.
In der polynesischen Inselflur treffen wir dicht hinter Fidschi, wenn wir nach Osten fahren, zunächst die Tonga- und Samoagruppe, noch weiter östlich die Cookinseln, Tahiti mit seinen Eilanden, die Paumotu- und die Marquesasinseln und stoßen schließlich, in der gleichen Richtung weiter gehend, auf den am weitesten vorgeschobenen Posten, die Osterinsel. Fast ebenso einsam liegen im Norden die Hawaiinseln da, während in entgegengesetzter Richtung, nämlich nach Südwest, gleichfalls isoliert Neuseeland liegt, die größte der Inseln des Stillen Ozeans.
Nordwestlich von Polynesien und nördlich von Melanesien finden wir Mikronesien, das heißt die kleinen Inseln. Innerhalb dieses Archipels unterscheidet die Wissenschaft wieder einzelne Gruppen, die Karolinen mit den Palauinseln sowie den Marianen oder Ladronen, die Marshallinseln, die Gilbertinseln und die Ellice- (oder Lagunen-) Inseln. Mit Ausnahme der beiden letzten Gruppen ist Mikronesien deutscher Kolonialbesitz.
Die Bevölkerung Polynesiens ist am reinsten in den Samoanern vertreten, daher möchte ich diese auch als den polynesischen Typus hinstellen. Die Samoaner sind von hoher Statur — Körpergrößen von hundertachtzig Zentimeter und darüber sind bei der männlichen Bevölkerung keine Seltenheit —, sie haben eine durchweg schöne, ebenmäßige Gestalt, die besonders beim weiblichen Geschlecht, bei dem es trotz der kurzen dicken Beine wirkliche Schön[S. 2]heiten gibt, auffällt (Abb. 2 und 3). Sie besitzen eine hellbraune Hautfarbe, welliges oder fein gelocktes Haar von schwarzer bis braunschwarzer Farbe, kurzen Schädel, regelmäßiges Gesicht mit oft leichter Andeutung der Mongolenfalte, eine kleine, breite Stumpfnase mit kleinen, runden Nasenlöchern und etwas vorspringende Lippen. Im allgemeinen zeichnen sich die Polynesier durch eine Reihe guter Eigenschaften wie Rechtschaffenheit, Friedlichkeit, Gastfreundschaft, Ordnungsliebe, Reinlichkeits- und Schönheitssinn aus. Damit hängt auch die peinliche Sorgfalt zusammen, die sie der Pflege und Ausschmückung ihres Körpers, besonders auch des Kopfhaares, widmen.
Leider haben Kleidung und Schmuck der Polynesier seit der Entdeckung der Inseln infolge des sich mehr und mehr ausbreitenden europäischen Einflusses eine große Veränderung erfahren. Hier, wo die klimatischen Verhältnisse so äußerst günstig liegen, bedurfte der Körper kaum des Schutzes gegen die Witterung, in seiner Bekleidung nahm vielmehr ein schlichter und einfacher Schmuck die erste Stelle ein (siehe die Kunstbeilage). Tatauierungen — diese Schreibweise, die mit dem polynesischen Worte „tatau = kunstgerecht“ zusammenhängt, nicht die veranglisierte „Tätowierung“ ist die richtige — galten für den wichtigsten und vornehmsten Zierat; nichttatauiert zu sein war eine Schande. Daher nahm das Auftragen der Zeichnungen (Abb. 4 und 5) fast immer auch den Charakter einer religiösen Zeremonie an. Währenddessen stand der „Patient“ unter verschiedenen Verboten (Tabu), die sich an manchen Orten sogar noch auf andere Dorfbewohner ausdehnten. Der Vorgang spielte sich überall in fast der gleichen Weise ab. Als Werkzeug benutzte man einen Gegenstand, der einer kleinen Zimmermannsaxt glich; seine Schneide war aus Knochen hergestellt und am vorderen Ende mit einer Anzahl Zähne wie beim Kamm versehen. Jetzt bedient man sich auf Mikronesien der Stahlnadeln. Der[S. 3] Operateur, der das Tatauieren als Beruf ausführt und deswegen eine hochgeachtete Stellung einnimmt, zieht die Umrisse der Zeichnung auf den Körper und führt die Farbe ein, indem er mit einem kleinen Stabe auf das mit schwarzer Farbe getränkte Beilchen schlägt (Abb. 7). Die ganze Ausführung eines vollständigen Musters nimmt für gewöhnlich mehrere Monate in Anspruch infolge des bei der Operation entstehenden Schmerzes und der manchmal unerwartet hinzutretenden heftigen Entzündung. Während die Tatauierung vorgenommen wird, singt ein Mädchenchor Rituallieder, wovon, wie man in früheren Tagen glaubte, der Erfolg der Operation abhängig war. Auf den Marshallinseln pflegt man die Jünglinge immer gleichzeitig zu einer bestimmten Jahreszeit zusammen zu tatauieren, wofür eine besondere Hütte gebaut und den Göttern Speiseopfer dargebracht werden; denn die Gottheiten des Tatauierens nehmen in der heimischen Götterwelt einen sehr hohen Rang ein. Ein ausgedehnter Kultus wurde mit den Tatauierungen von den Maori auf Neuseeland getrieben; das dazu verwandte Werkzeug war nicht gezähnt, sondern besaß einen geraden Schneiderand; mit ihm wurden Rillen in die Haut geritzt, wodurch die Operation sich schmerzhafter gestaltete. Das ganze Gesicht wurde mit ineinandergreifenden Spiralen und Linien bedeckt, sogar bis auf die Lippen herab (Abb. 6), wo der Schmerz besonders heftig empfunden wurde. Das Tatauieren auf dieser Insel war das Vorrecht der regierenden Klasse; mit der Tatauierung waren für den Betreffenden strenge Tabu[S. 4] verknüpft. Seiner Person wurde während des Vorgangs eine so hohe, heilige Ehrfurcht entgegengebracht, daß er es nicht einmal wagte, selbst seine Nahrung zu sich zu nehmen aus Furcht, sie könnte ihm verhängnisvoll werden; daher wurde er von anderer Hand gefüttert. In einem besonderen mit Schnitzerei verzierten Holztrichter gab man ihm zu trinken. Die Tatauierungen der Häuptlinge spielten im ersten Verkehre zwischen Maori und Europäern eine interessante Rolle insofern, als in den uns hinterlassenen Papieren, die sich auf die Abtretung von Land beziehen, der Häuptling als Unterschrift einen Teil seines tatauierten Gesichtes hinzeichnete.
Ein eigentümliches Schmuckstück, das Tiki-Tiki der Maori, verdient besondere Erwähnung (Abb. 11). Es besteht aus einer kleinen merkwürdigen Figur aus Nephrit oder Jadeit, die für gewöhnlich von dem Familienoberhaupt um den Hals getragen wurde und den primitiven Ahnen vorstellen soll. Man vererbte es von Generation auf Generation als kostbares Familienstück, und daher gilt es noch heutigentags für die meisten Eingeborenen als unveräußerlich. — Die Marshallinsulaner dehnen die für die Aufnahme des Ohrschmucks angefertigten Löcher in ihren Ohren dermaßen aus, daß sie diese Ohrschlinge manchmal über den Kopf streifen können. Ein typischer Schmuck, den Eingeborene von hohem Rang auf Tonga, Samoa (und auch Fidschi) tragen, besteht in einer Halskette von Walfischzähnen (Abb. 8), die abgeschliffen und zu einem klauenartigen Gehänge aufgereiht sind, während der Maori aus guter Familie das Recht hat, als Haarschmuck die Feder des Huiavogels zu tragen (Abb. 10). — Ein sehr hübscher Zug der Ozeanier ist entschieden ihre große Vorliebe für Blumen als persönlichen Schmuck, wie wir dies besonders bei den Hawaiern und den Samoanern wie auch bei anderen Stämmen beobachten können, die sich täglich frische Kränze aus farbenprächtigen Blumen und, in früherer Zeit, leuchtend bunten Federn winden (Abb. 3 und 15).
Zu Halsketten werden vielfach auch Muscheln verwendet (Abb. 14), die entweder in ganzen Stücken oder, wie in Mikronesien üblich, in kleine Scheibchen geschnitten und auf ein Band[S. 6] aufgezogen werden. Die Herstellung der Scheibchen erfordert eine langwierige Arbeit; die Muschel wird in passende Stücke zerbrochen, von denen jedes mit einer Art primitiven Drillbohrers durchlöchert und bis auf einen zierlichen Kreis durch sorgfältiges Abschleifen verkleinert wird. Auf den Gilbertinseln trägt man mit Vorliebe Halsketten, die aus den Schneidezähnen eines verstorbenen Vorfahren hergestellt sind, und hält solchen Schmuck hoch in Ehren.
Die eigentliche Kleidung bestand in Polynesien vordem allgemein aus Matten und Tapastoffen (Abb. 8 und 13); beide werden noch jetzt bei Tänzen und zeremoniellen Veranstaltungen verwendet. Die Tapa (Abb. 2) ist eine Art Filz, der aus der Rinde des Papiermaulbeerbaums durch beständiges Klopfen, manchmal so dünn wie Papier, hergestellt wird. Was die moderne Kleidung anbetrifft, so pflegen die Männer ein Hüftentuch aus europäischem Stoff und eine Jacke zu tragen; Rock und Hosen finden jetzt mehr und mehr Aufnahme. Die Frauen dagegen sind mit einem Gewand, Holoku genannt, bekleidet, das lang herabfallend einem Nachthemd gleicht. Die frühere Bekleidung (Abb. 12) kommt aber noch bei Tänzen zum Vorschein. Abseits von den größeren Plätzen verzichten die Männer meistens auf das Obergewand. Leider ist die Einführung der europäischen Kleidung nicht von Vorteil gewesen, da sie den Körper der Eingeborenen verweichlichte und die Neigung für Erkältungskrankheiten erhöhte; Influenza und Lungenentzündung richteten seitdem viel Unheil unter ihnen an. Von den hochzivilisierten Tonganern, bei denen heute ein Frack kein ungewöhnlicher Anblick mehr ist, wird bei feierlichen Gelegenheiten oft über dem europäischen Kleid noch die primitive Matte getragen, die häufig[S. 7] genug durch ihr altertümliches, abgenutztes Aussehen zu dem modernen Kleidungsstück einen auffälligen Gegensatz bildet.
Auf Neuseeland wurde die Tapa niemals angefertigt, denn hier besaß man in dem einheimischen Flachs ein viel besseres Kleidermaterial. In früheren Tagen trugen beide Geschlechter daraus hergestellte Faltenröcke, dazu einen vielfach noch mit Federn geschmückten Schultermantel (Abb. 6 u. 10), der bei der Arbeit und beim Tanz abgelegt wurde. Das Weben von Stoffen, das hauptsächlich von den Weibern betrieben wurde, trug den Charakter einer heiligen Zeremonie; es wurde von besonderen Priestern gelehrt, und an die verschiedenen Stadien des Webens knüpften sich besondere Zaubersprüche. Außerdem mußten dabei die unvermeidlichen Tabu beobachtet werden, auf deren Vernachlässigung Strafen durch übernatürliche Wesen folgten. — In Mikronesien bestehen die Kleider, obgleich hier wohl an einigen Plätzen Tapa gewonnen wird, aus Blättern und Matten. Auf den Marshallinseln sieht man die alten Gewänder nur noch selten; sie bestehen beim Manne in einem Bastrock, eigentlich aus zwei durch ein Band miteinander verbundenen Büscheln mit langen Fransen; das Band kommt auf den Damm zu liegen, und die beiden Quasten werden vorn und hinten hochgenommen und durch einen Leibgürtel in dieser Lage festgehalten, über den sie nach vorn und hinten fallen, so daß die beiden Seiten des Oberschenkels und die Hüften unbedeckt bleiben und beim Gehen die Tatauierung an diesen Stellen sichtbar wird. Das Kleid der Frauen setzt sich aus zwei Matten zusammen, die hinten und vorn getragen werden. — Auf den Gilbertinseln verhält sich die Art der Bekleidung gerade umgekehrt; die Männer tragen hier Matten, die Frauen aber faltenreiche Röcke aus Pandanusblättern (Abb. 13). Auf den Karolinen dagegen, wo bereits der Webstuhl in die Erscheinung tritt, besteht die Männerkleidung in prächtig gewebten Gürteln aus Pflanzenfasern und für zeremonielle Zwecke in einem kurzen Rock aus schmal geschnittenen und oft strahlend gelb[S. 8] gefärbten, sorgfältig gekräuselten Kokosblättern. Die Nationaltracht der Frauen ist ein weiter, aus Borte gewebter Rock, der von der Taille bis auf die Knie reicht. — Eine besondere, auf den Gilbertinseln bestehende Sitte, die sich auf die Toilette bezieht, mag noch hervorgehoben werden. Hier sammeln die Frauen am Riff einen Wurm, der eine große Menge Jod enthält, und verreiben ihn auf ihrem Körper, wodurch diesem ein Duft mitgeteilt wird, der ihre Anziehungskraft sehr steigert.
Eine seltsame Rüstung trifft man auf den Gilbertinseln an. Sie besteht in einem aus Kokosfasern dicht geknüpften Beinkleid und einem Panzer aus dem gleichen Material, der auf der Rückseite einen sich fächerartig hinter dem Kopf erhebenden Nackenschutz besitzt und vorn noch eine Brustplatte oder einen Gürtel aus der hornartigen Haut des Stachelrochens trägt; dazu kommt ein Helm aus der Haut des Igelballonfisches und Handwaffen (Speere und Dolche), die auf beiden Seiten dicht mit Haifischzähnen besetzt sind (Abb. 16 und 18).
Eine hundertjährige Berührung mit den Europäern hat fast alle ursprünglichen Gebräuche und Sitten der Polynesier zerstört; nicht zum mindesten hat dazu ihre Bekehrung zum Christentum beigetragen. Da beinahe alle ihre Gebräuche und besonders ihre politischen Einrichtungen auf ihrer alten Religion aufgebaut waren, so hat das Aufhören der letzteren das Verschwinden der[S. 10] ersteren, wenigstens zum größten Teile, zur Folge gehabt. Mit Mikronesien ist es in dieser Hinsicht weniger schlecht bestellt; wir finden dort noch viele Überreste der ursprünglichen Lebensweise, und obgleich das Christentum hier ebenfalls bedeutende Fortschritte zu verzeichnen hat, so können wir doch noch den Spuren des alten Glaubens, besonders auf den entfernteren Inseln, vielfach begegnen.
Der Aberglauben der Polynesier setzt bereits vor der Geburt des Kindes ein. Das erste Anzeichen der Schwangerschaft wird auf Samoa mit einem kleinen Fest gefeiert. Auf den Gilbertinseln wird damit, wenn es die erste Schwangerschaft ist, eine umständliche Zeremonie verbunden. Gegen Ende des zweiten Monats wird von einer alten weisen Frau aus den Schalen von ungefähr fünfzig Kokosnüssen eine Pyramide aufgebaut und in deren Spitze das Herzblatt einer Kokospalme gesteckt. Darauf heißt sie die Schwangere sich auf einer Matte daneben setzen, nimmt von einem dazu besonders bereiteten Brote aus Taroknollen und Kokosnußkernen ein ungefähr einen Fuß langes Stück, rollt es zwischen den Händen, berührt damit die angehende Mutter an verschiedenen Körperstellen und murmelt gleichzeitig Gebete an die Göttin Eibong des Inhaltes, daß das zu erwartende Kind schön und wohlgestaltet ankäme und, wenn es ein Knabe sei, dieser später die Liebe und Zuneigung junger Mädchen gewinne, oder, wenn es ein Mädchen sein sollte, dieses die Liebe eines reichen Mannes oder eines tapferen Kriegers finden möge. Darauf bricht sie ein Stück von dem Gebäck ab, reicht es der jungen Frau und den Rest dem jungen Ehemanne zum essen. Bis zum Morgen am vierten Tage schläft die Alte dann mit der Schwangeren jede Nacht neben der Kokospyramide. Jetzt melden sich Adoptiveltern für das Kind, da es Sitte ist, dieses nach Beendigung der Säugezeit anderen Eltern zu übergeben. Am Ende des dritten Monats begibt sich das junge Paar mit seinen Verwandten und der weisen Frau an einen unbewohnten Ort. Letztere stellt hier Speisen und Getränke unter einem Baum auf, um den der Adoptivvater des Gatten der Schwangeren mit ihr dreimal herumgeht; dann nehmen beide unter dem Baume Platz und werden von der alten Frau mit Speise versorgt. Hieran schließt sich ein allgemeiner Schmaus mit Tanz und Gesang. Am Schluß des vierten Monats endlich geht die Alte mit der Schwangeren und dem Adoptiv[S. 12]vater ihres Mannes zu einem Kreuzwege. Hier nimmt sie der jungen Frau die Bekleidung ab und verbrennt sie. Dafür legt sie ihr eine neue um die Hüfte, die der Schwiegervater mitgebracht hat. Gleichzeitig wird ihr gesagt, daß sie mit dem Ablegen des Kleides ihrer Kindheit nun zu den Frauen gerechnet werde, und daß sie ihrem Manne sich recht angenehm erweisen und vor allen Dingen ihm treu bleiben müsse. Hierauf gehen sie nach Hause, wo wiederum ein Schmaus mit den Verwandten stattfindet. Außerdem läßt sich die Schwangere von dem Augenblick an, in dem sie sich guter Hoffnung fühlt, ihr bis dahin kahl geschorenes Kopfhaar wachsen und schneidet es erst wieder ab, wenn das Kind ungefähr ein Jahr alt geworden ist.
Auf der Insel Jap (Karolinen) stellt die Schwangere, wenn sie die ersten Anzeichen ihres Zustandes verspürt, den Geschlechtsverkehr mit ihrem Manne ein und hält diese Enthaltsamkeit auch noch acht bis zehn Monate nach der Niederkunft inne. Der Mann entschädigt sich inzwischen in seinem Klubhaus, wo er sich eine oder mehrere Liebsten hält. Auch auf den Gilbertinseln lebt der Ehemann während der Schwangerschaft mit einer anderen Frau in seinem eigenen Hause weiter, während die Gattin sich in das Haus von Verwandten begibt.
Verschiedentlich bestehen für die Schwangere auch sonstige Verbote. Auf den Karolinen hat sie mehrere Arten von Kokosnüssen und Brotfrüchte zu vermeiden und darf nur Kokosmilch als Getränk zu sich nehmen. Auf Samoa glaubten die Eingeborenen, daß das Übertreten der bestehenden Vorschriften sich damit rächt, daß das Neugeborene mit einem schwarzen Mal auf die Welt kommt, wodurch die Sünde der Mutter offenbar wird, und zwar soll dieses Kainsabzeichen in seinem Aussehen dem Gegenstand entsprechen, an dem die Mutter gesündigt hatte. So wurde einmal behauptet, daß ein solches Mal dem Leberlappen eines Schweines gleiche, den die Schwangere heimlich entwendet und gegessen hätte, ein anderes Mal, daß es einem Hühnerkopfe ähnlich wäre, weil sie sich mit einer Nachbarin um das Eigentum einer brütenden Henne gestritten hätte, und anderes mehr.
Auf der Insel Nauru wurden in den Häuptlingsfamilien ähnliche strenge Verbote peinlich genau beobachtet. Es durften zum Beispiel[S. 13] keine Kokosnüsse berührt werden, die in einem Umkreise von dreißig Meter um die Hütte herabfielen. Die Schwangere durfte keine Speise essen, die der Mann oder die Eltern schon berührt hatten; vom fünften Monat an durfte im Hause kein Nagel eingeschlagen, überhaupt kein Geräusch gemacht und nichts von der Wand genommen werden, bis das Kind geboren war. Wir sehen hier bereits, daß sich die Verbote auch auf den Mann erstrecken. Auf der Insel Jap darf er vom vierten Monat der Schwangerschaft an keine Bananen oder abgefallene Kokosnüsse essen, keine Bäume fällen, weil sonst die Glieder des Kindes brechen oder es eine Wolfsscharte bekommen könnte, keine Scholle verzehren, weil es dann kraftlos würde, ebensowenig Schildkrötenfleisch, weil es sonst ohne Finger geboren würde, keine Krabben oder gesprenkelte Fische essen, weil es sonst ebenfalls gesprenkelt zur Welt käme, keinen Bindfaden drehen, weil sich sonst die Nabelschnur um den Hals legen könnte, kein Haus einreißen, weil sonst Abort eintreten würde, und anderes mehr. — Fruchtabtreibung ist über ganz Polynesien eine sehr verbreitete Unsitte; vielfach ist sie an Stelle des früheren Kindsmordes getreten. Für die Einleitung des künstlichen Abortes sind mancherlei Beweggründe maßgebend, einmal die Abneigung gegen eine zahlreiche Familie, entweder weil die Frau fürchtet, wegen ihrer vielen Kinder dem Gespötte der Nachbarinnen zum Opfer zu fallen, oder weil sie Angst hat, daß sie dadurch bald verwelke und altere, oder auch weil sie sich wegen vermeintlicher Untreue ihres Mannes an ihm rächen will, zum anderen auch aus Angst, es könnten durch eine große Familie Nahrungsschwierigkeiten entstehen, schließlich bei Unverheirateten auch aus Scham vor der Schande. Die Abtreibung wird meistens von Frauen vorgenommen, die dies als Gewerbe betreiben und sich dadurch einen guten Verdienst sichern. Die Methoden, die sie anwenden, bestehen entweder in dem Eingeben gewisser[S. 14] Speisen oder Tränke, oder man bedient sich auch vielfach rein mechanischer Hilfsmittel, die allerdings äußerst primitiv und roh sind. — Meistens zieht sich die Schwangere kurz vor der Geburt von der Familie zurück; vielfach wird für sie eigens eine kleine Hütte errichtet, die manchmal ganz primitiver Natur ist, so daß die Wöchnerin und auch ihr Kind den Unbilden der Witterung ausgesetzt sind. Diese Absonderung hängt mit dem Glauben zusammen, daß niederkommende Frauen unrein sind. Auf Neuseeland gilt nicht nur ihre Person, sondern alles, was mit ihnen in Berührung kommt, als unrein. Auf Samoa zieht sich die Schwangere bereits im achten bis neunten Monat in das elterliche Haus zurück, ebenso auf den Gilbertinseln in das der Pflegeeltern, die das zu erwartende Kind adoptieren wollen, oder sie bleibt vorläufig noch in ihrem eigenen, siedelt dann aber in das Haus der Adoptiveltern über. Gegenüber dieser Absonderung fällt es auf, daß einige Beobachter angeben, daß die Gebärende öffentlich vor allen Dorfbewohnern niederkommt, so daß diese den ganzen Vorgang genau mitansehen können, so zum Beispiel auf Neuseeland und Hawai. Meistens vollzieht sich die Niederkunft ohne Mithilfe anderer, aber auf einzelnen Inseln sind Frauen dabei behilflich. So stehen bei den Maori die Großmutter mütterlicherseits oder in ihrer Behinderung die Großmutter väterlicherseits, auf Samoa zwei weise Frauen der Gebärenden bei; auch auf Fidschi üben Weiber schon berufsmäßig Geburtshilfe aus. Manchmal assistiert auch der Ehemann.
Die Nabelschnur wird meistens von der Mutter selbst mittels eines Bambusspans, eines scharfen Steines oder einer Muschelschale abgetrennt; an anderen Orten tun dies die Helferinnen oder auch der Mann. Vielfach wird der Nabelstrang auch mit den Zähnen durchbissen. Auf den Marquesasinseln ist es bei der Geburt von Häuptlingskindern sogar vorgeschrieben, daß die Großmutter die Nabelschnur mit ihren Zähnen abbeißt. Dieser mangelhaften Behandlung ist das überaus häufige Vorkommen von Nabelschnurbrüchen unter der polynesischen Bevölkerung zuzuschreiben. An die Abnabelung des Kindes knüpfen sich verschiedene Zeremonien. Auf Samoa schlägt man die Nabelschnur bei einem Knaben mit einer Keule durch, um anzudeuten, daß er ein tüchtiger Krieger werden solle, bei einem Mädchen trennt man sie mit einem Messer auf einem Brette ab, auf dem die Tapa geklopft wird, mit dem Wunsche, daß aus dem Kinde eine tüchtige Hausfrau werden soll; Kriegskeule und Tapabrett versinnbildlichen die Hauptbeschäftigung der beiden Geschlechter. Auf den Fidschiinseln dürfen die Nachbarn aus dem Hause, in dem ein Kind geboren wurde, vier Tage lang kein Feuer holen, weil sonst der Wundverlauf am Nabel ein ungünstiger sein würde. Auf Viti Lewu sendet ein Priester an dem Tage, an dem der Abfall der Nabelschnur zu erwarten steht, Gebete zu den Göttern, um Gesundheit und langes Leben für das[S. 16] Kind herabzuflehen, und segnet die Speisen, die ihm gereicht werden. Auf Neuseeland wird der abgefallene Rest der Nabelschnur in der Muschel, mit der sie abgeschnitten wurde, in fließendes Wasser gelegt; schwimmt diese mit ihrem Inhalte weiter, dann ist dies eine gute Vorbedeutung dafür, daß das Kind glücklich werden wird, sinkt sie dagegen unter, so heißt es, daß es früh sterben oder ihm sonst ein Unglück zustoßen wird.
Über Zwillinge bestehen manche abergläubische Vorstellungen. Sind sie ungleichen Geschlechtes, so wird auf Nauru das männliche Kind getötet, weil man annimmt, daß beide im Mutterleibe, weil verschiedenen Geschlechtes, miteinander Unzucht getrieben haben, was für ein schweres Verbrechen gilt. Auf Jap wird von Zwillingen der eine an den Bruder des Vaters oder in Ermangelung eines solchen an einen anderen nahen Verwandten fortgegeben, aus Furcht, es könnte sonst eins der Kinder sterben. Das aus dem Haus gegebene Kind bleibt Eigentum dessen, der es bekommen hat, und darf, im Falle das andere stirbt, nicht zurückgefordert werden.
Sogleich nach der Niederkunft pflegt die Wöchnerin, um auf diese nunmehr wieder zurückzukommen, ein Bad in der See oder einem nahen Flusse — auf größeren Inseln wird die Gebärhütte bereits in der Nähe eines solchen angelegt — zu nehmen und gleichzeitig auch ihr Kleines, das sie selbst säugt (Abb. 17), zu baden. Weiter muß sie meistens auch noch längere oder kürzere Zeit in ihrer Hütte in voller Abgeschlossenheit von den Männern zubringen. Auf Tahiti erstreckte sich diese Abschließung bis zu drei Monaten für die wohlhabenderen Wöchnerinnen. Während dieser Zeit mußten sie gefüttert werden; der Vater hatte stets ungehinderten Zutritt, die übrigen Verwandten durften nur die Hütte betreten, wenn sie ihre Kleider abgelegt hatten. Alles, was das Kind, besonders mit seinem Kopf, berührte, wurde sein Eigentum. Nach Ablauf dieser Periode brachten die Ärmeren Reinigungsopfer dar, die Reichen hingegen veranstalteten ein großes Fest, Oroa genannt. Auf den Palauinseln bleibt der Gatte von seiner Frau zehn Monate lang[S. 18] streng geschieden; er hält sich im Junggesellenhaus auf und darf seine Wohnung nur, um das Essen einzunehmen, betreten.
Auf den Marianen verteilt man unter die bei der Geburt Beteiligten Reis und Fische; zum Ausdruck der Hochachtung für den Vater bestreut man den Weg, den er zum ersten Male nach der Geburt seines Kindes beging, mit Reis. Auf der Insel Truk (Karolinen) pflegt der Vater bei diesem freudigen Ereignis sich wohlriechende Kräuter an den Gürtel zu stecken und beim Ausgang die Lanze mit der Spitze nach unten zu halten, weil ihm sonst die Seele des Kindes nachfolgen könnte. Auf Nauru führen die jungen Leute nach der Geburt eines Kindes zum Zeichen ihrer Freude einen Ringkampf auf. Bei den Maori Neuseelands ist das Neugeborene tabu und darf von niemand berührt werden, bevor es nicht von diesem Banne erlöst worden ist. Dies geschieht in der Weise, daß der Vater auf einem kleinen Feuer etwas Tarowurzel röstet, das Kind in den Arm nimmt, dessen Körper an verschiedenen Stellen damit berührt und sodann die Wurzel ißt. Doch ist damit die Befreiung von dem Tabu noch nicht erreicht, denn am andern Morgen kommt die älteste Verwandte des Kindes mütterlicherseits und nimmt die gleiche Zeremonie an dem Vater selbst vor. Erst wenn diese beiden Handlungen (Tautane und Reahine genannt) vorüber sind, ist das Kind von seinem Tabu befreit und erhält seinen Namen.
Die Namensgebung erfolgt in Polynesien meistens bald nach der Geburt und wird vielfach von Festlichkeiten (Tänzen, Wettkämpfen und Gelagen) begleitet. Auf der Insel Jap mußte die Schwester des Vaters diesen nach dem gewünschten Namen des neugeborenen Kindes fragen und ihn dann der Mutter mitteilen; auf Nauru wählte eine alte Verwandte den Namen aus und auf Rotuma sogar der Häuptling. Bei den Maori ging die Namensgebung mit besonderen Feierlichkeiten in Gegenwart der Eltern und Verwandten vor sich. Ein Priester tauchte einen grünen Zweig ins Wasser und besprengte damit das Haupt des Kindes, wobei er geheimnisvolle Wünsche murmelte; die Mutter durfte bei der Besprengung nicht zusehen.
Meistens wird das Kind von der jungen Mutter gesäugt. Auf Fidschi glaubte man früher, daß eine andere Milch als die der eigenen Mutter dem Kinde sicher den Tod bringe; ja, man trieb diese Vorsicht so weit, daß die Mutter, wenn sie aufs Feld ging, für den Säugling eigene Milch[S. 19] in einem Bambusröhrchen hinterließ. Früher war langdauerndes Säugen der Kinder sehr verbreitet; besonders auf den Karolinen betrachteten die Frauen es für eine Ehrenpflicht, ihre Kleinen jahrelang, oft bis zum zehnten Lebensjahre zu säugen; auf Samoa sah ein Beobachter einmal eine Mutter sogar drei aufeinanderfolgenden Kindern zu gleicher Zeit abwechselnd die Brust reichen und auf den Marianen ein anderer einen sechsjährigen Jungen abwechselnd aus der Mutterbrust trinken und aus einer Tabakspfeife einen Zug tun. Natürlich wird neben der Muttermilch überall den Kleinen auch andere Nahrung verabreicht, die die Mutter ihnen meistens vorkaut, wie zum Beispiel Kokosnüsse, Bananen, Taro und anderes mehr.
Auf Samoa wird der Beginn jedes neuen Lebensabschnittes des Kindes durch Feste gefeiert. Sobald es sitzen kann, gibt dies zu einem Feste Anlaß; seine ersten Kriechversuche ebenfalls; wenn es zum ersten Male steht, wird dies wiederum durch ein Fest gefeiert,[S. 20] und so geht es weiter. Wenn die Knaben größer geworden sind, helfen sie meistens ihren Vätern beim Fischen oder auf den Plantagen, während die heranwachsenden Mädchen am Riff Nahrung suchen, Wasser aus der Quelle holen oder sich mit der Anfertigung von Tapa und Matten beschäftigen. Auf Samoa umfaßt der Unterricht der Knaben auch die Ausbildung im Kochen, denn man hält es für richtig, daß auch ein Mann sich darauf versteht, eine Speise zuzubereiten.
Die sittlichen Verhältnisse der Polynesier werden von den Forschungsreisenden verschieden beurteilt, und es scheinen in der Tat zwischen den einzelnen Inselgruppen in dieser Hinsicht Unterschiede zu bestehen. Vielfach in Polynesien und fast überall in Mikronesien herrscht für die jungen Leute beiderlei Geschlechts bis zur Ehe vollständige geschlechtliche Freiheit. Die unverheirateten Männer leben in ihren Junggesellenhäusern zusammen und führen hier längere oder kürzere Zeit ein freies Liebesleben mit den jungen Mädchen, gelegentlich auch mit Frauen. Diese Weiber, auf den Karolinen Armengol (Dirnen) genannt, sind meistens aus anderen Dörfern geraubt worden, manchmal nur scheinbar, denn vorher wurde ein Einverständnis mit ihren Eltern erzielt, oder sie liefen freiwillig den Junggesellenhäusern zu. Sie bilden hier das Gemeinschaftsgut der Männer, sowohl der ledigen wie der verheirateten. Auf den Karolinen erhalten die Mädchen für diesen Liebesdienst Geld, das sie sich sammeln und in die Heimat zuruckbringen, wo es vielfach der Häuptling sich aneignet und verteilt. Auf den Marshallinseln besteht auch die gastliche Prostitution; ein Mädchen wird im Männerhause dem Fremden überlassen, der sich durch kleine Geschenke dafür erkenntlich zeigt; diese fallen dem Häuptlinge zu. Auf den Palauinseln läuft die Ehefrau, wenn ihr Mann sie schlecht behandelt, in das Junggesellenhaus; hier muß dieser sie dann durch Geld loskaufen; gibt er kein Geld für sie, so verliert er das Anrecht auf seine Gattin, und sie bleibt so lange im Junggesellenhaus, bis ein wohlhabender Eingeborener sie auslöst. — Homosexuelle Neigungen wurden auch unter den Polynesiern beobachtet; besonders unter der Bevölkerung Tahitis kamen sie häufiger vor, bei den sogenannten[S. 21] Mahus, die in Kleidung und Gebärden die Weiber nachahmten, unter ihnen lebten, weibliche Arbeiten verrichteten und mit Männern geschlechtlich verkehrten.
Die Brautwerbung der jungen Leute bietet im allgemeinen nichts Charakteristisches; sie pflegte meistens als ein einfaches Geschäft und für gewöhnlich ohne jegliche Umschweife von den beiden Hauptbeteiligten betrieben zu werden. Jedoch ist gelegentlich auch wirkliche Herzensneigung dabei im Spiele. Von den Samoanern zum Beispiel erzählt Kubary eingehende Einzelheiten über das Liebeswerben des Jünglings um seine Auserkorene und die Liebesneigung der letzteren zu ihm. Küsse werden unter den Liebenden nicht ausgetauscht, wie wohl nirgends bei den Naturvölkern, aber die moderne Kultur hat auch schon verschiedentlich diese europäische Gewohnheit nach dem fernen Osten verpflanzt. Dagegen ist unter den Maori zwischen Freunden, Verwandten und Liebenden das Aneinanderdrücken der Nasen eine allgemein übliche Liebesbezeigung (Abb. 20).
Eine gewisse Formalität wird von den Samoanern bei der Werbung beobachtet, zumal, wenn es sich um Leute von Rang handelt. Will zum Beispiel ein Häuptlingssohn auf Samoa eine Taupu des benachbarten Dorfes heiraten, so macht eine dazu aus den Verwandten des jungen Mannes erwählte Abordnung ihrem Vater einen unverbindlichen Besuch, um das Mädchen in Augenschein zu nehmen. Sind sie mit der Wahl zufrieden, so macht eine größere Gesandtschaft einen feierlicheren Besuch und bringt Geschenke in Gestalt von Schweinen und Taro mit. Nimmt sie der Vater des Mädchens an und zeigt dieses selbst keinen Widerstand, dann gilt die Angelegenheit als erledigt, und man kann nun an die Vorbereitungen zur Hochzeit gehen. Schlägt dagegen der Vater die Geschenke aus, ist aber das Mädchen nicht abgeneigt, dann wird eine zweite Gesandtschaft abgeschickt, die sich aus einflußreicheren Personen zusammensetzt und zu ihren Mitgliedern auch den jungen Bewerber zählt. Sollte auch diese zweite Mission nichts ausrichten, so kann nur noch der Häuptling in eigener Person, von seinem ganzen Gefolge begleitet, anfragen. Dieser Schritt wird indessen nur dort unternommen, wo der Häuptling und seine Untertanen[S. 22] diese Verbindung durchaus wollen. Dieses Mal muß der Vater des Mädchens nachgeben. Die Verwandten des Bräutigams bereiten eine Menge Geschenke, aus Sachen bestehend, die die Männer angefertigt haben, für die Verwandten der Braut vor, diese selbst aber erhält von ihrer Familie eine große Aussteuer in Gestalt von Stoffen und der sehr geschätzten und hübsch geflochtenen Matten. Nach dem Austausch der Geschenke und einem großen Schmaus geht der Bräutigam mit der Braut in sein Dorf zurück. Seine Hütte ist meistens auf einer Plattform aus Steinen gegenüber dem Schlafraum des Häuptlings durch einen Knappen seines Vaters erbaut worden, wofür ersterer als Entgelt einen Anteil an den schönen Aussteuermatten erhält. Letztere werden in der Tat unter die Einwohner des Dorfes, namentlich unter die Knappen des Häuptlings, die eine privilegierte Kaste bilden, verteilt.
Die Hochzeitsgebräuche sind seit der Einführung des Christentums so ziemlich in Vergessenheit geraten. Zwar lag ihnen überhaupt keine ernstere Bedeutung zugrunde, zumal die Eheschließung früher lediglich ein Zivilvertrag war und daher religiöser Riten entbehrte. Bemerkenswert war auf Samoa und Tonga ein Brauch, bei dem die Unschuld einer Braut von hohem Rang öffentlich auf die Probe gestellt wurde; heutzutage ist er in Vergessenheit geraten. — In Mikronesien spielt sich die Hochzeit etwas feierlicher ab. Auf den Karolinen zum Beispiel führt der Bräutigam das Mädchen seiner Wahl in sein Haus; dort wird sie offiziell von der Schwiegermutter anerkannt, die ihr den Rücken mit Kokosnußöl einreibt. Darauf bekommt sie eine Kranzkrone aufgesetzt, und das Festessen beginnt.
Auf den Gilbertinseln sind die Männer sehr eifersüchtig; die Eingeborenen wagen daher kaum, mit einer jungen Frau zu sprechen, weil sonst der Gatte leicht zu Gewalttätigkeiten gereizt wird. Ein großer Prozentsatz der Leute trägt die Spuren solcher Reibereien in Gestalt von Narben an sich, die ihnen von dem eifersüchtigen Gatten mittels der üblichen Waffen aus Haifischzähnen beigebracht wurden. Recht drollig ist der Ursprung der Sitte, daß ein Mann, der auf dem Palmbaum mit der Palmweinernte beschäftigt ist, laut singen muß. Bei einer Gelegenheit glaubte einmal ein Häuptling von einem Manne, der in dieser Weise beschäftigt war, annehmen zu dürfen, daß er sich in dem Baumgipfel versteckt habe, um die in der Nähe badenden Frauen des Häuptlings zu sehen; er erschoß ihn daraufhin kurz und bündig. Daher beweisen die Eingeborenen ihre bona fides in der Weise, daß sie so viel wie möglich Lärm machen, wenn sie oben in der Baumkrone beschäftigt sind. — Bei den Gilbertinsulanern besteht auch das Recht, daß ein Mann, der die älteste von mehreren Schwestern geheiratet hat, noch die übrigen als Frauen nehmen darf, vorausgesetzt, daß er dazu Lust hat und sich diesen Luxus zu leisten vermag. Anderseits darf kein anderer diese Schwestern ohne seine Erlaubnis heiraten.
Von den Unterhaltungen der Polynesier steht der Tanz oben an; er darf bei keiner zeremoniellen Veranstaltung fehlen. Gegenstand des Tanzes sind gelegentlich die Taten der Vorfahren und Halbgötter (Abb. 25 und 27). Merkwürdigerweise besteht er vielfach weniger in den Bewegungen der Füße, wie bei den sogenannten klassischen Tänzen, sondern vielmehr in einem Spiel der Hände und Arme (Abb. 19). Dies zeigt sich besonders an den Sitztänzen, die für Samoa typisch sind (Abb. 21 bis 23), obgleich wir ähnlichen, wenn auch unbedeutenderen Vorstellungen in Mikronesien begegnen. Auf Samoa laden die Bewohner eines Dorfes häufig die eines andern zu einem Tanze ein; ein solcher vollzieht sich unter großen Förmlichkeiten und fängt gewöhnlich mit einem oder mehreren dieser Sitztänze an, bei dem die Taupu, die Häuptlingstochter, in Begleitung von zehn Dorfschönheiten die Hauptrolle spielt. Bei solchen zeremoniellen Gelegenheiten trägt sie und der Erbe des Häuptlings, sofern ein solcher anwesend ist, einen eigenartigen, wertvollen Kopfputz, der aus Menschenhaar angefertigt und mit drei aus ihm hervorragenden perlmuschelbesetzten Stäben, sowie einem Band aus buntschillernden Muscheln quer über die Stirn verziert ist (Abb. 24 und 26). Ein Chor, der hinter den Aufführenden sitzt, begleitet ihren Tanz mit Liedern und schlägt den Takt dazu auf Matten, die um einen Bambusstamm gerollt sind. Hieran schließen sich stehende Tänze, die[S. 24] einen mimischen Charakter tragen und Vorgänge des täglichen Lebens, zum Beispiel das Aufspeeren von Fischen und den Schildkrötenfang zur Darstellung bringen. Die Bewegungen der Tänzer sind äußerst anmutig, und der Ruhm einer besonders gewandten Taupu breitet sich weit über die Grenzen ihres eigenen Landes aus. Auch auf Neuseeland gibt es Sitztänze, bei denen die Mädchen die Einzelheiten einer Kanufahrt oder eines ähnlichen Vorganges vorführen. Noch ein Tanz verdient Erwähnung, es ist der Handklatschtanz auf den Gilbertinseln, bei dem vier Tänzer den Takt zu ihrem Liede angeben, indem sie sich gegenseitig auf die Hände schlagen, wie unsere Kinder dies beim Händeklatschen tun. Von den markanteren Tänzen wollen wir den Hula der Hawaier nennen, der deswegen interessant erscheint, weil die weiblichen Tänzer teilweise noch den alten Blätterfaltenrock und Blumenkränze tragen, die das anmutige Kostüm vorzivilisierter Zeiten ausmachten (Abb. 30 bis 32). Die Bewegungen dieses Tanzes, sowie mancher anderen Polynesiens, sind oft genug recht lasziv und dazu angetan, die geschlechtlichen Begierden der Teilnehmer und Zuschauer wachzurufen; nicht selten endigen sie in sexuelle Orgien und einen allgemeinen geschlechtlichen Verkehr. — In den direkt Kraft und Energie erfordernden Tänzen (Kriegstänze) stehen die Neuseeländer unübertroffen da (Abb. 33 und 34). Leider sind diese Tänze bei weitem nicht mehr das, was sie noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts waren, als unter dem Gestampfe von Hunderten von Füßen, die mit einem einzigen Schlage aufsetzten, die Erde erdröhnte und die Verzerrungen im Gesichte der Tänzer, die ihre Augen rollen ließen und die Zunge möglichst weit hervorstreckten — beides ein erstrebenswertes Ziel der Übungen — großen Schrecken einflößten.
Außer dem Tanz kennen die Polynesier noch viele andere Unterhaltungen, die sie mit der Jugend zivilisierter Länder gemeinsam haben, nämlich das Drachensteigenlassen, Kreiselspiel, Stelzenlaufen, Ringkampf (Abb. 35), Fadenspiel (Abnehmen von Figuren aus Bindfaden von[S. 25] der Hand einer Person auf die einer anderen), Rätselraten, das Lafospiel und anderes mehr. Auch Ballspiele sind nichts Ungewöhnliches. Auf den Gilbertinseln spielen Personen gleichen Geschlechtes miteinander; ein Spieler wirft den Ball, einen in ein Tuch gehüllten und mit einem Kokosfaserband umwickelten Stein, in die Höhe und schlägt ihn mit der Hand nach der anderen Seite hinüber; wird er dort aufgefangen, so bekommt diese Partei einen Punkt, im anderen Falle zählt die Partei des Werfenden einen solchen. Schaukelspiele haben in Polynesien weite Verbreitung; besonders abwechslungsreich sind sie auf den Gilbertinseln. Ein beliebtes Spiel ist hier zum Beispiel folgendes: An der Spitze einer überhängenden Palme wird ein Seil befestigt und in seiner Endschlinge eine Matte als Sitzgelegenheit für ein junges Mädchen gehängt. Sobald diese Schaukel nun vorwärts schwingt, springt einer der zahlreich versammelten jungen Männer auf, hält sich am Seil fest und begleitet das Mädchen auf seinem Flug in die Luft; wenn sich beide dann der Erde nähern, springt er herab und ein anderer nimmt bei dem nächsten Schwung nach vorn seine Stelle ein; in dieser Weise geht das Spiel weiter. Als einst ein Eingeborener gefragt wurde, warum gerade immer ein Mädchen den Schaukelplatz einnehme, gab er zur Antwort, daß das Spiel für die jungen Männer sonst keinen Reiz haben würde.
Mit dem Einzug der Zivilisation ist auch das Kricketspiel nach Polynesien gekommen; besonders auf Tonga nahm es eine große Verbreitung an. Ein anderes Spiel, das gleichfalls einen westlichen Beigeschmack verrät, aber doch aus den voreuropäischen Tagen stammt, ist das auf Samoa und noch weit mehr in Mikronesien sehr beliebte Schausegeln. Hierfür werden besondere Boote gebaut von dem Typus der üblichen Auslegerfahrzeuge der betreffenden Gegend, aber mit dem Unterschied, daß die Ausleger verhältnismäßig lang und die Fläche des Segels groß zum Rumpfe des Schiffes ausfallen. Zu einer bestimmten Jahreszeit werden dann Wettfahrten unternommen, bei denen sich ein großer Eifer zwischen den Besitzern der Fahrzeuge und selbst zwischen den einzelnen Dörfern entwickelt. Ein früher auf Hawai viel geübter Sport, dessen Spuren noch jetzt angetroffen werden, war das Hörnerschlittenfahren. Auf primitiven[S. 26] Schlitten sauste der junge Häuptling die steile Hügelseite so rasend schnell herab, daß man glaubte, es gälte sein Leben oder zum mindesten seine Glieder.
Von sämtlichen Wassersportarten bereitet das Wassertreten den Polynesiern die größte Freude. Der junge Polynesier schwimmt mit einem kleinen Brett in die See hinaus, taucht unter die sich heranwälzenden Wellen, bis er die äußere Linie der Sturzwellen erreicht hat, wartet hier eine besonders große Welle ab, wirft sich, sobald ihre innere Höhlung ihn streift, auf sein Brett und wird mit großer Geschwindigkeit ans Land getragen. Manche Eingeborene besitzen darin eine solche Fertigkeit, daß sie ihre Wellenfahrt sogar stehend zurücklegen, wozu eine große Geschicklichkeit gehört, einmal beim Stehenbleiben auf dem Brette und zum anderen beim Ausweichen der Korallenbänke (Abb. 36 und farbige Kunstbeilage).
Kanuwettfahrten bilden gleichfalls einen beliebten Sport, besonders bei den Maori. Mit zwanzig Paddlern hintereinander besetzt, erzielen diese Kanu eine beachtenswerte Schnelligkeit. Am eigenartigsten und aufregendsten sind jedoch die Hindernisrennen mit Kanus über quer über die Rennstrecke gelegte, auf eingetriebenen Pfählen ungefähr einen Fuß höher als die Wasseroberfläche ruhende Stangen. Nähert sich ein solches Kanu, das mit zwei Paddlern besetzt ist, dem Hindernis, so wirft sich der Paddler am Bug rückwärts, dadurch hebt sich das Vorderteil scharf empor und gleitet über das Hindernis hinweg nach der anderen Seite, wo das Paddeln wieder aufgenommen wird (Abb. 37).
Ein Sport, der den Bewohnern der Gilbertinseln und der ihnen benachbarten kleinen Insel Nauru eigentümlich ist, besteht in der Jagd auf Fregattenvögel (Abb. 38 bis 40), die als Lieblingstiere in Dörfern gehalten werden. Die wilden Vögel werden durch gezähmte angelockt und, sobald sie herangekommen sind, schleudern die im nahen Versteck lauernden Jäger einen langen Bindfaden, an dem ein walnußgroßes Stück harten Korallenkalkes oder einer Tridacnamuschel befestigt ist, über den Fregattenvogel hinweg, so daß die Schnur über seine ausgebreiteten Flügel fällt. Ehe er sich davon befreien kann, wird er von den Vogelfängern ergriffen. In der Regel müssen bei einem Wettkampf dreißig Vögel auf diese Weise eingefangen werden. Da sich keine Frau[S. 27] der Fangstelle nähern darf, so malen sich die Jünglinge, die an der Jagd beteiligt sind, einen schwarzen Ring auf das Gesicht, um dadurch ihre Beschäftigung zu bekunden. — Vogelfang mit Schlingen, einst ein beliebter Sport auf Samoa, wird bis zu einem gewissen Grade auch heute noch betrieben. Es werden dafür als Lockmittel Tauben verwendet, die in offenen, in den Wald gehängten Bauern angebunden sind und durch ihren streitsüchtigen Charakter vorbeifliegende Vögel zum Kampfe herausfordern und in das Bauer locken sollen, um darin von den im Versteck liegenden Jägern gefangen zu werden. Die auf solche Weise erbeuteten Vögel werden als Lieblingstiere gehalten und sorgfältig mit Taro gefüttert, selbst wenn die eigene Nahrung knapp wird. Den Vögeln des Häuptlings wird eine besondere Achtung gezollt und sie werden, wenn man sich mit ihnen abgibt, mit denselben feierlichen Redewendungen angeredet, in denen man zu ihrem Herrn spricht.
Von den Sterbe- und Totengebräuchen wollen wir nur die alten Sitten auf Samoa etwas eingehender schildern. Fühlte in früheren Zeiten ein Familienvater sein Ende bevorstehen, dann ließ er durch ausgesandte Boten sämtliche Angehörige um sich versammeln. Alle feinen Matten, die die Familie besaß — sie stellten einen hohen Wert dar — wurden vor ihm angehäuft, damit er zum letzten Male an diesem seinem Reichtum sein Herz erfreue. Darauf brach ein lautes Klagen und Weinen aus, und die Götter des Todes wurden um Mitleid angefleht; dabei schlugen sich die Jammernden die Köpfe mit Steinen blutig oder ritzten sich die Haut mit Haifischzähnen. Wenn trotzdem der Tod sich einstellte, so wurden diese Götter, deren Hilfe man soeben noch angerufen harte, gehörig beschimpft, weil sie nicht geholfen hatten. Der Leichnam wurde nun von alten Frauen mit Kokosnußöl eingerieben und auf einem Lager von Rindenstoffen aufgebahrt, in seltenen Fällen, das heißt wenn es sich um Häuptlinge handelte, auch einbalsamiert. Währenddessen schaufelten die jungen Leute in der Nähe der Hütte ein nur wenige Fuß tiefes Grab und bekleideten den Boden und die Seiten mit Korallenstücken; sie legten die Leiche bald nach dem Tode hinein und schlossen[S. 28] die Grube ebenfalls mit Korallensteinen. Auf dem darüber errichteten Hügel häuften sie in den folgenden Tagen Lavasteine auf, so daß oft ein nach oben stufenweise sich verjüngender Kegel entstand. Im Sterbehause war es den Angehörigen verboten, Speise und Trank zu sich zu nehmen bis die Beerdigung beendet war, nur die Totenfrauen durften davon eine Ausnahme machen, sie wurden aber gefüttert, weil ihnen jegliche Speise zu berühren untersagt war. Nach der Beisetzung dagegen fand ein Leichenschmaus statt, mit einem sich daran anschließenden, bis tief in die Nacht hinein dauernden wilden Tanz. Starb jemand nicht in seiner Behausung, sondern durch Zufall im Freien oder eines gewaltsamen Todes, so glaubte man, daß seine Seele in irgend einer Tiergestalt umherirre und, falls sie nicht eingefangen und mit dem Körper begraben würde, als böser Dämon (Aïtu) sehr schaden könne. Daher breitete man an der Stelle, wo der Tod den Verstorbenen ereilt hatte, ein großes Stück Tapa aus und wartete, bis irgend ein Tier, entweder eine Eidechse oder Heuschrecke oder auch nur eine Ameise, sich darauf zeigte. Sofort schlug man in der Annahme, daß dieses Geschöpf die Seele beherberge, das Tuch über ihm zusammen und legte es dem Toten mit ins Grab. Von nun an hatten der Verstorbene und seine Angehörigen Ruhe; ersterer konnte nunmehr seine Reise nach der Unterwelt antreten, deren Eingang auf die stark vulkanische Insel Sawai verlegt wurde. Das Abfangen der Seele ist noch heute üblich. — Geht das Leben eines Häuptlings auf Samoa seinem Ende zu, dann ist natürlich das Sterbegefolge ein noch viel größeres, denn es versammeln sich um ihn alle seine Lehnsleute. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die Anwesenheit seiner Schwester, damit jedweder, wenn auch nur geringfügiger Streit zwischen beiden beigelegt werde, denn der Fluch einer Schwester gilt für das größte Unheil. Auf der ganzen Insel wird nach dem Tode umfangreiche Trauer angelegt. Vielfach zieht der Tod eines Häuptlings besondere Folgen nach sich. Auf Hawai führte der Heimgang des obersten Herrschers in früheren Tagen eine Neueinteilung aller Ländereien, die seine untergeordneten Häuptlinge im Leben von ihm erhalten hatten, und oft genug dieserhalb Streitigkeiten und selbst Kämpfe unter ihnen herbei. Auf Tonga wurde gelegentlich des Todes König Georgs I. ein strenges Tabu auf alle Arten von Beschäftigungen erlassen; diese Einstellung jeglicher Arbeit und der große Aufwand beim Begräbnis brachten die ohnehin schon in finanziellen Nöten sich befindliche Insel beinahe zum Bankrott.
Als Grabstätten dienten bereits vor der Berührung mit Europäern auf Hawai, den Cookinseln sowie auf Neuseeland Felshöhlen; die Gebeine verehrungswürdiger Vorfahren wurden oft gesammelt und in zierliche Pakete gelegt. Bis vor kurzem bewahrte man noch auf der Penrhyninsel die in Matten eingewickelten Toten im Hause hängend auf. Meistens finden sich die Gräber auf regelrecht angelegten Friedhöfen; auch sie werden auf irgend eine Weise kenntlich gemacht, zum Beispiel durch einen Hügel (Abb. 41), dessen Größe den Rang des Verstorbenen anzeigt, oder, wie auf den Marshallinseln, durch Aufstellen von Paddeln am Kopf- und Fußende und anderes mehr. In vielen Teilen Polynesiens legt man den Besitz des Verstorbenen[S. 29] auf sein Grab, selbst wertvolle Sachen, wie einmal eine Nähmaschine. Die dort niedergelegten Gegenstände werden indessen von niemand berührt, geschweige denn fortgenommen, so großen Wert sie auch besitzen mögen; denn das Tabu, das sich auf Tote bezieht, ist fast noch strenger als das für Lebende. — Vielfach herrscht neben dem Glauben, daß die Toten in der Nähe zurück[S. 30]geblieben sind, auch Furcht vor Gespenstern. Auf Niue hält man sich Hunde, deren Bellen übernatürliche Besucher fernhalten soll. Dagegen hegen die Bewohner von Penrhyn freundlichere Gefühle für die Heimgegangenen, denn sie bauen Hütten über ihren Gräbern, in denen sie schlafen, und hoffen, daß ihre Geliebten ihnen im Traume erscheinen. Ebenso ist auf den Paumotuinseln die Sitte, auf den Kirchhöfen zu schlafen, sehr verbreitet.
Von der früheren Religion sind auf Polynesien nur noch wenige Spuren vorhanden. Der Glaube an die hohen Götter des Meeres, des Himmels, der Erde und des Krieges ist heutzutage geschwunden. Nur dort, wo die christliche Religion noch nicht hingelangt ist, treffen wir noch Verehrung der alten Götter an; so hat auf Mikronesien, wo für die kleinen Koralleneilande die beständige Gefahr besteht, daß sie durch eine Sturmflut hinweggeschwemmt werden könnten, der Hauptgott des Sturmes noch Ansehen. Die meisten mikronesischen Götter werden durch Tiere oder Pflanzen verkörpert, so der Regengott durch einen Sternfisch, der Kriegsgott durch einen Haifisch, der Donnergott durch einen Kastanienbaum. Die Opfer, die man diesen Gottheiten darbringt, werden einfach unter einem Baume niedergelegt; Menschenopfer waren in Polynesien nie üblich. Obwohl auch die Sitte des Tabu schon sehr im Abnehmen begriffen ist, spielt sie doch verschiedentlich noch eine nützliche Rolle, zum Beispiel wenn ein Häuptling ein Tabu auf Ernten setzt, damit sie nicht vorzeitig eingeholt werden, oder wie auf den Paumotuinseln auf eine bestimmte Lagune mit Perlenfischerei, damit für eine gewisse Zeit ihre Ausnutzung verhindert werde, oder auf bestimmte Äcker, damit sie nicht bestohlen werden. Äußerlich wird dieses Verbot durch besondere Kennzeichen bekundet, wie durch Aufstellen einer aus Blättern angefertigten Figur eines[S. 31] Hornhechtes oder Haifisches — wer das Tabu bricht, ist in Angst, er könnte beim nächsten Baden von einem solchen Tiere angegriffen werden —, oder einfach durch Anbinden eines Blattes um den Stamm eines Baumes auf der Plantage, Aufhängen von Kokosnüssen auf dem sichtbaren Stumpfe eines Baumes und anderes mehr. Derartige Zeichen verfehlen ihren Zweck nie, denn der Eingeborene glaubt bestimmt, daß ihn ein Unglück, Krankheit, Blitz oder dergleichen treffen werde, sofern er ein solches Warnungszeichen nicht beachtet.
Einer großen Verbreitung erfreut sich noch der Aberglaube, daß man jemand durch Zauber mit einer Haarlocke, einem Fetzen Zeug oder einem Speiserest von einer Person Unglück zufügen könne. Auch Wahrsagerei wird noch viel betrieben, ebenso wird noch an Gottesurteile geglaubt. Auf Samoa zum Beispiel sucht man bei einem Diebstahl den Täter in der Weise zu bekommen, daß man alle Beteiligten um eine Schüssel mit Kava versammelt, in der ein kleiner geknoteter Faden schwimmt, und aufpaßt, in wessen Trinkschale beim Verteilen sich der verräterische Faden zeigt.
Die primitive Methode des Kochens, wie sie in Polynesien und Mikronesien üblich ist, bietet viel des Interessanten. Man kocht oder vielmehr röstet die Speisen in heißer Asche eines offenen Feuers. Zu diesem Zwecke wird in den Erdboden eine Grube oder Furche in gewünschter Größe ausgehoben, mit Brennholz angefüllt, darauf eine Anzahl Steine gelegt und das Holz angezündet. Sobald dieses niedergebrannt ist, und die Steine glühend rot geworden sind, wird die Grube von Asche und Kohlen gereinigt, und auf die noch glühend heißen Steine kommen die Gerichte, die gar werden sollen, zu liegen, alle in aromatische Blätter gewickelt. Darüber werden Erde und Matten gedeckt, um die Hitze an dem Entweichen zu verhindern[S. 32] (Abb. 42). Für gewöhnlich, doch nicht überall, gießt man noch Wasser auf die Blattpakete, bevor der Ofen geschlossen wird; man kocht dann mittels Dampf. Nach Ablauf einer gewissen Zeit, etwa einer Stunde oder noch mehr, je nach der Größe des Ofens und der Menge der Speisen, wird letzterer wieder aufgedeckt, und Fleisch und Gemüse sind bei dieser Behandlung völlig gar gekocht. Auf Neuseeland, wo noch Vulkane, im besonderen sogenannte Geiser in Tätigkeit sind, bietet die Natur den Menschen eine viel bequemere Kochmethode dar, nämlich heiße Quellen (Abb. 43), die in ihrer Temperatur zwischen kochend und warm abwechseln. Der Maori braucht seine Speisen, die er gar haben will, nur in einem Netz in eine solche kochende Quelle oder in den daraus ausströmenden Dampf zu halten, und die Natur besorgt in kurzer Zeit das weitere. Nebenbei werden diese Quellen auch noch allgemein zum Baden benutzt.
Das Feuer wird durch Reiben zweier Hölzer, von denen das eine hart, das andere weich sein muß, gewonnen. Man reibt das harte angespitzte Stück mit starkem Druck in einer Rille auf der Unterlage hin und her, bis die durch Reibung erzeugte Hitze den dabei entstehenden feinen Staub zum Glühen bringt, und entfacht diesen durch Anblasen und Auffangen mittels trockenen Grases zu einer Flamme. — Die Nahrung der Polynesier besteht in den Früchten der Kokos- und Pandanuspalme, des Brotfruchtbaumes, den Wurzelknollen des Tarogewächses — auf Hawai ist Poi (Abb. 1) eine daraus hergestellte sehr beliebte teigartige Speise —, in Schweinen, Hühnern und den Erzeugnissen des Meeres (Fischen, Krebsen, Muscheln und Schildkröten). Ein Hauptleckerbissen der Samoaner ist der Palolo, ein Wurm der Eunicegattung, der zu bestimmten Zeiten in großen Massen unter Festlichkeiten gesammelt wird. Eine andere eigenartige Speise bereiten die Marshallinsulaner aus Pandanusnüssen. Man kocht diese, preßt den Saft heraus,[S. 34] nachdem die Frucht mit der Schale geschrappt worden ist, und setzt ihn der Sonnenhitze zum Eintrocknen aus, wodurch eine Art Teig in Form von Eierkuchen entsteht. Eine Anzahl dieser Kuchen wird lagenweise aufeinander gelegt und bildet so eine große Wurst, die mit Blättern umwickelt und fest verschnürt wird. Solche Rollen haben manchmal eine Länge von fast drei und einen Umfang von nahezu zwei Meter (Abb. 44). Sie halten sich sehr lange Zeit, und je nach Bedarf werden Stücke davon abgeschnitten.
Eine eingehendere Behandlung erfordern die Zubereitung der Kava (Abb. 45), des Nationalgetränkes der Polynesier, sowie die Zeremonien des Kavatrinkens. Die Gewohnheit des Kavatrinkens erstreckt sich nicht nur über ganz Polynesien, mit Ausnahme der südlichen Gebiete von Neuseeland und die Chataminseln, und Mikronesien (Karolinen), sondern kommt auch auf Neuguinea und verschiedenen anderen Inseln Melanesiens vor. Der Kavatrank wird aus der Wurzel einer Pfefferart, des Rauschpfeffers (Piper methysticum For.) gewonnen. Die ursprüngliche Methode der Zubereitung bestand darin, daß man die zerkleinerte Wurzel vollständig, etwa zehn Minuten lang, zerkaute, sie mit dem dabei angesammelten Speichel, von dem nichts verschluckt werden durfte, in ein Gesäß ausspie und das Ganze hierin mit Wasser oder auch Kokosmilch verdünnte. Auf den Tonga- und Marquesasinseln, auch auf Fidschi waren es Jünglinge oder Knaben mit guten Zähnen und gesunder Mundhöhle, die das Kauen der Wurzel besorgten, auf Samoa und Tahiti aber junge Mädchen, die sich vorher die Hände waschen und den Mund ausspülen mußten. Auf Samoa im besonderen fiel dieses Amt einer Häuptlingstochter, der Dorfjungfrau oder Taupu zu (Abb. 46), die allgemein ein großes Ansehen genießt. Schon in der frühesten Jugend wird eine Häuptlingstochter für diesen Posten ausgewählt, den sie bis zu ihrer Verheiratung ehrenamtlich bekleidet. Sie wird bis ins kleinste hinein in allen geselligen Talenten, besonders im Tanzen, aus[S. 35]gebildet; auf ihre äußere Erscheinung wird großer Wert gelegt und nirgends geht sie hin, ohne von zwei Anstandsdamen begleitet zu sein, denn ihr guter Ruf muß sorgfältig behütet werden. Natürlich ist sie von aller anstrengenden Arbeit befreit. Zur Reifezeit nimmt sie ihre gesellschaftlichen Pflichten auf, die darin bestehen, daß sie, wenn großer Besuch ins Dorf kommt, die Wirtin macht, die Gäste begrüßt und bei festlichen Gelegenheiten die Kavabowle darreicht (früher auch vorher kaute), sowie den Tanz anführt. — Die Sitte des Kavakauens ist jetzt vielfach abgekommen zugunsten des Reibens mit Steinen. Auf Samoa benutzt man auch Maschinen.
Das Kavatrinken spielt bei den meisten Zeremonien (Abb. 48) eine sehr große Rolle und ist das unvermeidliche Vorspiel für alle Erörterungen politischer Angelegenheiten. Auf Tonga setzen sich bei einer solchen Zeremonie alle diejenigen, deren Rang es zuläßt, in einem Oval nieder, das eine Ende nimmt der erste Häuptling ein, das andere aber bleibt offen, denn hier steht die große hölzerne Schüssel für die Zubereitung der Kava, und hinter ihr sitzt, dem präsidierenden Häuptlinge gegenüber, der Zubereiter und an jeder Seite ein Gehilfe, der eine mit einem Fächer bewaffnet, um die Fliegen fernzuhalten, der andere mit mehreren großen Schalen Wassers. Hinter ihnen kauern die Zuschauer, deren Rang nicht gestattet, in dem Kreise der Auserwählten Platz zu nehmen. Die zerkleinerte Wurzel wird in die Schüssel getan; diese Tatsache kündet der Zubereiter mit einer stereotypen Phrase an, worauf einer der dem präsidierenden Häuptlinge zur Seite sitzenden[S. 36] Matabule, das ist Knappen, ihm mit dem Worte „Mische“ antwortet. Ein Gehilfe gießt nun Wasser auf, und der Zubereiter knetet die Masse mit beiden Händen, bis sie die erforderliche Festigkeit angenommen hat. Die Flüssigkeit wird dann durch ein Büschel aus Hibiskusfasern mittels Auswindens filtriert und das Getränk ist mundfertig. Die Gehilfen füllen nun die aus halben, dünn geschliffenen und fein geglätteten Kokosschalen hergestellten Trinkbecher an und der Matabule ruft die Namen derjenigen auf, denen sie gebracht werden sollen, wobei sehr wichtig ist, daß die Reihenfolge in der anerkannten Rangfolge gewahrt wird. Der Empfänger klatscht in die Hände, um zu zeigen, wo er seinen Platz hat. — Auf Samoa, wo die Eingeborenen mit großer Hartnäckigkeit an der alten Sitte des Kavatrinkens festhalten, spielt sich die Zeremonie in ziemlich der gleichen Weise ab. Bei der Verteilung des Trankes an hohe Häuptlinge wird indessen nicht ihr Name, sondern der ihres Bechers ausgerufen. In früheren Tagen war die Zeremonie des Kavatrinkens noch mit religiösen Riten verbunden. Sobald das Kavatrinken einen offiziellen Anstrich hat, sind überall die Frauen von der Teilnahme ausgeschlossen, sonst aber nehmen sie dieses Getränk sehr gern zu sich, und auf Viti Lewu und Tonga soll es wirkliche Kavakränzchen geben, die ausschließlich von Frauen besucht werden. — In kleinen Mengen oder in schwacher Lösung getrunken, bildet die Kava ein ungemein erfrischendes und kühlendes Anregungsmittel, in größeren Mengen übt sie eine leicht narkotisierende Wirkung aus, die das Gefühl von Behaglichkeit, Zufriedenheit und Glückseligkeit schafft.
Großen Fleiß und peinliche Sorgfalt verwenden die Polynesier auf den Bau ihrer Wohnstätten, namentlich auf den ihrer Klubhäuser (siehe die Kunstbeilage), die sie kunstvoll verzieren, eine bedeutende Leistung in Anbetracht der primitiven (Stein-)Werkzeuge, die ihnen vor Einführung der Metallinstrumente hiefür zur Verfügung standen.
Schließlich sei noch ein eigenartiges Münzsystem auf Mikronesien, speziell auf den Karolinen erwähnt. Es besteht aus kreisförmigen, Mühlsteinen ähnlichen Steinen, die in der Mitte durchbohrt sind (Abb. 47). Der stolze Besitzer mehrerer dieser mächtigen Steine gilt für reich. Indessen eignen sich diese „Münzen“ nicht für den praktischen Gebrauch, sondern mehr zur Zierde, zumal sie vor den Häusern aufgestellt zu werden pflegen. Leichter zu handhaben sind die niedrigeren Werte, zum Beispiel ganze Perlmuschel- oder Muschelscheibenschnüre, wie sie auf ganz Ozeanien üblich sind.
Trotzdem die Fidschigruppe geographisch und anthropologisch noch zu Melanesien zählt, schließen wir sie doch an Polynesien an, weil infolge des regen Verkehrs, der seit langem zwischen ihr und den nächstgelegenen polynesischen Inseln sich entwickelt hat, ihre Bewohner mit der Zeit ihren rein melanesischen Charakter verloren haben und durch den polynesischen Kontakt in ihren Sitten und Gebräuchen stark beeinflußt worden sind.
Die gewöhnliche Bekleidung des heutigen Fidschianers besteht in einem Lendentuch aus europäischem Stoff und einem Hemd, während sie früher aus langgestreiften Blättern und von den Eingeborenen selbst gewirkten Geweben (Abb. 52) oder aus Rindenstoff (Abb. 54) bestand; bei zeremoniellen Anlässen fügen Standespersonen wohl noch einen Tapastreifen hinzu, der um den Körper geschlungen wird (Abb. 53). Es ist diese Sitte ein Überbleibsel aus alter Zeit, wo der Rock eines Häuptlings ein einziger Rindenstreifen war, dessen Länge jedoch über hundertsechzig Meter betrug. Die Frauen sind heutzutage mit einem Faltenrock und einem blusenartigen Gewand bekleidet, oder tragen auch ein Kleid, das dem polynesischen Hänger ähnlich ist; in abgelegenen Dörfern des Innern dagegen ist noch der gefranste Gürtel aus Rindenfasern, das echte Kleid der Eingeborenen, anzutreffen. — Die alte Mode, das Kopfhaar mit Kalk zu bleichen, besteht noch, obgleich das Färben mit roter Farbe oder mit Ruß eine gefällige Abwechslung abgibt. Die Frauen behandeln ihr Haar so ziemlich gleichmäßig; unverheiratete Mädchen aber tragen manchmal noch die lange Strähne (Abb. 50), die sie, wie in früheren Tagen, als Jungfrau kennzeichnete und bei der Hochzeit feierlich abgeschnitten wurde.
Die übliche Wohnung der Fidschianer ist das rechteckige Haus mit langem Firstdach: oft steht es auf einem ein bis zwei Meter hohen Erdhügel, der um so größer ausfällt, je höher der betreffende Bewohner im Ansehen steht. Als Material werden häufig dicke Lagen Gras verwendet (Abb. 51). — Bei Fahrten über See werden auf den Booten ähnliche Häuser aufgebaut (Abb. 49).
Das Kind der Fidschiinsulanerin kommt für gewöhnlich mit Hilfe einer weisen Frau auf die Welt. Wird es tot oder besinnungslos geboren, dann versucht man es durch das Geräusch einer[S. 39] Klapper mit Kürbiskernen wieder zum Leben zu erwecken. Verläuft alles gut, so wird das Kind nach der Geburt gewaschen und erhält den Saft eines Kerzennußbaums in den Mund geträufelt, damit es sich zunächst übergibt; dann erst bekommt es seine erste Nahrung, bestehend aus zerkleinerter und zerkauter gerösteter Kokosnuß oder Banane.
Die Mädchen werden tatauiert, sobald sie sich dem Reifealter nähern, um dieses äußerlich zu kennzeichnen. Die Muster beschränken sich dabei größtenteils auf die Rumpf- und Lendenteile, die der Rock bedeckt. Die Finger bekommen auch ein paar Zeichen eintatauiert, um sie hervorzuheben, wenn sie dem Häuptlinge Speise darreichen. Frauen schmücken sich auch manchmal mit wuchernden Narben in bestimmten Mustern auf Arm und Rücken, die sie dadurch erzeugen, daß sie sich die Haut mit einem glühenden Stück Holz einbrennen lassen und das Zusammenheilen wochenlang künstlich verhindern. — Die Knaben werden beschnitten (Abb. 55).
Von den Unterhaltungen besitzt der Tanz, wie wohl überall unter den Naturvölkern, die größte Anziehungskraft; daher pflegt er bei den meisten Freudenfesten wohl nie zu fehlen. Der Sitztanz, wie wir ihn in Polynesien finden, hat hier zwar auch Eingang gefunden, aber charakteristischer und beliebter sind die richtigen „Balletttänze“, welche von einer großen Anzahl Tänzer aufgeführt werden. Sie sind mimischer Natur, so zum Beispiel halten die Tanzenden lange Tapastreifen und schwingen sie, um die sich brechenden Kämme der Brandung zu veranschaulichen (Abbild. 56). Die besten Tänze jedoch sind die, welche bewaffnete Krieger aufführen und einen Kampf mit Keule und Speer, wie er früher unter den primitiven Verhältnissen üblich war, versinnbildlichen (Abbildung 57). Hier sind die Fidschianer ganz in ihrem Elemente. Personen, die solche Tänze gesehen haben, können nicht genug die Exaktheit in den Bewegungen — ein Beobachter erzählt, daß dieselben mit Armen und Füßen von zweihundert Menschen so genau ausgeführt wurden, daß man den Eindruck hatte, sie säßen alle wie Marionetten an einem Drahte — und das Feuer, ja die Wildheit hervorheben, die die Fidschianer bei ihren Kriegstänzen zur Schau trugen. Nach dem Tanze wurde der umfangreiche Schmuck, den die Tänzer trugen, unter die Zuschauer verteilt.
Die am meisten charakteristischen Spiele der Fidschiinsulaner sind Lafo und Tiqa (tinkua gesprochen). Das erstere, das auch in Samoa und Tonga Eingang gefunden hat, wird mit Kokosnüssen gespielt. Die Hälften eines in der Mitte gespaltenen Palmblattes werden mit nach oben zeigenden Rippen auf die Erde gelegt und darüber wird eine lange Matte ausgebreitet, an deren Ende je zwei Spieler sich niederlassen; jedes Paar erhält fünf Kokosnußscheiben in abgestuften Größen. Man beginnt auf der einen Seite und wirft die kleinste Scheibe so nahe wie möglich an das andere Ende der Matte; die andere Partei wirft ihre dazu passende Scheibe noch näher an das Ende oder stößt die Scheibe des Gegners herunter. So wirft man die Scheiben der Größe nach abwechselnd weiter und derjenige, dessen Scheibe beim Aufhören des Spiels dem Rand der Matte am nächsten liegt, hat gewonnen. Darauf nimmt das andere Paar das Spiel von neuem auf. — Tiqa ist ein Spiel, das mit einem sonderbaren Wurfgeschoß ausgeübt wird; es besteht aus einem kegelförmigen polierten Kopf aus hartem Holz, an dessen Ende ein langes Rohr eingepaßt ist. Der Spieler stützt dieses Rohr auf den Mittelfinger und wirft den Apparat mit einer dem Kegeln ähnlichen Bewegung; die Tiqa fliegt durch die Luft und streift dann die Erde eine ziemliche Strecke entlang; der längste Wurf gewinnt das Spiel. Auf Fidschi besitzt beinahe jedes Dorf seinen Tiqaplatz, auf dem die Bewohner des einen gegen die des anderen mit großer Begeisterung Wettspiele abhalten.
Über das Eheleben ist wenig zu sagen, da die Inselbewohner, wenigstens dem Namen nach, sich zum Christentum bekennen; die Behörden oder die Missionare schließen den Ehebund. Das wichtigste davon betrifft das eigentümliche Verwandtschaftsverhältnis der sich Heiratenden. Der Sitte gemäß ist die richtige Frau für einen Mann die Tochter seines Onkels mütterlicherseits oder seiner Tante väterlicherseits; sie kommt nämlich bereits als seine Frau zur Welt, und wenn er sie auch wirklich nicht heiratet, so stehen ihre Verwandten zu ihm doch in einem solchen Verhältnis, als wäre sie wirklich seine Gattin. Gehen die beiden jungen Leute eine andere Heirat ein, so gelten ihre beiderseitigen Kinder als Geschwister, die unter sich nicht heiraten dürfen. Anderseits ist einem Mann unter keinen Umständen erlaubt, die Tochter seines Onkels väterlicherseits oder die seiner Tante mütterlicherseits zu ehelichen, ebensowenig wie er seine eigene Schwester heiraten darf; denn vom einheimischen Standpunkte aus sind sie ja in der Tat seine Schwestern. Die Beziehungen zwischen einem Mann und seiner natürlichen Frau, wenn dieses Wesen, das ihm die Sitte vorschreibt, so[S. 41] genannt werden darf, waren in den früheren Tagen der Polygamie so enge, daß ein Mann nicht nur eine von mehreren Schwestern nehmen konnte, sondern alle nehmen mußte; starb er, dann[S. 42] waren seine Frauen verpflichtet, Bräute seines Bruders zu werden. So fest ist diese alte Anschauung im Volke eingewurzelt, daß heutzutage, obgleich Wahlfreiheit in der Auswahl der Gatten herrscht, doch noch dreißig Prozent der Heiraten zwischen Personen geschlossen werden, die in dem besprochenen Verwandtschaftsverhältnis stehen. Neben dieser Gewohnheit ist als einzig überlebender Zug alter Hochzeitsgebräuche nur noch das eigentliche Fest übrig geblieben, das mit großem Prunk, entsprechend dem Range der sich Heiratenden, gefeiert wird. Handelt es sich um einen Häuptling, dann geht alles auf sehr großem Fuße vor sich, und manche der alten Zeremonien leben dann wieder auf. Dies geschah noch bei der Hochzeit eines Häuptlings von Rewa mit einer Prinzessin von Bau. Die Hauptpersonen waren mit Rindentuch in zahlreichen Schichten umwickelt, wie es ihrem Range zukam. Gelage und Tanz dauerten tagelang, und Berge von Schweinen und Schildkröten wurden verzehrt. Eine Menge Besitztum wurde von der Bevölkerung als Hochzeitsgabe beigesteuert, alles aber mußte ihr wieder zurückgegeben oder gegen Geschenke höheren Wertes eingetauscht werden. Auch die Zeremonie der Reinigung der Braut von dem Tabu, das durch die Ehe über sie ausgesprochen war, wurde ausgeführt. Am dritten Tage wurde nämlich ein neuerbautes Kanu zum Hause des Bräutigams geschafft, die Braut mit ihrem Gefolge nahm darin Platz und wurde zum Fluß getragen (Abb. 59). Das Kanu wurde hier ins Wasser gelassen und schnell stromabwärts gerudert, während die bewundernde Menge am Ufer sich niederwarf. Dadurch wurde die Reinigung vollzogen. Ihren Einzug in das häusliche Leben bekundete die Braut dadurch, daß sie mit ihrem auserwählten Lebensgefährten fischen ging.
Ein Fidschiinsulaner steht mit der Sippe seiner Mutter im nahen Verwandtschaftsverhältnis und darf alles, was ihm gerade gefällt, verlangen, wenn er in deren Dorf kommt. Allerdings würde es nur ein Mann von hohem Range wagen, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen. Ähnliche Rechte bestehen zwischen Dörfern, deren Bewohner ihre Abstammung von einem gemeinsamen[S. 44] Vorfahren ableiten. Wenn sie ausgeübt werden, kommt ein solcher Besuch einer wahren Zerstörung gleich; alle Schweine werden dann unter Umständen getötet, alle Früchte tragenden Bäume abgehauen und anderes mehr. Alles, was den armen Opfern davon übrig bleibt, ist nur die Aussicht, bei einem ähnlichen Gegenbesuch sich zu entschädigen.
Trotzdem die Fidschianer dem Namen nach Christen sind, hat sich unter ihnen manches aus ihrer ursprünglichen Religion, deren Kern Ahnenkultus und Seelenwanderung bildeten, bis in die heutige Zeit hinein erhalten. Nach diesem Glauben hatte die Seele des Verstorbenen vielerlei Abenteuer auf ihrer Wanderung westwärts zum Himmel zu bestehen. So hatte sie mancherlei Mühsale durchzumachen, zur Prüfung, ob der Verstorbene ein tapferer Mann oder ein Feigling gewesen ist und ob er eines gewaltsamen Todes starb oder nicht, denn nur die Mutigen und die im Kampfe Gefallenen oder Erdrosselten vermochten sich zu dem Berge, der ihr Paradies bedeutete, durchzuarbeiten. Schreckliche Ungeheuer lagen auf der Lauer, um den Wanderer mit Steinen oder einer Axt zu erschlagen, mit einem Rohr aufzuspießen und dergleichen. War er ein Feigling gewesen, dann wurde er von zwei weiblichen Teufeln mit großen Zähnen gejagt und vermochte nicht über das Netz zu springen, das zwei andere übernatürliche Wesen für die Schatten ausgespannt hatten. War einer unnatürlichen Todes gestorben, dann konnte er auf die Erde zurückgeschickt werden, um seine Vergehen zu sühnen, aber machte er alle Prüfungen durch, so erreichte er doch den Fluß der Vergessenheit, der alle Traurigkeit und allen Schmerz über die Trennung von den Angehörigen von ihm nahm. Der Schatten fand auf seiner Wanderung auch mehrfach Gelegenheit zu erfahren, ob seine Frau ihm im Tode nachfolgen würde, wie es die gute Sitte erforderte, indem sie sich bei seinem Begräbnis erdrosseln ließ, oder nicht. Sehr ansprechend nach unserem Empfinden war die Auffassung von einem großen Baume, der den Weg, den die Seele des Verstorbenen[S. 46] nahm, an einer bestimmten Stelle beschattete und an dessen Zweigen die Seelen kleiner Kinder hingen, die vor ihren Eltern gestorben waren und hier auf ihre Väter und Mütter warteten. Sobald die Mutter einem solchen Seelchen sich näherte, stieg es herab und ging mit ihr zu den Gefilden der Seligen. All dieser und ähnlicher Glaube gehört jetzt der Vergangenheit an; was von ihm übrig geblieben ist, sind einige geringfügige abergläubische Vorstellungen und ein paar Zeremonien, von denen vielleicht der Feuerlauf bei einem Stamme auf der Insel Beqa der interessanteste sein dürfte. Ein flacher, etwa dreißig Fuß breiter Graben wird abwechselnd mit einer Lage Holz und Steinen belegt und das Holz darauf angezündet; nachdem es ungefähr zwölf Stunden lang gebrannt hat, werden die Aschenreste weggekehrt und die glühend heißen Steine ausgebreitet. Zwölf bis vierzehn Männer treten nun hervor und wandeln langsam auf den Steinen herum und über den Graben; eine volle Minute halten sie sich in ihm auf (Abb. 60, 61 und farbige Kunstbeilage). Wenn diese Prozedur vorüber ist, werden Blätter und Gemüse auf die noch heißen Steine gelegt und zu einem Schmaus gekocht, mit dem die Festlichkeit ihren Abschluß findet. Gebratene Schweine bilden bei solchen Schmausereien den Hauptbestandteil (Abb. 58). Wie ein Naturforscher, der im Jahre 1904 den ganzen Vorgang zu beobachten Gelegenheit hatte, sich überzeugte, verkohlte ein Taschentuch, das er auf einen dieser Steine legte, innerhalb weniger Sekunden, und ein Thermometer, das er über der Grube aufhing, zeigte hundertunddreißig Grad Celsius. Der Beobachter[S. 48] prüfte auch die Beine und Füße der Betreffenden, sowohl vor wie nach der Zeremonie, und stellte fest, daß sie mit keinem Präparat eingerieben waren; trotz der mächtigen Hitze wurden nicht einmal die Haare an ihren Beinen versengt. Dieses Kunststück dürfte zum Teil aus der Gewohnheit der Leute zu erklären sein, auf den heißen Steinen am Strande zu gehen.
Der Glaube an Behextsein ist bei den Fidschiinsulanern heutigentags noch nicht ausgestorben; sie glauben noch fest daran, und es kommt vor, daß ein Fidschianer, nachdem er die Überzeugung gewonnen hat, daß er verzaubert worden ist und daraufhin sterben soll, sich ruhig auf seine Matte legt und den Tod abwartet, es sei denn, daß er ein Gegenmittel sich zu verschaffen weiß. In ähnlicher Weise glaubt man, daß der Besitzer eines „Leprasteines“ die Macht besitzen soll, jedem beliebigen diese Krankheit zuzufügen.
Ehedem war auf Fidschi noch Menschenfresserei üblich; das Menschenfleisch wurde auf Holztellern dargereicht und mit hölzernen Gabeln aufgespießt (Abb. 62).
Die Grabstätten gleichen im großen und ganzen denen in Polynesien.
Unter Melanesien verstehen wir eine Gruppe von Inseln im Stillen Ozean, die sich gleichsam wie ein Bogen um Australien in der Richtung von Südosten nach Nordwesten hinzieht. Das Gebiet beginnt mit den schon behandelten Fidschiinseln, es schließen sich in der angegebenen Richtung an: Neukaledonien, die Loyalitätsinseln, die Neuhebriden, die Banksinseln, die Salomoinseln; ferner der Bismarckarchipel und die Admiralitätsinseln, die deutscher Kolonialbesitz sind, und schließlich Neuguinea, die größte Insel Ozeaniens, die zum Teil unter deutscher Flagge steht. Obgleich die Melanesier in körperlicher Hinsicht sich nicht unwesentlich voneinander unterscheiden, so läßt sich doch als gemeinsames Merkmal ihre dunkle Hautfarbe bezeichnen, die dem ganzen Gebiet den Namen Melanesien (= schwarze Inseln, das heißt mit schwarzer Bevölkerung) gegeben hat; jedoch ist die Farbe kein eigentliches Schwarz, sondern vielmehr ein tiefes Braun in verschiedenen Abstufungen. Diese starke Färbung erstreckt sich sogar auf die Schleimhäute, zum Beispiel die Bindehaut des Auges, die besonders bei älteren Leuten manchmal einen bräunlichen Ton aufweist. Die Melanesier (Abb. 65) sind ziemlich große Gestalten von etwa hundertzweiundsechzig Zentimeter im Mittel, sie besitzen plumpe Gliedmaßen, einen länglichen, schmalen Schädel und reichliches schwarzes, krauses Kopfhaar. In den am meisten nach Westen vorgeschobenen Teilen, im besonderen auf Neuguinea, hat sich ein Sondertypus herausgebildet, die Papua. Dieser ist im allgemeinen durch eine höhere, mehr schlanke Gestalt, dunklere Hautfärbung und eine lange, konvex gekrümmte, manchmal vogelschnabelähnliche Nase in einem schmalen Gesicht gekennzeichnet.
Die Bekleidung der Melanesier fällt in den einzelnen Teilen ihres Verbreitungsgebietes sehr verschieden aus. An vielen Orten gehen die Männer einfach ganz nackt, oder sie tragen höchstens ein Lendentuch oder auch nur einen Schamgurt, der zwischen den Beinen durchgezogen und um die Hüften geschlungen wird. Die Kleidung der Weiber bildet meistens ein ebensolches Tuch oder ein Röckchen aus Blättern, Fasern oder Gras (Abb. 66 und 77), seltener ein Schamgurt (Abb. 89)[S. 50] oder Lendenschurz (Abb. 64). Nur in wenigen Gegenden sind die Angehörigen des weiblichen Geschlechts noch ganz unbekleidet, zumal wenn sie das heiratsfähige Alter erreicht haben. — Die Melanesier bekunden eine große Vorliebe für Schmuck, die sich nicht nur in reichlichem Körperzierat, wie Federputz im Haare (Abb. 68), Halsketten und Gehängen aus Hundezähnen, Perlen und getrockneten Früchten und dergleichen (Abb. 73 und 75), Ohrringen in großer Mannigfaltigkeit, Nasenstäbchen, Gürteln, Armbändern um die Handgelenke, Ringen um die Beine und Fußgelenke, die entweder aus geflochtenen Fasern, Rinde, oder aus Muscheln bestehen, sondern auch in regelrechter Verzierung ihrer Gerätschaften, Werkzeuge und Gebäude durch Schnitzereien und Einbrennen von realistischen und konventionellen Figuren (menschlichen Wesen, Vögeln, Pflanzen und ähnlichem) ausprägt. In der künstlerischen Auffassung bestehen zwischen den verschiedenen Stämmen große Unterschiede; einzelne davon, die in anderer Hinsicht zu den primitivsten zählen, verraten ganz bedeutende Fähigkeiten auf künstlerischem Gebiete.
Tatauierung ist auf den meisten Inseln üblich; auf einzelnen werden sowohl Männer wie Weiber, auf anderen wieder nur letztere tatauiert (Abb. 66, 67 und 72). Für beide Geschlechter gilt dieser Schmuck einfach als ein Zeichen der Geschlechtsreife und der Heiratsfähigkeit, besonders beim weiblichen Geschlecht, in anderen Gegenden als Klanabzeichen, in noch anderen als Ehrenabzeichen für Männer, die sich hervorgetan, zum Beispiel einen Feind getötet haben und anderes mehr. Schnitte ins Fleisch und davon zurückbleibende Narben sind gleichfalls eine übliche Form des Körperschmuckes, auch häufig ein besonderes Merkmal zur Kennzeichnung der Sippe. Die Wilden von Liueniua, die verwandtschaftlich mehr zu den Polynesiern gehören, schlitzen die Nasenspitzen auf (Abb. 83). Nasen- und Ohrdurchbohrung ist bei beiden Geschlechtern sehr beliebt (Abb. 69 und 70). In die so entstandenen Löcher werden später die verschiedenartigsten Gegenstände eingeführt, wie Stäbchen, Muscheln, Blumen, Gras und dergleichen. Die Ohrlöcher werden vielfach durch Hindurchstecken immer größerer Gegenstände in dem Maße ausgedehnt (Abb. 76), daß sie, wenn nichts in ihnen steckt, wie lange, schwebende Fleischlappen beinahe bis auf die Schultern herabhängen (Abb. 80); umschließen sie aber eine große Scheibe, dann sehen sie wie mit einem schmalen Rande (Fleischsaum) eingefaßte Brillengläser aus[S. 52] (Abb. 69). — Auf einzelnen Inseln übt man auch die Verunstaltung des Schädels. So wird dem Schädel der Kinder auf Neupommern durch Pressen eine hohe, spitze Form gegeben (Abb. 84).
Die Wohnstätten der Melanesier zeigen verschiedenen Typus; man begegnet ganz primitiven, bienenkorbähnlichen Hütten neben ziemlich ansehnlichen, selbst zweistöckigen Häusern (Abb. 71). In den Küstengebieten, aber weniger am offenen Meere, als vielmehr in seichtem Wasser der geschützten Buchten, stehen die Häuser auf Pfählen (Abb. 74, 78 und 79) und bilden hier ganze Dörfer. Der Grund dieser Bauweise mag wohl der sein, sich gegen feindliche Überfälle sowohl von seiten der Menschen wie auch wilder Tiere, desgleichen gegen Überschwemmungen zu schützen. Allerdings ist der Aufenthalt im Innern dieser Häuser zumeist nur auf die Nacht beschränkt, denn tagsüber spielt sich das Leben entweder auf der am Giebel angebauten überdachten Plattform oder auf freiem Platze vor dem Hause ab. Die innere Einrichtung der Häuser ist sehr primitiv. Ein Abteilen des gesamten Innenraumes durch Wände (Matten) geschieht nur selten, vielmehr hausen alle Familienmitglieder zusammen mit Schweinen, Hunden und anderem Getier in diesem einzigen Raum. Als Ruhestätte dient ihnen der bloße Fußboden. Auf Neuguinea sind bei vielen Stämmen zur Schonung der kunstvollen Haarfrisuren schön geschnitzte Kopfruhebänkchen oder, richtiger gesagt, Nackenstützen in Gebrauch. — Eine eigentümliche Abart der Behausung stellen die Baumhäuser dar, die ihre Entstehung wohl dem gleichen Grunde wie die Pfahlhäuser verdanken. Man gelangt zu ihnen auf Strickleitern und bringt darin nur die Nacht zu, während am Tage zum Aufenthalt der Boden am Fuße des Baumes dient (Abb. 86 und 92).
Eine typische Erscheinung von Melanesien sind die sogenannten Junggesellen- und Versammlungshäuser, zumeist stattliche, durch Schnitzwerk reich verzierte Gebäude, in denen die männlichen Dorfbewohner die Nacht zubringen, öffentliche Versammlungen abhalten, die Schilde und Masken, sowie die großen Trommeln aufbewahren.
Die Nahrung der Melanesier besteht in dem Ertrag ihres primitiven Feldbaus, der Yams- und Tarowurzel, Kokosnuß, Bananen- und Brotbaumfrucht, sowie in dem Fleisch von Fischen, Hühnern, Schweinen und Hunden. Jagd wird, weil das Wild sehr knapp ist, nur wenig betrieben, dagegen vielfach Fischfang mittels Speeren und Reusen (Abb. 81 und 82). Die Genußmittel bestehen in Betel und Tabak. Früher war über den größeren Teil Melanesiens auch Menschenfresserei (Kannibalismus) sehr verbreitet (Abb. 87), doch ist sie dank des europäischen Einflusses so ziemlich gänzlich ausgerottet worden, nur an einzelnen Orten, wohin dieser Einfluß noch nicht gedrungen ist, scheint diese Unsitte ihr Dasein noch ganz im Verborgenen zu fristen. Die Gründe, die zum Kannibalismus treiben, sind häufig abergläubischer Natur; man hofft durch das Verzehren seines Mitmenschen dessen gute Eigenschaften, im besonderen seinen Mut sich anzueignen. Gelegentlich führen aber auch Rache und Haß dazu, aber nur selten wohl gewöhnlicher Fleischhunger. Nach den Schilderungen des Forschers Loria von den Sitten der damaligen Bewohner von Logea, einer Insel, die südwestlich von Neuguinea liegt, wurde der Körper des erschlagenen Feindes in getrocknete Kokosnußblätter gewickelt, mit einem Strick an einem Baume über ein Feuer gehängt und geröstet. Sobald der Strick durchgebrannt und der Leichnam zu Boden gefallen war, stürzten sich alle Teilnehmer unter mächtigem Freudengeheul auf den halbverkohlten Körper und schnitten sich mit dem Messer Stück für Stück von ihm ab. In anderen Gegenden wurde der frische Leichnam vor dem Rösten sachgemäß in Stücke zerlegt, darauf die einzelnen Teile in Blätter gewickelt und am Feuer gebraten. Gewöhnlich aß man zuerst das Gehirn, dann die Schenkel und schließlich den übrigen Körper. Einzelne Stämme, zum Beispiel die Tugeri, trugen die Mahlzeitüberreste, wie die Knochen, später als Körperschmuck. Vielfach durften die Frauen, denen die sämtlichen Zubereitungen zu diesem Mahle oblagen, an ihm nicht teilnehmen, sondern mußten sich damit begnügen, die saftdurchtränkten Blätter abzulecken.
Eine eigenartige Form des Kannibalismus ist die Kopfjägerei, eine Unsitte, der die Bewohner in den nördlichen Teilen Neuguineas noch heute huldigen. Die Gründe hierfür sind einmal religiöser Natur; der erbeutete Schädel soll ein Opfer bedeuten, zum Beispiel für glückliche Vollendung eines Haus- oder Kanubaues. Oder es liegt ihr Eitelkeit des jungen Mannes zugrunde, der Wunsch, in den Augen seiner Schönen Anerkennung und Entgegenkommen zu finden; denn je mehr Schädel von ihm erbeutet werden, um so höher steht der Kopfjäger im Ansehen. Daher werden die Opfer zumeist aus ganz geringfügigem Anlaß angegriffen oder hinterrücks überfallen; der erbeutete Schädel wird vom Rumpfe getrennt, ins Dorf mitgenommen und vor dem Hause auf einer Stange oder einem Speer aufgepflanzt.
Äußerst zahlreich sind die Zeremonien der Melanesier, die sich auf den Eintritt in die verschiedenen Lebensstadien beziehen. Schon vor der Geburt ist das Kind Gegenstand abergläubischer Fürsorge und Furcht. Während der Schwangerschaft müssen von der angehenden Mutter manche Bestimmungen eingehalten und gewisse Zeremonien beobachtet werden, um die Leibesfrucht vor dem Einflusse böser Geister zu schützen oder Mißbildungen vorzubeugen, auch um die Niederkunft zu erleichtern. So verfertigt auf Neupommern der Dorfzauberer für die Frauen, die zum ersten Male guter Hoffnung sind, oder auch für solche, die eine Fehlgeburt durchgemacht haben, ein Amulett aus Tierzähnen, Muscheln und Rotangfasern, das die weiblichen Teile versinnbildlicht und über der Brust oder den Rücken getragen wird (Abb. 88). — Vielfach begegnen wir auch gewissen Speiseverboten; so dürfen die schwangeren Motu-Motu-Frauen (Britisch Neuguinea) keine Taro- oder Yamswurzel und Süßkartoffeln,[S. 56] die Schwangeren anderer Gegenden keine scharfen Speisen zu sich nehmen, ebenso dürfen die Kunifrauen (Britisch-Neuguinea) keine Schlangen, Leguane und dergleichen essen. Die angehenden Mütter glauben, daß diese Tiere sich sonst in ihrem Leibe festsetzen und dadurch die Geburt hindern könnten und anderes mehr. Bei verschiedenen Stämmen müssen sich die Schwangeren einige Zeit vor der Geburt von der Außenwelt absondern, zumeist in einer für diesen Zweck eigens erbauten kleinen Hütte, in der sie kein männliches Wesen, der eigene Mann nur vereinzelt besuchen darf. Die Verpflegung der Abgesonderten geschieht durch Frauen, die ihr auch in der schweren Stunde beistehen. — Geht jemand auf der Insel Andei (Nordküste Neuguineas) an einem solchen Hüttchen vorbei, dann darf er auf dem gleichen Wege nicht wieder zurückkehren, andernfalls würden die Gärten durch Schweine verwüstet werden. Wer die Mutter mit dem noch säugenden Kinde trifft, muß das Gesicht von ihr abwenden, um nicht krank zu werden. Im Bismarckarchipel begibt sich die Schwangere kurz vor ihrer Entbindung an den Meeresstrand und wirft sich mit einem Stein in die brandende Welle. Hebt diese sie empor, so muß sie von neuem untertauchen; sie hofft dadurch die Geburt zu erleichtern und des Kindes Wohlbefinden zu fördern. — Auch der Mann übernimmt während der Schwangerschaft der Frau gewisse Pflichten. Die Motu-Motu-Männer müssen in dieser Zeit auf den Genuß von Krokodilfleisch und Fischen, die Papua von Kaiser-Wilhelms-Land auf Betelkauen und Tabakrauchen verzichten. Selbst männliche Verrichtungen müssen eingestellt werden, so dürfen die Ehemänner der Papua von Kaiser-Wilhelms-Land sich nicht aufs Meer wagen, weil sie dort ertrinken könnten, auch keine Fische fangen, weil dies sich doch nicht lohne, überhaupt die männlichen Dorfbewohner insgesamt das Dorf nicht verlassen, weil sonst die Plantagen nicht gedeihen würden und dergleichen mehr.
Auf den Inseln der Torresstraße geht ein Mann, dessen Frau in Geburtswehen liegt und große Schmerzen erleidet, bisweilen an die See und taucht immerfort darin unter, möglicherweise stundenlang, bis das Kind geboren wird, in dem Aberglauben, daß dieses Verfahren der Mutter eine Erleichterung bringe. Wenn die Geburt sich verzögert, nimmt der Zauberer irgend einen[S. 57] geweihten Gegenstand und wirft ihn in das Wasser, damit das Kind zur Welt kommt, oder der Gatte steht so lange in der See, bis es ihn an den Beinen friert, und hofft auf diese Weise dasselbe Ergebnis zustande zu bringen. Bei den Motu-Motu pflegt sich der Mann, sofern die Geburtswehen der Frau sehr heftige sind, dicht neben sie zu setzen und seine Armspangen abzunehmen, was die Schmerzen lindern soll. Nach der Geburt legt er sie wieder an.
Die Nabelschnur wird, wie es sonst meistens üblich ist, abgeschnitten. Die Papua von Kaiser-Wilhelms-Land bewahren sie auf, bis das Kind zu gehen anfängt, denn sie fürchten, daß mit ihr Mißbrauch getrieben und dem Kinde dadurch geschadet werden könnte; nach Ablauf dieser Zeit ist ihre Furcht geschwunden und der Nabelschnurrest wird dann fortgeworfen. Auf Holländisch-Neuguinea wird beim Abfall der Nabelschnur ein ähnliches Fest wie bei der Geburt gefeiert. In Doreh bestand früher die Sitte, daß man sie an einem Baum aufhing, wenn der Vater von einer längeren Reise zurückerwartet wurde, damit er sogleich daraus ersehe, ob das inzwischen geborene Kind noch lebe oder schon gestorben sei; hing sie an einem trocknen Ast, dann war das Kind tot. — Eine in Neukaledonien übliche Kinderwiege zeigt die Abbildung 85.
Anklänge an das Männerkindbett (Couvade), das ist das Zubettliegen des Vaters als Kranker, und verwandte Gebräuche sollen sich vereinzelt, so zum Beispiel auf den Salomonen, finden. Auf ganz Melanesien herrscht dagegen die Sitte, daß der Vater sowohl vor wie nach der Geburt, und zwar letzteres in ausgedehnterem Umfange als seine Frau, eine Zeitlang sich bestimmten Verboten zu unterziehen hat. Vielfach muß er sich solcher Nahrung enthalten, die dem Kinde schaden könnte. Auf den Neuhebriden und anderen Inseln muß er es manchmal unterlassen, schwere Gegenstände zu heben, auf einen Baum zu klettern, irgend eine schwere Arbeit zu verrichten oder auf die See hinauszufahren, alles aus Furcht, es könnte dem Kinde Schaden bringen. Auf Britisch-Neuguinea muß der Vater längere Zeit im Versammlungshaus leben, in Suau ist ihm sogar jeglicher Verkehr mit der Familie untersagt; er sieht Frau und Kind erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit, während der er auch fasten muß. Bei den Monumbopapua (Deutsch-Neuguinea) muß er noch andere Vorschriften beachten: er darf sich nur an dem Feuer seines eigenen Hauses, niemals an einem fremden, seinen Tabak anzünden und nur mit jenem kochen, daher es niemals ausgehen lassen; er darf alles Geröstete, ferner das Fleisch vom Dorfschwein, alles Fischfleisch und sämtliche Speisen, die einem kürzlich Verstorbenen gehörten, nicht essen. — Für die junge Mutter bestehen solche Tabu nur in beschränktem Maße. So muß sie ihren Tabak während einer gewissen Zeit anstatt mit den Fingern, wie sonst üblich, mit einem gespaltenen Stäbchen halten. Auf Andei darf sie bei einem etwaigen Besuche ihres Gatten, was aber nicht gern gesehen wird, nicht die Treppe ins Haus hinaufgehen, sondern muß auf einem Balken, der nur wenige und ganz flache Einkerbungen trägt, hinaufklettern, im anderen Falle würde sie den Hausinsassen Unglück bringen.
Vielfach begegnen wir auch geschlechtlicher Abstinenz für eine bestimmte Zeit, die nicht nur die Frau, sondern auch der Mann zu beobachten hat. Bei den Monumbo erfordert diese Sitte so lange Enthaltsamkeit, bis das Kind gehen kann, und dies für den Mann nicht allein der eigenen, sondern auch einer anderen Frau gegenüber.
Im allgemeinen gibt man sich auf Melanesien bei der Geburt eines Kindes nicht viel mit[S. 59] Zeremonien ab, jedoch werden hin und wieder solche angetroffen; öfters beschränken sie sich auch nur auf Erstgeburten, manchmal auch nur auf Kinder von Häuptlingen. Auf Neumecklenburg gibt die Geburt eines Erstgeborenen Anlaß zu einem Scheinkampfe zwischen Männern und Frauen, von denen die ersteren mit Stöcken, die letzteren mit Steinen und anderen Wurfgeschossen bewaffnet sind, und einem sich daran anschließenden Schmaus. In den gebirgigen Gegenden im Innern Neuguineas wird ein solcher Angriff nur von den Frauen unternommen, so bei den Kuni auf das Haus der Wöchnerin und das Männerklubhaus, bei den Mafulu auf das Haus des Häuptlings und gleichfalls auf das Dorfklubhaus; die Weiber, die dabei in vollem Tanzschmuck sind, sollen ihre Speere und Knüttel mit solcher Kraft gegen diese Häuser schleudern, daß sie nicht selten durch das Dach ins Innere dringen. Immer gibt es nach diesen Angriffen ein längeres Festessen. Auf Kaiser-Wilhelms-Land laufen die Papuaweiber bei der Geburt eines Erstgeborenen zusammen, jagen die männlichen Verwandten des Kindes oder werfen auf sie; die Zeremonie endigt auch hier wieder mit einem Schmaus, an dem bei den Motu-Motu-Leuten nur die „alten Damen“ teilnehmen dürfen. Auch anderwärts, zum Beispiel bei den Roro, wird die Geburt des ersten Kindes durch einen Tanz gefeiert, zu dem man sich prächtig schmückt (Abb. 90). In eigenartiger Weise werden die neugeborenen Kinder von den Mekeoweibern in einem durch den Kopf gestützten, nach vorn hängenden Netz getragen (Abb. 93).
Zahlreicher sind jedoch die Gebräuche, die sich im engeren Kreise abspielen. In einer Gegend von Südost-Neuguinea hebt die junge Mutter ihr Kind beim ersten Vollmond nach der Geburt auf und zeigt es ihm, damit es daraufhin schnell wachse und bald sprechen lerne. Auf einer der Neuhebriden geht der Vater etwa zehn Tage nach der Geburt zum Strande und zerstreut auf dem Wege kleine Spielzeugbogen, wenn es sich bei dem Familienzuwachs um einen Knaben handelt, oder Stücke von Pandanusfasern, wenn es ein Mädchen war; mit dem ersteren ist der Wunsch verbunden, daß der Knabe ein kräftiger Bogenschütze werden möge, mit dem letzteren, daß das Mädchen späterhin stets ihrer Pflicht als Mattenflechterin, also als Hausfrau eingedenk sein möge. Auf einer anderen Insel bringen die Verwandten des Vaters der Mutter Speisen und Matten, sie legen solche nebst Bändern, mit denen Schweine angebunden werden, auf das Haupt des Kindes, was der Vater als Zeichen dafür hinnimmt, daß sie später einmal im Notfalle seinem Kinde helfen und es[S. 60] zu ernähren bereit sein werden. — In Kaiser-Wilhelms-Land legt die junge Mutter beim ersten Ausgang mit dem Kinde Holz und Grasbündel auf den Weg, damit die Geister ihm nichts anhaben können; muß sie über ein Wasser gehen, so werfen die Familienmitglieder aus dem gleichen Grunde Steine hinein, mit denen sich die Geister anstatt mit dem Kinde beschäftigen sollen. — Auf der Gazellehalbinsel bewegt eine Frau das Neugeborene durch den Rauch eines Feuers mit den Worten: „Zupfe deinen Bart und knirsche mit den Zähnen, schmücke deinen Hals und trage die Streitkeule, wenn du den Busch durchschreitest,“ sofern es ein Knabe ist, oder „bestelle die Pflanzung, gebäre Kinder, beiße die Lianen zum Aufreihen des Muschelgeldes zurecht, bringe das Getreide herbei und ziehe auf den Markt,“ wenn es sich um ein Mädchen handelt. Ein Zauberer streckt dabei seine Hand in den Rauch, nimmt etwas Asche zwischen die Finger und berührt damit Augen, Ohren, Schläfe, Nase und Mund des Kindes, um ihm dadurch gegen die bösen Geister Kraft zu verleihen. — In den mittleren Teilen Neupommerns versammeln sich die Männer des Dorfes im Klubhaus, jeder mit einem Baumzweig versehen. Sie brechen ein paar Zweige ab, die junge Schößlinge haben, und behalten sie in der Hand, während sie die übrigen Blätter verbrennen. Darauf spricht einer von ihnen einen Zauberspruch über ein Stück Ingwer, das sodann unter die übrigen verteilt wird. Die Männer zerkauen den Ingwer, speien ihn auf die Zweige aus und halten diese in den Rauch hinein. Merkwürdigerweise soll dieser Vorgang weniger dem Kinde, als vielmehr den Teilnehmern nützen, denn sie glauben, daß, wenn sie diese Zeremonie bei der Geburt eines Kindes nicht beobachten, sie selbst im Kriege feige sein, und ihre Waffen ihre Macht verlieren würden. Eine Frau der Kiriwina im Südosten von Neuguinea trägt nach der Geburt eine Zeitlang einen langen Grasmantel an Stelle des sonst üblichen kurzen Grasrockes (Abb. 91).
Kindsmord ist eine fast über ganz Melanesien verbreitete Unsitte. Bekommt ein[S. 62] lediges Mädchen ein Kind, so tötet sie es meistens, denn, obgleich die sexuelle Moral fast auf allen Inseln Melanesiens eine lockere ist und vielfach überhaupt nicht besteht, sind uneheliche Kinder sehr unerwünscht; vielfach hält man eine Niederkunft vor der Ehe direkt für eine Schande und bestraft sie, selbst mit dem Tode. Wie verbreitet deshalb die Kindesabtreibung in Melanesien sein mag, geht aus einer Mitteilung Parkinsons hervor, daß auf Neumecklenburg sechzehn- bis achtzehnjährige Mädchen durchaus keinen Hehl daraus machten, daß sie bereits drei- bis viermal ihr Kind abgetrieben hätten. Die Methoden sind ziemlich die gleichen, wie wir sie an anderer Stelle bereits erwähnten. Bei den Jabim (Finschhafen) geben Mütter ihren Töchtern gleich solche Mittel in die Ehe mit, damit sie einen etwa eintretenden größeren Kindersegen verhindern und so nicht frühzeitig verwelken.
Mannigfach sind die Gründe, aus denen auch ehelich geborene Kinder getötet werden. Entweder wollen die Eltern überhaupt keinen Familienzuwachs mehr, weil ihnen die Aufzucht der Kinder Mühe, Sorgen und Kosten macht, oder sie hatten sich ein Kind anderen Geschlechtes gewünscht, oder sie geben andere, uns ganz seltsam anmutende Ursachen an. So zum Beispiel begründete eine Kunifrau die Tötung ihres Neugeborenen damit, daß sie durch das Beiseiteschaffen ihres Kindes frei sein wollte, um ein Ferkel säugen zu können. Bei den Mafulu ist es Sitte, daß eine Frau, ehe sie ein Kind bekommt, ein Schwein für einen Dorfschmaus stiften muß; ist ihr dies nicht möglich und kommt sie inzwischen nieder, ohne jene Pflicht erfüllt zu haben, so verheimlicht sie die Geburt des Kindes und bringt es beiseite.
Auch abergläubische Vorstellungen erfordern bei diesem Volke den Tod eines Neugeborenen. Die Mutter geht mit ihrem Säugling an den Fluß und gibt ihm von dessen Wasser zu trinken; nimmt[S. 63] das Kind etwas davon, dann läßt die Mutter es am Leben, wo nicht, so gilt dies als ein Zeichen, daß das Kind sowieso bald sterben würde, sie wirft es darauf kurzerhand in den Fluß.
Die Geburt von Zwillingen wird nicht überall mit gleichen Gefühlen aufgenommen. In einigen Gegenden ist man stolz auf sie, in anderen gelten sie als Schande. Die Nachbarn vergleichen die Geburt dann oft verächtlich mit einem Schweine- oder Hundewurf oder verdächtigen die Mutter des Ehebruchs — man läßt sich dabei von dem Aberglauben leiten, daß Zwillinge verschiedene Väter haben müßten —, auch wohl den Vater des Bruches eines Gelöbnisses oder eines Tabus, wofür sie auf diese Weise bestraft werden. Überall dort, wo Zwillinge nicht gern gesehen werden, ist es üblich, entweder beide oder wenigstens einen von ihnen zu töten. Hierfür sind meistens ähnliche Anschauungen maßgebend, wie wir sie bei den Polynesiern bereits kennen gelernt haben.
Mannigfache Gebräuche knüpfen sich auch an die wichtigsten Momente im Leben der heranwachsenden Jugend. Im Innern von Neupommern gibt das Anlegen der ersten Kleidung[S. 64] eines Erstgeborenen Anlaß zu einem Schmaus. Dem Kinde werden die Kopfhaare so abrasiert, daß nur eine Haarkrone stehen bleibt; es wird festlich geputzt und dann zur Bewunderung vor die Festteilnehmer gesetzt. Ist es ein Knabe, so bleibt er so lange unbekleidet, bis ein naher Verwandter ihm ein Lendentuch bringt, seine Hüften damit reibt, eine Zauberformel dazu spricht und das Tuch schließlich am Körper befestigt; darauf findet ein Maskentanz statt und der Knabe wird in gewisse Geheimnisse eingeweiht, die er nicht verraten darf. Als Zeichen der Bestrafung für die Übertretung des Verbots wird vor seinen Augen ein Mann geschlagen. Man schlägt den Knaben auch wohl auf die Beine, damit er schnell laufe, und auf den Mund, damit er eine kühne Sprache führe. Bei den Roro und Mekeo (Neuguinea) wird der Knabe, nachdem die Verwandten mütterlicherseits ein vom Vater geschenktes Schwein verzehrt haben, in das Haus seines Onkels geschickt, der ihm in Abwesenheit der väterlichen Verwandten, denen es verboten ist, hierbei zuzusehen, den Schamgurt umlegt. An allen diesen und ähnlichen Zeremonien nehmen die männlichen Verwandten der Mutter des Knaben den Hauptanteil, während die Tätigkeit des Vaters sich meistens auf die Bewirtung und Beschenkung der Gäste beschränkt. Es hängt diese Eigentümlichkeit mit dem Begriff über die Abstammung in mütterlicher Linie, welcher der natürlichen Auffassung der Blutsverwandtschaft entspricht und noch vielfach in Melanesien verbreitet ist, zusammen. Dieser Auffassung zufolge gehört das Kind der Sippe seiner Mutter an und steht mit deren Angehörigen in näherer Verwandtschaft, als mit der des Vaters, da man bei der ursprünglichen allgemeinen Vermischung nie wissen konnte, wer der richtige Vater war. Die Verwandten der Mutter sind daher auch an vielen Orten in höherem Grade für die Erziehung des Kindes verantwortlich als die eigentlichen Familienangehörigen in unserem Sinne. Ähnlichen Zeremonien beim Anlegen der ersten Kleidung begegnen wir verschiedentlich. Bei den Mafulu, die damit eine große Schmauserei verbinden (Abb. 94), besteht noch[S. 65] eine eigenartige Zeremonie, deren Vollziehung dem Knaben das Recht verleiht, in das Dorfklubhaus einzutreten und hier zu wohnen. Das festlich geschmückte Kind muß hierbei auf einem geschlachteten Schwein stehen, es wird dann von dem Eingeborenen, der das Schwein brachte, sofort wieder fortgenommen und in eiligem Lauf zum Klubhaus an dem einen Ende des Dorfes getragen, auf dessen Plattform zwei Reihen Männer sitzen; der Knabe wandert nun von einer Hand in die andere und wird darauf dem Überbringer zurückgegeben, der mit ihm zum Klubhaus am entgegengesetzten Ende des Dorfes eilt, wo mit dem Kinde dasselbe vorgenommen wird. Schließlich trägt der Mann es zu seinen Eltern zurück.
Mit dem Zeitpunkt, in dem die Knaben sich der Reife (Pubertät) nähern, werden sie in die Gebräuche und Sitten des Stammes, sowie in seine etwaigen Geheimnisse eingeführt. Dabei ist meistens Bedingung, daß die Knaben in einer besonders errichteten Hütte eine gewisse Zeit, während deren sie von anderen Stammesangehörigen gemieden werden, in Abgeschlossenheit zubringen und gewöhnlich auch vor und während der mit ihnen vor[S. 66]zunehmenden Einweihung eine Anzahl Unannehmlichkeiten erdulden müssen. Auf den Anachoreteninseln werden die einzuweihenden Knaben in einem besonderen Hause abseits vom Dorfe untergebracht und der Obhut eines alten Mannes übergeben; sie dürfen nur besondere Speisen, die man im Dorfe zubereitet, genießen, ihre Haare nicht mit Salzwasser benetzen, keine Fische fangen, kein weibliches Wesen ansehen und beim Erscheinen ihres Vaters ihm nicht unter die Augen treten. Während dieser ihrer Abgeschlossenheit werden sie in die Sitten und Gebräuche ihres Stammes eingeführt und kehren schließlich in ihr eigenes Heim zurück, wobei jeder von ihnen einen mächtigen herzförmigen Aufbau aus Holz auf dem Kopfe trägt. Fortan dürfen sie auch Betelnuß kauen. Ein Schmaus beschließt diese Feier. In einem gewissen Gebiete Neupommerns besteht die Sitte, daß, wenn dieser Schmaus seinen Höhepunkt erreicht hat, die Männer sich auf die Knaben stürzen, sie schnell von hinten ergreifen und ihnen die Arme fesseln. Es kann dies ein gefährlicher Angriff für diese Männer werden, denn die Knaben dürfen sich verteidigen und den Angreifern mit dem Speer zu Leibe gehen. Im übrigen besteht für die Knaben, die sich freimachen, die Pflicht, den, der sie gefangen nehmen wollte, zu bekämpfen. Während die Knaben nun festgehalten werden, nähert sich ihnen ein Häuptling oder Verwandter mit einer Muschelgeldrolle und wirft sie ihnen über den Kopf auf die Schultern, worauf sie jeden Widerstand aufgeben müssen. Jeder Knabe, der eingefangen worden ist, muß in den Busch gehen, wo für ihn eine besondere Hütte errichtet[S. 67] wurde und darin sechs Monate bleiben. Während dieser Frist darf er keine seiner weiblichen Verwandten sehen; gegenüber anderen weiblichen Wesen besteht diese Verpflichtung nicht. Wenn er durch Zufall einer Verwandten in den Weg kommen sollte, muß er ihr, was er gerade bei sich trägt, anbieten, gleichsam als Ausgleich für die Schande, ihr begegnet zu sein; diesen Gegenstand nimmt sie auch ohne ein Wort zu sagen an. Nach Ablauf dieser Wartezeit werden die Knaben in anderen Häusern, die am Strand für sie erbaut worden sind, untergebracht. Ein Schmaus, den ihre Freunde geben, vervollständigt dann die Zeremonie.
Das Interessanteste in dieser Hinsicht sind indessen die Gebräuche, die sich auf die Zulassung der Knaben in eine geheime Gesellschaft beziehen. Gerade Melanesien ist das Verbreitungsgebiet solcher Gesellschaften, das heißt Verbände von Männern, die in einem besonderen Gebäude oder auch an bestimmten, für gewöhnlich geheim gehaltenen oder durch ein Tabuzeichen als unzugänglich für Uneingeweihte gekennzeichneten Orten sich treffen. Sie nehmen dort Übungen und Zeremonien vor, die nicht näher bekannt sind und deren Geheimnisse ängstlich vor den Nichtmitgliedern, im besonderen vor den Frauen verborgen gehalten werden. Auf den Verrat dieser Geheimnisse steht eine strenge Strafe. Auch dürfen sich Uneingeweihte solchen Orten nicht nähern, sie haben bei Übertretung schwere Strafen, selbst den Tod zu gewärtigen. Alles, was über die bei diesen Mysterien sich abspielenden Vorgänge an die Öffentlichkeit gedrungen ist, beschränkt sich darauf, daß seltsame Rufe sowie unheimliche, schreckenerregende Geräusche, von besonders dazu angefertigten Werkzeugen verursacht, aus dem Innern ertönen, die die Außenstehenden mit Furcht erfüllen sollen. Auch werden an diesen Stätten Masken (Abb. 97, 98, 102, 108 bis 112, 114 bis 116 und 119) von teilweise schreckenerregendem Äußern und Gewänder angefertigt, mit denen angetan die Männer zuzeiten hervorkommen und sich ins Dorf stürzen, hier die Gärten und Obstbäume plündern oder die angsterfüllten Frauen und Kinder verfolgen, jeden Mann, dessen sie habhaft[S. 68] werden können, durchprügeln und solchen, die sich die Mißgunst der Gesellschaft irgendwie zugezogen haben, eine besonders schwere Strafe erteilen. Es ist Sitte, daß sich jeder angehende junge Mann in diese Geheimbünde aufnehmen läßt, denn derjenige, der nicht beigetreten ist, nimmt keine sozial gleichberechtigte Stellung mit solchen Jünglingen ein, die schon zu den Mitgliedern des Bundes zählen; er wird unter anderem auch keine Frau bekommen. — Der Ursprung dieser Gesellschaften ist unbekannt. Vielleicht wurzelt er im Aberglauben. In den meisten Fällen scheint er mit Zauberei verbunden zu sein und den Zweck zu verfolgen, von seinen Anhängern das Böse fernzuhalten und ihnen Wohlergehen zu verschaffen. Wenngleich heutzutage die übrigen Dorfbewohner den wahren Hergang dieses Mummenschanzes und der damit zusammenhängenden Plünderungen erkannt haben oder ihn wenigstens vermuten, so ist damit doch nicht ganz die Furcht vor dem Bunde und seinen Taten beseitigt; sind die letzteren an und für sich doch schreckenerregend genug für diese Wilden bei der abergläubischen Furcht, die ihnen innewohnt.
Von den am besten bekannten Geheimbünden sind die Duk-Duk-Gesellschaften zu nennen, die über einen großen Teil Neupommerns sich verbreitet finden. Die Angehörigen dieses Bundes treffen sich für gewöhnlich auf einem freien Platz oder einem Tanzplatz im Walde, der den Blicken Unberufener durch dichtes Unterholz entzogen oder noch häufiger durch Kokosmatten direkt verhüllt wird. Auf diesem Platz werden eine oder zwei Hütten errichtet (siehe die farbige Kunstbeilage), um in ihnen die Masken aufzubewahren (Abb. 95 und 113); größere Masken werden an Pfosten vor der Hütte aufgehängt. Nichtmitglieder wissen, wo sich diese Plätze befinden, und meiden sie sorgfältig, da sie sonst streng bestraft werden, auch wenn das Vergehen unbeabsichtigt war. Soll eine Anzahl Jünglinge in die Duk-Duk-Gemeinde aufgenommen werden, so geschieht dies mit ganz besonderen Feierlichkeiten. Das Fest wird bei Anbruch des Tages durch großes Geschrei vom Tanzplatze aus verkündet, die Jünglinge werden sodann hereingelassen und in einem Kreise aufgestellt. Ein hoher Würdenträger des Bundes, mit Maske und Schmuck seines Ranges bekleidet (Abb. 63 u. 101), tanzt nun in der Mitte dieses Ringes, schreit, gestikuliert lebhaft und schlägt dabei die Jünglinge mit einem Stock, während die übrigen Mitglieder, die außerhalb des Kreises stehen, das gleiche[S. 70] tun, so daß das Schreien und Stöhnen der gepeinigten Opfer nach außen dringt. Währenddessen sitzen die Mütter und Schwestern zu Hause und weinen. Sodann wird den Novizen Nahrung verabreicht, worauf der hohe Würdenträger sich seines Putzes entledigt und die Knaben auffordert, diesen anzulegen, aber sie weigern sich, weil sie annehmen, daß dahinter ein Zauber steckt. Schließlich folgt ein Tanz, dessen verschiedene Schritte den Jünglingen gelehrt werden. Feierlich werden sie noch vor den schrecklichen Folgen gewarnt, die ein Verrat der Geheimnisse des Bundes nach sich zieht. Der erste Tag des Festes endigt mit einem großen, von den Verwandten der Jünglinge veranstalteten Schmaus, an dem diese sowie die Mitglieder der Gesellschaft teilnehmen. Die nun in den Bund aufgenommenen Knaben verbringen die erste Nacht bei den Mitgliedern auf dem Tanzplatze. Am nächsten Morgen erhalten sie ihr Duk-Duk-Gewand. Ist der Tanzplatz in der Nähe der See, so besteigen die Duk-Duk-Männer geschmückte Kanu und werden von unmaskierten Eingeborenen mit Gesang und Trommelschlag die Küste entlang gerudert (Abb. 103). Hierauf kehren sie alle unter gleichem Lärme zum Platz zurück (Abb. 104), wo nunmehr ein wilder Tanz stattfindet. Sobald dieser sich seinem Ende nähert, ergreift jeder der Teilnehmer ein starkes Bambusrohr. Der Würdenträger der Gesellschaft schlägt nun die maskierten Leute, die an ihm vorbeispringen, diese aber geben die empfangenen Schläge wieder zurück. Die Frauen draußen hören das Schreien und Kreischen und begleiten es mit ohrenbetäubenden Rufen. Nach Ablauf der ganzen Vorstellung bilden die Mitglieder einen großen Kreis um den Würdenträger, der einheimisches Geld erhält; ebenso erhalten die neuen Mitglieder etwas davon, zum Zeichen, wie vorteilhaft es für sie ist, dem Bunde anzugehören. Darauf werden die Masken beiseite gelegt, und schließlich wird noch ein Schmaus von den Verwandten der neu Aufgenommenen abgehalten. Am nächsten Tage beginnen die Duk-Duk-Männer eine Geldsammlung, die täglich einen, wohl auch zwei Monate lang fortgesetzt wird, wobei sie jede Hütte in der Umgebung aufsuchen und ein Geschenk verlangen, also gleichsam eine[S. 71] Erpressung ausüben; die Leute geben auch durchweg, denn sie wissen ganz gut, wie schlecht es ihnen ergehen kann, falls sie die Forderung abschlagen sollten. Nach Ablauf der Sammlung erklärt der oberste Würdenträger die Duk-Duk-Männer für tot; es findet noch ein letzter Schmaus statt, alle Masken und sonstiges Gerät werden wieder fortgeräumt, und die Mitglieder kehren in ihre Hütten zurück bis zum nächsten Mal.
Abgesehen von den größeren Zeremonien, die oft wochenlang dauern, halten andere Stämme, wie zum Beispiel am Flyriver, häufig kleine Feste ab, die von der Dämmerung[S. 72] bis zum Morgengrauen währen. Tänze spielen auch hier die Hauptrolle, sie dauern die ganze Nacht und gemeinsamer Gesang der phantastisch herausgeputzten Eingeborenen begleitet ihr taktmäßiges Schlagen der Trommeln (siehe die farbige Kunstbeilage).
Auf den Inseln des Bismarckarchipels gibt es eine andere Form von Geheimgesellschaften, Ingiet genannt; an ihrer Spitze steht ein großer Zauberer, der den Ruf, mächtige Zauberkraft zu besitzen, genießt. Nach dem Aberglauben der Eingeborenen vermag dieser Zauberer die Geister zu beschwören, indem er Kalk verspritzt, Ingwer ißt und Zaubersprüche hersagt; er wird daher auch in Krankheitsfällen zu Rate gezogen. Ebenso wie der Duk-Duk-Bund besitzen die Ingietgesellschaften ihren geheimen Versammlungsort, dessen Betreten von seiten Uneingeweihter durch die Geister mit dem Tode geahndet wird. Der Platz ist umzäunt, und an einer Stelle der Umfriedigung werden roh in Stein gehauene oder aus Holz geschnitzte und bemalte Bildnisse aufbewahrt, welche menschliche Wesen, Schweine, Krokodile, Haifische, Vögel und andere Tiere darstellen. Da nur das Haupt der Ingietgemeinde diesen geheiligten Ort betreten darf, so müssen die Novizen bei ihrem ersten Erscheinen zuvor vor der Todesstrafe, die sonst die Folge unbefugten Eindringens sein würde, geschützt werden, indem sie Ingwer kauen, die Ingwerpflanze in den Händen halten und sich um den Hals legen. Der oberste des Bundes bemalt die neu Aufzunehmenden außerdem noch mit einem Zauberstoff, den er aus ausgekautem Ingwer und Kalk zusammengestellt hat und aus seinem Munde auf ihre Körper, desgleichen auf die Bildnisse an der geweihten Stätte bläst. Bei der sich daran anschließenden Einweihungsfeier hält der Häuptling den Stiel einer bestimmten Pflanze, der Einzuweihende deren Blätter in der Hand, dann zieht der erstere und streift auf diese Weise die Blätter unter Hersagen von Zaubersprüchen durch die Hand des Novizen. Damit ist die Einweihungsfeier vollzogen. — Mit den angeführten Gesellschaften ist indessen die Zahl der auf Melanesien vorhandenen Geheimbünde noch nicht erschöpft; es gibt noch eine Reihe anderer,[S. 73] von denen jeder seine eigenen Gebräuche bei der Einweihungsfeier der neu Aufzunehmenden und bei anderen festlichen Gelegenheiten besitzt. Eine dieser Geheimgesellschaften wollen wir indessen noch erwähnen, die bis vor kurzem auf einer der Torresstraßengruppe ihr Wesen trieb, da sie von der bisher beschriebenen Art stark abwich. Jeder Novize wurde während der Dauer der Zeremonie am ganzen Körper täglich mit Ruß angemalt; er wurde außerdem in ein Mattenzelt von der Form eines steilen Daches gesteckt, das an seinem Körper befestigt wurde und einen so geringen Umfang besaß, daß der Knabe, damit das Zelt auf die Erde reichte, eine sitzende Stellung einnehmen mußte. Einen vollen Monat hatten die neu Aufzunehmenden in der erstickenden Hitze und Dunkelheit eingezwängt auszuhalten. Sie durften weder spielen noch sprechen, weder ihre Väter noch ein weibliches Wesen sehen; sie wurden streng bewacht und mußten, obgleich sie allabendlich zu einem für sie besonders hergerichteten Hause geführt und morgens vor Sonnenaufgang wieder zurückgebracht wurden, ihre Zelte mit sich schleppen, so daß beim Gehen nur ihre Beine sichtbar blieben. Während ihrer Abgeschlossenheit wurden die Novizen in den Lehren und Gebräuchen ihres Stammes unterwiesen und über ihre moralischen Pflichten, sowie über den Umgang mit den Frauen aufgeklärt; im besonderen mußten sie gewisse Zauberformeln und Mittel kennen lernen, durch die sie die Zuneigung eines Mädchens gewinnen konnten. Eines dieser Mittel bestand darin, die Erde an bestimmten Stellen mit dem Speer zu bearbeiten und bei dessen Herausziehen den Namen des Mädchens auszurufen, ein anderes in der Bereitung einer besonderen „Mädchenmedizin“ durch Vermischung mit Tabak und ihrer Darreichung an die Geliebte, oder auch in dem Salben des ganzen Körpers mit dieser Medizin. Am Ende des Monats wurden die Trommeln geschlagen und die Zelte den Knaben abgenommen; sie wurden dann in der See gewaschen, mit Blättern abgerieben und[S. 74] mit der wirklichen „Mädchenmedizin“ gesalbt. Bei Einbruch der Nacht mußten sie alle zu einem freien Platze in der Nähe des Dorfes wandern, wo ihre Angehörigen auf sie warteten. Auf dem Hinweg wurde eine lange Matte vorangetragen, welche die Knaben verbarg. Nachdem die Aufgenommenen sich gelagert hatten, wurde die Matte entfernt und die Jünglinge zeigten sich nun den hocherfreuten Verwandten als Männer, nicht mehr als Knaben.
Belustigungen und Spiele erfreuen sich unter den Eingeborenen Melanesiens bei Klein und Groß allgemeiner Beliebtheit, so das Fadenspiel (Abb. 117), in dem die Erwachsenen eine große Fertigkeit aufweisen, und das Cuscusspiel (Abb. 121) der Kleinen.
Verschiedentlich wird auf Melanesien mit Eintritt der Geschlechtsreife eine Beschneidung der Knaben vorgenommen. Jedoch kommt es auch gelegentlich vor, daß man schon verheiratete junge Leute zusammen mit kleinen Knaben dieser Operation unterwirft, wenn man nämlich in einem Dorfe für diese Feierlichkeit, die alljährlich höchstens einmal stattfindet, nicht genügend Kandidaten beisammen hat, so daß das Fest um ein oder mehrere Jahre hinausgeschoben werden muß. Auf Kaiser-Wilhelms-Land, wo die Beschneidung keineswegs allgemein üblich ist, spielt sich der Vorgang folgendermaßen ab. Für die Jünglinge bestehen, wie bei ähnlichen Feierlichkeiten, strenge Diätvorschriften. Nach solcher Vorbereitungszeit werden die Kandidaten unter dem Geheul der Weiber und unter Rutenstreichen der Männer zu dem für die Beschneidung bestimmten Platze geführt, wo sich das Haus des „Balum“, eines mythischen Ungeheuers, befindet. Schon während des Baues dieser Hütte dürfen die Weiber des Dorfes sich ihr nicht nähern, nötigenfalls müssen sie[S. 75] auf ihren Gängen große Umwege machen. Außerdem müssen Frauen und Kinder so lange, als das Ungeheuer in diesem Hause weilt, außerhalb des Dorfes in eigens dazu errichteten Hütten wohnen; auch dürfen sie keinen der zu beschneidenden Knaben sehen, es würde ihnen sonst das Leben kosten. Um sich bemerkbar zu machen, verursachen sie bei ihren Ausgängen innerhalb des Dorfes mittels eines trommelartigen Werkzeuges Lärm, der von den Knaben, wenn sie ihn hören, durch das Blasen von Bambusflöten erwidert wird, um die Frauen zu warnen, in dieser Richtung weiter zu gehen, oder sie zu veranlassen, auszuweichen. Sobald die Kandidaten an der Hütte des Balum, die sein „Magen“ heißt, angekommen sind, ruft man den Balum mit Namen und fordert ihn durch Blasen auf Muscheltrompeten auf, herauszukommen. Gibt er dann aus dem Innern der Hütte ein Zeichen von sich, dann beginnen die Männer ihre Gesänge, die mehr einem Geheule gleichen, und opfern Schweine, um das Leben der Knaben zu erhalten. Den Weibern wird vorgeredet, der Balum verschlinge die Knaben und gebe sie nach dem Schweineopfer als kräftige Burschen wieder von sich. In Wahrheit aber wird das Fleisch von den Männern verspeist. Damit das Ungeheuer nicht fortlaufe und die übrigen Dorfbewohner belästige, wird die Hütte mit Stricken festgebunden. In ihrem Innern vollzieht sich nun die Beschneidung. Stirbt dabei etwa ein Knabe, dann sagt man, er sei unversehens in den Schweine- anstatt in den Menschenmagen des Balum geraten; nur der letztere könne ihn wieder von sich geben. Ist die Operation vorbei, dann müssen die Beschnittenen noch so lange in der Balumhütte bleiben, bis sie durch ein nochmaliges Schweineopfer für[S. 76] erlöst erklärt werden. Darauf werden sie in feierlichem Zuge zum Dorfe zurückgeführt und erhalten von nun an das Recht, an den zukünftigen Beschneidungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Auf der Insel Karesau (Neuguinea) sind die Beschneidungszeremonien noch verwickelter. Nachdem die Kandidaten ein Bad genommen haben, werden sie in besonderen Häusern am Ende des Dorfes untergebracht und dürfen ihre Angehörigen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Das Essen erhalten sie von ihren Beschneidungspaten gebracht, deren Frauen es zubereiten. In der ersten Nacht kündigt sich das Nahen des Kasuargeistes Makarpon von der See aus an; die See wird mit Kokoswedeln geschlagen, Flöten werden geblasen (Abbild. 118) und schlangenförmige Windungen im Ufersande gezeichnet, welche die Schwanzspuren des Geistes bei seinem Kommen vorstellen sollen. Dieser begibt sich nun in ein außerhalb des Dorfes gelegenes Geisterhaus, in das am anderen Morgen die Kandidaten geführt werden. Sobald sie auf dem davor liegenden Platze erscheinen, nahen sich ihnen von dem Geisterhause aus verschiedene Geisterpaare in Gestalt von Vögeln — von diesem Zeitpunkt an dürfen die Knaben Zeit ihres Lebens Fische und Vögel nur noch im Geisterhaus genießen — und stürzen sich, nachdem sie untereinander einen Kampf aufgeführt haben, auf die Knaben mit ausgebreiteten Flügeln, um sie anscheinend zu fressen, kehren jedoch wieder in das Geisterhaus zurück, das nunmehr verschlossen wird. Die Knaben werden darauf einer nach dem anderen nach einem abseits gelegenen Platz am Strande gebracht, wo zwei Männer ihrer warten. Der Beschneidungspate faßt nun den Knaben, der nicht ahnt, was mit ihm vorgenommen werden soll, von hinten an den Armen und beugt seinen Kopf so weit nach rückwärts, daß er von der Operation, die an ihm vorgenommen wird, nichts sehen kann. Die abgeschnittene Vorhaut wird entweder in einen Ameisenhaufen geworfen oder in einer kleinen Grube in der Erde verscharrt. Bei den jüngeren Knaben wird nur die Durchbohrung des Gliedes vorgenommen, eine wirkliche Abtragung der Vorhaut findet für gewöhnlich dann nicht mehr statt; nur wenn sie als verheiratete Männer das Geisterhaus betreten wollen, wird die Beschneidung mit Gewalt an ihnen ausgeführt. Knaben, die sich bei der Operation widerspenstig zeigen, wird mit Speer und Dolch gedroht; auch werden ihnen ernste Mahnungen darüber zuteil, daß sie den ganzen Vorgang geheim zu halten haben. Die Beschnittenen waschen sich in der Regel sogleich die Wunde im Meere. Nachdem sie bis dahin nackt gegangen sind, erhalten sie jetzt einen Lendengurt. Bei ihrer Rückkehr zum Geisterhaus werden sie von ihren Paten ermahnt, bis zum Abschluß der Zeremonie nichts mit Frauen zu tun zu haben, fortan nie mehr mit kleinen Mädchen zu spielen und nicht mehr auf Männer[S. 78] zu schimpfen und anderes mehr. Für jeden Knaben ist gegenüber dem Geisterhaus ein Lager bereitet, auf dem sie, mit geschlossenen Augen den Strahlen der Sonne preisgegeben, für Stunden so lange verharren müssen, bis ihnen durch den Ton einer Flöte, der dem Bellen eines Hundes ähnlich ist, gestattet wird, die Augen wieder zu öffnen und zu sprechen. Mittlerweile ist den Frauen im Dorfe ebenfalls durch Blasen auf Bambusflöten verkündet worden, daß die Beschnittenen sich nun im Bauche des Kasuargeistes befinden, und einige Stunden später auf die gleiche Weise, daß sie ihn nun verlassen hätten. Sobald die Knaben von ihrer Pein erlöst sind, nahen sich ihnen bewaffnete Männer aus dem Wald und schleudern einen Speer oder schießen einen Pfeil dicht über die rechte Schulter der beschnittenen Knaben in die Erde. Das ist das Zeichen für diese, nunmehr aufzuspringen und dafür, daß die eigentliche Feier beendet ist. Aber damit ist die Zahl der mit dem Vorgang verbundenen Zeremonien noch nicht erschöpft. Einige davon sollen hier noch Erwähnung finden.
Nach Sonnenuntergang hauen die Beschnittenen einem Baum, der einer Tanne gleicht und Kalpem genannt wird, die Äste so weit ab, daß nur noch Stümpfe davon am Stamme bleiben, schälen die Rinde vollständig ab und bemalen den Baum mit schwarzen, roten und weißen Ringen, darauf behängen sie ihn mit Federn und Girlanden aus bunten Früchten und pflanzen ihn in die Erde. Außerdem stecken sie in einer gewissen Entfernung von diesem Baum zwei Stäbe in die Erde und verbinden sie mit kunstvollen, mit Federn verzierten Geflechten aus Kokosblättern. Sobald diese Vorbereitungen getroffen sind, stimmen die Knaben unter Trommelschlägen einen Gesang an, der die ganze Nacht andauert und ihre ganze „Nationalliteratur“ umfaßt. Beim Aufgehen des Morgensterns stellen sie die Trommeln um den Kalpembaum und gehen ins Geisterhaus, um zu schlafen. Hierauf kommen einige Männer aus dem Dorfe, vergewissern sich, daß die Knaben diesen Baum ohne fremde Beihilfe angefertigt haben, bewundern ihn, reißen ihn aber aus und nehmen die Federn, mit denen er geschmückt war, als ihr Eigentum an sich. — Weitere Zeremonien sind die Kanufahrten der älteren Knaben unter den Beschnittenen, die unter Gesang Baumrinde holen, woraus nach der Rückkehr vor dem Geisterhaus Lendentücher angefertigt werden,[S. 80] und daran anschließend die Bootsfahrten der Männer, um eine für tabu geltende Liane aufzusuchen, aus der sie Saft abzapfen, mit dem vor dem Geisterhause auch wieder Zauber getrieben wird; ferner das Schleudern eines mehrzinkigen Fischspeeres von seiten der Knaben in eine Yams enthaltende Schüssel, das Herausholen eines Stückes, das Lecken daran, dessen Zurückwerfen samt dem anhaftenden Speer in die Schüssel und das schließliche Schleudern ihres ganzen Inhaltes ins Meer; die Zubereitung einer Salbe aus Kokosnußöl und roter Farbe, womit die Haare eingerieben werden; die Gewinnung einer wohlriechenden Substanz aus den Blättern eines bestimmten Baumes und Einsalben des Körpers damit; das Aufpflanzen eines mit Blättern geschmückten Pfahles und dessen Anspeien mit wohlriechender Substanz durch sämtliche Knaben, die ihn dabei mit Gesang umkreisen und vieles andere mehr.
In bestimmten Teilen des Bismarckarchipels und auf den westlich daran anstoßenden Inseln herrscht die barbarische Sitte der Abschließung junger Mädchen, besonders solcher, die im jüngsten Kindesalter bereits mit einer Person von Ansehen, zum Beispiel mit dem Sohne des Häuptlings verlobt wurden. Kegelförmige Käfige, bisweilen nur etwas über zwei Meter hoch[S. 82] bis zur Spitze und im unteren Durchmesser oft nicht größer, werden aus breiten, dicht zusammengenähten Blättern hergestellt, so daß in Wirklichkeit kein Licht und fast gar keine Luft in sie einzudringen vermag; jeder dieser Käfige besitzt eine nur kleine Öffnung, die mit einer ähnlich gebauten, nach außen sich öffnenden Tür versehen ist. In diesen Käfigen, die überdies für gewöhnlich noch in Hütten stehen, werden die Mädchen Jahre hindurch gefangen gehalten, oft fünf Jahre und noch länger; sie dürfen weder Tag noch Nacht herauskommen, auch wenn sie krank werden sollten, ausgenommen einmal am Tage, um in einer Schüssel oder Holzschale, die dicht dabei steht, zu baden. Diese Käfige sind oft so klein, daß das Mädchen nur sitzen oder gekrümmt darin liegen kann (Abb. 122).
Auch im Bereiche von Deutsch-Neuguinea werden Mädchen, die das Reifealter besitzen, in strenger Abgeschlossenheit gehalten; während dieser Zeit müssen sie eine sorgfältige Tatauierung über sich ergehen lassen und werden von älteren Frauen in Dinge eingeweiht, die sich auf das Geschlechtsleben beziehen.
Das Durchbohren von Nase und Ohren ist für gewöhnlich kein Ereignis von feierlichem Charakter, nur vereinzelt, zum Beispiel bei den Mafulu, werden dabei bestimmte Vorschriften eingehalten, wie Absonderung, Speiseverbote und andere Entsagungen.
Sobald an den Knaben und Mädchen die Zeremonie der erlangten Reife vollzogen ist, sind sie heiratsfähig und können sich nach einem Lebensgefährten umsehen. Verschiedentlich wird die Ehe bereits frühzeitig eingegangen (Abb. 124); auf Neuguinea wurden Fälle beobachtet, in denen die jungen Männer nur vierzehn bis fünfzehn, die jungen Frauen erst neun bis zehn Jahre zählten.
Gelegentlich finden bei den Papua und auch anderwärts in der melanesischen Inselwelt Verlobungen der Kinder statt. Auf den Salomonen werden in Häuptlingsfamilien die Kinder sogar schon, bevor sie geboren sind, einander versprochen; die Abmachungen werden hier nicht von den Eltern, sondern von bestimmten Heiratsvermittlern geführt, die auch den Kaufpreis festlegen. Besondere Festlichkeiten finden bei diesen Kinderverlobungen im[S. 84] allgemeinen nicht statt. Die Koita veranstalten ein feierliches Familienkauen von Betelnüssen. Verschiedentlich wird ein Schmaus und ein Tanz veranstaltet. Auf den Neuhebriden muß bei der Verlobung einer Häuptlingstochter der kindliche Bräutigam, wenn er schon alt genug dazu ist, ein Drakänenblatt in das Auge einer jungen trinkbaren Kokosnuß stecken und letztere der Mutter des Mädchens überreichen, damit dieses daraus trinke. Auf einer anderen Insel dieser Gruppe bringt bei der Geburt eines weiblichen Kindes der Vater oder die Mutter eines Knaben diesen und ein mit Wasser angefülltes Bambusrohr in das Haus des Mädchens, das der Knabe wäscht, wodurch es seine Verlobte wird. Solche Kinderverlobungen sind unter Umständen so bindend, daß, als einmal in den Mafulubergen ein verlobter Knabe, lange bevor ein eheliches Verhältnis möglich war, starb, das Mädchen für seine Witwe angesehen wurde.
Abgesehen von solchen Kinderverlobungen wählen sich die jungen Melanesier meist ihre zukünftige Gattin aus freien Stücken. Findet zum Beispiel ein Papua der Astrolabebai an einem Mädchen Gefallen, so dreht er sich eine Zigarette, wobei er Haare von verschiedenen Stellen seines Körpers mit hineinwickelt, raucht diese zur Hälfte auf und übergibt den Rest seiner Mutter, auf daß sie diesen der Auserwählten bringe. Raucht das Mädchen die Zigarette nun auf, so ist dies ein Zeichen, daß sie die Werbung annimmt. In einer der Küstengegenden von Deutsch-Neuguinea schlägt ein junger Mann das Mädchen, das er heiraten möchte, leicht mit einem kleinen, geschnitzten, flachen Stück Holz auf die Wange; dies ist sein Heiratsantrag.
Um die Zuneigung der Mädchen zu gewinnen, wird von den jungen Leuten mancherlei Liebeszauber angewendet. Ein Jüngling der Koita versenkt bisweilen ein Stück Quarz in die Milch einer jungen Kokosnuß, reibt sich damit das Gesicht ein und denkt dabei scharf an das Mädchen, dessen Liebe er erwerben möchte. Auf einigen Inseln östlich von Neuguinea bereiten sich die jungen Leute einen sehr wirksamen Liebeszauber, indem sie die Rinde eines bestimmten Baumes zu Pulver zerreiben, dieses mit Kokosnußschnitzeln vermischen, die Mischung in ein Blatt rollen und das Ganze braten. Das Zaubermittel wird einfach in der Weise angewendet, daß der Saft dieses Gemengsels dem Mädchen, während es schläft, ins Gesicht gespritzt wird. Man glaubt dann, daß es sich innerhalb weniger Tage in den, der dieses Verfahren anwendet, heftig[S. 85] verlieben wird. Bei den Mafulu üben die jungen Burschen eine Art Sympathiezauber aus. Sie tragen in einer kleinen Tasche beständig Holz- oder Steinstückchen mit sich herum, damit diese den Geruch ihres Körpers annehmen, mischen, ehe sie sich dem Mädchen ihrer Wahl nähern, Tabak darunter und schicken diesen dann dem Mädchen zum Rauchen. Da der Besitzer eines solchen Mittels, dessen Wirksamkeit mit der Zeit zunehmen soll und außerdem noch durch die Kraft eines wirklichen Zauberers erhöht werden kann, es schwer zu ersetzen vermag, so trennt er sich unter keinen Umständen davon. Die Mafulu besitzen auch ein Mittel, um die Zukünftige zu entdecken. Ist ein Jüngling heiratslustig, weiß er aber nicht, woher er eine Frau nehmen soll, dann zündet er bei Windstille ein helles Feuer an und wartet ab, bis ein leiser Lufthauch die Flamme oder den Rauch nach einer bestimmten Richtung trägt; in dieser geht er auf die Suche nach einer Braut.
Verschiedentlich begegnen wir in Melanesien auch der Raubehe. Wenn ein Baininger (Neupommern) ein bestimmtes Mädchen zur Frau haben will, so veranlaßt er seine Bekannten, es für ihn zu rauben. Daher pflegen dort die Eltern vielfach ihre Töchter sorgfältig zu verbergen; das Heiraten ist für die jungen Leute somit nicht leicht gemacht. Glückt der Raub, so stellt sich zunächst ein feindschaftliches Verhältnis zwischen beiden Parteien ein, das aber bald wieder beigelegt wird. Entweicht das Mädchen den Entführern und läuft es zu den Eltern zurück, so pflegen sie, falls sie einverstanden sind, ihr Kind mit Geschenken dem Manne wieder zurückzuschicken, wofür dieser sich durch Gegengeschenke erkenntlich erweist. Im Innern Neuguineas ist der Brautraub bereits zu einer Formsache abgeschwächt. Ist der Jüngling nämlich[S. 86] mit seiner Erwählten einig, dann wird eine Entführung verabredet. Das glückliche Paar flieht zu einem befreundeten Stamme, bei dem es seine Flitterwochen verbringt, hierauf kehrt es wieder nach Hause zurück und die Heirat wird durch Erlegung des Kaufpreises eine rechtmäßige. Die Kaufehe ist die in Melanesien am meisten verbreitete Form. Der Vater des Bräutigams und seine Sippe zahlen den ausbedungenen Preis (Abb. 123 u. 127) meistens in Gestalt von Muschelgeld, an anderen Orten auch von Stoffen, Waffen, Goldsachen und Schmuckgegenständen an die Verwandten der Braut. Nach der Verlobung bleibt das junge Mädchen meistens noch im Hause der Eltern, bei anderen Stämmen wieder siedelt es zu den zukünftigen Schwiegereltern über und wartet hier so lange, bis der Bräutigam das neue Heim hergestellt hat. — Sehr strenge sind die Verhaltungsmaßregeln für die Braut bei den Sulka auf Neupommern. Sie muß dort im Hause der Schwiegereltern bis zur Hochzeit ganz zurückgezogen leben, was monatelang dauern kann. Am hinteren Ende der gemeinsamen Wohnhütte wird für sie durch Matten ein kleiner Raum abgetrennt, wo sie, nur von einer jungen Verwandten des Bräutigams, die ihr das Essen reicht, unterstützt, hausen muß, unter Befolgung strenger Verbotsvorschriften, die sich auf verschiedene Speisen, ebenso auf das Wasser, beziehen. Ihren Durst darf die Zurückgezogene nur durch Aussaugen von Zuckerrohr löschen, ihre Nahrung niemals mit dem Finger berühren, sondern nur mit einem Stäbchen aus einer Kokosblattrippe zum Munde führen. Sie darf ferner keinen Mann sehen und, wenn sie einmal auszugehen genötigt ist, muß sie mit einem langen, von den Schultern bis zu den Füßen reichenden Mantel aus Bananenblättern bekleidet oder mit einer Matte bedeckt sein und unterwegs durch Pfeifen sich bemerkbar machen, damit die Männer ihr beizeiten aus dem Weg gehen können. Schließlich werden ihr von Weibern, die der Bräutigam dafür durch einen Schmaus entlohnt, Verzierungen auf Brust, Rücken und Bauch teils mit Obsidiansplittern eingeritzt, teils mit glühenden Kokosblattrippen eingebrannt. Ein ähnlicher Brauch herrscht auf den Admiralitätsinseln, wo diese Verbannung gegen sechs Monate, und in gewissen Teilen Neumecklenburgs, wo sie sogar oft zehn bis zwanzig Monate andauert.
Die eigentliche Hochzeitszeremonie ist in Melanesien ganz verschiedenartig; an sehr vielen Orten verdient sie kaum diese Bezeichnung, da sich der ganze Vorgang nur auf die Auszahlung des Kaufpreises beschränkt. Bei den Bainingern tauschen die Verlobten einfach Betelnüsse aus, und[S. 88] die Ehe gilt für geschlossen. Bei den Gebirgsvölkern im Innern Neuguineas besteht die Zeremonie darin, daß sich sämtliche Beteiligten, einschließlich der beiden Elternpaare, an der Stirn blutig ritzen, zum Zeichen, daß die beiden jungen Leute nun zueinander gehören. Auf den Neuhebriden hält der Vater des Mädchens oder ein einflußreicher Freund vor den versammelten Gästen eine Rede, ermahnt darin den Bräutigam, seine Frau gut zu ernähren, sie freundlich zu behandeln, sowie nicht mürrisch gegen sie zu sein und überreicht ihm hierauf die Braut, die in einen neuen Grasrock gekleidet ist. Vorher hat der Jüngling einen Drakänenzweig in die Erde gesteckt und Schweine, Nahrungsmittel und Matten als Entgelt für die Braut herbeigebracht. Den Schluß bildet ein Festschmaus, bei dem sich der junge Ehemann voller Aufmerksamkeit gegen seinen Schwiegervater oder den Festredner erweist, indem er sie unter anderem zum Zeichen seines Dankes zärtlich streichelt.
In den Hochzeitszeremonien kehren verschiedentlich Anklänge an die Raubehe wieder. So umzingeln, um ein Beispiel anzuführen, im Rorogebiet (Britisch-Neuguinea) am Hochzeitstage eine Anzahl Freunde des Bräutigams das elterliche Haus des Mädchens und nehmen von ihm durch einen Scheinangriff unter viel Lärm und Toben Besitz. Das Mädchen entkommt dabei, wird aber verfolgt und wieder eingefangen, trotzdem es sich gegen seine Feinde mit Händen, Füßen und Zähnen verteidigt. Währenddessen spielt sich in seines Vaters Haus der Kampf weiter ab. Seine Mutter schlägt jeden leblosen Gegenstand ihrer Umgebung mit einer Keule oder einer Waffe und stößt dabei gegen die Räuber ihrer Tochter Flüche aus, schließlich bricht sie zusammen und verfällt ins Weinen, in das andere Frauen aus dem Dorf mit einstimmen. Ihre Klagen dauern drei Tage lang. Nachdem das Mädchen eingefangen ist, wird es in das väterliche Haus des Knaben geführt und auf die Verandaplattform gesetzt. Sobald der Jüngling sie ankommen sieht, läuft er seinerseits weg und versteckt sich, wird aber schleunigst von seinen Freunden wieder eingefangen, angemalt und geschmückt; dabei leistet er immer noch Widerstand. Endlich bringen sie ihn doch in das väterliche Haus, wo er sich neben das Mädchen setzen muß. Sodann wird die Ehe als vollzogen verkündet, aber das Paar[S. 90] nimmt nicht die geringste Notiz voneinander; es tut so, als ob es sich nicht kennt. Am nächsten Morgen muß der Vater des jungen Mannes eine Flut von Schimpfreden von dem Vater des jungen Mädchens über sich ergehen lassen, die ihr Ende nur durch ein Sühnegeschenk in Gestalt eines geschlachteten Hundes findet. Am Nachmittag wird die junge Frau von den Verwandten des jungen Mannes geschmückt, und das Paar wiederum auf derselben Plattform zusammengebracht. Auch jetzt ignoriert es einander wieder vollständig. Indessen bei der Wiederholung am dritten Tage kommt gewöhnlich eine Aussöhnung zustande. Das Mädchen reicht dem Jüngling Betel, dieser nimmt ihn und kaut ihn. Endlich kommt die Mutter des Mädchens, die sich bisher von allen diesen Zusammenkünften ferngehalten hat, und besucht ihre Tochter, über die sie weint und klagt, bis ein geschlachtetes Schwein ihr als Sühne angeboten wird. Der zweite Teil der Hochzeitszeremonie findet etwa drei bis acht Wochen später statt; vordem darf die Braut weder ihres Vaters Dorf besuchen, noch etwas von dorther essen. Auf die Einladung der Verwandten der jungen Frau hin wandern die Angehörigen des Mannes in das Dorf, in dem ihr Vater wohnt, und bringen sie, reich geschmückt an der Spitze des Zuges einhergehend, mit. Man trägt an einem Stock aufgehängte Schweine und wertvollen Federkopfputz (Abbild. 126); alles dieses erhält der Vater der jungen Frau. Hiernach wird ihr aller Schmuck abgenommen und ebenfalls ihrem Vater überreicht, der als Gegengabe an die Familie des jungen Mannes Fische und Bananen gibt. Diese nimmt sie ins Dorf mit und verteilt sie unter die Freunde, die zu dem Kaufpreis beigesteuert haben. Einige Tage später besucht das Paar wieder das Dorf der jungen Frau und erhält hier Geschenke. Man sieht, Geschenke und Festessen machen in der Hauptsache[S. 92] überall die Hochzeitsfeierlichkeiten aus, die nur hie und da ihre örtlichen Verschiedenheiten aufweisen. So wird auf den Torresstraßeninseln, wo übrigens die Hochzeit mit einer Entführung des Mädchens durch den Jüngling in der Nacht vorher ihre Einleitung erfährt, die Braut mit einem Rock nach dem anderen behängt, bis die Last sie so sehr beschwert, daß sie nicht mehr stehen kann, sondern von zwei Frauen aufrecht gehalten werden muß. Auf solche Weise schwer belastet, muß sie unter strenger Aufsicht einen Monat lang verharren, dann erst werden ihr die Röcke wieder abgenommen. Die weitere Feier liefert Stoff zu mancherlei Scherzen.
Wir schließen die Hochzeitszeremonien mit der Schilderung eines solchen Festes, das in einem Dorfe von Holländisch-Neuguinea vor sich ging. Es begann am Abend vorher mit dem Jammern der Frauen, die der Braut das Geleite aus ihrem Dorfe in das ihres Bräutigams gegeben hatten und nun den Verlust beklagten. Diese Klagen glichen vollkommen einem Klagelied bei einem Begräbnis. Jede Strophe setzte laut und in hoher Tonlage ein, ließ dann an Stärke nach und endete mit tiefen gedämpften Tönen. Die Stimmenzahl mehrte sich allmählich während der ganzen Nacht, und bis drei Uhr morgens war die Luft von den schrillen Tönen erfüllt. Bei Tagesanbruch, als die Braut sich fertig machte, um sich dem Brautzug anzuschließen, stieg der Lärm aufs höchste. Kaum war die Sonne aufgegangen, so setzte sich der Zug unter großem Andrang in Bewegung. Voran ging die mit Blumen und Schmucksachen im Haar reich gezierte und mit einem langen weißen Rindenrocke bekleidete Braut; sie hielt die Augen geschlossen und die Arme nach oben und etwas nach vorn ausgebreitet; an jeder Seite von ihr ging ein alter Mann, der sie am Oberarm zu führen schien, hinter ihnen folgten unter Wehklagen die Frauen ihres eigenen Dorfes, nach denen die Frauen aus dem Dorfe des Bräutigams kamen. Der Zug bewegte sich durch das Dorfgemeindehaus, dessen Fußboden ungefähr einen Meter höher lag als der Erdboden; die Braut mußte sich dabei vorwärts tasten, als sie den hinaufführenden schmalen Balken hinanschritt. Die Männer saßen umher und kümmerten sich anscheinend nicht um diesen Zug, an dem fast nur Frauen teilnahmen. Vor dem Hause des Häuptlings, dessen Sohn die Hochzeit feierte, gingen die Teilnehmer des Zuges auseinander; von weiteren Festlichkeiten merkte der Berichterstatter nichts.
Vielfach bestehen noch bei den exogamen Stämmen Melanesiens Eheverbote, die durch das Abstammungssystem in weiblicher Linie bedingt sind. Wie bereits hervorgehoben, gehört die Frau und ebenso ihre Kinder ihrer Sippe an; letztere sind daher mit der des Vaters nicht verwandt. Mitglieder derselben Sippe dürfen sich nicht heiraten. Auf der anderen Seite aber wieder kommen infolge dieser Auffassung ganz eigenartige Heiraten zustande. So dürfen zum Beispiel der Sohn von eines Mannes Weib aus dem einen Clan (Sippe)[S. 94] und die Tochter seiner Frau aus einem anderen wohl einander heiraten, vorausgesetzt, daß Exogamie herrscht und keine Vorschriften über Blutsverwandtschaften bestehen; im letzteren Falle würde dies nicht möglich sein und streng bestraft werden. Auch die Leviratsehe, das heißt der Brauch, daß nach dem Tode eines Mannes dessen Bruder oder ein naher Verwandter ein Anrecht auf die Witwe hat, ist sehr verbreitet. Er ist wohl darauf zurückzuführen, daß vordem das Kaufgeld, das ein Mann für seine Frau zu zahlen hatte, von ihm nicht allein, sondern von der ganzen Familie aufgebracht wurde, so daß jene in gewissem Sinne ein Familiennachlaß wurde. Diesen Anspruch erhob nach dem Tode des Ehemanns natürlicherweise zunächst der Bruder des Verstorbenen als der nächste Verwandte; die Anrechte der übrigen männlichen Angehörigen folgten nacheinander gemäß den Vorschriften über Blutsverwandtschaft.
Die Ehe des Melanesiers ist zumeist ein lockeres Band, sie kann daher leicht gelöst werden. Von dieser Vergünstigung macht er auch reichlich Gebrauch. Wenn ein Mann seiner Frau überdrüssig geworden ist oder eine andere haben will, schickt er sie einfach fort, und umgekehrt, wenn einer Frau das Leben an der Seite ihres Mannes nicht mehr behagt oder sie einen Liebhaber vorzieht, läuft sie ihrem Mann davon. Solche ehelichen Zwistigkeiten sind schuld an vielen Kämpfen und Morden zwischen den einzelnen Eingeborenen sowohl wie zwischen den Stämmen, die eine Beleidigung eines ihrer Mitglieder als eine solche des ganzen Stammes auffassen und dann ihre Rache nicht nur an dem wirklichen Missetäter auslassen, sondern auch an dessen Familie und Sippe. Der Mann, der mit eines anderen Frau durchgegangen ist, wird meistens von[S. 96] dem betrogenen Ehemanne getötet. Es kommt aber auch gelegentlich eine friedliche Beilegung der Angelegenheit vor. Der betrogene Gatte fordert von der Familie der Frau einfach den Kaufpreis zurück, den er für sie gezahlt hat; wird ihm dieser verweigert, dann kommt es natürlich zu einem Streit. Bei den Bainingern versucht ein einflußreicher Mann, falls beide Parteien aus dem gleichen Dorfe stammen, einen Vergleich dahingehend, daß jeder Teil dem anderen einige Schläge verabfolgt. Nach dem Tode des Mannes kehrt die Frau häufig, zumal wenn sie keine oder nur kleine Kinder hat, in die Wohnung ihrer Eltern zurück, manchmal heiratet sie, wie wir oben sahen, auch den Bruder des Verstorbenen.
Entsprechend den lockeren Banden der Ehe ist die geschlechtliche Ungebundenheit teilweise eine sehr große, und auf verschiedenen Inseln herrscht anerkannte Prostitution. Auf Neupommern, Neulauenburg, Nissan und so weiter wird eine Witwe zum Gemeingut für alle Männer verurteilt, an dem der Häuptling den Vorrang genießt. Auf dem Bismarckarchipel ist für manche Feste den Weibern Preisgabe gestattet, und bei dem Unu-(Einführungs-)fest der Jünglinge werden vom Häuptling für die teilnehmenden Gäste junge Mädchen zu geschlechtlichen Zwecken gemietet. Auf Florida bestimmen die Häuptlinge verheiratete Frauen von schlechter Führung zu öffentlichen Dirnen und weisen ihnen in einem ihrer Häuser Wohnung an, wofür sie aber auch den größten Teil des Erwerbes einheimsen. Auf den Santa Cruz-Inseln gibt es in den Männer[S. 97]häusern immer einige Mädchen, die meist schon als Kinder von einem wohlhabenden Junggesellen aufgekauft wurden und später, wenn er ihrer überdrüssig geworden ist, an die übrigen Bewohner des Hauses gleichsam versteigert werden. Auf San Cristobal treffen wir neben den Mädchen, die der freien Liebe huldigen, wie dies ja fast überall vor der Ehe erlaubt ist, auch Frauen und Witwen an, die sich für öffentliche Dirnen ausgeben.
Wir erwähnten bereits öfter die Klubhäuser, jene Gebäude, die im Grunde genommen den Mittelpunkt des ganzen geselligen Lebens der männlichen Dorfbewohner bilden, insofern als hier nicht nur die Junggesellen, zu bestimmten Zeiten auch die verheirateten Männer wohnen, sondern auch alle wichtigen Fragen gemeinsam auf der Plattform besprochen werden und Besucher des Dorfes gastliche Aufnahme finden (Abb. 128), ferner die Masken und andere Zeremonialgeräte aufbewahrt werden (Abb. 130 und 131). In manchen Küstengegenden, besonders in den alten Kopfjägerbezirken, waren die großen Kanuhäuser, in denen die Kriegsboote aufbewahrt wurden, gleichzeitig Klubhäuser; diese haben indessen heutzutage ihre kriegerische Bedeutung durch die Einhalt gebietende Hand des Weißen verloren. Es bedarf wohl keiner weiteren Begründung, daß die Einweihung so wichtiger Gebäude zumeist mit mehr oder weniger Feierlichkeiten begangen wird. Zwar sind die alten Gebräuche, die sich an die Fertigstellung eines Kanuhauses (siehe die Kunstbeilage) knüpften und, wie auf den Salomonen, Neuhebriden und anderen Inseln, früher mit Menschentötung und Kannibalismus einhergingen, durch das Verbot der zuständigen Regierung meistens geschwunden, aber in entlegenen Gegenden dürften sie doch hin und wieder noch ihr Dasein fristen. Jetzt sind die Zeremonien viel harmloserer Natur. In der Rorogegend wird die Front eines neuerbauten Klubhauses vor der Einweihungsfeier, zu der die befreundeten Dörfer von den Häuptlingen persönlich durch Überreichung einer Arekanuß, das anerkannte Zeichen der Freundschaft, eingeladen werden, häufig mit Kokosmatten verhängt und die Umgebung durch Nahrungsmittel sowie Palmenblätterfahnen, die[S. 98] an Bambusstangen befestigt sind, ausgeputzt. Von jedem Häuptling, der mit seinen Leuten der Einladung Folge leistet, wird erwartet, daß er ganze Büschel von Bananen als Gegengabe für die Beköstigung mitbringt. Die Besucher kommen abends an und werden zunächst mit einem kleinen, zwanglosen Tanz der Dorfbewohner unterhalten. Bei einbrechender Dunkelheit werden die Matten vor dem Klubhaus entfernt, die Häuptlinge, deren Leuten das Haus gehört, halten Reden von seiner Plattform herab, worauf auch die Schnitzereien am Bau von ihren Hüllen befreit werden. Dann setzt der große feierliche Tanz ein, der bis in den Morgen hinein oder noch länger andauert. Die Bewohner rivalisierender Dörfer oder Clans wetteifern oft miteinander, wer dabei wohl am längsten aushält; so soll einst ein solcher Tanz sechsundzwanzig Stunden gedauert haben. Nach dem Tanze gibt es ein Festessen. Bei den Koita vertritt der Dubu (Abb. 129) das sonst mehr übliche Klubhaus; es ist dies aber nur ein offener Plattformbau, der nicht zum Schlafen, sondern nur zu geselligen und festlichen Zusammenkünften benutzt wird. Dem Feste gehen Spiele voraus, zum Beispiel ein Ringkampfspiel der Männer gegen die Frauen oder ein Spiel, bei dem die eine Gruppe durch die andere hindurchzukommen trachtet. Auf eine provisorisch erbaute Plattform, auf der gekochte Yamswurzeln sowie Bananen aufgespeichert liegen, klettert eine Anzahl Männer und unverheirateter Mädchen; die letzteren führen einen Tanz auf, bei dem sie ihre Grasröcke von einer Seite zur anderen schwenken, indem sie den Körper von den Hüften aus biegen und drehen. Diese Aufführung, an die sich noch andere Tänze anschließen, ist in Wirklichkeit nur die öffentliche Ankündigung dafür, daß die große Zeremonie bevorsteht. Wenn der wirkliche Dubu[S. 99] vorbereitet ist, wird er geschmückt und so hoch wie möglich mit Eßwaren beladen; die Eingeborenen fällen junge Bäume, schlagen ihre Äste ab und pflanzen sie dann wieder in den Boden ein. Jeder von ihnen erhält eine Umzäunung aus Zuckerrohrstangen, wobei die Stangen dicht aneinander gefügt werden, so daß gleichsam große vertikale Behälter entstehen. Diese werden wieder mit Yamswurzeln, Bananenbüscheln und Kokosnüssen angefüllt; die gleichen Früchte werden auf und unter die Plattform sowie zu beiden Seiten der nach oben führenden Leiter aufgestapelt. Am Festmorgen endlich werden noch Schweine auf die Plattform gebracht. Nach diesen Vorbereitungen waschen sich die Leute in der See, schmücken sich und versammeln sich auf dem Dubu, wo sie ihre Mahlzeit in Schweinefleisch einnehmen und die Gäste erwarten. Diese sind inzwischen aus den umliegenden Dörfern eingetroffen, und zwar bewaffnet, und versammeln sich im Busch ums Dorf. Auf ein mit einer Seemuschel vom Dubu aus gegebenes Zeichen stürzen dann alle Männer in das Dorf, und schwingen die Speere und Keulen unter Trommelschlag. Früher gab dieser Überfall oft Anlaß zu einem Kampf, indessen trat man den Gästen paarweise mit Zuckerrohrbündeln entgegen und schlug damit die Speere und Keulen der Besucher nieder; es galt als unhöflich, den Streit dann noch weiter fortzusetzen. Hinter den Männern kommen eine Anzahl Frauen, die ihre Röcke schwenken, jede einzelne trägt zwei große Yamswurzeln, die sie Eingeborenen von Rang schenken. Und nun klettert eine Anzahl Mädchen auf die Pfosten des Dubu, stellt sich auf die Querbalken und schwenkt eifrig die Röcke. Während all dieser Vorgänge bleiben die Männer der Sippe, die das Fest gibt, zunächst ruhig auf dem Dubu sitzen, sobald sich die allgemeine Aufregung gelegt hat, steigen sie von ihm[S. 100] herab, setzen sich zu den Besuchern und rauchen dabei oder kauen Betel. Die weiblichen Gäste werden auch herbeigeholt und erhalten ihre Handtaschen mit Yamswurzeln angefüllt. Darauf besteigen die festgebenden Männer wieder den Dubu, die Eßwaren werden nun allgemein unter die Besucher verteilt, und der Tanz beginnt.
Auf Neuguinea knüpfen sich auch an die Verleihung der Häuptlingswürde gewisse Zeremonien. Bei den Mekeo zum Beispiel besteht die Sitte, daß ein Häuptling noch bei Lebzeiten einen Mann der gleichen Sippe zu seinem Nachfolger bestimmt und die Einweihung sogleich vornimmt. Dieser Vorgang gestaltet sich zu einem großartigen Fest, denn es werden viele Häuptlinge aus anderen Sippen eingeladen, von denen jeder wieder seine Freunde mitbringt. Die Vorbereitungen zu dem mit diesem Fest verbundenen Schmaus erfordern viele wilde Schweine, Känguruhe und Emue.
Alle eingeladenen Häuptlinge nehmen nach ihrer Ankunft auf der großen Verandaplattform des Gemeindehauses der Sippe, deren Häuptling die Zeremonie leitet, Platz. Dann betritt der alte Häuptling, mit dem Abzeichen seiner Würde bekleidet, das bei den Roro in einem auf der Brust ruhenden Schmuckstück aus dünnen Plättchen abgeschliffener Hauer des Ebers besteht (siehe die farbige Kunstbeilage), in Begleitung seines voraussichtlichen Nachfolgers die Plattform; er trägt dabei in der Hand einen Kürbis mit Kalkpaste (Abb. 132), die als Würze beim Betelkauen dient, und hält eine Ansprache an die anderen Amtsgenossen, in der er ihnen das Recht der Nachfolge, das der Vorgeschlagene besitzt, auseinandersetzt. Hierauf klappert er mit dem Kalkspatel an seinen Kürbis und reicht diesen seinem Nachfolger, der gleichfalls mit dem Spatel daran schlägt und dann den Kürbis wieder zurückgibt. Damit ist die Amtsverleihung vollzogen.
In manchen Gegenden Melanesiens gibt es auch Erntefeste. Wenn in dem südöstlichen Gebiet von Neuguinea die Ernte eingebracht, und im besonderen die Yamswurzel im Yamshause geborgen ist, so bindet der Häuptling, der bereits schon Tage vorher unter Nahrungsbeschränkung gestanden hat, ein Stück präparierter Faser um einen Pfosten jedes Yamshauses;[S. 102] dadurch wird es tabu, das heißt es darf von niemand angefaßt werden (Abb. 135). Außerdem werden auf einer kleinen Plattform Armringe, einheimisches Geld und andere Schätze ausgelegt. Hieran schließen sich Schmaus und Tanz viele Tage lang (Abbild. 133). Weiterhin versammeln sich die Männer, gehen im Dorf umher, schreien, schlagen an die Pfähle der Häuser und werfen alles um, worin sie einen Geist verborgen vermuten. Damit endigt diese sonderbare Zeremonie, der offenbar der Gedanke zugrunde liegt, daß die Geister, nachdem sie an dem Feste teilgenommen, nämlich die Tänze mit angesehen, die Lieder gehört, sowie Yamswurzeln und die zur Schau gelegten Sachen angeboten erhalten haben, reich und gut versorgt seien und daher nunmehr vertrieben werden müßten, um kein Unheil anzurichten.
Eine ähnliche Erntefestlichkeit wird auf Ruo (Neuguinea) zu Ehren der Kokospalme gefeiert, die bekanntlich das Material für Nahrung, Wohnung und Kleidung liefert und in ganz Melanesien eine außerordentlich wichtige Rolle spielt. Für diesen Zweck werden die von den Bäumen gefallenen reifen Nüsse das ganze Jahr hindurch sorgfältig gesammelt und in einer vor der Sonne geschützten Hütte aufbewahrt. Kurz vor dem Herannahen des[S. 104] Festtages, der stets auf einen Vollmond fällt, ergehen Einladungen an die benachbarten und befreundeten Stämme. Die Weiber und Kinder binden die gesammelten Nüsse in Reihen an Stangen, mit denen der Tanzplatz abgesteckt wird (Abb. 137). Der eigentliche Festtag wird mit einem großen Hunde- und Schweineschlachten eingeleitet; das Fleisch wird zusammen mit Taro, Yams und Bananen in einem mächtigen Topfe gekocht. Darauf verteilen die Dorfältesten die einzelnen Portionen an die erschienenen Gäste und ein großes Festessen beginnt, an das sich der übliche Tanz anschließt. Der Lärm hält bis Sonnenaufgang an.
Viele Jahre hindurch bestand unter den Dorfbewohnern in der Nähe von Port Moresby der Brauch, daß in jedem Herbste Handelsexpeditionen in die Dörfer an den Mündungen der großen Flüsse des Papuagolfes zum Austausch der selbst angefertigten Topfwaren gegen Sago ausgerüstet wurden. Die Vorbereitungen für diese mit großen Segelschiffen, den sogenannten Lakatoi (Abb. 136), unternommenen Fahrten wurden bereits im Frühjahr durch zwei Männer des Dorfes getroffen, welche die Bezeichnung eines „Oberst“ und „Unternehmers“ erhielten. Sie warben sich zunächst für jedes Schiff die Mast- und Segelkapitäne und sodann die übrige Mannschaft. Erst im Hochsommer begann man mit dem Bau des Schiffes, das eigentlich aus vier aneinander gefügten einzelnen Kanu bestand. Nach der Fertigstellung räucherte ein Zauberer bestimmte Teile des Bootes mit dem Rauch einer Mischung aus einer wild wachsenden Pflanzenwurzel, Emuklauen und Hornhechtschnauze und band kleine Säckchen aus Bananenblättern mit Blättern der gleichen wild wachsenden Pflanze an bestimmte Teile des Bootes. Durch diese Zeremonie sollte das Lakatoi erhöhte Segelkraft erhalten und die Expedition von Glück begünstigt werden. Danach wurden[S. 105] die Masten eingesetzt und die Mattensegel, die in ihrer Gestalt Krebsscheren glichen, angebunden. Der Anker, der aus einem durch ein Netz gehaltenen Steine bestand, galt ebenfalls als heilig. Er mußte, sobald er herabgelassen war, von drei Männern eigens bewacht werden. Nachdem schließlich auch er herbeigeschafft war, fuhr man zunächst einmal Probe; bei diesen Fahrten versammelten sich ganze Scharen von Mädchen auf den Plattformen der Schiffe und führten Tänze auf. Solange die Expedition unterwegs war, unterlagen die Frauen des Unternehmers und Obersten ähnlichen Nahrungsbeschränkungen wie ihre Männer vor Beginn der Fahrt. Sie durften auch kein fremdes Haus betreten und das Feuer in ihrem eigenen nicht ausgehen lassen, bis das Lakatoi zurückgekehrt war. In jedem Hause wurde außerdem ein langer Faden aufgehängt und täglich ein Knoten hineingeschlungen; an jedem zehnten Tage wurde um den betreffenden Knoten eine Faser gebunden, um ihn zu kennzeichnen, und ein kleines Fest im Hause durch die Verwandten der Mannschaft des Lakatoi veranstaltet. Wenn fünfzig Tage verstrichen waren und somit der fünfte große Knoten gebunden war, wurde die Expedition täglich zurückerwartet. Interessant sind die Wahrzeichen, aus denen die Zurückgebliebenen zu wissen glaubten, ob es ihren kühnen Angehörigen auf der Fahrt gut oder schlecht ging. Empfand zum Beispiel jemand auf der rechten Körperseite Jucken, so war dies eine gute Vorbedeutung, auf der linken jedoch eine böse. Auch Träume gaben darüber Auskunft, es bedurfte aber dann der Auslegung durch einen Zauberer. Sah jemand im Traume Gras brennen, so galt ihm dies als ein gutes Omen, auch wenn er einen Hund ein Wallaby jagen oder sich selbst eine schwere Bananenlast tragen sah; dagegen war es ein böses Omen, wenn jemand einen großen Felsen oder Stein erblickte oder[S. 106] sich selbst auf einem im Wasser frei treibenden Stück Holz stehen und mit ihm sich untergehen sah und ähnliches.
Sobald die zurückkehrende Flottille in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Seemeilen gesichtet wurde, nahmen die beiden Frauen der Führer sowie die Angehörigen der Mannschaft ein Bad und fuhren den Ankömmlingen in Kanus entgegen; ihre Rückkehr war für alle eine Zeit der Freude und der Aufregung (Abb. 142).
Die Eingeborenen der Santa Cruz-Inseln verwenden für ihre oft weiten Fahrten zur See noch die primitiven, mit Plattform und Hütte versehenen Auslegerboote (Abb. 138), während die Hermitinsulaner bereits große, prächtig geschnitzte und bemalte Boote bauen (Abb. 140).
Ein weiterer seltsamer Brauch auf Neuguinea ist mit dem Anfertigen von Trommeln (Abb. 139) durch Knaben, die sie beim Tanzen schlagen, verknüpft. Sobald ein Roroknabe das Reifealter erreicht hat, ist seine erste Pflicht, sich eine solche Trommel anzufertigen. Zu diesem Zwecke muß er im Busch wohnen; meistens gesellen sich hierfür mehrere Knaben zusammen. Ehe die Höhlung dieser Trommeln, die aus einem Stück eines Baumstammes hergestellt werden, nicht genügend ausgebrannt und die Trommel selbst nicht durch das Abschrapen des Holzes die richtige Form erhalten hat, sind den Knaben viele Speisen zu essen verboten; sie müssen auch jedwede Berührung mit frischem Wasser vermeiden, weil sonst die heiße Asche, mit der sie die Höhlung des Holzes ausbrennen, nicht glühen würde. Als Getränk dient ihnen das in den Bananenblätterscheiden sich ansammelnde Wasser oder Kokosnußmilch. Die Nahrung muß ihnen in einem besonders kleinen Topf gekocht werden, damit sie nicht zu stark werden und gut tanzen können. Sollte einer von ihnen Fische essen, so würde eine Gräte das Fell seiner Trommel durchlöchern. Vor allen Dingen aber müssen die Knaben es vermeiden, daß sie von den Frauen gesehen werden; würde eine Frau einen Knaben erblicken, dann wäre seine, wenngleich zum großen Teil schon fertige Trommel unbrauchbar, und er könnte sie ruhig fortwerfen und eine neue anfangen. Bei den Mafulu muß der Knabe auf einen Baum oder eine Plattform klettern und dort so lange bleiben, bis er seine Trommel fertiggestellt hat. Bei der Arbeit muß er sie stets mit der Fellseite dem Winde zukehren, wodurch die Trommel einen musikalischen Klang bekommt. Eine Frau, meistens die Mutter, bringt ihm das Essen, das er sich an einem Strick auf seinen erhöhten Sitz hinaufzieht. Er steht indessen unter keinem Speiseverbot, auch hat er keinen Schaden davon, wenn ihn weibliche Wesen sehen. — Eine weitere Art von Trommeln, die aus einem ausgehöhlten Baumstamme (Abb. 143) angefertigt und mittels eines starken Stockes gerührt wird, dient den Eingeborenen des Bismarckarchipels auf weite Entfernungen zum Signalgeben.
Ein Brauch der Koita sei noch erwähnt, der eines gewissen Humors nicht entbehrt, nämlich[S. 107] des Wettbewerbes zweier führenden Männer verschiedener Sippen, von denen der eine behauptet, er wäre größer und reicher als der andere, besäße zum Beispiel einen größeren Garten, ernte mehr ein und ähnliches. Der andere, der sich durch solche Behauptung benachteiligt fühlt, fordert ihn daher zum Wettbewerb auf, bei dem ein jeder mit Hilfe der Genossen seiner Sippe soviel wie möglich herbeizuschaffen sich bemüht. Tagelang beschenkt der eine bei allen nur sich darbietenden Gelegenheiten den anderen mit Eßwaren, wofür dieser sich verpflichtet fühlt, möglichst bald ein Gegengeschenk zu machen, das aber der erhaltenen Gabe an Menge und Güte gleichkommen muß; der Empfänger und seine Familie verzehren das ihnen Dargebotene. An einem festgesetzten Tage wird nun auf der einen Dorfseite entlang eine Reihe vertikaler Stangen aufgestellt, und diese durch horizontale Stangen miteinander verbunden. An ihnen hängt jede Partei, die eine an dem einen, die andere an dem anderen Ende beginnend, die sowohl in den eigenen Gärten, wie auch in denen ihrer Freunde gesammelten Bananen der Reihe nach auf. Da jeder die allgemeine Unterstützung seiner Clangenossen findet, so werden die Dorfgärten in Wahrheit ausgeplündert. Jetzt kommt das eigentliche Fest, zu dem jeder der beiden Wetteifernden alle seine Bananen und möglichst viel Zuckerrohr zu einem mächtigen Stoß aufstapelt. Wieder fängt das gegenseitige Beschenken an, wobei einer den anderen zu überbieten sucht, aber dieses Mal handelt es sich nicht um Eßwaren, sondern um wertvolle Geschenke. Fällt nun die relative Größe der aufgebauten Früchtehaufen auf beiden Seiten gleich aus, dann ist der Ehre Genüge geschehen und der Wettstreit beendigt; wenn nicht, so fängt er von neuem an,[S. 108] und erforderlichenfalls schließen sich diesem noch andere an, ehe eine Gleichmäßigkeit erreicht wird.
Die religiösen Ansichten der Melanesier sind ziemlich unklare, wenigstens für uns, zumal sich die bisherigen Forschungen nur auf wenige Stämme erstrecken. So viel scheint aber festzustehen, daß ein Glaube an ein einzelnes höheres Wesen bei ihnen nicht besteht. Hauptsächlich beruht ihre religiöse Anschauung auf der Macht der Seelen Verstorbener sowie der Geister, das heißt solcher überirdischer Kräfte, die keine bestimmte Form angenommen haben. Der Untergedanke, der dieser Auffassung zugrunde liegt, ist der an eine übernatürliche Macht, an das Mana, die zunächst den Geistern und Seelen der Abgeschiedenen innewohnt, aber auch auf gewisse Menschen und andere lebende Wesen, ja selbst leblose Gegenstände übergehen kann. Beim Menschen äußert sich das Mana in besonderer physischer Kraft oder in sonstiger Überlegenheit und Vortrefflichkeit, überhaupt in solchen Eigenschaften, die die Macht des gewöhnlichen Sterblichen übersteigen, die außerhalb des natürlichen Verlaufs der Dinge liegen. Hat ein Mann zum Beispiel im Kampfe ein besonderes Glück, so ist dies nicht etwa seinen persönlichen Fähigkeiten zuzuschreiben, sondern das Mana eines Geistes oder verstorbenen Kriegers hat ihm die Macht dazu verliehen, vielleicht durch irgend ein Amulett (Stein), das er am Halse trug, oder ein Blätterbüschel, das er im Gürtel stecken hatte, oder einen Zahn am Finger der Hand, die den Bogen führte, oder auch nur durch eine Formel, kraft deren er sich übernatürliche Kräfte zu verschaffen wußte. Stirbt ein solcher mit Mana ausgerüsteter Mann, so lebt seine übernatürliche Kraft nach seinem Tode in seiner Seele in verstärktem Maße und mit größerer Bewegungsfreiheit weiter fort. Aber, wie schon gesagt, kann Mana auch auf Tiere, Pflanzen und sogar leblose Dinge übergehen. Findet ein Mann einen[S. 110] seltsam geformten Stein, der ganz anders aussieht als die, die er bisher kannte, der vielleicht einer Yamsknolle oder einer Kokosnuß gleicht, so ist er überzeugt, daß diesem Gebilde Mana innewohnen muß; er nimmt daher den Stein mit sich und vergräbt ihn in seinem Garten oder auf seinem Acker, damit er hier Wirksamkeit entfalte. Stellt sich daraufhin wirklich eine reichliche Ernte ein, dann erblickt er hierin eine Bestätigung seiner Annahme. In letzter Linie scheint das Mana von den Geistern herzurühren, die seine Quelle vorstellen und es durch Übertragung in andere lebende und leblose Wesen ausstrahlen lassen. Jede Person oder jedes Ding, das Mana aufzuweisen hat, kann es dann wieder weiter übertragen, also auch auf Steine und andere Dinge. Mana selbst ist etwas Unpersönliches, doch ist es in seiner Wirkung stets mit einem persönlichen Wesen verknüpft. Ein Stein zum Beispiel besitzt Mana, weil ein Geist sich mit ihm verbunden hat, oder ein Knochen eines Toten ist damit ausgestattet, weil des Betreffenden Seele bei ihm weilt, oder ein ausgesprochener Zauber hat Kraft, weil der Name einer Seele oder eines Geistes, der in der Formel ausgedrückt wird, ihm diese Macht überträgt. Jeder sichtbare Erfolg eines Menschen beweist, daß er Mana besitzen muß, und je größer dieser Erfolg ausfällt, um so größer muß auch sein Gehalt an Mana sein.
Die religiösen Übungen der Melanesier, zu denen die absonderlichsten Götzenbilder dienen (Abb. 141 u. 144), gipfeln vor allem auf Neuguinea — denn hierüber sind wir am besten unterrichtet — in dem Bestreben, durch Gebete und Opfer die Macht des Mana sich anzueignen oder zum eigenen Wohle nutzbar zu machen. In einigen Teilen Melanesiens bezieht sich diese Verehrung hauptsächlich auf die Seelen Verstorbener, zum Beispiel auf den Salomonen und den mehr westlich gelegenen Inseln, auf anderen wieder sowohl auf diese wie auch auf Geister, zum Beispiel auf den Neuhebriden und östlicheren Inseln. Gebete, die an diese Mächte gerichtet werden, sind meistens Formeln, von denen man glaubt, daß sie dem angerufenen Wesen angenehm und nur solchen bekannt sind, die zu ihm Zutritt haben. Die Opfer entspringen verschiedenen Motiven; sie werden entweder dargebracht, um an Stelle des Menschen, der gefehlt hat, die betreffende Macht durch ein Tier zu versöhnen, oder um etwas von ihr zu erbitten, oder um sie zu erfreuen, mit dem stillen Wunsche, dabei etwas zu erreichen, oder zum Ausdruck gebührender Aufmerksamkeit oder Achtung. — Auf den Neuhebriden und benachbarten Inseln werden zur Erinnerung an Verstorbene von Rang große, aufrechtstehende Trommeln errichtet, die nur bei Bestattungsfeierlichkeiten geschlagen werden (Abb. 146).
Der einfachste und verbreitetste Opferakt ist der, daß den Seelen der Toten ein kleiner Teil einer Yamswurzel oder einer anderen Speise, die zum Essen zubereitet wurden, zugeworfen[S. 112] wird als Zeichen des Gedenkens oder des Anteils für den Geschiedenen. Dieser Brauch herrscht über ganz Melanesien. Er erfährt eine weitere Entwicklung dadurch, daß man Speisen auf die Begräbnisstelle oder vor ein Gedenkbild des Toten legt (Abb. 145), sie aber nicht verbrennt, sondern später wieder fortnimmt und verzehrt. Eine noch höhere Stufe des Totenkultus stellt die Sitte dar, die Speisen ebenfalls auf das Grab, vor das Gedenkbild oder auf einen Altar zu legen, aber anzubrennen und später auch wieder zu essen. Als Beispiel für ein solches Opfer führe ich die Schilderung einer Zeremonie an, die auf der Insel San Cristobal (Salomonengruppe) vorgenommen wurde, bevor man einen Kriegszug unternahm.
Die Macht, der ein solches Opfer dargebracht wurde, war der Seelengeist eines Mannes genannt Harumä, der vor noch nicht zu langer Zeit gestorben war, denn einige ältere Männer erinnerten sich noch seiner. Dieser Geist stand in dem Glauben, stark und mächtig im Kriege zu sein, etwas zwar Seltsames, wenn man bedenkt, daß Harumä, als er lebte, ein freundlicher und wohlwollender Mann gewesen ist, der wohl gut mit Mana ausgestattet, aber durchaus kein großer Krieger war. Harumäs Totenschrein war ein kleines Haus im Dorfe, in dem seine Überreste aufbewahrt wurden. Alte Männer des Dorfes versammelten sich hier, der Hauptopferbringer wählte einen Mann aus, der an dieser Stätte ein Schwein erdrosselte. Das tote Tier legte man nun in eine Schüssel und zerschnitt es darin, damit sich das Blut in ihr ansammle und nicht auf die Erde fließe. Nachdem dies geschehen war, nahm der Auserwählte ein Stück Fleisch, schöpfte mit einer Kokosnußschippe etwas Blut aus der Schüssel, betrat dann den Schrein und nahm das Stück Fleisch, sowie die mit Blut gefüllte Schale mit hinein. Nun legte er erst seine Tasche weg, wusch sich die Hände, damit der Ahne ihn nicht mit Widerwillen abweise, und rief laut aus: „Harumä, Häuptling im Kriege! wir bringen dir dieses Schwein zum Opfer, damit du uns beistehen mögest, jenen Ort zu bestrafen; alles, was wir von dort forttragen werden, soll dein Eigentum sein, und wir werden dir angehören.“ Hierauf brannte er das Fleisch am Feuer auf einem Steine des Altares an und goß Blut in die Glut. Diese flammte hoch auf und der Schrein füllte sich mit dem Geruch des angebrannten Schweinefleisches, ein Zeichen, daß der Geist des Harumä die Bitte erhört hatte. Das Fleisch wurde darauf verzehrt. Die geschilderte Zeremonie wurde von einem einzelnen zum Wohle der Gesamtheit vorgenommen, um einen Erfolg in dem bevorstehenden Kriege zu erzielen.
Es kommt aber auch vor, daß ein Eingeborener durch Mitteilung anderer von gewissen Dingen Kenntnis erhalten[S. 113] hat, die ein besonderer Vorfahrengeist sehr liebt, und diese zu seinem eigenen Vorteil verwertet. Dies ist gewöhnlich im Kampf oder im Streit gegen einen persönlichen Feind der Fall. Denn ohne diese Geisterhilfe würde sich der hoffnungsvolle Sieger nicht nur der Gefahr des Mißerfolges aussetzen, sondern auch der Wahrscheinlichkeit, daß, selbst wenn er sein Opfer töten sollte, er dem Geiste dieses Gefallenen auf Gnade und Ungnade ausgeliefert würde. Daher nimmt er nur unter dem Schutze eines noch stärkeren Ahnengeistes, der seiner Ansicht nach mehr Mana besitzt, den Kampf in dem Gefühl der Sicherheit auf. Er bietet zunächst seinem befreundeten Geist etwas von dessen Lieblingsspeise an und ruft seine Hilfe und seinen Schutz herbei, bevor er den in Aussicht stehenden Angriff unternimmt. Befindet sich ein Melanesier in Gefahr oder bedrängter Lage, so ruft er natürlich ebenfalls ein Wesen an, von dessen Macht und Bereitwilligkeit ihm zu helfen er überzeugt ist. Er tut es auch, damit dieses ihn vor Gefahren auf der See bewahre, seinem Kanu schnelle Fahrt verschaffe, ihm in Krankheitsfällen beistehe, beim Fischen oder bei der Ernte ihm einen guten Erfolg beschere und anderes mehr. Fällt das Ergebnis zur Zufriedenheit aus, so richtet der Betreffende Lobsprüche an seinen Geist. Aber, wie gesagt, muß es sich um den Geist oder die Seele solcher Männer handeln, die bei Lebzeiten[S. 114] Mana in sich trugen; die Seelen unbedeutender Männer sind ebenso wie vor so auch nach ihrem Tode ohne Gewicht und vermögen nichts auszurichten. Dagegen wird die Seele eines bedeutenden Mannes an Mana nach dem Tode noch mehr erhalten und daher imstande sein, die Wünsche derer zu erfüllen, die sich darauf verstehen, sich ihrer Hilfe zu versichern.
Die eigentlichen Geister, das heißt diejenigen, die niemals als Wesen in menschlicher Gestalt gesteckt haben, sind häufiger Gegenstand einer Zeremonie auf den westlichen Inselgebieten Melanesiens. Die Art und Weise ihrer Verehrung weicht indessen von der oben geschilderten nicht unwesentlich ab. Diese Geister haben nämlich weder Totenschreine noch Gedächtnisbilder, wie sie für die abgeschiedenen Seelen großer Leute errichtet werden, sondern die ihnen geweihten Stätten sind hauptsächlich das Werk der Natur. Das einzige, was für gewöhnlich mit einem solchen Geist verknüpft ist, besteht in einem Stein von etwas seltsamer Form. Solche Steine mögen manchmal wohl individuellen Geistern aus alter Zeit heilig gewesen sein; oftmals weiß nur ein einzelner Mensch darüber Bescheid, in welcher Weise man sich ihnen nähern kann, und zwar kam diese Kenntnis auf ihn durch Überlieferung von Generation zu Generation. Daher vermag er allein sich dem Steine zu nähern, weil nur er eine persönliche Bekanntschaft mit dem Geist besitzt. Jeder andere, der den Vorzug genießen will, von dem Geist etwas zu erreichen, muß dies durch Vermittlung dieses Mannes tun. Zunächst macht er diesem ein Geschenk in Gestalt eines Schweines, mit Matten, einheimischem Muschelgeld und anderen Kostbarkeiten. Letzterer opfert nun, indem er seine Gabe auf den geweihten Stein legt, dem Geist, und ruft seine Hilfe an.
Über das Wesen der Ahnenseelen und Geister haben sich die Melanesier folgende Ansicht gebildet. Der Mensch beherbergt während seines Lebens in seinem Körper sein „Seelenich“,[S. 116] das ihn bei seinem Tode als Ahnenseele verläßt. Es kann sich auch während des Schlafes aus dem Körper entfernen; erwacht der Mensch aber, bevor die Seele zurückgekehrt ist, so wird der Betreffende wahrscheinlich krank; bleibt die Seele zu lange fort, dann stirbt der Mensch. Niesen gilt bei den Koita für ein Anzeichen, daß die Seele wiedergekehrt ist; wenn ein Mensch wochenlang nicht niest, so wird dies als eine üble Vorbedeutung angesehen. Stirbt ein Mensch, dann geht seine Seele nach einem bestimmten Ort, der von den einzelnen Völkern ganz verschieden lokalisiert wird, im allgemeinen aber für eine Art Paradies gilt, das heißt eine Stätte, wo die Seele ein ähnliches glückliches Dasein führt wie bei Lebzeiten, unter anderem Häuser, Gärten, Weiber, Nahrung und so weiter zur Verfügung hat. Wichtig ist, daß dem Verstorbenen bei Lebzeiten die Nasenscheidewand durchbohrt worden ist; andernfalls muß dies nach dem Tode noch nachgeholt werden. Denn käme er ohne diese Verschönerung des Körpers im Paradies an, dann hätte er zu gewärtigen, dort mit einem blindschleichenähnlichen Tiere in der Nase einherspazieren zu müssen. Nach dem Glauben der Eingeborenen von Neupommern muß die Seele auf ihrer Wanderung zu ihrem zukünftigen Aufenthaltsort an zwei Felsen vorbei, an denen sie über ihr Leben ausgefragt wird. War ihr Besitzer freigebig, dann darf sie weitergehen, war er aber geizig, dann muß sie wieder zurück nach Süden in ein Gebirge, wo sie in einen Felsen verwandelt wird und in der Brandung stehen muß. Indessen bleibt die Seele, die den Körper verlassen hat, nicht dauernd in diesem Geisterreich, sondern zieht es vor, gelegentlich, meistens in der Nacht in ihre frühere Heimat zurückzukehren, aber keineswegs immer mit dem Gefühle des Wohlwollens; im Gegenteil, sie sucht die Zurückgebliebenen zu schädigen, besonders wenn sie etwas verbrochen haben, zum Beispiel die Begräbnisgebräuche vernachlässigten, die Stammessatzungen verletzten und ähnliches mehr. Für solche Taten schickt die Seele Krankheit und Unglück. Daher opfert man den Seelen der Verstorbenen, um sie gut zu stimmen oder zu versöhnen. Verschiedentlich nimmt man an, daß die Seelen bestimmte Gestalt annehmen können, zum Beispiel nach dem Glauben der Mafululeute, daß die Seele eines jungen Menschen zu einem schimmernden Lichte auf dem Erdboden oder im Unterholz werde, oder die eines älteren Mannes zu einer großen Pilzart, die auf den dortigen Bergen wächst, nach dem Glauben der Sulka (Neupommern), daß sie sich in eine Sternschnuppe verwandle und anderes mehr. Die Mafulu sind davon überzeugt, daß die Seelen manchmal in die Dörfer herabsteigen, um sich Nahrung zu holen, oder auch in anderer Absicht, und da sie ihre Besuche fürchten, so verschließen sie nachts alle Öffnungen in ihren Häusern, durch welche die Geister etwa eindringen könnten. Sie waren daher nicht wenig erstaunt, als sie sahen, daß die katholischen Missionare bei Eröffnung der Mafulustation alle bei offenen Türen und Fenstern zu schlafen wagten. Die Mafulu halten überhaupt jeden Ort, der etwas ungewöhnlich aussieht, wie einen Wasserfall, eine tiefe Stelle in einem Fluß, eine schmale, tiefe Felsschlucht oder einen seltsam geformten Felsen für den möglichen Wohnort einer Seele. Sie glauben auch, daß gewisse Bäume und Schlingpflanzen von Seelen bewohnt werden, und wagen es daher nicht, diese zu fällen oder abzuschneiden. Geht eine plaudernde Gruppe Eingeborener an Stätten vorbei, die vermutlich von einer Seele bewohnt sind, so verstummen sie; ein jeder hat sich zuvor mit einem Grasbündel, das zu einem Knoten gebunden ist, bewaffnet, und legt es beim Vorübergehen auf die geheimnisvolle Stelle; dadurch glaubt er jede Gefahr von sich abzuwenden.
Bei den Papua westlich des Flyriver führen Männer, die aus dem Lande der Toten zurückgekehrte Geister darstellen sollen, vor den eingeborenen Frauen einen Tanz auf. Ihr Körper nebst dem Gesicht ist ganz mit Blättern bedeckt (Abb. 148), so daß sie nicht erkannt werden können. Die Frauen glauben, daß die Tänzer ihre verstorbenen Verwandten sind, und weinen während des Tanzes. — Auch Geister spielen in dem Glauben der Melanesier eine große Rolle. Sie glauben sich beinahe auf Schritt und Tritt von ihnen und ihren Einflüssen[S. 118] umgeben. Man meint, daß sie bestimmte Orte oder Bezirke, auch Gegenstände, wie Felsen, Bäume, Quellen, Wasserlöcher bewohnen, die Gestalt von gewissen Tieren, wie Schlangen, Sternfischen, Krabben und dergleichen, annehmen können und innerhalb ihres Bereiches ihre Macht ausüben. Wird zum Beispiel ein Mitglied einer im Freien lagernden Gruppe von irgend einer Krankheit oder dem Tod befallen, bekommt es durch den Biß eines Insektes Wunden oder Geschwüre, erfährt es überhaupt eine Widerwärtigkeit, dann schreibt man dieses Ereignis dem Werke eines Geistes der betreffenden Stelle, wo der Verunglückte sich gerade aufhielt, zu. Man fürchtet sich daher vor diesem Orte und meidet ihn beim nächsten Male. Gegen solche Zufälle sucht man sich durch Zauber zu schützen, beziehungsweise ihnen vorzubeugen. In der Nähe von Port Moresby zum Beispiel liegt ein seltsam geformter Hügel, der für den Sitz eines Geistes gilt und daher nicht betreten wird; mit einem Knüttel oder einem Holz von einem Baume seiner Umgebung könnte man einem anderen schwere Wunden beibringen. Tötet jemand in der Umgebung dieses Hügels auf der Jagd ein Wallaby, so achtet er sorgfältig darauf, daß kein Tropfen Blut auf die Erde fällt. Sollte dies unglücklicherweise doch geschehen, so wird das Stück Erde behutsam fortgenommen und in den Fluß geworfen; denn sonst würden die Menschen, die von dem Tiere essen, erkranken. Wollen Menschen aus einem bestimmten Wasserloch trinken, das von einem Geiste bewohnt wird, so müssen sie erst in das kegelförmig zusammengerollte Blatt, mit dem sie schöpfen, ein Loch machen, damit der Geist herausfalle. Täten sie dieses nicht, dann würde er in den Menschen, der das Wasser trinkt, einziehen und ihn zum Anschwellen und Sterben bringen. Bisweilen nimmt auch ein böser Geist von dem Seelenich eines Mannes Besitz. Wenn zum Beispiel jemand auf seiner Rückkehr aus dem Busch das Fieber mit dem es begleitenden Schüttelfrost bekommt, so nimmt man an, er sei gefallen und ein Geist habe sein Seelenich mitgenommen. Es ist dann eine besondere Zeremonie nötig, um den Geist zu veranlassen, daß er wieder herausgeht. Wertvolle Zieraten werden an ein langes Bambusrohr gebunden, und der Kranke sowie seine Freunde gehen an die Stelle zurück, von der er glaubt, daß er dort hingefallen sei und die Besinnung verloren habe; zwei andere Männer bringen das Rohr mit. Jetzt stellen sie einen Topf auf die Erde, füllen ihn mit einer besonderen Grasart und einem brennenden Feuerstock und halten das Bambusrohr in horizontaler Lage darüber. Während das Gras knisternd brennt und die Männer den Topf umstehen, jeder mit einem Steine in der Hand, schlagen sie mit diesem auf den Topf und zertrümmern ihn unter Stöhnen. Dann kehrt die Gesellschaft mit ihrem Bambus in das Dorf zurück, aber niemand darf sich dabei umsehen. Zu Hause angekommen legt sich der Kranke nieder, der Bambusstock wird über seinem Lager aufgehängt. Es scheint dabei der Aberglaube[S. 119] zu bestehen, daß der Geist die Seelen der Ziergegenstände, die an dem Bambusstock befestigt sind, als Ersatz für die Seele des kranken Mannes hinnehme und daß daraufhin sich dieser wieder erhole.
Zauberei und Magie nehmen einen großen Platz in den abergläubischen Vorstellungen der Melanesier ein. So verwenden die Wahrsager auf den Inseln der Torresstraße eigens dazu präparierte Menschenschädel (Abb. 149 und 150). Wir haben bereits mehrfach diese beiden Punkte berührt. Der Zauberer, der seine geheimnisvolle Kraft ausübt, tut dies mit Hilfe eines Geistes, und zwar vermöge des Mana, das dieser ihm verliehen hat. Solche Fähigkeiten werden von ihren Inhabern wieder auf andere vererbt, indem diese von ihnen darin eingeweiht werden. Jegliche Krankheit, die nicht gerade eine gewöhnliche ist, also im natürlichen Verlaufe des Lebens vorkommt und dann auch als eine solche aufgefaßt wird, gilt ihnen als das Werk eines Geistes oder einer Ahnenseele. Die Wesen jedoch, denen für gewöhnlich die Verursachung von Krankheiten zugeschrieben werden, sind Seelen, die entweder beleidigt wurden, oder die um ihre verderbliche Hilfe von den mit ihnen verbundenen Menschen durch Opfer und Zaubersprüche angegangen wurden, oder die aus reiner Bosheit gegen die Lebenden so handeln. Der gewöhnliche Glaube geht dahin, daß der Geist den Menschen dabei auffrißt. Oft muß zunächst erst die Seele oder der Geist ausfindig gemacht werden, welche die Krankheit hervorgerufen haben; hat sich zum Beispiel herausgestellt, daß der Kranke verbotenerweise einen geweihten Ort betrat, dann liegt die Annahme nahe, daß der Geist dieses Ortes seine Krankheit herbeigeführt haben muß. In diesem Falle wird der Vertraute dieses Geistes geholt, der daraufhin eine Zeremonie mit dem Kranken vornimmt — so kaut er auf Florida (Salomoinseln) Ingwer und bläst ihn in das Ohr des Patienten — und den Geist bittet, die Krankheit zu beseitigen. Wird der Kranke nicht gesund, dann versucht man es mit einem anderen, möglicherweise beleidigten Geist auf die gleiche Art. Kann man das betreffende überirdische Wesen überhaupt nicht feststellen, so wendet sich jemand, der mit einem mächtigen Geist vertraut ist, an diesen und bittet ihn um Vermittlung bei dem beleidigten Geist, wobei ohne weiteres vorausgesetzt wird, daß jener diesen kenne. In manchen Fällen vermutet man auch, daß irgend ein Mensch, der dem Kranken übel will, seinen eigenen ihm vertrauten Geist angerufen und dazu gebracht hat, die Krankheit zu verursachen; dann bemüht man sich, einen mit einem noch mächtigeren Geist verbundenen Menschen zu veranlassen, daß er aus Mitgefühl den verzehrenden Geist abrufe. Weigert er sich, dies zu tun, dann bleibt immer noch die Möglichkeit, seine Zuflucht zu einem zu nehmen, der zu einem noch mächtigeren Geiste Beziehungen unterhält, damit der den anderen austreibe. Der Ausgang, ob Genesung oder Tod, beeinflußt dann die öffentliche Meinung über die relative Macht der verschiedenen Seelen oder Geister.
Von den Eingeborenen Neumecklenburgs, Neulauenburgs und noch anderer Inseln Melanesiens wird zur Behandlung von Schädelverletzungen, die zumeist durch Schleudersteine entstehen, sowie zur Beseitigung von Epilepsie oder Linderung andauernder heftiger Kopfschmerzen die Trepanation vorgenommen, das heißt die Freilegung der Schädeloberfläche und unter Umständen die Öffnung der Schädelhöhle. Man begnügt sich auch in weniger ernsten Fällen mit einem Schaben des Stirnknochens; auch hiervon können tiefe Narben zurückbleiben (Abb. 151). Ein Obsidiansplitter, ein scharfer Haifischzahn oder eine geschärfte Muschel geben das primitive Handwerkszeug für diese Operationen ab.
Wenn man in einer Gegend von Neumecklenburg die Vermutung hat, daß ein Mann durch Zauberei gestorben ist, so versammeln sich seine Freunde in der nächsten Nacht um sein Haus; ein Zauberer ruft seine Seele an und fragt sie, wer der Schuldige war. Erhält er keine Antwort, so ruft er den Namen eines Verdächtigen aus, und die Umstehenden lauschen eifrig auf die Antwort. Kommt aber keine solche, so wird ein anderer Name gerufen; dies wiederholt sich so lange, bis ein Laut, sei es auch nur ein Geräusch, wie wenn jemand mit dem Finger auf ein Brett tippt, vernommen wird. Daraufhin hält man den zuletzt Genannten für den Schuldigen; das heißt, man glaubt, daß nicht er direkt den Tod seines Nächsten verschuldet hat, sondern die Macht des ihm vertrauten Geistes. In manchen Gegenden der Salomoinseln entdeckt der zur Erkrankung eines Menschen herbeigerufene Zauberer den Geist, der das Unheil angerichtet hat, dadurch, daß er einen Stein an einem Bindfaden, den er in der Hand hält, befestigt und die Namen der kürzlich Verstorbenen aufruft. Gerät der senkrecht an dem Faden hängende Stein bei irgend einem Namen in Bewegung, dann erkennt man daran, daß es nur die Seele dieses Mannes gewesen sein kann. Nun werden die Namen von Geschenken für den Geist, zum Beispiel Yamswurzel, Fische, Schweinefleisch und dergleichen, der Reihe nach genannt; der Ausschlag des Steines zeigt dann an, was der Geist zur Besänftigung ausgewählt hat. Das von ihm geforderte Geschenk wird am Grabe des Toten oder an einem geweihten Orte geopfert.
In manchen Gegenden Melanesiens gibt es verschiedene Methoden, um Krankheit oder Tod herbeizuführen, aber allen liegt doch der Gedanke zugrunde, daß das Opfer mit dem Geist in irgend einer Weise in Verbindung gebracht werden muß, der ihm schaden soll. Für gewöhnlich macht man es so. Man nimmt etwas vom Körper des ausersehenen Opfers[S. 121] (Abb. 152 und 153), zum Beispiel ein Haar, ein Stück Fingernagel oder etwas, was sonst mit ihm eng verbunden war, sagen wir ein Überbleibsel seiner Mahlzeit, die er kürzlich eingenommen hat, oder ein Blatt, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn trocknete, und leitet darauf die böse Zauberkraft eines Knochens von einem Toten, dessen Seele die ausübende Kraft ist, oder eines Steines, der Mana besitzt, um Unheil anzurichten, oder irgend eines anderen derartigen Gegenstandes. Oder man wirft den betreffenden Gegenstand auch auf eine geweihte Stätte, die der Geist bewohnt. Dadurch soll dessen Träger krank werden oder sonst ein Unglück erleiden. Das Opfer erfährt bald davon durch einen Dritten, daß es verzaubert worden ist, und die Einbildung, daß ihm ein Unheil, zumeist der Tod bevorstehe, wirkt so mächtig auf sein Gemüt ein, daß es tatsächlich krank und von Tag zu Tag hinfälliger wird. Die Angehörigen wenden sich nun an einen Zauberer, der daraufhin den fremden Geist mit Hilfe des ihm vertrauten zu bestimmen versucht, daß er von seinem Opfer abläßt. Um solchem Unheil vorzubeugen, ist es daher allgemein Brauch bei diesen Leuten, daß sie etwaige Gegenstände, die für diese Zwecke Verwendung finden könnten, sorgfältig verstecken, damit sie nicht einem Übelwollenden in die Hände fallen. Ein anderes Vorgehen zur Abwendung eines Zaubers wurde in einer Gegend von Deutsch-Neuguinea beobachtet. Ein Kranker sandte öfters einen Boten nach einem bestimmten Orte, wo die verdächtige Seele hausen sollte, um von dort ein Büschel Gras zu holen; dieses trug er in die Blätter einer besonderen Pflanze eingewickelt und mit einer bestimmten Schlingpflanze noch zusammengebunden[S. 122] zurück. Der Kranke wurde mit dem kleinen Bündel gestreichelt, damit die böse Macht, von der er besessen wäre, dorthin übergehe; darnach wurde das Büschel tüchtig geschlagen, um die Macht zu zermalmen, oder es wurde in den Rauch des Feuers gehängt, um sie zu ersticken. — Die Eingeborenen verwenden auch Heilmittel, die nach ihrem Glauben Zauber und Krankheit zu bannen vermögen. Manchen von ihnen mag zwar eine gewisse Heilkraft zukommen, aber zumeist beruht ihre Wirksamkeit doch auf dem Glauben an die Macht eines übernatürlichen Geistes; der ausübende Zauberer ist mit dem Geisterwesen vertraut, und der in Betracht kommende Geist bringt eben die Heilung zustande.
Die Geister und Seelen haben auch das Wetter in der Hand; und ebenso beherrschen es alle diejenigen, die mit diesen vertraut sind und ihre Vermittlung anrufen können. Daher gibt es auch Wettermacher, die Wind und Stille, Regen und Sonnenschein, Hungersnot und reichliche Ernte herbeiführen zum Vorteil derer, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen, oder zum Schaden der Feinde letzterer (Abbild. 154 u. 155). Die Geister und Seelen können auch Beschwörungsformeln, Steinen, Blättern und anderen leblosen Gegenständen Macht verleihen, damit sie aus sich heraus das Wetter beeinflussen. Die Methoden, die diese Wettermacher anwenden, sind ganz verschiedene. Auf einer der Salomonen zum Beispiel wurde folgendes Verfahren eingeschlagen, um Sonnenschein herbeizuführen. Bestimmte Blätter und Schlingpflanzenranken wurden von einem Insulaner an das Ende eines Bambusstockes gebunden und über ein Feuer gehalten. Der Mann fachte das Feuer an und sang dabei, um dem Feuer Mana einzuverleiben, das dieses wiederum auf die Blätter übertragen sollte. Dann kletterte er auf einen Baum und befestigte den Bambusstock an dessen äußerstem Zweig. Während der Wind das biegsame Rohr hin und her bewegte, verbreitete es Mana um sich, woraus alsdann die Sonne zum Vorschein kommen sollte. — Auf den Neuhebriden glauben die Eingeborenen, sich dadurch Sonnenschein verschaffen zu können, daß sie Zweige einer Pflanze, die mit Mana getrocknet wurden, über das Feuer halten, und dabei Zaubersprüche singen in der Hoffnung, daß dadurch geradeso, wie diese Zweige vertrockneten und in dem Feuer verbrannten, auch die Erde infolge der kommenden Sonnenhitze Trockenheit annehmen wird. Auf den Santa-Cruz-Inseln wird, um Wind herbeizuführen, der Zweig eines bestimmten Baumes ebenfalls unter Absingen von Zaubersprüchen in der Luft geschwenkt.
Das ganze Leben und Treiben der Melanesier erscheint von Zauberei gleichsam durchsetzt zu sein, die bei den verschiedensten Gelegenheiten, überhaupt bei allem, was des Menschen Herz beschäftigt und erfreut, angewendet wird. Will zum Beispiel auf Deutsch-Neuguinea ein Jäger auf seinem Ausfluge Glück haben, so verbrennt er eine bestimmte Sorte Holz,[S. 124] das aus dem Innern, wo die „Jagdgeister“ hausen, herstammt, und schwärzt sich mit dem Ruß Gesicht, Hände, Knie und Ellbogen, desgleichen die Nase seines Hundes, oder er mischt winzige Teilchen eines Krokodilzahnes unter das Hundefutter, damit die Gier und Kraft dieses Tieres auf seinen Begleiter übergehe, oder er berührt die Nase des Hundes mit der Klaue eines habichtartigen Vogels, damit er seine Beute krampfhaft festhalte wie dieser. Um beim Anbau von Tarowurzeln einen guten Erfolg zu erzielen, muß der Eingeborene einen Tarostein besitzen, den er anruft, und mit dem er die Tarostücke berührt, ehe er sie in die Erde legt. Die Entstehung solcher Tarosteine wird auf folgende interessante Legende zurückgeführt. Es war einmal ein Geist, der großen Appetit auf Taro hatte und von dieser Wurzel eine riesige Menge verzehrte; als aber die Wurzeln in seinem Magen zu sprossen begannen, platzte dieser und die Tarostücke flogen nach allen Richtungen und verwandelten sich in Steine, die fortan die Macht besaßen, bei der Tarozucht Erfolg herbeizuführen. Zaubersteine finden auch Verwendung, um Männer flink, leichtfüßig und ausdauernd zu machen, so daß sie imstande sind, ohne Ermattung die ganze Nacht hindurch zu tanzen; man schabt von den Steinen ein Pulver ab und reibt damit die Glieder dieser Dauertänzer ein. Manche Männer besitzen auch die Macht des Weissagens, die ihnen nach dem Aberglauben der Eingeborenen meistens durch die Geister und Seelen Verstorbener verliehen wird; ihre Antworten gehen durch den Mund des Wahrsagers, der während des Zwiegesprächs mit den Geistern anscheinend die Besinnung verloren hat. Wird zum Beispiel über einen Kriegszug beraten, so niest und schüttelt sich einer der Teilnehmer, der im Rufe steht, mit einem überirdischen Geiste vertraut zu sein, woraus man entnimmt, daß der Geist bei ihm Einzug gehalten hat. Seine Augen beginnen zu funkeln, sein Mund zu schäumen, seine Glieder zu zucken, schließlich krampft sich der ganze Körper zusammen; darauf ertönt aus seiner Kehle eine Stimme, aber angeblich nicht seine eigene, sondern die des Geistes, die den Vorschlag der Versammlung mißbilligt oder gutheißt. Diese Antwort ist dann ausschlaggebend für die Teilnehmer.
In einer Gegend der Admiralitätsinseln stellt man[S. 125] auf folgende Weise durch Zauber fest, ob ein Kampf unternommen werden soll oder nicht. Der Wahrsager rollt ein Betelblatt zusammen, beißt ein Stückchen davon ab, kaut es mit Arekanuß und läßt den Speichel in die Rolle fallen; je nach der Richtung, nach welcher dieser in ihr nach dem Öffnen abfließt, wird Krieg oder Frieden beschlossen. Auf den Salomonen und auch anderwärts sind Gottesurteile üblich, um die Schuld oder Unschuld eines Menschen, der eines Vergehens angeklagt ist, zu erweisen. Die Art und Weise dieser Gottesurteile oder Ordalien ist in den einzelnen Gegenden ganz verschieden. Der Beschuldigte ruft zum Beispiel die Hilfe eines Mannes an, der einen Stein mit Zauberkraft besitzt. Dieser erhitzt ihn und wirft ihn aus einer Hand in die andere; verbrennt er sich die Hände dabei, so ist der Angeklagte schuldig, wo nicht, trifft ihn keine Schuld. In einigen Gegenden von Holländisch-Neuguinea schreiben die Eingeborenen, wie meistens in Melanesien, den Tod eines ihrer Angehörigen den bösen Anschlägen irgend eines anderen zu und suchen diesen ausfindig zu machen. Der Körper eines Verstorbenen wird nun dort über einem mäßigen Feuer ausgetrocknet und die Flüssigkeit, die in den nächsten Tagen aus dem Körper fließt, wird aufgefangen und aufbewahrt. Diese Flüssigkeit wird dann bei passender Gelegenheit solchen, die im Verdacht stehen, den Tod herbeigeführt zu haben, zu trinken gegeben; wenn sie sich nach dem Genusse übergeben, gilt ihre Schuld für erwiesen, und ihr Tod ist die weitere Folge. Auf einer kleinen Insel nördlich von Holländisch-Neuguinea nimmt die Stelle dieser Leichenflüssigkeit ein Pulver ein, das aus den Knochen eines Verstorbenen hergestellt ist. Ist der Verdächtige außerstande, das Pulver hinunterzuschlucken, so gilt seine Schuld als erwiesen, und der Tod ist ihm gewiß. In der Nähe von Finschhafen lauscht man ängstlich und gespannt auf die Worte, die ein Kranker in seinen Fieberphantasien oder im Traume ausstößt,[S. 126] um den Namen der Person, welche die Verzauberung bewirkt hat, zu erfahren, oder man zündet am Abend des Sterbetages ein Feuer im Dorfe an und nennt nacheinander die Namen von Personen, die den Tod verschuldet haben könnten; diejenige, bei deren Namensnennung das Feuer hell auflodert, wird als der Täter angesehen. Es drängt sich nun von selbst die Frage auf, ob für den Fall, daß der Zauberer unrecht hat oder seine Weissagungen nicht in Erfüllung gehen, nicht das Rechtsgefühl der Eingeborenen sich aufbäumt. Manchmal geschieht dies allerdings. So wird der Zauberer auf Deutsch-Neuguinea häufig in Fällen, in denen er seinen Zauber nicht nach Wunsch ausgeführt hat, zum Schadenersatz angehalten. Ist er zum Beispiel um Regen angegangen worden, und will dieser, nachdem er sich in Strömen eingestellt hatte, nicht wieder aufhören, so muß er den Schaden tragen, den die Feldfrüchte durch den übermäßigen Niederschlag erlitten haben. Vielfach wird der Zauberer wohl durch seine langjährige Beobachtung und Erfahrung das Richtige treffen. Ein Mißlingen schiebt er aber klugerweise vielfach auch dem Umstande zu, daß die Macht des Geistes, den er angerufen hatte, durch die Gegenwirkung eines noch höheren Geistes beeinträchtigt worden sei, und die Eingeborenen geben sich damit zufrieden.
Sehr verbreitet über ganz Melanesien ist auch der Glaube an Vorzeichen, im besonderen, wenn es sich um den Ausgang eines geplanten Zuges, entweder zur Jagd oder zum Fischfang oder zum Kriege, handelt. Auf einigen Ost-Neuguinea vorgelagerten Inseln verkündet das Piepen eines fliegenden Fuchses den Fischern[S. 127] am Riff Glück, der Schrei eines gewissen Vogels aber Unglück; wer letzteren hört, kehrt sofort um. Auf einer der Neuhebriden lebt ein kleiner Vogel, dessen Ruf bald wie das einheimische „nein“, bald wie die Stimme eines redenden Menschen klingt. Wenn Männer auf einer Expedition den ersteren Ruf hören, so halten sie dies für ein böses Zeichen, im anderen Falle ziehen sie mit großer Hoffnung aus. Bei den Koita hält man es auf dem Schildkröten- oder Dujongfang für glückbringend, wenn ein fliegender Fisch in ihr Kanu springt, oder auf einem Jagdausflug ein bestimmter Vogel ruft; sofort gehen sie in der Richtung weiter, aus welcher der Ruf erklang. Dagegen gilt das Auftauchen einer grünen Taubenart als ein böses Omen; begegnet eine Jagdgesellschaft einem solchen Tiere aus der Richtung, die sie gerade einschlug, dann kehrt sie sofort um und unternimmt bis zum nächsten Tage nichts weiter. Auch links und rechts spielen in dem Aberglauben der Melanesier eine Rolle. Springt zum Beispiel ein Hornhecht rechts vom Kanu auf oder stößt ein Jäger zufällig mit seinem rechten Fuß gegen einen Stein, so bedeutet dies für ihn Glück, im entgegengesetzten Falle befürchtet er ein Unglück. Manche Vorfälle werden als Warnungen vor einem bösen Ereignis, das im Anzuge ist, angesehen. Das Erscheinen eines Frosches oder eines anderen Geschöpfes, das sonst nicht in eine Hütte zu kommen pflegt, wird von den Bewohnern der Neuhebriden als der Vorbote des Todes gedeutet; eine glänzende, goldfarbene Schlange gilt gleichfalls als Anzeichen des Todes; bleibt sie ruhig liegen, dann glaubt man, daß der Tod durch eine Krankheit verursacht wird, bewegt sie sich aber, dann tritt ein gewaltsamer Tod ein. Auf der Gazellehalbinsel gilt ein gewisser Vogel als Weissager des bevorstehenden Todes; die gleiche Bedeutung haben hier Sternschnuppen; man hält sie für Seelen Abgeschiedener, die auf die Erde kommen, um jemand, den sie sich dazu ausersehen haben, zu holen. Bei den Bewohnern im Innern Neupommerns besagt ein Ring um die Sonne, daß irgend ein Mensch getötet worden ist, phosphoreszierende Lichter auf dem Wasser sollen von badenden Geistern herrühren und so fort.
Auch die Einrichtung des Tabus, das heißt die Sitte, gewisse Gegenstände, Personen oder Plätze gleichsam durch Belegen mit einem Bann für eine bestimmte Zeit oder auch für immer unantastbar oder unbetretbar zu machen, findet sich in Melanesien. Sein Ansehen und seine einschränkende Kraft liegen aber nicht allein in dem persönlichen Verbot, das ein Mann erläßt, sondern in der Macht des Geistes, der vermöge seines Manas mit ihm in Verbindung steht und jede Übertretung des Tabus auch ahndet. Man kann das Tabu hinsichtlich dieser seiner Wirksamkeit mit einem Fluch vergleichen. Durch das Tabu wird im allgemeinen das Eigentumsrecht einer Person geschützt. Der eine will dadurch seine Gärten oder Kokosnußbäume davor bewahren, daß ihm die Erträge geraubt werden, ein anderer sein Fischnetz oder sein Kanu vor Fortnahme, ein dritter belegt sein Haus während längerer Abwesenheit mit einem Tabu aus dem gleichen Grunde. Auch Knaben und Mädchen stehen, wie wir oben hörten, vor Eintritt der Mannbarkeit unter einem Tabu, das heißt, es dürfen bestimmte Personen sich ihnen nicht nähern, sie selbst bestimmte Gegenstände nicht anrühren und bestimmte Speisen nicht genießen. Für die Frauen und Kinder sind die Versammlungshäuser der Männer, sowie die Plätze der geheimen Gesellschaften tabu, das heißt jene dürfen sie nicht betreten und die sich auf ihnen abspielenden heiligen Handlungen nicht anschauen. Äußerlich wird das Tabu durch ein deutlich sichtbares Merkmal gekennzeichnet, zum Beispiel durch Grasbüschel oder Blätterbündel (Abb. 157), die man an den betreffenden Gegenstand anbindet, oder durch zwei kreuzweise in die Erde gesteckte Hölzer, geschnitzte Stöcke, zwei mit ihrer konkaven Fläche aufeinander gelegte und am Rande eingekerbte Palmblätter, wodurch das Aussehen eines Krokodilrachens vorgetäuscht wird und anderes mehr (Abb. 156 u. 158). Jedes dieser Zeichen genügt als Warnung, die verstanden und im allgemeinen auch befolgt wird. Denn eine Verletzung des Tabus zieht strenge Strafe des Geistes, meistens schwere Krankheit oder auch den Tod nach sich. Auf Kaiser-Wilhelms-Land kann man bei unbeabsichtigter Verletzung des Tabus vor der Strafe bewahrt werden; der Geschädigte verabreicht dem Frevler als Heilmittel ein durch Zauber besprochenes Wasser zum Trinken.
Eine ausführlichere Besprechung erfordern die Toten- und Bestattungsgebräuche der Melanesier, die manchmal mit recht verwickelten Zeremonien verknüpft sind. Eine Übereinstimmung bezüglich der Art und Weise, wie man sich des Toten entledigt, herrscht in Melanesien nicht. Mit dem gewöhnlichen Volke pflegt man im allgemeinen nicht viel Umstände zu machen, dagegen erfährt in der Regel der tote Körper eines Häuptlings oder einer Standesperson eine ehrenvolle Behandlung.
Zumeist wird der Tote wie bei uns der Erde übergeben. In Gegenden, wo eine solche Bestattung ein Vorrecht der Häuptlinge ist, wird die Leiche in die See versenkt. In einigen Gegenden ist es Brauch, daß nahe Verwandte des Toten ein paar Knochen von ihm zurückbehalten und sie später als Reliquien tragen, oder in bestimmten Schreinen aufbewahren. Am Kaiserin-Augusta-Fluß (Deutsch-Neuguinea) trägt man auf die Schädel Verstorbener eine plastische Masse auf und modelliert diese naturgetreu zu einem Gesicht. Die Augen werden durch Muscheln ersetzt, die Kopfhaare durch Zotteln, das ganze Gesicht schließlich mit Zeichnungen bedeckt, die an die Tatauierungen der Maori erinnern (Abb. 159 bis 162). Anderwärts wieder herrscht die Sitte, zunächst den ganzen Körper zu bestatten, später aber das Skelett auszugraben und einzelne Teile davon zur Aufbewahrung loszulösen. Für bedeutendere Personen werden bisweilen große, mehr oder weniger verzierte Totenschreine errichtet, in denen die Habseligkeiten des Toten mit der Leiche untergebracht werden. Diese Schreine genießen dann den Ruf besonderer Heiligkeit. Oft werden dem Verstorbenen der Schmuck und andere Gegenstände, die er im Leben besessen hat, ins Grab mitgegeben oder auch vor dem Begräbnis neben der Leiche zur Schau gestellt, in dem Glauben, daß die Seele des Toten die gespenstischen Elemente der Sachen mit sich nimmt; bisweilen wird auch die ganze Habe des Verstorbenen zerstört. Auf den Salomonen wird das Grab eines Häuptlings oder einer Person von Ansehen mit einem manchmal treppenförmig abgestuften Steinhaufen bedeckt, auf dem oben ein aus einem Baumstamme roh geschnittener Gedächtnisblock aufgestellt oder auch ein kleiner Aufbau, etwa ein auf einem kurzen Pfosten ruhendes Kegeldach oder ein von aufrecht stehenden Stöcken getragenes[S. 130] Giebeldach oder auch ein winziges hausähnliches Gefäß errichtet werden (Abb. 182). Meistens findet sich aber in einem solchen Grabe nicht der ganze Körper des Toten, sondern nur sein Schädel oder einzelne Knochen beigesetzt. Bei den Mafulu und in einigen Teilen Neuguineas werden die Toten auf Plattformen, die auf rohen Holzgerüsten für diesen Zweck besonders errichtet sind, oder in die Gabelung eines heiligen Feigenbaumes ausgesetzt und dem Verfall überlassen (Abb. 163).
Die nachstehend geschilderten typischen Begräbnisszenen aus den verschiedenen Teilen Melanesiens sind heutigentags vielfach im Verschwinden begriffen, da die Missionare die Eingeborenen mehr und mehr veranlassen, ihre Toten nach den Gebräuchen der christlichen Kirche zu bestatten. Nach dem Tode eines Koita auf Neuguinea malt man auf sein Gesicht rote Farbstriche und sein Körper wird reich geschmückt. Die Dorfbewohner treten nun an den Toten heran, berühren sein Gesicht mit ihrer Nase, was etwa unserem Abschiedskuß gleichkommen dürfte, und wachen und jammern bei der Leiche die ganze Nacht hindurch, ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Sodann wird der Tote auf einen Totenstuhl (Abb. 164), das heißt ein rohes Holzgestell, dessen Sitzbrett für drei Personen Raum bietet, gesetzt, neben ihm nehmen zwei Lebende, etwa seine Frau und sein ältester Sohn, Platz. Eine Stunde lang ertönen Trommelschlag und Totenlieder, dann werden des Verstorbenen Besitzgegenstände zerschlagen und an der Seite des Stuhles ausgelegt. Hierauf nimmt man dem Toten fast seinen ganzen Schmuck wieder ab, „küßt“ ihn noch einmal, rollt ihn in eine Matte und trägt ihn auf einer Stange zu Grabe. In den nächsten Tagen folgt nun ein Leichenschmaus dem anderen. Hierauf muß die Witwe, die von Kopf bis zu Fuß[S. 131] schwarz bemalt und am Haupthaar geschoren wird, einen bestimmten Trauerschmuck tragen. Die Trauer um ihren Gatten dauert sechs Monate, und während dieser Zeit ist sie verschiedenen Tabu unterworfen. Nach Ablauf dieser Frist wird wieder ein Fest gefeiert, an dem die Witwe endlich ihre Trauer ablegt; die schwarze Farbe wird mit dem Saft unreifer Kokosnüsse von ihrem Körper abgewaschen. Bei den Roro wird der Tote, nachdem man ihn ins Grab versenkt hat, zweimal mit einem Baumzweige von Kopf bis zu Fuß gestreichelt, um seinen Geist zu vertreiben. Ein oder zwei Monate lang nach dem Begräbnis brennt nachtsüber ein Feuer auf seinem Grabe, um „den Toten zu wärmen“. Im Mekeogebiet legen, wenn ein Mann gestorben ist, alle Verwandten Trauer an; sie enthalten sich außerdem des Tanzens, Singens und der lauten Lustbarkeiten. Beim Bemalen ihres Körpers verwenden sie keine rote Farbe; die männlichen Verwandten dürfen überhaupt nichts Bemaltes tragen und die Frauen vertauschen ihren mit Grasfransen besetzten Rock, der sich eng um ihren ganzen Körper schmiegt, gegen einen viel kleineren und kürzeren, der nur vorn und hinten wie eine Schürze herunterhängt und die Seiten unbedeckt läßt. Der Tote wird im Gemeindehaus oder auf einem besonders dazu erbauten Gerüste aufgestellt und unter Weinen und Wehklagen, in eine Palmenblattmatte gehüllt, in die Erde versenkt. Sobald der Tote von einer dünnen Erdschicht bedeckt ist, wirft sich der nächste Angehörige in das Grab hinein und verharrt hier weinend so lange, bis das Grab vollgeschaufelt ist. Nachdem das Begräbnis vorüber ist, läßt sich dieser nächste Verwandte vor den anderen nicht wieder sehen; nur mit einer rohen Rindenhülle bekleidet (Abb. 177), muß er die Tage im verborgenen und die[S. 132] Nächte weinend auf dem Grabe zubringen. Zur Nachtzeit wandert er auch wohl an den Orten umher, die der Verstorbene besucht hat, und ruft ihn. Dies dauert so lange, bis die formelle Anlegung des Trauerschmuckes vor sich geht. Ganz im Gegensatz zu diesem Brauch tiefster Trauer geben die Männer, die den Begräbnisritus ausgeführt haben, sich einem heiteren Feste hin, das mit einem Spiel endigt, bei dem sie nach einem hängenden Eber- oder Känguruhschenkel schnappen.
Erst nach Wochen oder Monaten beginnt man in aller Form den Trauerschmuck anzulegen. Die Verwandten versammeln sich im Gemeindehaus der Sippe, ihr Körper ist mehr oder weniger schwarz angemalt und ihr Haar abrasiert; bei den Frauen wird das ganze Kopfhaar weggenommen, bei den Männern bleiben kleine Haarbüschel über den Ohren stehen. Gleichzeitig gibt es einen gemeinsamen Schmaus. Der Trauerschmuck besteht für gewöhnlich in Halskragen, Armbändern oder Hüftengürtel aus geflochtenen Binsen oder Gras. Diese formelle Trauer dauert eine Zeitlang, gewöhnlich mehrere Monate. Währenddessen dürfen die Leidtragenden nicht baden und unterliegen besonderen Nahrungseinschränkungen. Der Abschluß der Trauerzeit wird wiederum festlich begangen; der Trauerschmuck wird den Trägern in aller Form abgenommen, wodurch sie auch von den Speiseverboten befreit werden. Natürlich bilden den Schluß wieder Schweineschlachten, Schmaus und Tanz (Abb. 165 und 166).
Eigenartig sind die Totengebräuche bei den Mafulu. Beim Herannahen des Todes wird dem Sterbenden ein Weib, das diese Tätigkeit als Beruf betreibt, zur Bewachung beigegeben. Sobald sie sich überzeugt hat, daß der Tod eingetreten ist, verabreicht sie dem Toten mit der Faust einen Schlag auf den Kopf und erklärt ihn für tot; falls er es bis dahin noch nicht gewesen sein sollte, ist er es jetzt in der Tat. Bei einem Häuptlinge kommt noch ein umständlicheres Verfahren in Betracht. Ein Zauberer geht mit einem Stücke des Dammgurtes des Sterbenden sowie mit einem Rest der Speise, die er eben erst gegessen hat, in den Busch, steckt den Speiserest in den Gürtel und umwickelt diesen wieder mit einem Blatt, so daß eine Kugel daraus entsteht. Diese steckt er unter ein brennendes Holzscheit, sich selbst legt er daneben mit geschlossenen Augen,[S. 134] verharrt aber so nur wenige Minuten, springt dann wieder auf und untersucht die Kugel. Ist die Speise verbrannt oder angesengt, so ist dies ein Anzeichen dafür, daß der Häuptling sterben muß; er erhält dann den bewußten Schlag auf den Kopf. Manchmal behaupten die Mafulu, daß ein Zauberer aus einem feindlich gesinnten Dorfe den Tod eines Häuptlings durch solch ein Verfahren absichtlich herbeigeführt habe; dann ist ein Kampf zwischen den beiden Sippen die natürliche Folge. — Auf die Todesverkündigung hin erfolgt lautes Geschrei von den Männern des Dorfes, das den Zweck haben soll, den Geist einzuschüchtern. Die Frauen, die schon eine Zeitlang gejammert haben, stimmen nun ein richtiges Begräbnislied an, das sie bis zur Beisetzung mit Unterbrechung absingen, und die Verwandten des Heimgegangenen bestreichen sich den Körper mit Lehm. Inzwischen erscheinen Männer und Frauen aus anderen Dörfern; die Frauen sind ebenfalls mit Lehm beschmiert. Jetzt erhebt sich wiederum lautes Wehklagen und Singen. Das Begräbnis selbst findet etwa vierundzwanzig Stunden nach dem Tode statt. Der Körper wird, die Knie bis ans Kinn angezogen, in Blätter und Rinde eingewickelt, und unter Gesang der Frauen, die ihre Begräbnislieder fortsetzen, zu Grabe getragen. Daraufhin schreien die Männer wieder ganz laut, um den Geist noch mehr einzuschüchtern und ihn schließlich gänzlich zu vertreiben. Die Angehörigen legen nun Trauer an, die hauptsächlich in dem Anschwärzen des Gesichtes, oft auch des ganzen Körpers, besteht. Die Witwe beziehungsweise der Witwer oder auch der nächste Anverwandte trägt eine kleine Trauerhalskette aus Bindfaden. Sind zwei oder drei Tage verstrichen, so findet der Leichenschmaus statt, zu dem Leute aus anderen Dörfern geladen werden. Zuerst betreten zwei weibliche Gäste mit Speeren in den Händen das Dorf und laufen zweimal unter Schwingen der Speere darin umher. Bei ihrer zweiten Tour folgt ihnen eine Schar männlicher Gäste, die die Dorfumzäunung mit gleichfalls geschwungenen Speeren herunter und wieder zurück tanzen, bis sie das Grab erreicht haben (Abb. 167). Dann betritt ein weiterer Gast, gewöhnlich der Häuptling oder sein Sohn, das Dorf in vollem[S. 135] Tanzschmuck (Abb. 168); er schlägt seine Trommel und tanzt im Zickzack die Umfriedigung entlang, bis auch er zu dem Grab kommt. Daraufhin entfernt der Häuptling des Dorfclans seinen Kopftanzputz, ein schweres Holzgestell mit Federaufputz, der manchmal meterhoch über seinen Kopf hinausragt, und der Tanz ist zu Ende. Schließlich wird ein Schwein nach dem anderen aufs Grab gelegt, getötet und zerteilt; hierdurch soll die Seele des Abgeschiedenen endgültig versöhnt werden. Die Gäste werden alle mit Gemüse und Schweinefleisch bewirtet. War der Tote ein Häuptling oder eine gewichtige Persönlichkeit, so darf sein Körper nicht der Erde anvertraut werden, sondern bleibt frei an der Luft liegen. Um den widrigen Ausströmungen der faulenden Leiche zu entgehen, verlassen die Bewohner für diese Zeit das Dorf, es bleiben aber zwei Frauen auf Wache bei dem Leichnam zurück; diese sollen indessen nicht seine irdischen Überreste, sondern das Schweineblut bewachen.
Merkwürdig ist die Zeremonie, die man mit der Trauerablegung hier sowohl wie bei den Mekeo verbindet. Nach Verlauf von etwa ein bis zwei Wochen, aber auch bis zu sechs Monaten, wird ein Schwein unter dem Gerüst eines Häuptlingsgrabes getötet; darauf wird dem Hauptleidtragenden sein Trauerbindfaden vom Halse abgeschnitten, in das Schweineblut eingetaucht und fortgeworfen; sein Gesicht bekommt zwei Farbstriche, gewöhnlich in Rot, auf jede Backe; es folgen nun Gelage und Tanz.
Die Kiwai an der Mündung des Flyrivers (Britisch-Neuguinea) legten früher den Toten zusammen mit seinen Waffen, Werkzeugen und Schmucksachen auf eine Plattform (Abb. 170) und brachten ihm von Zeit zu Zeit Geschenke, die in Nahrungsmitteln bestanden. Die Verwandten aber begossen täglich die Leiche mit Wasser, um den Auflösungsprozeß dadurch zu beschleunigen. Sobald nur noch die Knochen übrig waren, wuschen und begruben sie diese im Garten. Den Schädel aber behielten sie oft eine Zeitlang zurück; der eine oder andere Leidtragende band ihn sich um den Hals, bisweilen auch Schädelreste von[S. 136] mehreren Verwandten der Reihe nach. Der Trauernde konnte sich angeblich mittels des Schädels mit dem Toten verständigen, das heißt mit seiner Hilfe weissagen. Jetzt setzt das Kiwaivolk seine Toten in der Erde bei; der Kopf ist nach Westen, das heißt nach der Richtung der untergehenden Sonne und dem Monde zu, wo das Land der Toten liegt, gerichtet. Man baut schließlich ein kleines Haus über dem Grabe (Abb. 171), dessen Form eine ganz verschiedene ist. Die Habseligkeiten des Toten werden an einem Stock, der in der Erde steckt, oder an den Ecken des kleinen Hauses aufgehängt. Wochenlang brennt für den Toten ein Feuer unter oder neben diesem Häuschen am Fuße des Grabes. Ein Korb, der denjenigen ähnelt, in welchen die Mütter in diesen Gegenden ihre Kinder zu tragen pflegen, zeigt an, daß hier ein Kind bestattet liegt (Abb. 173). Sogleich nach dem Tode ertönt das Klagen und Singen der Dorfbewohner.
Ist der Verstorbene ein Mann, so wird seine Frau in einem Mattenverschlag in dem langen Frauenhaus des Dorfes abgeschlossen; sie darf sich nicht an dem Begräbnis beteiligen. Zum Zeichen ihrer Trauer bestreicht sie ihren Körper mit Lehm, jammert unaufhörlich und geht nur im Dunkeln aus. Wenn sie schließlich den Verschlag verläßt, trägt sie ein Trauergewand aus Gras, das ihren ganzen Körper bedeckt und mit dem sie auch ihr Gesicht verhüllen kann (Abbild. 172). Nach ein paar Wochen tritt an Stelle dieser den Körper verhüllenden Trauergewänder eine Kappe und ein Kopfputz aus Gras, der über Rücken und Brust herabhängt (Abbildung 169), und um die Hüften ein Rock, den sie mehrere Wochen trägt, um dann ein Stück nach dem anderen abzulegen. Trauert ein Kiwaimann, so bestreicht er sich zum Zeichen dafür ganz und gar mit Lehm und trägt ein Grasgewand um seinen Hals, das hinten fast bis auf die Erde reicht und vorn bis über die Brust geht (Abb. 176); auch dieses wird allmählich mit dem Nachlassen der Trauer verkürzt. In einer anderen Gegend des östlichen Flyriverufers tragen die Eingeborenen zum Zeichen der Trauer ein kapuzenartiges Netz, das über Kopf und Gesicht gestreift wird und dieses wie ein Schleier bedeckt (Abb. 175). In dem Grade, wie die Trauer geringer wird, lüftet sein Träger die Kapuze und gibt das Gesicht frei. Überhaupt ist der Trauerschmuck über ganz Neuguinea verbreitet. Allgemein gilt als Ausdruck des Schmerzes ein Bemalen der Brust und des Gesichtes mit schwarzer Farbe; auch Trauernetze sind vielfach in Gebrauch. Die Basilakiweiber tragen Muschelschmuck als Trauerabzeichen (Abb. 181). Bei den Papua von Holländisch-Neuguinea (Abb. 177) wird nach dem Hinscheiden einer Person von den Klageweibern ein Totengesang angestimmt, der öfters eines poetischen Reizes nicht entbehrt; unter anderem werden darin die treue Vorsorge des Verstorbenen für seine Familie, sowie seine Tugenden, vor allem seine Kriegs- und Heldentaten verherrlicht. Die Klageweiber waschen auch die Leiche, hüllen sie in Matten und umschnüren sie mit festem Bast, worauf die Bestattung[S. 138] in der Erde erfolgt. Bei den Mambri stellt man das Ahnenbild des Verstorbenen neben sein Grab und schilt es tüchtig dafür aus, daß es einen so tapferen Mann hat sterben lassen. Daneben gibt es aber noch ganz seltsame Bestattungsgebräuche. In einer Gegend werden die Toten in ausgestreckter, horizontaler Lage in Käfige aus geflochtenen Zweigen gelegt, die auf Pfählen am Strande hinter dem Dorfe ruhen. In einer anderen Gegend werden dem Leichnam die Knie stark hochgezogen und der Kopf tief auf die Brust herabgedrückt; in dieser Stellung wird der ganze Körper in einen Palmblätterkorb gesteckt, der ihn ganz fest umschließt, verschnürt und in der Wohnung an der Wand aufgehängt. Bei einem anderen Stamme legt man den Toten in ein flaches Grab, deckt ihn mit schweren Steinen zu und umzäunt die Stätte mit starken Ästen (Abb. 179), über die man quer Sagoblätter sowie den oder die Spaten legt, die zum Schaufeln des Grabes benutzt wurden. Diese Ruhestätten tragen öfters auch ein niederes Giebeldach aus Blättern (Abb. 178). In einer anderen Gegend wird die Umzäunung dicht um das Grab herumgelegt und das Ganze mit einem Palmblätterdach bedeckt, so daß ein kleiner hausähnlicher Bau entsteht, den man oft hübsch ausputzt. Schließlich verdient noch eine Grabform Erwähnung. Sie besteht aus einem kleinen, aus vier Holzplatten gezimmerten, ebenfalls hausähnlichen Bau, der auf einem Pfosten ruht und von einem geschnitzten und verzierten Dach gekrönt wird. Dieses Behältnis ist so klein, daß nur die Knochen darin aufbewahrt werden können, es bildet also eine Art Totenschrein (Abb. 188).
Ein eigenartiger Kultus wird mit dem Schädel von den Eingeborenen der Geelvinkbai betrieben. Hier wird der Kopf vom übrigen Körper losgelöst, geräuchert und schön präpariert, das heißt mit künstlichen Ohren und Nase, die aus Holz geschnitten wurden, und mit Augen aus Fruchtkernen oder Glasperlen versehen, sodann in einen sogenannten Korwar (Abb. 180), einem aus Holz schön geschnitzten Ahnenbild, aufbewahrt. Außerdem wird er wie eine lebende Person behandelt; er bekommt seine Mahlzeiten, empfängt Besuche der Anverwandten und Bekannten und wird von ersteren um Rat angegangen. — Die Bergstämme landeinwärts der[S. 140] genannten Bai trocknen die Leiche auf einem Gerüst, in seltenen Fällen tun sie dies auch direkt in der Hütte, wo sie den toten Körper an die Wand hängen. Früher bestand dabei die schreckliche Sitte, das bei der Fäulnis abfließende Leichenwasser in einem darunterstehenden Gefäße aufzufangen und der Witwe zum Trinken zu reichen, mit der Begründung, daß sie sterben müsse, falls sie davon nichts genieße.
Auf den Inseln am östlichen Ende Neuguineas bewahrt man nicht nur den Schädel, sondern auch andere Knochen des Toten auf, wie die Wirbel, Finger- und Fußknochen, desgleichen den Unterkiefer, die aufgereiht von den Verwandten als Armbänder oder Halsschmuck getragen werden (Abb. 174). Die langen Röhrenknochen werden zu den kleinen Spateln umgearbeitet, mit denen man bei feierlichen Gelegenheiten die Kalkmasse aus dem Kürbisbehälter für das Betelkauen herausholt.
Was den Bismarckarchipel anbetrifft, so sei zunächst die Schilderung der Vorgänge, die sich beim Tode eines großen Häuptlings auf der Gazellehalbinsel abspielten, hervorgehoben. Als sein Ende geahnt wurde, ertönte die große Trommel und rief die Verwandten zum Sterbelager. Die nächsten Angehörigen setzten sich dicht neben den Sterbenden, befühlten ihn von oben bis unten und murmelten ihm Trostworte zu; andere saßen umher und kauten Betel, währenddessen die Weiber draußen ein lautes Geschrei anstimmten. Die Trommel verkündete schließlich den Tod des Häuptlings. Darauf begann das Wehklagen der Männer und Frauen, sowie das Dröhnen der Trommel von neuem; dies währte die ganze Nacht hindurch. Inzwischen wurde eine niedere Plattform errichtet, auf der am frühen Morgen die Leiche in sitzender Stellung aufgebahrt und geschmückt wurde (Abbild. 184). In der Zwischenzeit wurden die Plantagen des Verstorbenen zerstört und all seine Schätze zusammengesucht, die man um ihn herum aufbaute. Jetzt traten maskierte Gestalten aus dem Walde hervor und führten eine Reihe Tänze um den Toten auf, die von Trommelschlag begleitet und durch Wehklagen unterbrochen wurden. Ein Ver[S. 142]wandter des Häuptlings legte einheimisches Geld zu seinen Füßen, das unter die Tänzer verteilt wurde; diese zogen sich darauf zurück. Weiter brachte man ein Kanu herbei, legte den Toten hinein, gab ihm ein Ruder in die Hand, schmückte ihn von neuem, hüllte ihn in Matten und trug ihn endlich zu Grabe. Das Wehklagen wurde nun stärker, und die Verwandten ließen sich nur mit Mühe davon abhalten, nicht in das Grab zu springen. Doch schließlich wurde dieses zugeschaufelt. Und wieder ertönte Trommelschlag bis zum Morgen. Dadurch wollte man die Seele des Verstorbenen weit weg nach dem Osten begleiten, an den Ort, wohin sie vermutlich wandert und wohin die Reise vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang dauert. Als daher am nächsten Tage sich die Sonne zeigte, spähte man nach dem östlichen Himmel aus, um zu sehen, ob eine Wolke die dort untergehenden Sterne verhülle; war dies der Fall, dann erblickte man darin ein Anzeichen, daß der Geist seinen Einzug gehalten hatte. Ungefähr ein Jahr später wurde der Schädel des Häuptlings wieder ausgegraben, rot und weiß angemalt, mit einem Federbusch geschmückt und auf eine besondere Plattform gebracht.
Bei den Sulka, einem Stamme des mittleren Neupommern, sind die Begräbnisfeierlichkeiten auch für einen gewöhnlichen Mann ziemlich umständliche. Sobald der Tod eingetreten ist, wird seine Hütte geschmückt und sein gleichfalls schön ausgeputzter Leichnam in sie hineingelegt, worauf wieder ein großes Wehklagen anhebt. Die Plantagen des Verstorbenen werden auch hier verwüstet, seine Schweine getötet und verteilt, seine Waffen zerschlagen; früher wurden auch, falls es sich um einen reichen Mann handelte, seine Weiber getötet. Der Leichnam wird nun am nächsten Tage in sitzender Stellung, den Kopf über der Erde, im Hause selbst beigesetzt und mit einem Haufen Bananenblätter bedeckt; dann werden Steine darumgelegt und wird ein Feuer angezündet. Längere Zeit hindurch schlafen die Verwandten neben ihm, die Männer auf der einen, die Weiber auf der anderen Seite. Sehr wichtig ist nun die Vertreibung der Seele des Verstorbenen. Damit sie keinen Widerstand leiste, wird der Zeitpunkt hierfür geheim gehalten[S. 144] und die Vorbereitungen über Nacht getroffen. Sehr früh am nächsten Morgen fahren plötzlich die Männer mit einem Schrei in die Höhe, schlagen gegen die Wände des Hauses und laufen mit brennenden Fackeln aus Kokosnußblättern umher; durch diesen Lärm entweicht darauf der erschreckte Geist. Wenn das Fleisch des Leichnams ganz zersetzt ist, werden die Knochen wieder ausgegraben, in einen Sack aus Blättern gehüllt und im Hause aufgehängt. Nach Ablauf einer gewissen Zeit gibt es einen Gedenkschmaus.
In Nord-Neumecklenburg und auf Neuhannover wird der Körper eines Toten auf Speeren aufgebahrt, von den Angehörigen von Haus zu Haus getragen und am nächsten Tage auf eine Plattform vor seinem Hause gelegt, unter der man einen Holzstoß errichtet. Je angesehener die Stellung war, die der Verstorbene bekleidete, um so höher fällt die Plattform aus. Nachdem sodann der Holzstoß in Brand gesteckt ist, besteigt ein männlicher Verwandter die Plattform und berührt den Kopf des Toten von Zeit zu Zeit unter Gesang mit einem Speer, so lange, bis die Flammen ihn zum Herabsteigen zwingen. Endlich fängt auch die Plattform Feuer, bricht zusammen, und mit ihr fällt der Leichnam in die Glut. Er wird sodann herausgenommen, ein Stück von ihm losgelöst und unter die Jünglinge des Dorfes verteilt, der übrige Körper aber noch einmal ins Feuer gelegt und zu Asche verbrannt. Alle diese Vorgänge begleiten lautes Wehklagen und Geschrei. Schließlich folgt ein Gelage. Über der Asche des Feuers und des Toten wird ein Dach errichtet. Nach einigen Wochen vermischt man die Aschenreste mit Kokosnußmilch; mit diesem Brei schmieren sich die Leidtragenden den ganzen Körper ein. Die Trauer hält eine bestimmte Zeit lang an und findet ihren Abschluß in einem Schmaus. — Auf Neumecklenburg treffen wir auch noch andere Bestattungsgebräuche an. In manchen Teilen der Insel wird der Tote in einer Hütte eingebaut, oder in einem Kanu aufgestellt, auch mit Ocker eingerieben, oder die Daumen werden ihm zusammengebunden, so daß seine Hände wie zum Gebet erhoben erscheinen, und der ganze Körper wird verbrannt. Anderwärts fertigt man eine Figur des Verstorbenen in Lebensgröße an, bringt sie morgens auf eine Plattform und verbrennt sie abends. In den Rosselbergen legt man den Toten, in sitzender Stellung ganz und gar mit gepulvertem Kalk bestrichen und in Blätter eingehüllt, auf einem Querbalken unter das Dach seines Hauses, wo er jahrelang aufbewahrt bleibt.
In einer Küstengegend der Admiralitätsinseln, wo die Häuser auf Pfählen in die See hineingebaut sind und es besondere Hütten für die Frauen gibt, wird der Tote in einem solchen Frauenhaus mit dem Kopfe nach der See zu aufgebahrt; hier verbleibt er bis zur völligen Verwesung. Die Weiber bewachen die Leiche, entfernen das faulende Fleisch, versenken es in Körben in das Meer, das Skelett aber waschen sie mit Seewasser und begraben es in Körbe verpackt in der Erde, mit Ausnahme des Schädels, der Rippen und der Knochen der Unterarme, die in einen zweiten[S. 146] Korb gelegt und in die See hinabgelassen werden, bis alles gebleicht und sauber geworden ist. Dann legt man die Knochen mit scharf riechenden Kräutern in eine hölzerne Schüssel und bringt sie in das Haus, in dem der Verstorbene lebte. Aus den Zähnen verfertigen sich die Geschwister eine Halskette. Bei einer späteren Festlichkeit werden die zurückbehaltenen Knochen unter die nahen Verwandten verteilt, die sie zum Andenken an den Verstorbenen tragen. Der Schädel indessen wird für eine noch spätere, ganz besonders wichtige Zeremonie zurückgelegt, zu der ausgedehnte Vorbereitungen getroffen werden. Zu diesem Zweck wird eine prächtig geschnitzte Plattform hergestellt, die den Schädel aufnehmen soll. Am anderen Morgen kniet der Veranstalter der Festlichkeit nieder, ein Zauberer setzt sich auf seine Schultern und hält sich an seinen Haaren fest; dadurch will er jenem Kraft verleihen, damit er seinen Pflichten beim Fest gewachsen ist. Darauf ertönt Trommelschlag in der ganzen Umgegend, die Gäste strömen herbei, und wenn sie versammelt sind, hält der Veranstalter (gewöhnlich der Sohn des Verstorbenen) eine Ansprache, in der er den Toten und die Anwesenden, auch sich selbst lobt und ihre Feinde schmäht. Schließlich tritt unter Trommelwirbel der Zauberer hervor und nimmt den Schädel in die Hand, worauf der Festgeber ihn mit einem in Öl getauchten Drakänenzweig schlägt und dabei die Worte ausruft: „Du bist mein Vater“; nach einer Weile wiederholt er den gleichen Vorgang und ruft dieses Mal: „Empfange diese Speise, die dir zu Ehren zubereitet wurde“, und beim dritten Male: „Beschütze mich, beschütze mein Volk, beschütze meine Kinder“. In jeder Pause werden die Trommeln geschlagen, und ein Trommelzeichen beschließt auch die Feier, worauf das eigentliche Freudenfest einsetzt. Der Schädel wird stets sorgfältig aufbewahrt.
Auf dem Bismarckarchipel gibt es in manchen Gegenden auch Gesellschaften, die gewissermaßen den Geheimbünden gleichen, nur daß sie ihre Tätigkeit ausschließlich zum Andenken Verstorbener entfalten. Diese Gesellschaften halten das ganze Jahr hindurch Aufführungen und Zeremonien auf ihren geheimen Plätzen ab, aber einmal im Jahre nehmen sie zu Ehren der Toten eine öffentliche heilige Handlung vor, bei welcher geschmaust und getanzt wird (Abb. 186). Wenn sie die heiligen Masken auf den Tanzplatz bringen, so tun sie es unter Wehklagen und lautem Ausrufen der Namen der Gestorbenen, zu deren Ehren sie die Masken angefertigt hatten; die Weiber schreien ebenfalls, raufen sich die Haare aus und reißen sich sogar die Kleider vom Leibe, gleichsam als ob sie den Verstand verloren hätten. Auf der Gazellehalbinsel wird der Tote nochmals in sitzender Stellung aufgebahrt (Abb. 185) und geschmückt, die Maskentänzer führen ihm zu Ehren einen Tanz auf, dem andere Zeremonien folgen. Auch die Duk-Duk-Leute führen beim Tode ihrer Mitglieder Tänze auf (Abb. 184).
Auf den Salomonen endlich sind die Trauergebräuche im allgemeinen den oben geschilderten ähnlich. Auch hier trauern die Weiber, indem sie sich Kopfhaar, Gesicht und Oberkörper mit einer aus Kokosnußöl und Holzkohle bereiteten breiigen Masse einreiben und dumpfe, eintönige Klagelieder, die den Lebensgang des Abgeschiedenen sowie seine Taten verherrlichen, anstimmen. Die Leiche wird darauf auf einen Holzstoß gelegt und dieser angezündet; die Männer werfen Yamswurzeln, Taro, Bananen und andere Früchte, Wohlhabendere auch Hunde und Schweine in die Glut, damit diese Speisen dem Verstorbenen als Wegzehrung für seine lange Reise dienen. Die Weiber sitzen unterdessen, in burnusartige Gewänder aus Bananenblättern gehüllt, um den Scheiterhaufen und setzen ihre klagenden Sterbegesänge fort. Die Überreste des Toten werden aus der Asche von den männlichen Anverwandten sorgfältig gesammelt und in einem Mattenkorb aufbewahrt. Zum Andenken an ihn errichtet man über der Verbrennungsstätte kleine zusammenhängende Häuschen aus Bambus und den trockenen Blättern der Sagopalme, in denen der Korb mit den Knochenresten zeitweilig aufgestellt wird. Wenn Wind und Wetter diese kleinen Ahnenhäuschen zerstört haben,[S. 148] werden die Knochenreste in ein Kanu gelegt, von jungen Männern in die See hinausgefahren und hier versenkt. — Auf Holländisch-Neuguinea werden die Leichen in hausförmige, überdachte Särge gelegt, die jedoch manchmal so schmal sind, daß nur die Knochen darin untergebracht werden können (Abb. 187).
Im Anschluß hieran mögen noch einige Worte über die Begräbnisgebräuche beim Tode von Kindern folgen. Trotz ihrer niederen Kultur scheint vielen Melanesiern der Tod ihrer Kleinen doch nahe zu gehen. Verschiedentlich lesen wir, daß die Eltern die üblichen Totenklagen ihretwegen anstimmen und sich das Gesicht schwärzen, wie beim Tode eines Erwachsenen. Auf Kaiser-Wilhelms-Land trennen sich die Eltern schwer von ihren Lieblingen; sie bemalen sie mit Ocker, wickeln sie in Blätter ein und bewahren sie eine Zeitlang in ihrer Hütte auf. Bei den Papua der Torresstraße soll der Fall vorgekommen sein, daß eine Mutter ihr totes Kind beständig auf ihrem Rücken mit sich herumschleppte (Abb. 188), und ein Papua von Doreh soll sich das Bild seines Söhnchens auf den Rücken haben einbrennen lassen. Bei den Mafulu herrscht die seltsame Sitte, daß eine Frau, die ein Kind verloren hat, sich einen ihrer Finger amputieren läßt; sie unterzieht sich dieser Prozedur jedesmal, wenn sie dasselbe Unglück trifft; manchmal sogar drei- bis viermal hintereinander.
Die Eingeborenen Australiens bieten in ihrem Äußeren ein im großen und ganzen einheitliches Bild dar, das sie deutlich sowohl von den Schwarzen Melanesiens als denen Afrikas unterscheidet, wenngleich zwischen einzelnen Stämmen manche Abweichungen nicht zu verkennen sind, was in erster Linie wohl mit der verschiedenen Lebensweise, im besonderen der Ernährung, sodann aber auch mit der verschiedenen ethnischen Mischung zusammenhängen dürfte. Sie sind eine Rasse von etwas über Mittelgröße; die Männer werden im Durchschnitt etwa hundertundsechzig bis hundertachtundsechzig Zentimeter hoch, jedoch kommen gelegentlich auch große Leute vor. Trotzdem sie im allgemeinen eine leidlich gut entwickelte Muskulatur besitzen, fallen die Australier doch durch ihre große Magerkeit auf, die nicht selten so hochgradig ist, daß man sozusagen die Knochen durch ihre Haut sehen kann. Fettansatz fehlt ihnen zumeist, wohl infolge ungenügender Ernährung. Dessenungeachtet ist ihr Körper auffällig geschmeidig und ziemlich leistungsfähig. Daneben gibt es aber auch Stämme von kräftiger, muskulöser Gestalt, und zwar dort, wo die Lebensbedingungen günstigere sind. Die samtweich sich anfühlende Haut der Australier wird für gewöhnlich als schwarz beschrieben, in Wirklichkeit aber ist ihre Farbe mehr ein Schokoladenbraun; es kommen aber alle möglichen Schattierungen vom dunkleren Schwarzbraun bis zum Braun des Milchkaffees vor. Vielfach wird eine dunklere Farbe durch Einreiben mit Ocker vorgetäuscht. Der Haarwuchs ist sehr üppig, selbst die Arme sind zumeist mit kurzen, gekräuselten Haaren dicht bedeckt, oft genug auch die ganze Körperoberfläche. Das Kopfhaar ist gewellt oder lockig, und fällt für gewöhnlich bis auf die Schultern herab. Seine Farbe[S. 150] ist ein glänzendes Schwarz mit einem Stich ins Braune oder Rotbraune; etwa vorkommende rötliche Haare rühren vom Färben her. Der Bart pflegt gut entwickelt zu sein. Der Schädel ist von langer, ziemlich hoher Form. Das Gesicht ist niedrig und breit, die Backenknochen stehen etwas vor, die niedrige, schmale Stirn dagegen tritt sehr zurück. Bemerkenswert sind die kräftig entwickelten Augenbrauenwülste, die große, ausdrucksvolle, tiefliegende Augen überschatten. Die Nase ist kurz und dick, besitzt einen gerade verlaufenden Rücken und dicke große Flügel; die Nasenwurzel ist durch eine scharfe Einsattlung von der Stirn abgesetzt. Diese eigenartige Gesichtsbildung verleiht den Australiern etwas ungemein Abstoßendes (Abb. 190 und 191).
Die geistigen und sittlichen Eigenschaften der Australier werden vielfach unterschätzt. Sie sollen nach dem Zeugnisse guter Kenner über leichte Auffassungsgabe, scharfes Denken, gutes Vermögen, die Dinge geistig zu verarbeiten, und ein vorzügliches Gedächtnis verfügen und sich durch persönlichen Mut, Standhaftigkeit, Entschlossenheit, Ausdauer, Selbstbeherrschung, Stolz, Zuneigung zu Familienmitgliedern und ein gewisses Gefühl der Stammeszugehörigkeit auszeichnen. Daneben weisen sie aber auch eine Reihe schlechter Eigenschaften auf, wie Habsucht, Gefühllosigkeit, Rachsucht, Undankbarkeit, Mißtrauen, Lügenhaftigkeit, Trägheit und große Unreinlichkeit. Seit der Entdeckung Australiens durch die Europäer und der Besitzergreifung der brauchbaren Landstrecken durch sie ist die eingeborene Bevölkerung in stetem Rückgange begriffen, zumal da die Kolonisatoren rücksichtslos gegen sie vorgegangen sind und epidemische Krankheiten verheerend auf sie eingewirkt haben.
Die Australier leben zerstreut über das Land in kleinen Gruppen zusammen, in Horden von höchstens hundert Mitgliedern, die das Land durchstreifen und deren mehrere sich gewöhnlich zu einem Stamme, allerdings oft genug in ganz losem Zusammenhange aneinandergeschlossen haben. Jede Horde besitzt eine ziemliche Selbständigkeit und erledigt ihre eigenen Angelegenheiten; die Ordnung innerhalb der Gruppe liegt in den Händen älterer Männer, die sich durch große Klugheit, Gewandtheit, Mut und gewisse Zauberkräfte vor den anderen hervorgetan haben und darauf achten, daß die überkommenen Gebräuche streng weiter bewahrt und Übertreter bestraft werden. — Das gemeinsame Band, das die Horden eines Stammes umschlingt, pflegen in erster Linie die gemeinsame Sprache oder Mundart, ferner gemeinsame Gewohnheiten und Anschauungen sowie gegenseitige Heirat und Tauschverkehr zu sein. Der Grund dafür, daß es in Australien zu keiner Bildung größerer Verbände unter den Eingeborenen gekommen ist,[S. 152] liegt darin, daß die trockene, dürre Natur des Landes größere Menschenansammlungen nicht zu ernähren imstande ist. — In ihrer Nahrung sind die Australier nicht wählerisch; sie genießen alles, was sie auf ihren Streifzügen auf dem Lande und zu Wasser erbeuten, hauptsächlich Beuteltiere, wie zum Beispiel das Känguruh und Opossum, ferner Emue, Schlangen, Fische und so weiter, und was ihre Weiber mit Hand und Grabstock an Wurzeln, Früchten, Pilzen, Flechten und kleinem Getier wie Würmern, Larven, Insekten, Ameisen, Heuschrecken, Raupen aus dem Boden ausgraben oder auflesen. Mit großem Geschick verstehen sie sich darauf, der Fährte des Wildes nachzugehen, sich an dasselbe wie ein Raubtier heranzupirschen und aus unmittelbarer Nähe mittels Wurfspießes zu erlegen. Wenn der Wind ungünstig steht, beschmieren sich gewisse Stämme Südaustraliens mit Schlamm, um der Witterung vorzubeugen, oder, wenn es an Deckung fehlt, bedecken sie ihren Körper mit stark beblätterten Zweigen; bei der Jagd auf Wasservögel hüllen sie ihr Haupt in Schilf. Die Fische werden im seichten Wasser entweder mit der Hand direkt ergriffen oder mittels eines flachen Gegenstandes aufs Trockene geschleudert; in tieferen Gewässern benutzt man Schlepp- oder Stellnetze, auch Hürden und Dämme, sowie Fischspeere. — Kleinere Tiere, sowie Wurzeln und Knollen werden roh verzehrt, alles übrige in glühender Asche, auf heißen Steinen oder, wie wir es in Polynesien bereits kennen lernten, in erhitzten Erdgruben geröstet, beziehungsweise gargekocht. Das dazu erforderliche Feuer gewinnt man entweder durch Bohren, Quirlen oder Reiben. Menschenfresserei kam früher häufig vor, war aber wohl kaum allgemein verbreitet. Sie entsprang dem Bestreben, durch Verzehren von Herz und Nieren seines Feindes sich dessen gute Eigenschaften, in besonderem Mut anzueignen, sowie der Rachsucht, Leckerei und in Zeiten der Not auch dem Mangel an Fleisch. Im Innern des australischen Erdteils scheint man dieser Unsitte noch zu frönen; hier bestand auch früher Endokannibalismus, das heißt das Leichenverzehren von Angehörigen.
Die Wohnungen der Australier sind, entsprechend ihrer umherschweifenden Lebensweise, die denkbar primitivsten. Zumeist sind sie nicht über einfache Windschirme oder Wetterdächer aus Rindenstücken oder Zweigen hinausgekommen (Abb. 192). In Nord- und Zentralaustralien sind dagegen wirkliche Hütten eine keineswegs seltene Erscheinung.
Obwohl das Klima, besonders im Süden, stellenweise recht rauh ist und häufig empfindliche Wetterstürze stattfinden, ist die Bekleidung des Australiers eine nur geringe. Man kann bei ihm mehr von einem Schmuck als von einer Bedeckung sprechen. Die Männer tragen meistens einen Rinden- oder Bastgürtel, ein winziges Band aus gedrehten Menschenhaaren oder ein Stückchen Perlschnur; in den Gegenden, wo das Klima einem schroffen Wechsel unterworfen ist, werden zum Schutze gegen Kälte und Regen kleine Mäntel aus Känguruh- oder Opossumfell oder Matten über den Rücken gehängt. In der gleichen Weise wie die Männer bekleiden sich die Frauen; charakteristisch für sie ist stellenweise ein Mantelsack aus Känguruhfell, in dem sie die Säugekinder mit sich schleppen. In manchen Gegenden aber gehen beide Geschlechter, zumal auf ihren Wanderungen, am liebsten splitternackt. Dagegen legt man allgemein auf reichliche Körperbedeckung bei den Festen und Tänzen Wert.
Der eigentliche Schmuck besteht aus Schnüren aus Menschenhaar oder Pelzstückchen um den Hals oder Oberarm. Sehr beliebt ist in vielen Gegenden ein Putz aus den Schwänzen kleiner Tiere; nicht minder verbreitet sind Perlmuscheln, Tierzähne, Krebsschalen, Rohrstengel, geflochtene Grasreifen und ähnliches mehr. Besonders das männliche Geschlecht bevorzugt den[S. 154] Schmuck. Zum Verzieren des Körpers zählen auch die Hautbemalung in den Farben Schwarz, Weiß, Rot, auf die wir gelegentlich der Schilderung der verschiedenen Festlichkeiten noch zurückkommen, das Färben der Haarkrone mit Erde und das Erzeugen von Narbenwülsten auf Brust und Rücken; das letztere ist eine bei beiden Geschlechtern weit verbreitete Sitte (Abb. 191 und 193). Diese Narben, die aus Einritzungen der Haut mittels Steinmesser oder einfacher Steinsplitter hervorgehen, sind meistens quer verlaufende, reliefartig hervortretende Stränge, die nicht nur zur Verschönerung dienen, sondern auch Alters- und Rangabzeichen darstellen, sowie den Schmerz über den Tod eines Angehörigen andeuten sollen. Viele Stämme Australiens betreiben noch andere körperliche Verunstaltungen, die ähnliche Bedeutungen haben, wie das Durchbohren der Nasenscheidewand und Ausschlagen eines Vorderzahns (Abb. 204). Eine unter den australischen Stämmen sehr verbreitete, ganz sonderbare Unsitte ist das Aufschlitzen der männlichen Harnröhre (von den Zentralaustraliern mika genannt), deren Zweck uns unbekannt ist. Früher glaubte man in diesem operativen Eingriff eine antikonzeptionelle Präventivmaßregel erblicken zu dürfen, indessen sprechen verschiedene Gründe (relative Unwirksamkeit, Unwissenheit der Australier über die Bedeutung dieser Verstümmlung, Unkenntnis des Vorganges der Konzeption) gegen eine solche Auslegung. Neuerdings glaubt man, dieser seltsamen Prozedur homosexuelle Bedeutung beilegen zu sollen. Der Geschlechtstrieb der Australier ist ein ziemlich reger, zumal die Kinder in ganz frühen Jahren von den Eltern in die Geheimnisse des geschlechtlichen Lebens eingeweiht werden. Die Mädchen verlieren ihre Reinheit schon, sobald sich der Fortpflanzungstrieb einstellt, was bereits um das achte bis zwölfte Lebensjahr der Fall ist; sie geben sich dann etwas älteren Knaben preis. Das weibliche Geschlecht soll besonders wollüstig veranlagt sein. Trotzdem gehen die Australier nicht wahllos Verbindungen miteinander ein, sondern ihr Geschlechtstrieb scheint im großen und ganzen auf eine bestimmte Person gerichtet zu sein. Die strengen Vorschriften bei Eingehen der Ehe regeln außerdem den geschlechtlichen Verkehr. Nur gelegentlich der großen Korroborietänze, die vielfach unter obszönen Bewegungen getanzt werden, herrscht bei manchen Stämmen allgemeine geschlechtliche Vermischung.
Die Tatsache, daß verschiedene Australierstämme nicht wissen, daß der Mensch aus dem Kohabitationsakte hervorgeht, sondern über seine Entstehung noch ganz primitive Auffassungen haben, gibt uns Anlaß, hierauf etwas näher einzugehen. Entsprechend den ursprünglichen Ansichten der Naturvölker, daß die Geister der Verstorbenen unter anderem in den Wäldern umherstreifen, in den Bäumen und Pflanzen Wohnung nehmen und sich wieder zu Menschen umwandeln können, glauben die Australier, daß ein Pflanzengeist bei der Entstehung eines neuen Menschen in ein Weib[S. 155] fährt und sich in ihm dazu ausbildet, daß es sich also bei der Geburt um eine Inkarnation, Wiederfleischwerdung eines Ahnen handelt. Sie halten daher auch eine Beteiligung des Vaters, das heißt den Geschlechtsverkehr für belanglos, höchstens meinen sie, daß dadurch die Geschlechtswege passierbar für den Austritt des Kindes gemacht werden. Die Arunta bilden sich zum Beispiel ein, daß in gewissen Steinen Kindergeister stecken, die sowohl durch Zauber wie durch eigene Macht in den Körper eines Weibes übergehen, und zwar durch den Nabel in der Größe eines kleinen Sandkornes, das aber bereits vollkommen gestaltete menschliche Wesen, Knaben oder Mädchen, vorstelle und Leben und Seele besitze. Auf einem solchen Steine befindet sich ein kleines rundes Loch, durch das die Geister vermutlich hinausgelangen (Abb. 194). Über ihm ist ein schwarzer Strich mit Holzkohle gezogen, und jedermann, der diese Stätte zufällig besucht, erneuert ihn. Dieser Strich trägt den gleichen Namen, wie der Streifen, den dieser Stamm über die Augen eines neugeborenen Kindes zur Abwendung von Krankheiten zeichnet. Wenn Frauen diesen Stein aufsuchen, so tun sie dies, um schwanger zu werden. Ein Mann, der die Kraft und den Willen dazu besitzt, kann die Frauen aus seiner Umgebung dazu bringen, daß sie Kinder bekommen, wenn sie zu diesem Steine gehen und einen Zauberspruch über ihn sprechen. Anderseits, wenn eine junge Frau an diesem Steine vorbei muß, aber keinen Nachwuchs mehr haben möchte, dann sucht sie den Geist des Steines über ihr Alter zu täuschen, indem sie sich als ein altes Weib gibt, ihr Gesicht in Falten zieht, sich vornüber bückt und an einem Stock geht, auch mit bebender Stimme, wie sie alte Frauen haben, ausruft: „Komm nicht zu mir, ich bin eine alte Frau“. Auf diese Weise hofft sie unbehelligt von den Kindergeistern gelassen zu werden. Interessant ist der Glaube, daß irrtümlicherweise auch in einen Mann ein solches Geisterkind hineingehen könne; in diesem Falle stirbt er, obgleich ein geschickter Medizin[S. 156]mann vielleicht imstande ist, ihn zu retten.
Wie bereits erwähnt, ist es der Ahnengeist, der die Kinderkeime (ratapa) außerhalb des Mutterleibes entstehen und bei passender Gelegenheit in sie hineintreten läßt. Als Wohnsitz solcher Kinderkeime gelten Bäume, Felsen, Steine, Wassertümpel und die Tschuringa oder das Schwirrholz. Letzteres ist ein flaches längliches Stück Holz oder ein Stein, die an einem Ende durchbohrt und mit einer Schnur versehen sind; wird das Tschuringa rasch und kräftig gedreht, dann gibt es einen sausenden Ton (wie unsere Waldteufel) von sich. Daß diesem Gerät, das übrigens bei den Zeremonien der Australier eine große Rolle spielt, wie wir noch sehen werden, der Wohnsitz eines ratapa zugeschrieben wird, kommt daher, daß nach dem Glauben der Australier die Bäume, aus denen es hergestellt wird, aus dem Körper eines von zwei Hunden zerrissenen geisterhaften Wesens, namens Murtamurta, gewachsen sind. Eine nähere Berührung mit den angeführten Gegenständen hat zur Folge, daß eine Frau guter Hoffnung wird. Badet eine Frau zum Beispiel am Proserpine River (Queensland), so gehen die Kinderkeime der Pandanuswurzel in sie über; hat sie bei einem anderen Stamm nach dem Genuß von Lalitjafrüchten Erbrechen, dann ist dies ein Anzeichen, daß der Lalitjakindeskeim durch ihre Hüften in sie eindrang, oder schlägt sie einen Gummibaum mit einem Beil, dann wird dadurch gleichfalls ein Kinderkeim frei. Diese Kinderkeime gehen nun keineswegs immer sogleich in Menschengestalt in den Leib des Weibes über, sondern auch in der eines Tieres, zum Beispiel eines Regenvogels (Mädchen) oder einer Schlange (Knaben) und anderes mehr, verwandeln sich aber im Mutterleib wieder in einen Menschen. Auch die Berührung einer Frau mit einem Tschuringaholz genügt, um sie in gute Hoffnung kommen zu lassen.
Während der Schwangerschaft ist die Australierin, wie wir es schon von der Melanesierin her kennen, bestimmten Speiseverboten unterworfen, jedoch scheinen diese nicht so umfangreich wie dort zu sein. Sie darf gewisse Fleischspeisen, hauptsächlich vom Ameisenigel, Känguruh, Opossum, Emu und Schlangen, bei anderen Stämmen überhaupt kein Fleisch genießen. Als Grund für diese Einschränkungen wird angegeben, daß entweder die Mutter eine schwere Krankheit davon bekomme, oder das Kind am Mutterleibe anwachse oder sterbe und so weiter. Meistens ist auch der Mann an diese Vorschriften gebunden. Bei den Urubunna geht er während dieser[S. 158] Zeit auch nicht auf die Jagd, denn der Geist des Tieres, von dessen Fleisch er aß, würde ihn begleiten, das Wild warnen und das Wurfgeschoß ablenken.
Über die Geburt der Australierin habe ich nichts Näheres in Erfahrung bringen können. Die Abnabelung wird mittels Muschel, Känguruhknochen, Stein oder Obsidianmesser vorgenommen und gibt verschiedentlich Anlaß zu bestimmten Zeremonien. Bei den Narrinjeri bewahrt der Vater die Nabelschnur sorgfältig in einem Bündel Federn auf. Übergibt er dieses Bündel dem Vater eines Kindes aus einem anderen Stamme, dann werden beide Kinder Ngia Ngiampe, das heißt sie dürfen, solange die Nabelschnur nicht wieder zurückgegeben ist, miteinander nicht nur nicht sprechen, sondern sich auch nicht berühren oder überhaupt nahekommen. Nach der Rückgabe des Büschels erlischt diese Vereinbarung. Über ihren Zweck sich näher auszulassen, würde zu weit führen. — Wirft bei den Westaustraliern die Mutter die Nabelschnur ins Wasser, dann wird der Sohn später ein guter Schwimmer. Die Kaitisch (Zentralaustralien) wickeln den Nabelstrang in Pelzstreifen und binden diese dem Kinde um den Hals. Die Warrunga, die ähnlich damit verfahren, überreichen sie, falls es sich um ein Mädchen handelt, das der Oheim mütterlicherseits verheiraten muß, später diesem, der sie eine Zeitlang in seinem Armband trägt und dem Vater des Kindes Waffen schenkt; er darf aber das Kind selbst nicht eher sehen, als bis es laufen kann. Sobald dieser Zeitpunkt gekommen ist, erhält er vom Vater Pelzstreifen übersandt, kommt ins Lager, sieht sich das Kind an und bringt dem Vater Geschenke mit. Den Nabelschnurrest legt er in einen hohlen Baum, dessen Ort er niemanden verrät. Bei den Kaitisch müssen der Vater und die Großeltern mütterlicherseits während der Entbindung im Busch sich aufhalten; bei der Rückkehr bringt der Großvater einen Strauß mit und berührt mit ihm das Haupt der Wöchnerin, die darauf ihr Kind in einem hölzernen Gefäß, das als Wiege dient, in die Höhe hebt und es der Großmutter reicht. Diese reibt das Kind an ihrem Magen herum und wirft es mehrere Male in die Höhe, dann umarmt sie es von rückwärts. Der Vater wärmt bei seiner Rückkehr einen Speer über dem Feuer und läßt ihn über dem Neugeborenen hin und her gleiten. Darauf zeichnet er dem Kinde einen schwarzen Kreis um die Augen und den Nabel und gibt es der Mutter zurück. — Die Namengebung findet bei einigen Stämmen sogleich nach der Geburt, bei anderen erst nach Wochen statt. Die[S. 160] Bewohner des unteren Murray halten es für unheilbringend, dem Kinde einen Namen zu geben, ehe es gehen kann. In noch anderen Gegenden erfolgt eine zweite Namengebung, zum Beispiel im Knabenalter. In Westaustralien tauscht man seinen Namen als Zeichen der Freundschaft aus. Bei den Muralug (Kap York) wird in Gegenwart aller Verwandten bei der Namengebung eine Festlichkeit veranstaltet, der Vater aber darf dabei nicht anwesend sein. Die Mutter hält das Kind über einen Karamubusch und fleht den Segen der Götter auf das Neugeborene herab.
Zwillinge werden in Zentralaustralien sofort getötet, verkrüppelte Kinder entweder ebenfalls aus dem Wege geräumt oder aus Aberglauben am Leben gelassen und verehrt. Überhaupt ist in allen Teilen Australiens der Kindsmord sehr verbreitet, die englische Regierung vermag hiergegen wenig auszurichten. Oberländer sah am Murray ein Weib, das zehn bis elf ihrer Kinder getötet hatte. Der Grund für diese Grausamkeit liegt darin, daß man von einer größeren Anzahl Kinder, meistens bei mehr als zwei, nicht erbaut ist, weil sie bei der Erziehung unter den obwaltenden recht ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen Schwierigkeiten bereiten und auf den langen Märschen lästig fallen. Die getöteten Kinder wurden früher allgemein gegessen, und zwar beteiligten sich an dem Mahl nur die Frauen.
Auch die Australierin säugt ihre Kinder lange Zeit, in der Regel vier bis fünf Jahre lang. Solvado beobachtete nicht selten, daß Knaben ihr Waffenspiel unterbrachen und zur Mutter eilten, die gerade einem jüngeren Kinde die Brust reichte und sie auch damit versorgte.
Bis zum Alter von etwa sieben Jahren wachsen die Knaben mit den Mädchen zusammen[S. 162] unter der Obhut der Mutter auf, dann werden sie getrennt; sie erhalten fortan Unterweisung in mancherlei Künsten. So eignen sie sich die Kenntnisse, die sie als Jäger brauchen, an, indem sie im Lande umherstreifen und die Beschaffenheit und den Aufenthaltsort von Tieren und Pflanzen, die als Nahrung dienen, kennen lernen; dadurch erwerben sie sich gleichzeitig eine staunenswerte Beobachtungsgabe. Sie werden ferner in dem Gebrauch der Waffen unterwiesen und erfahren das Nötigste von den Gebräuchen des Stammes. Alles dieses wird den Knaben gleichsam spielend beigebracht, nicht durch systematische Belehrung. Bei einigen Stämmen ist es Sitte, die Knaben, sobald sie das richtige Alter erreicht haben, aus dem Heimatdorfe fortzuschicken, um einige Monate unter den Leuten einer anderen Gruppe desselben Stammes oder auch von fremden Stämmen zuzubringen und hier ebenfalls Erfahrungen zu sammeln. Während dieses Aufenthaltes kümmern sich die Männer der Gruppe, bei welcher der Knabe untergebracht ist, um seine Erziehung; er lernt dadurch andere Orte und Gebräuche kennen, gewinnt neue Freunde und zieht manchen Vorteil für sein späteres Leben aus solcher „Pension“. Nach Ablauf dieser Zeit kehrt er in die Heimat zurück, wobei ihn ein paar Männer begleiten, die hier einige Tage lang bewirtet werden, und wird dann als Mann aufgenommen; dieses Ereignis wird für gewöhnlich durch irgend eine Zeremonie zum Ausdruck gebracht. Die Stammesgruppe, die sich in der geschilderten Weise für den Knaben verpflichtete, pflegt meistens einen ihrer eigenen Knaben zur Erziehung der Gruppe zu übergeben, aus welcher dieser Knabe stammt; es besteht also gleichsam ein Austausch der Kinder. Dieser beschränkt sich aber nicht nur auf bestimmte Gruppen, sondern der eine Knabe geht in diese, der andere in jene Gruppe zur Ausbildung. Es bahnt sich dadurch ein engeres Verhältnis zwischen den einzelnen Personen wie zwischen den verschiedenen Gruppen eines und auch eines fremden Stammes an.
Schon beim Heranwachsen zum Jüngling haben die Knaben sich bestimmten Speiseverboten zu unterziehen. Die verschiedenen Stämme besitzen ihre eigenen Bestimmungen darüber, aber es gelten immer die beliebtesten Speisen als verboten, zum Beispiel der Emu, der für die Australier eine große Delikatesse bedeutet, oder in den Küstengegenden der Dugong oder die Schildkröte; sonstige Gerichte, die anderwärts auf dieser Verbotstafel stehen, sind das Stachelschwein, der Wombat, Aale, Emueier und Honig. Je mehr sich der heranwachsende Jüngling[S. 164] dem Mannesalter nähert, um so mehr werden für ihn diese Speiseverbote eingeschränkt, ihm die beliebten Speisen also wieder freigegeben. Zu einem bestimmten Zeitpunkte entscheiden ein paar Männer darüber, ob er jetzt von einem bestimmten Verbot zu befreien ist, etwa von dem Verbot, Fleisch vom Beuteldachs (Bandikut) zu essen. Es wird dafür ein solches Tier eingefangen und gekocht; einer der Männer reibt dem Jünglinge das Fett über den Mund und gibt ihm von dem Fleisch zu essen; fortan ist es ihm gestattet von dieser Nahrung zu sich zu nehmen. In ähnlicher Weise werden die verschiedenen Speiseverbote nacheinander aufgehoben. Manche Stämme dehnen diesen Widerruf auf eine sehr lange Spanne Zeit aus; so kommt es schließlich soweit, daß ein Mann bereits alt und grau geworden ist, ehe er alle Speisen essen darf. Auch die Frauen müssen sich ähnlichen Vorschriften unterziehen und sich bestimmter Speisen bis zu einem gewissen Alter enthalten. Bei manchen Stämmen scheint das Erzeugen von Schmucknarben mit der Aufhebung dieser Verbote in Zusammenhang zu stehen; bei jedem Widerruf werden eine oder mehrere Narben beigebracht.
Wie unter den Melanesiern, so sind auch unter den Eingeborenen Nordqueenslands Fadenspiele sehr verbreitet. Es handelt sich hierbei darum, eine Schnur zwischen den Fingern zu allerlei Figuren — beliebt sind unter anderem Fische, Schildkröte, fliegender Fuchs, Kanu, Kokospalme — zu verstricken (Abb. 197).
Die Zeremonien, mit denen die Jünglinge in die geheimen Sitten ihres Stammes eingeführt werden, stimmen in ihren großen Zügen in fast ganz Ostaustralien (Viktoria, Neusüdwales und einem Teil von Queensland) miteinander überein, dagegen wechseln sie in ihren Einzelheiten sowie in ihrem Namen von Stamm zu Stamm. Der Einfachheit halber wollen wir sie kurz als Borazeremonien, dem bei einigen Stämmen von Neusüdwales üblichen und in die Wissenschaft eingeführten Namen, bezeichnen. Erst wenn ein Mann mehrere Boraversammlungen mitgemacht hat, gilt er für ein völlig eingeweihtes Mitglied des Stammes, indessen ist für ihn die erste Sitzung, bei der er als Knabe zugegen war, die bei weitem wichtigste.
Besitzt eine Ortsgruppe einen oder zwei Knaben, die nach Ansicht der älteren Männer das erforderliche Alter für die erste Bora erreicht haben, so wird darüber in einer Sitzung ein Beschluß gefaßt und die Vorbereitungen für die erste Sitzung getroffen, die vielleicht erst nach[S. 166] Monaten zustande kommt. Es werden nun Boten ausgeschickt, um die benachbarten Gruppen davon zu benachrichtigen. Auf diesen Gängen führen die Boten gewöhnlich diesen oder jenen Gegenstand, je nach der bei den einzelnen Stämmen herrschenden Sitte, mit sich, bald einen Botenstock, ein kleines Stück Holz, das Kerben aufweist, bald ein Schwirrholz, oder einen Männergürtel, oder einen Strauß Federn. Unter Vorzeigung dieses Kennzeichens macht der Bote vor den alten Männern des Lagers Mitteilung über Zeit und Ort der nächsten Bora, ladet sie ein und fordert sie gleichzeitig auf, diejenigen Knaben mitzubringen, die ihrem Alter nach eingeführt werden können. Ein solcher Bote gilt stets für heilig und unverletzlich, selbst wenn er zu feindlich gesinnten Eingeborenen kommen sollte. Kurz vor dem festgesetzten Tage begibt sich die das Fest gebende Gruppe aufs Feld in die Nähe der Stelle, wo die Bora abgehalten werden soll. Die eingeweihten Männer beginnen dann den Erdboden für die Feier vorzubereiten. Der Plan hierzu fällt an den verschiedenen Orten verschieden aus, allgemein üblich ist jedoch eine Dreiteilung des Boragrundes. Man unterscheidet einen großen, kreisförmigen, sorgfältig gesäuberten und geglätteten Platz, der von einem niedrigen Erddamm umgeben ist, sodann einen oft vierhundert bis vierhundertfünfzig Meter langen Pfad, der von dem großen Kreis in den Busch führt und in einen kleinen gelichteten Kreis endet, der ebenfalls von einem niedrigen Damm umzäunt wird. Frauen dürfen nur den größeren Kreis aufsuchen, aber keine davon, überhaupt kein Uneingeweihter darf den Pfad erblicken; auf Übertretung steht Todesstrafe. Auf jeder Seite des Pfades werden nämlich verschiedene Zeichnungen auf dem Erdboden gemacht, entweder in Gestalt erhöhter Erdhügel oder von Umrißzeichnungen (Abb. 195), die mit einem Beil hergestellt werden und meistens verschiedene Tierarten, zum Beispiel Känguruhe, Emue, Schlangen und so weiter, manchmal auch geometrische Muster (Abb. 199) darstellen. Die Bäume zu beiden Seiten des Pfades werden mit Schnitzereien verziert (Abb. 196), entweder gleichfalls mit geometrischen Mustern oder mit Tieren. An einer Stelle des Pfades[S. 168] oder des kleineren Kreises findet sich oft ein Erdhügel aufgeworfen in Form einer menschlichen Gestalt, die ein mythisches Wesen darstellt. Dieses, von einigen Stämmen Baiame genannt, hat nach dem Aberglauben der Eingeborenen die Borazeremonien eingeführt und findet sich bei jeder Veranstaltung wieder ein, um zuzusehen, ob die Feier auch nach den alten Vorschriften durchgeführt wird.
Rückt der Tag für die Zeremonie heran, so treffen die eingeladenen Gäste aus der Umgebung allmählich ein. Sobald sich eine Gruppe dem Borafeld nähert, sendet sie einen Boten voraus, der ihre Ankunft ankündigt. Man empfängt die Gäste mit großer Feierlichkeit, die teilweise in einem Tanze im großen Kreise besteht. Den Eingeweihten unter ihnen wird dann der Pfad gezeigt, ebenso der kleine Kreis und die Zeichnungen. Bei diesen Gelegenheiten, wo Männer aus verschiedenen Gegenden zusammenströmen, kommt es zum Austrag alter Kränkungen durch einen Kampf; aber wenn dann die Uneinigkeiten ausgeglichen sind, ist der Friede wieder hergestellt, und die Zeremonie geht vor sich, sobald der letzte Trupp der Eingeladenen eingetroffen ist.
Es ist unmöglich, in Kürze alle Einzelheiten der Zeremonie (Abb. 195, 198 bis 200) zu beschreiben, die überdies bei den verschiedenen Stämmen anders ausfallen. Am ersten Abschnitt, der am großen Borakreis sich abspielt, beteiligen sich auch die alten Frauen; von den übrigen Vorgängen ist das weibliche Geschlecht ausgeschlossen. Die Knaben werden zu dem kleineren Ring geführt, die Zeichnungen an den Bäumen und die Figuren auf dem Erdboden ihnen von älteren Männern, die während der ganzen Zeit ihre Beschützer sind, gezeigt und erklärt (Abb. 199). Die Männer führen Zauberspiele und Pantomimen auf, welche die Knaben sich mitansehen müssen und von jenen erklärt werden. Bei dieser Gelegenheit erblicken die Knaben auch zum erstenmal ein Tschuringa oder Schwirrholz (Abb. 203), jenes Stück Holz von spitz-ovaler Form, das mit einer an seinem Ende befestigten Schnur schnell in Bewegung gesetzt wird und einen summenden Ton hervorbringt. Frauen bekommen dieses Gerät niemals zu Gesicht, die Knaben werden auch davor gewarnt, einer Frau gegenüber jemals von ihm zu sprechen, geschweige denn es einer solchen zu zeigen. Sollte ein weibliches Wesen aus Unachtsamkeit etwa ein Schwirrholz erblicken, so wird es getötet. Es wird den Frauen vorgeredet, daß der Ton, den das Schwirrholz verursacht, die Stimme[S. 170] eines übernatürlichen Wesens sei. Solange die Zeremonie der Bora vor sich geht, hört man ihn. Die Zeremonien bestehen zum großen Teil in Pantomimen, bei denen die Darsteller die Tätigkeit von Tieren nachahmen. Alle diese Vorgänge, sowie die Dinge, die den Novizen in dieser Zeit gezeigt werden, sind heilig und dürfen von den Frauen nicht gesehen werden. — Die Knaben haben meistens auch noch einen blutigen Eingriff an ihrem Gliede zu erdulden; es wird an ihnen die Beschneidung, das heißt die Abtrennung der Vorhaut vollzogen. Bei einigen Stämmen erfolgt nach einigen Wochen noch eine zweite Operation, das Bloßlegen (Aufschlitzen) der Harnröhre, die wir bereits oben[S. 171] (S. 154) erwähnten. Bei den Arunta wird mit dem bei diesen Eingriffen abfließenden Blute ein kleines Schwirrholz bestrichen, damit es später als Liebeszauber diene. Der Jüngling, der ein Mädchen zur Heirat geneigt machen will, läßt es dann schwirren. Bei anderen Stämmen gehört zu den Einweihungsfeierlichkeiten auch das Ausschlagen eines Vorderzahnes (Abb. 204), das Hochwerfen der Knaben in die Luft (Abb. 189), das Anbringen von Narben und eine Art von Feuerprobe. Während aller dieser Vorgänge werden die Knaben scharf beobachtet, ob sie sich dabei richtig benehmen; befolgt einer von ihnen nicht die Befehle seines Beschützers, so wird er umgebracht. Solange die Borazeremonie dauert, sind die Knaben und ihre Begleiter von den Frauen und Mädchen getrennt. Die Männer verbringen einen Teil des Tages mit der Beschaffung der Nahrung durch Jagd, die übrige Zeit gilt den Vorführungen. Am Schluß werden die Knaben den Frauen zugeführt, und öfters wird noch ein Fest veranstaltet, an dem sich auch diese beteiligen. Die Knaben aber leben noch eine Zeitlang, manchmal vier Monate, mit ihren Beschützern im Busch und werden von ihnen über alle Gesetze und Gebräuche des Stammes, sowie über die Notwendigkeit, diese zu befolgen und den älteren Männern zu gehorchen, unterwiesen. Während dieser Probezeit dürfen die Knaben keine Frauen sehen, noch von ihnen gesehen werden. Bei einigen Stämmen dauert dies so lange, bis sich für die Knaben Gelegenheit bietet der nächsten Bora beizuwohnen. Zur vollständigen Mannbarwerdung müssen die Jünglinge mehrere Boraversammlungen besuchen, bei deren jeder sie immer etwas Neues sehen, das ihnen vordem noch vorenthalten wurde.
Die Feuerzeremonie oder Ingwurra (Abb. 210), um auf sie noch einmal etwas ausführlicher zurückzukommen, ist das letzte Stadium der Einweihungsfeierlichkeiten bei den Arunta und führt die Bevölkerung von weit und breit auf Einladung zusammen. Eigentlich ist sie eine Aufeinanderfolge verschiedener Akte. Die Feierlichkeiten werden wochenlang mit den üblichen Korrobories eingeleitet, an denen sich auch die Frauen beteiligen. Ein Korroborie, eine Art dramatischer Unterhaltung, ein pantomimischer Tanz (Abb. 202,[S. 172] 207, 209 und farbige Kunstbeilage), den ein Gesang begleitet, besteht gewöhnlich aus einem Zyklus von Vorführungen, von denen eine jede einen Abend ausfüllt, so daß das Ganze mehrere Abende hintereinander in Anspruch nimmt. Den Korrobories folgt als zweiter Akt die Ingwurrazeremonie. Jetzt trennen sich die Frauen von den Männern und bleiben auf dem Felde, während letztere mit Ausnahme einiger Tagesstunden, die sie der Jagd widmen, auf dem Festplatz leben und diese Zeit auf die Vorbereitung und Aufführung heiliger Zeremonien verwenden. Da wir weiter unten auf diese etwas ausführlicher zurückkommen, wollen wir hier nur erwähnen, daß sie die heiligen Mythen des Stammes versinnbildlichen und für die jungen Leute ein Mittel abgeben sollen, sie in den Glaubensauffassungen, die damit in Zusammenhang stehen, zu unterweisen. Diese Vorbereitungen erfordern eine geraume Zeit, obwohl jede Aufführung eigentlich nur wenige Minuten dauert. Wenn damit Monate vergangen sind, beginnen nun die wirklichen Zeremonien, die sich auf etwa zwei Wochen erstrecken. Täglich werden die jungen Leute, die aufgenommen werden sollen, auf die Jagd gesandt, deren Beute sie aber nicht für sich behalten dürfen, sondern an die älteren Männer abliefern müssen. Bevor sie des Abends zurückkehren, besorgen sich die Frauen Feuer, trockenes Gras und Reisig. Die Jünglinge versehen sich bei ihrer Ankunft aus dem Busch mit einer Anzahl beblätterter Zweige, stellen sich in einem dichten Viereck zusammen, laufen den sie erwartenden Frauen, die das Gras und das Holz angezündet haben und es auf die Eindringlinge zu werfen sich bemühen, entgegen, und suchen sich dagegen, so gut sie können, mit ihren Zweigen zu schützen. Nach einiger Zeit kehren sie auf den Festplatz zurück, bringen hier ihre Zweige unter[S. 173] und legen sich nieder; sie müssen so stundenlang ohne etwas zu sprechen verharren (Abb. 206). Nachdem sich dieser Vorgang mehrere Tage hindurch wiederholt hat und die heiligen Zeremonien inzwischen Tag und Nacht ihren Fortgang genommen haben, werden die Knaben auf zwei Tage in den Busch geschickt, um hier eine eingreifendere Feuerprobe durchzumachen. Die älteren Männer, denen die Novizen anvertraut sind, zünden aus Kloben und Ästen ein großes Feuer von etwa zwei bis drei Meter im Durchmesser an, bedecken die Glut, sobald das Feuer heruntergebrannt ist, mit Zweigen und fordern die Jünglinge auf, sich auf die Äste zu legen und hier vier bis fünf Minuten auszuhalten (Abb. 210). Trotzdem die auf die glühende Asche gelegten Sträucher die direkte Berührung mit ihr verhindern, so daß die jungen Leute sich nicht verbrennen können, erfordern die große Hitze und der Rauch doch einen großen Aufwand an Energie, um diese Probe durchzuführen. Sodann kehren die Jünglinge nach dem Lagerplatz zurück. Hier wird der Abend mit allerlei Neckereien zugebracht; die Frauen in dem Lager und die Männer auf dem Festplatze rufen einander Scherzworte zu und ziehen einander auf. Bei solcher Gelegenheit darf ein Mann auch seiner Schwiegermutter zurufen, mit der er sonst jeglichen Verkehr meiden muß. In fast ganz Australien nämlich bestehen zwischen beiden Parteien merkwürdige Sitten. Sieht ein Mann seine Schwiegermutter kommen, so muß er sich verstecken und sie vorüberlassen, damit sich beide auf keinen Fall zu Gesicht bekommen. Ist ein Verstecken unmöglich, so muß er nach rechts oder links mit abgewendetem Gesicht abbiegen, einen großen Bogen um sie machen und ihr auf jeden Fall ausweichen. Bei einzelnen Stämmen darf er sich mit ihr überhaupt in kein Gespräch einlassen. Vernachlässigt jemand diese Vorschriften, so kann er vom Häuptling in Strafe genommen werden.
Am nächsten Tage haben die jungen Leute die letzte Feuerzeremonie zu bestehen. Auch hierbei werden von den Frauen große Feuer angelegt und die glühende Asche mit grünen Zweigen bedeckt. Dieses Mal aber müssen die Jünglinge der Reihe nach in das Feuer hineintreten und mitten im[S. 174] dichten Rauch niederknien, wobei sie eine der Frauen an den Schultern noch herabdrückt. Damit schließt endlich die Ingwurrazeremonie. Wenn die Jünglinge alle verschiedenen Feuerproben bestanden haben, werden sie fortan als vollgültige Mitglieder des Stammes angesehen. Nachdem in den nächsten Tagen noch einige gewöhnliche Korrobories, an denen auch die Frauen sich beteiligen, abgehalten worden sind, ziehen die fremden Gruppen in ihr eigenes Dorf zurück.
Die Zeremonien der Australier hängen eng mit ihrer Religion zusammen. Ihre religiösen Vorstellungen beruhen auf dem Glauben an überirdische, meist mythenhafte Wesen und auf Zauberei. Im allgemeinen werden gute und böse Geister unterschieden, darunter wiederum mächtigere und unbedeutendere. Leider ist es den Europäern bis jetzt nur in unvollkommenem Maße möglich gewesen, in das religiöse Leben und Denken der Australier einzudringen. Dazu kommt, daß unter ihnen selbst nur ganz verschwommene Begriffe von den Geistern und so weiter herrschen, so daß wir nur ein mangelhaftes Bild von ihrer Religion besitzen. Eine große Rolle spielt dabei das bekannte Totemwesen. Ein jeder Stamm zerfällt in eine Anzahl Gruppen (Clans oder Sippen), von denen jede in einem, zumeist genetischen Verhältnis zu irgend einem Gegenstand oder einer Erscheinung in der Natur zu stehen glaubt, zu seinem Totem. Dieses ist zumeist ein bestimmtes Tier oder eine Pflanze, die zu Nahrungszwecken dienen, aber auch eine Naturerscheinung. Dieses Totem, nach dem sich die Sippe auch benennt, wird von ihr verehrt. Die eine Gruppe steht, um ein paar Beispiele anzuführen, mit einem Känguruh, andere mit dem Opossum oder dem Emu oder einer Schlange, wieder andere mit einer Akazienart, einem Grassamen und ähnlichem, noch andere mit Regen, Wind, Feuer und so weiter in Zusammenhang (Abb. 205, 208, 211 und 213). Für gewöhnlich darf kein Mitglied einer Totemgruppe sein eigenes Totem verzehren, wenn es sich um ein Tier oder eine Pflanze handelt, oder es töten, wenn es das erstere betrifft, denn es ist ihm heilig, wohl aber ist ihm gestattet, das einer anderen Gruppe zu essen, beziehungsweise zu töten. Ferner besteht vielfach der Glaube, daß die Anhänger eines Totems bewirken können, daß dieses sich vermehrt oder zunimmt, also einem bestimmten Teile der Natur zu befehlen imstande sind. Ein Känguruhmann zum Beispiel kann das Känguruh zur starken Vermehrung zwingen, ein Regenmann Regen hervorrufen, ein Feuermann stets sein eigenes Feuer erzeugen, so daß er dazu keiner Vorrichtungen bedarf. Wohl gemerkt, diese Fähigkeit beschränkt sich immer nur auf das eigene Totem. Ein Mitglied des Känguruhtotems kann daher keinen Regen machen, und ein Mann des Regentotems nichts dazu tun, daß sich das Känguruh vermehre. In vielen Gegenden Australiens bestehen gewisse Zeremonien, die besonders zu dem Zwecke abgehalten werden, um das Totem zu vermehren. Jede Totemgruppe pflegt eine bestimmte[S. 176] Stelle zu besitzen, an der man diese Zeremonien vornimmt; meistens ist dies das Verbreitungszentrum des betreffenden Tieres oder der Hauptstandort der Pflanze. Ein paar Beispiele von solchen Zeremonien. Handelt es sich darum, die Vermehrung von Schlangen zu erwirken, so erscheint an dem betreffenden Totemplatz der mit rotem und gelbem Ocker angemalte und mit dem Waningakopfputz (das weitere über ihn siehe weiter unten) ausgerüstete Oberste der Schlangentotemgruppe, kniet vor den versammelten Mitgliedern nieder und streckt die Arme ganz lang aus, wobei er in jeder Hand einen angespitzten Knochen hält. Ein Mann, der zu seiner Rechten kniet, nimmt sich den Knochen aus der entsprechenden Hand, hebt an seinem Oberarm eine Hautfalte hoch und durchsticht sie mit diesem Knochen; dasselbe tut ein Mann, der zur Linken sich niedergelassen hat (Abb. 216). Der Oberste singt darauf, in der gleichen Stellung verharrend, ein Lied oder einen Zauberspruch, dessen Inhalt den Anwesenden heutzutage unverständlich erscheint, und die Zeremonie ist beendigt. Wenn daraufhin die Schlangen recht zahlreich geworden sind, bringen Männer, welche der betreffenden Gruppe nicht angehören, einige dieser Tiere dem Obersten mit den Worten: „Siehe, hier sind Schlangen“. Dieser nimmt etwas Schlangenfett, reibt sich damit die Arme ein und antwortet: „So esset alle“. Damit will er besagen, daß die Schlangen dank seiner Zeremonie so zahlreich geworden sind, daß jeder Stamm sie in genügender Menge zur Verfügung hat. — Um Würmer, eine Delikatesse für die Australier, zu vermehren, reibt ein Mann die Magengegend eines anderen mit einem heiligen Steine, der das Ei eines solchen Tieres darstellen soll (Abb. 214); oder singt die Insekten an, auf daß sie Eier legen (Abb. 215). Um Regenwetter herbeizuführen, wurde bei den Kurna an einem Wasserloch eine[S. 178] Grube ausgeworfen und über ihr eine Hütte errichtet. Nachdem sich in ihr alle Anwesenden, darunter auch Gäste, versammelt hatten, schnürte sich einer der älteren Männer ein Band fest um den linken Oberarm und öffnete mit einem spitzen Steine eine Blutader in der Gegend des Ellenbogengelenkes. Das ausströmende Blut ließ er über die am Boden dicht gedrängt Hockenden laufen, auf die mit Blut bespritzten Stellen streute er Vogeldaunen. Jetzt wurden einige vor Beginn der Zeremonie in die Wassergrube geworfene Steine herausgenommen und an einem entfernten Platz in das Astwerk eines der höchsten Bäume gelegt. Währenddessen zerrieben andere Männer Gipsspat zu feinem Pulver und streuten es auf die Oberfläche des Wassers. Schließlich stießen alle Anwesenden die Hütte mit dem Kopfe um. Das fließende Blut soll den vom Himmel strömenden Regen versinnbildlichen, die Daunen leichte, die Steine schwere Wolken; das Verstecken der Steine in den Baumgipfeln geschieht in der Absicht, daß sie der Regengeist sehe, und mit dem Niederreißen der Hütte soll angedeutet werden, daß der Geist in gleicher Weise die Wolken durchbohren möge. Um anderseits kühle Witterung zu bekommen, zünden geschmückte Männer hinter einem Windschirm ein Feuer an, lassen sich an ihm nieder und geben an, daß sie frieren und vor Kälte zittern. Hierdurch hoffen sie eine Abkühlung des Wetters herbeiführen zu können. Manche Stämme nehmen an, daß ein Mann sich in sein Totem verwandeln könne, wenn dieses ein Tier ist. Ein Totemtier verletzt nach der allgemeinen Annahme niemals seine menschlichen Verwandten; daher braucht zum Beispiel ein Anhänger des Schlangentotems nicht zu befürchten, von einer Schlange gebissen zu werden.
Alle Mitglieder einer jeden Totemsippe halten sich für nahe Blutsverwandte; die Mitgliedschaft zu einer Gruppe wird durch die Erbfolge geregelt. In Gegenden (Ostaustralien), wo ein Kind dem Clan der Mutter angehört, erbt es das Totem der Mutter, in anderen wieder, wo es zur Gruppe des Vaters zählt, nimmt es dessen Totem an. Bei noch anderen Stämmen wird das Totem nicht vererbt, sondern auf andere Weise erworben. Wie wir schon hörten, ist jedes Totem an einen bestimmten Platz oder Gegenstand gebunden. Wird bei den Arunta zum Beispiel ein Kind geboren, so erhält es das Totem der Stelle, in dessen Nähe es angeblich von der Mutter empfangen wurde. Glaubt also eine Frau, daß sie ihr Kind bei einem bestimmten Baume oder einem Felsen empfangen habe, der mit dem Emu in Verbindung steht, so bekommt das Kind das Emutotem, ganz gleich welcher Sippe die Mutter angehört.
Das Totemwesen zeigt seine höchste Entwicklung in Zentralaustralien. Hier hat man auch die ganze Lehre tiefer durchdacht und sich ihren Ursprung zurechtgelegt. Vor Zeiten, bevor es noch einen Menschen gab, lebte in Australien eine Art übernatürlicher Wesen, die Totemahnen. Sie besaßen ganz erstaunliche Kräfte und auch die Fähigkeit, sowohl die Natur des Menschen wie die von Tieren oder Pflanzen in sich zu verkörpern. Alle diese Vorfahren, so meinen einige Stämme nun, ließen, während sie das Land durchzogen, an bestimmten Orten viele Kindergeister zurück, die, wie wir bereits vordem (S. 156) entwickelten, in die Frauen übergehen und dann als richtige Menschenkinder geboren werden. Nach dem Tode kehrt ihr Geist wieder zu seiner Ursprungsstätte, zum Beispiel in einen heiligen Stein oder Baum, mit denen er verbunden ist, zurück und wartet dort auf seine Wiederfleischwerdung. Jedes Stammesmitglied ist also die Wiedergeburt eines der Vorfahren. Die Stämme im Innern Australiens führen nun Zeremonien auf, die auf diese Totemvorfahren Bezug nehmen, indem sie dieselben zur Darstellung[S. 181] bringen (Abb. 217). Allgemein nimmt man an, daß diese Totemahnen die betreffenden Zeremonien der Sippe persönlich in der Weise, wie sie heute begangen werden, vordem eingeführt haben. Die bei den Einweihungsfeierlichkeiten der Jünglinge von uns erwähnten Zeremonien sind zum Teil solche, die mit dem Totemahnen in Zusammenhang stehen. Als Beispiel, wie es bei einer solchen zugeht, möge die Zeremonie des Schlangentotems der Warramunga gelten. Der Vorfahre dieses Totems soll ein mythisches Wesen Wollunqua gewesen sein, das eine solche Größe besaß, daß es, wenn es auf dem Schwanz gestanden hätte, mit seinem Kopf bis in den Himmel hineingereicht haben würde; jetzt liegt es in ein großes Wasserloch in einem einsamen Tal gebannt. Bei einer der darauf bezüglichen Zeremonien nun wird ein Erdhügel geformt und auf ihn die Gestalt einer Schlange gezeichnet (Abb. 221). Darauf gehen die Männer des Wollunquatotems (Abb. 219) um den Hügel herum, und einer von ihnen streicht mit einem Zweig über den Fuß des Hügels (Abb. 221); nachdem man darauf den größten Teil der Nacht gesungen und um den Hügel getanzt hat, greift man am frühen Morgen den Hügel mit Speeren, Bumerangs und Keulen an und zertrümmert ihn. Offenbar soll durch diese Zeremonie Wollunqua verhindert werden, sein Wasserloch zu verlassen. In dem übrigen Australien, wo kein Totemglauben herrscht — nur im Zentrum des Erdteiles treffen wir ihn im vollen Umfange an —, kommt den Zeremonien eine andere Bedeutung bei. Allerdings bilden ihren Hintergrund teilweise hier auch noch mythische Vorstellungen von Vorfahren — diese Legenden und Erzählungen von den Ahnen werden den Jünglingen also nicht nur erzählt, sondern auch dramatisch vorgeführt —, daneben aber auch wieder Geschichten über Tiere. In diesem Falle ahmen die darstellenden Männer die Handlungen der Tiere nach oder führen etwas um Zeichnungen, die Tiere wiedergeben, auf. So zum Beispiel laufen sie auf allen Vieren herum wie ein grasendes Känguruh und ähnliches. Allen diesen Vorführungen, wie den die[S. 182] Wanderungen des Totemahnen darstellenden Zeichnungen (Abb. 218 und 220) ist gemeinsam ihre Heiligkeit; daher dürfen sie weder von Frauen noch von Kindern gesehen werden.
Außer den Zeremonien, die der Verehrung des Totems und der Verkörperung der heiligen Mythen dienen sollen, kennen verschiedene Stämme noch eine Reihe anderer Zeremonien, die ganz anderer Natur sind. Als Beispiel von solchen diene die Feuerzeremonie der Warramunga, die indessen mit der gelegentlich der Jünglingsweihen stattfindenden und oben geschilderten nicht identisch ist. Sie geht darauf hinaus, daß alle Beteiligten die zwischen ihnen bestehenden Streitigkeiten beilegen. Ein Augenzeuge schreibt, daß die Zeremonie an einem Abend damit einsetzte, daß, nachdem sich die Männer um einige kleinere Feuer gruppiert hatten, ein komisches Intermezzo sich abspielte. Einige sprangen zunächst auf, stürmten mit erhobenen Waffen wütend umher, schrien laut und gebärdeten sich ganz unsinnig; hierauf begann man mit Neckereien, einer machte über den anderen höhnische Bemerkungen, suchte ihn auch direkt zu beleidigen, nahm ihm seine Waffen fort und versteckte sie im Busch; die jüngeren Leute nahmen den älteren die Speisen weg, eine unter anderen Umständen ganz unerhörte Beleidigung — über alles amüsierten sich die Anwesenden köstlich. Darauf setzte der Tanz ein, an dem die Teilnehmer sich so grotesk wie möglich benahmen, auch die Frauen wirkten dabei mit, die vordem den Vorgängen nur von weitem zugesehen hatten. Diese Belustigungen dauerten bis gegen Mitternacht. Am nächsten Morgen bemalten sich die Männer mit Ocker und führten eine ganz drollige Pantomime auf; die Hände hinten am Kopfe haltend,[S. 183] tanzten sie zunächst in der Richtung des Lagers der Frauen zu, wenn sie sich ihm näherten, gingen sie bald auf den Händen, bald auf den Knien vorwärts (Abb. 222), kehrten aber vor dem Lager um und in das ihrige zurück. Hierauf zogen sich die Männer, einige alte Leute ausgenommen, in den Busch zurück und blieben hier eine Woche. Wichtig ist bei diesem Akte der Zeremonie, daß die jungen Männer die Frauen nicht sehen durften. Nach der Rückkehr der Männer aus dem Walde begannen die Vorbereitungen für die eigentliche Feuerzeremonie, die unter anderem in der Anfertigung mächtiger Fackeln aus Zweigen (Abb. 223) und in der Errichtung einer etwa sechs Meter hohen, mit rotem Ocker bemalten und an der Spitze mit einem Busch Zweige geschmückten Stange zwischen dem Männer- und Frauenlager bestanden. Die eigentliche Feuerzeremonie spielte sich nachts ab. Die sie darstellenden Männer bestrichen sich dazu von Kopf bis zu Fuß mit rotem Lehm und darüber mit einer dicken Schicht weißen Pfeifentons und nahmen die Fackeln in die Hand. Dann ging einer zum Angriff über, indem er mit seiner Fackel wie mit einem vorgestreckten Spieß in die Menschengruppe hineinstürmte, in der sich einer der Männer befand, mit dem er im letzten Jahre einen heftigen Streit gehabt hatte. Man wehrte hier den Angriff mit Keulen und Speeren ab. Damit war das Zeichen zu einem allgemeinen Durcheinander gegeben. Beide Parteien stürmten nun aufeinander los, die brennenden Fackeln sausten dabei auf Kopf und Rumpf nieder und die glühenden Kohlenreste stoben auseinander. Die Frauen standen klagend daneben und senkten brennende Zweige, um, wie sie behaupteten, dadurch zu verhindern, daß die Männer sich ernstlich verletzten. Die lodernde Glut, der mächtige Qualm, im Gegensatz dazu die weiß angestrichenen Körper, der mächtige Lärm, alles dieses machte den Eindruck einer recht wilden rohen Szene. Endlich wurden die Fackeln auf die Erde geschleudert und ihre Flammen gelöscht.
Bei der Beschreibung der Zeremonien erwähnten wir bereits verschiedentlich heilige Gegenstände, vor allem das Schwirrholz, das besonders bei den Jünglingsweihen eine wichtige Rolle spielt. Denn bei dieser Gelegenheit erfahren die Knaben zum ersten Male, daß jene geheimnisvollen Töne, die einem überirdischen Wesen zugeschrieben werden und oft genug ihnen großen Schrecken einflößten, durch diesen unscheinbaren Gegenstand hervorgerufen werden. Wir sprachen auch bereits von dem Tschuringa (Abb. 203), das dem eigentlichen Schwirrholz in der Form wohl gleicht, aber kein Loch für die Schnur besitzt, also nicht geschwungen werden kann. Der Name für diesen Gegenstand stammt aus der Aruntasprache und bedeutet „heilig“. Es ist oft mit[S. 184] eingeritzten Mustern schön verziert. Die Stämme von Mittel- und Westaustralien verwenden das Tschuringa nur bei ihren heiligen Handlungen, vor allem sind die Gebräuche, die damit im Zusammenhange stehen, bei den Arunta hoch entwickelt. Hier besitzt jede Person, Mann, Weib und Kind, sein eigenes Tschuringa, mit dem ein jedes verbunden ist; die Frauen und Kinder aber dürfen das ihrige nicht zu Gesicht bekommen. Alle Tschuringa, die einer Totemgruppe angehören, werden an einem besonderen Ort aufbewahrt. Dieser gilt ebenfalls für heilig; ein Jäger zum Beispiel würde auf der Jagd nach einem Känguruh, wenn er sich solchen Aufbewahrungsorten näherte, ihm nicht weiter nachstellen, sondern davon Abstand nehmen. Während der Zeremonien werden diese Tschuringa, die sonst wie ein großer Schatz ängstlich gehütet werden, hervorgeholt, betrachtet und befühlt; dabei sprechen die Eingeborenen nur im Flüsterton und betragen sich höchst feierlich. Aus Höflichkeit pflegt eine Totemgruppe einer anderen wohl ihr Tschuringa zu leihen, sie erhält es dann unter vielen feierlichen Zeremonien wieder zurück (Abb. 225).
Ein anderer heiliger Gegenstand, auf den schon hingewiesen wurde, ist das Waninga. In seiner einfachsten Form besteht es aus zwei in der Mitte in Gestalt eines Kreuzes zusammengebundenen Stöcken, auf welches Haar- oder Pelzsträhnen webartig gewickelt sind. Bald wird es in der Hand (Abb. 224), bald auf dem Kopfe (Abb. 227) getragen. Im westlichen Australien weist dieser Gegenstand entwickeltere Formen auf. In dem in Abbildung 227 dargestellten Falle sind fünf kleine Waninga zu einem einzigen Ganzen zusammengefügt. Die Bedeutung des Waninga, das ebenso wie das Schwirrholz und das Tschuringa weder Frauen noch Kinder erblicken dürfen, ist eine dunkle. Bei manchen Zeremonien soll es nach Aussage der Eingeborenen das Totem darstellen, mit dem sie in Zusammenhang steht, also eine Ratte oder eine Schlange. In Westaustralien scheint das Waninga eine ähnliche Rolle wie die Masken Melanesiens und anderer Länder zu spielen. Solche kommen übrigens auch im äußersten Norden von Queensland vor, offenbar liegt hier ein Einfluß von Neuguinea her vor, mit dem Australien durch die Inseln der Torresstraße in Verbindung steht (Abb. 226).
Wir schließen hieran eine Besprechung des Glaubens an Magie und Zauberei, durch den das Leben der Eingeborenen Australiens stark beeinflußt wird. Wird ein Mann in einem Kampfe durch einen Speer verwundet oder getötet, so kommt dies daher, daß der Speer verzaubert war; verfehlte ein Speer, der nach einem Känguruh geworfen wurde, sein Ziel, so war dabei ebenfalls Zauberei im Spiele. Um sich gegen solchen Zauber zu wehren, beziehungsweise ihm vorzubeugen, besitzen manche Stämme in Westaustralien kleine Zauberlieder oder Sprüche, die Männer und[S. 185] Frauen, wenn sie mit irgend einer Arbeit beschäftigt sind, singen. Ein Mann, der sich zum Beispiel Widerhaken an seinen Speer schnitzt, singt dann ein bestimmtes Lied, damit sie stark werden und nicht abbrechen; ein anderes Lied wieder, wenn er eine Speerschleuder anfertigt und so weiter. Ähnlich wie wir es bereits von den Melanesiern her kennen, werden Krankheit und Tod nicht auf natürliche Ursachen zurückgeführt, sondern als die Wirkung böser Zauberei gedeutet, die einer, der dem Betreffenden übel wollte, ihm zufügte. Mancherlei Zaubermittel gibt es, um bei einem anderen Krankheit oder sogar den Tod hervorzurufen. Am verbreitetsten ist das Verfahren des Zuspitzens, wie man es bezeichnen kann. Bei einzelnen Stämmen kann nur ein Zauberer es ausüben, bei anderen hingegen jedermann, sofern er nur den dazu erforderlichen Apparat besitzt. Es gibt von ihm zwar verschiedene Formen, indessen ist der wesentliche Teil daran stets ein Stück Knochen oder Holz, das an dem einen Ende zugespitzt ist; ihm wohnt der böse Zauber inne. Während der Mann nämlich den Stock oder Knochen zuspitzt, murmelt er Flüche, wie etwa: „Möge dein Herz auseinandergerissen werden“ oder: „Möge dein Rücken sich spalten und deine Rippen auseinandergezerrt werden“ und ähnliches mehr und legt dadurch den Zauber in den angespitzten Gegenstand hinein. Ebenso verschieden wie die Form des Werkzeuges ist auch seine Anwendung; sie beruht in der Hauptsache darauf, daß der Knochen oder Stein nach der Richtung der zu schädigenden Person gerichtet wird. Natürlich darf das Opfer von diesen Machenschaften nichts erfahren. Ein solcher Richtapparat, der von zwei Personen bedient wird, besteht aus einer langen gedrehten Schnur aus Menschenhaar, an deren einem Ende fünf kleine Richtknochen und an deren anderem ein solcher und ein paar Klauen von Adlerfalken an einem Stück Harz sitzen. Der vordere Mann hält bei seiner Anwendung die Richtknochen und der hintere die Vogelklauen, ersterer richtet die Knochen nach der Richtung, wo derjenige, dem er Schaden zufügen will,[S. 186] weilt, und stößt sie mit einem Ruck dorthin. Der böse Zauber nimmt dementsprechend diese Richtung und dringt in den Menschen, auf den es abgesehen ist, ein. Dieser erkrankt und bekommt heftige innere Schmerzen, die den Falkenklauen zugeschrieben werden, da diese, wie man annimmt, die inneren Organe umkrallen (Abb. 228 und 229).
Eines ganz seltsamen Zauberbrauches müssen wir noch gedenken, der, sofern er wirklich auf Wahrheit beruht, vielleicht der Kraft der Suggestion zuzuschreiben ist. Gewisse Männer sollen die Macht besitzen, einen Mann oder eine Frau zu töten und ihre Opfer später wieder ins Leben zurückzurufen, aber nur noch auf ein paar Tage, so daß schließlich doch der Tod bei ihnen eintritt. Ein Mensch, der mit dieser Macht ausgestattet ist, kann sie entweder aus freiem Antriebe für sich allein gegen jemanden, dem er böse gesinnt ist, ausüben, oder sie in den Dienst einer Gruppe von Männern stellen, deren ausführendes Organ er somit wird. In solchem Falle vollzieht er die Todesstrafe an einer Person, über die die alten Männer sie verhängt haben. Zu diesem Zwecke reibt sich dieser Gewaltige, der bei den Arunta Kurdaitscha heißt, ganz und gar mit Holzkohle ein, schmückt sein Gesicht und sonstigen Körper mit weißen Daunen, zieht Schuhe aus Emufedern an, die mit Blut zusammengeklebt sind und Zauberwirkung besitzen sollen; er ist ferner mit Schild und Speer, sowie mit einem oder zwei Tschuringa ausgerüstet (Abb. 230). — Der Aberglauben, nach dem gewisse Männer eine solche seltsame Macht besitzen, ist über ganz Australien verbreitet. Auf diese Weise sucht man unbequeme Leute im geheimen ins Jenseits zu befördern. Es hält aber schwer herauszubekommen, in welcher Weise man dabei verfährt. Anscheinend ist dies bei den einzelnen Stämmen ganz verschieden. Bei den Diäri zum Beispiel braucht der Zauberer in einer faustgroßen Grube nur eine Mischung von Harz aus den Wurzeln des Eisen[S. 187]holzes und dem Kote des auserkorenen Opfers zu verbrennen; wenn dann dieses an der betreffenden Stelle vorbeigeht, muß es über kurz oder lang sterben. Energischer gehen diese Zauberer in anderen Gegenden vor. Sie sollen hier ihr Opfer durch einen Schlag auf den Kopf bewußtlos machen, ihm die Lenden aufschneiden, das Nierenfett entfernen und die Wunde schließlich mit Gras verstopfen. Der Mann kehrt zwar wieder zum Bewußtsein zurück, stirbt aber in ein paar Tagen. In westaustralischen Gegenden bedient man sich einer noch grausameren Methode. Der Mörder, beziehungsweise der Vollstrecker eines Urteils schleicht an sein Opfer heran, während es schläft, kneift ihm die Nasenlöcher leicht zusammen, damit es den Mund öffne, den er ihm sofort mit Sand verstopft. So geknebelt schleppt er den Mann eine kleine Strecke in den Busch hinein, nimmt ihn beim Kopfe, dreht diesen mit einem besonderen Kunstgriff schnell herum, so daß der Halswirbel ausgerenkt wird, und bringt den Kopf sofort wieder in seine natürliche Lage zurück. Man behauptet, daß, wenn ein Opfer diese Marter durchgemacht hat, es noch ein paar Tage in einem Dämmerzustand verharre, dann aber doch sterbe.
Die Zauberer genießen in Australien einen großen Ruf; sie vermögen nach Angabe der Eingeborenen, wie schon gesagt, Krankheiten und Tod zu bewirken, die Todesstunde des Menschen vorauszusagen, Schwerkranke aber auch wieder gesund zu machen und selbst Tote wieder ins Leben zurückzuführen. Bei der Heilung einer Krankheit gehen sie in der Weise vor, daß sie die Körperstelle, die sie für den Sitz des Leidens halten, zunächst reiben, drücken, anblasen, an ihr saugen und schließlich ein Stöckchen oder einen Stein hervorbringen, den sie angeblich aus dem Körper entfernt haben und als die Ursache der Krankheit bezeichnen.
Neben den Einschränkungen, die das weit verbreitete Totemwesen bei den Heiraten der Australier auferlegt, gibt es noch weitere, die durch das bei ihnen herrschende klassifikatorische System, wie die Wissenschaft es nennt, bedingt werden. In Australien nämlich sind die Verwandtschaftsgrade von so großer Wichtigkeit, wie bei keinem anderen Volke der Erde, sie beherrschen und regeln ihr ganzes soziales Leben. Weil ein Stamm nur wenige hundert Mitglieder umfaßt und diese vielfach untereinander heiraten, so ist es für die damit vertrauten alten Leute eine ziemliche Leichtigkeit, Generationen hindurch das gegenseitige Verwandtschaftsverhältnis zweier Personen festzustellen. Diese Verwandtschaftsgrade aber werden von den Australiern nicht nach unseren Grundsätzen bestimmt und bezeichnet, sondern sie verwenden dazu ein ganz eigentümliches, uns in mancher Hinsicht unverständliches System, eben das sogenannte klassifikatorische. Sie besitzen nur eine kleine Anzahl Worte, und jedes derselben wenden sie auf eine große Anzahl Verwandtschaftsgrade an, auf eine größere Anzahl verschiedener Personen. Wie wir in unserem Sprachgebrauche zum Beispiel das Wort „Onkel“ für verschiedene Personen wie Vaters und Mutters Bruder, Ehegatten der Schwestern der Eltern und so weiter gebrauchen, so besitzt der Australier für bestimmte Verwandtschaftsgrade einen bestimmten Ausdruck, aber er wendet ihn auf eine ganze Reihe von Verwandten an, die derselben bestimmten Verwandtschaftsklasse angehören. So kennt er kein eigenes Wort für Vater (das heißt Erzeuger) in unserem Sinne, sondern er bezeichnet mit einem gemeinsamen Ausdruck nicht nur den wirklichen Vater, sondern auch den Bruder des Vaters, die Söhne des Bruders des Großvaters, die Ehegatten der Schwester der Mutter und eine ganze Reihe entfernter Verwandten mehr. In der gleichen Weise nennt er „Mutter“ nicht nur seine wirkliche Erzeugerin, sondern dehnt diese Bezeichnung auch auf die Schwestern der eigentlichen Mutter, die Frauen des Bruders des Vaters und andere mehr aus. Auf diese Weise erhält jeder Mensch eine große Anzahl Väter und Mütter. Dabei[S. 190] macht der Australier aber doch einen Unterschied zwischen seinem eigentlichen Vater, beziehungsweise seiner eigentlichen Mutter und anderen Männern wie Frauen, die die gleiche Bezeichnung führen, geradeso wie wir zwischen Vettern ersten, zweiten und dritten Grades unterscheiden, wenngleich wir diese alle auf die gleiche Weise so nennen. Ebenso unterscheidet er innerhalb jeder einzelnen Verwandtschaftsklasse, das heißt den Leuten, welche die gleiche Verwandtschaftsbezeichnung führen, zwischen näher und entfernter stehenden Verwandten. Wenngleich er daher allen Männern, die er mit „Vater“ anredet, die gleiche Ehrfurcht und Hochachtung schuldet, so macht er doch nach dem Grade der Verwandtschaft zwischen ihnen Unterschiede. Nach diesem Klassensystem ist also jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, die mit einem Australier in gesellige Beziehung treten, für ihn verwandt, allerdings in verschiedenem Grade.
Dieses Verwandtschaftssystem beeinflußt nun das ganze soziale Leben des Australiers, vor allem seine Heiratsgesetze, denn er darf nur in eine bestimmte Verwandtschaftsklasse hineinheiraten.
Die unter den Australiern vorherrschende Eheform ist die Polygamie (im Durchschnitt zwei bis drei Frauen); Einehe kommt natürlich auch vor und währt unter Umständen auch zeitlebens. In der Regel leisten sich die älteren Männer mehr als eine Frau, denn ihre Zahl richtet sich danach, wieviele Frauen ein Mann zu ernähren imstande ist. Ihm liegt die Pflicht ob, seine Frau hinreichend mit tierischer Nahrung zu versorgen, während diese die pflanzliche beschaffen muß. Daher kann sich ein tüchtiger Jäger eher mehrere Frauen leisten. — Merkwürdige Eheverhältnisse herrschen in Zentralaustralien, wo achtzehn- bis fünfundzwanzigjährige Männer eine Ehegenossin besitzen, die dem Alter nach ihre Großmutter sein könnte, und wo die ältesten einflußreichsten Männer der Gemeinde die meisten Frauen aufweisen, und zwar unter ihnen gleichzeitig Greisinnen und im Backfischalter stehende Mädchen. Außerdem kommt in Australien noch die sogenannte Piraûruehe vor, das ist eine Art Gruppenehe. In ihr ist eine[S. 191] Anzahl Personen beiderlei Geschlechts zu einer Gemeinschaft vereinigt, deren männliche Mitglieder das Recht haben, mit einer größeren oder geringeren Anzahl der weiblichen Mitglieder Geschlechtsverkehr zu unterhalten. Das Weib, das die Piraûruehe eingeht, ist stets die rechtmäßige Gattin eines bestimmten Mannes und bleibt es auch während dieser Zeit, insofern er ihr seinen Schutz angedeihen läßt und ein Vorrecht hinsichtlich der ehelichen Beiwohnung vor den anderen Männern beanspruchen kann. Die Mitehemänner, deren Anzahl übrigens nicht groß zu sein pflegt, sind gewöhnlich ältere, einflußreiche Leute des Stammes. Stets aber werden auch bei dem Eingehen der Piraûruehe die Gesetze streng befolgt, welche Klassen und Verwandtschaftsgrade für die Heirat vorschreiben.
Die Ehe der Australier kommt durch Vereinbarung zustande. Zumeist werden zwei Frauen, die im richtigen Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen, zu den besonderen Schwiegermüttern ihrer beiderseitigen Söhne ernannt. Oft trifft man ein solches Abkommen bereits, wenn diese Frauen noch keine Kinder haben, oder auch gar, wenn sie selbst noch gar nicht verheiratet sind. Der Mann erhält dann bereits seine Spezialschwiegermutter vor der Geburt seiner Zukünftigen; schenkt diese Schwiegermutter einer Tochter das Leben, dann steht dem betreffenden Manne also das Recht zu, diese sich zur Frau zu fordern. Anderseits, wenn er eine Schwester besitzt und seine besondere Schwiegermutter einen Sohn, so muß er diese seine Schwester gegen die Frau, die er bekommt, eintauschen. Bekommt die Schwiegermutter aber mehrere Mädchen, dann hat der Bräutigam das Recht auf alle diese und heiratet sie der Reihe nach, sobald sie das heiratsfähige Alter erreicht haben. Mag er sie aber nicht sämtlich heiraten, dann kann er dieses Vorrecht aufgeben, meistens zugunsten eines jüngeren Bruders, der dann gewöhnlich die Mädchen zu Frauen nimmt, auf die der ältere Bruder Anspruch hatte. Für den Fall, daß die Spezialschwiegermutter nur Söhne gebären oder frühzeitig sterben sollte, trifft man eine Vereinbarung dahin, daß der mutmaßliche Schwiegersohn ein weiteres Anrecht auf die Töchter[S. 192] anderer Familien hat. Bei allen diesen Verlöbnissen müssen natürlich die bestehenden Heiratsgesetze innegehalten werden. Der eigenartigen Beschränkungen im Verkehr zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn gedachten wir bereits oben. Im allgemeinen läßt sich aber sagen, daß, wenn ein junger Mann etwa zwanzig Jahre alt ist, eine dauernde Vereinbarung über seine Zukünftige bereits getroffen sein wird. Nun kann es allerdings vorkommen, daß diese erst einige wenige Jahre alt ist, dann muß er eben warten, bis sie das heiratsfähige Alter erreicht hat, was bereits mit vierzehn Jahren der Fall sein kann. Während dieser Wartezeit stattet der Bräutigam dem Mädchen regelmäßig seine Besuche ab und bringt dem Vater passende Geschenke mit. Sobald nun nach Ansicht des Vaters und der Angehörigen das Mädchen alt genug geworden ist, um zu freien, wird sie dem versprochenen Manne übergeben. Eine besondere Festlichkeit findet bei den meisten Stämmen nicht statt; nachdem die weiblichen Angehörigen der Braut oder auch diese selbst für ein primitives Obdach gesorgt haben, erwartet der junge Mann unter ihm gegen Abend das Mädchen, das ihm von jenen zugeführt wird.
Wenn ein Mann keine Gelegenheit hat, auf dem üblichen Wege eine Frau zu erhalten, bleibt er entweder Junggeselle oder er nimmt einem anderen seine Frau fort. Anderseits aber auch kommt es vor, daß eine Frau sich aus ihrem Gatten oder dem ihr versprochenen Mann nichts macht und ihm einen anderen vorzieht. Entführungen sind daher aus diesem oder jenem Grunde keine Seltenheit. In den Augen der Australier kommt es auf dasselbe heraus, ob ein Mann einem anderen das Mädchen, das ihm versprochen worden ist, oder seine wirkliche Frau entführt; in beiden Fällen handelt es sich um ein „Stehlen“, und dies erfordert Sühne. Der beleidigte Mann und seine Verwandten oder Freunde setzen den Flüchtlingen nach; holt man sie sogleich wieder ein, so wird die Frau dem Manne wieder zurückgegeben und erhält eine tüchtige Tracht Prügel, der Verführer aber muß sich hinstellen und sich von dem Beleidigten mit einer Anzahl Speere bewerfen lassen. Indessen ist diese Sache nicht so gefährlich, wie es auf den ersten[S. 194] Anblick erscheint, denn der Übeltäter erhält meistens einen Schild zur Abwehr und außerdem darf auf keine edleren Körperteile gezielt werden, sondern nur auf die Lenden, so daß im allgemeinen keine lebensgefährlichen Verletzungen entstehen. Wenn die Flüchtlinge aber ihren Verfolgern längere Zeit zu entweichen verstanden haben, darf der Verführer meist seinen Raub behalten, besonders wenn er ein tüchtiger Krieger ist oder einflußreiche Freunde ihn dabei unterstützen. Die Frau kommt aber stets schlecht weg, denn sie wird fast immer tüchtig verprügelt. Ganz anders aber gestalten sich die Folgen, wenn ein Mann eine Frau entführt hat, die er nach den bestehenden Heiratsgesetzen nicht heiraten durfte. In diesem Falle ist die Entführung nicht allein ein Vergehen gegen die Anverwandten der Frau, sondern auch gegen das Gesetz des Stammes. Während nämlich dann, wenn ein Mann eine Frau entführte, die mit ihm in dem richtigen Grade verwandt ist, seine Verwandten und Freunde sich für ihn verwenden und wenigstens dafür sorgen, daß ihm kein ernster Schaden zugefügt wird, nehmen sie im Falle der Blutschande, das heißt wenn die Entführte nicht im rechten Verwandtschaftsgrade zu ihm steht, gegen ihn energisch Partei. Sie bestrafen den Missetäter dafür gewöhnlich mit dem Tode oder trennen die Vereinten für immer, so daß sie niemals wie Mann und Frau zusammenleben können. Bei anderen Stämmen verfährt das Gesetz etwas weniger streng, insofern es, wenn die Entlaufenen sich genügend lange verstecken konnten, ihnen zwar gestattet, zusammenzuleben, aber der Fluch der Blutschande bleibt doch auf ihnen lasten.
Ein Fortlaufen der Frau wird unter gewissen Umständen von der öffentlichen Meinung ohne weiteres gebilligt, wenn nämlich der Ehegatte nicht imstande ist, sie genügend mit Fleisch zu ernähren. Außer seiner Frau muß er auch seinem Schwiegervater reichlich von den Erträgen seiner Jagd abgeben, und zwar manchmal nicht nur dem wirklichen Schwiegervater allein, sondern auch allen denjenigen Verwandten des Mädchens, die zu ihm in dem gleichen Verwandtschaftsgrade stehen. Daher wird auch kein Kaufgeld für die Braut bezahlt, wie dies bei vielen anderen Völkern üblich ist, wohl aber muß der Mann dem Schwiegervater des öfteren Geschenke machen.
Eine ganz allgemein über Australien verbreitete Sitte ist das Verleihen der Frau, das wie die Heirat durch die Verwandtschaft geregelt wird. Ein Mann darf nämlich seine Ehefrau nur dem leihen, der mit ihm als „Bruder“ verwandt ist, das heißt der sie von Rechts wegen auch heiraten könnte. Ein Verheirateter, der ein anderes Lager ohne seine Frau besucht, erhält oft von einem Verwandten, bei dem er Aufenthalt nimmt, eine Frau geliehen. Natürlich wird diese Gefälligkeit bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit erwidert. — Außer dieser regelrechten Frauenverleihung, die sich teils nach bestimmten Gesetzen, teils ohne solche regelt, herrscht bei vielen australischen Stämmen noch die Sitte des zeitweiligen Austausches von Frauen, was mit besonderen Zeremonien verbunden ist. In solchen Fällen ist der Austausch und die dazu gehörige Genehmigung in Wirklichkeit eine Zauberzeremonie oder ein religiöser Akt, über dessen Bedeutung wir nichts Näheres wissen.
Die sittlichen Anschauungen der Australier sind in mancher Hinsicht recht lockere, wenngleich wir sagen müssen, daß die Weiber, was zum Beispiel die Bloßstellung ihrer[S. 197] Geschlechtsteile anbetrifft, sichtliches Schamgefühl bekunden. Keuschheit der jungen Mädchen ist aber ein unbekannter Begriff; sie verlieren, sobald sich der Fortpflanzungstrieb bei ihnen einstellt, ihre geschlechtliche Reinheit; im Alter von acht bis zehn Jahren pflegen sie sich den Knaben preiszugeben. — Der Geschlechtstrieb scheint bei beiden Geschlechtern stark entwickelt zu sein und artet nicht selten in ganz unzüchtige Handlungen aus. Bei den Borazeremonien ist es gang und gäbe, daß den Novizen ganz unzüchtige pantomimische Tänze vorgeführt werden, die ihnen angeblich zur Abschreckung dienen sollen.
Den mutmaßlichen Zweck der Mikaoperation deuteten wir bereits an anderer Stelle an. Sie besteht in einer Bloßlegung der männlichen Harnröhre durch Aufschlitzen des Gliedes an seiner unteren Seite mittels eines zugespitzten Feuersteinmessers oder einer Muschel, neuerdings auch mittels Glassplitters und in einem Auseinanderzerren der Wundränder, beziehungsweise Verhindern ihres Zusammenheilens. Über die mögliche Entstehungsursache dieser Unsitte, die sich über fast zwei Drittel Nordwestaustraliens verbreitet findet, gehen die Ansichten sehr auseinander; Roth und nach ihm Klaatsch bringen Gründe für die Annahme bei, daß die so geschaffene Öffnung am Gliede gleichgeschlechtlichem Verkehr diene; jedoch dürfte dies wohl kaum der alleinige Grund sein, denn dagegen spricht meines Erachtens die große Verbreitung der Mikaoperation. Lumbholtz berichtet, daß in dem von ihm besuchten Gebiete nur etwa fünf von hundert[S. 198] Knaben von ihr bewahrt blieben. Auf der anderen Seite wieder steht fest, daß die Australier sehr zu widernatürlichem Geschlechtsverkehr hinneigen. Die Operation wird meistens in den Knaben- und Jünglingsjahren vorgenommen, jedoch werden ihr auch noch verheiratete Männer unterworfen.
Vielfach begegnet man der Meinung, daß die Wilden in beständigen gegenseitigen Fehden lägen. Für andere Länder mag dies wohl teilweise zutreffen, nicht jedoch für Australien. Hier bilden Kriegszüge (Abb. 231 und 232) nur die Ausnahme. Zwar betrachtet der Australier jeden Fremden, den er antrifft, auch jeden Schwarzen für seinen persönlichen Feind und sucht sich seiner nach Möglichkeit zu entledigen, aber, da er meistens im Bereich seiner Heimat bleibt, so kommen derartige Zusammenstöße nur vereinzelt vor. Jede Ortsgruppe bewohnt ihr bestimmtes Gebiet, in dem sie umherzieht, Eroberungsgelüste kennt der Australier nicht, und das Land bietet Raum genug für die wenigen Horden. Somit bekommt er wenig Fremde zu Gesicht, es müßte denn sein, daß er, um Besuche zu machen, weite Märsche unternimmt (Abb. 233). Dagegen herrscht bei vielen Stämmen der Brauch, den Tod eines Angehörigen zu rächen. Wir hörten bereits oben, daß man den Tod einer Person einer Verzauberung zuschreibt und durch Vermutung den Urheber herauszubekommen sucht, wobei meistens ein Medizinmann hilfreiche Hand leistet. Kann man den Schuldigen nicht ermitteln oder hält man es aus irgend einem Grunde für rätlich, ihn öffentlich nicht zu töten, so verhängt man gleichfalls einen Zauber über ihn. Zu diesem Zweck senden die Arunta einen Schamanen unter Begleitung eines gewöhnlichen[S. 199] Mannes nach dem Orte, wo sich der vermeintliche Mörder aufhält, aus. Um seine Spuren zu verdecken, trägt er an seinen Füßen ganz weiche Schuhe, die aus durch Menschenblut zusammengeklebten Emufedern hergestellt und von einem taschenförmigen, aus Menschenhaar geknüpften Netz umspannt sind; außerdem umschließt er seinen Leib mit einem Zaubergürtel aus dem Haar eines toten Kriegers, bemalt sich Brust und Gesicht und schmückt sich den Kopf mit Federbüscheln und Blättern. Im Dunkel der Nacht sucht er das erkorene Opfer durch einen Speerstoß zu töten oder wenigstens durch Verwünschungen oder Verrichtungen mit zauberkräftigen Gegenständen Unheil und Tod über dasselbe zu verhängen. In anderen Fällen wieder wird ein Rachezug nach der Gegend hin unternommen, wo man den Täter anzutreffen hofft. Die Bluträcher, bei den Diäri zum Beispiel durch ein weißes Stirnband kenntlich, schleichen sich in die Nähe des Lagers, kundschaften aus, wo sich ihr Opfer befindet, beschmieren ihren Körper sodann mit weißer Farbe, um sich unkenntlich zu machen, und dringen um Mitternacht ins Lager. Meistens pflegt keiner der Eingeborenen im Augenblick Widerstand zu leisten, selbst die Weiber sind so eingeschüchtert, daß sie keinen Laut von sich zu geben wagen. Sobald der dem Tode Geweihte herausgefunden ist, muß er seine Hütte verlassen und wird dann draußen durch Speerwürfe getötet. Natürlich verschwören sich die so Überrumpelten nicht selten zu einem Vergeltungszug.
Ganz sonderbare Zeremonien werden an den Teilnehmern eines solchen Zuges vorgenommen. Bei den Arunta stellt sich ein Bruder des Ermordeten aus den Haaren des Toten einen Gürtel her, klemmt ihn in seiner Achselhöhle fest, kniet vor jedem Krieger, der sich beteiligen will, nieder, legt sein Geschlechtsglied in dessen Hand und reibt es darin, alsdann nimmt er den Gürtel aus seiner Achselhöhle heraus und drückt ihn gegen den Bauch seines Partners. Dadurch soll dieser zum Kampfe gestärkt und gleichzeitig zur Teilnahme an ihm verpflichtet werden. Vor dem[S. 200] Ausrücken tanzen die Krieger um ihre Speere. Die Führer gehen während des Rachezuges an jeden Teilnehmer heran, geben ihm das eine Ende des Haargürtels in den Mund, während sie das andere an ihr Glied halten, wobei sie sich umarmen. Außerdem gehen dem Zusammenstoße mit dem Gegner manchmal Kriegstänze voraus (Abb. 231 und 235).
In anderen Fällen nähern sich die Rächer frei und offen dem Lager der Gegner und setzen älteren Männern, die ihnen entgegengesandt werden, um den Grund ihres Besuches auszukundschaften, diesen auseinander. Letztere bemühen sich nun, sie umzustimmen und zu versöhnen. Gelingt ihnen dies aber nicht, so einigt man sich dahin, daß die Rächer entweder den Mann, um dessentwillen sie gekommen sind, oder einen seiner Verwandten töten. Gelegentlich bestimmen die älteren Leute auch, daß ein Mann, der aus irgendeinem Grunde unbeliebt ist, ausgeliefert und getötet werden soll. — Streitigkeiten werden im allgemeinen von vielen Stämmen zwischen den einzelnen Ortsgruppen in Zusammenkünften beigelegt, die in regelmäßigen Zeitabschnitten einberufen werden. Bei einer solchen Versammlung wird alles streng nach Sitte und Brauch geordnet, und die alten Leute halten streng auf die Befolgung der Vorschriften. Wenn zwei Männer verschiedener Parteien sich gegenseitig gekränkt haben, können sie ihren Streit durch ein Duell ausfechten, entweder mittels Bumerang oder Keule oder Steinmesser (Abb. 234). Im letzteren Falle stechen sie sich so lange in den Rücken, bis der eine oder der andere nachgibt oder die Freunde die Streitenden trennen; bei Anwendung von Fernwaffen (Bumerang, Speere) darf man sich mit dem Schild verteidigen. Außer diesen Duellen gibt es zur Schlichtung von Streitigkeiten noch Gottesurteile. Hat ein Mann zum Beispiel einem anderen seine Frau gestohlen oder sonst ihn in irgend einer Weise geschädigt, so wird er gezwungen, sich einer Strafe durch Gottesurteil zu unterwerfen. Bei einigen Stämmen muß er sich, ganz[S. 202] gleich ob er schuldig ist oder nicht, hinstellen und sich den Speeren der anderen aussetzen; manchmal darf er sich durch einen Schild dagegen schützen und entkommt dann unbeschadet; auch wenn er keinen Schild benutzen darf, gelingt es ihm häufig, den Speerwürfen auszuweichen. Bei anderen Stämmen muß er Bumerange auf sich werfen lassen, oder der Beleidigte stößt dem Übeltäter einen zackigen Speer in seine Lende. Bei allen diesen Gottesurteilen wird jedoch darauf gesehen, daß der Übeltäter nicht getötet wird. Sollte indessen ein solcher Fall eintreten, dann würde der Getötete wahrscheinlich von seinen Angehörigen gerächt werden.
Auch Frauen bringen ihre Streitigkeiten durch ein Duell zum Austrag, und zwar überall mit dem bekannten Grabstock (Abb. 236). Mit diesem gehen sie scharf aufeinander los und schlagen sich gegenseitig so lange, bis eine von ihnen genug hat oder bis sie getrennt werden.
Die Beerdigungsgebräuche der australischen Eingeborenen wechseln von Stamm zu Stamm, weswegen wir sie hier nur in großen Zügen behandeln können. Zum Teil entledigt man sich der Toten, indem man sie in die Erde vergräbt, sie auf erhöhten Plattformen aussetzt oder in einen Baum legt, zum Teil werden sie konserviert, meistens durch Rauch, oder verbrannt, vielfach auch verzehrt. Einst war die Menschenfresserei eine über ganz Australien verbreitete Unsitte, bis die Ankunft der Weißen ihr vielfach den Garaus machte, indessen steht fest, daß man ihr noch jetzt weit und breit huldigt, selbst dort, wo die Schwarzen im Bereiche der Weißen hausen. Die hauptsächlichste Ursache für den Kannibalismus ist ohne Zweifel die Leckerei; nach dem Urteile von solchen, die gezwungen waren, kannibalischen Schmausereien beizuwohnen, soll Menschenfleisch ungefähr wie Schweinefleisch munden. Die meisten Stämme ziehen Kinderfleisch dem Fleisch von Erwachsenen vor, bei letzterem legen sie großen Wert darauf, daß es recht fett ist, verschmähen dagegen Personen, die zumeist infolge langer Krankheit abmagerten. Bei vielen[S. 203] Stämmen wird jede Person, die gestorben ist oder getötet wurde, verzehrt; einige verspeisen die ganze Leiche, andere begnügen sich, von ihr etwas Fleisch oder Fett zu essen. In manchen Gegenden Queenslands wurde ein Eingeborener, wenn er im Kampfe gefallen war, von seinen Angehörigen gekocht und gegessen, seine Haut getrocknet und als wertvolles Gut aufbewahrt; diese Behandlung der Leiche galt für die ehrenwerteste Form des Begräbnisses. In Viktoria malen sich alle Leute, die bei der Totenfeier von dem Fett der Leiche gegessen haben, mit roter Farbe einen Kreis um den Mund. Einen erschlagenen Feind verzehrte man wohl auch, aber nur diejenigen nahmen an dem Mahl teil, die ihn umgebracht hatten, nicht die Verwandten oder Freunde des Verstorbenen.
Die Bestattung des Toten wird hauptsächlich in solchen Gegenden ausgeübt, die völlig baumlos sind. Der Tote wird in große Rindenstreifen eingewickelt und der Kleinheit des Grabes wegen in Hockerstellung in einem röhren- oder schachtförmigen engen Erdloche beigesetzt. Einzelne Stämme begraben ihre Toten nicht sogleich, sondern trocknen sie erst aus. Zu diesem Zwecke setzen sie den Leichnam in einer Art Hütte, mit Stricken zusammengebunden, auf ein rostähnliches Holzgestell und unterhalten unter ihm längere Zeit hindurch ein schwaches, aber stark rauchendes Feuer. Wenn der Tote auf diese Weise ausgedörrt ist, wird er erst begraben oder in einem Baumgeäst ausgesetzt (Abb. 237). Gelegentlich kommt er aber nach der Austrocknung noch zu keiner Ruhe, sondern wird von den Angehörigen, denen die Trennung schwer fällt, in ihrer Hütte noch wochenlang aufbewahrt, auch wohl auf ihren Wanderungen von Lager zu Lager mitgeschleppt, bis er endlich seine Ruhestätte findet. In anderen Gegenden begräbt man wohl den Körper, behält sich aber einen Teil zurück (Abb. 238 und 239) und bewahrt ihn auf, so in Westaustralien und Viktoria die Knochen eines Beines oder Armes, bei den Kurnai eine Hand, die abgeschnitten,[S. 204] getrocknet und um den Hals getragen wird. Man glaubt nämlich, daß, wenn ein Feind sich dem Träger eines solchen Amulettes nähert, die tote Hand ihn ergreifen und kneifen würde, oder daß sie, in die Höhe gehalten und befragt, anzeigen würde, aus welcher Richtung der Feind zu erwarten steht. Die Stämme im Norden und Nordwesten des Festlandes haben fast nur das Baumbegräbnis; hier ist der Boden meistens felsig, so daß das Schaufeln eines Grabes auf große Schwierigkeiten stößt. Man bereitet in der Regel in etwa drei bis vier Meter Entfernung vom Erdboden in dem Geäst eines Baumes eine Plattform aus wagrecht gelegten Ästen und Buschwerk, auf das die Leiche zu liegen kommt. Infolge der großen Trockenheit der Luft werden diese Leichen vielfach zu Mumien. Die Knochen werden häufig später eingesammelt (Abbild. 240) und vergraben (Abb. 242). Im Kimberleydistrikt (Westaustralien) setzt man sie in einer Höhle bei, deren Wand reichen Figurenschmuck trägt (Abb. 241).
Die Kundgebung der Trauer besteht bei den meisten Stämmen in Selbstquälereien und lauten Klagen (Abb. 244). Verschiedentlich ist mit der Trauer auch die Pflicht des Schweigens verknüpft (Abb. 243 und 246). In Zentralaustralien bringen sich die Männer, die zu dem Toten in verwandtschaftlichem Verhältnis stehen, mittels Steinmesser tiefe Schnittwunden am Oberschenkel bei (Abb. 245), so daß sie manchmal von Blut gleichsam triefen, die Weiber schneiden sich auch die Haare ab, während sie bei anderen Stämmen sich dieselben absengen, die Männer verfahren in der gleichen Weise mit ihrem Bart. Als Trauertracht ist allgemein das Bestreichen des Körpers mit Farbe Sitte. Im ganzen Binnenland bildet Weiß das Kennzeichen der Trauer, in den Küstengegenden dagegen Schwarz. Man bestreicht sich Kopf, Brust und Oberarme mit Kalk oder Asche. Der Anstrich wird von Zeit zu Zeit erneuert, solange die Trauerzeit anhält, etwa ein Jahr. Das Jammern der Angehörigen, im besonderen der Weiber, setzt ein, sobald der Sterbende den letzten Atemzug getan und dauert so lange, bis er, wenn auch nur seine provisorische Bestattung gefunden hat. Vielfach ist es auch Brauch, die Hütte, in der eine Person starb, niederzubrennen, selbst das ganze Lager zu verlassen, wenn ein Mensch gestorben ist. Man vermeidet überall, den Namen eines Verstorbenen auszusprechen, weil man glaubt, die Toten wünschten nicht genannt zu werden.
Unter Indonesien verstehen wir die weite Inselflur, die sich zwischen Südostasien beziehungsweise Hinterindien, Neuguinea und Australien ausbreitet und die großen (Sumatra, Java, Borneo, Zelebes) und kleinen Sundainseln (Bali, Lombok, Sumbawa, Sumba, Flores, Timor und andere mehr), sowie die Molukken (Ceram, Amboina, Djijolo) und die Philippinen (Luzon, Mindanao, Sulu und so weiter) umfaßt. Man nennt dieses Gebiet auch den Malaiischen Archipel, weil er von einem besonderen Menschenschlag, der malaiischen Rasse, bewohnt wird. Diese Rasse, die offenbar aus der gelben Grundrasse, wie die Chinesen und Japaner, hervorgegangen ist, zeigt in körperlicher Hinsicht große Ähnlichkeit mit den Polynesiern, die einen Zweig von ihnen bilden. Während letztere aber infolge längerer Isolierung auf ihren einsam gelegenen Inseln einen mehr einheitlichen Typus angenommen haben, trifft dieses für die Malaien weniger zu, weil sich in den von ihnen bewohnten Gebieten im Laufe der Zeiten reichlich Gelegenheit sich mit anderen Rassen zu vermischen bot. Im allgemeinen gleicht daher der Typus der Malaien dem der Polynesier, mit dem Unterschied, daß er sich vielfach verwischt hat, indem er sich teils verfeinerte durch Kreuzung mit Hindu-, das heißt mit indogermanischem Blute — die Javaner dürften für seine Vertreter gelten, besonders in ihren höheren Schichten — (Abb. 248), teils gröber wurde durch Vermischung mit den primitiven Inlandstämmen, den Resten der Urbevölkerung der Inseln (Abb. 311 und 312). Unter dieser letzteren lassen sich wiederum zwei Typen unterscheiden, ein kurzköpfiger brauner mit krausem Haar und ein langköpfiger dunklerer mit langem, straffem[S. 206] Haar; jener gehört der afrikanischen, dieser der südasiatischen Grundrasse an; die Verwandten des ersteren sind die Zwergvölker Mittel- und Zentralafrikas, sowie die Bewohner der Andamanen, die des letzteren die Wedda auf Ceylon, die Semang-Senoi auf Malakka, die Australier und Tasmanier. Beide Typen sind im Laufe der langen Zeiten vielfach Vermischungen miteinander eingegangen, so daß es schwer hält, im einzelnen Falle mit Bestimmtheit zu sagen, welchem Typus der Vertreter eines Inlandstammes angehört. Gemeinsam ist beiden Typen die niedere Körpergröße. Am reinsten hat sich die afrikanische Grundrasse noch in den sogenannten Negrito der Philippinen (Aëta, Baluga, Mammamua und so weiter) erhalten. Reste der Urbevölkerung trifft man auf den meisten Inseln noch an; die bekanntesten Stämme sind auf Sumatra die Kubu und Gajo, auf Borneo die Punam, Ot, Bakatan, Ukit, Kajan, auf Zelebes die Toala und so weiter. Alle diese Stämme stehen auf einer recht niederen Kulturstufe, ähnlich wie die Australier. Größtenteils schweifen sie ohne feste Wohnsitze in kleinen Familienhorden umher, für die Nacht benutzen sie höchstens eine aus Laubblättern hergestellte primitive Regenschutzhütte und leben von den Erträgnissen des Sammelns oder der Jagd auf kleine Tiere. Bei letzterer bedienen sie sich ihrer einzigen Waffe, des hölzernen Wurfspießes; zum Ausgraben der Wurzeln benutzen sie Grabstöcke. Ihre Kleidung besteht bei den auf niedrigster Stufe stehenden Stämmen in einem zwischen den Beinen durchgezogenen Gürtel aus geklopfter Rinde (Abb. 249) und in einer Kopfbinde aus dem gleichen Stoff. Haustiere und Kulturpflanzen kennen die Urstämme nicht, höchstens besitzen sie Hunde und Hühner, die sie durch Tausch mit den kultivierteren Nachbarstämmen erhielten. Schmuck findet sich bei ihnen nur in bescheidenem Maße vertreten oder fehlt gänzlich. Ihre soziale Ordnung beruht auf der patriarchalischen Familie.
Ungleich höher als diese Kultur der Indonesier steht die der eigentlichen Malaien (Abb. 251), selbst in ihren tiefsten Schichten. Sie führen bereits eine seßhafte Lebensweise, soweit sie Ackerbau betreiben. Ihre wichtigste Kulturpflanze bildet der Reis; er wird entweder auf trockenen (Ladangs) oder unter Wasser stehenden (Sawahs) Feldern angebaut. Andere Nutzpflanzen sind Süßkartoffeln, Zuckerrohr, Bananen, Kokos- und Betelpalmen, sowie Gemüse der verschiedensten Art. An Haustieren besitzen sie Büffel, Pferde, Ziegen, Schafe, Hunde, Hühner und so weiter. — Das typische Haus der Malaien ist der Pfahlbau mit Giebeldach. Ähnlich wie in Ozeanien dienen diese Häuser verschiedenen Zwecken. Es gibt Familien-, selbst[S. 208] ganze Sippenhäuser von großen Dimensionen, in denen mehrere Familien zusammenwohnen, und als gemeinsamen Aufenthaltsort die lange Galerie (Abb. 250) benutzen — im Bedarfsfalle wird ein Stück angebaut —, Junggesellenhäuser, in denen die Unverheirateten hausen, sowie Besuchsgäste Unterkunft finden, die öffentlichen Angelegenheiten besprochen werden, auch vereinzelt Häuser für ledige Frauen, ferner Speicher zur Aufbewahrung von Reis und anderen Früchten und kleine Totenhäuschen, die nach dem Muster eines wirklichen Hauses gebaut sind. Die Häuser stehen in Dörfern, den sogenannten Kampongs, zusammen. Die von der Hindukultur beeinflußten Javaner wohnen in Häusern auf ebener Erde; auf einzelnen kleinen Inseln treffen wir auch Rundhütten an.
Die Malaien sind mit einem unterrockartigen Gewande, dem Sarong (Abb. 252), einem Kopftuch oder einer Mütze und einem Umschlagtuche um den Oberkörper bekleidet; die mehr zivilisierten Stämme tragen jetzt auch Hosen. Die Frauenkleidung ist die gleiche, nur fällt bei ihr meistens das Kopftuch fort, dafür aber tritt eine Jacke (Abb. 253) hinzu. Die Stoffe für diese Gewänder sind Erzeugnisse der einheimischen Webekunst. — Ein auf Java beschränktes, aber hier seit undenklichen Zeiten allgemein geübtes Hausgewerbe ist das Batiken (Abb. 254) des einheimischen oder eingeführten Kattuns, das ist das Herstellen warmer Farbentöne auf diesem mittels eines eigenartigen Verfahrens. Auf dem Stoffe werden zunächst die Muster, zumeist Arabesken, sodann aber auch Pflanzen, Tiere und szenische Darstellungen, mittels Wachs abgedeckt, meistens frei[S. 210]händig, bei komplizierteren Mustern auch nach Aufzeichnen mittels Holzkohle. Das Abdecken von schmäleren Flächen, Linien oder Punkten geschieht mit einer Art Füllfederhalter, einem Näpfchen mit lang ausgezogener Ausgußöffnung zur Aufnahme des Wachses, das beständig in kleinen Tonschalen über kleinen Herden flüssig gehalten wird, bei größeren Flächen mittels Pinsels. Das fertig abgedeckte Tuch wird nun ins Farbbad in einen großen Kupferkessel gebracht; dadurch nehmen diejenigen Stellen, an denen das Wachs aufsitzt, keine Farbe an, sondern bleiben weiß, wenn dieses wieder entfernt worden ist. Dies geschieht durch Eintauchen und Umherschwenken des gefärbten Stoffes in kochendem Wasser. So einfach das Batiken auch erscheint, so ist es doch äußerst mühsam und zeitraubend, zumal wenn das Tuch mehrfarbig ausfallen soll, da sich dann der Prozeß des Abdeckens, Färbens, des Wachssammelns und so weiter mehrfach wiederholt.
Recht mannigfaltig ist der Körperschmuck der Malaien. Kopf, Ohren, Hals, Brust, Arme und Beine werden mit allerlei Zierat behängt (Abb. 255 und 258), zu dem mit großer Vorliebe bunte Glasperlen (Abb. 256) — es gibt darunter sehr alte von hohem Wert, die gleichbedeutend mit Geld sind, ähnlich wie alte Tongefäße (Abbild. 257) —, verwendet werden. Aber auch Muschelplättchen, Fruchtkerne, bunte Federn, gefärbtes Holz, Bambusfasern, Zinn, Messing und Edelmetalle (Gold und Silber), sowie Edelsteine finden Verarbeitung. Wie wohl bei keinem anderen Volke sind hier allerlei Körperdeformationen sehr beliebt.
Allgemein verbreitet ist die Sitte[S. 212] der Zähneverunstaltung (Abb. 259), der beide Geschlechter zur Zeit, wenn die Kinder die geschlechtliche Reife erlangen, unterworfen werden. Mittels eines kleinen eisernen Meißels und eines hölzernen Hammers werden die Schneidezähne beider Kiefer sowie vereinzelt auch noch die Eckzähne stückweise abgesprengt, bis sie die richtige Form und Länge erhalten haben, und die Kanten durch Feilen geglättet. Durch dieses sehr schmerzhafte Verfahren erhält das Profil der Zähne ein sägeartiges Aussehen. An das Feilen schließt sich dann noch das Schwarzfärben sämtlicher Zähne an. Zugespitzte und geschwärzte Zähne gelten allgemein für sehr schön, und mit nicht zu verkennender Verachtung blicken die so verschönten Malaien auf die Europäer herab, deren Zähne „denen der Hunde gleichen“. Vornehme Bataker lassen sich überdies noch schmale Goldstreifen an den Zähnen entlang legen oder sie mit Goldschlägerhäutchen, die wieder kleine Ornamente aufweisen, überziehen, auch sie selbst mit Gold- oder Perlmutterstückchen auslegen (Abb. 259). Die Vornahme des Zähnefeilens ist vielfach mit Festlichkeiten, zum mindesten mit einem Schmaus verbunden. Auf Celebes beobachtete man, daß der Operateur für die Arbeit, die er an einer Prinzessin vorgenommen hatte, ein Huhn erhielt, diesem darauf ein Stück vom Kamm abbiß und das aussickernde Blut über Zähne und Lippen der Schönen fließen ließ.
Tatauierung ist gleichfalls ein beliebtes Verschönerungsmittel; die Muster, die dabei entstehen, pflegen recht abwechslungsreich und oft ganz geschmackvoll auszufallen (Abb. 261).
Bei einzelnen Stämmen Borneos und Celebes’ begegnen wir auch der Verunstaltung des Kopfes (Abb. 263). Für gewöhnlich wird der Kopf der Neugeborenen zwischen zwei festen Gegenständen, von denen der eine die Unterlage für das Hinterhaupt bildet, der andere, ein[S. 213] Brettchen, über die Stirn zu liegen kommt, zusammengepreßt, so daß eine Abflachung der vorderen Kopfpartie daraus hervorgeht, was gleichfalls für ein Schönheitszeichen angesehen wird. Auch besondere Vorrichtungen sind hierfür vorhanden (Abb. 262). Auf Celebes muß das Kind in dieser qualvollen Enge monatelang verharren, nur alle zwei Tage wird es für kurze Zeit davon befreit, um gebadet zu werden. Auf Borneo dagegen ist das Vorgehen der Mutter weniger barbarisch, im Gegenteil, man beobachtete, daß sie mit besonderer Fürsorge sich um ihr Kind kümmerte, zwischen Brett und Kopf ein Kissen oder ein Polster aus weichen, fleischigen Blättern legte, ziemlich häufig nachsah und den Apparat lüftete, sobald ihr Kind ein Unbehagen äußerte. — Auch die Ohren bleiben von der Verunstaltung nicht verschont (Abb. 260). Das Läppchen wird durchbohrt und durch Bambuspflöcke oder Tuchknäuel in genügender Weise erweitert, um einen oder mehrere Ringe aus Messing oder Edelmetall und so weiter als Schmuck darin einzuhängen, die durch ihr Gewicht das Ohrläppchen noch weiter ausdehnen, oft bis zu solcher Länge, daß es wie eine Schlinge bis auf die Schulter herabhängt. Auch die oberen Teile der Ohrmuschel werden durchlöchert und mit zierlichen Ringen geschmückt. — Die Weiber pflegen sich auch vielfach die Haare am Unterleib abzurasieren oder mittels Pinzette auszurupfen.
Vor Eintritt der Pubertät werden Knaben und auch Mädchen der Beschneidung unterworfen, namentlich ist dies unter der mohammedanischen Bevölkerung Brauch. Unbeschnittenen Mädchen ist es verboten, in geschlechtlichen Verkehr zu treten oder eine Ehe einzugehen.
Familienzuwachs wird von allen malaiischen Stämmen mit Freuden begrüßt, besonders sind es Knabengeburten, die gern gesehen werden, weil dadurch für Fortführung der Familie[S. 214] Gewähr geleistet wird. Eine Frau, die bei den Batakern dem Gatten keine Knaben schenkt oder alle Söhne durch den Tod verloren hat, kann nicht nur von ihm verstoßen werden, sondern ihr Vater muß ihm auch den für sie seinerzeit gezahlten Brautpreis zurückerstatten.
Damit die Schwangerschaft einen guten Verlauf nehme und das Kind sich wohl entwickle, müssen allerlei Opfer dargebracht oder bestimmte Zeremonien vollzogen werden. Fühlt sich zum Beispiel eine Frau auf den Seranglaoinseln Mutter, so muß sie ein Stück Ingwer von einem Priester durch Anblasen und Abbeten einer Koransure weihen lassen, einen Teil davon kauen, ihn wieder von sich speien und den Rest gut verwahren, auf der Insel Roti muß sie dem Geiste Tefamuli ein Opfer, bestehend in einem roten Hahn, einem Büschel Pisang, sieben Sirehfrüchten, einem Teller Rohreis und einer Kokosschale darbringen; auf Borneo muß die Dajakfrau den Wassergeistern ein kleines Häuschen opfern, das unter Gesang und Trommelschlag entweder in den Fluß versenkt oder in den Wipfel eines Baumes gestellt wird. Das in ihm befindliche, die Schwangere darstellende Püppchen soll all das Unheil, das der angehenden Mutter drohen könnte, an sich ziehen. Bei anderen Stämmen trägt die Schwangere ein Amulett, um sich und ihre Frucht gegen die bösen Geister zu schützen, oder befolgt aus dem gleichen Grunde bestimmte Vorschriften. Bei den Alfuren im nördlichen Celebes hütet sie sich, mit fliegendem Haar einherzugehen, weil sich in ihm die bösen Geister mit Leichtigkeit festsetzen könnten, ebensowenig darf sie abends oder bei Regen das Haus[S. 216] verlassen; auf Roti kaut die Schwangere das Stroh ihres Hauses und speit es von Zeit zu Zeit um sich aus; auf Nias darf sie nicht an Orten vorbeigehen, wo vordem einmal ein Mensch ermordet oder ein Tier getötet wurde, ebenso kein Schwein stechen oder zerlegen, weil sich sonst bei dem Kinde etwas einstellen würde, das den Krümmungen des sterbenden Menschen oder Tieres gleicht, sie darf auch nicht in einen Spiegel oder ein Bambusrohr hineinsehen, weil das Kind sonst einäugig oder schielen würde, nichts verkorken oder verstopfen, weil das Kind sonst an Verstopfung leiden würde, an keinem Orte vorbeigehen, wo der Blitz eingeschlagen hat, weil sonst das Kind eine schwarze Haut erhielte, aus dem Kochtopf nicht essen, weil sonst die Nachgeburt hängen bliebe und vieles andere mehr. Verschiedentlich vermeidet es die Schwangere auch, daß ihr Blick auf häßliche Gegenstände oder Tiere fällt, weil sie fürchtet, daß das Kind davon etwas annehmen könnte. So darf sie zum Beispiel bei den Kenjah sich keinen langnasigen Affen ansehen. Wie auch anderwärts sind der Frau, die guter Hoffnung ist, eine ganze Reihe Speisen verboten, die unter Umständen so zahlreich sind, daß man meinen könnte, daß ihr eigentlich nichts mehr zu essen übrig bliebe.
Selbst der Ehemann bleibt von bestimmten Tabuvorschriften nicht verschont. Wenn er bei den Alfuren nach seiner Rückkehr die Leiter seines Hauses hinansteigt, muß er einzelne Stufen auslassen, damit die Geister, die ihm folgen könnten, auf eine andere Fährte gelenkt werden und somit nicht mit in das Haus eindringen; bringt er seiner Frau gekochten Reis von einem Feste heim, so muß er ein paar Dornen in die Speise stecken und, bevor davon gegessen wird, etwas unter die Hütte werfen; bei den Atschinesen darf er während der ersten fünf Monate der Schwangerschaft kein Tier töten, auch nicht einmal einen Tiger oder eine Schlange, weil sonst die Geburt sich schwer abwickeln und das Kind Eigenschaften dieses Tieres annehmen würde; auf den Mentaweiinseln muß er eine Reihe häuslicher Arbeiten verrichten, die sonst der Frau zufallen, und anderes mehr.
Auch Verwandte und Freunde nehmen gelegentlich an den bevorstehenden Mutterfreuden Anteil. Erfahren sie zum Beispiel auf Java, daß eine Frau guter Hoffnung ist, dann bringen sie ihr Geschenke dar. Bei den Ärmeren bestehen diese in Reis, der durch Safran gelb gefärbt ist, in wohlriechenden Ölen und Kerzen; in den höheren Ständen fügt man noch Kleidungsstücke, goldene und silberne Armbänder, goldene Schmucknadeln und Kupferbecher hinzu. Im siebenten[S. 218] Monat erwidern die Eltern die Geschenke durch einen Festschmaus, bei dem die Schüssel mit Reis, der gelb — die Glücksfarbe — gefärbt ist, niemals fehlen darf. Darauf wäscht die angehende junge Mutter ihren Körper mit der Milch einer Kokosnuß, die der Gatte geöffnet haben muß; auf ihre Schale sind ein Knabe und ein Mädchen mit größter Sorgfalt gezeichnet; hierdurch soll die Mutter günstig beeinflußt werden, daß sie ein schönes Kind zur Welt bringt. Nach dieser Waschung nimmt sie noch ein Bad, in das lieblich duftende Blumen gestreut worden sind, zieht sich sodann neue Kleider an und macht der Hebamme, die sie bei ihren Reinigungen unterstützte, ein Geschenk an Reis, Kokosnüssen und Betel. Am Abend findet noch eine Vorführung des Wayangschattenspieles (siehe S. 250) statt.
Viele Malaienstämme haben bestimmte Weiber, die, ähnlich wie bei uns, berufsmäßig Hebammendienste bei der Niederkunft verrichten, das heißt der Gebärenden nicht nur beistehen, sondern auch die Wöchnerin pflegen, ihr Rat in Kinderangelegenheiten erteilen und Abtreibungen vornehmen. Dagegen ziehen die Tenggeresinnen und Baliinsulanerinnen nur männliche Hilfe bei ihren Geburten hinzu. — Wie während der Schwangerschaft, so sucht man auch bei der Niederkunft nach Möglichkeit den schädigenden Einfluß der Dämonen, die nach Ansicht der Malaien das ganze Leben des Menschen bedrohen, fernzuhalten. Zu diesem Zweck vertreibt man sie auf den Aaruinseln durch Trommeln. Auf den Inseln des Sawuarchipels wehrt man den bösen Geist Wango durch Dornengebüsch von dem Hause ab; auch[S. 219] feindlichen Überfällen sucht man durch solche Sicherheitsmaßregeln, im besonderen durch aufgehäufte Bambussplitter zu begegnen (Abb. 264). Auf Nias stellt man neben der Kreißenden ein Götzenbild in Gestalt eines schwangeren Weibes auf, das sie vor dem Dämon Bechumatiana schützen soll. Bei den Atschinesen hängt man, um einem anderen gefährlichen Dämon den Eintritt in das Haus zu verwehren, an der Decke des Gebärraumes einen bestimmten dornigen Zweig auf, zündet vier kleine Holzfeuer an den Ecken des Hauses an, namentlich wenn die Niederkunft in der Nacht erfolgt, und wirft von Zeit zu Zeit in sie Salz, Pfeffer, Schwefel und Hornstückchen hinein, wodurch ein mächtiger Gestank entsteht, der in gleicher Weise wie die Dornen den Dämon fernhalten soll; außerdem reibt die Hebamme die große Zehe der Kreißenden, als dessen mutmaßliche Eintrittspforte, mit einem Gemisch von fein gestoßenem Pfeffer, Zwiebeln und Asa foetida ein. Bei schwerer Geburt lassen die Atschinesen die Kreißende lauwarmes Wasser trinken, in dem sich eine sogenannte Jerichorose entfaltet hat. Auf Ambon und den Uliaseinseln legt man zur Erleichterung der Geburt auf den Platz,[S. 220] wo die Niederkunft stattfindet, alte Kleidungsstücke des Mannes, damit das Kind, durch den ihnen anhaftenden Schweißgeruch angezogen, recht schnell erscheine.
An die Nachgeburt knüpft sich mancherlei Aberglauben. Eine ganz eigenartige Auffassung über ihre Bedeutung besteht bei den Bewohnern der Inseln Bali und Nias, bei den Atschinesen und so weiter. Sie halten diese nämlich für den Bruder, beziehungsweise die Schwester des Neugeborenen und glauben, daß, wenn jemand stirbt, ihm die Seele seiner Nachgeburt auf dem halben Wege entgegenkomme, um dem Verstorbenen den Weg zum Paradiese zu zeigen. Daher wird die Nachgeburt auch sorgfältig behandelt; meistens pflegt man sie zu waschen und in einem Gefäß, Bambusrohr, in der Blütenhülle des Pinang (Arekablüte) und ähnlichem gut verpackt, entweder im Hause aufzuheben oder in dessen Nähe zu vergraben. Bei anderen Stämmen ist es Sitte, sie auf einem kleinen Bambusfloß, das mit Blumen und Früchten festlich geschmückt und mit Kerzen beleuchtet ist, den Fluß hinabtreiben zu lassen, als ein Opfer für die Krokodile, welche die Seele der Vorfahren beherbergen. Der Aberglaube von dem Nachgeburtszwilling treibt noch weitere Blüten. Wird ein Kind krank, so meint man, daß die Nachgeburt in ihrem Grabe krank geworden sei, und legt daher die Heilmittel auf die Stelle, wo sie verscharrt wurde; bessert sich trotzdem das Befinden des Kindes nicht, so ist man überzeugt, daß die Nachgeburt kein angenehmes Lager gefunden habe, gräbt sie wieder aus und beerdigt sie an einer anderen Stelle. Man vermutet ferner, daß die Seele der Nachgeburt zeitweilig ihre Stätte verlasse, um mit ihrem Zwillinge zu spielen, und daß ein Lächeln des Kindes im Schlafe darauf hindeute. — Die Abtrennung der Nabelschnur wird meistens mit einem Bambussplitter vorgenommen; wollen bei den Atschinesen die Eltern, daß ihr Sohn eine gute Stimme bekomme, so wird dieser Splitter aus einer Bambusflöte geschnitten. Meistens trocknet man den Nabelschnurrest und bewahrt ihn auf: bei Erkrankungen wird er entweder zu Pulver[S. 221] gestoßen und dem Patienten eingegeben oder in Form von Umschlägen angewendet. Verschiedentlich tragen die Kinder ihre eigenen Nabelschnurreste auch als Amulett um Hals und Bauch.
Die Wöchnerin wird allgemein als unrein angesehen. Während dieser Zeit haben bei den Atschinesen nur Frauen zu ihr Zutritt, ausgenommen der Ehegatte, der ihr Essen bringt, aber nur das Notwendigste mit ihr sprechen, sie nie berühren, noch von den Speisen und Getränken, die sie angefaßt hat, etwas essen darf. Merkwürdig ist der Brauch auf den Tanembar- und Timorlaoinseln, daß in der ersten Zeit nach der Geburt der Ehegatte das Kind zu pflegen und zu besorgen hat, während die Frau ihrer gewohnten Tagesbeschäftigung nachgeht; offenbar handelt es sich hierbei um die letzten Ausklänge der ursprünglichen Sitte des Männerkindbettes. — Die jungen Mütter pflegen ihr Kind oft jahrelang selbst zu stillen, aber daneben ihm auch andere Kost zu verabreichen. Ist eine Mutter aus irgend einem Grunde außerstande, ihr Kind selbst zu nähren, dann übernimmt vielfach die Großmutter diese Funktion. Infolge des Reizes, der durch das wiederholte Anlegen an die Brust auf diese ausgeübt wird, kommt es trotz des Alters doch noch zur Absonderung von Milch. Bei der Arbeit schleppt die Mutter ihr Kind in einem Korbe auf dem Rücken mit sich herum (Abb. 265).
Stirbt die Mutter bei der Geburt, so pflegt man allgemein auch das Kind zu töten, weil man entweder annimmt, daß es an dem Tode der Mutter schuld ist, oder weil man fürchtet, daß es doch nur ein Unglücklicher werden würde. Meistens geschieht die Tötung auf grausame Art. Die Dajak legen das Kind lebend in den Sarg der Mutter, die Niasser stecken es in einen Sack und hängen ihn im Wald an einem Baume auf, die Mentaweiinsulaner drücken ihm den Kopf ein und halten ihm Mund und Nase zu und anderes mehr.
Künstliche Abtreibung der Leibesfrucht wird auf den Inseln des malaiischen Archipels in großem Umfange geübt; einige Stämme sollen es zu großer Fertigkeit darin gebracht haben.
Zwillinge werden vielfach, wie auch anderwärts, als ein Unglück angesehen, zumal, wenn sie verschiedenen Geschlechtes sind. Die Dajak geben den männlichen Zwilling als Sklaven fort, die Balinesen verhängen schwere Strafen über die Mutter; sie verbannen sie für mehrere Monate an einen einsamen Ort, brennen ihre Hütte nieder, reinigen das ganze Dorf, und bringen zahlreiche Opfer dar, um die vermeintliche Blutschande im Mutterleibe zu sühnen. Auf einzelnen kleineren Inseln dagegen werden Zwillinge hochgeschätzt, als ein Geschenk der Götter angesehen und besonders gepflegt.
Mit dem Neugeborenen werden ebenfalls allerlei Zeremonien vorgenommen und Mittel angewendet, um den Einfluß der bösen Geister zu verhindern. Sehr beliebt ist als Opfer für sie ein Huhn, dessen Blut über das Kind gespritzt wird. Bei den Batakern läßt man einen Zauberer kommen, der dem Kinde das Horoskop stellen, das heißt sagen muß, ob es unter günstigen oder ungünstigen Gestirnen geboren ist. Bei den Kenjah wird der neue Weltbürger mit Trommelschlag begrüßt, und jeder der anwesenden Hausgenossen erhält für gewöhnlich eine Handvoll Salz zum Geschenk. Wenn sie sich nicht im Hause befinden, erwartet man umgekehrt von ihnen, daß sie dem Kinde ein Geschenk machen. Sehr wichtig ist auch, daß kein Fremder von dem Kinde Notiz nimmt, da man fürchtet, daß eine solche Beachtung die Aufmerksamkeit der Geister auf dasselbe lenken könnte; vergeht sich der Fremde gegen diese Vorschrift, so muß er zur Sühne dem Kinde etwas schenken. — Auf Java wird bei der Geburt eines Knaben ein scharfer Bambusspan in ein Papier, das mit dem javanischen Alphabet beschrieben ist, eingewickelt, in eine Kanne getan und vergraben. In der ersten Nacht nach der Geburt bewachen Leute das Kind und lesen ihm eine Art Erzählung vor; einige Tage später erhält es seinen Namen. Ist es neun Monate alt, dann findet eine Wayangvorstellung statt. Bei den Dajak erfolgt die Namensgebung auf ein bestimmtes Wahrzeichen hin. Man kitzelt dem Kinde mit einer Feder die Nasenschleimhaut; nießt es, so gilt dies für eine günstige Vorbedeutung und die Namensgebung erfolgt; andernfalls wird sie auf später verschoben. Bei der Namensgebung nimmt die Mutter das Kind vor das Haus, badet es, hebt es dreimal nach Westen und dreimal nach Osten in die Höhe, wobei sie Segenswünsche für sein Gedeihen ausspricht, opfert darauf ein Huhn, bespritzt mit dessen Blut ihr Kind und gibt ihm den Namen. Die Alfuren auf Celebes opfern bei dieser Gelegenheit für einen Knaben zwei Böcke, für ein Mädchen nur eine Ziege, deren Köpfe, Fell und Pfoten vergraben werden. Natürlich knüpfen sich an alle diese Handlungen größere oder kleinere Feste. — Bei den Klemantanen erhält das Kind in den ersten paar Jahren seines Lebens noch keinen Namen; man spricht von ihm in unbestimmten Ausdrücken, wie etwa „das Dingsda“ oder „das kleine Wurm“ und dergleichen. Man fürchtet nämlich, daß, da das Kind noch klein und schwächlich ist, es für die bösen Geister empfänglicher ist, und daß es deren Aufmerksamkeit wahrscheinlich noch leichter auf sich lenken könnte, wenn es mit einem Namen gerufen würde. Erst im Alter von drei bis vier Jahren erhält es einen solchen. Für gewöhnlich wird der Name des Großvaters beziehungsweise der Großmutter dazu gewählt, wenn diese besonderes Glück im Leben gehabt haben. Wird das Kind aber von Unglück verfolgt, oder bekommt es eine ernste Krankheit, dann wird sein Name gewöhnlich gegen einen anderen vertauscht. Manchmal wählt man auch einen unschönen Namen, etwa entsprechend unserem „Dung“ oder „schlecht“ aus dem schon angegebenen Grunde, um die unfreundlichen Geister irrezuführen. Bei den Kajan am oberen Rejang ist die Namensfeier sehr verwickelt. Die Dajong, eine Frau, die im Namengeben bewandert ist, wird gerufen, und alle Familienmitglieder werden zu einem großen Festessen eingeladen, zu dem man alles mögliche Eßbare an Fischen und Tieren, auch Bananen herbeischleppt. Die Dajong bringt[S. 224] ein Hühnerei mit und bestreicht damit das Kind vom Nabel bis zur Stirn; bei jedem Strich spricht sie einen Namen aus, bis sie glaubt, einen passenden gefunden zu haben. Dann wird das Kind in einen großen Raum gebracht, wo ein Huhn geopfert und seine Eingeweide auf etwaige gute Vorbedeutung untersucht werden. Trifft diese zu, dann stimmt die Dajong einen Gesang an und erbittet den Schutz der guten Geister für das Kind. Nachdem sodann sechzehn Männer und ebensoviele Frauen, deren Eltern noch am Leben sind, Wasser zur Benutzung für Mutter und Kind herbeigebracht haben, beginnt das Essen. Einige der Gäste essen dabei zum Besten des Kindes, wenn es noch zu jung ist, um selbst daran teilzunehmen. Acht Tage später wird der Schutz der Geister wiederum angerufen, und das Kind den Hausgenossen gezeigt. Ein naher Verwandter zeichnet ihm mit einem Stück Holzkohle ein Kreuz auf den rechten Fuß; sodann bringt man das Kind vor die Tür eines jeden Dorfbewohners, damit er es beschenkt. Hierauf muß es acht Tage in dem Raum der Eltern bleiben, ehe es wieder heraus darf. Wenn dann bis zum nächsten Herbst dem Kinde kein Unglück zugestoßen ist, wird sein Name bestätigt; ist ihm aber irgend etwas geschehen, so erhält es den Namen irgend eines Verwandten, dem es gut geht, dafür verliert es den ersten Namen. Selten behält übrigens ein Angehöriger der Klemantanen den Namen, der ihm als Kind gegeben wurde, sein ganzes Leben lang. Nach einer jeden Krankheit oder irgend einem Unglück wird er gewechselt, damit die bösen Mächte, die beständig in der Umgebung der Menschen weilen, unter dem neuen Namen ihn nicht mehr erkennen.
Bei den Balinesen sind die Zeremonien anläßlich einer Geburt ziemlich die gleichen wie bei den Javanern, nur kommen sie bei gewissen Gebräuchen in Wegfall, die der Islam vorschreibt. — Bei den Atschinesen erhält die Schwangere im vierten bis sechsten Monat einen zeremoniellen Besuch von ihrer Schwiegermutter, die ihr ein Geschenk bringt und dafür Tabak und Nahrungsmittel mitnimmt. Ebenso fühlen sich andere Besucher verpflichtet, der angehenden Mutter Geschenke zu machen. Auch hier trifft man tausenderlei Vorsichtsmaßregeln gegen den Einfluß der bösen Geister. — Bei der Wöchnerin wird vierundvierzig Tage lang ein Feuer unterhalten. Die Wiege des Kindes wird mit Amuletten behängt, um das Kind gegen den Pontianak gefeit zu machen. Es ist dies ein Teufel, der nur aus einem Kopf besteht, von dem Eingeweide heraushängen. Sieben Tage nach der Geburt wird dem Kinde der Kopf rasiert, was ohne Festessen nicht abgeht, und bald darauf unter Darbringung eines mohammedanischen Opfers ihm der Name gegeben.
Im Alter von etwa neun bis zwölf Jahren werden die Knaben der Dajak als Mitglied der Gemeinde aufgenommen; verschiedentlich bekommen sie auch dann einen neuen Namen. Bei den Kajan findet bei dieser Gelegenheit eine große Zeremonie statt, bei der ein auf der nachfolgend beschriebenen Kopfjagd erbeuteter Schädel eine wichtige Rolle spielt. In dem Hause, in dem sich mehrere Knaben befinden, denen noch nicht die Aufnahme zuteil geworden ist, schlachtet ein dazu erwählter Zeremonienmeister ein Huhn und zerlegt es in drei Stücke, eins davon für die Erwachsenen, ein zweites für die Knaben und ein drittes für die kleinen Kinder. Darauf bindet er jedem Knaben ein Armband aus Palmblattstreifen um das Handgelenk und besprengt es mit dem Hühnerblut. Nun muß jeder Knabe dem erbeuteten Kopf, den die heimkehrenden Männer mit großem Gepränge anbrachten, einen Schlag austeilen. Schließlich werden die Knaben an einen Fluß geführt, um hier zu baden, währenddessen wird ein Büschel Palmblätter, mit dem der Schädel geschmückt war, über sie geschwenkt. Kein Jüngling darf sich einem Kriegszuge anschließen, bevor er diesen Ritus nicht durchgemacht hat. Einige Jahre nach dieser Einweihungsfeier werden die bereits oben geschilderten Körperverunstaltungen an den Knaben vorgenommen. In gleicher Weise müssen sich ihnen auch die Mädchen unterziehen.
Das heiratsfähige Alter tritt bei den malaiischen Stämmen bereits sehr früh ein.[S. 225] Die Banjanesinnen auf Borneo sollen schon mit acht bis neun Jahren, die Javanerinnen sogar mit sieben bis acht Jahren in die Ehe treten, also schon zu einem Zeitpunkt, wo sich die geschlechtliche Reife bei ihnen noch nicht eingestellt hat und sie noch nicht zur Mutterschaft gelangen können. Entsprechend frühzeitig heiraten auch die jungen Männer.
Auf der Insel Nias ist es nicht ungewöhnlich, daß wohlhabende Männer ihren zwei- bis dreijährigen Sohn mit einem erwachsenen Mädchen verheiraten und damit die ehelichen Rechte und Pflichten des jungen Ehemanns so lange übernehmen, bis dieser dazu allein imstande ist. Daher kann es vorkommen, daß die junge Frau nicht nur ihrem Kinde, dessen Vater ihr Schwiegervater ist, sondern auch ihrem gesetzlichen Manne gleichzeitig die Brust reicht. — Auch auf Java werden die Ehen sehr frühzeitig geschlossen; hier sieht man nicht selten sehr begüterte junge Burschen im Alter von dreizehn bis vierzehn Jahren im Besitze eines Harems. — Über die Keuschheit der Mädchen vor der Ehe herrschen ganz verschiedene Anschauungen in Indonesien; bei einigen Stämmen ist der Geschlechtsverkehr den Mädchen erlaubt, bei anderen dagegen wird daran großer Anstoß genommen. Unter den Batakern ist ein „Ausleben“ der jungen Mädchen etwas Selbstverständliches, und ein solches, das jungfräulich stirbt, wird nach ihrer Annahme zu einem bösen Geiste, der den Männern nachstellt, weil es bei Lebzeiten die Freuden der Liebe nicht kosten konnte. Auf den Mentaweiinseln empfangen junge Mädchen direkt ihre Liebhaber in einer der zahlreichen kleinen Feldhütten, die außerhalb des Dorfes erbaut sind, um mit ihnen die Nächte zuzubringen. Bei den Tenggeresen auf Java wird einem jungen Mann, der eine befreundete Familie besucht, für die Nacht die Tochter des Hauses zur Verfügung gestellt. Dagegen halten die Dajak Südostborneos sehr auf geschlechtliche Reinheit ihrer Töchter. Hat ein junger Mann trotzdem ein Mädchen verführt, so ist er gezwungen, es zu heiraten; außerdem müssen beide zur „Reinigung“ des Dorfes ein Huhn und ein Schwein schlachten lassen und alle Dorfbewohner zum Verzehren einladen. Bei anderen Stämmen werden die Mädchen,[S. 226] die sich außerehelich preisgeben, mit dem Tode bestraft oder in sehr schwere Geldstrafe genommen. Dies gilt auch für verschiedene Stämme auf Sumatra und Celebes. Die Sibuyan (Borneo) sehen uneheliche Mutterschaft sogar für eine schwere Beleidigung der höheren Mächte an, wofür der ganze Stamm von ihnen bestraft werden würde; sie bringen daher für gefallene Mädchen Sühneopfer dar und bestrafen die Schuldigen, beziehungsweise deren Eltern. — Die Bewohner der Insel Nias führen ein Ausbleiben des Regens auf eine außereheliche Schwangerschaft zurück und untersuchen vorkommendenfalls alle jungen Mädchen im Dorfe daraufhin. Jede Schwangere, die man findet, wird mit ihrem Verführer getötet. Um dieser harten Strafe zu entgehen, kommen manche Mädchen auf den Gedanken zu behaupten, sie wären von einem bösen Geiste geschwängert worden; der Volksglaube läßt aber aus solcher Verbindung Albinos hervorgehen. Wird nun ein Kind geboren, das kein Albino ist, dann forscht man unter den jungen Männern nach, welchem es ähnlich sieht, und erklärt diesen für den Vater. Dieser mutmaßliche Verführer und das junge Mädchen werden daraufhin auf grausame Weise getötet, das Kind aber wird in einem Sack an einen Baum gehängt und dem Hungertode preisgegeben.
Bei einigen Stämmen Borneos kommt auch Prostitution vor, und zwar geben sich gewisse Priesterinnen (Balian) dazu her; sie nehmen trotzdem eine geachtete Stellung unter der Bevölkerung ein. Ebenso sollen auf Java Prostituierte im herzlichen Verkehr mit ihren Angehörigen bleiben und sich nach Aufgabe ihres Gewerbes noch verheiraten können und selbst für ehrenhafte Frauen gelten. — Sehr verbreitet scheint auf Borneo und Celebes die[S. 227] männliche Prostitution zu sein. Diese Leute (Basir genannt) ahmen in der Kleidung und im Benehmen die Frauen nach und geben sich gegen entsprechende Bezahlung homosexuellem Verkehr hin. Wegen ihrer abnormen Veranlagung werden sie vom Volke für etwas Höheres gehalten, nehmen daher die Funktionen von Priestern wahr und gelten für Vermittler im Verkehr mit den Geistern. Manche Männer knüpfen dauernde Liebesverhältnisse mit solchen Basir an und schließen mit ihnen sogar eine regelrechte Ehe. Allerdings darf man nicht bei allen Männern, die nach Weiberart gekleidet einhergehen, annehmen, daß sie homosexuellen Neigungen nachgehen; denn es kommt auch vor, daß sie ihr Gewand geändert haben, um böse Geister, die sie jahrelang mit Unglück und Krankheit verfolgten, dadurch zu täuschen.
Die Indonesier scheinen sehr sinnlich veranlagt zu sein. Um den Weibern die Freude beim Geschlechtsgenuß zu erhöhen, ist es bei verschiedenen Stämmen des Archipels (Dajak, Bisayo) üblich, die Eichel des männlichen Gliedes zu durchbohren und durch die Öffnung ein Stäbchen aus Elfenbein, Messing oder Silber zu stecken, das nicht selten an jedem abgerundeten Ende noch eine kleine Kugel aus Metall oder Stein trägt. Diese Vorrichtung, Ampallang, Palang, Utang oder Kampion genannt, wird erst vor Vollziehen des Beischlafes angelegt. Die Weiber einiger Stämme sind nicht mit einem einzigen Stäbchen zufrieden, sondern verlangen deren drei, die durch drei Öffnungen in verschiedenen Richtungen des Gliedes gesteckt werden. Die Frauen sollen in Männer, die über solche mechanische Reizmittel verfügen, wie vernarrt sein und nur solche zu heiraten pflegen.
Gewöhnlich ergreift der Jüngling die Initiative, um Liebe zu gewinnen, nur bei[S. 228] den Kalabit tut dies das Mädchen. Die Seedajak kennen einen eigenartigen Liebestrank, um sich ein Mädchen geneigt zu machen oder deren verlorene Liebe wieder zu gewinnen, den Jayan. In der Hauptsache besteht er in Kokosnußöl, das aber ein noch in der Reife stehendes Mädchen zubereitet haben muß, und anderen Zusätzen, die dem Hersteller im Traume genannt wurden. Sehr wirksam sollen darunter die Tränen eines weiblichen Meerschweinchens sein; allerdings sind diese schwer zu erlangen, da man einem Tiere seine Jungen fortnehmen muß, um es zum Weinen zu bringen. Die Flüssigkeit wird in drei Gefäße gefüllt, die mit Zeugstopfen verschlossen werden; der Verschluß der kleinsten Flasche wird mit einer Nadel durchstochen. Man will damit erreichen, daß, wie die spitze Nadel in den Stoff sich einbohrte, auch der Liebeszauber in das betreffende Mädchen eindringe. Das Ganze muß an einem Orte, der von Menschen wenig begangen wird, versteckt werden. Vor der Anwendung wird an einem entlegenen Platze ein Feuer angezündet, in dieses wohlriechende Kräuter und aromatische Rinde gestreut und unter Hersagen eines Zaubergesanges das Gemisch über der Flamme hin und her geschwenkt. Darauf reibt man damit entweder das Lager oder die Kleider der Person, die man sich in der Liebe geneigt machen will, oder sie auch selbst im Schlafe ein, oder setzt die Mischung den Bestandteilen beim Betelkauen zu. Wer so behandelt wird, der findet angeblich nicht eher Ruhe, bis er sich in Liebe mit dem Spender vereinigt hat. Fühlt sich ein Dajakjüngling von einem Mädchen angezogen, so stattet er ihm Besuche ab, und zwar für gewöhnlich des Nachts, weil das Mädchen dann von ihren Eltern getrennt, wenn auch oft in demselben Raume schläft. In solchen Fällen pflegt man von ihm zu sagen, er sei Tabak suchen gegangen; eine Redensart, die wohl darin ihren Ursprung haben mag, daß die Frauen des Hauses den Gästen Zigaretten verabreichen. Der Jüngling weckt das Mädchen und macht ihr ein Geschenk durch eine Betelnuß, die er sorgfältig in ein Sirihblatt eingehüllt hat. Nimmt sie es an, so erblickt er hierin das übliche Zeichen der Ermutigung dafür, daß er bleiben und sich mit ihr unterhalten darf. Nach dem ersten Besuche läßt er manchmal unter dem Kopfkissen des Mädchens eine Halskette aus den aufeinandergereihten wohlriechenden Samen[S. 229]körnern der Balongfrucht zurück. Sagen dem Mädchen die Besuche ihres Bewerbers zu, so gibt es ihm dies auf irgendeine Weise zu verstehen, meistens durch eine Zigarette aus Tabak. Bei den Dajak herrscht, wie bereits erwähnt, das Herkommen, den Gästen Zigaretten, die in getrocknete Bananenblätter eingewickelt sind, anzubieten. Das Mädchen pflegt dann ihrem Verehrer eine nach besonderer Art zusammengebundene Zigarette zu geben, wenn sie den Wunsch hegt, daß er seinen Besuch verlängern möchte. Findet der Jüngling, daß das Mädchen seine Besuche gern sieht, dann wiederholt er sie. Bei glattem Verlauf der ganzen Angelegenheit reißt ihm das Mädchen die Haare der Augenbrauen und die Wimpern mit einer messingnen Haarzange aus, während er mit seinem Kopf auf ihrem Schoße ruht; besitzt er etwa nur wenig Haare, dann pflegt sie wohl zu sagen, daß ein anderes Mädchen sie schon vor ihr ausgerissen habe. Wenn die Sache so weit gediehen ist, verbleibt der Jüngling auch die ganze Nacht bis zum frühen Morgen bei seiner Liebsten. Sodann verlangt er von einem seiner Bekannten, daß er den Eltern seines Mädchens von seiner Heiratslust Mitteilung mache. Diese geraten auf diese Nachricht hin in Erstaunen, manchmal auch nur zum Schein. Begünstigen sie das Verhältnis, so macht der junge Mann ihnen ein Messinggong oder eine wertvolle Perle als Unterpfand seiner Aufrichtigkeit zum Geschenk; wird später das Verhältnis aus irgendeinem Grunde, für den er nicht verantwortlich[S. 230] gemacht werden kann, gelöst, so erhält er die Geschenke zurück. Jetzt erfordert die gute Sitte, daß auch die Öffentlichkeit ihre Anerkennung gibt; irgend ein Freund macht dem Häuptling Mitteilung, der die Sache entweder gutheißt, womit das Verlöbnis geschlossen ist, oder irgendeinen Einwand dagegen erhebt, dann aber auch für gewöhnlich dafür sorgt, daß die Hochzeit überhaupt nicht stattfindet. Nach der Verlobung sucht man nach günstigen Vorbedeutungen für die Hochzeit. Der Schrei bestimmter Vögel und der Rehe, wenn sie in der Nähe des Hauses vernommen werden, gelten als böse Vorbedeutungen; ein Kundiger wird in den Wald gesandt, um dafür gute zu suchen oder wenigstens solche, die genügen, um nicht allzu schlechte wieder auszugleichen. Das Pfeifen eines Trogon, das Zirpen des Mauerspechtes und der hohe Flug eines Habichts von rechts nach links gelten als günstige Zeichen. Sind dagegen die Vorzeichen fortdauernd schlechte, so wird die Hochzeit um ein Jahr aufgeschoben, worauf man die Schicksalsfragen von neuem stellt. Inzwischen verläßt der Jüngling meistens das Dorf, um sich auf die Probe zu stellen; er sieht sich nach anderen Mädchen um für den Fall, daß er sich in seiner ersten Wahl geirrt haben sollte. Kehrt er aber ebenso gesonnen wieder heim, wie er fortgegangen ist und hat man inzwischen gute Vorbedeutungen erhalten, so findet die Hochzeit bald statt, vielfach nach der Ernte um die Zeit des Neumonds, denn diese gilt für die günstigste. Am Tage vor der Hochzeit läßt sich der Bräutigam angelegen sein, einen möglichst großen Vorrat an Betelnüssen und anderen eß[S. 231]baren Dingen zu beschaffen, damit die Gäste während der bevorstehenden Zeremonie etwas zu kauen haben. Er selbst und seine Angehörigen machen den Eltern des Mädchens viele Geschenke, deren Zahl sich nach der gesellschaftlichen Stellung der Teilnehmer richtet. Findet die Hochzeit im Hause der Braut statt, so werden Freunde beider Familien dazu eingeladen; sie versammeln sich in der langen Galerie des Hauses (Abb. 266). Früh am Morgen erscheint der Bräutigam mit seinen Trauzeugen und einer Anzahl Krieger im vollen Kriegsstaat (Abb. 267) im Boot vor dem Hause der Braut, selbst wenn er nur wenige Schritte von ihr ab wohnen sollte. Sie marschieren alle zum Hause heran und stellen manchmal große Messinggongs, die sie mitbrachten, in der Galerie in solchen Zwischenräumen auf, daß die Braut von einem zum anderen treten kann; auch bringen sie Geschenke mit, die sie vor der Türe aufhäufen. Darauf versuchen der Bräutigam und seine Gesellschaft die Türe mit Gewalt zu öffnen, aber die Partei der Braut tritt ihnen entgegen und treibt sie zurück, worauf sich ein Scheinkampf entspinnt. Dieser Versuch mit seinen Folgen wiederholt sich mehrere Male, bis schließlich der Bräutigam und seine Partei ins Zimmer gelangen, aber dann vielleicht die Entdeckung machen, daß die Braut durch eine andere Türe in das Zimmer eines ihrer Nachbarn entschlüpft ist. Hat der Bräutigam die Spur der Braut ganz verloren, so setzt er sich mitten ins Zimmer hin und raucht gemütlich Zigaretten. Bald erscheint die inzwischen nachgiebig gewordene Braut mit ihren Freundinnen, findet aber von seiten des Bräutigams keine Beachtung. Jetzt ist der Zeitpunkt für die Festsetzung der Mitgift gekommen; den bereits mitgebrachten Gongs werden bisweilen noch weitere als Teilzahlung hinzugefügt. Ein Schwein wird darauf getötet, und wenn die Unter[S. 232]suchung seiner Eingeweide günstige Anzeichen ergibt, besprengt eine Dajong alle Anwesenden mit dem Blute, segnet gleichzeitig das junge Paar ein und wünscht ihm gut Glück und viele Kinder. Schließlich treten die Jungvermählten von Gong zu Gong; damit ist die Zeremonie beendet bis auf einen noch folgenden Schmaus. — Der Anklang an die ursprüngliche Raubheirat tritt noch deutlicher zutage, wenn der Bräutigam eine Entführung in Szene setzt. Er sowie seine Anhänger rudern mit dem Mädchen davon, werden aber von den Angehörigen und Freunden des Mädchens scharf verfolgt. Jene werfen in einemfort wertvolle Gegenstände aus dem Boot ans Ufer, um die Verfolger dadurch zu veranlassen, daß sie diese aufheben, und sie so am Näherkommen zu hindern. Dies wird so lange fortgesetzt, bis die Verfolger annehmen, daß sie den ganzen Besitz des Bräutigams erwischt haben; dann erst lassen sie ihn und die Braut in Ruhe.
Bei den Balinesen regeln die Eltern gleichfalls durch Festsetzung des Kaufpreises die Heirat ihrer Kinder. Dabei muß streng darauf gehalten werden, daß das Brautpaar derselben Kaste angehört, nur die Brahminen haben das Recht, sich Frauen aus jeder der vier Kasten zu holen. Bei Leuten mit geringeren Mitteln stellt sich eine Braut aus ungefähr vierzig bis zweihundert, bei reicheren auf tausend Mark. Fast immer muß der Bewerber in dem Hause der Schwiegereltern längere Zeit arbeiten, um sich den Menadid, das heißt den Brautpreis dadurch zu verdienen. Daher greift in neuerer Zeit mehr und mehr der Brautraub um sich; nicht selten findet direkte Entführung des Mädchens gegen den Willen der Eltern statt. Der Räuber muß dann sein Opfer so lange verborgen halten, bis die Eltern ihr Jawort gegeben und den Kaufpreis erhalten haben. Weigern sie sich, dann trifft der Fürst die Entscheidung. Ohne Zustimmung der Eltern oder Eingreifen eines Prinzen darf keine Ehe geschlossen werden. Das Los einer Balinesin ist ein äußerst trauriges, wenn sie dem Manne keine Kinder oder nur Töchter schenkt, denn darin liegt eine Strafe für begangenes Unrecht; sie kann ihr Schicksal nur dadurch bessern, daß sie einen Sohn bekommt. Selbst die Frauen der Prinzen sind davon nicht ausgenommen. Manchmal wird die Schwierigkeit durch Adoption[S. 233] eines Neffen oder eines fremden Kindes gehoben. — Einer Witwe aus hoher Kaste ist die Wiederverheiratung bei Androhung der schwersten und entehrendsten Strafen verboten.
Bei den Atschinesen kommt die Heirat durch Vermittler zustande. Das Mädchen erhält von ihrem Verlobten ein Geschenk, das sie auch behält, wenn die Verlobung ohne ihre Schuld aufgelöst wird. Die Jungverheiratete lebt nach ihrer Hochzeit mit ihrer Mutter weiter und empfängt den Besuch ihres Gatten; ihre Eltern bestreiten zunächst den Haushalt, jedoch ist der Mann später verpflichtet, seiner Frau zur Deckung der Unkosten für den Unterhalt Geschenke zu machen.
Nach der Hochzeit lebt das junge Paar zunächst in der Wohnung seines Schwiegervaters, wie bereits bei den Besprechungen im voraus vereinbart wurde. Hier bleibt es während des ersten Jahres der Ehe; währenddessen arbeitet der Ehemann auf dem Felde und hilft den Eltern seiner Frau. Darauf erst nimmt sich das Paar eine eigene Stube im Dorfe des Mannes und führt einen eigenen Haushalt. Während also bei den hier geschilderten Kajandajak schon das Patriarchat herrscht, geht bei den Punan noch der Mann bei seiner Heirat in die Gemeinde der Frau über (Matriarchat), und dies meistens auf Lebenszeit. In diesem Falle hat er den Eltern keinen Kaufpreis zu zahlen, sondern nur ein kleines Geschenk in Gestalt von Tabak zu machen. — Auf einigen Inseln ist noch die Leviratsehe bekannt. Bei den Batakern Westsumatras darf die Witwe aber nur den jüngeren Bruder des Verstorbenen heiraten, denn die Ehe mit dem älteren würde als Blutschande gelten und den Freier die Todesstrafe treffen.
Als Gegenstück hierzu eine Hochzeitsfeierlichkeit bei den Javanern. Hier wählen[S. 234] die Eltern für ihre Kinder die Ehegatten aus und beraten über die Mitgiftsbedingungen. Die Eltern des Mädchens geben denen des Knaben ein Verlobungspfand, die ihrerseits bald darauf den Kaufpreis für die Braut in Silber, Schmucksachen, Stoffen und Eßwaren anbieten; Vater und Mutter des Mädchens erhalten noch ein besonderes Geschenk. An dem Tage, an dem diese Geschenke überreicht werden, finden sich Freunde und Angehörige beider Parteien auf Einladung zu einem Festessen ein. Am Vorabend der Hochzeit bleiben die zukünftigen Eheleute wach; täten sie dies nicht, dann könnte ein Unglück eintreten. Am nächsten Tage findet die Eheschließung nach mohammedanischem Brauch in der Moschee statt. Musik geht voran, der Bräutigam, von seinen Freunden begleitet (Abb. 270 und 273), folgt mit bemaltem Gesicht in einem Prunkgewand (Abb. 272); die Braut aber bleibt zu Hause und wird in der Moschee durch ihren Vormund vertreten. Alsdann begibt sich der Bräutigam, nachdem er ein anderes kostbares Gewand angelegt hat, in das Haus seiner Frau, die ihn erwartet. Sie ist aufs feinste geschmückt (Abb. 275); ihr Gesicht ist gleichfalls bemalt, ihr Oberkörper und die Arme sind unbedeckt, jedoch mit einer Mischung aus Mohnöl und Safran gesalbt. Nachdem sie ihrem Gatten zum Zeichen des Gehorsams die Füße gewaschen hat (Abb. 274), wird sie im feierlichen Zuge zu dem Heim ihrer neuen Familie geleitet, wo für alle Gäste ein Festessen stattfindet. Am nächsten Tage wiederholt sich das Fest im Hause der Eltern der Braut, und erst am dritten Tage darf sich das junge Paar im eigenen Heim häuslich einrichten. — Zu allen Festlichkeiten, die aus Anlaß einer Geburt, Hochzeit oder eines Todesfalles stattfinden, pflegen die Javaner Opfer in Nahrungsmitteln darzubringen (Abb. 269). Die Malaien im Süden Sumatras schlachten zu ihren Festen jedesmal einen Ochsen. Nachdem dieses vorüber ist, hüllen sie den Kopf des Tieres in[S. 235] weiße Tücher und legen ihn unter das Haus des Dorfhäuptlings oder des Gastgebers (Abb. 268). — Kinderverlobungen kommen bei den Javanern zu dem Zwecke vor, dem Kinde beizeiten eine vorteilhafte Partie zu verschaffen; in diesem Falle bleiben die beiden Kleinen in ihrem elterlichen Heim, bis sie die Reifezeit erreicht haben, worauf dann erst die Ehe vollzogen wird.
Die weitaus häufigste Eheform des malaiischen Archipels ist die Einehe, jedoch begegnen wir auch der Vielweiberei und selbst Spuren der Vielmännerei. In der Landschaft Lampong (Südsumatra) heiraten manche Männer mehrere Frauen, um sie gegen Bezahlung an andere auszuleihen und damit ein einträgliches Geschäft zu machen. Diese Gepflogenheit machen sich sehr wohlhabende junge Leute zunutze, indem sie ein armes Mädchen, das sie lieben, aber als unter ihrem Stande stehend nicht heiraten können, gegen Bezahlung einem armen Menschen aufhängen und dann im Hause als gern gesehener Hausfreund verkehren. An die Vielmännerei, die früher auf den Keyinseln üblich gewesen sein soll, erinnert die Sitte der Punan im Innern von Borneo, daß alte Männer, die in kinderloser Ehe mit einer jungen Frau leben, einen gesunden, kräftigen Burschen ins Haus nehmen, damit er als dritter im Bunde dem Gatten zur Vaterschaft verhelfe. Mag vor der Ehe sexuelle Freiheit der jungen Mädchen bestanden haben oder nicht, auf jeden Fall ist die verheiratete Frau verpflichtet, dem Manne die Treue zu halten. Nur vereinzelt kommen Ausnahmen vor und dies nur aus besonderem Anlaß; wenn zum Beispiel gute Freunde oder Blutsbrüder einander besuchen, dann überläßt der Hausherr seinem Gastfreunde für die Nacht gelegentlich wohl seine Frau. Sonst aber ist den Frauen strenge Keuschheit zur Pflicht gemacht. Der beleidigte Gatte hat meistens das Recht, auf frischer Tat den Verführer und seine schuldige Gattin zu töten, oder letztere als Sklavin zu verkaufen. Bei manchen Stämmen der Dajak hat auch der Mann die Pflicht, die eheliche[S. 236] Treue zu halten. Die betrogene Ehefrau soll mitunter befugt sein, ihrer Nebenbuhlerin mit einer Keule auf den Kopf zu schlagen. Ehescheidung ist im allgemeinen auf dem malaiischen Archipel nicht so leicht, wie zum Beispiel in Ozeanien, jedoch können die Dajak jederzeit ohne triftigen Grund, schon auf den Laut eines unheilverkündenden Tieres hin, die Frau fortschicken. Es soll daher dort nicht selten vorkommen, daß Frauen sieben- bis achtmal den Gatten gewechselt haben, bevor sie für immer in den Hafen der Ehe einlaufen. Im allgemeinen aber geben Untreue der Frau, auch wohl von seiten des Mannes, und Mißhandlung der Frau die wichtigsten Scheidungsgründe ab. Im letzteren Falle erhält der Ehemann nicht nur den Brautpreis nicht zurück, sondern muß auch die bei der Hochzeit erhaltenen Geschenke herausgeben, ebenso deren Kosten zurückzahlen. Auf Java dagegen ist die Ehescheidung leicht, dank den Erleichterungen, die der Islam den Männern gewährt; hier sind solche beinahe etwas Alltägliches. Der Ehemann kann sich freimachen, wenn er nur die ausbedungene Summe an die Frau zahlt.
Der Glauben der Malaien, sofern sie nicht Anhänger des Islam sind, kennt drei Arten Geister. Erstens übernatürliche Geister, die sehr weit in kaum geahnten Fernen wohnen, große Macht besitzen, in alle menschlichen Dinge einzugreifen und gleichsam die wirklichen Götter vorstellen; sie erfreuen sich großer Scheu und Verehrung. Zweitens die Geister lebender und verstorbener Personen, jene in Verbindung mit den Weissagetieren und solchen Tieren, wie Schwein, Hund, Krokodil, Huhn und einigen anderen mehr. Drittens eine Unmasse Geister, die sich unter die vorstehend genannten Gruppen nicht einreihen lassen, die aber nach dem Aberglauben der Malaien alles auf der Erde umgeben. Sie sind bald wohlwollend, bald übel gesonnen, meistens aber das letztere. Als solche gelten zum Beispiel die Geister, die nach dem allgemeinen Glauben die im Hause hängenden erbeuteten Schädel umgeben.
Der Malaie glaubt, daß die Götter über alles, was sein Leben anbetrifft, die Oberaufsicht führen. Auch unter ihnen unterscheidet er freundliche und unfreundliche Wesen. Wenn Bitten an sie zu richten sind, so geschieht dies durch die Seelen der Schweine oder Hühner, von denen jedesmal ein Tier geschlachtet wird, so oft man die Götter unter Beihilfe des aufsteigenden Rauches eines Feuers anrufen will (Abb. 271). Richten die Kajan Gebete an die Götter zum Besten des ganzen Hauses, dann pflanzen sie einen Baum in die Erde, aber mit der Krone nach unten und mit der Wurzel himmelwärts; dadurch meinen sie eine Art Verbindungsleiter mit ihnen herzustellen. Für gewöhnlich wird auch eine feierliche Handlung vor einer roh geschnitzten Figur (Abb. 276) vorgenommen, die vor dem Hause steht, die aber keinen Götzen vorstellen soll, sondern eher als Altar oder Symbol des Gottes aufgefaßt werden muß. Als Überbringer der Botschaften von den Göttern sieht man Tiere (Abb. 277), im besonderen Vögel an. Da diese also die Verbindung zwischen Göttern und Menschen vermitteln, sind sie Gegenstand besonderer Ehrfurcht. Überhaupt spielt die Weissagung bei allen wichtigen Angelegenheiten eine große Rolle; stets pflegt man dann die betreffenden Tiere zu Rate zu ziehen. Wenn die Untersuchung der Eingeweide eines Schweines (Abb. 279) oder eines Huhnes kein gutes Vorzeichen zutage gefördert hat, tötet man noch mehr Tiere, bis es vielleicht den Weissagern gelingt, eine günstige Vorbedingung zu verkünden. Sehr häufig werden den Göttern auch Opfer gebracht; hier sind es wiederum in erster Linie das Schwein und das Huhn, die dazu verwendet werden. Aber auch kostbaren Besitz ihnen darzureichen scheut man sich nicht; so zum Beispiel schneidet eine Frau ihr Haar bei Erkrankung des Kindes als Opfer ab. Alle Geister der dritten Gruppe sind böswillig oder wenigstens leicht beleidigt und imstande, Männern wie Frauen Unglück zu bringen. Die einflußreichsten unter ihnen pflegt man mit den schon erwähnten eingetrockneten Menschenköpfen in Zusammenhang zu bringen, die bei irgend einem Überfall erbeutet wurden. Indessen darf man sie nicht für die Geister derjenigen ansehen, von deren Schultern der Kopf abgehauen wurde, sondern es sind dies[S. 238] fremde Geister, die um die Köpfe herumzuschweben scheinen. Sind sie beleidigt worden, etwa durch Nichtbeachtung der gebräuchlichen Aufmerksamkeiten, die man, wie üblich, den abgeschlagenen Köpfen zollen muß, dann beleben sie diese und lassen sie mit den Zähnen klappern.
Die Kopfjagden sind so weit verbreitet, als Malaien wohnen, von Assam an über die Sundainseln bis nach den Molukken und den Philippinen hinauf. Die Beweggründe für das Heimbringen von Köpfen der erschlagenen Opfer sind mehrfache. Zunächst gilt derjenige, der möglichst viele Köpfe erbeutet hat, für einen großen Krieger und erfreut sich besonderer Achtung unter seinen Dorfgenossen; ein Jüngling, der ein solches Zeichen der Tapferkeit noch nicht aufzuweisen hat, findet bei seiner Schönen kein Gehör. Außerdem pflegt man die Handgriffe der Schwerter und die Schilde mit Menschenhaar zu schmücken (Abb. 278). Je mehr Köpfe ein Mann von seinem Kriegszuge nach Hause bringt, um so höheres Ansehen genießt er. Auf den Mentaweiinseln wird seine Tatauierung mit jedem erbeuteten Kopfe reicher, und an der Kleidung der Naga in Assam macht sich in gleicher Weise die Zahl der erbeuteten Köpfe in bestimmten Abzeichen bemerkbar. Ferner erfordert der Brauch, daß beim Bau eines neuen Hauses menschliche Opfer dargebracht werden; man begnügt sich mit menschlichen Köpfen, die unter den Pfeilern eingegraben werden, und wählt dazu die Köpfe der Feinde aus. — Zieht man zur Erlangung von Köpfen aus, dann geschieht dies meistens ganz verstohlen bei Tagesanbruch. Man umzingelt ein bestimmtes Haus, steckt es in Brand und sucht die herausstürmenden Menschen im Kampfe niederzuschlagen. Nachdem den Gefallenen[S. 240] die Köpfe abgehauen worden sind, tritt man in großer Eile den Rückzug an aus Furcht, aufgelauert oder verfolgt zu werden. Ein Gefangener wird für gewöhnlich nicht getötet; nur wenn man keinen Kopf eines Erschlagenen erbeuten konnte, haut man einem schwerverwundeten Gefangenen den seinen ab. Hat man auf der Expedition Erfolg gehabt, dann schmückt man die Boote bei der Heimfahrt mit Palmblättern; die erbeuteten Köpfe werden leicht angeräuchert und am Heck des Bootes untergebracht. Vor jedem Dorfe, bei dem man vorbeikommt, wird ein lauter Kriegsgesang angestimmt, und diejenigen, die einen Kopf sich verschafften, stehen im Boote auf. Im Heimatdorfe findet eine große Jubelfeier statt, an der sich alle Dorfbewohner beteiligen. Die Köpfe werden in besonderen Hütten geräuchert und sodann unter Absingen von Kriegsgesängen und Darbringung von Opfern ins Haus überführt (Abb. 281). Hieran schließt sich ein allgemeiner Freudentaumel, bei dem die Frauen die Köpfe ergreifen und phantastische Tänze aufführen (Abb. 280 und farbige Kunstbeilage); das gleiche tun die Männer in vollem Kriegsschmuck. Schließlich werden die Köpfe sorgfältig mit Rotang umwunden und neben den bereits früher erbeuteten aufgehängt (Abb. 247). Im Anschluß hieran wird noch ein großes Festessen veranstaltet, bei dem man den Köpfen ein Stück Schweinefleisch in den Mund steckt und das aus Reis hergestellte Nationalgetränk, Borak, in einen daneben hängenden Bambusbecher füllt. Man nimmt an, daß die mit den Köpfen verbundenen Geister diese Opfergaben verzehren, wenn auch nicht direkt, so doch deren Seele. Ein Feuer brennt beständig[S. 241] unter den Köpfen, damit diese sich warm und behaglich fühlen, überhaupt erweist man ihnen die größte Achtung. Denn man nimmt von ihnen an, daß sie dem Haushalte nützlich sind und ihn beschirmen, sofern man ihnen nur die geziemende Verehrung zollt, und daß sie nur, wenn sie vernachlässigt oder mißachtet werden, sich beleidigt fühlen und Unheil anrichten.
Neben diesen Geistern der Köpfe gibt es aber in der Natur noch eine Unmasse anderer, wie die der Flüsse, Berge, Gräber, Höhlen und so weiter. In der Tat besitzt nach dem Glauben der Malaien eine jede Örtlichkeit ihren Geist, und das Volk ist darauf bedacht, alle erforderlichen Vorschriften und Gebräuche zu erfüllen, um sich ihrer Gunst zu versichern. Je entlegener ein Ort ist, desto mehr ist sein Geist zu fürchten; die Menschen, die sich zum ersten Male dorthin begeben, achten wohl darauf, daß sie genau die vorgeschriebenen Zeremonien erfüllen, die ganz besonderer Art sind. Auch Kinder tun dies; kommen sie zum ersten Male in eine unbekannte Gegend, dann stecken sie zum Beispiel ein Ei in das Ende eines Bambusstockes, um sich den Ortsgeist geneigt zu machen (Abb. 283).
Wir knüpfen hieran einige andere Gebräuche der Dajak, im besonderen des Kenjahstammes. Wird ein neues Haus bezogen, so überführt man die Köpfe aus dem alten mit dem gleichen Gepränge, wie es bei der Heimkehr der triumphierenden Krieger üblich ist. Da man aber nicht liebt, mehr als dreißig Köpfe in seinem Hause zu beherbergen, so benutzen die Kenjah diese Gelegenheit, sich der überflüssigen Köpfe zu entledigen. Sie schlagen eine besondere Hütte für diese auf und bringen darin diejenigen, die sie los werden wollen, unter. Damit die Geister aber nicht merken, daß man sie im Stiche gelassen hat, unterhält man an dem neuen Aufbewahrungsort ein schwelendes Feuer und glaubt, daß, wenn dieses erlischt, die Geister, auch wenn sie kommen wollten, sich zu rächen, hierzu nicht mehr imstande sind.
Ganz eigenartig ist die Art und Weise, wie die Dajak einen gewichtigen Gast empfangen. Dieser läßt zuvor auskundschaften, ob etwa auf dem Hause, das er zu besuchen beabsichtigt, ein Tabu ruht. Nach günstigem Bescheid begibt er sich mit seiner Umgebung zur Galerie des Hauses, spricht und sieht eine Minute lang seinen Gastgeber aber nicht an, der sich übrigens auch um ihn nicht kümmert; im Gegenteil, er macht sich mit seiner Zigarette zu schaffen und blickt auf die Erde. Der Gast seinerseits räuspert sich höchstens oder hüstelt; darauf bringt ihm jemand eine Zigarette, worauf erst der Gastgeber die Unterhaltung aufnimmt mit der üblichen Frage nach der Herkunft und der Zeit des Aufbruchs des Fremden. Wenn nach etwa einer Stunde[S. 242] etwas zu essen gereicht wird, Reis oder Schweinefleisch, läßt der Gast einen Rest davon auf seinem Teller zurück, um anzuzeigen, daß er nicht gierig nach der Speise ist; außerdem erfordert es die gute Erziehung, daß er seine Zufriedenheit mit der Mahlzeit ausdrückt, indem er langsam und laut durch die Nase ausatmet. Darauf spült er sich den Mund mit Wasser, speit es zwischen die Fußbodenbretter aus, putzt sich die Zähne mit dem Zeigefinger und wäscht sich die Hände. Beim Abendessen wird Reisschnaps vorgesetzt und ein voller Becher zuerst dem Gastgeber gereicht, der den Weissagevögeln und anderen geneigten Geistern ein Trankopfer hinschüttet und sodann trinkt. Ein zweiter Becher wird dem Ehrengast kredenzt, der mit den Lippen schnalzt und grunzt, um dadurch seine Anerkennung zum Ausdruck zu bringen. Bei der Mahlzeit werden Trinklieder angestimmt, in deren Endreim alle Anwesenden einstimmen.
Wie bei jeder wichtigen Handlung im Leben die Weissagungen zu Rate gezogen werden, so geschieht dies auch, bevor man mit dem Säen beginnt. Die Jahreszeit, wenn die Aussaat stattfinden soll, bestimmt ein darin bewanderter Mann mittels einer Art Sonnenuhr (Abb. 282). Wenn der Schatten eines senkrecht stehenden Stockes zur Mittagszeit eine bestimmte Länge angenommen hat, dann ist der richtige Augenblick gekommen. Ein Schwein oder ein Huhn wird geopfert, und das Blut an eine Holzfigur vor dem Hause geschmiert. Darauf begibt sich eine Anzahl Eingeborener in den Wald, um den Flug und Ruf bestimmter Vögel, besonders des Mauerspechts, Habichts und Trogons zu beobachten. Währenddessen ruht auf jedem Hause ein strenges Tabu; niemand außer den eigenen Bewohnern darf es betreten, und nur die notwendigste Arbeit darf darin vorgenommen[S. 244] werden. Sind die Vorbedeutungen günstig, so erfolgt die Aussaat. Während die Frucht heranwächst, werden über sie viele Zaubersprüche ausgesprochen und abergläubische Handlungen an ihr vorgenommen. So zum Beispiel schwenken die Frauen einen verzauberten Gegenstand oder ein Huhn über die Ernte und erteilen ihr, desgleichen den Ratten, Sperlingen und anderen Schädlingen ernste Ermahnungen. Wenn die ersten Erntesammler, die stets Frauen sind, irgend etwas sehen oder hören, das von böser Bedeutung ist, gehen sie zurück ins Haus und verbleiben hier bei Androhung von Todesstrafe oder schwerer Krankheit achtundvierzig Stunden lang. Ist das Korn eingebracht, dann darf niemand auf die Dauer von zehn Tagen das betreffende Haus betreten; dies wird durch ein Tabuzeichen kenntlich gemacht (Abb. 284). Erst wenn das Einbringen gute Fortschritte gemacht hat, wird ein Fest veranstaltet, bei dem das Saatgetreide für das nächste Jahr schon vorbereitet wird. Um die gleiche Zeit wird noch ein anderer interessanter Brauch geübt. Vier Wasserkäfer werden eingefangen und in ein mit Wasser angefülltes großes Gong gesetzt. Ein alter Mann beobachtet nun ihre Bewegungen und legt diese entweder als gute oder unheilvolle Zeichen für die kommende Ernte aus. Gleichzeitig ruft er die Erntegottheit (Laki Ivong) an, damit sie die Seele des Korns in die Wohnungen führe. Nachdem Zuckerrohrsaft[S. 245] auf das Wasser gegossen ist, trinken es die Frauen, während die Käfer wieder vorsichtig herausgenommen werden, um die Botschaft der Menschen den Erntegöttern zu überbringen. Hierauf setzt lärmendes Vergnügen ein. Die Frauen kochen klebrigen Reis, bedecken ihn mit Ruß und bespritzen damit die Männer, so daß die Spuren davon an ihnen haften bleiben. Bei dem allgemeinen Tanz (Abb. 291), der nun folgt, verkleiden sich die Frauen als Männer (Abb. 286), diese aber geben Vorstellungen, indem sie Tiere, wie Affen und Nashornvögel, nachahmen.
Auch bei ihren Kriegszügen, sei es, daß sie zur Erlangung von Köpfen oder um Rache für vorausgegangene Beleidigungen oder aus ganz allgemeinen Gründen unternommen werden, werden allerlei Vorzeichen zu Rate gezogen. Es geschieht dies besonders vor Antritt der Kopfjagden unter großem Aufwand von Förmlichkeiten. Zwei Männer, die dazu besonders ausgesucht und in den Busch gesandt wurden, müssen den Laut und die Bewegung gewisser Tiere beobachten (Abb. 285 und 287), und erst wenn ihre Meldungen nach jeder Richtung hin günstig lauten, zieht die Mannschaft in ihren Kriegskanus aus (Abb. 288). Trotzdem verhält sie sich noch tagelang untätig, bis ausgesandte Spione oder die Untersuchung einer Schweineleber (Abb. 271) die Bewegung des Feindes festgestellt haben. Jeder beteiligte Mann beachtet inzwischen bestimmte Tabu; man[S. 246] darf nicht rauchen, Knaben müssen in zusammengeduckter Haltung schlafen, Feuer darf nur durch Reibung erzeugt werden (Abb. 289) und anderes mehr. Darauf schreitet man bei Tagesanbruch zum Angriff vor. Der weitere Verlauf der Kopfjagd wurde bereits oben beschrieben.
Ist eine Frau erkrankt, dann bringt man ihr durch Zureden die Überzeugung bei, daß sie vom Teufel besessen ist und eine Medizinfrau werden müsse; nur auf diese Weise könne sie von ihrem Leiden befreit werden und erlange gleichzeitig die Fähigkeit, anderen zu helfen. Ob sie nun wirklich dazu imstande ist, wird durch eine bestimmte Zeremonie, Bajoh genannt (Abb. 290), festgestellt. Der Raum, in dem die mächtigen Geister, die man dazu ins Haus geladen hat, erscheinen sollen, ist kunstvoll geschmückt; Musik von Gongs und Trommeln erschallt durch das ganze Dorf und wird zu bestimmten Zeiten während der ganzen Nacht wiederholt. Die Medizinfrauen, meistens sind es alte und wenig anziehende, dafür aber prunkvoll aufgeputzte Weiber, versammeln sich nun in der Mitte des Raumes und fangen im Takte nach der Musik eine nach der anderen zu tanzen an, dabei zischen sie und schlagen mit den Händen wild um sich. Eine von ihnen nähert sich der Kranken und gibt ihr eine Pinangblüte in die Hand, außerdem bedeckt sie ihren Kopf mit einem Tuch. Darauf setzen sie die Kranke auf ein kegelförmiges Gerät und wirbeln dieses mit großer Schnelligkeit im Kreise herum. Mit der Zeit geraten alle in förmliche Raserei; dadurch sollen die Geister angelockt werden. Sie fragen sodann die Hauptmedizinfrau, warum man sie rufe, worauf diese antwortet, daß jemand krank sei. Nunmehr ziehen sich die Geister zurück und holen einen mächtigeren Geist herbei, dem sie untertan sind, damit er helfe. Die oberste Medizinfrau fragt diesen, ob er die Kranke heilen wolle. Weigert er sich, dies zu tun, so muß ein anderer mächtiger Geist herbeigeschafft und in der gleichen Weise gefragt werden, jeden Abend von neuem, bis die Kranke genesen ist. Bisweilen gestaltet sich die ganze Zeremonie sehr prunkvoll. Die Medizinfrauen spielen dabei ihre Rolle sehr realistisch; sie fassen den Kopf der Kranken fest an unter dem Vorwande, den bösen Geist gefangen zu nehmen. Nicht selten stellt sich auch ein Erfolg dieser Kur ein.
Die Religion der Javaner, Sundanesen und Maduresen ist der Mohammedanismus,[S. 248] allerdings vielfach noch mit den Überresten und Gebräuchen des älteren heidnischen Kultus durchsetzt. Die Javaner, die ursprünglich wohl wie alle halbzivilisierten Indonesier Animisten waren, wurden schließlich hinduisiert. Zuerst kam die Schiwaanbetung und dann der Buddhismus; beide Religionen übten einen großen Einfluß auf ihre Kultur aus; besonders sind jene prachtvollen Tempel der Zivilisation von seiten der Hindu zu verdanken, die, heutzutage verfallen, über ganz Java sich zerstreut finden, wie der Borobudur, Prambanan und Mendut, um nur die berühmtesten unter ihnen zu nennen. Schließlich kam der Islam nach Java, wahrscheinlich um das dreizehnte Jahrhundert herum; von hier aus verbreitete sich die neue Lehre bald über alle Inseln des malaiischen Archipels. Daneben sind doch noch eine ganze Anzahl Stämme heidnisch geblieben, andere haben auch das Christentum angenommen. — Trotz der Lehre des Islam haben sich unter dem javanischen Volk noch überall die alten Vorstellungen erhalten. Die Javaner glauben an gute und böse Geister, fürchten sich vor Gespenstern und vertrauen auf Astrologie, Glücks- und Unglückstage, Vorbedeutungen und allerhand Zauber. Ihre Heilkunde war bis vor kurzem, bevor europäisch geschulte Ärzte sich ihrer annahmen, der reine Schamanismus, und lag in den Händen der Dunkun, einer Art Zauberer (beiderlei Geschlechts), die böse Geister austrieben, Kranke folterten, ihnen selbstbereitete Säfte von Pflanzen oder Wurzeln in den Hals gossen und anderen Unfug mehr verübten.
Die Bewohner der kleinen fruchtbaren vulkanischen Insel Bali sind bisher die hartnäckigsten Anhänger des Hinduismus geblieben (Abb. 293) trotz der zahlreichen Versuche des Islam, seine Lehre auch hier zu verbreiten. Im besonderen hat sich unter ihnen der Schiwakultus Jahrhunderte hindurch erhalten, der sonst überall in Indonesien ausgerottet worden ist. Schiwa und seine Gemahlin Durga, sowie ein gewisser Devi Seri sind die einzigen wirklichen Gottheiten der Balinesen, wenngleich sie auch die anderen Götter des hindostanischen Pantheons in ihre schön ausgemalten und reich vergoldeten Tempel zulassen. Zeremonien, die sich auf den Ackerbau beziehen, nehmen in der Religion der Balinesen einen großen Platz ein, jedoch haben sie die Gebete, die Läuterungsfasten, die Totenverbrennung, die vollständige Abneigung gegen das Fleisch des Rindes und der Büffel, die Achtung vor den „fünf Erzeugnissen“ der Kuh und das lästige Kastenwesen beibehalten, wodurch sich das Hindutum genügend kennzeichnet. Merkwürdigerweise treffen wir auf Bali noch alte polynesische Götzen an, seltsame kleine Figuren, die aus chinesischem Geld hergestellt und mit reichen Stoffen ausgeputzt sind, die sogenannten Rabut Sedana. Die Bugis und Makassaren auf Celebes sind heutzutage mehr oder weniger mohammedanisiert, jedoch haben sich unter ihnen einige Hindubräuche erhalten, zum Beispiel die schiwaistische Anbetung des Lingam. Sie verehren auch das Krokodil (Abb. 292) und den Aal und glauben stark an das Können gewisser Zauberer.
Die Nationalwaffe der Malaien ist der Kris, ein kurzes, dolchähnliches, aufs kostbarste verziertes Schwert (Abb. 294 u. 296) mit meist flammender Klinge. Dazu treten noch das lange Schwert, die Lanze und der Schild (Abbild. 295). Auch Bogen und Pfeile, sowie das Blasrohr werden benutzt, aber nicht durchweg, sondern nur in einzelnen Teilen des Archipels.
Unter den Handfertigkeiten der Malaien stehen obenan die Waffenfabrikation, die Verarbeitung von Gold, Silber und Eisen zu Schmucksachen (Filigranarbeiten), der Gelbguß, die Weberei und Flechterei, die Batikfärberei und der Schiffbau.
Leidenschaftlich huldigt der Malaie Musik, Spiel (Abb. 300) und Tanz. Die[S. 250] Musik der Javaner steht auf hoher Stufe, obwohl einer, der sie nicht gewohnt ist, sie zunächst als schrill empfindet, indessen liegt in ihr viel Melancholisches und Melodisches. Ein vollständiges Orchester, das sogenannte Gamelang (Abb. 299), umfaßt einige volltönende Bambusflöten, eine Reihe Gongs, die mit Stöcken geschlagen werden, Bratschen, Violinen, Gitarren, Trommeln und Xylophone. Kein Fest oder große Zeremonie findet auf Java statt ohne Gamelang. Kaum zu trennen ist davon die Vorführung des Wajang oder Schattenspiels. Zu diesem werden aus Büffelhaut geschnittene, bemalte oder vergoldete Figuren benutzt (Abb. 298), deren Schatten der hinter einem erleuchteten Wandschirm sitzende Darsteller auf diesen fallen läßt. Die Arme der Figuren, die auf einem Holzreck stehen, werden mittels Holzstäbchen bewegt. Den Inhalt der Vorführungen bilden denkwürdige Ereignisse aus der Vergangenheit, aus den großen indischen Epen Mahabharata und Ramayana. Der männliche Teil der Zuhörer sieht auf der einen Seite des Schirmes den Bewegungen dieser Marionetten direkt, der weibliche auf der anderen dagegen ihren auf ihn fallenden Schatten zu. Das Wajangspiel, das sich übrigens über Siam, China, Ägypten und die Türkei verbreitet findet, wird bei allen festlichen Gelegenheiten, wie Namensgebung, Beschneidungs- und Zahnfeilungsfeierlichkeiten, Hochzeit und so weiter vorgeführt. Eine andere Unterhaltung der Javaner sind die Vorführungen der Ronggeng, der öffentlichen Tänzer (Abbild. 297 u. 301), die aus einer Reihenfolge plastischer Posen und lebender Bilder sich zusammensetzen. Sehr beliebt sind schließlich noch auf Java, wie auch anderwärts im malaiischen Archipel, Tierkämpfe zwischen Hähnen (siehe farbige Kunstbeilage), Wachteln, Grillen, Büffeln und selbst Tigern, Schachspiele, Kartenspiele und dergleichen mehr.
Wie wir es bereits bei anderen Völkern sahen, so schreiben auch die Malaien die Entstehung von Krankheiten, im besonderen den Wahnsinn, dem Einfluß der bösen Dämonen zu; dementsprechend ist ihre Austreibung aus dem Körper das übliche Heilverfahren. Droht dem Kranken ein tödlicher Ausgang, so nimmt man an, daß seine Seele den Körper verlassen habe, und daß man sie durch irgend ein Mittel wieder zur Rückkehr bewegen müsse. Dies geschieht bei den Kajandajak mit Hilfe eines Seelenfängers, des Dajong (Abb. 302 und 303), in den meisten Fällen einer Frau, der durch einen höheren Willen im Traume offenbar geworden ist, diesen Beruf zu ergreifen. Bei der Ausübung ihrer Tätigkeit verfällt diese Person zunächst in einen Trancezustand, damit ihre Seele der anderen Seele, die inzwischen schon eine gute Strecke[S. 252] Weges zu dem Aufenthaltsorte der heimgegangenen Geister zurückgelegt hat, nachgehe und sie zu der Rückkehr überrede. Zu diesem Zwecke wird der Kranke auf der langen Galerie des Hauses inmitten seiner Verwandten und Freunde niedergelegt und die Dajong beginnt ihr Werk. Sie geht mit geschlossenen Augen auf und ab und murmelt dabei in Absätzen Lieder und bestimmte Gebetsformeln an die Gottheiten. Ihre lebhaften Bewegungen und Aussprüche während dieser feierlichen Handlung sollen ihre, beziehungsweise des Kranken eigene Seelenwanderungen und Kümmernisse wiedergeben. Von Zeit zu Zeit stellt sich die Dajong so, als ob sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sei und den Versuch, die Seele zurückzurufen, aufgeben müsse; dann versprechen ihr die Versammelten gewöhnlich noch mehr Geschenke, damit sie ihre Aufgabe erfüllen kann; manchmal gelingt es ihr auch. Wenn die Seele daraufhin zurückgewonnen ist, besteht die nächste Schwierigkeit darin, sie zu überreden, daß sie auch wieder in den Körper einzieht. Um dies zu ermöglichen, schwingt die Dajong ein Schwert und starrt darauf hin, um einen flüchtigen Blick der Seele in ihm aufzufangen. Hiermit endet der Trancezustand. Die Dajong legt nun irgendeinen kleinen Gegenstand, zum Beispiel eine Reisflocke vor, die die Seele enthalten soll. Diese wird dem Kranken auf den Kopf gedrückt, und ihm ein Palmblattstreifen um das Handgelenk gebunden, in der merkwürdigen Absicht, dadurch die Seele zu hindern, daß sie den Körper von neuem verläßt. Im Anschluß hieran wird ein Huhn geopfert, in schlimmen Fällen ein Schwein, und das Blut des Tieres über das Palmblattarmband gestrichen. Schließlich werden dem Kranken noch gewisse Tabu auferlegt. Das ganze Verfahren ist wohl geeignet, in ihm Vertrauen zu sich selbst zu erwecken und einen günstigen Einfluß auf sein Leiden auszuüben.
Ist der Kranke trotzdem gestorben, dann wird eine Trommel oder ein Gong geschlagen, um den abgeschiedenen Seelen in der Unterwelt davon Kunde zu geben; die Zahl der Schläge richtet sich nach der gesellschaftlichen und öffentlichen Stellung des Verstorbenen. Solange der Leichnam aufgebahrt liegt, ist er mit seinen schönsten Kleidern und dem prächtigsten Schmuck angetan, eine kostbare Perle ist ihm dabei unter jedes Augenlid geschoben. In der Nähe des Sarges brennt stets ein Feuer; außerdem liegen dort kleine Päckchen von gekochtem Reis sowie Zigaretten für den persönlichen Gebrauch der Seele. Letztere senden Freunde und Bekannte oft zu Hunderten ins Haus. Während der ganzen Zeit der Aufbahrung bleiben stets zwei oder drei Leute, die beständig jammern, an der Seite des Sarges. Am Tage der Beerdigung erscheint die Dajong, setzt sich neben den Toten und singt, um dadurch der Seele den Weg über den Fluß in die andere Welt zu weisen; gleichzeitig zeigt sie einem der Angehörigen, wie er die Schnüre oben am Sarg zu lösen habe, um der Seele das Scheiden zu erleichtern. Dies soll der Augenblick sein, in dem[S. 254] diese den Körper endgültig verläßt. Hierauf werden noch zwei kleine Figuren, von denen die eine eine Frauen-, die andere eine Männergestalt darstellt, an Kopf- und Fußende des Sarges gebunden (Abb. 304), anscheinend ein Überbleibsel der früheren Sitte, Sklaven zu opfern, damit die Seele in der anderen Welt auch Bedienung habe. Der Sarg wird durch den Fußboden aus dem Hause gelassen — brächte man ihn die Hausleiter herunter, dann würde das Gespenst den Weg nach innen leichter zurückfinden —, an das Flußufer gebracht, hier in ein Boot gesetzt, das mit buntfarbigen Tüchern und Flaggen geschmückt ist, und zum Grabe gerudert. In den nachfolgenden Booten sitzen die trauernden Angehörigen, die die ganze Zeit über schweigen müssen.
Ganz eigenartig ist das Grab eines Kajanhäuptlings. Es besteht in einem langen Holzklotz, der mit seinem kurzen Ende senkrecht in die Erde geschlagen wird. Seine Größe richtet sich nach Rang und Stand des Verstorbenen und fällt am längsten bei Personen von ganz besonderer Bedeutung aus. Das obere Ende dieses dicken Holzpfeilers ist so weit gespalten, daß der Sarg hineinpaßt (Abb. 305). Hier wird er eingesetzt, über ihn kommt eine große Grabtafel zu liegen mit kunstvoll geschnitzten Holzseiten, die den Sarg in der Baumspalte umschließen. Man pflegt auch noch die Waffen und andere Besitzgegenstände des Toten ans Grab zu hängen (Abb. 307), und, falls er deren nicht viel besitzt, fügen Angehörige und Freunde etwas hinzu. Der Schatten dieser Dinge soll dem Verstorbenen auf seiner mühsamen Reise ins Jenseits von Nutzen sein. Die Klemantanen zerbrechen oder verunstalten die Sachen, die sie aufs Grab legen, angeblich, weil in der anderen Welt alles umgekehrt wäre, wahrscheinlich aber, damit niemand in die Versuchung komme, etwas davon zu stehlen. — Noch am Grabe müssen die Leidtragenden von der Dajong geläutert werden; zu diesem Zwecke besprengt diese sie mit Wasser, in dem die Kinnladen eines geopferten Schweines liegen. Während die Dajong diesen Akt vollzieht, murmelt sie Worte, in denen sie die Hoffnung ausdrückt, daß den Leidtragenden Unglück erspart bleiben möge. Diese treten einzeln den Rückweg an, dabei gehen sie unter einem Stock hindurch, der[S. 255] gabelförmig aus einem Stück Holz des Grabpfeilers gespalten wurde, treten sodann auf ein lebendes Huhn, bespeien es und rufen es an, daß es das Böse abwende. Die Trauerzeit findet ihren Abschluß damit, daß ein menschlicher Kopf ins Haus gebracht wird, woran sich ein allgemeines Freudenfest und ein Schmaus anschließen. Der Kopf oder ein Teil von ihm wird dann mit den Blättern der Silatpalme geschmückt und an dem Grabe aufgehängt. Eigenartig ist auch die Art und Weise, wie die Kajan das Besitztum des Verstorbenen, falls er keine Bestimmungen hierüber hinterlassen hat, verteilen. Die Dajong wird gerufen; sie läßt ein kleines Modellhaus anfertigen, in das Zigaretten, Speise und Getränk gestellt werden, setzt es in die Nähe des Raumes, den der Tote bewohnte, und bittet seine Seele flehent[S. 256]lich, ins Haus zu kommen, von dem Essen zu nehmen und ihre Wünsche zu äußern. Von Zeit zu Zeit tut sie dann so, als lausche sie, sieht ins Haus hinein und verkündet den Verwandten, die Seele sei gekommen und genieße von der bereitstehenden Mahlzeit. Sodann teilt sie den Versammelten die angeblichen Wünsche des Toten mit; diese werden ohne Murren befolgt.
Die Kenjah entledigen sich ihrer Toten in ziemlich derselben Weise, nur die Klemantanen behalten manchmal den Sarg auf der Galerie des Hauses zurück, bis die Zeit der Trauer verstrichen ist; der Sarg wird mit Wachs versiegelt, nach einiger Zeit aber geöffnet, dann die Knochen herausgenommen und gereinigt. Die während der Fäulnis ausfließende Flüssigkeit wird durch ein Bambusrohr in die Erde geleitet. Die gesäuberten Knochen werden in einen kleineren Sarg oder einen Krug gelegt und nach dem Begräbnisplatz gebracht. Hier wird dieser neue Sarg in ein großes allgemeines Mausoleum aus Holz (Abb. 308) oder in einen ausgehöhlten Baumstamm gestellt.
Ganz anders gestaltet sich das Begräbnis bei den Seedajak. Nach dem Tode wird der Körper gewaschen, mit Reis auf der Brust bestreut — damit sollen die Götter für begangenes Unrecht des Toten versöhnt werden — und in kostbare Gewänder gekleidet; alle seine Habseligkeiten, die er in der besseren Welt gebrauchen könnte, werden zusammengelegt. Manchmal wird auch ein Klageweib von Beruf gedingt, das, auf einer Schaukel am Kopfende sitzend, dann und wann die verschiedenen Teile des Hauses anruft und ihnen Vorwürfe macht, daß sie nicht genug getan hätten, um die Seele des Verstorbenen länger zu fesseln, und schließlich die Geister bittet, die Seele unbeschadet fortzugeleiten. Am Abend wird neben der Leiche ein Feuer angezündet, am nächsten Morgen etwas zu essen hingestellt, auch gekochter Reis ihr in den Mund gesteckt, damit der Tote auf seiner langen Reise etwas zur Stärkung habe. Das Gefäß, in welchem die Speise gekocht wurde, wird stets zerschlagen, damit es späterhin niemand mehr benutze.
Auf dem Wege zum Grabe wird Asche von dem Feuer, das am Tage vorher neben der Leiche[S. 258] brannte, dem Sarge nachgestreut; dies geschieht, damit die Seele des Toten das Haus nicht wieder erkenne und zurückkehre, um Unheil anzurichten. Frauen dürfen dem Begräbniszug nicht folgen, sondern bleiben zurück und erheben ein lautes Wehklagen, sobald die Leiche herausgetragen wird. Der Leichenzug begibt sich entweder zu Fuß oder im Boot nach dem Begräbnisplatz. Hier wird dem Geist Pulang Gana, dem das Land gehört, Reis auf die Erde gestreut als Preis für das Grab, das er überläßt. Sodann wird ein Huhn geschlachtet, um die bösen Geister zu versöhnen. Die Särge werden etwa einen Meter tief in die Erde versenkt; dies geschieht möglichst schnell, damit man nicht etwa noch den Ruf eines Unglücksvogels vernehme. Krüge und Messinggongs, desgleichen Geräte, die für die Beschäftigung des Verstorbenen bezeichnend sind, werden auf sein Grab gelegt, Essen und Trinken wird ihm an die Seite gestellt und das Ganze mit einem Zaun umgeben. Wenn die Leidtragenden nach Haus gehen, pflanzen die letzten von ihnen Pfähle in die Erde, damit die bösen Geister ihnen nicht in die Wohnung folgen. Am dritten Tage nach dem Begräbnis bringen die Nachbarn ein Hackmesser, eine Axt, eine Tasse, einen Teller voll Reis und andere Eßwaren in den Raum, den der Tote bewohnte, und ersuchen die Verwandten, ihm davon etwas zu essen zu geben und fortan nicht mehr zu weinen. Sodann öffnen sie das Fenster mit dem Hackmesser und werfen die Speise für den Toten und seine Geistergefährten durch dasselbe hinaus. Die Verwandten nehmen in dem Zimmer fortan ihre Beschäftigung wieder auf. Zwölf Monate nach dem Todesfall findet noch ein allgemeines Fest statt, Gawai Autu genannt (Abb. 306), zu Ehren aller, die seit dem letzten Male, wo dasselbe veranstaltet wurde, gestorben sind. Auf jedes Grab stellt man seltsam geformte Körbe, welche die Gebrauchsgegenstände jedes Toten enthalten, damit er im Land der abgeschiedenen Seelen, im Sabayan, die Möglichkeit finde, sich seinen Lebensunterhalt zu verschaffen. Damit ist die Trauer beendet.
Bei den Javanern spielen sich die Leichenfeiern nach mohammedanischem Ritus ab. Nach dem Tode finden sich die Imame, das heißt die Geistlichen ein, sprechen einige Suren aus dem Koran über den Verstorbenen, waschen ihn — neuerdings besorgen dies häufig die nächsten Angehörigen — und hüllen ihn in ein Leichentuch, das sieben- bis achtmal um den ganzen Körper, einschließlich des Kopfes, geschlungen wird. Nach vierundzwanzig Stunden trägt man den Toten auf einer Bambusbahre, die durch einen Sonnenschirm beschattet wird, um ihn vor Sonne und Regen zu schützen, zum Grabe; Priester gehen voran und sprechen Gebete, Freunde und Angehörige folgen. In der Regel wird die Leiche, nur in ein Grabtuch eingehüllt, in einer Nische beigesetzt, die seitlich im Grabe ausgehöhlt ist und mit Brettern ausgeschlagen wird, ehe man das Grab zuschaufelt.
Bei den Balibegräbnissen haben sich noch die charakteristischen Gebräuche der hindostanischen Religion erhalten, nämlich den Toten zu verbrennen und seine Asche in die See zu schütten; eine Ausnahme erfährt dieser Gebrauch nur bei Kinderleichen und zu Zeiten einer Epidemie, zum Beispiel bei Pocken. Da eine Verbrennung mit großen Unkosten verknüpft ist, so bleibt die Leiche oft lange genug, unter Umständen fünf bis zehn Jahre, unbeerdigt liegen, ehe sie verbrannt wird. Da im letzteren Falle von ihr schließlich nichts mehr übrig ist, verbrennt man für sie eine Puppe aus Palmblättern; dies geschieht auch bei Balileuten, die fern von der Heimat sterben. Die Einäscherung geht auf einem pyramidenförmigen Gestell aus Bambus und Rotang, Sema genannt, vor sich, nachdem alle religiösen Förmlichkeiten erfüllt sind. Stirbt ein Prinz oder eine Prinzessin königlichen Geblütes, dann drängen sich die Frauen des ersteren und Sklaven unter lauten Klagen um den Toten und fordern eindringlich, mit ihrem Herrn oder Gatten ebenfalls sterben zu dürfen; der König trifft dann die Entscheidung hierüber. Wer dazu von ihm auserwählt wird, bekundet fortan große Ergebenheit und gilt für heilig; da er mit seinen nackten Füßen unter diesen Umständen nicht länger den Erdboden berühren darf, so werden sie in weißes Leinen gehüllt. Die[S. 261] Frauen des Verstorbenen bringen der Leiche ihres Mannes täglich Speise, küssen sie und benetzen sie mit ihren Tränen bis zum Tage der Einäscherung. Der frühen Zersetzung des Körpers beugt man durch Räuchern mit Benzoe vor. Am Vorabend vor dem Begräbnis schlägt die tiefe Trauer in Fröhlichkeit und Tänze um die hierfür auserlesenen Opfer um; man bietet ihnen leckere Speisen an und zwingt sie, viel starken Branntwein zu trinken, während die Priester ihnen die Freuden ausmalen, die ihrer in der anderen Welt warten. Am Tage des Leichenbegängnisses wird jeder der Mitsterbenden einzeln in einer Sänfte zum Scheiterhaufen getragen, nachdem den Göttern Opfer dargebracht wurden. Am Verbrennungsplatze geht das Opfer zunächst um seinen für ihn in Gestalt eines Troges errichteten Scheiterhaufen herum, steigt hinein, entblößt seinen Oberkörper und wird erstochen; darauf stürzen sich die weiblichen Verwandten hinzu, waschen den Körper und bedecken ihn bis zum Kopfe mit Holz, das darauf angezündet wird. Früher erlaubten die Gattinnen der verstorbenen Prinzen oder Prinzessinnen es nicht, daß jemand sie anrührte, um sie zu erstechen, weil sie sich dadurch für entweiht glaubten; sie sprangen vielmehr aus freien Stücken in den angezündeten Scheiterhaufen hinein. Unter dem Druck der holländischen Regierung ist diese Witwenverbrennung königlicher Anverwandten auf Bali fast gänzlich abgekommen.
Die Bataker beerdigen entweder oder verbrennen ihre Leichen, sofern es sich um wohlhabende Personen handelt; im ersteren Falle legt man in den Sarg wohlriechenden Kampfer und leitet die sich entwickelnden Fäulnisgase durch ein Bambusrohr in die Erde. Arme Leute werden einfach in eine Matte gehüllt und begraben. Die Bataker standen früher in dem Ruf, ihre bejahrten Eltern zu essen, wenn diese nicht mehr für sich selbst sorgen konnten, damit sie ihnen nicht zur Last lägen. Um die Jahreszeit, wenn die Orangen reif waren, mußte die betreffende alte Person, die für den Festtagsbraten bestimmt war, auf einen Baum klettern, die Familie sang unten im Refrain. „Wenn die Frucht reif ist, dann fällt sie vom Baume.“ Darauf ließ sich das Opfer auf die Erde herabfallen, es wurde geschlachtet und verzehrt.
Die Gruppe der Philippinen, die mehr als tausend Inseln umfaßt, liegt nördlich von den großen Sundainseln und wird im Westen und Norden von der chinesischen Südsee, im Süden von der Celebessee und im Osten vom Stillen Ozean bespült. Als ihre Urbewohner sind die Negrito anzusehen, eine Menschenrasse, die für stammverwandt mit der südafrikanischen Zwergrasse gelten kann, und bei dem Erscheinen neuer Ankömmlinge in die Berge und in die unzugänglicheren Teile des Archipels zurückwich. Die ersten Eindringlinge, die das idyllische Leben dieser Ureinwohner störten, waren Indonesier, also Angehörige der indoaustralischen Grundrasse, deren Vertreter wir auf den Inseln des malaiischen Archipels soeben kennen gelernt haben. Ihre wichtigsten Stämme sind heutigentags die Ibang, Ifugao, Igorroten, Tinguianen, Bogobo, Tagalen und Mandaya. Sie kamen vom südostasiatischen Festlande und von den südlich der Philippinen gelegenen Inseln her. Zu ihnen gesellten sich später malaiische Völker hinzu, unter ihnen befanden sich auch die Moro oder mohammedanischen Malaien, die man hauptsächlich auf Palawan und Mindanao antrifft. Im sechzehnten Jahrhundert landeten die Spanier auf den Inseln und schließlich folgten ihnen noch Chinesen und Japaner, die der bereits ziemlich gemischten Bevölkerung noch weiteren Einschlag brachten. Daher kommen heutzutage alle möglichen Kreuzungen zwischen den angeführten Rassen vor, an denen neuerdings auch die Nordamerikaner Anteil nehmen.
Die Negrito finden sich noch auf den Inseln Luzon, Tablas, Panay, Mindanao und einigen anderen, wie Palawan, wo sie verschiedene Namen, wie Aëta, Ita, Agta, Baluga, Hilluma, Mamamura und so weiter, führen. Ihre Zahl ist höchstens auf zehntausend Köpfe zu veranschlagen; mit Riesenschritten eilen sie leider ihrem Untergange entgegen. Wie die afrikanischen Pygmäen sind die Negrito von kleiner Statur (Abb. 311), die Männer messen im Durchschnitt hundertundvierzig, die Weiber hundertundsiebenunddreißig Zentimeter. Jedoch weisen sie einen guten Körperbau auf, mit regelmäßig geformten Gliedmaßen, breitem Brustkasten und gut entwickelter Muskulatur. Ihre Hautfarbe ist braunschwarz, ebenso ihr Kopfhaar, das kurz und wollig, aber nicht in dem Grade spiralig gedreht erscheint, wie das der afrikanischen Zwerge, manchmal auch schon mehr oder weniger wellig oder beinahe flockig ausfällt (Abb. 312). Offenbar deutet dieses Verhalten Mischung an, wie auch die ungleiche Schädelform, die fliehende Stirn und die stark vorspringenden Augenbrauenbogen vermuten lassen. Die Nase ist kurz, aufgestülpt und platt, die Augen von rundlicher Form. Der Bart ist spärlich entwickelt.
Die Berührung mit den fremden Rassenelementen hat nicht nur die körperliche Beschaffenheit der Negrito, sondern auch ihre ursprüngliche Kultur stellenweise mehr oder weniger beeinflußt. Jedoch leben noch genug Stämme unter ihnen unter ganz primitiven Verhältnissen, so zum Beispiel die Aëta im Innern von Luzon. Diese führen in kleinen Horden von höchstens[S. 265] fünfzig Personen ein Wanderleben; der Älteste einer Schar ist ihr Oberhaupt. Als Obdach dienen ihnen einfache Windschirme (Abb. 313) oder ähnliche Unterschlupfe, andere Negritostämme kennen bereits primitive Hütten. Die wichtigste Quelle ihrer Ernährung gibt neben den Erträgen der Fischerei und den Früchten des Waldes die Jagd ab; man kann die Negrito geradezu als passionierte Jäger bezeichnen, die mit großer Gewandtheit und vorzüglichem Scharfsinn diesem Beruf obliegen. Wenngleich ihre Umgebung keine große Auswahl an Wild gestattet, so ist doch niemals Schmalhans bei ihnen Küchenmeister, denn Rotwild, Wildschweine, Eichhörnchen und verschiedene Vögel gibt es in Hülle und Fülle. Den größeren Säugetieren wird manchmal mit Fallen nachgestellt, sonst aber ist die Jagd mit Hunden üblich. Selbst die Frauen beteiligen sich bei den Zambala mit Eifer daran, zumal wenn Mangel an Hunden ist, und durchstreifen mit lautem Geschrei das Unterholz, um das Wild aufzuscheuchen. Pfeil und Bogen zu führen, ist ein Vorrecht der Männer; es sind dies die hauptsächlichsten Waffen, die die Negrito kennen; daneben kommen bei ihnen auch Lanzen vor und bei den Batakern von Palawan auch Blasrohre. Der Ertrag der Jagd wird ins Dorf gebracht, hier zerlegt und verteilt; hierbei wird noch an dem alten Brauche festgehalten, daß der Mann, der das Tier zuerst verwundete, dessen Kopf und Brust, derjenige, dessen Hund es zuerst aufscheuchte, das Hinterviertel und so weiter erhalten. Der Verteilung geht aber noch eine Opfergabe an die Geister voraus; der Häuptling schneidet nämlich einen Teil des Herzens oder der Eingeweide des erbeuteten Tieres in kleine Teile und streut[S. 266] diese umher, wobei er in eintönigem Gesange ein Gebet hersagt, etwa des Inhaltes: „Geister, wir danken euch für diese erfolgreiche Jagd. Hier ist euer Anteil an ihr.“ — Von einzelnen Stämmen wird auch primitiver Ackerbau in Form einfachen Reis- und Süßkartoffelanbaus betrieben; der Boden in den Dschungeln wird durch Abbrennen urbar gemacht. Das Feuer wird auf noch ganz primitive Weise durch Reiben gewonnen. Eine interessante Abweichung trifft man bei den Batakern der Insel Palawan an; hier wird ein Rotangstreifen zwischen einem Stück Rindenstoff und einem gespaltenen Stück Holz mit großer Schnelligkeit auf und nieder gezogen, bis der Stoff Feuer fängt. Als Kochgeräte bedient man sich der Bambusröhren, als Teller der Bananenblätter; doch kommen auch schon eingeführte Gefäße aus Ton und selbst Eisen vor.
Die Kleidung der Negrito besteht nur in einem schmalen Stück Baumbast oder auch verschiedentlich schon in eingeführten Stoffen, die als Gürtel umgebunden werden. Auch Körperschmuck wird vereinzelt getragen in Gestalt von Ketten aus Samenkernen, von Perlen, Kämmen mit buntem Federschmuck, Blumen, Ringen und Armbändern aus Metall; die letzteren sind bereits Importware. Tatauierung kommt bei einigen Stämmen vor, auch Zahnfeilung (Abb. 314) und Durchbohrung des Ohrläppchens, um durch das Loch allerlei Dinge zu stecken.
Die Negrito bekunden eine große Vorliebe für Musik und Tanz, die sie übrigens mit allen Pygmäenvölkern teilen. Zwar sind ihre Musikinstrumente sehr primitiver Natur; sie bestehen in Flöten und Violinen aus Bambus, sowie in roh geformten Gitarren, an manchen Orten aber auch in Gongs, die wahrscheinlich von den Malaien herrühren. Ein beliebtes Musikwerkzeug ist ein Baumstamm, der zwischen zwei Bambusgerüsten aufgehängt und so in der Schwebe erhalten wird (Abb. 309). Die Weiber stellen sich in einer Reihe auf und bearbeiten ihn mit kurzen Hölzern in rhythmischem Trommelschlag, während ein oder zwei Männer ein Gong zur Begleitung anschlagen. Tanzen bildet ein Hauptvergnügen für die Negrito und bietet ihnen Gelegenheit, ihrer übersprudelnden Laune freien Lauf zu lassen. Neben Schrittänzen kennen sie auch mimische[S. 268] Tänze, in denen sie unter anderem das Einholen der Ernte, das Einsammeln von Honig, oder Episoden, die sich auf den Krieg und die Liebe beziehen, dramatisch vorführen. Die sittlichen Anschauungen der Negrito sind in der Regel ziemlich hohe, wie die vielen Züge, die über sie berichtet werden, erkennen lassen. Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern ist eine rührende, die ihrerseits wieder den Eltern mit Hochachtung begegnen. Im allgemeinen können die Negrito für friedfertig, wahrheitsliebend und ehrlich gelten. Mord soll unter ihnen eine äußerst seltene Erscheinung sein und nur in der Notwehr oder aus Blutrache vorkommen. Gelegentliche Abweichungen von dieser relativ hohen Moral kann nur durch ungünstigen fremden Einfluß erklärt werden. Über die Religion der Negrito fließen die Beobachtungen nur spärlich. Was wir wissen, ist, daß sie in dem Glauben an die Geister Verstorbener besteht, mit denen sie jeden Ort sich belebt denken und deren Tätigkeit sie jedwedes Mißgeschick zuschreiben. Wenn ihnen alles gelingt, kümmern sie sich wenig um die Geister. Äußere Formen der Religion sind unbekannt, außer den schon erwähnten Opfern, die man nach erfolgreicher Jagd darbringt. Krankheiten betrachtet man als Strafe, die die Geister für ein Vergehen auferlegen. In nicht ernsten Fällen machen Medizinmänner den Versuch, den Kranken durch Austreiben des Geistes zu heilen. Dieses Vorgehen ist für diese unter Umständen gewagt, wenn nämlich der Erfolg ausbleibt und sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Auch Zaubermittel sind den Negrito bekannt, um Krankheit zu heilen oder Frauen sich geneigt zu machen. Regen- und Wetterzauber scheinen sie nicht zu kennen, abgesehen, daß sie Wildknochen verbrennen, um heftige Gewitter abzuschwächen. Auch glauben sie an gewisse Vorbedeutungen.
Über das soziale Leben der Negrito ist herzlich wenig bekannt. Um die bösen[S. 269] Mächte von der Schwangeren fernzuhalten, wendet man auch hier Abwehrmaßregeln an. Besonders gefürchtet ist der Dämon Patianak, der Mutter und Kind zu töten trachtet, wenn erstere gerade in schweren Wehen liegt. Dann verschließt der Mann sorgfältig die Hütte, zündet ein großes Feuer an, legt seine wenigen Kleidungsstücke ab und schwingt den Kampilan, bis seine Frau entbunden ist. — Weder die Geburt eines Kindes noch seine Namenverleihung bieten Anlaß zu einem besonderen Fest. In den meisten Fällen bekommt das Neugeborene einen Namen, den für gewöhnlich die älteren Männer der Gemeinde, nicht die Eltern, aussuchen, und der meistens auf irgendeinen in der Nähe der Geburtstätte befindlichen, in die Augen fallenden Gegenstand, oder auch auf irgendein Ereignis oder eine Eigenschaft Bezug hat, sogleich am Tage seiner Geburt. Es wird nur ein Name gegeben, und kein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Namen gemacht. Wird ein Kind kränklich, dann vertauscht man seinen Namen, weil man annimmt, daß der Geist, der die Stelle bewohnt, wo das Kind das Licht der Welt erblickte, mit dessen Namen nicht zufrieden ist. Würde man diesen Versuch, den Geist zu versöhnen, nicht anstellen, dann könnte das Kind sterben.
Die Heiraten werden gewöhnlich von den Eltern abgeschlossen, doch wird den Mädchen auch eine gewisse Freiheit in der Auswahl ihres Zukünftigen gewährt. Es herrscht auch der Brauch, die Bräute zwischen Familien auszutauschen; Bruder und Schwester aus einer Familie heiraten Schwester und Bruder aus einer anderen, wodurch die Unkosten der Hochzeit vermindert werden. Hin und wieder werden Kinder miteinander verlobt. Der Schwiegersohn gibt dem Vater der Braut ein kleines Geschenk; von eigentlichem Kauf kann man indessen nicht gut sprechen, zumal dieser der Tochter eine Anzahl Sachen mit in die[S. 270] Ehe gibt, die ihm aber als Eigentum verbleiben. Eine eigentliche Hochzeitszeremonie, wenigstens in großem Stile, gibt es bei den Negrito nicht; aber ein Festgelage mit sich daran anschließendem Tanz (Abb. 315 und 316) wird für gewöhnlich doch abgehalten. In manchen Gegenden setzen sich Mann und Frau, die die Ehe eingehen wollen, mitten in den Kreis ihrer Verwandten und füttern sich gegenseitig aus einer gemeinsamen Schüssel; außerdem verrichten sie, wenn die Zuschauer diese Handlung beifällig aufgenommen haben, noch irgendeine gemeinsame Dienstleistung, um dadurch zu bekunden, daß sie in ihrem zukünftigen Ehestande gemeinsam arbeiten wollen. Die nächsten Tage verbringen die jungen Eheleute im Hause der Eltern der Frau, darauf kehren sie in ihr eigenes Heim ein. Ihre Rückkehr wird mit weiteren Geschenken an die Braut, mit Tanz und Gelage gefeiert, je nach den Mitteln des jungen Ehemannes. Diese bestimmen auch die Anzahl der Frauen, die er sich hält. — Auf Keuschheit vor der Ehe wird strenge gehalten und Zuwiderhandeln bei beiden Teilen aufs empfindlichste, selbst mit dem Tode bestraft. Wenn ein Mann ein Mädchen schwängert, wird er, selbst wenn er sie heiratet, auch noch streng bestraft. Ehebruch kommt äußerst selten vor und wird für gewöhnlich ebenfalls mit dem Tode geahndet, reiche Leute können auch in Geldbuße genommen werden. Scheidung aber kommt häufig vor; wenn Mann und Frau und die beiderseitigen Familien darin einwilligen, so wird der Besitz gleichmäßig unter beide Teile geteilt, die Kinder aber bekommt die Frau.
Neben den Negrito kommen nun auf den Philippinen noch malaiische oder, besser gesagt, indonesische Völker (Abb. 310 und 317) vor, die sich, wie wir bereits hörten, teils mit jenen, teils mit hinzugewanderten Chinesen und Japanern kreuzten. Mit den wichtigsten von ihnen wollen wir uns nunmehr noch beschäftigen. Auf Luzon, der größten Insel des[S. 272] Archipels, leben die Igorroten (Abb. 315, 316 und 321), Tinguianen, Ilongoten (Abb. 320), Kalinga (Abb. 318 und 323) und Ifugao (Abbild. 319). Die Ilongoten haben viel Negrito-, die Kalinga viel Chinesen- und Japanerblut in sich aufgenommen. Im allgemeinen sind diese Völker schön gebaute Leute von mittlerer Körpergröße und rötlich bis dunkel oliv-brauner Hautfarbe. Ihr Haar ist lang und straff. Einzelne Stämme, zum Beispiel die Igorroten und Tinguianen, tragen ihr Kopfhaar lang und binden es auf dem Scheitel in einen Knoten zusammen (Abbild. 321), flechten auch wohl Bänder oder Perlenketten hinein und raffen die Stirnhaare in einem kleinen Netz nach oben, andere wieder, wie die Ifugao, rasieren sich den Kopf ringsherum und lassen nur in der Mitte einen Schopf stehen.
Die Kleidung dieser Leute pflegt für die Männer in einer Hose (Abb. 322), für die Weiber in einem kurzen, von den Hüften bis zu den Knien reichenden Rock zu bestehen, sowie für beide Geschlechter in einer anschließenden Jacke (Abb. 324). Tatauierung wird von ihnen allen geübt (Abb. 323), besondere Sorgfalt verwenden darauf die Igorroten und Ifugao; die bei ihnen am meisten verbreiteten Muster setzen sich aus geraden und gebogenen Linien zusammen. Die Frauen lieben allgemein Körperschmuck in Form von Ohrringen, Halsketten, Spangen und Ringen (Abb. 324 und 325). Bei den Tinguianen sind ein wesentlicher Bestandteil ihres Schmuckes Perlenschnüre, mit denen sie sich nicht nur das Kopfhaar und den Hals, sondern auch die Arme behängen (Abb. 326). An den Armen legen sie eine Schnur über die andere, so daß die Ketten schließlich vom Handgelenk bis zu dem Ellbogen reichen und, wenn die Wohlhabenheit ihres Besitzers es gestattet, sogar bis an die Schulter herauf. Als Zeichen der Vornehmheit gilt es, die Schnüre um das Handgelenk so fest anzu[S. 273]ziehen, daß sie das Glied zum Anschwellen bringen; aber gern unterzieht man sich dieser Unbequemlichkeit aus Eitelkeit. — Vornehme Ifugao leisten sich als Ruhestätte eine aus Holz geschnitzte, unseren Liegestühlen ähnliche Bank (Abb. 327).
Die Indonesier Luzons sind alle fest angesiedelte Ackerbauer, aber dabei durchweg noch Kopfjäger oder waren es wenigstens bis in die neueste Zeit hinein; denn die amerikanische Regierung sucht natürlich mit allen Mitteln diesem Unwesen Einhalt zu gebieten. Die Igorroten wohnen im nördlichen Luzon in festen Dörfern, deren Bevölkerung drei- bis viertausend Köpfe ausmacht. Jedes Dorf enthält in seiner Mitte das Gemeindegerichtshaus (Abb. 328), in welchem der Häuptling zusammen mit den Ältesten die Streitigkeiten schlichtet und die sonstigen Gemeindesachen ordnet. Auch dienen diese Häuser ähnlichen Zwecken, wie in Ozeanien die Junggesellenhäuser; es wohnen und schlafen in ihnen die Unverheirateten, es werden in ihnen die Gäste empfangen und beherbergt und schließlich auch die Kriegstrophäen aufbewahrt. Der Zutritt zu diesen Häusern ist dem weiblichen Geschlecht verboten; die unverheirateten Mädchen schlafen ebenfalls in besonderen Hütten. Die Tinguianen hausen in den rauhen Gebirgsabhängen des nordwestlichen Luzon. Sie haben es in geschickter Weise verstanden, sich trotz der ungünstigen Geländeverhältnisse den Boden zu Ackerzwecken nutzbar zu machen. Um Ackerland zu gewinnen, ziehen sie an den Bergabhängen eine Steinmauer, hauen dahinter den Steinboden ab und füllen ihn auf, bis sie eine Terrasse hergestellt haben; hinter dieser errichten sie eine zweite Steinmauer, die sie wieder auffüllen, und fahren so fort, bis sich schließlich Stufe über Stufe die Abhänge hinauf erhebt. Für die Bewässerung dieser Terrassenfelder sorgt man in der Weise, daß man das Wasser eines Bergstromes auf die höchste Terrasse leitet und es, wenn diese Terrasse genügend begossen worden ist, auf die nächst darunterliegende laufen läßt und so weiter. Manchmal ist es erforderlich, lange Dämme aufzuwerfen und zwischen ihnen gleichsam wie in[S. 274] einer Wasserleitung den Gebirgsbach große Strecken weit zu dem Punkt, wo man ihn sich nutzbar machen will, hinabzubefördern. Der beständige Kriegszustand, unter dem die Tinguianen mit ihrer Nachbarschaft leben, weil sie eifrige Kopfjäger sind, hat sie gezwungen, sich in befestigte Ansiedlungen zurückzuziehen. Ihre Verfassung ist eine oligarchische; kein Häuptling steht an der Spitze der Gemeinde, sondern einige wenige ältere Männer regeln die Geschäfte. Bei den bis in die jüngste Zeit üblichen Kopfjagden gingen die Krieger zunächst mit dem Speere vor; bei Handgemenge aber verließen sie sich auf ihren Schild, ihre Kopfaxt und ihr Jagdmesser. Mit dem Schild, der an seinem oberen Rande mit drei Sprossen ausgestattet ist (Abb. 329), versuchten sie dem Gegner zwischen die Beine zu fahren, um ihn hinzuwerfen, ihm dann weiter mit der Axt einen Schlag auf den Kopf zu geben, um ihn kampfunfähig zu machen. Sodann trat das untere Ende des Schildes in Wirksamkeit. In seine beiden Sprossen wurde der Hals des Opfers wie in eine Knopfgabel eingezwängt, und dann der Kopf vom Rumpfe abgetrennt. Wenn die Sieger mit ihren Trophäen (Abb. 331) heimgekehrt waren, wurde eine große Feier abgehalten, die wie üblich in Tanz, Gesang und Schnapstrinken bestand. Die besondere Vorliebe der Filippino für Tanz und Musik erwähnten wir bereits oben. Unter den üblichen Musikinstrumenten kommt auch die Nasenflöte vor (Abb. 330), auf der eine klagende Melodie gespielt wird, dadurch, daß man leise mit einem Nasenloch hineinbläst, während das andere verstopft ist, um keine Kraft zu vergeuden. Nach Beendigung des Kriegstanzes werden die erbeuteten Köpfe in kleine Stücke gespalten und eines davon als Andenken an die Tapferkeit der Sieger jedem Gaste überreicht, der es mit nach[S. 275] Hause nimmt. Bei anderen Stämmen, zum Beispiel den Ifuago, werden die von den Kopfjägern heimgebrachten Schädel in den Häusern aufbewahrt (Abb. 332).
Die Tinguianen bekunden eine große Fertigkeit in der Herstellung von Schmiedearbeiten, und dabei ist das dazu zur Verwendung kommende Handwerkszeug ein ganz primitives. Zwei ausgehöhlte Holzkloben oder Palmenstämme, in denen Stempel mit einem Federbündel, das die Höhlung genügend füllt, auf und nieder bewegt werden, bilden den Blasebalg. Das untere Ende eines jeden Baumzylinders setzt sich in einen Bambusstab fort, der mit ihm durch Tonmasse verbunden ist und horizontal bis zum Schmelzofen zusammen mit dem Bambusstab des anderen Zylinders verläuft. Wird der Stempel nach unten gestoßen, dann drängt er die im Zylinder befindliche Luft nach dem Schmelzgut, wird er sodann wieder hochgezogen, dann fallen die Federn zusammen und lassen die Luft von oben eindringen, und so fort. Das glühend gemachte Eisen wird auf einfachen großen Steinen, die als Amboß dienen, mittels schwerer Steinhämmer zusammengeschweißt und darauf noch mittels kleiner Metallhämmer weiter bearbeitet. Ist der auf diese Weise geschmiedete Gegenstand fertig, so wird er noch durch wiederholtes Erhitzen gehärtet und dann in kaltes Wasser gestürzt. Der Ruhm der Schmiedeerzeugnisse der Tinguianen hat sich auf alle Nachbarstämme ausgebreitet und dazu beigetragen, daß ihre Speere und Kopfäxte nicht nur auf Luzon, sondern auch darüber hinaus im ganzen Archipel Absatz finden.
Die Religion der Luzonvölker gipfelt in Animismus und Ahnenkultus. Die Igorroten glauben außer an eine Reihe Gottheiten, die durch die Ahnengeister mit ihnen in Verbindung steht, noch an ein höheres Wesen. Man sucht diese Götter durch Opfer gut zu stimmen; rohgeschnitzte Holzstücke stellen die Geister vor. In der Nähe eines jeden Dorfes befindet sich ein geweihter Baum, in dem, wie man annimmt, die Ahnengeister ihre Wohnung haben; vor das Wohnhaus legt man Reis und[S. 276] andere Speisen für sie auf kleine Bänke hin (Abb. 333). Die Tinguianen glauben mittels der Hilfe von bestimmten Medien mit den Geistern, deren sie eine ganze Schar besitzen, sprechen zu können; die Geister nehmen dabei von diesen Medien Besitz und verkünden durch deren Mund selbst, was man tun soll. Zu diesem Zwecke begibt sich der Vermittler in einen in der Nähe des Dorfes gelegenen Hain und bringt dort den Pinaing auf einem Altar Opfer dar. Diese sind eigenartig geformte Steine (Abbild. 337); in ihnen sieht man den Aufenthaltsort der Geister, die das Dorf beschützen; ihre Köpfe werden eingeölt, ihr Hals mit Rindenbändern umwunden und vor ihnen außerdem noch Blut von einem geopferten Schweine zusammen mit Reis ausgeschüttet. Bevor man das Tier tötet, wird es auf die Erde gelegt, Betelnuß und Kalk kommt darauf zu liegen (Abb. 334), sodann wird es vom Medium mit geölten Fingern bestrichen, das dabei die Götter auffordert, dem bevorstehenden Opfer ihre Aufmerksamkeit zu schenken (Abb. 336). Wenn man annehmen kann, daß die Geister von dem geopferten Tiere genügend genossen haben, wird das Schwein für die Beteiligten weiter zurechtgemacht und verspeist. Natürlich finden im Anschluß hieran auch wieder Tänze statt. Der Glaube an die Macht und das Interesse der Geisterwelt ist so stark beim Volke eingewurzelt, daß jedes Ereignis des gewöhnlichen Lebens von Kundgebungen dieser Anschauungen begleitet wird.
Alle Igorrotenstämme stehen auf einer hohen Stufe der Moral. Die Keuschheit der Mädchen wird ängstlich behütet; um Anfechtungen nicht ausgesetzt zu sein, müssen die unverheirateten Mädchen die Nächte in besonders hierzu bestimmten Schlafhäusern[S. 277] zubringen (Abb. 338). Ein Fehltritt wird mit schweren körperlichen Züchtigungen und sogar mit dem Tode bestraft. Bei einem bestimmten Stamme hat der Verführer die Pflicht, das Mädchen zu heiraten oder ihr als Buße ein vollständiges neues Gewand und ein trächtiges Schwein zu schenken; auch muß er ein der Liebelei etwa entsprungenes Kind unterhalten. Sobald zwei Verliebte die Zustimmung ihrer Eltern erhalten haben, müssen sie eine Art Probeehe eingehen. Es wird ein großes Fest veranstaltet, während dessen die beiden allein in eine Hütte eingesperrt werden und sich etwa vier bis fünf Tage lang bis zum Schluß des Festes darin aufhalten; Speisen werden ihnen verabreicht. Nach Ablauf dieser Frist steht es jedem Teile frei, von der Heirat Abstand zu nehmen, er muß dann aber Buße an seinen Partner zahlen. Tritt der junge Mann zurück, so hat er dem Mädchen eine Anzahl Gegenstände zum Geschenk zu machen und die gewiß nicht geringen Kosten des Festes zu bestreiten, tritt dagegen das Mädchen zurück, so fallen ihr die Unkosten der Feier zu. Wird das Mädchen aber schwanger, so muß der Mann sie heiraten. Bei einigen Stämmen der Igorroten kann der Mann seine Frau sechs Monate nach der Hochzeit wieder verlassen, falls sie innerhalb dieser Zeit nicht guter Hoffnung geworden ist. Ist dieser Fall aber eingetreten, dann ist er für immer an sie gebunden und kann getötet werden, sofern er die Ehe einseitig aufhebt. Von den Geburtsgebräuchen der Igorroten ist wenig bekannt. Kommt ein Kind mit umschlungener Nabelschnur zur Welt, so wird es sofort begraben, weil man von ihm fürchtet, daß es später seinen Eltern nach dem Leben trachten könnte. Zwillinge werden gleichfalls als unglückbringend angesehen und aus dem Wege gebracht, es müßte denn sein, daß sich ein Nachbar ausfindig machen läßt, der sie adoptiert; in diesem Falle stehen keine schlimmen Folgen von ihnen zu befürchten.
Bei den Tinguianen werden bereits für ganz junge Kinder von den Eltern die Ehen abgeschlossen; man bezahlt für das Mädchen eine Kaufsumme. Aber erst von der Pubertät an leben beide Teile zusammen. Naht der Zeitpunkt des Eheabschlusses, so überreicht der Bräutigam seinen Schwiegereltern eine wertvolle Kanne und darf sie von diesem Zeitpunkte an nicht mehr bei Namen nennen. Die Eltern des Mädchens machen eine Schüssel Reis zurecht und füllen in eine Kokosnußschale Wasser; beides stellen sie zwischen das Paar auf die Erde (Abb. 339). Das Mädchen nimmt eine Handvoll Reis, drückt die Körner zu einem Ballen zusammen und läßt sie zwischen die Bambusstäbe des Fußbodens hindurchfallen, als Opfer für die Geister. Der Jüngling ballt ebenfalls eine Reiskugel zusammen und wirft sie in die Höhe. Bricht sie nach dem Herabfallen auseinander oder kommt sie ins Rollen, so gilt dies als ein böses Vorzeichen dafür, daß das Paar sich untreu werde oder daß seine Kinder sterben werden; bleibt sie aber an der Stelle liegen, wo sie hingefallen ist, dann liegt die Zukunft für die jungen Eheleute günstig. Sie trinken von dem kalten Wasser aus der Kokosschale, und die eigentliche Ehezeremonie ist vorüber. — Die Ifugao des nördlichen Luzon (Abb. 340) feiern die Hochzeit mit einer größeren Festlichkeit.
Ein Begräbnis in einem Tinguianendorf ist ein großes Ereignis. Der Tote wird in seine besten Gewänder gekleidet und in sitzender Stellung gegen die Wand des Zimmers gelehnt (Abb. 341); um und über ihn werden Decken und andere wertvolle Geschenke aufgehäuft, deren Geisterseelen seiner Seele zu den Ahnen nach Maglawa, dem künftigen Heim, zu folgen haben. Während des Begräbnisses, das gewöhnlich drei Tage dauert, muß die Witwe unter einer weißen Decke verbleiben und wird samt der Leiche Tag und Nacht von Wehklagenden bewacht,[S. 280] aus dem Grunde, daß nicht böswillige Geister dem Toten schaden und den Tod der Hinterbliebenen herbeiführen können. Am Morgen des dritten Tages versammeln sich alle Freunde und Verwandte im Hause des Toten, worauf ein jeder männliche Gast etwa hundertfünfzig Hiebe erhält, „damit sie alle ebenso betrübt seien, wie die Familie des Toten“ (Abb. 344). Mit Einbruch der Nacht setzt sich eine alte Frau vor die Leiche, bedeckt sich ihr Gesicht mit den Händen und beginnt laut zu klagen und den Geist des Verstorbenen zu bitten, in ihren Körper einzutreten. Daß dieser Wunsch erfüllt ist, zeigt sich sodann daran, daß sie sich wie besessen gebärdet und ohnmächtig zusammensinkt. Einen Augenblick läßt man sie in diesem Zustande, darauf bringt man Feuer und Wasser und verscheucht dadurch den Geist; die Verzückte macht aber zuvor noch den Anwesenden Mitteilung von des Toten letztem Willen. Der Tote wird in einer Gruft unter dem Hause begraben, in der bereits einer oder mehrere seiner Vorfahren ruhen; die Familie bleibt noch viele Tage lang mit verschiedenen strengen Tabu belegt, und das Grab wird dauernd bewacht, damit sich ihm keine feindlichen Geister nähern.
Auf der Insel Mindanao sind die wichtigsten Stämme die Subanun auf der westlichen Halbinsel des Eilands, die Bogobo an den Abhängen des Berges Apo. Die Kleidung dieser Leute ist die übliche der Filippino; besonders malerisch soll die Tracht der Bogobostämme sein. Die Männer halten ihr Haar mit Tüchern zusammen (Abbild. 343), deren Spitzen sie mit Perlen und Troddeln verzieren; oft tragen sie über einem enganschließenden Hemd einen kunstvoll mit Perlen besetzten oder bestickten Rock, der vorn offen ist. Die Beinkleider sind gleichfalls an ihrem unteren Rande mit einem perlenverzierten oder ausgestickten Streifen besetzt. An Stelle der Taschen trägt jeder Mann auf seinem Rücken einen kunstvoll mit Perlen besetzten hanfenen Beutel, der mit Troddeln und Schellen (eigenem Erzeugnis der Eingeborenen) umrandet ist. Die Kleidung der Bagobofrauen ist nicht minder künstlerisch. Die bis auf den Rock reichende und am Halse fest anschließende Jacke, wodurch der Oberkörper vollständig verhüllt wird, ist auf den Schultern und den Ärmeln, am Halse und Taillenschluß ebenfalls bestickt, oft auch mit komplizierten Mustern in Muschelscheiben oder Perlen verziert. Männer wie Frauen tragen außerdem um den Hals Perlenschnüre, die oft frei bis auf die Brust herabfallen, sowie Schellen[S. 282]armbänder. Die Frauen lieben es auch, sich die Arme mit Messing- und Muschelschmuck, die Beine und Knöchel mit Spangen zu überladen, an denen Klappern und Schellen sitzen.
Die Bogobo (Abb. 347) sind zwar nominell einem Herrscher unterstellt, aber die Unterhäuptlinge erkennen nicht immer seine Herrschaft an. Neben ihnen (Datus genannt), die Recht zu sprechen und darauf zu achten haben, daß Übertreter des Gesetzes bestraft werden, verfügen auch noch Priesterinnen über eine gewisse Macht. Es sind dieses meistens Frauen in mittleren Jahren, die unter anderem große Fertigkeit in der Webekunst besitzen und von den Geistern sich berufen fühlen, eine „Mabalian“ zu werden; sie sind auch in der Arzneikunde bewandert und pflegen die Kranken. Als Auszeichnung dürfen sie eine besondere Tracht tragen, die sich keine andere Frau beilegen darf, sonst würde sie von den Geistern bestraft werden. Die Pflicht dieser Priesterinnen ist es, die Zeremonien zu leiten, die zur Besänftigung der Geister beständig abgehalten werden, und ihnen im besonderen Opfergaben darzubringen. Auch bei der Geburt sind sie hilfreich. Ist ein Kind geboren, dann reibt die Priesterin dessen Augen und die der Zuschauer mit einer besonderen Art von Erde ein, damit sie nicht blind werden, und erhält dafür eine Belohnung in Geld.
Bei den Subanun (Abb. 345) unterziehen sich beide Eltern vor der Geburt ihres zu erwartenden Kindes einer Reihe Einschränkungen bezüglich der Kost sowohl wie der Beschäftigung. Der Gatte darf nicht anders als ruhig und gebückt einhergehen, vielleicht aus Furcht, er könnte die Aufmerksamkeit böser Geister auf sich lenken. Er darf das Sparrenwerk seines Hauses, ebensowenig andere Dinge, nicht festbinden, weil er sonst dadurch Verwicklungen bei der Geburt[S. 283] herbeiführen würde und anderes mehr. Die Geburt spielt sich selten im eigenen Hause ab, vielmehr wird für die Mutter kurze Zeit vor ihrer Niederkunft abseits eine kleine Hütte erbaut, in die man allerlei Zaubermittel hängt. Der Grund für diese Absonderung liegt vielleicht in der Furcht, die Frau könnte während der Geburt im Wohnhaus sterben. Nach ihrer Niederkunft muß die junge Mutter noch tagelang in der Hütte verweilen und wird dabei der Hitze eines großen Feuers ausgesetzt, ein recht unangenehmes Verfahren, das wohl zur Austrocknung vorgenommen wird und meist große Brandwunden hinterläßt. Knaben und Mädchen der Subanun gehen jahrelang vollständig nackend, sie sind nur mit Zaubermitteln behängt gegen böse Geister. Sie erhalten nicht eher einen Namen, als bis sie vier oder fünf Jahre alt geworden sind. Für Knaben und Mädchen gibt es keine besonderen Schlafräume, wie bei anderen Philippinenstämmen; sie schlafen mit den Eltern zusammen.
Mit der Heirat der Subanun sind keine bemerkenswerten Sonderbräuche verbunden; das Wichtigste ist dabei die symbolische gegenseitige Reisfütterung des Paares aus einer gemeinsamen Schüssel, wozu der Priester den Segen der Geister anruft. Die Eltern vereinbaren das Nötige bezüglich des Brautpreises. Die Schwiegereltern werden mit großer Achtung behandelt; der junge Ehemann redet den Vater und die Mutter seiner Frau nicht mit ihrem Namen an, die Frau erweist den Eltern ihres Mannes die gleiche Höflichkeit. Von Polygamie, die wohl gestattet ist, wird selten Gebrauch gemacht, weil dies ein Luxus ist, den sich nur die Reichen leisten können. Da die Ehe der Subanun mehr auf Verstandesgrundlage denn auf solcher des Gefühls beruht, so erklärt es sich, daß sie von langer Dauer ist und durch Untreue nicht getrübt wird.[S. 284] Diese Sicherheit wird durch das Bewußtsein noch erhöht, daß die Partei, die danach trachtet, die Ehe zu lösen, Entschädigung zahlen muß oder eines Teils des ihr Ausgesetzten verlustig geht.
Die Bogobo heiraten in einem verhältnismäßig viel späteren Alter als anderswo auf den Philippinen; die die Ehe eingehenden Teile sind manchmal schon zwanzig Jahre alt. Die Eltern bringen für gewöhnlich die Partie zustande, die dann in aller Form bei einer Versammlung von Freunden und Verwandten, wobei zwei Gemeindehäuptlinge die beiden Personen vertreten, ihre Bestätigung findet. Der Vater des Mädchens macht stets ein Gegengeschenk, das ungefähr der Hälfte der Hochzeitsgabe von seiten des Bräutigams entspricht, damit es nicht heißt, er habe seine Tochter verkauft. Die[S. 285] Hochzeit findet aber dann noch nicht statt, sondern der Jüngling muß erst ein Jahr lang für seinen zukünftigen Schwiegervater arbeiten. Die Hochzeitszeremonie ist die gleiche wie anderwärts; Braut und Bräutigam bedienen sich gegenseitig mit Reis aus einer gemeinsamen Schüssel, und die Priesterin bringt den Geistern Opfer dar. Die Jungvermählten begeben sich zwar in ihr eigenes Heim, der Ehemann aber muß noch jahrelang gewisse Dienste für die Familie seiner Frau verrichten.
Die Religion der Bogobo ist der Geisterkult; für sie hat man in den Häusern besondere Vorrichtungen als Wohnung geschaffen, damit sie beständig zugegen sein und alles, was die Menschen tun, fördern können. Die Zahl der Geister ist sehr groß; sie üben einen besonderen Schutz für bestimmte Menschen aus, so zum Beispiel kümmert sich ein Geist um die Krieger, ein anderer um die Weber, ein dritter um die Messingarbeiter und so weiter. Der Geist, dem alles Eßbare gehört und der nach den Feldern und Ernten sieht, erhält einen Schrein für sich mitten auf dem Reisfeld erbaut; nachdem die Ernte eingetragen ist, wird ihm zu Ehren eine große Feier abgehalten. Ein Geist führt die Rolle des Oberhauptes aller Geister; er ist es, der die Welt erschaffen hat und der stets sein Opfer zuerst erhält, sobald irgendeine Zeremonie vollzogen wird. Ihm sind die anderen Geister auch untertan. Interessant ist der Aberglaube, daß, wenn Kinder aus zwei Familien sich heiraten, sich die besonderen Schutzgeister jeder Partei miteinander verschmelzen und fortan ein Geist werden, der das Paar beschirmt. Die Geister, die die Krieger beschützen, sind mit besonderer Macht ausgestattet und dürfen auch nur von[S. 286] solchen Kriegern angeredet werden, die eine oder mehrere Personen bereits getötet haben; auch ein Mann, der den Verehrer einer ungetreuen Frau umbrachte, zählt zu diesen Bevorzugten. Diese Krieger haben die Berechtigung, ein besonderes Gewand zu tragen, und wenn sie mehreren Menschen im Kriege den Garaus gemacht haben, diesem einen weiteren Schmuck hinzufügen. Gelegentlich bringt man den Schutzgeistern der Krieger ein Menschenopfer, das in einem Sklaven oder einem Gefangenen besteht; Sklaverei ist eine anerkannte Einrichtung der Bogobo und das Bedürfnis nach Sklaven führt oft zu Einfällen bei den Nachbarstämmen. Bei diesem Opfer darf ein jeder teilnehmen, der während des Jahres von Unglück geplagt wurde, oder jede Familie, in der ein Todesfall vorgekommen ist; Vorbedingung ist aber, daß dem Datu das Opfer bezahlt oder ein eigenes gestellt wird. Der zum Opfer auserlesene Sklave wird mit über den Kopf zusammengebundenen Händen an einen Baum gestellt und über ihn ein Gebet gesprochen. Darauf wird ein Speer mit sehr langem Schaft gegen seine linke Brust gerichtet und alle, die zum Kauf des Sklaven beigetragen haben, beteiligen sich insofern an dem Opfer, als sie den Schaft entweder halten oder ihn berühren. Auf ein bestimmtes Zeichen wird der Speer sodann durch das Herz gestoßen. Die Leiche erhält dann noch eine Anzahl Stichwunden und wird begraben. Hieran schließt sich eine Zeremonie, bei der zwei bekränzte Stangen hoch aufgerichtet werden, um das Ereignis zu kennzeichnen, die Krieger sich stark betrinken, ihre Taten dabei rühmen und so weiter.
Erkrankt ein Bogobo, so wird er in das Haus eines anderen gebracht, damit die bösen Hausgeister ihn aus den Augen verlieren und die guten der anderen Behausung sich seiner[S. 287] annehmen; sobald man aber den Eindruck des bevorstehenden Todes hat, wird der Kranke in sein eigenes Haus wieder zurückgebracht, damit sein Tod nicht die Aufmerksamkeit der bösen Geister auf das Haus des Freundes lenke. Stirbt ein Mensch dennoch im Hause eines anderen, so muß seine Familie für das Unglück, das sein Tod diesem sicherlich bringen wird, eine Buße zahlen. — Von einer Klasse Geister glaubt man, daß sie die Schatten des Toten verzehren und Macht besitzen, den Lebenden ein Leid anzutun; sie werden manchmal direkt als gleichbedeutend mit den Geistern der Toten betrachtet.
Die Subanun kennen ebenfalls zahlreiche Geister, unter anderen solche der See, der Erde, der Wälder, der Flüsse und Beschützer der Kranken. Ihre Religion beruht auf einer Reihe Offenbarungen, die den Medizinmännern von Zeit zu Zeit zuteil werden. Deren Tätigkeit besteht in dem Verkünden von Orakeln oder Aussprüchen der Geister, mit denen sie zu sprechen vermögen, in Opfern und Gebeten an diese und in der Heilung von Krankheiten. Die bedeutenderen unter ihnen werden hochgeehrt. Man begräbt die Medizinmänner auch nicht, sondern setzt sie unter Schutzdächern aus, da man glaubt, daß sie wieder zur Erde zurückkehren.
Den Geistern werden rohe Altäre errichtet, auf denen man Reis, Hühner, Eier, Betel, Tabak und Reisbier in Krügen darbringt; auch kleine Boote setzt man mit Opfergaben beladen aufs Wasser, wohl in der Hoffnung, daß sie die bösen Einflüsse mit sich fortnehmen möchten. Auch auf Vorbedeutungen legt man Gewicht; auf Grund solcher Verkündigungen wird gelegentlich[S. 288] eine Verlobung wieder aufgelöst oder eine Reise unterlassen, bei anderen das Vorhaben nur aufgeschoben. Viele Zeremonien dienen der Versöhnung der Geister oder ihrer Vermittlung bei unangenehmen Lagen, auch der Förderung der Ernte, dem Schutze des Hauses bei seinem Aufbau und anderes mehr.
Sehr häufig werden Feste gefeiert, zu denen die Vorräte bereits beizeiten gesammelt und die benachbarten Häuptlinge eingeladen werden. Eigenartig ist die Form der Einladung; es werden Rotangstücke überbracht, die Knoten tragen, und zwar so viel, als noch Tage bis zur Veranstaltung des Festes vorhanden sind. Jeden Tag schneidet der Eingeladene einen Knoten ab, und wenn nur noch ein Knoten übrig bleibt, dann weiß er, daß die festgesetzte Zeit herangekommen ist. Haben sich die Gäste versammelt, dann werden alle Waffen beiseite gelegt und der Obhut eines oder zweier Männer übergeben. Vor Beginn des Festes pflegt ein Freund des Festgebers darauf aufmerksam zu machen, daß derjenige, der nicht den erforderlichen Anstand bewahrt, in Strafe genommen wird. — Bei solchen Festen, die zur Erfüllung eines Gelübdes, daß ein Kranker sich erhole, oder zur Erinnerung an einen Toten, oder zu irgendeinem anderen frommen Zweck veranstaltet werden, errichtet man Altäre, vor denen die Medizinmänner die Zeremonien vollziehen. Die Gäste aber lassen sich dadurch in ihrem Vergnügen nicht im geringsten stören, da sie auf dem Standpunkt stehen, daß die ernste Seite der Feier ausschließlich Sache der Medizinmänner ist.
Wie schon erwähnt, werden die Leichen der Medizinmänner im Freien ausgesetzt; der gewöhnliche Mensch wird in eine Matte gehüllt oder in einen Sarg gelegt und dann in der Erde begraben. Nach dem Begräbnis baden die Angehörigen im Flusse, bevor sie in ihre Wohnungen zurückkehren.
Es erübrigt sich noch der Moro (Abb. 346) zu gedenken, Malaien mohammedanischen Glaubens, die ursprünglich Bewohner der Nordküste Borneos waren, wo sie unter der Bezeichnung Bajau oder Seezigeuner bekannt sind und erhebliche Kreuzungen mit Arabern eingegangen sind. Kurz vor der Entdeckung der Philippinen durch die Spanier nahmen sie von den Suluinseln Besitz und wurden von hier aus durch ihre Raubzüge zur See zu Anfang des vorigen Jahrhunderts eine ständige Quelle des Schreckens für die Bewohner der umliegenden Inseln, deren Besitztum und Frauen ihre Bedürfnisse befriedigen. Daher bekunden sie auch eine Abneigung gegen die Arbeit, zumal sie von früher Jugend ab bereits an die Waffen und die Seeräuberei gewohnt werden. Durch diese ihre Beschäftigung sind sie kriegerisch und furchtlos, selbst grausam geworden, trotzdem heutzutage wenig Gelegenheit für die Ausübung ihres Handwerks sich ihnen bietet, da man sehr auf sie acht gibt. Um ihrem Gewerbe leicht nachgehen zu können, haben sie ihre Wohnungen an der Küste auf Pfählen errichtet; im gegebenen Augenblick können sie von hier aus sofort in ihre Boote gelangen, die dicht vor der Tür vor Anker liegen. Es bedarf keines Hinweises, daß sie tüchtige Seeleute und des Schwimmens kundig sind.
Die Moro sind von kleiner Gestalt, schlank gebaut und doch muskulös; sie sind sehr beweglich und zeigen sehr lebhafte Augen unter einer niederen Stirn in einem kleinen Gesicht. Der Sultan von Sulu ist nominell der Herrscher aller Moro, doch wird seine Autorität auf den außenliegenden[S. 292] Inseln nicht immer anerkannt von denen, die ihm untergeordnete Vertrauensstellen innehaben. In jedem Dorfe nämlich liegt die Führung der Gemeinde in den Händen eines Datu oder Pangiran; daneben aber kommt auch dem Priester eine gewisse Macht zu. Mit der Religiosität des Moro ist es nicht weit her; sie tritt meistens nur dann in Erscheinung, wenn er, vom Leben angewidert oder um ein Gelübde zu erfüllen, Amok läuft und möglichst viele Ketzer umbringt, ehe er mit dem eigenen Leben die Strafe seiner Begeisterung bezahlt. Die Moscheen der Moro sind in schlechtem Zustand, die vorgeschriebenen Fasten werden unregelmäßig eingehalten und sonstige Enthaltsamkeit, die der Islam vorschreibt, wird wenig beachtet, sofern man annehmen kann, daß diese Übertretung nicht bemerkt wird. Der Moro zollt zwar dem Koran große Verehrung, hat aber fast keine Ahnung von seinem Inhalt.
Die Männer tragen Hemden, Jacken und Hosen, dazu eine Schärpe in leuchtender Farbe und[S. 293] Kopf- oder Halstuch, Leute, die eine Wallfahrt nach Mekka unternommen haben, auch einen Turban. Ihre Gewänder sind gleichfalls kunstvoll gestickt und oft aus schwerster Seide hergestellt. Die Männer tragen das Haar herabfallend, die Frauen schlingen es zu einem mehr oder weniger phantastischen Knoten. Eine Eigenart ist das Feilen und Schwärzen der Zähne. — Besondere Sorgfalt widmen die Moro ihren Waffen, als da sind der Barong, ein kurzes, schweres Hackmesser mit einer scharfen Schneide wie ein Rasiermesser und einem dicken Rücken, sodann der Kris, der Kampilan, ein Schwert mit zwei Griffen, und die Lanze. Diese Waffen sind durchweg aus dem allerbesten Material hergestellt, manchmal prächtig mit Gravierungen und Tauschierung aus Silber verziert.
Die Moro finden anscheinend nicht viel Vergnügen am Tanz, dagegen widmen sich ihm viel die Frauen, so bei Hochzeiten und anderen Gelegenheiten. Ihr Tanz kennzeichnet sich durch Bewegungen mit dem Oberkörper, die im besonderen die Arme und Hände ausführen, während die Füße überhaupt nicht in Tätigkeit treten. Die jungen Leute bekunden nur Interesse an einer Art Kriegstanz, den sie mit Schwert und Stock bewaffnet aufführen, und bei dem sie mit besonderer Geschicklichkeit und Schnelligkeit Fechterkunststücke darbieten. — Die Musik, für die die Moro viel übrig haben, soll ihre Lebensweise widerspiegeln, ihr Gesang dem Rollen der See ähneln. Das am meisten gebräuchliche Instrument ist eine Art Xylophon, auf dem die Frauen oft stundenlang spielen.
An die Geburt eines Kindes knüpfen sich bei den Bewohnern des Suluarchipels einige eigenartige Gebräuche. Bei zögernder Geburt wird durch Spalten von Pinang oder Zerschneiden der Ingwerwurzel darüber Rat eingeholt, was die Ursache hierfür sein könnte, und dementsprechend werden Maßregeln getroffen. Hat die Kreißende zum Beispiel mit ihren Eltern Streit gehabt, so müssen diese sich Gesicht und Hände in einem Gefäß mit Wasser waschen und dabei geloben, nach günstigem Verlauf der Geburt ein Opfer darzubringen. Ein Teil dieses Waschwassers wird der Gebärenden zu trinken gegeben, der Rest über sie ausgegossen. Unmittelbar vor der Abnabelung ruft die Hebamme dem Kinde einen[S. 294] Namen zu und fragt an, ob es so heißen will; gibt es durch einen Ton seine Zustimmung, so behält es diesen Namen, verhält es sich aber ruhig, so wird ein anderer Name ausgedacht. Den abgetrennten Nabelstrang eines Knaben hebt man in einem kleinen Kober auf, der von diesem, sobald er erwachsen ist, um den Hals oder den Bauch getragen wird; derjenige der Mädchen wird sofort begraben. Die Nachgeburt wird mit Asche und Pinangblüten in ein Pinangblatt gewickelt und in eine Kalapanuß gelegt, die man zubindet. Eine der Geburtshelferinnen trägt sie mit bedecktem Kopfe hinaus und begräbt sie dicht bei der Wohnung; unterwegs aber darf sie kein Wort sprechen und niemand Rede stehen; sonst wird das Kind heuchlerisch. An der Stelle, wo die Nachgeburt vergraben ist, pflanzt man einen Gagabaum und zündet dort vier Nächte hindurch Harzfackeln an. Eigenartig ist die Anerkennung des Kindes durch den Vater. Die Hebamme gibt die Erklärung ab, wer der Vater ist. Dieser oder einer der männlichen Blutsverwandten muß dann den Bambussplitter, mit dem die Nabelschnur durchtrennt wurde, an einem Speer befestigen. Diesen steckt der Betreffende dann in einen bestimmten Baum und erkennt durch diese Zeremonie das Kind vor allen Dorfgenossen als sein eigenes an. Der Baum verbleibt Eigentum des Kindes.
Die Polygamie ist allgemein verbreitet, da der Koran mehrere legale Frauen erlaubt. Die Frauen werden meistens gekauft; ihre Stellung ist eine ziemlich hohe. Ihre Heiratsfähigkeit beginnt mit dem dreizehnten Lebensjahr. Auf den Suluinseln soll vor der Landung der Spanier die Homosexualität sehr verbreitet gewesen sein, in dem Maße, daß auf Antrag der Frauen an dem Gliede der geschlechtsreifen jungen Männer eine eigentümliche Operation vorgenommen wurde, durch die jeder gleichgeschlechtliche Verkehr unmöglich gemacht werden sollte.
Die malaiische Halbinsel, die südöstliche Spitze des asiatischen Festlandes, bildete von jeher die Brücke zwischen dem letzteren, im besonderen Indochina, und den Inseln des Malaiischen Archipels und war somit den Völkerwanderungen, die teils von China, teils von Vorderindien aus im Laufe der Zeiten dieses Gebiet überfluteten, in hohem Grade ausgesetzt. Es kann daher kein Wunder nehmen, wenn wir hier einen richtigen „Völkerbrei“ antreffen, an dem die Malaien, beziehungsweise ihnen verwandte Völker den Hauptbestandteil ausmachen. Indessen bewohnen diese heutzutage vorwiegend die Küstengegenden, während im Innern noch verschiedene Stämme wilder Ureinwohner hausen, vor allem die Semang, Senoi, Sakai (Abb. 350) und Jakhûn oder Jokol. Die Orang ûtan, Lâut, Belenda, Tanggan und andere mehr sind entweder nur Unterabteilungen dieser Völker oder ihnen verwandte Stämme. Die Semang und Senoi weisen überwiegend die charakteristischen Züge der Negrito, also der afrikanischen Grundrasse auf, die Sakai dagegen nähern sich mehr den Australiern und den Wedda, also den Angehörigen der sinoaustralischen Grundrasse; beide Völker sind vielfach miteinander Kreuzungen eingegangen. In den Jakhûn dagegen ist bereits malaiisches Blut vertreten. Alle diese Stämme leben in der Hauptsache von der Jagd, wozu sie kleine Bogen und Pfeile, auch Blasrohre (Abb. 349) mit einem in den Giftsaft des Upasbaumes getauchten Geschoß benutzen, und den Erträgen des einheimischen Bodens (Yams und andere Wurzeln). Ackerbau betreiben sie nicht, wohl aber[S. 296] handeln sie mit Honig, Kampfer, Gummi und anderen tropischen Erzeugnissen. Feste Wohnungen kennen sie nicht; für gewöhnlich hausen sie hinter primitiven Windschirmen, unter Laubdächern, überhängenden Felsen oder Höhlen; aber auch auf Bäumen werden sie angetroffen. Schlagen sie auf ihren Wanderungen ein primitives Lager auf, dann muß ein unverheiratetes Mädchen durch Quirlen Feuer anmachen, um mit gutem Erfolge kochen zu können. Damit man stets dazu bereit ist, trägt jeder Jakhûn das erforderliche Hölzchen am Körper oder auch auf dem Stirnband von Rinde immer bei sich. — Die Semang erzeugen auch Feuer durch Sägen, das heißt durch Hin- und Herziehen einer Liane über ein Stück Holz.
Die Kleidung der Männer besteht bei den Wildstämmen in einem Gürtel aus mehrfach gewundener Schnur oder in einer Schambinde aus Rindenstoff, bei den Frauen in einer solchen aus zahlreich herabhängenden Schnüren. Wie anderwärts besteht auch bei allen diesen Stämmen lebhafte Neigung, sich mit irgendeinem glänzenden oder farbigen Gegenstande, wie bunten Seemuscheln, Samenkernen und anderem mehr zu schmücken. Außerdem wird der Körper bemalt, jedoch nicht tatauiert. Auch Ohrdurchbohrung (Abb. 351) und Zahnfeilung kommen, von den Malaien übernommen, vor. — Die Frauen der Semang tragen in ihrem Haar mit eigentümlichen Mustern bedeckte Kämme, aber nicht zur Zierde oder zum Halt für die Haare — sie besitzen meist nur etwa drei Zähne —, sondern zum Schutze gegen bestimmte Krankheiten, gegen die man die Zeichnungen eingeritzt hat. Jede Frau hat eine große Anzahl dieser Zauberkämme in ihrem Besitz und tauscht sie mit anderen Frauen leihweise aus.
Mit diesen Zaubermustern hat es nämlich eine ganz eigentümliche Bewandtnis. Es sind durchweg geometrische Zeichnungen (Abb. 352) in großer Reichhaltigkeit und Fülle — man zählt ihrer gegen hundertundvierzig —, die die Semang angeblich schon von ihren Vorfahren überkommen haben. Ihre Bedeutung ist eine zeremonielle; jedes der einzelnen Muster soll eine Krankheit bezeichnen, beziehungsweise eine Blume, durch deren Geruch der Geist dieser Krankheit von dem Träger des betreffenden Gegenstandes abgehalten wird. Mit Vorliebe werden solche Zaubermuster auf den Köchern und Zaubergefäßen, sowie auf den Kämmen angebracht. Außer diesen geometrischen Mustern schnitzt man noch andere Zeichnungen auf den Bambusgegenständen ein, die Menschen, Tiere, Pflanzen, allerdings manchmal in recht schematischer Wiedergabe, veranschaulichen. Diese werden auf Gegenständen angebracht, die gleichsam repräsentativen Zwecken dienen.
Von den verschiedenen Wildstämmen Malakkas stehen die Semang in kultureller Hinsicht am tiefsten; sie sind sicher als bodenständig zu betrachten; höher stehen schon die Sakai, die sich mit ihnen vermischten. Auf der verhältnismäßig höchsten Stufe, bereits auf einer Art Halbkultur, die vielfach von den benachbarten Malaien mit übernommen wurde, stehen die Jakhûn und Belenda. Unser Wissen über diese Wildstämme ist nur ein stückweises.
Wie die Australier stellen sich auch die Semang die Seele als einen Vogel vor und erklären sich die Entstehung des Menschen in der Weise, daß dieser Seelenvogel, der auf den Zweigen eines Himmelsbaumes sitzt, von Kari, dem höchsten Gotte, zur Erde gesandt, hier von dem Ehemanne getötet und der Frau zu essen gegeben werde; dadurch gehe die Seele des Vogels in den Fötus über. Sonst darf dieser Seelenvogel von niemanden getötet und verspeist werden. — Während der Schwangerschaft weicht der Orang ûtan-Mann, wenn irgend möglich, nicht von der Seite seiner Frau; durch seine Anwesenheit glaubt er das Gedeihen des werdenden Kindes zu fördern. Bei den Jakhûn wird die schwere Stunde äußerlich durch ein in die Augen fallendes Büschel von Palmblätterfasern kenntlich gemacht, damit jede männliche Person, die dies bemerkt, sogleich umkehrt; nur der eigene Mann darf in der Nähe bleiben, um helfen zu können. Für gewöhnlich aber stehen auch bei den Urwaldstämmen weise Frauen der Gebärenden bei, meistens alte Weiber, die eine bevorzugte Stellung unter den Frauen einnehmen, insofern sie von allen gemeinsam[S. 299] durch diese zu leistenden Arbeiten, wie Rotangwinden, Wurzelsuchen und so weiter befreit sind, dafür aber auch die Kinder des Dorfes in ihre Obhut zu nehmen haben. Ihre Hütten sind im Gegensatz zu denen der übrigen Bewohner, die auf Pfählen ruhen, direkt auf dem Erdboden erbaut und besitzen eine ganz niedere, kleine Tür, damit niemand hineinschauen kann. Denn hier pflegen die Weiber des Dorfes auch niederzukommen. In dem Augenblick, wo das Kind das Licht der Welt erblickt, erheben die Orang Lâut ein mächtiges Geschrei und schlagen dabei die Trommeln, um die bösen Geister zu vertreiben; wenn die Nabelschnur durchschnitten ist, brauchen sie von ihnen nichts mehr zu befürchten. Die weise Frau, die der jungen Mutter in ihren Nöten beigestanden hat, bläst während dieses Lärms kräftig auf das Neugeborene.
In dem Augenblick, in dem die Nabelschnur durchschnitten wird, geben die Belenda dem Kinde den Namen; sie nennen es entweder nach dem wichtigsten Moment, der in ihren Träumen eine Rolle spielte, oder nach dem Gegenstand, den sie am Morgen der Geburt erblickten; ein Zauberer legt dem Kinde einen von ihm angefertigten Kopfreifen aus Baumrinde um, auf dem der vereinbarte Name geschrieben steht. Die Semang nennen das Kind nach dem Namen des Baumes, unter dem es geboren worden ist. Der Nabelschnurrest der Knaben wurde von den Jakhûn an einen Wurfstein des Vaters gebunden, mit dem dieser schon einmal einen Feind getötet hatte, darauf in Seewasser getaucht, gewaschen und in den Rauch zum Trocknen gehängt, schließlich mit dem Wurfsteine aufbewahrt, bis der Knabe erwachsen war. Bei seiner Ver[S. 300]heiratung nahm er beide Dinge in Empfang und hob sie gleichfalls auf; ein solcher Wurfstein verfehlte dann niemals sein Ziel. — Oft säugen die Frauen der Sakai neben ihren Kindern auch noch die Jungen ihrer Haustiere, namentlich solche, denen sie zugetan sind (Abb. 353).
Bei den Malaien wird die Mutter und das Kind nicht nur vor der Geburt des letzteren, sondern auch nachher gegen die bösen Geister durch mancherlei Methoden gefeit. Eine davon besteht darin, daß sie einen Heiltrank, genannt der „Hundert-Kräuter-Trank“, weil er so viel Bestandteile aufweisen soll, zu sich nehmen muß, eine andere darin, daß sie sozusagen geröstet wird. Mehrmals am Tage wird sie auf einem erhöhten Gerüst, unter dem ein helles Holzfeuer lodert, der größten Hitze ausgesetzt, eine allerdings recht grausame Behandlung, die vier bis vierzig Tage durchgeführt wird und unter Umständen das arme Opfer buchstäblich seiner Sinne beraubt oder es direkt tötet. Das malaiische Baby erhält meistens im Verlaufe der ersten Woche (anscheinend probeweise) seinen Namen, erkrankt es aber, dann wird es sofort von einem anderen adoptiert, wenigstens vorübergehend, und erhält damit einen neuen Namen. Auf der Ostküste der Halbinsel besteht die hübsche Sitte, auf sieben verschiedene Bananen verschiedene Namen zu schreiben und das Kind seinen eigenen selbst wählen zu lassen. Später schließt sich an die Namensgebung die Zeremonie des Rasierens des Kopfes und des ersten Nägelbeschneidens. Jede dieser Zeremonien verlangt das Opfer zweier Ziegen, wenn das Kind ein Knabe, und nur einer Ziege, wenn es ein Mädchen ist. Die Haarabfälle und Nägel werden jedesmal am Fuße eines Obstbaumes (Bananen-, Granatbaumes und so weiter) begraben, dadurch glaubt man seine Fruchtbarkeit zu heben. Ungefähr am vierzigsten Tage wird das Kind ins Freie gebracht und den Wassergeistern vorgestellt. — Der Eintritt der Pubertät wird festlich begangen (Abb. 354).
Die Ehe der Semang ist die Einehe. Während vor ihr große geschlechtliche Freiheit herrscht, bleiben sich nach ihrem Eingehen die beiden Gatten fortan treu. Ehebruch wird mit dem Tode bestraft, indessen kann diese Strafe durch eine Geldbuße abgelöst werden, deren Höhe aber doch der für einen Mord entspricht. Zeremonien finden bei Eingehen der Ehe nicht statt. Dagegen begegnen wir solchen in ausgedehntem Maße bei den malaiischen Stämmen.
Die Ehe der Malaien Malakkas wird von seiten der Eltern oder Verwandten des Jünglings eingeleitet. Glauben sie, eine passende Partie für ihn gefunden zu haben, so lassen sie zunächst durch einen zuverlässigen Boten aushorchen, ob das Mädchen etwa schon versprochen ist, falls dies nicht zutrifft, geben sie ihren Wunsch zu erkennen und lassen gleichzeitig den Tag für die weiteren Vereinbarungen festsetzen. An diesem Tage stellen sich Vertreter des Jünglings pünktlich ein, der eine von ihnen überreicht ein Betelnußtablett mit den dazu gehörigen Dingen (Betelblatt, Kalk, Betelnuß, Gambir) und die erste Abschlagszahlung des Brautpreises in Gestalt von Silber oder Schmucksachen. Ein Bruch des Eheversprechens von seiten des Jünglings hat in der Regel zur Folge, daß er seine Verlobungsgeschenke (Abb. 356) verwirkt, ein solcher von seiten des Mädchens, daß es sie in doppeltem Werte zurückerstatten muß. An die Hochzeit selbst knüpfen sich bei den von dem Islam noch nicht beeinflußten malaiischen Stämmen eine Unmasse von Gebräuchen, unter denen die Läuterungs- und Reinigungszeremonien die Hauptsache ausmachen. Sie beruhen zum größten Teil auf dem Gedanken, daß Bräutigam und Braut eine königliche Rolle spielen, eine angenommene Identitätsvertauschung, um die Gefahren abzuwenden, die dem früheren Glauben nach jede Hochzeitsfeier wie überhaupt jedes kritische Ereignis im Leben des Stammes begleiten. Die Sitte erfordert drei Dinge für die Gültigkeit der Ehe: die Zahlung des Brautpreises, das gemeinsame Essen der Brautleute von einer Speise und die Anerkennung der Ehe vor Zeugen, unter denen die Dorfältesten anwesend sein müssen. Diese drei Elemente des Eheschlusses finden sich auch bei den Urwaldstämmen, dagegen erfahren[S. 302] wir nichts von ihnen über eigentliche Läuterungs- und Reinigungszeremonien. Die Besisistämme legen großes Gewicht darauf, daß der zukünftige Ehemann auch imstande ist, seine Frau durch seiner Hände Kraft zu ernähren, und stellen an ihn diesbezügliche Fragen. Die Parteien setzen sich um einen Hügel und an den Bräutigam werden etwa folgende Fragen gerichtet: „Gehst du geschickt mit dem Blasrohr um?“, „Kannst du geschickt Bäume fällen?“, „Kannst du tüchtig Zigaretten rauchen?“ Fallen die Antworten zur Zufriedenheit aus, dann wird der letzte Punkt sogleich praktisch erprobt. Nachdem der Bräutigam der Braut eine Zigarette gegeben und sich selber auch eine angezündet hat, wird er aufgefordert, sie dreimal um den Hügel herumzujagen. Erhascht er sie, dann werden beide für verheiratet erklärt, wenn nicht, dann hat der Mann das Recht, bei einer anderen Gelegenheit noch einmal sein Glück zu versuchen. Bei anderen wilden Stämmen tritt an Stelle des Hügels ein Feuer, um das die Braut herumgejagt wird. Offenbar handelt es sich bei dieser Zeremonie um einen Überrest des Brautraubes.
Bei den zivilisierten Malaien treten, wie gesagt, noch die Reinigungszeremonien hinzu, wenn wir von dem kurzen Akte absehen, den der mohammedanische Moscheebeamte vornimmt; häufig genug aber wird die Hochzeit ohne Zutun des letzteren gefeiert. Die verschiedenen Zeremonien, die sich an eine Hochzeit dieser Malaienstämme knüpfen, sollen oft sieben Tage und ebensoviel Nächte hintereinander dauern. Die drei ersten Nächte sind hauptsächlich der Austreibung oder Aufhebung der bösen Mächte und außerdem der Zeremonie des Hennafärbens gewidmet, die jede für sich in dem Hause des Bräutigams, beziehungsweise der Braut stattfindet. Am vierten Tage findet der feierliche Zug des Bräutigams zum Hause der Braut und sodann das königliche Paradesitzen oder die Erhebung des Brautpaares auf den Thron statt (Abb. 357). Schließlich wird der letzte oder die drei letzten Tage, je nach der Dauer der vorausgegangenen Zeremonien, den üblichen Läuterungsfeierlichkeiten gewidmet. Während der ganzen Zeit werden jetzt meistens arabische Hymnen gesungen, sowie malaiisches Fechten und andere Tänze aufgeführt an Stelle der früher bei dieser Gelegenheit üblichen Hahnen- (Abb. 361) und Stierkämpfe (Abb. 355), Aufführungen des malaiischen Dramas und so weiter, die aber heutzutage wohl nur noch im Norden üblich sein dürften.
Das Hennafärben findet zunächst für sich statt, am zweiten Abend indessen öffentlich unter „Zurschaustellung“ des Brautpaares und zwar jedes Teiles bei sich zu Hause, und zur Entgegennahme von Glückwünschen und Geschenken seitens des beiderseitigen Bekanntenkreises. Eine auserwählte Sippe von Verwandten, Freunden und Dienern begrüßt Braut und Bräutigam nacheinander nach malaiischer Sitte, streut etwas gerösteten, mit Safran gelb gefärbten und ganz gewöhnlichen „gewaschenen“ Reis umher, berührt Stirn und Hände der Brautleute mit einer zauberkräftigen Reispaste und färbt ihnen noch Hände und Fußseiten mit Henna. Am vierten Tage spielt das[S. 304] Paar, in prächtige Gewänder gekleidet, die Rolle eines „eintägigen Königs und Königin“, wie die malaiische Bezeichnung lautet. Das Eigenartige an einem malaiischen Hochzeitskleide sind eine goldgestickte, kurze, krappfarbene Jacke mit engen Ärmeln, ein Sarong und lose seidene Beinkleider; dazu kommen bei der Braut noch zahlreiche, oft auch nur geliehene Armbänder, Fußbänder, Halsketten und Brustschmuck, mit denen sie gleichsam überladen wird, sowie ein seltsam geformter Kopfputz aus unechten Gold- oder Silberblumen, die, da sie auf Draht gezogen sind, bei der geringsten Bewegung erzittern und schillern. Außerdem werden der Braut die Haarspitzen abgeschnitten. Der Bräutigam ist mit einem steifen Kopfputz, der künstliche Blumen und Reiherfedern trägt, Halsketten, Armbändern, Brustschmuck und einem Kris geschmückt. Diese auffällige Anpassung der beiden Geschlechter in ihrer Hochzeitskleidung soll ohne Zweifel die Gefahren des kritischen Zeitpunktes mildern.
Nachdem die letzten Vorbereitungen getroffen sind, bricht die Partei des Bräutigams, nach älterem Brauch mit einer alten Frau an der Spitze unter lautem Trommelschlag, Gongbegleitung und Raketengeknatter nach dem Hause der Braut auf; in abgelegenen Teilen des Landes trägt noch ein Verwandter oder Diener den[S. 306] Bräutigam auf den Schultern, in den von der europäischen Kultur beleckten Gebieten zieht er in einem modernen Gefährt aus, am liebsten in einem Automobil. Früher war es üblich, daß der Bräutigam vor dem Hause der Braut so lange warten mußte, bis er den „Tribut an die Königin des Landes“, die Braut, gezahlt hatte; heute wird er ohne weiteres hineingelassen. Er wird in das Prunkzimmer geführt, das mit dem gestreiften „Regenbogen“, einem Wandbehang, und farbigen „Himmel“, einem Deckentuch ausgestattet ist, und hier von der Braut erwartet. Darauf setzt sich das Paar. Dies geschieht aber in aller Form und ist eine langweilige Sache, denn beide müssen ihre Knie ganz allmählich, ohne Unterbrechung, beugen, bis sie sitzen, ebenso langsam müssen sie sich wieder erheben, bis sie aufrecht stehen; dieser Vorgang wiederholt sich so lange, bis sich beide zu genau demselben Augenblick niederlassen. Wenn es ihm gelingt, soll sich der Bräutigam auf einen Teil des Brautkleides setzen, denn dadurch sichert er sich die wirkliche und nominelle Oberherrschaft im Hause. Sitzt nun endlich das Paar, dann tauscht es das vorschriftsmäßige Gelübde aus und bietet sich zu diesem Zwecke besonders zubereiteten Reis, „den Reis der königlichen Anwesenheit“, zu essen an. Er wird in einem achteckigen Behälter dargereicht (Abb. 358), der auch bunte Eier enthält und verzierte Wimpeln trägt, die hier die weißseidenen Hochzeitsschleifen vertreten; jeder Gast erhält hiervon ein Stück; falls man es ihm vorenthalten würde, hätte es früher daraufhin einen Kampf mit dem Kris gegeben. Der letzte Akt der Hochzeitsfeier besteht in dem Besprengen des Brautpaares, das mit vorgestreckten Händen dasitzt, mit Weihwasser. Fast allgemein üblich ist schließlich noch, daß ein Knoten in Form eines V von der Braut und dem Bräutigam gelöst wird — dieses Lösen ist ein Sinnbild der Vertreibung aller schädlichen Einflüsse —, und eine Schnur oder ein Gürtel aus regenbogenfarbigen Fäden siebenmal über die Köpfe und unter die Füße des jetzt verbundenen Paares geführt wird, um dann entweder vom Bräutigam entzweigerissen oder[S. 307] durchgebrannt zu werden; das verkohlte Ende wird sodann noch dem jungen Paare auf die Stirn gerieben. Zum Schluß wird die ganze Hochzeitsgesellschaft von den Jünglingen mittels Bambusspritzen durchnäßt. In Selangor war es früher üblich, Bäumchen aus Betelblättern im Hochzeitszug zu tragen, während Braut und Bräutigam Betelsträuße in der Hand hielten (Abb. 362).
Während die malaiischen Stämme sich im allgemeinen zu der Lehre des Islam bekennen, die allerdings auch bei ihnen vielfach noch mit Dämonenglauben durchsetzt ist, sind die Urwaldstämme Anhänger des Animismus und des Ahnendienstes. Für sie ist die ganze Natur von Geistern (Abb. 348, 360 und 363) angefüllt; die einen sitzen im Regen, andere in der Hitze, oder in den Bergen, Flüssen, Seen, in Tieren und so weiter. Gegen ihren bösen Einfluß sucht man sich mit Hilfe von Zauberern zu schützen (Abb. 359, 364 und 365). Im Gegensatz zu dieser religiösen Auffassung scheint die der Semang zu stehen. Dieser Stamm bekennt sich anscheinend zu einem höchsten Wesen namens Kari. Dieses ist von übernatürlicher Gestalt, besitzt feurigen Atem und hat alle Dinge mit Ausnahme des Menschen und der Erde erschaffen, jedoch dem ersteren, den auf sein Geheiß ein untergeordnetes Wesen, Ple genannt, schuf, die Seele eingegeben. Es sendet auch die Seelen, die alle auf einem großen Baume hinter seinem Throne sitzen, vermittels bestimmter Vögel in den Leib der schwangeren Mutter. Für den Kari existieren keine Bildnisse, Tempel oder sonstige Kultorte, auch keine Priesterschaft. Von einer äußerlichen Verehrung dieses Wesens weiß man nur das eine, daß die Semang bei einem Gewitter ihm Opfer in Gestalt einiger Blutstropfen darbringen, die sie sich aus der Gegend des Schienbeins entnehmen, und mit Wasser vermischt gen Himmel spritzen; sie hoffen dadurch Kari zu besänftigen.
Der Tod wird durch die Todesgeister herbeigeführt; diese besorgen dies aber nicht nach eigenem Wunsch, sondern auf Befehl des Kari. Wenn sie auf ihrer unsichtbaren Wanderung einen Menschen erblicken, der reif zum Sterben ist, so melden sie dies dem Ple, der seinerseits[S. 308] diese Mitteilung dem Kari weitergibt. Dieser trifft die Entscheidung; fällt sie zuungunsten des betreffenden Menschen aus, so senden die Todesgeister den Totenwind, der über den dem Sterben Geweihten hinwegweht. Hiergegen vermag aber kein Zauber zu helfen, wie gegen Krankheiten. Die Leichen werden im allgemeinen begraben, und zwar zusammengebunden in sitzender Stellung; bei einigen Stämmen wird das Grab mit einem kleinen Zaun von stachligen Blättern und Zweigen, seltener mit einem Flechtwerk aus Schnur (Abb. 366) umgeben. Auf das Grab selbst setzt man Speisen, neben ihm zündet man Feuer an. Die Zauberer der Pangan werden nicht begraben, sondern in den Zweigen eines Baumes beigesetzt, damit ihre Seele über den bösen Geist hinwegfliegen kann, der für gewöhnliche Menschen den Weg zum Paradies versperrt. Auch Menschen, die eines gewaltsamen Todes sterben, werden zwischen den Zweigen ausgesetzt (Abb. 368). Von einer Wiederherausnahme der Leichen oder Knochen, sowie von einer Verehrung der letzteren wird nichts berichtet. Die Semang geben[S. 309] den Verstorbenen ins Grab eine Bambusröhre mit, auf der die Häuptlinge bestimmte Zauberzeichen eingeschnitzt haben; mit diesen müssen jene bei dem Gericht vor Kari erscheinen und sie vorweisen. Nachdem Gericht abgehalten worden ist, gehen die guten Seelen nach dem Untergang der Sonne ins Paradies, die bösen aber können dorthin nicht gelangen, weil sie durch eigene Wächter davon abgehalten werden; sie müssen ins Fegefeuer, wo sie ein elendes Dasein zu führen haben. — Die buddhistischen Malaien setzen ihre Leichen der Luft aus (Abb. 367 u. 369) und verbrennen ihre Knochen, wenn sie verwest sind. Die Asche setzt man vor den Buddhabildern nieder (Abbild. 370).
Viel prunkvoller dagegen gestaltet sich ein Begräbnis mohammedanischer Malaien, wie man es tagtäglich beobachten kann. Der Leichnam wird in schöne Sarongs eingehüllt, die, wenn die Angehörigen es sich leisten können, reich mit Goldfäden bestickt sind, und über einer Matte auf eine Matratze gelegt; der Kopf ruht dabei auf fünf bis sechs Kissen; die Hände, zwischen deren Finger ein Dolch oder eine Betelnußschere als „Symbol des Eisens“ — wie man behauptet, soll das den Toten am Aufstehen hindern — geschoben ist, liegen über der Brust gefaltet. Eine Schale mit Weihwasser wird zu jeder Seite auf die Erde gestellt, und die gestreiften Behänge, die bei keiner malaiischen Festlichkeit fehlen dürfen, werden angebracht, so daß das Ganze auch hier sozusagen einen „königlichen“ Eindruck macht. Zu gleicher Zeit wird eine Leichenwache abgehalten, die so lange bleibt, als der Tote noch im Hause weilt; das Herdfeuer und die angezündeten Lampen müssen aber mindestens sieben Tage und ebensoviel Nächte nachher noch brennen. Der mohammedanische Priester wird geholt, und die Verwandten werden benachrichtigt. Jetzt wird der Tote mittels einer Anzahl malaiischer Schönheitsmittel gewaschen und bekommt die[S. 310] letzten „neun Spülungen“. Diese Zeremonie wird aus dem Grunde so genannt, weil das Wasser dreimal zur Linken, dreimal zur Rechten und dreimal vorn über die Leiche ausgeschüttet wird. Gleichzeitig wird dem Toten auch der Mund verstopft, damit nichts Unreines eindringen kann. Nachdem er in ein Leinentuch gewickelt ist, wird dieses mit den zu diesem Zwecke abgerissenen Ecken an fünf Stellen zusammengebunden; wohlriechende Essenzen, zerpflückte Blumen und Girlanden aus Blätterwerk, „Füße des Tausendfußes“ genannt, werden für den Leichenzug fertig gemacht. Nun wird der Tote in den Sarg gelegt, dieser auf die Bahre gesetzt und mit einem schwarzen Leichentuch bedeckt, auf das die „Tausendfüße“ gestreut werden. Da die malaiische Sitte ein Gefährt mit Rädern für die Überführung der Leiche verbietet, so wird der Sarg stets getragen; die Zahl der Träger richtet sich nach dem Range des Verstorbenen. Am Grabe angekommen, wird der Sarg in die Erde versenkt und die fünf Wickelbänder gelöst. Die Angehörigen reichen den Totengräbern in der Gruft Erdbälle, die sie geknetet haben; diese werden dem Toten unter die Nase gehalten, damit er daran „rieche“. Das Grab wird sodann ganz vorsichtig zugeschüttet, denn die Erde darf die Körperoberfläche nicht direkt treffen. Schließlich werden zwei rauhe Pfosten aus Holz (Abb. 371), runde bei einem Manne, flache bei einem Weibe, vorläufig eingeschlagen, und zwar einer am Kopfende, der andere in der Mitte (nicht am Fußende). Bei dem Begräbnis eines Sultans werden manchmal weiße Tuchstreifen verteilt; Weiß ist nämlich wie bei den Malaien seit undenklichen Zeiten die Farbe der Trauer. Weiß spielt im übrigen auch bei den religiösen Gebräuchen der Malaien eine große Rolle (Abb. 372), alle weißen Tiere sind heilig, und nach der allgemeinen Annahme fließt in den Adern ihrer Könige und Fürsten weißes Blut. Wenn möglich, leitet ein mohammedanischer Geistlicher die Totenfeier; er streut die duftenden Essenzen und die zerpflückten Blumen, die auf der Bahre lagen, über das Grab und richtet sodann an den Toten eine Ermahnung. Es besteht nämlich der Glaube,[S. 312] daß der Tote sich bei dieser Gelegenheit noch einmal ermannt und mit den Händen umhertastet, um zu erfahren, wo er sich befindet; entdeckt er an seinem Tuche, daß die Ecken fehlen, dann begreift er, daß er tot ist, und gibt sich zufrieden; er stützt sich darauf auf den Ellbogen und lauscht der Ermahnung; wenn sie zu Ende ist, sinkt er zurück und ist nun wirklich tot. Die ganze Versammlung, die bei der Zeremonie mit gekreuzten Beinen auf der Erde sitzt, spricht dem Priester hundertmal das bekannte Gebet nach: „Allah ist groß, es gibt keinen Gott außer Allah,“ zuerst langsam und dann allmählich immer schneller werdend bis zur hundertsten Wiederholung; schließlich sind die Worte nur noch ein Geschnatter. Die Feier endet mit einem Leichenschmaus. Die Nachbarn dehnen ihn drei Tage lang aus; dabei wird dem Toten der Koran jeden Abend vorgelesen. Am dritten, siebten, vierzehnten, vierzigsten und hundertsten Tage wird wieder geschmaust und schließlich ein bestimmter Tag im Jahre für ein Festessen zum Andenken der Ahnen festgesetzt. Die provisorisch eingeschlagenen Pfosten werden später durch dauernde ersetzt; außerdem werden vier Planken mit zugeschnittenen Enden um den Grabhügel gelegt, um ihm die richtige Lage zu erhalten. Diese fromme Pflicht erfordert wiederum die Veranstaltung eines Festes. Wegen der großen Kostspieligkeit, die mit den Begräbniszeremonien verknüpft ist, werden diese in den meisten Fällen sehr abgekürzt.
Die Andamanen und Nikobaren sind zwei im Bengalischen Golf zwischen Vorder- und Hinterindien gelegene Inselgruppen, die trotz ihrer räumlichen Nähe doch ganz verschiedene Menschen aufweisen. Beide stehen unter englisch-indischer, wenn auch eigener lokaler Verwaltung. In Port Blair auf den Andamanen befindet sich die Strafkolonie des indischen Königreichs, etwa sechzehntausend Menschen, die zu lebenslänglicher oder doch wenigstens langjähriger Haft auf diesem idyllisch schön gelegenen Stück Erde verurteilt sind.
Die Ureinwohner der Andamanen sind Negrito, Leute von sehr kleiner Statur (ein Meter achtundvierzig Zentimeter für die Männer) und dunkler Hautfarbe mit kurzem Kopf und spiralgelocktem Haar (Abb. 374 und 375), also Verwandte der Semang auf Malakka und der eigentlichen Negrito auf den Philippinen, die wie diese auf recht niederer Kulturstufe stehen. Hingegen sind die Bewohner der Nikobaren hochgewachsene, hellfarbige Menschen mit langem Schädel und langem, schlichtem Haar, die eine höhere Kultur bereits besitzen, wahrscheinlich von der südöstlichen Spitze des asiatischen Festlandes herstammen und den wilden Malaien verwandt sind. So verschieden wie die Bewohner der Andamanen und Nikobaren in ihrem Äußern sind, ebenso unterscheiden sie sich in ihren Gebräuchen und religiösen Ansichten.
Die Andamanesen kennen feste Wohnungen nicht; sie leben unter Laubdächern. Ihre Kleidung ist sehr primitiv und besteht aus einem Blätterschurz; vielfach gehen sie auch ganz nackt. Körperschmuck ist bei ihnen nur gering entwickelt. Beliebt ist Bemalung mit rotem Ocker, besonders unter den Weibern, die sich außerdem ihr Gesicht, bisweilen auch Arme, Beine[S. 314] und Rumpf mit breiten weißen Farbstreifen schmücken. Kokette Personen legen sich ein aus Pflanzenfasern geflochtenes schmales Band um die Hüften, an dem als Berlocke ein kleiner schöngeglätteter und gebleichter Fischknochen herabhängt. Auch Tatauierung kommt bei beiden Geschlechtern vor (Abb. 374). Es scheint, daß diese Muster, die durch kleine Einschnitte auf Brust und Rücken hervorgebracht werden, teils Kennzeichen der geschlechtlichen Reife, teils Stammesmarken abgeben. Die Waffen der Andamanesen sind Bogen und Pfeil, sowie Speere. Ihre soziale Einrichtung ist die Großfamilie; eine feste Organisation gibt es nicht. Die Erzeugung des Feuers ist ihnen merkwürdigerweise unbekannt, auch ihre Sprache besitzt keinerlei Bezeichnung, die dafür spricht, daß sie vormals sich auf die Feuerzubereitung verstanden hätten. Trotzdem verfügen sie heutzutage wohl über Feuer, aber es wird stets an schon vorhandenem angezündet. Dagegen sind die Andamanesen imstande, rohes Topfgeschirr anzufertigen und es auch bereits mit einfachen Mustern zu versehen. Ihre Nahrung sind die Erträge der Jagd und des Bodens. Bemerkenswert ist die Sitte, daß ein jeder, ganz gleich ob Mann oder Weib, irgendein Tier sein ganzes Leben lang von seiner Nahrung ausschließen muß; bei Übertretung dieser Vorschrift steht zu gewärtigen, daß sich dem Betreffenden die Haut abschält, er weiße Haare bekommt und so weiter. Bei der Auswahl der verbotenen Speise ist in den meisten Fällen die Behauptung der Mutter maßgebend, daß diese dem Kinde Verdauungsbeschwerden mache, in anderen Fällen wird irgendein Tier aus eigenem Antrieb erwählt, natürlich zumeist ein wenig schmackhaftes (Individualtotemismus).
Die Andamanesen stehen in geistiger Hinsicht auf der Stufe des Kindes. Nach den Schilderungen von Richard Temple sind sie gegen Fremde argwöhnisch, aber auch gastfrei, undankbar, nachäffend, eitel und unter dem Einfluß der Eitelkeit fleißig und ausdauernd, gelehrig, aber nur bis zu einer gewissen Grenze, die schnell erreicht wird, geistig leicht ermüdend, von kurzem, aber zähem Gedächtnis, geneigt für Spiel und Scherz; sie sind ferner sorglos und unbekümmert, waghalsig, aber nicht mutig, selbstsüchtig, aufbrausend, ganz unverantwortlich im Zorn, aber leicht auch zu besänftigen. Unter sich sind sie in der Regel liebevoll und freundlich, rücksichtsvoll gegen alte Leute, Schwache und Hilflose, gütig gegen ihre Frauen und Kinder und stolz auf die letzteren, die sie häufig verwöhnen. Werden sie aber gereizt, dann werden sie grausam, neidisch, verräterisch und rachsüchtig.
Soziale Empfindungen werden im allgemeinen nicht in Worte gekleidet. Kommt man zusammen, dann starrt man sich eine Zeitlang schweigend an, bis der Jüngere das Schweigen mit einer alltäglichen Bemerkung bricht. Dann erst erfolgt eifriges Erzählen von Neuigkeiten; diesen zuzuhören bereitet dem Andamanesen ein großes Vergnügen. Wenn hingegen Verwandte zusammenkommen, dann setzt sich einer dem anderen auf den Schoß (Abb. 376); sie schmiegen sich fest aneinander an, weinen laut und gebärden sich überschwenglich; nach einer langen[S. 316] Trennung dauert dieses Verhalten unter Umständen stundenlang. Beim Abschied reicht man sich die Hand, pustet darauf und tauscht Abschiedsworte aus.
Die Andamanesen bekunden eine kindliche Vorliebe für Spiele; sie kennen ein einheimisches Blindekuhspiel, Bockspringen und ein Versteckspiel. Scheinjagden auf Tiere, Scheinbegräbnisse und Geistersuchen sind ihr Lieblingssport; sie veranstalten auch gern Wettspiele beim Schwimmen, Werfen, Schaukeln, Bogenschießen und Ringkampf. Die Beschaffung der Nahrung ist natürlich ihre Hauptbeschäftigung; dann kommt aber sogleich der regelmäßige Abend- oder Nachttanz, eine seltsame, eintönige Aufführung, bei der die Füße rhythmisch auf einem besonderen Schallbrett (einem schildartig ausgehöhlten Stück Holz, das auf einem Querholz ruht) aufschlagen, ein oder mehrere Lieder aus dem Stegreif gesungen und die Hände in gleichmäßigem Takte auf die Lenden geklatscht werden. Dieser Tanz findet jeden Abend statt, sofern[S. 317] sich nur genügend Teilnehmer zusammenfinden; er wird stundenlang, bei besonderen Gelegenheiten auch die ganze Nacht lang ausgedehnt. Beide Geschlechter tanzen die ihnen zugewiesenen Rollen. Diese Vergnügungen und die Schildkrötenjagd sind die einzigen Beschäftigungen, die den Andamanesen die ganze Nacht hindurch wachzuhalten vermögen.
Die Religion der Andamanesen besteht in der einfachsten Form des Animismus, das heißt sie beschränkt sich auf eine unbestimmte Furcht vor den Geistern der Ahnen und den bösen Geistern des Waldes, der See und der Krankheit; sie ist darauf bedacht, Handlungen zu vermeiden, die für diese unangenehm sind. Außerdem kennen sie eine Art höchsten Wesens, den Sturmgott, Puluga genannt, der früher auf der Erde auf dem höchsten Berge der Andamanen lebte, jetzt aber im Himmel in einem großen Hause wohnt. Er hat die ganze Welt und alle Dinge geschaffen, ausgenommen die bösen Kräfte. Daher besitzt er auch über diese keine Macht; er begnügt sich damit, ihnen seine Beleidiger anzugeben. Puluga hat auch eine Frau, die er sich selbst schuf, und viele Kinder, die sich im Verein mit der Mutter damit vergnügen, von Zeit zu Zeit Fische und Krabben in die Flüsse und in das Meer für die Bewohner der Erde zu werfen. Verehrung oder Gottesdienst kommt bei den Andamanesen in keinerlei Form vor. Man braucht sich gar nicht weiter um die höchste Gottheit zu kümmern, darf nur das nicht tun, wodurch sie veranlaßt werden könnte, den Ertrag des Dschungels zu schädigen. Jedoch kennen sie einige Maßregeln, um sich vor Unglück zu schützen. So tragen sie stets Feuer bei sich, um den Waldgeist zu verscheuchen, sie werfen explodierende Blätter ins Feuer und verbrennen Bienenwachs, um den Sturmgeist fernzuhalten, sie schwirren mit dem Bogen und machen sich dabei lustig über den Mond bei einer Finsternis und ähnliches mehr. Die Andamanesen glauben stark an Träume, die oft genug ihr späteres Benehmen beeinflussen, auch an die Aussprüche weiser Männer, von solchen, die prophetische Träume haben, mit einem zweiten Gesicht begabt sind und die Macht besitzen, mit Geistern zu verkehren, oder imstande sind, Glück und Unglück herbeizuführen. Solche Leute betreiben eine primitive Zauber- und Hexenkunst und ziehen dabei für sich Nutzen aus den Dingen, die sie zu diesem Zweck mit Tabu belegen. Der Andamanese hat eine bestimmte Vorstellung über die Seele, die er von seinem[S. 318] Spiegelbild im Wasser, nicht von seinem Schatten herleitet. Sie wandert nach dem Tode in eine andere Dschungelwelt und lebt dort, wie sie hier auf Erden gelebt hat; hin und wieder besucht sie die Erde und bekundet eine deutliche Neigung, in andere Wesen einzugehen. Demnach hat jedes empfangene Kind schon vorher ein Dasein geführt. Auch Tieren und im besonderen Vögeln werden menschliche Eigenschaften beigelegt. Gefangene, die von den Andamanesen ermordet worden waren, fand man mit schweren Steinen bedeckt, um die Vögel zu warnen, daß sie den Engländern nicht verrieten, was vorgefallen war, und wohin sich die Mörder begeben hatten. Die Andamanesen besitzen eine Unmasse Märchen, an deren Wirklichkeit sie glauben; in ihnen spielt die Verwandlung von Menschen in Tiere, Vögel, Fische, Steine und andere Gegenstände eine große Rolle; daher erblicken sie in den wichtigsten Tieren ihrer Fauna die tierischen Formen ihrer Ahnen.
Das Kind erhält bereits vor der Geburt seinen Namen, der beim männlichen Geschlecht allerdings meist bei Eintritt der Mannbarkeit, bei der Hochzeit und im höheren Alter einen Wechsel oder eine Abänderung erfährt. Heißt ein Knabe zum Beispiel Hira, so wird dieser Name bei der Reife in Guma-hira, bei der Hochzeit in Maya-hira und im Alter in Maya-jangi-hira umgeändert. Hübsch ist die Sitte, ein Mädchen bei der zweiten Namensgebung nach einem von sechzehn auserwählten Bäumchen zu benennen, das gerade um die Zeit, in der es das Reifealter erreicht, blüht. Am Morgen nach der Geburt wird dem Kinde das Kopfhaar geschoren; würde dies sofort geschehen, dann könnte das Kind sterben. Auch an der Mutter wird dieses Verfahren, wenn auch nur teilweise, vorgenommen (Abb. 378). Bald nach der Geburt formt der Vater dem Kinde den Kopf, indem er mit angewärmten Händen ihn von allen Seiten zusammendrückt; in gleicher Weise verfährt er mit den übrigen Körperknochen. — Merkwürdig ist der Brauch, daß innerhalb des Stammes einer die Kinder des anderen annimmt; Kinder, die nach dem sechsten oder siebenten geboren werden, leben daher selten bei ihren Eltern. Haben die Knaben und Mädchen die Zeit der Reife erreicht, so finden bestimmte Einweihungsfeierlichkeiten statt. Nachdem sie Jahre hindurch bestimmten Speiseverboten (Enthalten des Genusses von Schildkröten, Schweinen, bestimmten Fischen, Honig und so weiter) sich unterworfen haben,[S. 320] werden diese Verbote durch besondere Feiern gruppenweise wieder aufgehoben. Eine zeitweise Absonderung der Novizen findet aber nicht statt, und beide Geschlechter dürfen an den Feierlichkeiten teilnehmen.
Die Heirat wird durch die Eltern oder Verwandten zustande gebracht; auch kleine Kinder werden bereits miteinander verlobt und müssen, wenn sie das heiratsfähige Alter erreicht haben, diese Vereinbarung erfüllen. Die Ehe der Andamanesen ist die Einehe. Auch Leviratsehe besteht, das heißt die Pflicht für den unverheirateten jüngeren Bruder, die Witwe des verstorbenen Bruders oder für einen kinderlosen Witwer, die jüngere Schwester seiner verstorbenen Frau zu heiraten, vorausgesetzt, daß kein zu großer Altersunterschied besteht. — Der Hochzeitsritus ist ein ganz einfacher und besteht nur darin, daß an einem Morgen in Gegenwart des Häuptlings und derer, die es angeht, der Bräutigam seine Beine über die der Braut legt (Abb. 377), und daß man zum Zeichen der vollzogenen Ehe Fackeln um sie anzündet. Trotz dieser gewiß einfach zu nennenden Zeremonie, der jede religiöse Bedeutung abgeht, bleibt die Ehe doch eine feste; eine Scheidung kommt selten vor, niemals aber nach der Geburt eines Kindes. Ebenso ist Polygamie oder Blutschande ausgeschlossen. Auf Untreue ruht Todesstrafe für beide schuldigen Teile, obgleich geschlechtlicher Verkehr schon vor der Hochzeit die Regel ist.
Mehr Bedeutung als den übrigen Ereignissen des Lebens legt man der Bestattung der Toten bei. Kleine Kinder werden nur einfach unter dem Fußboden der elterlichen Hütte begraben, dagegen die Erwachsenen entweder in einer flachen Gruft beigesetzt, oder, was als eine besondere Ehre gilt, zu einem Bündel zusammengebunden, auf eine Plattform oder in die Zweige eines Baumes gelegt. Kränze aus Rohrblättern werden sichtbar um den Platz herum[S. 321] aufgehängt, der ungefähr drei Monate lang vereinsamt bleibt. Merkwürdig ist, daß dieses alles ohne irgendwelches Weinen oder Wehklagen vor sich geht. Nach Ablauf dieser Zeit werden die Knochen des Verstorbenen ausgegraben, gewaschen, zerbrochen und an die Bekannten verteilt, auch zu Schmuck verarbeitet; man legt ihnen großen Wert bei, einmal als Andenken an den Toten und zum anderen als Linderungsmittel bei Schmerzen wie überhaupt als Heilmittel bei Krankheiten; es genügt, sie einfach auf die erkrankte Körperstelle zu legen. Der Schädel erfährt meistens eine besondere Ehrung. Der nächste Angehörige pflegt ihn mit roter Farbe bemalt und mit Fransen aus Holzfasern verziert, vom Halse herab das ganze Leben lang auf dem Rücken oder auf der Brust zu tragen (Abb. 375). Die Trauer selbst besteht darin, daß man sich den Kopf mit grüngrauem Lehm beschmiert und den übrigen Körper mit gelbem Ocker bemalt — die Eltern schmücken sich mit senkrechten Streifen —, sowie das Tanzen einstellt.
Die Nikobaresen, die bereits bei ihrer Einwanderung die Eigenschaften der Kontinentalvölker, denen sie angehörten, mitbrachten, aber diese frühere Halbkultur wegen der isolierten Lage ihrer neuen Heimat unverändert beibehielten, sind ein intelligentes Volk, das sich mit Leichtigkeit fremde Sprachen aneignet und sehr bewandert ist im Handel mit ihrem Hauptausfuhrartikel, den Erzeugnissen der Kokospalme. Der Wunsch, fremde Sprachen, Kleidung und Manieren nachzuahmen, und die erfrischende Naivität, die dabei zum Ausdruck kommt, lassen sie dem Fremden gegenüber als ein äußerst amüsantes Volk erscheinen (Abb. 380). Wie ihre Stammesgenossen auf dem Festlande leben sie ebenfalls in festen Wohnungen, die für gewöhnlich auf Pfählen, entweder direkt auf dem trockenen Lande oder an Hintergewässern oder an sonstigen geeigneten, vor hohem Seegang geschützten Stellen gruppenweise (Dörfer) errichtet sind (Abb. 379). Die Nikobaresen waren früher Strand- und Seeräuber, bis die indische Regierung diesem Unfug Einhalt tat; sonst sind sie nach der Schilderung von Temple ein ruhiges, friedliebendes, gegen Kinder, alte Leute und Frauen gütiges Völkchen. Ihre Verwaltung ist ganz demokratisch und liegt in den Händen eines Häuptlings; dabei halten sie streng an den althergebrachten Gewohnheiten fest.
Die Stellung der Frau ist bei den Nikobaresen eine verhältnismäßig hohe; sie ist hier nicht mehr die Sklavin des Mannes, sondern genießt volle Freiheit. Das mag zum Teil daher rühren, daß Mädchengeburten auf diesen Inseln relativ spärlich sind und daher mehr Nachfrage nach weiblichen Wesen herrscht. Ein Mädchen hat auch das Recht, einen ihr unangenehmen Freier zurückzuweisen. Bei der Hochzeit bekommt die Braut eine Aussteuer an Schweinen, Kokos- und Pandanusbäumen mit. Der Ehemann siedelt merkwürdigerweise in das Haus seiner jungen Frau über, nicht umgekehrt. — Kommt die Nikobaresin in andere Umstände, dann wird sie und ihr Gatte von allen Arbeiten befreit. Wo sie beide hinkommen, werden sie freudig aufgenommen, und ihnen zu Ehren wird das beste Schwein geschlachtet. Für gewöhnlich verlangt man dann von der Schwangeren auch, daß sie Samenkörner in die Erde lege, weil man sich von dieser Saat eine besondere Fruchtbarkeit verspricht. — Da hochgradige Schädelabflachung auch unter diesen Insulanern für schön gilt, ist es allgemeiner Brauch, daß die Mütter ihren Kindern sogleich von der Geburt an den Kopf in eine bestimmte Form bringen, indem sie ihn mit angefeuchteten Händen jeden Tag mehrere Stunden lang sanft zusammendrücken.
Da die Nikobaresen in einem für ihre Lebensweise und ihre Anforderungen an Behaglichkeit wirklichen Lande des Überflusses leben, so bleibt ihnen naturgemäß viel freie Zeit übrig, die sie zum großen Teil, man kann fast sagen, gänzlich auf religiöse Zeremonien und das Verfertigen der dafür nötigen Gegenstände (Abb. 381) verwenden. Die Zeremonien beruhen sämtlich auf einer alles beherrschenden Angst vor Geistern und Gespenstern und auf der daraus folgenden Notwendigkeit, diese zu verscheuchen und zu bannen. Dieser Gedanke liegt jedweder Zeremonie zugrunde, ob sie geselliger oder anderer Natur ist; er füllt einen großen Teil ihres Lebens aus, besonders des Nachts. Ein Ausfluß dieses Aberglaubens ist auch die feierliche Hinrichtung der[S. 324] Übeltäter, die sich schwerer Vergehen gegen die Gemeinde, wie Mord, Gewohnheitsdiebstahl und öffentliches Ärgernis zuschulden kommen ließen; da in ihren Augen der Teufel von ihnen Besitz ergriffen hat, so werden sie in aller Form mit großer Grausamkeit getötet. Hexen und Hexenentdecker gibt es natürlich im Überfluß, da jedes Unglück und jede Krankheit einer Hexe oder einem Geist zugeschrieben werden. Das alleinige Heilmittel dafür bleibt dann stets die Austreibung, die entweder privatim oder von einem Heilpriester vorgenommen wird. Letzterer, übrigens ein Typus, wie er unter vielen halbkultivierten Volksstämmen angetroffen wird, erscheint hier in interessanter Abwechslung in der Gestalt des Mafai, das heißt „eines Menschen, der priesterlichen Unterricht erhält“ (= Adepten). Ein jeder, der sich dazu berufen fühlt, kann es zu einem solchen Mafai bringen, deswegen braucht er schließlich doch noch nicht ein vollkommener Priester zu werden. Dieser priesterliche „Student“ führt ein behagliches, müßiges Leben, denn seine Bediensteten besorgen alles; er wird in einer Art Feldstuhl von einem Ort zum anderen getragen (Abb. 373).
Aus der Fülle abergläubischer Gebräuche der Nikobaresen wollen wir uns darauf beschränken, eine wenige hier herauszugreifen. Die Familie und ihre Freunde halten mit Hilfe des Priesters einige allgemeine Geisterbeschwörungen in der Form eines Geisterfestes ab. Die Männer sitzen dabei umher, rauchen und trinken, die Weiber schleppen an Hausvorrat Lebensmittel, Geräte, Waffen und allerlei sonstigen Kram herbei; letzterer wird, nachdem man tüchtig geheult hat, zerbrochen und vors Haus geworfen. Dann wird ein besonders gemästetes, großes Schwein im ganzen gebraten und unter die Vorfahren und die Anwesenden, hauptsächlich aber unter letztere, verteilt. Dadurch sollen die Geister besänftigt werden (Abb. 382). Der Priester, der inzwischen vom Trinken und seiner Geheimniskrämerei in Verzückung geraten ist, beginnt jetzt sein Geschäft; er ist ganz mit Öl eingerieben und im Gesicht rot bemalt. Er singt klagend mit tiefer Baßstimme, eilt umher, um den Geist des Unheils zu fangen, zu beschwatzen, auszuschelten und zu schmähen, die Frauen begleiten sein Getue mit fürchterlichem Geheul, so lange, bis nach einem Kampf der Geist angeblich ergriffen, in ein kleines, verziertes Modellboot gesteckt und weit in die See hinausgetrieben wird (Abb. 383). Da man sich nun vor dem bösen Geist sicher glaubt, setzt die Belustigung ein, bis spät in die Nacht dauern Essen, Trinken, Singen und Tanzen an. Sollte das Boot etwa in einem anderen Dorf landen und dort sich festsetzen, dann greifen dessen Bewohner die Beleidiger mit kurzen, dicken Stöcken nach alter Sitte an, bis ein paar Köpfe oder Gliedmaßen verletzt sind. Erst dann wird der Friede erklärt, der manchmal unter sonderbaren Zeremonien geschlossen wird. Die Männer, die den letzten Angriff unternommen haben, errichten eine Wand aus Grasfasern und stellen sich vor sie hin, während die Weiber auf dem Boden vor ihr Platz nehmen und im Takte mit ihren Händen die Schenkel schlagen (Abb. 384). Die Männer der Gegenpartei tanzen dann vor ihnen; jeder Tänzer legt seine Arme auf die Schulter eines der stehenden Männer und springt mit ihm unter tüchtigem Schütteln auf und ab. Nach dem Tanze weinen beide Teile und tauschen ihre Waffen untereinander aus. Hieran schließt sich noch ein Fest, bei dem die Angreifer als Gäste des fremden Dorfes einen oder zwei Tage bleiben.
Das Leben der Nikobaresen ist von zahlreichen Tabu durchsetzt, die ihnen manchmal wirklich recht unbequem werden. Die sonderbarsten derartigen Verbote dürften diejenigen sein, die die Sprache und Nomenklatur der Leute beeinflussen. Ein jeder Mensch hat das Recht, sich ein beliebiges Wort aus der Landessprache, sei es noch so wesentlich oder ganz allgemein, als Name anzueignen; stirbt er aber, dann wird dieses Wort für etwa eine ganze Generation mit Tabu belegt, aus Furcht, man könnte, wenn man es ausspräche, den Geist herbeirufen. Einen noch augenfälligeren Beweis dafür, wie stark der Aberglaube häusliche Gepflogenheiten beeinflußt, können wir in der Gewohnheit erblicken, im Hauseingang Schreckbilder der Geister aufzuhängen; es sind dies manchmal lebensgroße Figuren menschlicher Wesen, die oft mit Speeren[S. 325] bewaffnet sind, manchmal auch mythische Tiere, mit Fischen, Krokodilen, Vögeln und Schweinen als Unterlage und bildliche Darstellungen aller möglichen Dinge in bunten Farben auf flache Arekablattscheiden gemalt. Auch draußen vor dem Hause befinden sich ähnliche Geisterscheuchen.
Die Begräbnisfeierlichkeiten der Nikobaresen sind zahlreich und ziehen sich sehr in die Länge; sie verfolgen lediglich den Zweck, die Geister in Furcht zu versetzen, an anderen Orten auch, um den Geist bei guter Laune zu erhalten und die Lebenden vor seinem Zorn zu schützen. Ein Todesfall bringt viel Unkosten mit sich, die die Eingeborenen aber gern auf sich nehmen, falls nur der Geist dadurch beschwichtigt wird. Die Leichen werden zwischen Sonnenuntergang und Tagesanbruch begraben, damit die Schatten der Trauergesellschaft nicht in die Gräber fallen und mit dem Toten begraben werden; denn der Schatten des Nikobaresen ist das sichtbare Zeichen seines Geistes, vielfach feiert man daher noch ganz besonders „das Speisen der Schatten“. Der Geist des Verstorbenen gilt für um so gefährlicher, je kürzere Zeit seit dem Tode vergangen ist; darum hält man an manchen Stellen recht bald ein Fest ab, bei dem die Toten wieder ausgegraben, die Knochen gesäubert und nochmals in der Erde beigesetzt werden. An manchen Orten nimmt diese Sitte die Form einer gemeinsamen alljährlich wiederkehrenden Ausgrabung aller kürzlich Verstorbenen an, die mit großer Feierlichkeit einhergeht; die Knochen werden sodann in einem Beinhause untereinander gemischt; die Geister können nun keinen Schaden mehr anrichten. In noch anderen Dörfern legt man die Leichen in ein Halbkanu, das zu diesem Zwecke in der Mitte durchgeschnitten wurde, und stellt dieses in die Gabelung zweier Pfosten ins Dschungel, bis der Körper herausfällt und das Fleisch von den Schweinen verzehrt wird. Ab und zu finden die Gebeine dieser Leichen unter großem Gepränge ebenfalls Aufnahme in einem gemeinsamen Beinhause. Und in noch anderen Orten gibt es neben dem Begräbnisplatze besondere Sterbehäuser, in die man sich zurückzieht, wenn es ans Sterben geht (Abb. 385).
Hinterindien, der zwischen dem Bengalischen Meerbusen und der chinesischen Südsee liegende Abschnitt des südöstlichen asiatischen Festlandes (abgesehen von der malaiischen Halbinsel) zerfiel vor dem Eingreifen der Engländer und Franzosen in mehrere Staaten: Birma, Siam, Annam, Tonking, Kotschinchina und Kambodscha. Mit Ausnahme von Siam, das ein eigenes, selbständiges Reich geblieben ist, haben alle andern die europäische Oberherrschaft anerkannt, jedoch hat sich in ihnen eine herrschende Oberschicht erhalten, die wir als Birmanen, Siamesen, Annamiten und so weiter bezeichnen. In ihrem Äußeren machen diese Völker einen ziemlich einheitlichen Eindruck; ihr Rassenverhältnis ist im übrigen aber noch nicht aufgeklärt. Es scheint jedoch so viel festzustehen, daß sich zu einer bodenständigen Urbevölkerung, die wahrscheinlich der indoaustralischen Grundrasse angehörte, also den Senoi, Kubu, Toala und so weiter verwandt war, im Laufe der Zeiten von Westen her sich nordindische (Tibet) und von Norden her chinesische Elemente hinzugesellten, die teils die einheimische Bevölkerung allmählich aufsogen, teils in die unzugänglichen Landesteile verdrängten. Die aus diesem Mischungsprozeß, an dem übrigens auch die Malaien Anteil nahmen, hervorgegangene Bevölkerung bezeichnet man als Thaivölker (= freie Männer). Diese Thai haben sich wieder in vier große Stämme gegliedert, in die Thosmuong im Nordosten (Tonking und Annam), die Schan mit den Khamti, Sing-po und Katschin im Nordwesten (Oberbirma), die Laotier im Südosten (Französisch-Laos) und die Siamesen im Südwesten (Siam).
In kultureller Hinsicht stehen die Thaivölker den Chinesen und Tibetern näher, in gesellschaftlicher aber schließen sie sich mehr an die Malaien an. Im allgemeinen sind die[S. 327] Kulturverhältnisse Hinterindiens recht verschiedene. Die in die Berge zurückgedrängten Stämme haben zumeist ihren ursprünglichen Zustand noch bewahrt, hingegen die genannten herrschenden Stämme der fruchtbaren Ebenen sich eine gewisse Halbkultur angeeignet, die teils indischem, teils chinesischem Einflusse ihre Entstehung verdankt. Überreste der ersteren sind die großartigen zahlreichen, von Birma bis nach Kotschinchina hin vorkommenden Tempelruinen, die mit ihren reichen Skulpturen und Sanskritinschriften von der ehemaligen Herrschaft des Brahmanentums Zeugnis ablegen; es sei unter anderem nur an die prächtigen Tempelreste von Angkor-Wat (erbaut 825 vor Christi) und Nakhon-Thom erinnert. Beschäftigen wir uns nunmehr mit den Sitten und Gebräuchen in den einzelnen Ländern Hinterindiens.
Über die Abstammung der Siamesen haben wir uns im vorstehenden bereits ausgelassen. Ihr Äußeres wird gekennzeichnet durch eine mittelgroße Gestalt, olivbraune Hautfarbe, schwarzes glattes Haar, auffallend kurzen Kopf, rautenförmiges Gesicht, vorstehende Backenknochen, große Augen, flache, kurze Nase, aufgeworfene Lippen und kurzes Kinn. Dieser im allgemeinen unangenehme Eindruck wird beim männlichen Geschlecht noch durch die unschöne Haartracht (kurz abgeschnittene, bürstenartig hochstehende Haare) und die schwarz gefärbten Zähne verstärkt. Die Frauen dagegen tragen das Kopfhaar lang und halten sich ihre Zähne mehr oder weniger weiß. Wie alle Malaien wohnen die Siamesen meistens auch in Pfahlbauten. Auf den großen Flüssen bringen sie ihr Leben vielfach direkt auf Booten zu, so daß sozusagen schwimmende Dörfer hier entstehen (Abb. 389).
Die Nationaltracht der Männer ist der Panung, ein etwa ein Meter breites und zweieinhalb Meter langes Stück Tuch, das mit seiner Mitte um den Körper gelegt und vorn so befestigt wird, daß die beiden Enden herunterhängen, die dann wie ein Strick gedreht, zwischen den Beinen durchgeführt, hinten hochgehoben und in der Taille mitten auf dem Rücken zusammengerafft werden. Sieht man einen so bekleideten Mann von vorn, so hat man den Eindruck, als ob er in Kniehosen einherginge. Früher pflegten die Frauen ebenfalls mit einem Panung sich zu bekleiden, der als Rock eingerichtet war, und trugen dazu noch eine von der Schulter herabhängende kleine, die Brust bedeckende Schärpe (Abb. 387). Heutzutage wird dagegen noch[S. 328] eine Jacke und eine reich bestickte europäische Bluse getragen; Damen der besseren Gesellschaft gehen indessen vollständig nach der neuesten abendländischen Mode angezogen. Auch die Männer in den Städten tragen meistens unter dem Panung weiße Drillichhosen nach europäischem Schnitt, baumwollene Strümpfe, und Schuhe, die Beamten sämtlich Uniform. Kleine Kinder dagegen gehen für gewöhnlich nackt einher, wenn man nicht gerade eine herzförmige Scheibe aus Gold oder Silber, die die kleinen Mädchen umgehängt erhalten, als Kleidungsstück ansehen will. Auf dem Lande aber herrscht noch die alte Mode vor. Die Laosfrauen tragen noch heute einen Rock, die Männer einen Gürtel über dem Panung. Eine alte Bestimmung schreibt eine gewisse Farbe für die einzelnen Wochentage vor, für Sonntag rosa, für Montag silbergrau, Dienstag rot, Mittwoch grün, Donnerstag verschieden, Freitag hellblau, Sonnabend dunkelblau. — Die Karenfrauen pflegen ihre Gewänder mit hübschen Stickereien zu verzieren (Abb. 391).
Die Leidenschaft der Siamesen für Schmuck ist groß. Mag eine Person sonst noch so arm sein, stets wird sie mit dem einen oder anderen Schmuckstück aus Edelmetall sich zieren. Selbst kleine Kinder behängt man bereits mit Ringen um Finger, Arme und Beine aus Gold oder Silber. Die Erwachsenen schmücken sich außerdem noch mit wertvollen Halsketten, Ohrringen, Gürteln und so weiter (Abb. 388). Ganz eigenartig ist das Tragen langer Fingernägel, das ebenso wie in China als ein Zeichen von Vornehmheit gilt, sowie das schon erwähnte Schwärzen der Zähne (bei den Männern).
Ihrem Charakter nach kann man die Siamesen als große Kinder bezeichnen. Sie sind liebenswürdige, friedfertige, sorglose, nüchterne, besonders im Darreichen von Almosen freigebige, sehr zum Müßiggang neigende, leidenschaftslose Menschen, die an den althergebrachten Einrichtungen zähe festhalten und streng auf Etikette achten. Auch geben sie sich gern dem Vergnügen hin,[S. 330] besonders haben sie eine ausgesprochene Vorliebe für das Theater. Das „Lakon“, wie die Siamesen das Theater nennen, findet während der Zeit des Vollmonds statt, so daß die Teilnehmer nach der Vorstellung am späten Abend noch gut nach Hause finden können. Sie besuchen diese mit der ganzen Familie und nehmen sich auch Eßwaren dorthin mit. Die Bühne ist meistens oval, die Zuhörer sitzen rings herum, außer an dem einen Ende, an dem sich zwei Zugänge befinden. Kleine umherziehende Gesellschaften, deren es viele im Lande gibt, sind gewohnt, auch ohne Hintergrund fertig zu werden und ziehen sich nötigenfalls auch in Gegenwart der Zuhörer um. Im Gegensatz zu allen anderen orientalischen Völkern übernehmen die Frauen alle ernsten Männerrollen. Das Drama, das sich vor den Zuschauern abspielt, verrät keine Gedanken und zusammenhängenden Handlungen, sondern gibt einzelne Ereignisse aus der Mythologie der Brahmanen wieder, die durch die Tradition geheiligt sind. Die Trachten, die dabei getragen werden, sind ganz phantastische, mit bunten Steinen und flimmerndem Flitter besetzte Gewänder, welche die Überlieferung den Gottheiten und königlichen Personen von früher zuschreibt (Abb. 390). Durch Auftragen einer dicken weißen Paste auf das Gesicht als Schönheitsmittel wird den Darstellern die Möglichkeit genommen, Leidenschaften zum Ausdruck zu bringen; alle sind vielmehr von tiefem Ernst durchdrungen. Eine Ausnahme hiervon machen die Clowns, die ungeschminkt, einfach wie moderne Bauern gekleidet, die heiligsten und heldenhaftesten Stellen mit komischen Gesprächen unterbrechen, die auf Tagesereignisse anspielen. — Auch das Vorführen von Tänzen ist in Siam sehr beliebt. Alten Traditionen gemäß werden sie hier, wie überhaupt in Hinterindien, in ganz eigenartiger Weise ausgeführt. Sie bestehen nämlich in Posen mit gebeugten Knien, wobei die sich windenden Arme vorgestreckt werden und die Tänzerinnen sich langsam mit dem flachen Fuß vorwärtsschieben. Dazu kommen aber auch heftigere Kundgebungen, die sich in mächtigen Sprüngen, Aufschlagen der Absätze und Posieren in ausgebreiteter Adlerflügelstellung äußern. Auf den Fußspitzen zu tanzen oder zu pirouettieren, wie unsere Tänzerinnen es tun, ist in Siam ganz unbekannt. Die Beweglichkeit der siamesischen Tänzerinnen ist eine außerordentlich große; man könnte fast behaupten, daß diese ihre Geschmeidigkeit von doppelten Gelenken herrühre. Sie befähigt sie bei den Bühnenspielen mehr zum Ausdruck zu bringen als die Sprache.
Der Siamese huldigt auch sehr dem Glücksspiel; daher sind die Spielhäuser, besonders in der Hauptstadt Bangkok, Tag und Nacht über gefüllt. Die Spielregeln sind ganz einfache. Die Spieler sitzen um eine in vier Felder eingeteilte Matte herum und setzen auf dieser. Der Spielleiter wirft eine beliebige Anzahl Muscheln auf ihre Mitte und zählt von dieser Summe immer vier ab. Der Spieler, dessen Feld der Zahl der übrig gebliebenen Anzahl Muscheln entspricht, erhält das Doppelte seines Einsatzes, das übrige streicht der Croupier mit einer kleinen Harke ein. Auch wettet man noch, ob die Anzahl der übrig bleibenden Muscheln eine gerade oder ungerade sein wird. Die Leidenschaft der Siamesen für dieses Spiel ist eine so große, daß sich um die Spielhöllen herum gleichzeitig Pfandhäuser aufgetan haben, in denen ein blühendes Geschäft betrieben wird. Täglich kommen Landleute an, die infolge eines Traumes oder irgend einer anderen Vorbedeutung die Bank zu sprengen gedenken, aber recht bald nicht nur ihre gesamten Ersparnisse verloren gehen sehen, sondern auch die ihrer Freunde, unter Umständen die Ernteerträge eines ganzen Dorfes.
Eine sehr beliebte Unterhaltung ist auch das Ballspiel, wobei ein geflochtener leichter Ball mit dem Kopf oder irgend einem Körperteil, ausgenommen die Arme und Hände, aufgefangen wird, aber vorher die Erde nicht berühren darf. Ferner ist das Drachensteigenlassen ein viel betriebener Sport bei heißer Witterung; hierbei werden gleichsam Duelle ausgetragen, die Besitzer der Drachen suchen sich gegenseitig die Schnur zu zerreißen oder zu[S. 332] verwirren. Die Drachen haben die Form eines Sterns, besitzen aber keinen Schwanz. Auch Hahnenkämpfe in der schon beschriebenen Form und sogar Fischkämpfe sind ein beliebter Zeitvertreib. Bei letzteren werden in einem Bassin zwei kleine zornige rote Fische aufeinander losgelassen, und mit Interesse beobachtet man, wie sie sich gegenseitig zerfleischen.
Die Elefantenjagd ist ein königlicher Sport. Die wilden Elefanten, die die Steppe durchstreifen, werden zu diesem Zweck zu bestimmten Zeiten in einem großen Kraal zu Ayuthia, der alten Landeshauptstadt, zusammengetrieben. Viel Volks strömt bei dieser Gelegenheit zusammen, um sich die Vorgänge, die sich abspielen, mit anzusehen; auch der König und sein Hof beobachten sie von einer Loge aus. Von den eingetriebenen Elephanten werden dann diejenigen, die gezähmt werden sollen, ausgesucht. Leute, die auf zahmen Elefanten inmitten der Herde sitzen, legen den auserwählten Tieren sehr geschickt die Endschlinge eines langen Seils um ein hinteres Bein und befestigen es an einem Pfosten (Abb. 392). Die wilden Anstrengungen des so eingefangenen Tieres bereiten den Zuschauern eine große Freude, ebenfalls reizt es sie, wenn die wieder in Freiheit gelassenen übrigen Elefanten von der Menge geneckt werden und dabei ein etwas zu waghalsiger Mensch den Tieren zu nahe kommt, ergriffen und getötet wird.
In Siam gilt die Person des Königs für ein übernatürliches Wesen und ist daher Gegenstand besonderer Heiligkeit und Verehrung. Der Volksmund behauptet, daß im Königspalaste zu Bangkok ein Dämon, Phra Deng oder der „Rote Herr“ genannt, der einst ein Halbgott war und zu Beginn der gegenwärtigen siamesischen Ära vom Himmel herabflog, mit Ketten gefangen gehalten würde und, solange er nicht entwische, dem Königshause und dem Volke Glück bringe. Bei allem, was mit dem Hofe zusammenhängt, wird eine strenge Etikette bewahrt. Die Zeremonien, die mit dem Thron in Verbindung stehen, zum Beispiel die Krönung, sind sämtlich religiöser Natur und stark mit brahmanischem Einfluß durchsetzt, allerdings hat der[S. 334] König Chulalongkorn bereits manchen der Riten, mit denen seine Vorgänger bedacht wurden, abgeschafft. Zu den althergebrachten Sinnbildern, wie dem Dreizack, dem Schirm und so weiter, gehört seit undenklichen Zeiten auch der weiße Elefant, ohne den, wie auch früher in Indochina, nach der Annahme des Volkes kein König echt sein könne. Es ist dies eigentlich kein direkt weißes Tier, sondern ein solches, dessen Hautfarbe pathologischen Ursprunges ist, ein Albino, denn es besitzt schmutzig graues Haar, weiße Nägel auf den Zehen und eine gelbe oder rosafarbene Regenbogenhaut. — Zweimal im Jahre schwören die Prinzenschaft, der Adel und der Beamtenstand im ganzen Lande dem König den Eid der Treue. Diese Zeremonie, die den Namen Teu Nam oder das „Wasserhalten“ führt, kann auf ein sehr hohes Alter zurückblicken, denn schon am Hofe der Könige von Brahmanisch-Indien wurde sie vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren abgehalten. In Bangkok findet sie in Gegenwart des Königs statt. In einem Tempel ganz dicht beim Palaste versammeln sich die Prinzen und führenden Staatsbeamten, während draußen auf den weiten Rasenflächen der äußeren Palastumgrenzung Soldaten aller Truppengattungen in blinkenden Uniformen und weiße Elefanten in glänzender Ausstaffierung Aufstellung nehmen. Unter Trommelschlag und Fanfarenklang wird der König auf einem goldenen Thron aus dem Innern des Palastes herausgetragen, Tausende von Bajonetten blitzen zum Gruße auf, Kanonen donnern und zahlreiche Militärkapellen verkünden die Nationalhymne, während Seine Majestät vor den Truppen entlang passiert und sich sodann niederläßt, um zu beobachten, wie der Hof und die Staatsbeamten zu zweien in den Palast hineingehen, vom Tische einen kleinen Becher Wasser nehmen, das besonders für diesen Zweck unter machtvollen brahmanischen Formeln geweiht wurde, ihn mit den Lippen berühren und sich durch eine Außentür wieder zurückziehen. In den Provinzen wird die gleiche Zeremonie vor den amtlichen Vertretern des Königs vollzogen.
Höflichkeit und Achtung erfordern, daß bei einer Unterhaltung mit Personen königlichen Geblütes bestimmte Redensarten, gleichsam nur gewählte Ausdrücke angewendet werden, ein[S. 335] Brauch, der vielleicht mit dem allgemeinen Empfinden zusammenhängt, man könne, wenn man einen gewöhnlichen Gegenstand umschreibt oder ein Fremdwort für ihn sagt, seine Niedrigkeit gleichsam mildern. Diese sogenannte Palastsprache ist so fein durchgearbeitet, daß man nicht nur Hunde, Krähen und andere gewöhnliche und unreine Tiere mit besonderen Worten benennt, sondern auch die Tätigkeit der hohen Herrschaften, wie essen, schlafen, gehen, sprechen, baden und so weiter mit gewählteren Ausdrücken bezeichnet, als wenn man sie auf einfache Leute anwendet. Im übrigen ist der Siamese bestrebt, jedweder im Range höher stehenden Person die erforderliche Achtung zu zollen. So wagt zum Beispiel niemand, seinen Kopf so hoch wie sein Vorgesetzter zu tragen, niemand über eine Brücke zu gehen, wenn ein anderer von höherem Range sie in demselben Augenblicke überschreiten will und anderes mehr.
Die Siamesen sind Anhänger der Lehre Buddhas, indessen ist diese in vieler Hinsicht noch mit dem alten Geisterglauben durchsetzt. Sie halten das ganze Weltall von allen möglichen Geistern gleichsam überflutet: von den mächtigen Königen der Himmel und der Höllen, den Gottheiten der Lehre Brahmas, die sich in dieser Auffassung des Volkes noch widerspiegelt, an bis zu den kleinsten Elfen, die in der Dachrinne hausen, und den Kobolden, die in der Nacht die Kinder an den Fußsohlen kitzeln, herab. Jeder Fluß, jeder See, jeder Berg, jede Klippe, jeder Baum, jedes Feld, jeder Garten, jede Behausung wird als Sitz von Geistern, Waldnymphen und Gespenstern gedacht. Auf der Veranda oder auf dem Hofe eines jeden Hauses steht ein winziges Puppenhäuschen, in dem ein Spukgeist wohnt, der, falls man ihm fleißig Opfer darbringt, als Dank das Haus vor Unheil und anderen bösen Geistern beschirmt, wenn er aber vernachlässigt oder nicht beachtet wird, aus Rache es mit allem möglichen Bösen heimsucht. Alle Geister sind ihrer Veranlagung nach bösartig, die meisten von ihnen besitzen aber irgend eine Schwäche und lassen sich durch Gaben, die ihrem Geschmack zusagen, umstimmen. Manche wiederum sind schwer zu versöhnen oder leicht zu kränken; ihrem Zorn schreibt man beinahe alles Unglück zu, das den Menschen trifft, so die Stürme, Erdbeben, Überschwemmungen und andere folgenschwere Naturereignisse, die Unfälle und Krankheiten. Es gibt aber auch wachsame Geister, die sich angelegen sein lassen, Städte und Paläste zu schützen, die aus ihren Verstecken hervorkommen und den Kampf gegen die Einfälle böser Geister aufnehmen, sofern sie gut behandelt werden. Diese läßt der Aberglaube von gesunden, kräftigen Menschen herstammen, die vorzeiten[S. 336] man einfach köpfte und an den betreffenden Stellen unter der Mauer, an den Eingängen und so weiter begrub. So leicht öffentliche Gebäude auf diese Weise sich vor den bösen Geistern Schutz verschaffen können, so schwer wird dies dem einzelnen gemacht; er ist auf die Hilfe eines Vermittlers angewiesen, eines Zauberers, Wahrsagers oder ähnlichen Geschäftsmannes, der dann meistens eine Teufelaustreibung vornimmt. Auch die medizinische Wissenschaft der Siamesen greift auf solchen Hokuspokus zurück, wenngleich ihr auch eine ganze Reihe von Kräuterheilmitteln, die einen wirklichen Heilwert besitzen, zur Verfügung stehen. Aber die Ärzte schätzen sie nicht immer deswegen hoch, weil ihnen eine Heilkraft innewohnt, sondern weil sie glauben, daß diese gegen die Geister, Hexen und so weiter wirksam sind. Musik, Tanz, häufiges Baden sind allgemeine Rezepte für die meisten Krankheiten. Der behandelnde Arzt versucht auch oft, das Übel durch Pusten, Ausspeien, Pfeifen und Schwenken grüner Zweige auszutreiben. Der Verkauf von Zaubermitteln ist für den Apotheker eine gute Einnahmequelle, jedoch wird ihm viel Konkurrenz durch die Tätigkeit der Buddhamönche gemacht, die als Teufelaustreiber auftreten, obwohl ihnen diese Tätigkeit untersagt ist. Denn nach der Lehre Buddhas besteht die Macht der Geister nur in der Einbildung. Aber der Siamese läßt sich von seinem alten Aberglauben einmal nicht abbringen. — Die Abbildung 394 zeigt die Überführung einer Buddhastatue in einer festlich geschmückten Barke nach einem neuen Tempel, begleitet von dem König und seiner Familie. Die vergoldete königliche Barke (Abb. 393) wird jetzt nur noch bei besonderen Staatsangelegenheiten benutzt.
Diese Buddhistenmönche sind Menschen, die sich vor der Welt zurückgezogen haben, um die Sünde zu meiden und dadurch göttliche Belohnung zu erringen. Ihre Mission besteht etwa nicht darin, daß sie den Menschen dienen; wenn sie es tun, dann geschieht dies nur aus dem Grunde, um für sich dadurch einen Vorteil zu erreichen. Die sündigen Laien, die nicht genug Kraft in sich verspüren, der Welt zu entsagen, können aber doch für ihr eigenes Seelenheil[S. 337] Vorteil herausschlagen, wenn sie jene unterstützen. Ursprünglich waren die Buddhistenmönche Bettler, die in Lumpen gehüllt im Lande umherzogen und von den erbettelten Almosen lebten; jetzt aber kleiden sie sich in bessere Stoffe und leben in behaglichen Klöstern; dabei verschmähen sie oft genug die Brocken und die grobe Kost, die sie sich den Satzungen ihres Ordens gemäß eigentlich erbetteln müßten. Die Klöster stehen unter geregelter Aufsicht; in ihnen werden strenge Lebensregeln befolgt, die den Insassen ein Faulenzen nicht gestatten. Die Mönche sind bestrebt, ihren Sinn von weltlichen Dingen durch Nachdenken abzulenken; während der einsamen Stunden, die sie in ihren Zellen zubringen, werden ihnen verschiedene Themata zur Betrachtung zugewiesen, in die sie sich vertiefen müssen. Durch andauerndes Studium können sie sich verschiedene Grade von Gelehrsamkeit erwerben, die sie zu höheren Stellen in der Kirche befähigen. In der trockenen Jahreszeit aber wird das Klosterleben aufgehoben und an Stelle der Betrachtungen nehmen die Mönche das alte Bettlerleben wieder auf. Sie wandern von Ort zu Ort, legen dabei oft genug große Strecken zurück, ehe die einsetzende Regenzeit sie in ihre Klöster sich wieder zu flüchten zwingt. Sie führen auf ihren Reisen wenig mit sich außer einem großen weißen Schirm, der sie am Tage gegen die brennende Sonne schützt und ihnen in der Nacht als Zelt dient. Für alles, was sie sonst benötigen, rechnen sie auf die Almosen der Frommen. Sind die Mönche an einem Orte, dann halten sie zweimal täglich einen kurzen Gottesdienst in den Tempeln ab, die zum Kloster gehören; an Feiertagen predigt der höchste der Mönche oder der Abt von einem Platze zu Füßen des Buddhabildes aus (Abb. 395).
Gelangt ein Siamese zu Reichtum, so läßt er sich die Erbauung eines Klosters, eines[S. 338] Tempels oder einer Pagode angelegen sein und hofft dadurch einen wesentlichen Vorteil zugunsten seines Seelenheils zu erlangen. Um ein verfallenes kirchliches Gebäude wieder herzustellen, gibt er aber kein Geld aus, weil er fürchten muß, daß er, wenn er dieses für das Werk eines anderen verwendete, er nur zu dessen Heil beitragen würde. Überhaupt muß der Buddhist, wenn er zukünftiges Glück erlangen will, sich bereits in diesem Leben verdient machen. Die beliebteste Art und Weise, dies zu ermöglichen, wenn er nicht gerade in ein Kloster gehen will, besteht eben darin, den Mönchen Geschenke zu machen, die diese in jeder dargebotenen Form annehmen, sei es, daß es sich um ein wenig gekochten Reis oder um ein prachtvolles Kloster mit allem Zubehör handelt. Man hat auch bestimmte Tage und bestimmte Jahreszeiten, an denen man diese besondere Form, Gutes zu tun, zum Ausdruck bringt, dabei verbindet man aber auch mit diesen Pflichten allerhand Vergnügungen (Abb. 396). Vier Tage im Monat sind heilige Tage, an denen die Leute ihre besten Kleider anlegen und zum Tempel wandeln, um hier kleine Opfer darzubringen. Am Anfang und Ende der buddhistischen Fastenzeit bietet sich zu ähnlichen Gebräuchen Gelegenheit. Im April wird die Geburt des Buddha und sein Tod durch einen dreitägigen Gottesdienst im Tempel gefeiert, und am Abend finden Feuerwerk, festliche Beleuchtung und Theater statt. Im Oktober sind alle Menschen eifrig dabei, den Mönchen Kleider zu schenken; es ist dies das bedeutendste Fest der buddhistischen Religion, das Tot Krathin oder das „Niederlegen des heiligen Tuches“. Dieses Fest dauert ungefähr einen Monat und verschlingt eine Unmasse Geld, das für das gelbe Tuch der Mönche ausgegeben wird. Jeder von ihnen bekommt viel mehr davon als er irgend nur gebrauchen kann. Die Hauptsache aber dabei ist, daß das ganze Volk vom König abwärts sich dadurch sehr verdient macht und trefflich unterhält. Zum Prabahtfest, das in den Monat Oktober fällt, unternimmt das Volk Pilgerfahrten in die[S. 340] Berge bei Bangkok, um dort in einem Tempel zu beten, der auf den angeblichen Fußspuren Buddhas, allerdings auf solchen von mehr als einem Meter Länge, erbaut ist. Kurz vor Vollmond bringen Sonderzüge die Pilger zum geweihten Ort; während der nächsten Tage drängen sie sich auf den Stufen des Tempels, um Geschenke niederzulegen, Spielsachen, Bilder, Uhren und andere seltsame Gegenstände, die in Bangkok gekauft wurden, oder um Goldschaum auf jede nur erreichbare Stelle der Tempelmauer zu kleben. Die Nächte bringen sie mit Lesen der heiligen Schriften oder mit Unterhaltungen und Flirt bei hellem Mondschein zu.
Andere Feste religiöser Natur, die die Siamesen feiern, sind entweder aus dem Brahmakultus übernommen oder beruhen auf deutlicher Geisteranbetung. Im April findet das Songkranfest statt, nach einem brahmanischen Gott so benannt, der auf die Erde kommt, um das neue Jahr einzuweihen. Einige Tage vorher verkünden die Brahmanenpriester des Hofes die Anwesenheit dieses Gottes auf der Erde. Daraufhin macht sich das ganze Volk daran, die Erde mit Trankopfern zu begießen und damit auch Personen zu bedenken, denen ihre Ehrfurcht gilt. Mit besonderem Ernst wird diese Zeremonie im Königspalast vorgenommen, indem man die Erde und das Staatsoberhaupt feierlichst mit Weihwasser besprengt. Andernorts nimmt diese Zeremonie aber mehr die Form einer Belustigung an, bei der die weibliche Jugend die Führung hat und die sie so lange betätigt, bis sie und alle, die sich ihr nähern, ganz und gar durchnäßt sind. Die Verkündigung der Rückkehr des Gottes in den Himmel macht dem Spiel ein Ende. — Im Oktober wird die Versöhnung des Flußgeistes mit großartiger Feierlichkeit begangen; man nennt diese Zeremonie Loi Kratung oder das „Schwimmen der Körbe“, weil man auf dem Flusse Dankopfer[S. 341] in Körben aussetzt und diese hinabtreiben läßt. In Bangkok, wo man diese Festlichkeit in der Nacht vornimmt, wird ein jeder Korb noch beleuchtet, so daß der ganze Strom einem funkelnden Lichtmeer gleicht, und diese Wirkung wird noch durch Feuerwerk erhöht. — Das alljährlich stattfindende Schaukelfest, das eine althergebrachte Einrichtung ist, soll den Dank für die letzte Ernte und gleichzeitig die Fürbitte um einen reichlichen Ertrag im nächsten Jahre bedeuten (Abb. 397). Der Gott Indra, in Gestalt eines vornehmen Siamesen, überwacht die Feier und marschiert im Zuge, der sich von einem entfernt gelegenen Tempel bis zu dem Platze begibt, wo die große Schaukel steht, mit. Vier Männer, deren Tracht auf einen Zusammenhang mit Regengöttern hinweist, werden auf die Schaukel gehoben — diese selbst ist gegen dreißig Meter hoch und das Schaukelbrett befindet sich etwa fünf Meter über der Erde —, ergreifen die herabhängenden Seile und setzen sie in Bewegung. Sobald sie genügend in Schwung geraten ist, sucht einer einen kleinen Beutel zu erfassen, der an einer langen Bambusstange in der Nähe der Schaukel hängt und Münzen enthält (Abb. 398). Glückt es ihm, ihn zu erfassen, dann ruft die zahlreich versammelte Menge vor Freuden Beifall, verfehlt er ihn aber, dann erhebt sich Bedauern. Daß das Volk so lebhaften Anteil an dem Gelingen dieses Versuches nimmt, hängt mit dem Aberglauben zusammen, daß dadurch eine zwischen Indra und den Regengöttern abgeschlossene Wette ausgetragen werden soll. Wenn die Münzen ergriffen werden, so haben letztere gewonnen.
Zum Schluß sei noch das Rek Na-Fest oder das „erste Pflügen“ erwähnt, eine Zeremonie, um die Götter des Ackerbaues günstig zu stimmen und zu erfahren, wie voraussichtlich die nächste Ernte ausfallen wird. Mit ihm wird die Feldarbeit eröffnet. Ehemals führte der König selbst[S. 342] diese Zeremonie aus, jetzt vertritt ihn dabei ein hoher Beamter, meistens der Ackerbauminister (Abb. 399). Dieser lenkt einen vergoldeten Pflug, der von bunt angeschirrten Ochsen gezogen wird (Abbild. 400), dreimal um ein geweihtes Feld, auf das nachher Reis gestreut und sofort vom Volke wieder aufgelesen wird, in dem Glauben, daß, wenn man diese Körner unter die eigene Saat mischt, sie gute Ernte zeitigen werden. Außerdem werden zwei jungen Ochsen verschiedene Getreidesorten vorgelegt und aufgepaßt, von welcher sie am meisten fressen. Diese wird aber nicht angebaut, weil dann die Ernte schlecht ausfallen würde. Zum Schluß der Zeremonie werden die Ernteaussichten der bevorstehenden Jahreszeit verkündet.
Allerlei Gebräuche knüpfen sich auch an die wichtigsten Augenblicke im Leben der Siamesen. Sobald ein Kind geboren ist, wird es von der weisen Frau sogleich auf Anzeichen hin untersucht, die dem Wahrsager als Unterlage dienen könnten, um ihm die Zukunft zu prophezeien, und dann sich selbst überlassen, während die Mutter, auf einem Plankenbett liegend, der Hitze eines großen Feuers ausgesetzt wird, das angeblich ihre Genesung beschleunigen soll. Ist das Kind einen Monat alt geworden, dann wird ihm feierlichst der Kopf glatt geschoren und vom Familienwahrsager das Horoskop gestellt. Um die Zeit herum, wenn es die ersten Schritte macht, wird der Wahrsager noch einmal herbeigerufen und, nachdem er von neuem das Horoskop und andere üble Vorbedeutungen in Betracht gezogen hat, ein Name für das Kind unter denen ausgewählt, die sich für das Jahr, den Monat, Tag und Augenblick am besten eignen. Um das Horoskop zu stellen, bedient man sich einer Tafel (Abb. 401), die um den Mittelpunkt angeordnet in zwölf Segmenten je eine Figur trägt (Buddhapyramide, Drache, Zauberin, Wahrsager, silberner und goldener Sonnenschirm, Mann ohne Kopf und so weiter). Jeder von ihnen kommt eine besondere glück- oder unglückbringende Bedeutung für die Begebenheiten des täglichen Lebens zu. Bei der Benutzung dieser Wahrsagetafel fängt man bei der Buddhapyramide an zu zählen und geht, wenn es sich um ein männliches Wesen handelt, nach links, wenn um ein weibliches, nach rechts herum. Zunächst zählt man die Wochentage, dann in gleicher Weise die Monattage und schließlich die Jahre, von denen jedes unter einem der zwölf Zeichen steht, von dem gleichen Ausgangspunkt aus ab, bis man zu seinem Datum kommt, und ermittelt auf diese Weise drei Figuren. Wenn alle drei unglückverheißend sind, dann steht zweifelsohne ein Mißerfolg zu erwarten; wenn man nur eine böse Figur unter den dreien erhält, dann ist die[S. 343] Vorhersage gut, sind alle drei aber günstige, dann kann das Unternehmen nur glücklich ausschlagen. — Das Siamesenbaby tyrannisiert gleichsam seine Hausgenossen. Alle seine Verwandten sind seine Sklaven und erfüllen ihm seine leisesten Wünsche; von allen wird es verwöhnt und verhätschelt. Der Kopf wird ihm bis ungefähr zum vierten Jahre beständig rasiert, von da ab beginnt die Mutter sein Kopfhaar zu pflegen; sie dreht es zu einem Büschel oben auf dem Scheitel und steckt eine bunte Nadel hindurch. Bald darauf bekommt das Kind auch Kleider und wird später in die Klosterschule des Dorfes gesandt. Von jetzt an nimmt der Lebenslauf der beiden Geschlechter eine verschiedene Richtung. Die Mädchen nämlich erhalten für gewöhnlich keinen Unterricht in der Schule, sondern werden in die Pflichten ihres späteren Hausfrauenberufes eingeführt. — Sobald bei den Kindern die Reife sich einzustellen beginnt, also um das zehnte bis dreizehnte Lebensjahr, wird den Knaben und Mädchen das Haarbüschel unter großer Feierlichkeit abgeschnitten; es ist dies der wichtigste Augenblick im ganzen Leben des Siamesen. An einem von dem Wahrsager festgesetzten Tage wird im Hause der Eltern ein Altar mit dem Buddhabildnis errichtet, und dieser mit Kerzen und Zieraten, soweit die Mittel es erlauben, geschmückt. Um den Altar herum verteilt man eine große Schere, eine Schale mit geweihtem Wasser, eine Seemuschel und andere Gegenstände, die zu der Zeremonie gehören, und stellt auf einen Ständer in der Nähe kleine Portionen Speise zur Erfrischung für die Familiengötter hin. Ein geweihter Faden wird sodann unter der Dachrinne rings um das Haus herumgeführt und seine beiden Enden werden ins Haus hinein zu den Händen der Mönche geleitet, deren Predigten an der Schnur entlang gleiten sollen, um die bösen Geister zu verhindern, störend[S. 344] in die heilige Handlung einzugreifen. Der Ahnen wird auch nicht vergessen, denn ihre Urnen mit der Asche finden sich auf einem kleineren Altar aufgestellt. Schließlich ist draußen vor dem Hause noch ein Gerüst mit einem Baldachin auf vier Pfosten erbaut, unter dem auf einem spitz zulaufenden Gestelle etwas Speise für den Gott Kedu, den Spender langen Lebens, gestellt wird. — Am Nachmittage des dem eigentlichen Feste vorausgehenden Tages finden sich zuerst die Familienfreunde, jeder mit einem Geschenk, sodann die Mönche ein, die bei ihrem Erscheinen mit Gongschlägen begrüßt und mit Tee bewirtet werden. Nach einer Pause tritt das Kind auf, vornehm angezogen und mit dem ganzen Familienschmuck behängt (Abb. 402). Die Mönche sprechen Gebete, in die die anwesenden Besucher einfallen; Musik spielt sodann auf; Tee, Zigarren, Speise und Betel werden herumgereicht, und alles widmet sich dem Vergnügen. Der nächste Tag vergeht in ähnlicher Weise und erst am dritten findet die Hauptzeremonie statt. Vorher wird größte Ruhe gewahrt, damit die bösen Geister, die sich vielleicht in der Nähe aufhalten, nicht merken, daß etwas im Gange ist. Kurz vor Sonnenaufgang erscheint das Kind wieder, den Kopf bis auf das Haarbüschel glatt rasiert. Das Haarbüschel wird in drei Strähnen geteilt, der Gast, dem von den Anwesenden die höchste Ehre gebührt, sowie zwei hochbetagte Anverwandte erfassen jeder eine Strähne und schneiden sie genau bei Sonnenaufgang ab. Ohrenbetäubender Trommelschlag und Musik setzen in diesem Augenblick ein. Die Speise für den Ketu wird von der Plattform draußen genommen und das Kind unter dem Baldachin an ihre Stelle gesetzt. Darauf treten die Verwandten und Freunde einer nach dem anderen heran und[S. 346] gießen Wasser aus einer Muschel auf den kahlen Kopf des Kindes, das bis auf die Haut durchnäßt wird (Abb. 404). Von neuem bekleidet, und diesesmal mit seinem schönsten Gewand, übernimmt das Kind die zeremonielle Speisung der Mönche; dieser Abschnitt der Feier vollzieht sich unter Musikbegleitung sowie unter Hersagen und Absingen heiliger Worte und endigt mit einer Predigt. — Der Prunk, mit dem die Zeremonie des Haarabschneidens vollzogen wird, richtet sich natürlich nach dem Reichtum und dem Stand der betreffenden Familie. Wird einem königlichen Prinzen das Haarbüschel abgeschnitten, dann gestaltet sich diese Zeremonie zu einem wahren Volksfest, bei dem es allenthalben hoch hergeht.
Nachdem ihnen das Haarbüschel abgeschnitten ist, nehmen die Mädchen ihre häusliche Beschäftigung wieder auf, ebenso bilden sich die Knaben weiter aus, bis sie das zwanzigste Lebensjahr erreicht haben. Dann werden sie sozusagen konfirmiert und in den heiligen Orden der Mönche aufgenommen. Die Lehre Buddhas schreibt nämlich vor, daß jeder, der sich ernstlich zu ihr bekennt, dies dadurch betätigen muß, daß er vor der Welt flüchtet und in den Orden sich aufnehmen läßt, allerdings kann er dieses Gelübde jederzeit widerrufen. Daher legt jeder siamesische Jüngling, auch wenn er sich nicht den geistlichen Beruf erwählt hat, das Ordensgelübde ab, um dem Buchstaben des Gesetzes zu genügen (Abb. 403). Wer nicht die Absicht hat, ein Glied des Ordens zu bleiben, bittet nach einiger Zeit, für gewöhnlich nach drei Monaten, ihn von seinem Gelübde wieder zu entbinden, was anstandslos gewährt wird. Dann darf er aus der Abgeschlossenheit wieder in die Welt zurücktreten. Die Aufnahme in den Orden gestaltet sich für die Angehörigen zu einem großen Freudenfest. In kostbare Gewänder gekleidet, begibt sich der Kandidat mit seinen Verwandten, Freunden und allen Mädchen seiner Bekanntschaft in den Tempel, wirft sich dreimal vor den Mönchen demütig auf die Erde und wird in aller Form von den Angehörigen vorgestellt, die den Mönchen Geschenke anbieten. Sodann muß er ein Verhör, ob er sich geistig und körperlich auch eigne, über sich ergehen lassen, und wenn seine Antworten zur Zufriedenheit ausgefallen sind, wirft er sich von neuem auf die Erde und bittet flehentlich, aus der schnöden Welt befreit und in den Orden aufgenommen zu werden. Daraufhin wird er seiner vornehmen Gewänder entkleidet und mit dem gelben Gewande des Mönches angetan, bekommt einen Bettelnapf um die Schultern gehängt und einen Fächer in die Hand. So ausgestattet, wirft er sich noch einmal auf die Erde und legt sodann die zehn vorgeschriebenen Gelübde ab, nämlich niemals ein Leben zu vernichten, niemals zu stehlen oder zu lügen, stets ein züchtiges Leben zu führen, keine berauschenden Getränke zu trinken, nur zu der vorgeschriebenen Zeit zu essen, alle weltlichen Freuden zu meiden, keinen persönlichen Schmuck zu tragen, nie mit Geld etwas zu tun zu haben und auf der Erde zu schlafen. Der Abt macht nun öffentlich bekannt, daß der Kandidat in den Orden aufgenommen ist, und erinnert ihn noch einmal an die Pflichten, die er übernommen hat, und an die Sünden, die er meiden muß. Wie schon gesagt, kann der Jüngling jederzeit von seinem Eide auf seinen Wunsch befreit werden und in die Welt zurückkehren, wie es auch meistens geschieht.
Er tut dies, wenn er heiraten will. Etwa um das zwanzigste Lebensjahr herum pflegen die Jünglinge, zwischen vierzehn und siebzehn die jungen Mädchen die Ehe einzugehen. Sie verheiraten sich in Siam fast alle; alte Jungfrauen kommen daher in diesem glücklichen Lande kaum vor. — In den meisten Fällen ist die Ehe lediglich eine Abmachung zwischen den Familien, die ursprünglich eine ältere, diplomatisch sehr gewandte Frau zustande brachte, jetzt aber mehr und mehr von den Eltern direkt getroffen wird, die diese Dinge frei miteinander erörtern. Auch Neigungsheiraten kommen heutzutage mehr in Aufnahme. Einer Ehezeremonie legt der Siamese wenig Gewicht bei, daher verkürzt er sie vielfach oder läßt sie gänzlich fort; denn um einer Ehe die gesetzliche Gültigkeit zu verschaffen, bedarf es nur des Beisammenwohnens. Da[S. 348] aber manche Eltern natürlich das Verlangen haben, die Hochzeit ihres Kindes zu einem Ereignis zu machen, so spielt sie sich in sehr vielen Fällen wenigstens zum Teil mit Feierlichkeiten verknüpft ab. Wenn man die Zeremonie in ihrem vollen Umfange betrachtet, findet die Hochzeit im Hause der Braut statt und dauert zwei Tage. Freunde und eine bezahlte Musikbande geben dem Bräutigam das Geleite dorthin, wo die Freunde sich versammelt haben und sich in den Empfangsräumen an Essen, Trinken und Betelkauen gütlich tun, während die Eltern das von beiden Teilen beigesteuerte Kapital für das junge Paar nachzählen und prüfen. Sobald das Brautpaar erscheint, wird es mit einer geweihten Schnur zusammengebunden, kniet nieder, wird mit Reis beschüttet und von den Gästen aus einer Seemuschel mit Weihwasser begossen. Darauf werden beide getrennt; der Bräutigam bringt seiner Geliebten mit Hilfe einer Kapelle die Nacht über ein Ständchen. Am nächsten Morgen werden die amtierenden Mönche festlich bewirtet, und den ganzen Tag über herrscht eine ausgelassene Lustbarkeit. Am Abend endlich wird die Braut in aller Form zum Hochzeitsgemach geleitet. Das junge Paar lebt lange mit der Familie der Frau zusammen, oft bis zur Geburt des ersten Kindes.
Da die Vielweiberei von Buddha nicht ausdrücklich verboten ist, so gilt sie für erlaubt, und ein Mann kann daher so viele eheliche Verbindungen eingehen, als er sich Frauen zu leisten vermag. Die erste Frau behält aber immer das Vorrecht und bleibt das anerkannte Oberhaupt aller auf sie noch folgenden. Altert eine Frau, dann hält sie es für ratsam, ihrem Manne Nebenfrauen zu verschaffen, einmal weil sie dadurch das Heim für diesen noch weiter anziehend zu gestalten hofft und zum anderen, weil sie sich dann als Oberhaupt einer großen Häuslichkeit aufspielen kann. — Scheidung erfolgt mit beiderseitiger Zustimmung und hat die Teilung[S. 350] des Besitztums zur Folge, ausgenommen, wenn es sich um Nebenfrauen handelt, die auf Wunsch des Mannes einfach beiseite geschoben werden können ohne jedwede Vergütung. Alle Kinder sind erbberechtigt, aber die von der ersten Frau erhalten den größten Anteil.
Die Eigenart der buddhistischen Lehre nimmt dem Siamesen, wenn es mit ihm zum Sterben geht, viel von der Todesfurcht; er beschäftigt sich in diesen Augenblicken mehr mit seiner Wiedergeburt als mit dem Schrecken der bevorstehenden Auflösung und verspürt bei seinem nahen Ende den Trost einer gütigen Philosophie, die vielfach dazu beigetragen hat, bereits sein Leben zu einem ruhigen zu gestalten. Nach dem Tode wird der Körper gewaschen, in ein sauberes weißes Tuch gehüllt und mit einer Münze im Munde, um damit den Zoll zum Paradiese zu zahlen, in den Sarg gelegt. Um diesen, der mit schwarzem Tuch bedeckt und mit Zierat aus Silberpapier geschmückt zusammen mit Kerzen und anderen Dingen, die dem Verstorbenen wert waren, im Prunkzimmer des Hauses steht (Abb. 406), halten Freunde ein bis zwei Tage und Nächte Wache. Dazu lesen eingeladene Mönche am Abend Totenmessen. Währenddessen empfangen die Angehörigen die Beileidsbesuche ihrer Bekannten, denen sie eine kleine Erfrischung vorsetzen. Außerdem wird sogleich nach dem Tode eine Musikkapelle geholt, die ihre Weisen ertönen lassen muß, einmal um die Trauernden aufzuheitern, zum andern aber auch, um die bösen Geister fernzuhalten. Manchmal müssen auch Klageweiber ein möglichst lautes Geheul anstimmen. Ist die Totenwache vorüber, dann wird der Sarg in den Tempel gebracht, bisweilen jedoch, vor allem am Hofe und in wohlhabenden Familien, behält man ihn noch längere Zeit, selbst Monate hindurch, im Hause aufgebahrt (Abb. 405). Wird der Sarg herausgetragen, dann tut man dies durch ein Loch in der Wand und führt ihn mehrere Male um das Haus herum, bevor man ihn in den Tempel bringt (Abb. 386), wo er auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird (Abb. 407 und 408). Vorher trägt man ihn auch hier noch[S. 351] dreimal um diesen herum. Man will dadurch den Geist im unklaren über die eingeschlagene Richtung lassen, damit er den Weg nach Hause nicht wiederfindet. — In Bangkok gibt es eine regelrechte Saison für Verbrennungen derer, die im vergangenen Jahre starben (Abb. 409). Es wird dann eine große Pracht entfaltet, das Feuer des Scheiterhaufens wird von wohlriechenden Kerzen unterhalten, Musik, Tanz und Schmaus begleiten die Feier und der Armen wird durch reichliche Spenden gedacht. Es ist gleichsam Ehrensache, so viel Geld wie möglich dafür auszugeben, und es kommt oft vor, daß die ganze Hinterlassenschaft eines Menschen von den Erben vergeudet wird, um ihm einen geziemenden Abschied aus diesem Leben zu bereiten.
Die Verbrennung von Königen und Prinzen ist ein höchst wichtiges Ereignis und gestaltet sich fast zu einem Volksfest, das sich nicht selten auf die Dauer eines Monats erstreckt; während dieser Zeit werden Tausende von Menschen täglich auf königliche Kosten gespeist und bewirtet. Die Leichen des Königshauses kommen nicht in Särge, sondern zusammengekauert in kupferne, stark vergoldete Urnen. Jedes Stadium einer königlichen Verbrennung, der Leichenzug, die Übergabe auf den Scheiterhaufen, das Anzünden des Feuers und das Einsammeln der Aschenreste, jede dieser Handlungen ist eine Feier für sich, die manchmal einen ganzen Tag in Anspruch nimmt. Jedesmal ist der Hof vollzählig zugegen, die Damen ganz in Weiß gekleidet und das Haar geschoren. Die Asche wird in kleinen goldenen Urnen im Palast aufbewahrt und ist von Zeit zu Zeit Gegenstand ehrfürchtiger Zeremonien. Von den Gebeinen der Könige werden Teile unter die Mitglieder der königlichen Familie und an Günstlinge aus dem Adel verteilt. — Die Angehörigen einfacher Leute bewahren ebenfalls die Asche ihrer Verstorbenen in kleinen Urnen auf, die in ihren Häusern Platz finden.
Die Birmanen gehören zur Gruppe der Schanvölker und gleichen in ihrem Äußeren im großen und ganzen den Siamesen. Sie sind kräftig, wohlproportioniert und von ziemlicher Größe, die Höchstgewachsenen unter den Stämmen Hinterindiens. Ihre Hautfarbe ist braun, ihr Kopfhaar dicht, lang und schwarz. Ihre Gesichtszüge sind etwas edler als die der Siamesen, so daß sie, im besonderen Frauen, oft angenehm auffallen.
Die Kleidung ist bei beiden Geschlechtern die gleiche. Den Oberkörper bedeckt eine lose anliegende Jacke, den Unterkörper umhüllt von der Hüfte bis zu den Knien ein Stück Tuch oder noch häufiger Seidenstoff. Das Haar wird entweder auf dem Kopfe in einen Knoten geschlungen oder fällt chignonartig in den Nacken herab. Den Kopf umschlingt beim männlichen Geschlecht ein turbanartig umgebundenes Tuch (Abb. 412), die Frauen gehen barhäuptig, flechten sich aber Ketten und Blumen in die Haare (Abb. 411). Eine ganz eigenartige Form besitzen die geflochtenen großen Hüte der Schan, die zugleich als Schutz gegen den Regen dienen. Eine stete Begleiterscheinung der Birmanen ist sein Regenschirm aus braungefirnißtem, mit bunten Streifen besetztem Papier. Schmuck fehlt natürlich nicht, besonders beim weiblichen Geschlecht. Bei den Padaungfrauen sind schwere massive Ringe sehr beliebt, die um den Hals, die Unterarme und die Beine getragen werden und zusammen ein Gewicht von vierzig bis fünfzig Pfund ausmachen. Ganz besonders fallen davon die Ringe auf, die den Nacken wie ein steifer Stehkragen umgeben; sie werden nicht auf einmal, sondern nacheinander umgelegt, bis zu zweiundzwanzig[S. 354] Stück (Abb. 414). Nicht minder merkwürdig muten die Fußringe der Loilongfrauen an (Abb. 413). — Ein jeder Birmane, der etwas auf sich hält, läßt sich tatauieren, und zwar in Blau auf den Oberschenkeln, von der Hüfte bis zum Knie, und in Rot auf dem Oberkörper und den Armen (Abb. 416). Die eintatauierten Muster pflegen Tiere, im besonderen Tiger darzustellen, die von allerlei Schnörkeln umgeben sind.
Bis zur Besitzergreifung durch die Engländer herrschte in Birma eine durchaus despotische Regierung. Erbliche Ehren gab es nicht, ein jeder konnte durch persönliche Tüchtigkeit es zu hohem Ansehen bringen, allerdings war dabei der Günstlingswirtschaft Tür und Tor geöffnet. Es gab eine Unmasse Beamte, von denen ein jeder durch irgend ein besonderes Merkmal an einem Gebrauchsgegenstand oder Schmuckstück, seien es Ohrringe, die Kopfbedeckung, der Regenschirm und so weiter als Rangabzeichen sich kenntlich machte. Die kleinen Bürger und Arbeiter gehörten dem Stande der Unfreien an; sie konnten jederzeit vom Könige[S. 356] zu seinen Dienstleistungen als Soldaten oder Sklaven verwendet werden.
Die Birmanen sind Anhänger der Lehre Buddhas (Abb. 415) und befolgen auch nach außen hin deren Gebote aufs strengste. Aber im Grunde ihres Herzens huldigen sie alle der Geisteranbetung. Besonders trifft dies für die auf niederer Kulturstufe stehenden Stämme in den Bergen zu, wie die Katschin, Karen, Tschin, Lahu, Akha, Wa und andere. Stets ist man darauf bedacht, die Geister, von denen man sich überall, in Wald und Flur, auf Flüssen, in den Bergen und anderwärts sonst, umgeben glaubt, fernzuhalten. Daher trifft man außerhalb der Umfriedigung der Dörfer Geistertore an; die Katschin legen von einem Baum zum anderen ein Bambusrohr quer über den Weg, der zum Dorfe führt, und behängen ihn mit Kreisen, Kreuzen und seltsamen Figuren aus gespaltenem Rohr, um dadurch die Geister, die ein böses Gewissen haben, von dem Betreten des Dorfes abzuhalten; sie sollen nämlich glauben, daß die verschiedenen Symbole, die im Winde wehen, so und so viele Fallen sind, die man ihnen stellt, und daher keine Lust verspüren, einen Umweg ins Dorf ausfindig zu machen, sondern vorziehen umzukehren. Die Schan von Nam Hkon errichten im Flusse ein Häuschen für die Geister (Abb. 417), hindern sie aber daran nachts an Land zu gehen, indem sie die Verbindungsbrücke, die sie sonst nötig haben, um ihnen ein Opfer zu bringen, einfach abbrechen. In jedem birmanischen Hause auf dem Lande hängt in einem viereckigen Bambusrahmen eine Kokosnuß und darüber als Turban ein rotes Stück Zeug; dies ist der Aufenthaltsort des Magayi Nat, des Hausgeistes, dem man täglich Opfergaben darbringt und jedes Kind, das im Hause geboren wird, in aller Form vorstellt. Recht bezeichnend für die Doppelreligion des Birmanen ist es, wenn er in einem Augenblick dem Hausgeiste ein Opfer darbringt und im nächsten den Bettelmönchen auf ihrer täglichen Runde Almosen reicht. Der Buddhismus ist eben seine angelernte Religion (Abb. 419), die Geisteranbetung seine rituelle. Auch jedes Dorf besitzt seinen Schutzgeist; er lebt im Dschungel, und daher steht[S. 358] sein Altar und seine Wohnung immer im Dickicht oder mitten in einer Bambusgruppe, auch am Fuße eines sehr großen Baumes, meistens eines Feigenbaumes (Abbild. 418). In dieser seiner kleinen Behausung findet man oft die Figur eines Geistes oder ein Bett, das ihm zur Ruhestätte dienen soll (manchmal auch zwei davon, falls er seine Frau bei sich hat) und oft mit einem winzigen Moskitonetz überspannt ist, ringsherum ferner Wasserkrüge, Speinäpfe, Betelkästchen, alles natürlich en miniature, manchmal auch noch Flinten und Speere, gleichfalls der Größe des Raumes angemessen, damit der Geist sie benutzen kann, wenn er in den Kampf ziehen will. Diesen Geistern werden an bestimmten Tagen Opfergaben dargebracht (Abbildung 421). Der Birmane kennt auch eine regelrechte Liste seiner siebenunddreißig Nats oder Nationalgeister, die er sich meist in Menschengestalt vorstellt. Die Tänze zu ihren Ehren werden stets von Frauen ausgeführt, sie entbehren aber des Gemessenen, Künstlerischen in der Haltung der Tänzerinnen, zeichnen sich durch wilde, tobende Bewegungen aus.
Wenn der Birmane ein Wohnhaus baut, so legt er auf jeden Pfosten ein Tuch, um den Geist, der darin wohnt, zu bedecken; diese Gewohnheit dehnt er auch auf die Rasthäuser, die Holzbrücken und sogar auf die Klöster aus. Vor Beginn des Wettrennens zweier Boote werden Opfergaben in den Bug eines jeden davon für die Wassergeister gelegt, damit sie sich nicht aus reiner Bosheit an den Kiel hängen. Der Birmane gibt den Mönchen (Abb. 423) Almosen, er betet vor der Pagode an bestimmten Pflichttagen (siehe farbige Kunstbeilage), wenn er jung ist, und hält jeden Abend um die Dämmerstunde an einem geweihten Ort seine Andacht ab, wenn er in die Jahre kommt; er zündet Kerzen an, legt Gebetsfahnen und Blumen, auch kleine Wachsfiguren der Wesen, die über dem betreffenden Wochentag walten, an dem er das Licht der Welt erblickte, nieder (Abb. 424) und sagt seine frommen Sprüche her, die er als Knabe in der Schule lernte, und doch wird er niemals in seinem Leben es versäumen, bevor er etwas unternimmt, sein Horoskop sich stellen zu lassen und seine Zauberbücher zu Rate zu ziehen, die ihm anzeigen, wann er zum Beispiel seiner Tochter die Ohren durchbohren lassen, eine Reise unternehmen, mit Pflügen beginnen oder mit der Ernte anfangen, ein Boot ins Wasser setzen, einen Einkauf machen, sich oder seine Tochter verheiraten, ein Familienmitglied begraben oder eine Pagode stiften soll. In fast jedem Dorfe gibt es Geistermedien; gewöhnlich sind es Frauen, deren Beruf in[S. 360] direktem Widerspruch zu den Lehren des Buddhismus steht; denn sie halten wie jeder andere Gläubige ihre Andachten ab und geben den Mönchen Almosen, damit sie in ihrem nächsten Dasein eine Stufe höher im Leben stehen. Bei Ausbruch einer Krankheit werden sie oft herbeigerufen, um zu heilen, denn eine Krankheit gilt stets für die Anfechtung eines bösen Geistes (Abb. 422). Bei der Ausübung ihrer Tätigkeit binden sich die Frauen meistens ein rotes Tuch um den Kopf und beschränken ihre Geheimnistuerei auf hysterische Gesänge und wilde Wirbeltänze, die den Kranken oft genug anstecken. Manchmal erholt er sich dann infolge der Erregung, oft genug aber auch bricht er vor Erschöpfung zusammen. Was für den Birmanen die Zauberbücher, das sind für die roten Karen und Wastämme die Geflügelknochen; nichts unternimmt er, ehe er diese um Rat gefragt hat. Die Wa verwenden sie recht oft, manche von ihnen tragen sie paarweise in den Ohren, sie sind dann oft so schmutzig und von Alter gebräunt, daß sie wie ein altes Erbstück anmuten. — Um Glück bei seinen Unternehmungen zu haben, läßt sich der Birmane runde Scheiben aus Gold, Silber oder Blei, auch aus Schildpatt oder Horn, die das Bild eines Schweinchens, umgeben von mythischen Zeichen, eingeritzt tragen, unter die Brust- oder Armhaut einheilen. Mancher berüchtigte Räuber wurde mit einer ganzen Reihe solcher Glücksschweinchen, die sich durch Knoten verraten, festgenommen.
Es gibt in Birma sehr viele religiöse Feste, bei denen man einen großen Pomp zu entfalten pflegt. Es finden großartige Umzüge statt (Abb. 425 und 428), bei denen die Götter auf phantastisch ausgeputzten Wagen (Abb. 426 und 427) heimgefahren werden, Vorführungen werden veranstaltet, bei denen Helden und Tiere der mythischen Zeit wieder auftauchen und anderes mehr (Abb. 429 bis 432). Am höchsten werden davon im ganzen Lande das Neujahrsfest, das die Europäer für gewöhnlich unter dem Namen Wasserfest (Abb. 433) kennen, und das Tawadeinthafest (nach Ablauf der Passionszeit) (Abb. 435) geschätzt. Daneben werden aber noch eine ganze Reihe[S. 361] weiterer Feste gefeiert, die aber zumeist in die heiße Jahreszeit verlegt sind, weil es sich dann viel leichter wandern läßt und Feldarbeit nicht verrichtet werden kann. — Das Neujahrsfest ist ein allgemeines Landesfest. Früher wurde das Datum dazu mühsam von den Ponna oder brahmanischen Astrologen in Mandalay ausgerechnet. Dem Feste liegt der Gedanke zugrunde, daß der König der Nats vom Himmel dann herabsteige und nach einem eintägigen Aufenthalte auf der Erde dahin wieder zurückkehre. Es wird zur Erinnerung an eine Wette zwischen dem Könige und einem Brahmanen gefeiert; der Einsatz beider war ihr Kopf. Der Brahmane, der Athi hieß, verlor seine Wette. Der Natskönig ließ dem Verlierer einfach den Kopf abhauen, und dieser wandert Jahr um Jahr von einer der sieben Schwestern zur anderen. Er ist glühend heiß und muß durch reichliches Begießen mit Wasser kühl gehalten werden. Aus diesem Grunde begießen sich alle Menschen gegenseitig drei Tage lang zur Erinnerung an diese Tatsache mit Wasser. Die älteren und würdigen Leute werden bei diesem „Um Verzeihung bitten mit Wasser“ mit Nachsicht behandelt, aber die Jugend und vor allem die Mädchen widmen sich mit großer Begeisterung dieser Aufgabe. — Das Tawadeinthafest will auf den Besuch Bezug nehmen, den Buddha Gautama dem Berg Meru abstattete, um seiner Mutter, der Königin Maya, das ewige Gesetz zu predigen. Die wichtigste Zeremonie dabei ist das Herumtragen der Padethabäume. Unter Padetha verstehen die Birmanen einen Baum, der auf der nördlichen Insel der birmanischen Fabelwelt wachsen und an seinen Zweigen alles mögliche tragen soll, was man sich nur wünschen kann. In der gegenwärtigen Zeit hat er die Gestalt einer hohen Pyramide angenommen, die mit allen nur denkbaren Gegenständen behängt ist (Abb. 435), von Büchsen mit kondensierter Milch und Sardinen an bis zu Waschschüsseln und Uhren. Mit diesen Bäumen stolzieren[S. 362] Männer im Stadtviertel oder im Dorf umher und legen sie schließlich in der Klosterumfriedigung nieder, wo die Mönche, je nachdem sie Zeit und Lust haben, die Opfergaben abnehmen. Am ausgelassensten ist bei dem Tawadeinthafeste die Jugend, die mit besonderem Interesse das Pwè verfolgt. Ein Pwè ist eine Vorführung oder Vorstellung irgendeiner Art; es kann sich dabei sowohl um einen Boxerwettkampf wie auch um ein ernstes mysteriöses Schauspiel handeln. Die höchste Bedeutung legen die Birmanen dem Pwè in Gestalt einer dramatischen Vorstellung bei. Die Bühne ist ein mit Bambusmatten belegter Platz, in dessen Mitte immer ein Baum steht. Die Schauspieler singen im tiefsten Alt und führen dabei Tänze auf, die aber nach unserer Auffassung nur in künstlichen Gliederverrenkungen und schlangenförmigen Bewegungen bestehen; dabei spielt eine Musikbande auf, so daß die Zuhörer auf eine harte Probe gestellt werden, zumal eine Vorstellung eine ganze Nacht, auch mehrere Nächte und selbst ein paar Tage andauert. Aber die Birmanen halten unentwegt so lange aus. Für gewöhnlich beginnt die eigentliche Vorstellung, nachdem die Dunkelheit eingesetzt hat. — Sehr ansprechend sind dagegen die Yein oder A-neyein Pwè, Tänze, die von jungen Mädchen und Kindern aufgeführt und oft wochenlang vorbereitet werden (Abbild. 434). Den Unterricht erteilt eine richtige Ballettlehrerin, die sehr streng vorgeht und große Ansprüche an das Können ihrer Schülerinnen stellt. Sie gibt gewöhnlich den Kehrreim der Melodie an, nach der getanzt wird; die meisten der Tänzerinnen fallen dann in diese Melodie ein. Die Mädchen haben ihre buntesten Gewänder an und sind mit Familienschmuck gleichsam überladen. Die Tänze werden sowohl stehend wie sitzend ausgeführt und bestehen nur in rhythmischen Bewegungen der in hohem Grade schmiegsamen Körper. Die Füße werden dabei überhaupt nicht von der Erde gehoben; der Takt ist der Minutentakt, und der Reiz des Ganzen liegt lediglich in den glänzenden Farben der Kleidung, der ernsten Feierlichkeit der Tänzerinnen und in dem genauen Einhalten des Taktes.
Ganz anders dagegen sind die Tänze der Bergstämme (Abb. 436), die in wilden Bewegungen bestehen, sei es, daß es sich um Bewerbungstänze, Totentänze oder Geistertänze der verschiedensten Art handelt. Ihnen liegt fast immer ein religiöses Moment zugrunde; man will[S. 363] dadurch die unsichtbaren Geister der Luft versöhnen. Selbst die Tänze der Wa, wenn sie ausziehen, um Köpfe zu erbeuten, sind gewissermaßen religiöser Natur, denn die Schädeljagd ist für[S. 364] sie sozusagen eine landwirtschaftliche Notwendigkeit. Würde ein Dorf nicht jedes Jahr seinen Schädel erhalten, dann würde der Regen ausbleiben und die Gemeinde eine Mißernte erleben.
Die Geburt eines Birmanenkindes erfordert nach altem Brauch eine Unmasse von Förmlichkeiten, so daß dieser Akt für die Frau, abgesehen von den wirklichen Geburtsschmerzen, zu einer wahren Qual wird. Setzen die ersten Wehen ein, dann muß entweder die Schwangere selbst oder ihre Mutter oder eine Freundin der Geburtsgöttin, die „Dame des Westens“ genannt — diese Bezeichnung dürfte wohl daher rühren, daß in dem nach dieser Himmelsrichtung hin gelegenen Teile des königlichen Palastes die Frauen niederkamen — eine Opfergabe darbringen, die in einer Maß Reis, einem Vier-Anna-Stück (etwa zwanzig Pfennig) und einigen Knoblauchknollen besteht und von den Worten begleitet wird: „Öffne weit die Tore des Lebens, damit das neue Wesen hereintrete; Schmerz und Trübsal mögen vorübergehen und die Freude von langer Dauer sein.“ Sodann legt sich die junge Mutter auf die Matte. Von nun an beginnt für sie eine wirkliche Qual, die so groß ist, daß viele Birmanenfrauen es vorziehen, ihre Kinderzahl zu beschränken. Um die Gunst der „Dame des Westens“ sich zu erringen, nimmt sie zunächst ungekochten Reis in die flache Hand, verbeugt sich nach dem Untergang der Sonne zu und spricht dabei: „Erschrick mich nicht; rege mich nicht auf; tue mir kein Leid an; raube mir nicht den Atem“, worauf sie den Reis über einen niederen Schemel streut, den sie in der nächsten Zeit viel benutzt. Alles Lüften hört fortan im Zimmer auf, im Gegenteil, es wird eine wahre Backofenhitze darin unterhalten, ganz gleich, in welcher Jahreszeit man sich befinden mag. Die Gebärende wird dreimal täglich ganz und gar mit indischem Safran bestrichen, bekommt täglich ein heißes Bad, wird darauf massiert und schließlich in ein etwa drei Meter langes Tuch eingewickelt. Um den Kopf werden ihr noch fünf Turbane gelegt, weil man annimmt, daß sie dadurch keine Kopfschmerzen bekommen wird, und ihr heißes Wasser,[S. 366] in dem Safran und Salz aufgelöst sind, zu trinken gegeben. Dieses alles aber ist erst die Vorbereitung für die Hauptzeremonie, bei der die arme Frau auf ihrem Schemel sitzend vor einem glühenden Feuer, dessen Wärmekraft noch durch aufgelegte Steine erhöht wird, täglich eine Zeitlang buchstäblich braten muß. Dabei wird sie auf dem Rücken und in den Seiten mit Kleidern und Decken reichlich bepackt. Das Feuer brennt ununterbrochen Tag und Nacht; wohlriechende Holzsorten finden dabei Verwendung, deren Rauch das Unglücksweib auch noch einatmen muß. Sieben Tage lang geht dies so weiter, dann bekommt die Entbundene ein einfaches türkisches Bad, das über einem Topfe kochenden Wassers mit Tamarinden und anderen Blättern und Gräsern hergestellt wird; dieses muß sie in Matten und Decken gehüllt eine Stunde lang genießen. Darauf wird ihr ein kaltes Bad verabreicht, damit ihr die Füße nicht anschwellen, aus dem gleichen Grunde muß sie auch etwas umhergehen, die Zahl der Schritte, die sie dabei zu machen hat, darf nicht unter sieben betragen. Es liegt hierin offenbar ein Zugeständnis, daß die Förmlichkeiten bei der Geburt für die Wöchnerin ziemlich anstrengende sind. Mittlerweile ist das Kind auch geboren worden. Seine Mutter aber darf sich mit ihm erst vom siebenten Tage an beschäftigen. Gleichzeitig setzt die Geburts- oder Wiegenzeremonie ein. Kleine Zeugbeutelchen werden zunächst an den vier Ecken der Wiege befestigt; ein jedes von ihnen enthält etwas Reis, einige Münzen, Kokosnuß, Pipul, verschiedene Blätter, Gras und ähnliches. Sehr wichtig ist dabei, daß in jedem Päckchen auch für den einzelnen Wochentag bestimmte Blätter und Gräser vorhanden sind, mindestens aber dasjenige, das dem Tage entspricht, an dem das Kind geboren wurde. Über dem Kinde wird sodann eine Decke ausgebreitet, und, falls es ein Knabe ist, obendrauf noch eine vollständige Männerausstattung, bestehend in einem Hüfttuch, einer Jacke, einem Turban, einem Dolch, dem Familienschmuck in Gold und Silber, einem Spiegel, einem Kamm, einem Rubinring, falls solcher vorhanden ist, und mit Edelsteinen möglichst reich besetzten Ohrzylindern gelegt. Thanaka, der Ersatz für Puder bei den birmanischen Schönen, wird gemahlen und über das Ganze zerstäubt. Darauf füttert man das Kind symbolisch mit ein wenig Reis und Curry in[S. 367] Wasser, der sogenannten „gesegneten Speise“. Diese Zeremonie vollzieht die Hebamme, nicht die Mutter, und zwar dreimal. Sie rasiert auch den Kopf des Kindes (mit dem Schaum aus den Samen der Seifenakazie) und windet um sein Handgelenk, um Hals und Fußgelenk sieben weiße Baumwollfäden. Während man nun das dabei gewiß etwas nervös gewordene Kind sich selbst in der Wiege überläßt, beschäftigt man sich jetzt mit dem Nat, dem Schutzgeist des Hauses. Sein Aufenthaltsort ist eine Kokosnuß, die in einem Bambuskorb vor der Veranda eines jeden birmanischen Hauses aufgehängt ist; diese Behausung muß zu Anfang eines birmanischen Jahres und zu Anfang und Ende der buddhistischen Fastenzeit gewechselt werden; dabei achtet man aber sorgfältig darauf, daß dies nicht an einem Mittwoch, oder am vierten, sechsten oder neunten Tage des zunehmenden Mondes geschieht. Die Kokosnuß wird auch stets umgetauscht, wenn ein Kind im Hause zur Welt kommt. Man teilt dieses Ereignis bei dem Wiegenfeste dem Hausgeiste mit und bringt ihm, beziehungsweise seinem Symbol, eben dieser Kokosnuß, Opfer dar, nämlich Bananen, Arekanüsse, Blumen, Tee, Kuchen, Sirup, ein Ei und so weiter; die Nuß wird dabei heruntergenommen. Ist das Kind ein Knabe, dann wird es auch noch in zwei Stücke gelben Tuches gekleidet, womit sein Eintritt in den „Edlen Orden des gelben Gewandes“ schon frühzeitig gekennzeichnet werden soll, eine Vorsichtsmaßregel für den Fall, daß das Kind sterben sollte, bevor es das Alter für den Eintritt in einen Mönchsorden erreicht hat. Der älteste der anwesenden Männer schaukelt die Wiege siebenmal und ruft dabei aus: „Möge das Kind hundertundzwanzig Jahre alt werden; möge es weise werden, möge es reich werden, möge es schön werden, möge es jedwede schätzenswerte Eigenschaft besitzen.“ —
Zur Namensfeier des Kindes werden alle Verwandten und sämtliche Dorfältesten eingeladen, außerdem noch so viele Nachbarn, als man bewirten und im Hause unterbringen kann. Dort sitzen sie, mit ihren besten Kleidern angetan, in einem Kreise und unterhalten sich geraume Zeit über Gemeindeangelegenheiten. Ganz plötzlich schlägt dann einer der älteren Männer einen Namen vor, wie wenn er ihm soeben, zum Beispiel in Verbindung mit der Meinung seines Nachbarn über die Ernteaussichten, eingefallen wäre. In Wirklichkeit aber haben ihn die Eltern nach vierzehntägiger Überlegung bereits ausgewählt. Da es aber gegen die gute Sitte verstoßen würde, ihn vorher zu verkünden, machen sie einen Fremden zum Sprachrohr ihres Wunsches.
Wenngleich den Eltern also das Recht zukommt, ihrem eigenen Kinde einen Namen zu geben, so sind sie bei dessen Auswahl doch an bestimmte Vorschriften gebunden. Es ist nicht üblich, Kinder nach ihrem Vater zu benennen und auch nicht notwendig, daß auch nur ein Bestandteil ihres Namens auf einen der Eltern hinweist. Familiennamen gibt es überhaupt nicht. Der Wochentag, an dem das Kind geboren wurde, pflegt für den Namen entscheidend zu sein. Man geht bei der Namensgebung folgendermaßen vor: das birmanische Alphabet ist in eine Anzahl Gruppen eingeteilt wie in alle mit k zusammenhängenden Buchstaben, in b und seine Verwandten, in alle Zahnbuchstaben und in die Vokale. Alle diese Buchstaben werden den einzelnen Wochentagen zuerteilt. Für Horoskopzwecke hat man acht Planetenkörper, der achte ist Rahu, der dunkle oder boshafte Planet, der Finsternisse hervorruft; er beherrscht den Mittwoch von Mittag bis Mitternacht und hat den Buchstaben y ganz für sich. Innerhalb der angeführten Schranken, die den Eltern für die Namensgebung auferlegt sind, können sie das Kind nennen, wie es ihnen beliebt. Ein Kind, das Sonntags geboren ist, hat alle Vokale zur Verfügung. So zum Beispiel kann, da Maung in der birmanischen Sprache ein männliches, Ma ein weibliches Wesen bezeichnet, ein Sonntagskind Maung O (= Herr Topf), Ma At (= Fräulein Nähnadel), Maung Eng Saung = (Herr Verwalter-das-Haus) oder Ma E (= Fräulein Frostig) genannt werden. Dem Freitag gehört der Buchstabe th und h, daher wird ein an diesem Tage geborenes Kind etwa die Namen Maung Thaw (= Herr Geräuschvoll) oder Ma Ho (= Fräulein Drüben) führen. Unter diesen Umständen ist es auch ein leichtes, wenn man den Namen eines Menschen kennt, seinen Geburtstag zu wissen. Ein Mann namens Maung Lauk (= Herr Made) kennzeichnet sich als Mittwochskind, eine Frau namens Ma Ba Tu (= Frau Ihrem-Vater-ähnlich) als Donnerstagskind und andere mehr. Im Grunde genommen hat ein Birmane an einem Tage jeder Woche seinen Geburtstag; viele Menschen vom Lande haben sowohl den Monat als auch das Jahr[S. 370] ihrer Geburt vergessen oder überhaupt nicht gewußt. Mit Eintritt der Entwicklungsjahre steht es einem jeden aber frei, seinen Namen zu wechseln. Man braucht, um dies kundzutun, nur ein Päckchen Tee umherzuschicken und zu erwähnen, daß man fortan soundso heißen wird.
Die Kinder gehen die ersten Jahre ihres Lebens, im allgemeinen bis zum siebenten oder achten Jahre, unbekleidet einher, nur selten werden sie bereits früher in Gewänder eingekleidet und sind dann gleichsam Miniaturausgaben der Erwachsenen, deren Kleidung die ihrige vollständig gleicht. Sie wachsen sorglos und im Genusse völliger Freiheit auf. Von der frühesten Kindheit an erfreuen sich die Kleinen schon des Genusses einer Zigarre (Abb. 437). Es ist für den zum ersten Male nach Birma kommenden Europäer ein ganz seltsamer Anblick, wenn er kleine Mädchen nur mit „Luft bekleidet“ neben ihren Eltern an einem Glimmstengel ziehen sieht. Die birmanische Zigarre ist ein wahres Monstrum an Größe und Dicke, aber sehr mild; sie besteht aus einer Mischung von wohlriechenden Kräutern und Tabak. — Von dem angegebenen Alter an werden die Kinder auf jeden Fall in Kleider gesteckt und in die Schule gesandt; soweit nicht bereits europäischer Einfluß sich bemerkbar gemacht hat, sind dies die Klosterschulen. Die buddhistischen Mönche nämlich sind keine Prediger in unserem Sinne, keine Verkünder des Wortes Gottes an das Volk; nur durch ihr entsagungsvolles Beispiel wollen sie auf dieses einwirken, dafür aber erteilen sie der Jugend Unterricht. Die Klosterschule (Abb. 438) nun soll den Birmanenjüngling auf das bedeutungsvollste Ereignis seines Lebens vorbereiten, auf das Anlegen des gelben Mönchgewandes. Erst von diesem Augenblick an gilt der Birmane für einen Mann und kann durch seine Taten sich Verdienste für sein ferneres Leben erwerben, um sich dadurch einen Aufstieg in der Daseinsstufe zu ermöglichen.
Für die Aufnahme in den Orden ist ein Mindestalter von zwölf Jahren vorgeschrieben, allerdings wird der so frühzeitig Aufgenommene dann hier Novize oder Upazin. Erst mit zwanzig Jahren kann er wirkliches Mitglied (Akoluth oder Shin) werden. Die Mehrheit der Birmanen[S. 372] zieht es vor, als Knaben einzutreten, weil sie möglicherweise sterben könnten, bevor sie das Mannesalter erreicht haben. Die Aufnahme spielt sich mit großem Gepränge ab. Der Knabe wird, mit möglichst viel Schmuck beladen, auf einen Pony oder in einen Wagen gesetzt und im Zuge unter einem goldenen Schirm durch die Straßen geführt; er spricht unterwegs bei allen Freunden und Bekannten vor, die ihm moralische Ratschläge geben, und, was eigentlich die Hauptsache ist, zu den Unkosten der Feierlichkeit beitragen sollen. Alle Verwandten, in ihre schönsten Gewänder gekleidet, begleiten den Knaben in dem Zuge, den eine Musikkapelle mit ihren lustigen Weisen eröffnet. Vor dem Kloster, wo der Umzug endet, legt der Knabe all seinen Putz ab und zieht sich ein weißes baumwollenes Gewand dafür an. Sein langes Kopfhaar wird ihm abgeschnitten (Abb. 439), der Kopf rasiert (Abb. 443), mit Safran eingerieben und mit dem Absud von Seifenakaziensamen gewaschen. Die Haare werden der Mutter oder den Schwestern übergeben, die, wie es scheint, sich später Zöpfe daraus machen lassen. Nach diesen Vorbereitungen kniet der Knabe vor den Mönchen nieder, sagt seine Formel her, mit der er um Aufnahme als Novize bittet, und wird sodann in aller Form in die Kleider gehüllt, die die Eltern für ihn beschafft haben. Jetzt ist er zum Mann geworden und dokumentiert dies auch nach außen hin, indem er sich tatauieren läßt. Der ganze Körper wird von der Hüfte bis zum Knie mit Tiergestalten (Tigern, Löwen, Affen und so weiter) und um diese herum mit kabbalistischen Zeichen als Einfassung bedeckt, und erweckt auf den Beschauer den Eindruck, als ob sein Besitzer Kniehosen anhätte (Abb. 416). Ein Mann, der sich in dieser Weise nicht hat tatauieren lassen, gilt für einen Feigling; er rafft aus diesem Grunde auch nicht sein Lendentuch auf, besonders nicht, wenn Mädchen in der Nähe sind. Diese Tatauierung wird in blauer Farbe ausgeführt. Zu ihr gesellt sich vielfach noch eine rote an dem Oberkörper, die den Zweck haben soll, sich die Liebe der Mädchen zu erringen oder Unverletzbarkeit gegen Krankheiten zu erlangen. Mädchen werden nur dann tatauiert, wenn sich Bewerber für sie nicht einfinden wollen.
Die Mädchen stehen auf einer viel niedereren Stufe als die Knaben; sie werden nicht für[S. 373] voll angesehen. Sie dürfen weder in ein Kloster noch in ein Stift eintreten. Das Beste, was sie erhoffen können und weswegen die meisten von ihnen inbrünstig mit Blumen in den Händen in demütiger Haltung vor den Altären und Pagoden beten (Abb. 440), ist, daß sie zu ihrem nächsten Erdendasein als Männer auf die Welt kommen. Um den gleichen Zeitpunkt herum, zu dem die Knaben ihr gelbes Gewand anlegen und sich tatauieren lassen, also etwa um das zwölfte bis dreizehnte Lebensjahr, manchmal auch schon früher, werden ihnen die Ohren durchbohrt (Abb. 442). Die gute Sitte erfordert nämlich, daß kein Mädchen irgendeinen Schmuck anlegt, bevor es nicht diese Operation durchgemacht hat. Diese nimmt ein Ohrenbohrer von Beruf mit silbernen oder goldenen Nadeln vor, führt sie aber nicht eher aus, als bis der Astrologe, der das Horoskop des Mädchens studiert hat, ihm sagt, daß jetzt der günstige Augenblick gekommen sei. Mit teils freudigem, teils ängstlichem Gefühl sehen ihm die Mädchen entgegen; sie verfallen unter Umständen in eine Art[S. 374] hysterische Aufgeregtheit und müssen gewaltsam niedergehalten werden. Um ihr Geschrei bei dem Eingriffe zu ersticken, spielt eine Musikbande laute Weisen auf. Der Operateur legt einen Kork unter das Ohr und sticht die Nadel durch das Ohrläppchen. Die Nadeln bleiben eine Zeitlang in der Wunde und werden jeden Tag ein- bis zweimal hin und her bewegt, bis die Haut heil ist. Dann werden sie durch Grashalme ersetzt; täglich kommt ein neuer hinzu, bis die Öffnung so groß geworden ist, daß man einen Finger hindurchstecken kann. Der birmanische Ohrschmuck besteht weniger in einem Ohrringe, als vielmehr in einem Stifte oder einer Tube. Für gewöhnlich trägt man Bernsteinstifte, die Reichen tragen bei festlichen Gelegenheiten goldene Tuben, die an ihren Enden mit Steinen besetzt sind. Die Armen begnügen sich mit hohlen Tuben aus Glas, recht häufig auch nur mit festen Papierrollen. Auf dem Felde oder auf dem Wege zum Basar tragen die Mädchen oft auch Ersatzzigarren in den Ohren. — Beim männlichen Geschlecht beschränkt sich die Ohrläppchendurchbohrung auf die Reichen. Die mit Diamanten besetzten Ohrtuben der Schanhäuptlinge gehören in den meisten Fällen zum Staatsschatze und gehen von einem Häuptling auf seinen Nachfolger über.
Mit dem Augenblick der Aufnahme in den Orden ist der Knabe zum Mann, mit dem Augenblick der Ohrdurchbohrung das Mädchen zur Frau geworden. Es hat jetzt das Recht erworben, Juwelen zu tragen und die Lehrzeit im Spinnen, Weben, Kochen und Wassertragen überwunden. Zum Zeichen dessen, daß sie nun erwachsen sind, eröffnen die meisten Mädchen im Basar oder auf dem Markte ihres Heimatsdorfes eine Verkaufsbude. Hier verkaufen sie alle nur denkbaren Gegenstände (Drogen und Medikamente ausgenommen); die reicheren handeln mit Vorliebe mit Seide. Der Verkehr mit dem Publikum schärft ihren kaufmännischen Blick, fördert ihre Auffassungsgabe und läßt sie Kenntnisse sammeln, die sie später zu der fähigeren Ehehälfte machen. Außerdem hat dieser Umstand noch den Vorteil, daß die Mädchen mit den Jünglingen Bekanntschaften anknüpfen. Hat das Mädchen einen weiten Weg zu ihrem Verkaufsladen, so geht es im einfachen Hauskleid dorthin und putzt sich erst an Ort und Stelle. Da der Stand ringsum offen ist, so kann jedermann Zeuge von der Vornahme ihrer Toilette sein. Zu allererst gibt sich das Mädchen Teint, indem es Thanaka, eine Paste aus feingemahlener Borke und der[S. 375] Wurzel eines Strauches, auf das ganze Gesicht und den Hals aufträgt. Da die Paste ungefähr eine Stunde zum Eintrocknen gebraucht, so benutzt es die Zwischenzeit, um ihr Haar in Ordnung zu bringen. Sie kämmt und flechtet es, salbt es mit Kokosnußöl ein und befestigt es mit einer Nadel. Bei erwachsenen Mädchen ist das Kopfhaar ziemlich lang; man bemißt es nur nach Armlängen. Aber bei jüngeren muß dem Chignon durch Flechten nachgeholfen werden, die zumeist von dem abgeschnittenen Haar der Brüder herstammen. Nach Beendigung der Haarfrisur wird auf das inzwischen trocken gewordene Gesicht eine Art Schmelz in die Haut eingerieben. Zum Schluß werden noch die Augenbrauen nachgezeichnet und eine gelbe Blume, eine Rose oder eine Orchidee, in das glänzende, rabenschwarze Haar gesteckt. Ein graziös um Hals und Schultern geschlungener Schal vervollständigt die Toilette, und ein Blick in den Spiegel überzeugt das junge Mädchen, daß es sich sehen lassen kann. Es zündet sich nun eine Zigarre an und plaudert lustig mit seinen Nachbarinnen, den Vorübergehenden und den Käufern. Dabei benimmt es sich aber durchaus dezent, spricht ungezwungen und harmlos mit jedermann und nimmt gelassen und leidenschaftslos die Komplimente entgegen, geradeso als wüßte es nur zu gut, daß es im Besitze der „fünf Schönheitspunkte der vollendeten Frau“ ist. Einem Birmanen kommt es niemals in den Sinn, einem Mädchen öffentlich den Hof zu machen; er sagt ihm wohl im Vorübergehen gelegentlich Komplimente, die sie mit einem verächtlichen Hintenüberwerfen des Kopfes und einem Blick aus den schwarzen Augen quittiert, er denkt aber nicht daran, vor oder in der Bude herumzustehen und einen Flirt zu beginnen. Alle Klatschmäuler des Ortes würden sonst ihre Köpfe zusammenstecken und über ihn herfallen. Der rechte Ort für eine Werbung ist die Wohnung des Mädchens, wofür auch nach altem Brauche eine bestimmte Stunde festgesetzt ist. „Burschen-gehen-Werbezeit“, „Treu-Liebender-Stelldichein“ ist die landesübliche Bezeichnung für den Zeitraum zwischen acht und zehn Uhr abends. Wer ernste Absichten hat, wählt diese Zeit aus. Indessen geht alles dabei in Ehren zu. Sogar feste Grundsätze herrschen über diese Zusammenkünfte. Jedes Dorf oder jedes Stadtviertel hat nämlich einen sogenannten Junggesellenführer, dem die Aufgabe zufällt, solche Zusammenkünfte für Liebende zusammenzubringen. Die Jünglinge treffen sich auf Verabredung und marschieren unter Führung dieser Personen geschlossen durch den Ort; wo ein Verehrer seine Liebste wohnen hat, bleibt er zurück und gibt durch ein besonderes Kennzeichen zu verstehen, daß er angekommen sei. Manche spielen die Flöte, andere klatschen sich mit der rechten Hand auf den linken Arm oder husten, noch andere rufen „Ma Meit (Fräulein Liebchen), bist du da?“ und so weiter. Die Erlaubnis zum Betreten der Wohnung, in der das junge Mädchen angeputzt und siegesbereit dasitzt, wird fast niemals verweigert. Die Eltern sind in der Regel zunächst anwesend, nachdem sie aber lange[S. 376] genug über das Wetter, die Ernte oder irgendein anderes Ereignis geplaudert haben, schützen sie Müdigkeit vor und ziehen sich zurück. Indessen können sie, wenn sie es wollen, von ihrem Schlafzimmer aus durch Gucklöcher das Treiben des jungen Paares beobachten, und erörtern manchmal mit hörbarer und staunenswerter Offenheit das Äußere des Jünglings. Dieser bringt die Bewerbung seiner Angebeteten vor, zumeist in ganz poetischer Form, wie er es selbst vermag oder aus Liederbüchern gelernt oder auf der Bühne gesehen hat. Das Mädchen beschränkt sich für gewöhnlich aufs Zuhören oder auf kurze Antworten. Ein Küssen während der Brautzeit gilt für sehr unschicklich, auch schon das Sich-die-Händegeben für unfein. Der Dauer des Besuches wird nach der schicklichen Zeit von dem Junggesellenführer draußen durch krampfhaftes Husten oder, wenn dies nicht genügt, durch deutlichere Bemerkungen eine Grenze gesetzt.
Die Birmanin hat völlige Freiheit in der Wahl ihres Lebensgefährten, und die Eltern treten keineswegs hindernd dazwischen. Sie regeln aber doch die Einzelheiten der an sie zu zahlenden Summe, lediglich eine von früher her überkommene Sitte. Entführungen sind durchaus keine seltenen Erscheinungen und werden von den Eltern auch zumeist geduldet. Alles, was die Frau in die Gemeinschaftsehe mitbringt, bleibt ihr Eigentum. Bei einer Trennung steht ihr das Recht zu, es wieder mit sich zu nehmen, desgleichen die Hälfte dessen, was gemeinsam erworben wurde, sowie eine etwaige Erbschaft, die ihr während der Ehe zufiel.
Die birmanische Heirat ist eine rein bürgerliche Zeremonie, nur das Öffentliche dabei macht sie bindend. Nachdem im Elternhause das Brautgemach hergerichtet worden ist, werden alle Verwandten und Freunde zu einem großen Feste eingeladen, bei dem die eigentliche Trauung nur eine unbedeutende Rolle spielt. Sobald ein Astrolog den Augenblick für günstig erklärt hat, legt das Paar seine Hände flach aneinander und steckt sich gegenseitig Reiskörner aus einer Schüssel in den Mund. Damit ist der Zeremonie Genüge geleistet. Viel wichtiger ist noch die Übergabe des bei der Verlobung ausbedungenen Geldes und der Geschenke durch die Eltern des Bräutigams.
Auf dem Lande herrscht noch der Brauch, daß Junggesellen in der Hochzeitsnacht Steine auf das Dach der Neuvermählten werfen. Diese Sitte, von der man sich durch ein paar Rupien loskaufen kann, scheint nicht unflätigen Motiven entsprungen zu sein, sondern ihre Entstehung der folgenden Sage zu verdanken. Zu Anfang der Welt hatte es fünf Männer und nur vier[S. 377] Frauen gegeben; als sie sich nun zu Paaren zusammengeschlossen hatten, konnte der übrig bleibende Junggeselle seinen Groll und seine Gefühle nicht meistern und hatte in der Nacht seinem Unwillen in der geschilderten Weise Ausdruck gegeben.
Bei den weniger zivilisierten Birmanenstämmen dagegen trifft man vielfach noch umfangreiche Ehezeremonien an, sie sind hier überall stark mit Brahmanismus durchsetzt. Schon bei den Schan ist dies der Fall, noch mehr aber bei den Katschin. Bei den Katschin wird das Hochzeitsfest damit eingeleitet, daß man Hühner, Schweine, selbst Ochsen oder Büffel schlachtet, den Hausgeistern Opfer darbringt und ihnen unter Gesang und Gebeten für das Wohl der zukünftigen Eheleute die Braut vorstellt. Darauf bereitet man vor dem Hause einen Kamphan vor, das heißt man steckt in einer Länge von etwa hundertfünfzig Zentimetern Bündel von Halmen in die Erde und legt in der Mitte dieser Reihe ein Brett über den Boden. Gegen Mittag erscheinen nun einige Matronen, die noch einen Gatten am Leben haben und eine zahlreiche Kinderschar besitzen, mit einem Gefäß voll Branntwein und einem zweiten voll Bier bei dem Lakya Wa, einem angesehenen Dorfbewohner, zu dem die Braut am Vorabend gebracht wurde, geben ihr davon zu trinken und holen sie ab. Zwei Ehrenjungfrauen folgen ihr, die eine mit Zeremonialhellebarden auf der Schulter, die andere mit Säbeln und anderen Geschenken in ihrem Tragkorb. Sobald man sie ankommen sieht, opfert man beim Kamphan zweien Geistern Hühner, oft auch ein ganzes Schwein und spritzt Blut umher. Sodann führt eine der Matronen die Braut an der Hand mitten durch den Kamphan, dadurch wird sie gereinigt und für die Zukunft von den Hausgeistern, die ihr folgten, befreit. Gleitet sie auf der Planke beim Überschreiten[S. 378] aber aus, dann gilt dies für eine böse Vorbedeutung (kurzes Leben); bleibt ihr Kleid von den Blutspritzern frei, dann glaubt man, daß sie lange leben und eine große Nachkommenschaft haben wird. Nun wird die Braut auf einer neuen Treppe ins Haus geführt; besteigt sie diese mit dem rechten Fuß, dann bekommt sie als erstes Kind einen Knaben, im anderen Falle ein Mädchen. An der Schwelle empfängt sie die Schwiegermutter und legt ihr ein silbernes Halsband als Zeichen der Aufnahme um; im Zimmer der Schwiegereltern legt die Braut die Geschenke nieder, die ihre Brautjungfern mitbrachten, und wird dem Gatten zugeführt, den sie oft jetzt erst zum ersten Male erblickt. Man läßt beide sich auf eine Matte niedersetzen, gibt ihnen Branntwein zu trinken und von einem Stück Tabak zu kauen. Darauf verteilen die junge Frau und die Ehrenjungfrauen an alle Teilnehmer zahlreiche Prims, die die Eltern des Gatten geliefert hatten, und gehen an den Brunnen, wo sich die junge Frau von etwaigen Sünden, die ihr anhaften, reinigt und Wasser schöpft, das sie am Abend beim Zeigen ihrer Kochkünste verwertet. Inzwischen haben einige Mundschenken Bier oder Branntwein herumgereicht und die Köche das Fleisch der Opfertiere und Reis zu Gerichten gekocht, die von den Anwesenden genossen werden. Die Freunde der Familie veranstalten eine Sammlung zur Deckung der Unkosten. Die Eltern der jungen Frau nehmen nicht an diesen Feierlichkeiten teil, am Abend senden ihnen die jungen Leute aber eine Keule und den Schwanz vom Opferschwein und einen Teil des Brautpreises; der Rest wird nach und nach bezahlt. Zur Nacht setzen sich die Festlichkeiten fort. Die junge Frau muß zunächst ihre Talente im Kochen entwickeln; sie stellt einige Gerichte mit Hilfe ihrer Brautjungfern her und verteilt sie an die Festgenossen. Diese kosten sie und pflegen dann auszurufen: „Ah, wie vorzüglich, möge die Jungvermählte lange leben, eine zahlreiche Nachkommenschaft haben“ und so weiter. Wenn alle Welt satt geworden ist, hält ein Dumsa noch die Zeremonie des num lani de ab. An jeder Seite des Herdes im Zimmer der Eltern stellt er zwei Paare von alten Zeremonialwaffen und einen Bambusstab auf, an dem ein Bündel Hirse befestigt ist, und legt davor weibliche Kleider und Schmucksachen, einen Topf, einen Dreifuß, Krüge mit Bier und Branntwein, einen Schweineschlegel und so weiter. Neben dem Herde nehmen die junge Frau und ihr Gefolge Platz. Der Dumsa macht nun allerhand Hokuspokus. Er ladet wohlwollende Geister ein, treibt übelgesinnte aus, erzählt eine Geschichte von dem Ursprung der Ehe, die ganz verschieden ausfällt, je nachdem es sich um einen Mann aus dem Volke oder um einen Vornehmen handelt, und wendet sich schließlich unter Hinweis auf die beim Herde niedergelegten Gegenstände an die junge Frau mit den Worten: „Dies ist alles für euch. Möget ihr hart werden wie diese Waffen, mögest du schön bleiben wie diese Schmuckstücke, gut sein wie dieser Branntwein und dieses Fleisch, möge euch dieser Topf lange zum Kochen des Reises für eure Schwiegereltern dienen und möget ihr euch vermehren wie die Körner der Hirse.“ Nach Beendigung dieser Zeremonie reicht man dem jungen Paar Branntwein, Bier und ein Blatt mit einer Mischung von Reis und Hühnerfleisch. Der Mann reicht der Frau die Tassen mit den Flüssigkeiten an die Lippen, um sie davon kosten zu lassen, und bietet ihr etwas von der Speise an, dasselbe tut die Frau mit dem Ehegatten. Der Rest der Speisen und Getränke wird an die Ehrenjungfrauen und an die Jugend verteilt. Damit ist die Hochzeitsfeierlichkeit beendet. Am anderen Morgen findet Empfang der Vornehmen des Ortes und der Freunde statt, die von den Getränken kosten und ihrerseits den Jungvermählten alles Glück wünschen.
Bei den Karen, wo Endogamie herrscht, bestehen bestimmte Heiratsverbote, die aber nach den verschiedenen Stämmen ganz verschieden ausfallen. Der eine Stamm gestattet die Heirat nur unter nahen Verwandten, ein anderer erlaubt eine eheliche Vereinigung nicht nur außerhalb der Familie, sondern auch außerhalb des Stammes und selbst der Rasse. Bei den Tschinvölkern anderseits treffen wir Exogamie an, das heißt die Heirat ist zwischen Mitgliedern des gleichen[S. 379] Stammes, des gleichen Dorfes oder der gleichen Gruppe verboten. Geradezu beängstigend sind die Eheverbote bei den Bergkaren. Hier sind der Heirat so zahlreiche Schranken gesetzt, daß es viele alte Junggesellen gibt, die deswegen keine passende Frau finden konnten und daher Zeit ihres Lebens in den Junggesellenhäusern zubringen. Diese Einrichtung der Junggesellenhäuser finden wir nicht nur bei den Karen, sondern auch bei verschiedenen anderen birmanischen Volksstämmen, wie den Luschai, Kuki, Padaung. Bei den Bergkaren sind die Junggesellen durch eine besondere Tracht kenntlich gemacht; sie tragen eine Art Muscheljacke mit Samenkörnern oder Muschelgeld besetzt, Halsketten aus farbigen Steinen, Perlen oder Schilfsamen, an denen ein Eberhauer auf die Brust herabhängt, in den Ohren große silberne Tuben und bei manchen Stämmen über der Stirn noch eine mit Muschelgeld und einem Reisstengelbündel verziertes Band. Heiratet ein Junggeselle, dann bekommt zunächst seine Frau den ganzen Schmuck, später geht er auf den ältesten Sohn über.
Da die Birmanen sich einer ausgezeichneten Gesundheit erfreuen, viel auf dem Lande leben und die Städte, bis auf einen gelegentlichen Besuch, zu meiden pflegen, so haben die Ärzte wenig mit Krankheiten zu kämpfen. Es ist dies auch ein Glück für die Patienten, denn die einheimischen Heilkundigen sind alles andere als wissenschaftlich ausgebildete Mediziner. Man unterscheidet ihrer zwei Arten, die Drogisten und die Deitisten, dazu kommen für ernste Notfälle noch die Geisterdoktoren. Die Drogisten verabreichen, gewöhnlich zum Schaden ihrer Klienten, diesen alle nur denkbaren und unmöglichen Heilmittel, die aus tierischen, pflanzlichen und anorganischen Substanzen zusammengebraut sind. Ein Medikament, das aus hundertsiebenundvierzig Bestandteilen sich zusammensetzt, muß doch eine Wirkung äußern, entweder so oder so. Die Deitisten verlassen sich[S. 380] in der Hauptsache auf Glaubensheilungen und beschränken ihre Verordnungen, wie es scheint, auf Nahrungsvorschriften, die darauf hinauslaufen, daß der Kranke nur solche Lebensmittel genieße, deren Namen mit einem der Buchstaben beginnen, die dem Wochentage zuerteilt sind, an dem er geboren wurde. Der Geisterdoktor ist der gefürchtetste von allen, denn er pufft und knufft den armen Kranken, dem er Beistand leisten soll, nach allen Regeln der Kunst unter dem Vorwande, er treibe den Geist des Fiebers, der Kolik und so weiter, der von seinem Körper Besitz ergriffen habe, aus. Daher ruft man ihn, der am unbeliebtesten ist, erst, wenn es sozusagen Matthäi am letzten steht.
Einen Todesfall geben die Angehörigen den Nachbarn stets durch lautes Wehgeschrei kund. Sofort wird eine Musikkapelle geholt, um ununterbrochen bis zur Beerdigung aufzuspielen. Der Leichnam wird auf der offenen Veranda gewaschen, von der Brust abwärts in ein weißes Baumwolltuch gehüllt und in die buntesten Gewänder gekleidet. Darauf werden ihm die beiden Daumen und die beiden großen Zehen zusammengebunden, wenn möglich mit Haaren des Sohnes oder der Tochter, falls aber keine Kinder vorhanden oder solche Haare nicht zu beschaffen sind, mittels gedrehter weißer Baumwolle. Es wird dem Verstorbenen außerdem noch eine kleine Münze in den Mund gesteckt, um damit die „Fahrgebühren“ bei der Reise ins Land der Geister zu bezahlen. Dieses alles besorgen die Verwandten. Die weitere Behandlung der Leiche, um sie für die Einsargung vorzubereiten, ist Aufgabe einer besonderen, tiefstehenden Kaste, der Sandala. Der Sarg wird aus ganz leichtem Holze angefertigt und trägt einen turmähnlichen Aufbau, der aus Bambus hergestellt und daher ebenfalls ganz leicht ist und mit[S. 381] allerlei Flittergold und buntem Papier behangen wird. Die Sandala graben auch das Grab auf dem Friedhofe aus, der immer westlich von der Ortschaft gelegen sein muß, unter keinen Umständen östlich davon, da diese Richtung die unglückbringende ist, auch nicht nach Norden, weil dorthin der Kopf des Gautama Buddha bestattet liegt. Dem nächsten Kloster sendet man, zum Heile des Verstorbenen, besondere Opfergaben in Eßwaren, dafür kommen ein paar Mönche und lesen Gebete und fromme Sprüche aus heiligen Büchern vor, um die Geister, die vielleicht sich einfinden und Unheil anrichten könnten, fernzuhalten. Aus dem gleichen Grunde spielt auch die Kapelle unentwegt auf der Straße. Trauerkleider werden beim Begräbnis nicht getragen; die Leidtragenden kommen alle in ihren besten Gewändern, wie zu einem heiteren Fest. Man sieht es gern, wenn Mönche dem Trauerzuge vorangehen, der sich aus Angehörigen beiderlei Geschlechtes zusammensetzt; die Männer gehen aber von den Frauen getrennt. Fremde schließen sich oft dem Zuge aus Pietätsgründen an und werden wie alle Teilnehmer von den Frauen mit Erfrischungen und Zigarren bedacht. Der Trauerzug macht vor der Leichenhalle halt; hier hört die Musik zu spielen auf. Die Mönche lesen hier noch einmal Auszüge aus den heiligen Schriften zum Heile der Lebenden wie des Toten vor und ziehen sich dann gleichfalls zurück. Der Sarg wird zum Grabe getragen und, ehe man ihn versenkt, mehrmals hin und her geschwenkt. Die nächsten Angehörigen streuen stumm ein paar Hände voll Erde über die Bretter, dann schütten die Sandala das Grab zu. Jetzt ist es noch die Aufgabe des ältesten männlichen Verwandten, den Geist des Verstorbenen einzufangen und mitzunehmen. Nach dem Glauben der Birmanen ist dieser Geist, Leipbya (das heißt sehr sinnig „Schmetterling“) genannt, solange der Mensch lebt und[S. 382] wach ist, bei ihm; wenn er schläft, verläßt er ihn auf einige Zeit, weswegen man einen schlafenden Menschen nicht plötzlich wecken darf, es könnte sonst seine umherschweifende Seele nicht beizeiten zurückkommen und der Betreffende sterben; wenn der Mensch aber tot ist, dann muß der Leipbya eingefangen werden, um nicht auf dem Friedhof zurückzubleiben und zum bösen Geist zu werden. Zu diesem Zwecke hält der bejahrte Verwandte ein Taschentuch hin, ruft die Worte aus: „Komm mit uns mit“ und drückt es darauf plötzlich zusammen; er glaubt dadurch den entkörperten Geist eingefangen zu haben. Das Taschentuch wird nach Hause mitgenommen, hier sieben Tage lang zwischen zwei Hauspfosten auf der linken Seite der Eingangsstufen untergebracht, und am siebenten Tage bei Anwesenheit der Mönche, die eine Art Läuterungsfest veranstalten, auseinandergenommen. Damit ist die Gefahr, daß der Geist des Verstorbenen nach dem Friedhof zurückkehren und ein Ghul werden könnte, beseitigt. Reiche Leute bewirten die leidtragenden Gäste während dieser sieben Tage; wenn ärmere dies tun, geraten sie dabei leicht in Schulden.
Früher war Leichenverbrennung allgemein üblich, jetzt beschränkt sich diese Sitte auf einzelne Landesteile. Die drei nächsten Verwandten sammeln die übrig gebliebenen Knochen, waschen sie in wohlriechendem Wasser oder Kokosnußmilch, wickeln sie in weiße Watte und legen sie in einen Krug. Dieser kommt zunächst ins Haus zurück, wird aber nach dem Läuterungsfest in der Nähe eines Klosters oder einer Pagode in der Erde beigesetzt. Ein hölzerner Turm wird als Denkmal über dem Grabe errichtet; wenn er verfallen ist, kennt niemand die Stätte mehr. Reiche Leute gestatten sich einen massiven Pfosten oder auch einen gemauerten Turm. Pagoden werden über königlichen Toten errichtet, können auch über Mönchen oder Häuptlingen (bei den Schan) erbaut werden.
Das Begräbnis eines angesehenen Mannes pflegt keine besonders großartige Feier zu sein, dagegen wird reichlicher Pomp beim Tode eines Mönches entfaltet (Abb. 445). Je älter ein Mönch und je größer die Zahl der Fasten war, die er im Kloster ausübte, um so länger wartet man mit seinem Begräbnis, denn es müssen zuvor noch die Gelder für die Feier eingesammelt werden. Hat ein Bettelmönch kein Vermögen hinterlassen, so wird das Kloster, selbst wenn es Geld besitzt, doch dem Volke nicht die Gelegenheit nehmen, sich durch eine gute Tat verdient zu machen. Unter Umständen kann oft ein Jahr vergehen, oder noch mehr Zeit, ehe genügend Mittel zusammengekommen sind, um dem Haupte eines Klosters die gebührenden Ehren zu erweisen. Daher wird der fromme Mann sofort, meistens indem der Leichnam in Honig gelegt wird, einbalsamiert (Abb. 444). Der Sarg, der aus einem Stück Holz geschnitzt ist, wird noch von einem vergoldeten und reich verzierten Behälter in Form eines Gerüstes mit einem Baldachin umgeben und in einem provisorischen Gebäude, Nirwanakloster genannt, untergebracht. Ringsherum werden überraschenderweise sehr oft eine Anzahl ganz unzüchtiger Bilder angebracht; sie sollen indessen die Versuchungen darstellen, denen der heilige Mann widerstand. Hier verbleibt der Sarg, bis alle Vorkehrungen zu der „Rückkehr in die große Herrlichkeit“, wie man die Feuerbestattung eines Mönches zu nennen pflegt, getroffen sind; dies ist im Februar oder März der Fall, wenn der Reis eingeerntet ist und die Landbevölkerung viel Geld in den Händen hat. An dem festgesetzten Tage errichtet man auf einem Hügel oder einem freien Platze einen mächtigen Scheiterhaufen in Gestalt eines hohen Turmes mit sieben Dächern (Abb. 446 und farbige Kunstbeilage), der aufs bunteste mit Blattgold, Flitter und Bildern ausgeschmückt ist; in den unteren Stockwerken wird[S. 386] er mit Brennstoffen und wohlriechenden Hölzern ausgefüllt. Der vergoldete Behälter mit dem Sarg wird auf einem riesengroßen Wagen von so viel Menschen, als nur die Rotangseile erfassen können, herangeschleppt. Noch geschäftiger gestalten sich die allgemeinen Bemühungen, sobald der Wagen an der Verbrennungsstätte anlangt. Hunderte von Männern, Frauen und Kindern legen Hand an, heben den Sarg von dem Wagen und bringen ihn an seinen Platz. Dabei ertönt ein großes Geschrei der Teilnehmer, Musikbanden lassen ihre Weisen erschallen, und man bekommt den Eindruck, daß es sich hier um etwas ganz anderes, als um ein Begräbnis handeln müsse. Inzwischen haben Mönche in Bambushäusern, die ringsherum provisorisch erbaut wurden, die ganze Zeit hindurch aus frommen Büchern vorgelesen und gleichzeitig eine Unmasse an Opfergaben der verschiedensten Art eingeheimst. Darauf wird der Scheiterhaufen mittels Raketen angezündet. Diese Raketen sind mit Schießpulver gefüllte Bambusstäbe; an der Herstellung einer einzelnen arbeitet für gewöhnlich ein ganzes Dorf. Die Rakete, die die Spitze in Brand setzt, bringt dem betreffenden Dorfe Glück. Sobald eine Rakete zündet, erhebt sich unter dem Volk ein mächtiges Freudengeheul, wenn sie aber versagt, ein lautes Hohngelächter. Die Leiche ist bald verbrannt, denn in der heißen Jahreszeit, in der die Feuerbestattung erfolgt, ist alles trocken wie Zunder. Die in der Asche gesammelten Knochen werden in der Nähe eines geweihten Ortes begraben, oder es wird über ihnen ein viereckiger Turm ohne Spitze oder eine Pagode errichtet. Dieses Grabmal trägt aber niemals eine Inschrift, so daß nur die Leute im Orte imstande sind zu sagen, zu wessen Andenken solch ein Bau zustande kam.
Französisch-Indochina, ein schmaler Küstenstreifen, der sich östlich von Birma und Siam an der chinesischen Südsee hinzieht, steht, wie sein Name besagt, jetzt unter französischer Oberhoheit. Das Land zerfällt politisch in Kambodscha, Kotschinchina, Annam und Tonkin und umfaßt an Völkern die Kambodschaner oder Khmer, die Annamiten, die Tonkinesen, die Laotier und einige mehr oder weniger „wilde“ Stämme.
Kambodscha, vordem ein mächtiges Reich am Unterlaufe des Mekong — im sechzehnten Jahrhundert erstreckte es sich über einen Teil von Siam, über Annam und Laos — hatte unter der Dynastie der Khmer eine hohe Stufe auf dem Gebiete der Künste und Wissenschaften erreicht; von dem Abglanz dieser hohen Kultur legen zahlreiche Ruinen Zeugnis ab. Sodann aber warfen sich die Siamesen zu den Herren dieses Landes auf und zuletzt eigneten es sich die Franzosen an.
Die Kambodschaner sind mittelgroße (Männer im Durchschnitt hundertdreiundsechzig Zentimeter), dabei aber kräftig gebaute Leute mit kurzem Schädel, geradestehenden, selten geschlitzten Augen, breiter, an der Wurzel eingesattelter, wenig vorspringender Nase, straffem, tiefschwarzem Haar und rötlichbrauner Hautfarbe; im allgemeinen läßt sich an ihrem Äußeren ein gewisser negerähnlicher Einschlag (Mischung mit Negritos!) nicht verkennen. Die Männer tragen eine fest anliegende Jacke und einen Sampot, das ist ein Stück Zeug, das sie um die Hüften und darauf zwischen den Beinen derart hindurchschlingen, daß bauchige Hosen daraus entstehen; die Frauen tragen außer dem Sampot noch einen Überwurf oder öfters eine große farbige Schärpe, die Rücken und Arme freiläßt. Beide Geschlechter lassen sich das Kopfhaar bürstenartig kurz[S. 388] schneiden; ein etwaiges Streichen mit der Hand über die Haare, auch wenn es aus Zärtlichkeit geschehen sollte, wird als schwere Beleidigung, als Zauberei aufgefaßt. — Die Kambodschaner wohnen in Häusern auf Pfählen, die stets einstöckig sind, in der Annahme, daß es einem Menschen Unglück bringen würde, wenn einer ihm über seinem Kopfe umherginge. Die Kambodschaner sind nämlich sehr abergläubisch. Wie die Siamesen, Annamiten und so weiter glauben sie an Glücks- und Unglückstage, achten auf Wahrzeichen und lassen sich das Horoskop stellen.
Ihre Religion ist eine Mischung von Buddhismus und Brahmanismus, ähnlich wie die Religion der Singhalesen. Nach außen bekennen sie sich zu ersterem, aber der Aberglaube an gute und böse Geister, die in ihrer Umgebung leben und Ehrerbietung erfordern, ist allenthalben unter ihnen verbreitet. Zu den wohlwollenden Geistern zählen die Nak Ta, deren Aufenthaltsort man in schöne alte Bäume legt. Früher brachte man ihnen anscheinend Menschenopfer dar, jetzt beschränkt man sich auf solche in Gestalt von Büffeln, Ziegen, Hühnern, Reis und Obst. Ein einflußreicher Geist ist ferner der Arak, ein gleichsam gottgewordener Ahne, der die Familien beschirmt und der besonders in Krankheitsfällen angerufen wird. Größere Macht als den guten Geistern wird von den Kambodschanern den bösen (Pray) zugeschrieben; daher sind sie besonders bemüht, diese zu versöhnen und in guter Stimmung zu erhalten. Die gefährlichsten Geister sind die von Frauen, die im Kindbett gestorben sind oder einen gewaltsamen Tod durch den Werwolf, den Chul und die Hexe gefunden haben. Alle Krankheiten, alles Ungemach schreibt man ihnen zu; daher spielt auch die Magie in der Heilkunde der Kambodschaner eine große Rolle.
Eine große Vorliebe bekunden die Kambodschaner für das Feiern von Festen; nicht nur alle Tage, die die Lehre Buddhas als heilig vorschreibt, werden festlich, unter anderem durch Aufzüge (Abb. 448), begangen, sondern auch alle diejenigen Volksbräuche, die auf animistischer Grundlage beruhen. Eine große Feierlichkeit knüpft sich an das „Wasserfest“. Es ist dies eine[S. 389] Regatta religiösen Charakters, die alljährlich vor dem Könige in Pnom Penh auf dem Tonle Sap stattfindet. Im Palast spielt sich dann auch die Segnung des „Wassers des Eides“ ab; ein jeder Bewohner des Landes, der im Dienste des Königs steht, schwört ihm Treue, indem er das Wasser trinkt, das ihn bei Bruch des Eides vergiften würde. — Wie in Siam ist jeder weiße Elefant Eigentum des Königs (Abb. 447).
Das Kind der Kambodschaner erhält im Alter von sechs Monaten seinen Namen; dieser feierliche Augenblick wird mit allerlei Förmlichkeiten begangen. Sobald das „Haarbüschel rasiert“ wird — eine Vorschrift für beide Geschlechter — wird der Name geändert. Hierauf suchen die Knaben als Novizen das Kloster auf, um hier unterwiesen zu werden. Nach Abschluß ihrer Lehrzeit nehmen sie Aufenthalt im Gemeindehaus und bleiben hier bis zu ihrer Hochzeit. Ein Stelldichein mit jungen Mädchen ist nicht erlaubt; die Kambodschaner legen großen Wert auf Jungfräulichkeit vor der Ehe. Die jungen Mädchen leben mit ihren Eltern zusammen, bis sie in das Reifealter kommen. Dann müssen sie auf Verlangen ihrer Eltern „in den Schatten treten“. An dem Abend, wo sich bei ihnen die ersten Regeln zeigen, befestigen die Eltern Baumwollfäden um das Handgelenk und bringen den Ahnen ein Opfer dar, bestehend in Speisen, Kerzen und Räucherwerk, wobei sie ihnen dieses Ereignis förmlich kundgeben. Gleichzeitig pflanzen sie einen Bananenbaum, dessen Früchte entweder das junge Mädchen genießt oder an die Mönche schickt. Darauf zieht es sich für längere Zeit zurück; diese Abgeschlossenheit währt einige Monate bis mehrere Jahre, je nach der Lebensstellung und dem Vermögen der Familie. Es werden ihm von den Eltern gute Lehren mitgegeben, die etwa lauten: „Laß dich vor keinem fremden Manne[S. 390] sehen, nimm ebenso wie die Mönche deine Speise nur zwischen Sonnenaufgang und Mittag ein, iß nur Reis, Salz, Kokosnuß, Erbsen, Sesam und Früchte, enthalte dich des Fleisches und Fisches; bade dich nur, wenn die Nacht eingetreten ist, das heißt wenn keiner dich mehr erkennt, damit du von keinem Menschen gesehen wirst.“ Während der ganzen Zeit seiner Abgeschlossenheit bleibt das Mädchen tagsüber im Hause, es geht nicht einmal nach der Pagode; nur während der Dunkelheit wird es von dieser Pflicht befreit. Dann steckt es ein Betelmesser und den Behälter für den zum Betelkauen erforderlichen Kalk zu sich, zündet Lichter und Räucherkerzen an und geht hinaus, um das Ungeheuer, das die Finsternis schickt, indem es die Sterne zwischen den Zähnen schüttelt, anzubeten und Glück für sich herabzuflehen. Das „Heraustreten aus dem Schatten“ wird wiederum durch Gebete und ein Festessen feierlich begangen. Manchmal schließt sich hieran das Färben der Zähne, das sonst meistens bei der Heirat stattfindet. Bei den jungen Männern wird diese Zeremonie entweder bereits bei der Aufnahme in den Mönchorden oder bei der Heirat vorgenommen. Der Vorgang spielt sich für ein junges Mädchen unter allerhand Förmlichkeiten ab. In seiner Abwesenheit breitet ein weiser Mann auf der Erde ein Baumwolltuch aus, legt darauf zunächst acht Strohhalme in der Richtung der Himmelsgegenden, einen Napf aus Kokosnußschale, ein Webeschiffchen und einen Bronzebecher, streut dann noch ungedroschenen Reis darauf, so daß die Gegenstände bedeckt sind, streicht das Ganze glatt und deckt es mit den Zipfeln des Tuches zu. Auf dem so zubereiteten Sitz läßt er das Mädchen Platz nehmen. Nachdem einige Gebete gesprochen worden sind, stampfen zwei alte Leute, Mann und Frau, in einem Mörser Lack, und sieben Knaben ahmen das Stampfen mit Bananenzweigen nach; sie singen dabei den Refrain: „Großvater Kuhê, Großmutter Kuhê, stampft den Lack gut, damit er an den Zähnen hängen bleibe.“ Jedesmal, wenn sie das Wort stampfen aussprechen, lassen die beiden alten Leute den Stampfer in dem Mörser niederfallen. Ist der Lack genügend zerkleinert, dann wird er noch durch ein Stück Musselin gesiebt. Daraufhin wird ein Kokosblatt in der Form eines menschlichen Gebisses zugeschnitten, ein Stückchen Baumwollzeug mit dem flüssig gemachten Lack getränkt und dem Mädchen auf die Zähne gelegt, damit es beides bis zum Morgen im Munde liegen läßt; es darf nur in Pisangblätter speien, die nach Form eines Näpfchens zusammengenäht sind. Um Mitternacht werden dann die bösen Geister beschworen und gegen Morgengrauen brechen die[S. 391] sieben Knaben im Zuge in die Nachbarschaft auf, um auf die Hühner und Enten der Eingeladenen Jagd zu machen. Bei Tagesanbruch verläßt das junge Mädchen das Haus und betet die Sonne an, indem es sich vor ihr dreimal in den Staub wirft. Der alte Großvater macht darauf die Bewegung, als ob er ihm mit Hammerschlägen die Zähne ausschlagen wollte und bestreicht es mit Ruß. Schließlich muß sich das Mädchen noch vor dem Hausaltar niederwerfen.
Mit ungefähr sechzehn Jahren gehen Jünglinge wie auch Jungfrauen die Ehe miteinander ein. Die Eltern pflegen wohl die Vorbereitungen dazu zu treffen, ohne die Beteiligten zu fragen, indessen berücksichtigen sie doch eine etwaige Abneigung der Tochter gegen ihren Auserwählten. Nachdem der Jüngling ihnen die erforderlichen Geschenke an Arekanuß, Betel, Gambier, Reiswein und Tabak dargebracht hat, findet die Verlobung statt. Darauf begibt er sich auf unbestimmte Zeit in das Haus seiner Schwiegereltern. Von diesem Augenblick an gilt das Paar in den Augen der Öffentlichkeit für verheiratet, denn eine Hochzeitszeremonie findet für gewöhnlich nicht statt, aus dem einfachen Grunde, weil dadurch für den jungen Mann große Unkosten entstehen. Er muß nämlich nicht nur seinen Schwiegereltern am Hochzeitstage eine Menge ausbedungener Geschenke machen und seiner Frau mancherlei Schmucksachen verehren, sondern auch viele Gaben freiwillig an Bekannte verteilen und sie in ausgiebiger Weise bewirten.
Wie überall in Indochina ist das Begräbnis der wichtigste Moment im Dasein des Kambodschaners. Es besteht in der Feuerbestattung; nur sehr fromme Anhänger des Buddhismus bestimmen, daß ihr Fleisch in Stücke geschnitten und den Vögeln zum Fraß vorgeworfen wird.[S. 392] Während die ärmeren Volksschichten ihre Toten möglichst schnell verbrennen, schieben die wohlhabenderen die Einäscherung auf lange Zeit, auf Monate und selbst Jahre hinaus. Im letzteren Falle begräbt man sie vorher noch oder bewahrt sie in hermetisch verschlossenen Särgen im Hause auf. Drei Tage lang wird bei der Leiche Wache gehalten und gebetet, darauf wird sie auf einen mit Goldflitter, Blumen und Lichtern geschmückten Katafalk gelegt. Sie bekommt eine kleine Stange Gold oder Silber in den Mund gesteckt und eine Kette aus weißen Baumwollfäden um den Hals gelegt, dessen Enden außerhalb des Sarges an einem Stück weißen Baumwolltuches befestigt werden; das andere Ende des Tuches hält der jüngste Sohn oder Enkel. Dieser fährt beim Begräbnis auch vor dem Katafalk in einer Sänfte als „Führer der Seele“ (Abb. 449 und 450). Auf einem Wagen wird die Leiche zum Scheiterhaufen befördert, begleitet von einer Musikbande, gemieteten Trauerweibern und den Angehörigen, die in Weiß gekleidet sind und sich ihren Kopf zum Zeichen der Trauer haben scheren lassen. Ehe die Leiche verbrannt wird, vergehen immer noch einige Tage. Beim ersten Knistern des Feuers erhält der junge „Seelenführer“ das Novizenkleid aus den Händen eines Priesters.
Die Annamiten, die sich hauptsächlich in Annam, Tonkin und Kotschinchina angesiedelt haben und aus Tibet stammen sollen, besitzen ebenfalls eine kleine (etwa hundertfünfundfünfzig Zentimeter hohe), aber ein wenig gedrungenere Gestalt als die Kambodschaner, einen kurzen Kopf, ein breites Gesicht mit sehr häufig (drei Viertel der Fälle) schiefstehenden Mongolenaugen, sowie schwarzes, straffes Haar; im allgemeinen weisen sie mehr den Typus der gelben asiatischen Rasse auf. Ihre Haut ist heller als die der Kambodschaner, weswegen sie sich als weiße Menschen betrachten und auf jene mit einer gewissen Verachtung herabsehen.
Beide Geschlechter kleiden sich in schwarze Beinkleider aus Seide und in einen langen schwarzen oder blauen Überwurf aus dem gleichen Stoff, wodurch Männer und Weiber, zumal beide auch langes Haar tragen, schwer voneinander zu unterscheiden sind.
Allgemein verbreitet ist auch unter den Annamiten das Schwärzen der Zähne, wie wir es bereits von den Kambodschanern her kennen gelernt haben. Nur ist hier das ganze Verfahren viel langwieriger, so daß das arme Opfer infolge der verminderten Nahrungsaufnahme, der Abgeschlossenheit und Aufregungen schließlich ganz entkräftet wird. Zunächst werden die Zähne mittels einer Paste, die man auf ein zugeschnittenes Palmblatt streicht und auf die[S. 394] Zähne legt, rot gefärbt. Um mit der Zunge diese Auflage nicht in Unordnung zu bringen, muß die betreffende Person, an der die Färbung vorgenommen wird, mit offenem Munde daliegen, darf keine warmen, sondern nur kalte Speisen, am besten Reis, der in kleinen Klumpen hinuntergeschlungen wird, genießen, und dieses während ganzer vierzehn Tage. In gleicher Weise wird sodann eine schwarze Lacktinktur aufgetragen, diesesmal aber nur zwei Tage lang. Schließlich wird den Zähnen mittels pulverisierter Kohle aus gebrannter Kokosnußschale noch Glanz gegeben. Bei der Vornahme dieses Verfahrens darf keine Frau zusehen, die Trauer hat, noch eine, die schwanger ist oder menstruiert, weil sie sonst mißlingen würde. Trotz der großen Beschwerden, die das Schwärzen der Zähne mit sich bringt, lassen eitle Mädchen und Jünglinge es doch alle drei Jahre von neuem wieder vornehmen. — Ein weiterer Brauch der Annamitinnen ist das Entfernen der Schamhaare. Vornehme Annamiten tragen wohlgepflegte Fingernägel von ungewöhnlicher Länge als Zeichen dafür, daß sie nicht zu arbeiten brauchen (Abb. 451).
Über den Charakter der Annamiten sprechen sich die meisten Kenner der Verhältnisse ziemlich ungünstig aus; sie gelten für hinterlistig, rachsüchtig, falsch, lügnerisch und in hohem Grade diebisch, die annamitische Justiz (Abb. 452) ist indessen sehr streng; andere Beobachter aber heben dagegen ihre Bescheidenheit, Gastfreundschaft, Unterwürfigkeit, Höflichkeit, Hochachtung vor höher Stehenden und große Liebe zu den Eltern, sowie ihre Betriebsamkeit hervor. Die letztere macht sich auf dem Gebiete der technischen Fertigkeiten (Schnitzerei, Stickerei, Perlmutterarbeiten und so weiter) bemerkbar, wobei auch ein gewisser künstlerischer Sinn sich verrät. — Leidenschaftlich huldigen die Annamiten dem Spiel, sie zeichnen sich dabei durch Ruhe, Berechnung und Kaltblütigkeit aus. Selbst kleine Kinder kann man die Spielhöllen aufsuchen sehen. Auch für Theateraufführungen haben sie großes Interesse (Abb. 453 und 454).
Große Religiosität bekunden die Annamiten gerade nicht. Die herrschende Religion ist zwar der Buddhismus (Abb. 455), aber er ist auch hier wie anderwärts mit volkstümlichen, abergläubischen Vorstellungen von Geistern und Dämonen durchsetzt. Der Kaiser und die höheren Beamten bekennen sich zur Lehre des Konfuzius. Daneben hat aber auch das Christentum zahlreiche Anhänger gefunden. — Die große Furcht der Annamiten vor den Geistern, besonders vor den zahlreichen bösen, den Ma, erfordert, daß sie ihnen beständig Opfer darbringen, um sie zu besänftigen; diese Gaben pflegen in ein wenig Reis oder kleinen Kupfermünzen oder stangenähnlich geformtem Goldpapier, an dem die Geister ebensolche Freude wie an massivem Gold haben sollen, zu bestehen. Vor dem Tiger im besonderen haben die Annamiten große Angst und reden ihn daher nur mit „Herr Tiger“ an; ebenso fürchten sie die Ma-qui, die umherirrenden Seelen derer, die kein Begräbnis gefunden haben. Gewisse andere Tiere, wie der Elefant, der Walfisch, der Delphin stehen in dem Rufe, einen wohltätigen Einfluß auszuüben.
Für Schwangere sind besonders die Geister Ma Con Ranh gefährlich, die das Bestreben haben sich zu verkörpern und mit Vorliebe dazu die werdende Leibesfrucht auswählen. Die Folge ist dann, daß diese abstirbt und die Mutter ein totes Kind zur Welt bringt. Daher werden ihnen während der Schwangerschaft und nach der Geburt Opfer dargebracht. Der Annamitin ist es verboten, im eigenen Hause niederzukommen. Daher errichtet man bei den wohlhabenderen Leuten für die Schwangere im Hofe, also ziemlich nahe der eigentlichen Wohnung, eine besondere kleine Bambushütte, in der sie während ihrer schweren Stunde auf einem auf vier Pfählen ruhenden Bambuslattenlager aushalten und auch noch einen Monat lang nach ihrer Niederkunft verweilen muß. Ärmere[S. 396] Leute sind auf kleine schmutzige Winkel angewiesen, um niederzukommen, und nicht selten vollzieht sich der Akt vor den Augen des Publikums auf der Straße. Die Nachgeburt wird von der Hebamme — alte Frauen leisten bei der Geburt Beistand — in einen Fetzen Stoff gewickelt und gegen Abend oder in der Nacht an einem von ihr geheim zu haltenden Orte vergraben. Die abgefallene Nabelschnur wird dagegen sorgfältig aufbewahrt und findet als Zusatz zu einem Mittel gegen das Fieber, falls das Kind in den ersten Jahren daran erkranken sollte, Verwendung. Nach der Geburt eines Kindes hütet man sich für einige Tage, irgend ein Wort auszusprechen, das mit Tod, Krankheit, Unglück und so weiter in Zusammenhang steht, aus Furcht, das Kind könnte von einem solchen Mißgeschick heimgesucht werden. In dieser Zeit darf man im Hause auch nichts braten, weil sonst Mutter und Kind einen bläschenartigen Ausschlag bekommen würden. Ist das Kind einen Monat alt geworden, dann erhält es einen Namen, vorzugsweise einen häßlichen, wie Hund oder Schwein, um die bösen Geister fernzuhalten. Erkrankt es etwa, dann wird es angeblich an einen Priester verkauft, der es sofort wieder, aber unter einem anderen Namen, an die Familie zurückveräußert, in der Hoffnung, die bösen Geister dadurch irrezuführen. Hat ein Knabe das erste Lebensjahr erreicht, dann werden vor ihm Arbeitsgeräte, Waffen, ein Schreibtisch und ein Mandarinensiegel ausgebreitet; aus der Bewegung, die seine Hand gegen den einen oder den anderen Gegenstand macht, schließt man auf den Beruf, den er künftig ergreifen wird.
Die Annamiten gehen mit achtzehn oder zwanzig Jahren die Ehe ein, je nach dem Geschlecht. Die Eltern bringen die Angelegenheit in Ordnung, setzen aber die Ahnen vorher von ihrem Entschluß in Kenntnis; diejenigen, die es angeht, werden jedoch nicht gefragt. Selbst Kinder in der Wiege werden schon verlobt. Ist der Bräutigam wohlhabend, dann bringt er seiner Verlobten Geschenke dar, die nicht selten einen bedeutenden Wert aufweisen, Juwelen, Lackkästen, Stoffe, Kerzen, Reiswein, Betel und ein großes, fettes Schwein. Arme Jünglinge treten bei ihrem Schwiegervater in Dienst. Die eigentliche Hochzeit, eine rein häusliche Angelegenheit,[S. 397] erfordert vom Bräutigam neue Geschenke; es ist üblich, daß diese möglichst viel in Rot, der Farbe des Glücks, gehalten sind. In dem Hause beider Parteien werden den Ahnen Opfer dargebracht; darauf bringt der Bräutigam seiner Braut ein paar Störche, das Sinnbild der Treue, zum Geschenk dar, das Paar wirft sich vor den Gottheiten, die über die Ehe wachen, dem „Genius der rotseidenen Fäden“ und der „Frau Mond“ auf die Erde und überreicht ihnen die Störche. Mit einem Festessen findet der erste Hochzeitstag seinen Abschluß. Am anderen Morgen wird die junge Frau prachtvoll angekleidet und in das Heim ihres Mannes geleitet; sie wirft sich hier vor den Schutzgeistern der Ehe, den Ahnen, ihren Schwiegereltern und deren Angehörigen nieder. Die Opfergabe vor dem Altar der Vorfahren macht dabei den wesentlichsten Teil der Hochzeitszeremonie aus. Von diesem Augenblick an ist die Frau in die Familie ihres Gatten eingetreten, zu deren Religion sie fortan sich auch bekennt. Obgleich die Annamitin in ihrem Hause, besonders als Mutter, der Achtung sich erfreut, so ist ihr Los doch kein beneidenswertes. Die Scheidung wird dem Manne leicht gemacht; er kann sie aus sieben Gründen beantragen, von denen die drei wichtigsten Unfruchtbarkeit, Schwatzhaftigkeit und Eifersucht sind. Die reichen Annamiten, die es sich leisten können, leben in Polygamie; indessen genießt nur die Frau, die unter den geschilderten Förmlichkeiten geheiratet wurde, Ansehen und Macht.
Da das Familienleben der Annamiten sich auf dem Ahnenkult aufbaut, so kommt dem Begräbnis, durch das der Verstorbene zu den Ahnen aufrückt, die größte Bedeutung zu; es muß unter feierlichen Zeremonien begangen werden, weil sonst die Seele des Toten in die Hölle kommen würde. Dem Sterbenden wird ein Stück weißer Seide, die „weiße Seele“ auf die Brust gelegt, damit sich darin die scheidende Seele beim letzten Atemzuge verfange. Priester halten die Leichenwache bei brennendem Räucherwerk; vor der Tür wird kleines Kupfergeld ausgestreut, um die bösen Geister anzuziehen. Nachdem der Tote mit besonderem Weihwasser gewaschen und von seinen Söhnen und Enkeln angekleidet worden ist, erhält er die „letzte Mahlzeit“, ein paar Reiskörner und etwas Geld, in den Mund gesteckt und wird in einen möglichst[S. 398] reich und kunstvoll ausgestatteten Sarg gelegt. Dieser wird geschlossen, mit allerlei Amuletten bedeckt und auf einen mächtigen Katafalk aus Holz gestellt (Abb. 456), der einem mehrstöckigen Gebäude nicht unähnlich sieht und rot sowie mit Goldlack angestrichen ist. Die Angehörigen, welche die in Indochina übliche weiße Trauerkleidung angelegt haben, umgeben ihn unter Wehklagen. Nachdem ein Zauberer noch den Paß für die große Reise ausgestellt hat, wird die Leiche auf den Friedhof überführt. Voran geht ein Mann mit einer brennenden Fackel, ihm folgt ein anderer mit einem Banner, dessen Inschrift oder Form Rang und Stand des Verstorbenen verkündet, dahinter gehen Leute, die Gegenstände aus Gold- und Silberpapier verteilen, in der Voraussetzung, daß die bösen Geister sie mit großer Befriedigung aufnehmen. Weiter folgt dann die „Halbkutsche der Seele“, oft von Musikanten umgeben. Es ist dies ein kleiner, mit Perlen aus Goldpapier verzierter Aufbau, der in den Falten der „weißen Seele“ eine rotlackierte Gedenktafel mit der Darstellung des Verstorbenen in seinem neuen Range, ferner einen kleinen Altar, winzige Papiermodelle von Gegenständen, die dem Toten teuer waren, Kleider, Gebrauchsgegenstände und Goldpapierstangen trägt. Ganz zuletzt kommen mitten in einer Musikbande der Leichenwagen selbst und vor ihm noch, aber rückwärts tretend, die Söhne und Schwiegersöhne des Verstorbenen. Die übrigen Familienangehörigen folgen in weißer Kleidung. Auf dem Begräbnisplatz wird die „weiße Seele“ dreimal davon in Kenntnis gesetzt, daß der Tote begraben wird, was dann auch geschieht; sie selbst aber wird in feierlichem Zuge ins Haus zurückgebracht, wo die Gedenktafel auf dem Ahnenaltar (Abb. 457) Aufstellung findet. Fünfzig Tage oder ein Jahr darauf geben die Erben allen Teilnehmern beim Begräbnis ein Festessen.
Die Bevölkerung des Laosgebietes umfaßt eine Anzahl Stämme, zumeist arischer[S. 399] oder indonesischer Abstammung, die hauptsächlich die Täler der großen Flüsse Mekong, Menam und Salouen längs der westlichen Grenze Annams bewohnen. Die Laotier sind von mittlerer Größe, wie die Annamiten, indessen noch mehr untersetzt. Sie zeichnen sich durch ziemliche Intelligenz und Sanftmütigkeit aus. Die Kleidung der Männer gleicht der der Annamiten, die Frauen tragen einen längsgestreiften, bis an die Fußgelenke reichenden Rock und eine Schärpe von irgend einer auffälligen Farbe. Ihre Haartracht ist je nach der Gegend verschieden; die der verheirateten Frauen unterscheidet sich im allgemeinen von der der jungen Mädchen. Die Männer tragen das Kopfhaar kurz geschnitten.
Die Religion der Laotier ist eine abgeschwächte Form des Buddhismus auf der üblichen animistischen Grundlage. Jedem wichtigen Ereignis im Leben muß eine Opfergabe, zumeist aus einem Krug Reiswein bestehend, vorausgehen. Beim Genuß dieses Getränkes, das nicht länger als zwei Monate und nicht kürzer als zehn Nächte gegärt haben darf, wird eine bestimmte Zeremonie beobachtet. Der Krug wird an einer Stange befestigt, darauf versenkt der Häuptling einen langen hohlen Rohrstock, an dessen Ende eine Kerze zum Vertreiben der bösen Geister brennt, in die Flüssigkeit, und ein jeder der Anwesenden muß den Mund vollsaugen; ist der Krug leer, wird er von neuem gefüllt. Zahlreiche Feste werden hier ebenso wie in Siam auch anderwärts gefeiert. Beim Feste des „Endes des Kalenders“, das unserem Neujahrsfest entspricht, wird das alte Jahr unter großem Gepränge hinausgeleitet. Die jungen Mädchen bespritzen dabei die Jünglinge entweder mit wohlriechendem Wasser oder auch mit Schmutz, was diese ihrerseits mit Humor aufnehmen; Schauspieler legen sich zur Erinnerung an die ersten Menschen von Laos, die ein zottiges Fell besaßen, ähnliche Gewänder an, setzen sich bizarre Gesichts[S. 400]masken mit beweglichen Kinnladen auf, knien nieder, schreiten im Takte einher und halten Reden, in denen sie jedermann im neuen Jahre alles erdenkliche Gute wünschen (Abbild. 459).
Der Verlobung der jungen Leute pflegt ein umfangreiches Flirten vorauszugehen. Wenn die Feldarbeit getan ist, dann finden die jungen Burschen Zeit, den Mädchen den Hof zu machen. Diese stellen sich, wenn sie das heiratsfähige Alter erreicht haben, mit buntschillernden Schärpen angetan auf besonders dazu erbauten Bühnen jenen zur Schau. Vor ihnen brennen Lampen ähnlich den Rampenlichtern eines Theaters, ein Tablett mit Betelpriemen und Speinapf (Bambusglied) wandert von Hand zu Hand. Die jungen Männer hocken vor den Mädchen und erschöpfen sich in allerhand Artigkeiten in Versen, die die Mädchen schlagfertig mit lustigen und selbst spitzigen Worten erwidern. Endlich kommt es dabei zur Verlobung und zur Hochzeit, deren Zeremonien denen in Siam und Kambodscha im allgemeinen gleichen. Bei bestimmten wilden Stämmen werden dem Paare von einem Zauberer einfach die Hände mit einem Baumwollfaden zusammengebunden, nachdem ein Huhnopfer vorausgegangen ist (Abb. 458). Die Frauen bringen an Geschenken in lange Streifen geschnittenes rohes Fleisch, zu Kugeln geformten Reisbrei, gebratene Heuschrecken und Reiswein dar. Tanz und Gesang unter Musikbegleitung auf primitiven Instrumenten beschließen die Hochzeit (Abb. 460 und 461).
Zu einem Sterbenden wird eine Zauberin gerufen; sie streichelt den Kranken, zündet sechs kleine Kerzen an und sagt eine ganze Litanei von Beschwörungen her, wobei sie immer schneller redet, je weiter die Flammen herunterbrennen. Darauf nimmt sie den Mund voll Wasser und spritzt es in feinem Sprühregen dem Patienten auf den Magen, um anscheinend aus ihm etwas zu entfernen. Endlich schwenkt sie triumphierend einen Stein als die Ursache aller Unruhe in der Luft. Wenn trotzdem der Kranke seinem Leiden unterliegt, so trifft die Schuld hierfür ausschließlich die Angehörigen, die vielleicht eine Ziege dem bösen Geist opferten, die zu mager war, so daß er dadurch keine Befriedigung empfand. Die Leiche wird sofort in eine Kiste gelegt (Abb. 467) und erhält etwas Reisbrei als Nahrung für die Seele in den[S. 402] Mund; darauf versucht jemand durch lautes Brüllen in die Ohren den Toten ins Leben zurückzurufen. Am sechsten Tage endlich wird die Leiche durch ein Loch in der Wand hinausbefördert und auf den Friedhof getragen; die Angehörigen folgen ihr im Gänsemarsch. Damit der Tote im Jenseits auch seine Lieblingsgegenstände wieder finde, legt man sie ihm noch in den Sarg, bevor er der Erde übergeben wird. — Alljährlich finden Erinnerungsfeiern an die Toten unter großem Gepränge statt. Die Dorfbewohner rüsten sich dazu, indem sie ihre Hütten neu bedecken, ihren Boden kehren und Pfähle mit riesigen Peitschen an der Spitze errichten (Abb. 462), die sie außerdem mit Blätterwerk schmücken. Zu Ehren eines jeden Dorfbewohners, der im Laufe des Jahres ins Jenseits eingegangen ist, wird ein Büffel geopfert (Abb. 463 und 464), auf dessen blutigen Körper von einem Kinde die Kleider des Verstorbenen gelegt werden. Unter Vorantritt eines Tamtamschlägers nähert sich ihm nun die Familie, die Frauen werfen sich unter Wehklagen mit verwirrten Haaren auf die Erde, währenddessen der Zauberer mit Trauerstimme die Vorzüge des Verblichenen verkündet.
Die Moïstämme: Der mittlere Teil Indochinas (von Yünnan an bis Kotschinchina herunter) wird von einer Reihe „wilder“ Stämme bewohnt, die man, zumal sie in ihrem Äußeren und auch in ihrer Kultur ziemlich übereinstimmen, unter der Kollektivbezeichnung der Moï zusammenfaßt. Je nach dem Gebiete, in dem sie wohnen, führen sie andere Namen, so nennt man sie zum Beispiel in Annam im besonderen Moï, in Kambodscha Peurong, in Laos Khas und so weiter. Sie bieten einen ziemlich einheitlichen Typus dar, der auf Verwandtschaft mit den Indonesiern einerseits und den Chinesen anderseits hinweist. — Die Moïstämme sind Jäger, betreiben aber auch primitiven Ackerbau. Sie ernten die Reisfrucht noch durch Abreißen mit den Händen und kochen ihr Wasser in hohlen Bambusröhren. Sie gehen zumeist noch unbekleidet einher und benutzen primitive Waffen, Speere, Bogen und vergiftete Pfeile.
Die Moï sind durchweg reine Animisten, die alles in der Natur für belebt, mit einer Seele ausgestattet halten. Allerdings sollen sie auch an ein höheres Wesen, das Himmel und Erde geschaffen hat und der Gott des Donners ist, glauben. Sie verehren es in Gestalt eines Steines in einer etwa zwei Meter hoch auf Pfählen ruhenden Bambushütte, der man am Eingange der Dörfer begegnet (Abb. 465). Vor der Hütte sind außerdem noch vier oder fünf kleine Mulden auf Bänken etagenförmig in verschiedener Höhe aufgestellt, sie enthalten ebenso wie das Innere der Hütte Opfergaben für den höchsten Geist, etwas Reis, Hirschknochen, Stücke eines gekochten Hühnerkopfes und in Form von Elefantenzähnen und Rhinozeroshörnern zugeschnittene Holzklötze.[S. 403] Diese Gaben sind für den höchsten Geist bestimmt, von dem man annimmt, daß er in der Nacht auf der Erde erscheine, eine kleine Leiter, die zu der Hütte führt, hinaufsteige, die Opfergaben mustere und, wenn er alles in Ordnung findet, befriedigt wieder umkehre, dagegen, falls etwas sein Mißfallen erregen sollte, den Blitz in das Dorf einschlagen lasse und die Ernte schädige. Alljährlich muß die Hütte vor der Saatzeit erneuert werden; dabei wird ein Fest abgehalten und die Opfergaben werden mitgebracht, die in ihr bis zum nächsten Jahre verbleiben. Neben dieser obersten Gottheit glauben die Moï noch an zahllose kleinere Geister, Phi genannt, mit denen sie sich Berge, Wälder, Wasserfälle, Quellen, Sümpfe und so weiter belebt denken, und von denen sie auch annehmen, daß sie gelegentlich sichtbare Formen, wie Menschen, Tiger und Schlangen annehmen können. Sie sind den Menschen teils gut, teils böse gesinnt. Zauberer vermitteln den Verkehr zwischen ihnen und den Erdgeborenen. Eine wichtige Aufgabe dieser Zauberer besteht auch darin, Kranke zu beschwören. Nach dem Glauben der Moï geht die Seele eines Menschen bei seinem Tode in die Dörfer und bringt deren Bewohner Krankheit und Tod. Sobald ein Mensch also erkrankt ist, muß der Zauberer herauszufinden suchen, welche abgeschiedene Seele, Cong genannt, dafür verantwortlich zu machen ist. Die nördlichen Jarai, Malang, Bahmar und ihre Nachbarn bauen eine Reihe Zauberpflanzen an, die einen Einfluß auf solche Krankheitsgeister ausüben sollen. Beim Säen dieser Kräuter wird dem obersten Gotte ein Huhn oder ein Schwein geopfert, damit er einen guten Geist aufs Feld in die aufgehende Saat sende. — Die Moï glauben auch an Vorbedeutungen, im besonderen an die Töne, die gewisse Tiere von sich geben und die je nach der Richtung, aus der sie kommen, als günstige oder ungünstige gedeutet werden. — Bei den Mongstämmen werden Hütten und selbst ganze Dörfer für eine gewisse Zeit, von einer Nacht bis zu mehreren Tagen je nach dem Anlaß (Niederkunft, Erkrankung von Menschen und Tieren, Saat, Ernte und so weiter), „isoliert“; währenddessen sind die Einwohner gezwungen zu Hause zu bleiben, und Fremde dürfen unter keinen Umständen das Haus oder Dorf betreten; zum Zeichen dessen befestigt man einen Zweig an der Tür.
Jedweder Vorwand wird von den Moï dazu benutzt, um ein Fest zu feiern, das hauptsächlich im tüchtigen Essen und Trinken besteht; man feiert den Beginn des neuen Jahres, das Einsetzen der Regenzeit, das Bestellen der Felder, das Säen, das Aufsprießen der ersten Halme, das Einernten, das Bergen der Frucht unter Dach und Fach und andere Gelegenheiten mehr. Bei der Geburt wird der Mutter der gekochte Saft eines Sapan genannten Baumes, den der Vater einsammelte, verabreicht, um ihr Kraft zu geben; nach der Geburt wird ihr Körper mit Ingwer eingerieben und sie selbst muß mit dem Kinde eine Woche lang nahe an einem Feuer ausharren (Abb. 466). Hieran schließt sich ein Fest mit Namensgebung. — Ehen werden entweder durch Neigung der jungen Leute, von denen der Jüngling dem Mädchen einen Antrag macht, oder auf Vorschlag der Eltern geschlossen. Daraufhin siedelt er zu den Eltern der Braut über, um für sie zu arbeiten. Bei der Hochzeit beschwört ein Zauberer die Schutzgeister, das junge Paar zu beschirmen, mischt Schweineblut mit Reiswein und beschmiert damit die Füße von Mann und Frau. — Polygamie kommt nur bei reichen Männern vor.
Beim Tode eines Moï begeben sich sämtliche Dorfinsassen auf den Ruf eines Gongs in das Haus des Verstorbenen; die Leiche wird mit allem Schmuck, den der Tote besaß, aufgebahrt und mit einem Tuche bedeckt. Am anderen Morgen wird im Walde ein großer Baum ausgesucht und zum Sarg ausgehöhlt (Abbildung 467). Während seiner Anfertigung bleiben die trauernden Freunde und Nachbarn im Hause des Toten und werden auf Kosten der Familie mit Essen und Trinken bewirtet. Drei bis vier Männer halten Leichenwache und fächeln die Fliegen mit Wedeln vom Toten ab. In den mit Malereien verzierten Sarg werden neben den Toten allerlei kleinere Gegenstände, die ihm gehörten, gelegt. Er wird sodann in der Erde beigesetzt. In der Gruft werden unter dem Sarg am Kopfende ein Korb mit Reis und ein Krug mit Reiswein, darüber eine Bambus- und Blätterschicht gelegt und daneben zwei Bambusrohre senkrecht aufgestellt, die bis über die Erdoberfläche hinausreichen und zur Aufnahme von Speise und Trank dienen, die man täglich der Seele des Toten spendet. Um das zugeschüttete Grab wird noch ein etwa ein Meter breiter und zwei Meter tiefer Graben kreisförmig herumgezogen; die dabei ausgeworfene Erde wird zu einem mächtigen Grabhügel von zwei bis zweieinhalb[S. 405] Meter Höhe aufgetürmt, aus dem die Speiseröhren hervorragen. Später errichtet man über dem Grabhügel auf einer Stange eine Miniaturhütte (ähnlich unserem Taubenschlag) und legt in sie etwas zu essen hinein. Um die Seele des Verstorbenen aufzunehmen, die sonst ins Dorf zurückkehren und seine Bewohner belästigen würde, läßt man zum Schluß noch ein lebendiges Huhn frei. — Die südlichen Jarai umgeben ihre Gräber mit einem rechtwinkligen Palisadenzaun aus dicken Bambusstäben, und setzen an die vier Ecken je einen mächtigen Pfosten, der oben in eine geschnitzte große Trauermaske mit zwei Elefantenzähnen endigt (Abb. 468). Die Gräber von Häuptlingen werden mit einem hohen schmalen Dach aus geflochtenem Bambus bedeckt, das bei den nördlichen Jarai oft die Höhe von fünf Metern erreicht und mit seltsamen Verzierungen in Kreide und rotem Lehm bedeckt wird. Den Nächststehenden des Verstorbenen ist es verboten, während der Monate bis zum Abschluß der Trauer irgend einem Geschäfte nachzugehen. Bei dem Radestamm stellen die geschnitzten Grabpfosten trauernde Frauen in hockender Stellung dar (Abb. 469).
Das weite ostasiatische Gebiet und die ihm vorgelagerten Inseln werden von einer Völkergruppe eingenommen, die man kurzweg als Mongolen bezeichnet. Den reinsten mongolischen Typus (Abb. 472) trifft man bei den Südmongolen an; er ist gekennzeichnet durch eine kleine, untersetzte Gestalt (im Mittel gegen hundertsechzig Zentimeter) mit verhältnismäßig langem Rumpfe und kurzen Unterextremitäten, hochgradige Kurzköpfigkeit, rundliches bis breitovales, nach unten spitz zulaufendes, gleichzeitig ausgesprochen flaches Gesicht, stark vorspringende Wangenbeine, flache und breite Nasenwurzel, eher konkaven als geraden Nasenrücken, dicke Nasenflügel mit querstehenden Nasenlöchern, grobes, straffes, schwarzes Haar, spärlichen Bart und eine gelbliche Hautfarbe. Besonders charakteristisch ist für die Mongolen ihre sogenannte Schlitzäugigkeit, die dadurch hervorgerufen wird, daß die Lidspalte von außen oben nach innen unten verläuft und der innere Augenwinkel von einer Falte (Mongolenfalte) bedeckt wird. Nach dem Norden zu verfeinert sich dieser Typus zum sogenannten mandschu-koreanischen (gekennzeichnet durch stattlichere Körpergröße, weniger breites Gesicht, weniger vorspringende Backenknochen, mehr entwickelte Nase). Die anderseits weiter nach Süden vorgeschobenen Abteilungen der südlichen Mongolen sind verschiedentlich Mischungen mit den Vertretern der afrikanischen (Negrito) und indo-australischen Grundrasse, sowie mit solchen arischer Abstammung eingegangen.
Ostasien umfaßt drei große Reiche, China, Korea und Japan. Alle drei schließen sich nicht nur in anthropologischer, sondern noch mehr in kultureller Beziehung zu einer engeren Gemein[S. 407]schaft zusammen, unterscheiden sich aber in sprachlicher Hinsicht. Die Chinesen sprechen eine einsilbige, die Koreaner und Japaner eine mehrsilbige Sprache.
China, das „himmlische Reich der blumigen Mitte“, wie seine Bewohner es nennen, ist ein uralter Kulturstaat, der auf ziemlich der gleichen Stufe der Zivilisation viele Jahrhunderte hindurch verharrte und erst neuerdings aus seinem Dornröschenschlaf aufgerüttelt wurde. Dementsprechend sind seine Bewohner auch in ihren Sitten und Gebräuchen sowie in ihrem ganzen Denken und ihren Auffassungen, besonders auch in religiöser Hinsicht so konservativ geblieben wie kaum ein anderer Staat der Erde. Allerdings machen sich innerhalb des großen chinesischen Volkes gewisse Unterschiede bemerkbar, die in der Hauptsache dem Umstande zuzuschreiben sind, daß eine das Land in ostwestlicher Richtung durchschneidende Hochgebirgsmasse es in zwei Teile gliedert und auch verschiedene geographische Bedingungen schafft. Der Norden Chinas ist mehr eben, reich an Löß, untersteht einem gemäßigten Klima und ist besonders für den Anbau von Weizen, Gerste, Bohnen und so weiter geeignet, außerdem bietet er Gelegenheit zu ausgedehntem Landverkehr; hingegen ist der Süden mehr gebirgig, besitzt ein subtropisches Klima, läßt daher vorwiegend Reis, Tee und Zuckerrohr gedeihen und verschafft den Bewohnern ohne viel Zutun einen ziemlichen Wohlstand. Diese verschiedenen klimatischen Verhältnisse sind auf den Charakter des chinesischen Volkes nicht ohne Einfluß geblieben. Die Nordchinesen stellen ein durch harte Landarbeit erstarktes, auf althergebrachten Grundsätzen verharrendes nüchternes Bauernvolk dar, das von jeher die Stütze der monarchischen Verfassung war, die Südchinesen aber sind ungleich beweglichere, in ihrem Fühlen und Wollen mehr schöpferisch veranlagte, daher auch für Neuerungen mehr empfängliche, begabte Leute, die sich schwerer der Autorität eines festen konstitutionellen Staatsgebäudes unterzuordnen verstehen. Daher kommt es auch, daß die republikanischen Bestrebungen, die in der jüngsten Zeit von außen her nach China hineingetragen wurden, in Südchina mehr Boden fassen konnten.
Das Denken und Fühlen der Chinesen steht in vielen Punkten dem europäischen Geiste fern. Eine Zahl guter Eigenschaften zeichnen den Charakter des Chinesen aus, wie Fleiß, Intelligenz, Genügsamkeit, Sparsamkeit, Höflichkeit, Gastfreundschaft, vor allem aber ein hervorragend ausgeprägter Familiensinn und damit zusammenhängend ein willenloses Unterordnen[S. 408] unter die Autorität von Familie und Staat. Dieser zuletzt erwähnte Umstand zeitigt bei ihm aber auch wieder eine gleichsam negative Eigenschaft, das ist die Teilnahmlosigkeit für alle öffentlichen Angelegenheiten und der Mangel an Vaterlandsliebe. Der Chinese ist ein echter Stoiker, der sich um nichts bekümmert, sofern er nur sein Auskommen hat. Sein ganzes Streben und Denken ist daher darauf gerichtet, Reichtümer zu sammeln. Er erreicht auch immer dieses Ziel, da er ein gewiegter, schlauer, oft auch gewissenloser, aber auf der anderen Seite auch wieder äußerst fleißiger, vor keiner Dienstleistung sich scheuender, stets dienstbereiter, in seinen Ansprüchen sehr genügsamer Geschäftsmann ist. Leider übt er infolge dieses seines rührigen, unter Umständen auch unehrlichen Wettbewerbes und seiner überlegenen Intelligenz einen schädlichen Einfluß auf den Handel aus, besonders außerhalb seiner Heimat.
Der Chinese kleidet sich in unten zusammengeschnürte Beinkleider und ein langes, rockartiges Obergewand, das je nach der Jahreszeit von verschiedener Dicke (im Winter wattiert) ist, eventuell durch Überziehen weiterer Gewänder verstärkt wird (Abb. 471 und 473). Auch die kleinen Kinder packt man bereits in stark wattierte Kleider ein, so daß sie beinahe ebenso breit wie lang aussehen und, wenn sie einmal hingefallen sind, ohne Hilfe nicht aufzustehen vermögen, sondern wie ein Häuflein Unglück liegen bleiben. — Die chinesische Kleidung hat den Nachteil, daß sie ein schnelles Vorwärtsschreiten nicht gestattet. Da außerdem der Chinese sehr bequem ist, zumal er mit dem Alter auch recht behäbig wird, so ziehen es wohlhabendere Leute vor, sich entweder auf einem Karren (Nordchina) ziehen oder in einer Sänfte (Südchina) tragen zu lassen. Für jeden Rang der Zivil- und Militärbehörden sind besondere Abzeichen Vorschrift. Unterschiede in der Stickerei vorn oder hinten auf der Jacke oder am Rock sowie in der Farbe des Knopfes oben auf dem Hut deuten die Rangabzeichen an, die niemand tragen darf, der diesen Rang nicht einnimmt. Personen der höchsten Rangstufe tragen einen Korallenknopf, die hinter ihnen im Range folgenden einen blauen, die der dritten Stufe einen solchen aus Kristall und die der vierten einen einfachen aus Messing. Die Farbe der Sänfte bezeichnet in gleicher Weise den Stand ihres Besitzers; die höchsten Vertreter dürfen sich eines Tragstuhles aus grünen Bambusstäben, die der nächstniederen Klasse eines aus blau gefärbten und die der dritten Rangklasse nur aus Naturholz bedienen. Neben dem Hut wird von allen Chinesen noch eine aus Roßhaar geflochtene Mütze mit einer roten Seidentroddel getragen; gegen die Kälte legen beide Geschlechter Ohrenklappen an oder setzen eine pelzverbrämte Kappe auf. Für vornehm gelten lange Fingernägel, weil ihr Träger dadurch kundgibt, daß er keine Arbeit verrichtet; um sie zu schützen, bedient man sich futteralähnlicher Hülsen (Abb. 473).
Wir können uns einen Chinesen kaum ohne Zopf vorstellen, und doch ist dieser „Schweineschwanz“ keineswegs eine althergebrachte Eigentümlichkeit des chinesischen Volkes, wie man immer glaubt, sondern eine von auswärts eingeführte Mode, welche die im Jahre 1368 siegreich[S. 409] einziehenden Mandschu, beziehungsweise ihre Fürsten dem Volke aufzwangen. Jedoch ist diese Neuerung in China niemals heimisch geworden, denn mit dem Sturze der Mandschudynastie, die vor wenigen Jahren erfolgte, gaben viele Chinesen trotz jahrhundertelangen Bestehens diese Sitte wieder auf.
Anders verhält es sich mit einem für unseren Geschmack unverständlichen Schönheitszeichen mit den verkrüppelten Füßen der Chinesinnen (Abb. 474). Ein möglichst kleiner Fuß gilt für berückend schön; selbst männliche Stutzer streben danach, diese Zierde sich dadurch anzueignen, daß sie nachts die Füße hochhalten und am Tage mittels Draht die Zehen in die Höhe drängen, um auf diese Weise einen kleinen Fuß vorzutäuschen. Die Frau wird daher nur nach der Kleinheit ihres Fußes gewertet, nicht nach ihren sonstigen Schönheitsattributen, und ein kleiner Fuß wiegt unter Umständen eine große Mitgift auf. Einem Mädchen aus ärmeren Ständen, das über recht kleine Füße verfügt, wird dadurch die Möglichkeit gegeben, in eine höhere Gesellschaftsklasse einzutreten; auf der anderen Seite auch wieder ist über ein Mädchen, das keinen verkrüppelten Fuß besitzt, von vornherein das Urteil gesprochen; es ist für immer zur Ehelosigkeit verdammt. Für den Chinesen bleibt der kleine Fuß der entzückendste und pikanteste Körperteil seiner besseren Hälfte; der genießt ganz besonders ihre Gunst, dessen Blicken sie ihren Fuß einmal enthüllen sollte, was nur äußerst selten geschieht. Denn wie Chinesen versicherten, ruft der Anblick eines verkrüppelten Fußes bei ihnen einen hochgradigen Sinneskitzel hervor. Das Entblößen eines Frauenfußes gilt in hohem Grade für unschicklich, ja selbst für unsittlich; das geht sogar so weit, daß Europäer, die den nackten Fuß einer Prostituierten sehen wollten, bei ihr auf Widerstand stießen. Darstellungen von nackten Frauenfüßen finden sich auch nur in der pornographischen Literatur, und nach den Füßen einer Chinesin sehen, ist gleichbedeutend mit un[S. 410]sittliche Gedanken hegen. Der Ursprung des Fußverkrüppelns ist in Dunkel gehüllt; die Legende berichtet, daß eine kaiserliche Nebenfrau im sechsten Jahrhundert nach Christi Klumpfüße gehabt haben soll, die ihr hoher Herr und Gebieter schön fand, und daß daraufhin sich alle Hofdamen veranlaßt sahen, ihren Füßen durch Bandagieren dieselbe Form zu geben. Auf jeden Fall hat sich diese Gewohnheit schon seit langen Zeiten im himmlischen Reiche Bürgerrecht erworben, und alle namhaften Dichter haben die „Goldenen Lilien“ unzählige Male besungen. Allerdings ist sie nicht überall im Lande und nicht gleichmäßig verbreitet; im Norden des Reiches begegnet man den verkrüppelten Füßen häufiger als im Süden, bei den wohlhabenderen Volksschichten öfter als bei den niedrigeren, und in der Stadt ebenfalls häufiger als auf dem Lande. Merkwürdigerweise war am kaiserlichen Hofe die Verunstaltung des Frauenfußes nach dem Sturze der Mingdynastie und der Herrschaft der Mandschu, die an ihrer Stelle ans Staatsruder gelangten, verpönt. Trotz wiederholter kaiserlicher Verbote hat sich diese schreckliche Unsitte aber beim Volke bisher nicht abschaffen lassen. — Die Verkrüppelung wird durch stetigen Druck und Zug einer straffen, aber nicht direkt schnürenden Binde im Verlaufe eines Jahrzehnts erzeugt. Für gewöhnlich beginnt man damit bei den Mädchen im Alter von vier bis acht Jahren, unter Umständen aber auch schon im zartesten Kindesalter. In einzelnen Gegenden, wo die Eltern ihr Mädchen zur Feldarbeit ausnutzen wollen, warten sie bis zu zwölf, dreizehn und auch vierzehn Jahren; sie begnügen sich dann damit, alle Zehen unter den Fuß zu binden, so daß sie mit ihrer Rückenfläche auf dem Boden aufliegen, und ihn auf diese Weise kürzer machen. Verbreiteter ist dagegen ein anderes Verfahren, das weit elegantere Füße schafft; hierbei wird ein hohler Metallzylinder unter die Fußwölbung geschoben und über ihn die ganze vordere Fußpartie nach unten gebogen. Diese Manipulation ist ziemlich schmerzhaft; ein chinesisches Sprichwort besagt, daß jedes Paar gewickelter Füße ein Tränenbad koste, und doch wird sie von den Kindern meist gut ertragen, denn man sieht die Kleinen dessenungeachtet tagaus, tagein auf der Straße sich tummeln. Die[S. 411] Binden werden jeden Morgen, nachdem der Fuß gebadet und massiert worden ist, und dies geschieht ein ganzes Jahrzehnt lang, ungefähr bis zur Pubertät, von neuem umgelegt. Meistens bandagieren sich die erwachsenen Chinesinnen ihren Fuß noch weiter, damit er seine Formen behalte. Das Ergebnis dieser Verunstaltung ist grauenerregend. Zwar wird zumeist, um den Fuß besonders klein erscheinen zu lassen, durch den Schuhmacher noch etwas nachgeholfen, insofern er den Schuh nach hinten möglichst weit und möglichst hoch herausarbeitet, wodurch der vor dem Spann liegende Abschnitt auffällig verkürzt erscheint, indessen sollen Füße von nur sieben bis neun Zentimeter Länge keineswegs eine Seltenheit sein. In solchen Fällen, wo die Mutter ihr Meisterstück vollbracht hat, steht das Fersenbein steil aufgerichtet, seine Längsachse ist zur Vertikalen geworden; das Fersenbein hat eine Drehung um neunzig Grad erfahren (Abb. 475 und 476). — Die Muskulatur des Unterschenkels wird dadurch natürlich mehr oder minder zum Schwinden gebracht, das Gehen somit den Chinesinnen ungemein erschwert, jedoch nicht in dem Maße wie man glauben könnte. Sie können nach Aussagen von Augenzeugen nicht nur gehen, sondern auch tanzen und selbst auf einem Pferd oder einem Seil akrobatische Kunststücke treiben. Allerdings wird so etwas bei hochgradiger Verunstaltung, wie sie die Modedame aufweist, kaum möglich sein; diese muß sich, um sich fortbewegen zu können, eines Stockes oder der Unterstützung ihrer Dienerin bedienen oder sich tragen lassen. Auf der Straße läßt sich die Chinesin, auch die des mittleren Standes, tragen oder fahren.
Das Denken und Empfinden der Chinesen ist in vieler Hinsicht dem unserigen diametral entgegengesetzt. Dem Europäer, der zum ersten Male China aufsucht, fällt dies unter anderem dadurch auf, daß sie Dinge des täglichen Lebens ganz anders als wir erledigen. Bei der Begrüßung zum Beispiel geben sich die Chinesen nicht die Hand, sondern schütteln sich ihre eigenen Hände, indem sie sie gleichzeitig derart ineinander schließen, daß die Finger der rechten Hand über die linke und der rechte Daumen über den linken zu liegen kommt, sich sehr oft ver[S. 412]beugen und mit den Füßen scharren. Gehen sie aneinander vorbei und haben sie keine Lust sich zu begrüßen, dann halten sie einen geöffneten Fächer zwischen sich, wobei sie meinen, daß sie dadurch sich gesellschaftlich unsichtbar machen, ohne die Höflichkeit zu verletzen. Die Zeitung beginnt man auf der letzten Seite und von unten nach oben, sowie von rechts nach links zu lesen. Wenn man ein Haus baut, dann fängt man mit dem Dache an, das man auf Pfeiler stützt, und sodann erst errichtet man die Mauern. Fährt man in einem Boot ans Land, so steht der Bootführer mit dem Gesicht gegen den Bug gewendet und stößt die Ruder. Der Zimmermann zieht den Hobel auf sich zu und sägt von sich weg. Wenn man vom Tode eines nahen Verwandten spricht, muß man eine lächelnde Miene aufsetzen, damit der andere nicht in die peinliche Lage kommt, sein Beileid auszusprechen. Wenn ein Vorgesetzter in einer Sänfte vorübergetragen wird, muß der ihm zufällig begegnende Untergebene so tun, als ob er ihn nicht kenne; denn falls er ihn grüßen würde, müßte der Vorgesetzte aus Höflichkeit aus der Sänfte steigen und ihm Guten Tag wünschen.
Wie ich schon hervorhob, haben sich im Laufe der Zeiten die Sitten in China wenig geändert. Schon vor mehr als zweitausend Jahren kleideten sich die Söhne des Reiches der Mitte in dieselben Gewänder, auch die gefütterten, wie heutzutage, puderten, schminkten sich die Frauen und steckten sich künstliche Blumen in die Haare (Abb. 477), fächelten sich beide Geschlechter und nahmen die Speisen mit dünnen Stäbchen, wie in der gegenwärtigen Zeit. Man unterhielt sich schon seit alters durch das Schachspiel, das bereits 2345 vor Christi Geburt erfunden worden sein soll, und erfreute sich an der Musik, von der damals schon die zwölf Halbtöne der Oktave bekannt waren.
Auch heutzutage spielt die Musik bei allen feierlichen Gelegenheiten im Leben der Chinesen eine große Rolle. Wann eine solche solenne Festmusik stattfindet und wieviel Instrumente dabei tätig sein müssen, ist durch strenge Etikette geregelt; je wichtiger der Akt, desto umfangreicher das Orchester. In ganz eigenartiger Weise tritt die Musik im chinesischen Theater in Wirksamkeit. Bei gesteigerten Gemütsbewegungen, sei es im Trauer- oder im Lustspiel, namentlich bei Aktabschlüssen hört mit einem Male die eintönige Rezitation auf und es setzt eine Arie ein, nachdem schon vorher eine gellende Musik den Schauspieler unterbrochen hat. Die üblichen musikalischen Werkzeuge sind ein Flaschenkürbis mit darauf sitzenden Bambusflöten, eine einfache Holzkiste, deren Innenseiten mit einem Hammer geschlagen werden, ein glockenförmiges, oben mit einer, vorn mit drei und hinten mit zwei Öffnungen versehenes Tongefäß, an einem Metallrahmen hängende Glöckchen, wobei aber nicht direkt auf diese selbst, sondern auf den[S. 413] Rahmen geschlagen wird, damit das Ganze zum Tönen kommt, in einem ähnlichen Gestell aufgehängte klingende Steine, die mit Klöppeln angeschlagen werden, ferner Geigen, Mandolinen, Gitarren, Pauken, Trommeln, Trompeten, Becken, Xylophone und so weiter.
Die Chinesen sind von alters her auch leidenschaftliche Liebhaber des Theaters. Die Bühne pflegt ein von drei Seiten offener, überdeckter Pavillon zu sein, an den sich im Hintergrunde ein Gebäude anschließt; den Zuschauerraum gibt die Dorfstraße ab (Abb. 479). Die Schauspieler von Beruf werden zu der niedrigsten Menschenklasse gerechnet und sind von allen Ehrenämtern, desgleichen auch ihre Nachkommen, ausgeschlossen. Frauenrollen werden ebenfalls von den Herren der Schöpfung gespielt, die dann mächtig geschminkt und gepudert, zumeist wie mit Tünche überzogen, auftreten (Abb. 478). Ihre buntschillernden Kostüme sind fast immer recht kostbar und mit wundervollen Stickereien bedeckt; ein Kopfputz erhöht die theatralische Wirkung. Die Handlung nimmt auf historische oder mythische Ereignisse Bezug und besteht in uns unverständlichen Gesten der Arme und Bewegungen der Beine, die oft in seltsame Sprünge ausarten. Auf der mit nur spärlichen Requisiten ausgestatteten Bühne herrscht meist ein furchtbarer Lärm, da ein Schauspieler den anderen durch eine laute Stimme, zumeist in hoher Fistellage, zu übertreffen sucht. Die Wiedergabe eines historischen Heldenromans sieht sich wie eine Burleske an. Werden Kostümumwandlungen nötig, dann stellen sich einige der Mitwirkenden vor die betreffende Person, die den Wechsel auf der Bühne hinter dieser lebenden Schutzwand vollzieht. Pausen werden durch das Auftreten mächtiger Gestalten mit grotesken Masken und Vorführung von Tänzen ausgefüllt, die entweder kriegerischer Natur sind und mit andauerndem[S. 414] Lärm und wildem Umherschwingen der Schwerter und Lanzen einhergehen oder in ruhigeren ballettartigen Bewegungen bestehen.
Unter großer Ausgelassenheit wird in China das Neujahrsfest, das San-Lin, gefeiert; die große Bedeutung dieses Tages erklärt sich, wenn man bedenkt, daß der erste Tag des neuen Jahres für den allgemeinen Geburtstag der gesamten Bevölkerung gilt; jeder Chinese rechnet daher sein Alter von dem Beginne des Jahres an, in dem er geboren wurde, und ein Kind, das eine Woche vor Jahresschluß das Licht der Welt erblickte, ist am ersten Tage des neuen Jahres bereits ein Jahr alt. Schon wochenlang vorher macht sich das Nahen dieses wichtigen Festes bemerkbar. Der Kaufmann schließt seine Bücher ab, treibt seine ausstehenden Forderungen ein und läßt saumseligen Schuldnern die Ladentore ausheben, damit die stets umherschweifenden bösen Geister Eingang finden, außerdem bemüht er sich, sein Lager in den letzten Wochen nach Möglichkeit zu räumen. Im Hause wird große Reinigung vorgenommen. Auf den Höfen werden Opferaltäre errichtet, auf denen den Göttern noch schnell, ehe das Jahr zur Neige geht, allerlei Kuchen und Früchte dargebracht werden. Die Reichen errichten dazu große Pavillone und behängen sie kunstvoll mit bunten Stoffen und Papierlaternen. Die Tempel werden das ganze Jahr lang nicht von so vielen Menschen aufgesucht, wie in den letzten Tagen. Überall auf den Straßen werden zahllose rote Papiere angebracht, auf denen die Wünsche, meistens für „langes Leben, Gesundheit, Reichtum, Liebe zur Tugend, und natürlichen Tod“ geschrieben stehen. Alle Türen, Fenster, Hallen, Bäume, Sträucher, Wagen, Tiere, Boote und sonstigen Gegenstände werden mit roten Papieren behängt, auf denen man Glück und Segen herabfleht. So ist mittlerweile die Neujahrsnacht herangerückt. Alles geht in prächtige Festgewänder gekleidet, die Kinder in possierlichen Putz gesteckt, auf die Straße, um sich die Beleuchtung der Häuser und das Feuerwerk anzusehen, das zum Austreiben der bösen Geister angezündet wird; allenthalben wird dabei ein ohrenbetäubender Lärm gemacht. So lebhaft und laut es in der Nacht zugeht, so still und stumm ist es am Morgen des Neujahrstages. Die Straßen liegen wie tot da, alle Läden, Geschäftsräume und Ämter sind geschlossen; kein Verkehr, kein Geschäft findet statt. Erst gegen Mittag kommt Leben hinein, die Männer erscheinen, die Vornehmeren in ihrer Sänfte, die Ärmeren zu Fuß, um sich gegenseitig Neujahrsbesuche abzustatten und ihre Visitenkarten abzugeben, auf denen für gewöhnlich Kinder, Standeserhöhung und langes Leben gewünscht werden. Die chinesischen Visitenkarten sind von roter (der Glücks-) Farbe und haben eine ganz ungewöhnliche Größe; sie messen etwa zwanzig Zentimeter in der Länge. Auch im Hause selbst werden ähnliche Glückwünsche dargebracht. Die Kinder werfen sich vor ihren Eltern zum Kotau nieder, die Schüler[S. 415] vor ihren Lehrern, die Diener vor ihrer Herrschaft, die niederen Beamten vor den höheren und die Eltern vor den Ahnentafeln ihrer Vorfahren, denen sie außerdem in Schalen Reis und Reiswein vorsetzen. Ein jeder Gast erhält eine Schale Tee kredenzt, in die man als Zeichen des[S. 416] Wohlstandes eine Mandel oder Olive hineinlegt. Am Abend nimmt man das tolle Leben von der Neujahrsnacht wieder auf, und nun setzt ein mehrtägiges Feiern ein, bei dem die Ausgelassenheit keine Grenzen kennt. Währenddessen bleiben Geschäfte und Bureaus geschlossen; alle Arbeit ruht. Und wenn sie auch nach fünf Tagen im allgemeinen wieder aufgenommen wird, so hält doch das Feiern noch wochenlang an. Der siebente Tag ist im besonderen dem schönen Geschlecht gewidmet; dann erscheinen die Damen in großen Scharen in den öffentlichen Gärten, um sich zu unterhalten, und am vierzehnten und fünfzehnten Tage pflegen alle Mitglieder einer Sippe zu einem gemeinschaftlichen Festmahle zusammenzukommen; das ist der Höhepunkt des Festtrubels. Das Ganze findet seinen Abschluß in dem Laternenfest, bei dem Laternen von allen Farben, Größen und Formen an Stöcken durch die Straßen in großer Prozession getragen werden.
Karnevalähnliche Aufzüge pflegen wohl bei allen größeren Festlichkeiten veranstaltet zu werden, so auch in großem Stile bei dem Begrüßungsfest des Frühlings (Ying Chun). Bei diesem trägt man große papierne Drachen durch die Gassen (Abb. 481 und 482). — Bei dieser Gelegenheit soll auch einer uralten Sitte gedacht werden, die Schiller in einem Gedichte verherrlicht hat, des Pflugfestes der Chinesen, bei dem der Kaiser alljährlich vor der Öffentlichkeit höchst feierlich in eigener Person den Pflug lenkte und die Saat mit den Händen ausstreute. Dieser Brauch soll bereits im Jahre 2800 vor Christo von dem zweiten der legendenhaften Kaiser, namens Chin Nong, vorgeschrieben worden sein und hatte sich bis in unsere Tage hinein erhalten.
Die Chinesen sind im allgemeinen große Feinschmecker und verfügen aus diesem Grunde auch über eine Unmasse von Delikatessen, die unter Umständen sich viel kostspieliger stellen als die teuersten Gerichte unserer Speisekarte; aber für unseren Gaumen dürften die meisten von ihnen grauen- und ekelerregend sein. Am höchsten werden Haifischflossen geschätzt, beinahe ebenso getrocknete Austern und Vogelnestersuppe (von einer Seeschwalbenart), deren Ruf bereits bis in die vornehmen europäischen Gasthäuser gedrungen ist (wohl die teuerste Delikatesse der Welt). Weitere beliebte Gerichte, die auf die chinesische Tafel kommen, sind Tintenfische, künstlich, zumeist jahrzehntelang gereifte, fälschlich faul genannte Eier, getrocknete Würmer, stinkende Fische, Ratten-, Mäuse-, Katzen-, Hundebraten; daneben aber auch Schweinebraten und eine Unmasse von Gemüsen und Früchten, von denen uns bittere Melonen und Bambussprossen eigenartig anmuten. Für das Volk besteht die Hauptnahrung in Reis, daneben aber kommen auch eine ganze Reihe von Gemüsen, Wurzeln und Früchten sowie allerlei Erzeugnisse des Meeres auf den Tisch, auch Seetang wird gern gegessen. Man nimmt den Bissen mit langen Eßstäbchen aus Holz oder Elfenbein auf und führt ihn damit auch zum Mund; Messer[S. 417] und Gabel kennen die Chinesen bei ihren Tafelfreuden nicht. Die Getränkekarte ist bei ihnen sehr bescheiden; die Weingewinnung kennen sie nicht. Wenn wir von dem Sekt absehen, der bei den Diners der reichen Chinesen neuerdings mehr und mehr Eingang findet, kennt man nur den warmen Reiswein, der auf keinem Tische fehlen darf. Für die große Masse aber ist Tee das Hauptgetränk; in seiner Zubereitung sind die Chinesen ja bekanntlich Meister. Wenig bekannt dürfte sein, daß man aus Teeblättern auch einen schmackhaften Salat bereitet.
Wir können den Abschnitt über die chinesische Küche nicht verlassen, ohne noch einer schrecklichen Unsitte zu gedenken, die vordem in China verbreitet gewesen sein muß, aber in gewisser Form bis in die jüngsten Tage hinein noch ihr Dasein gefristet hat, nämlich das Verzehren von Menschenfleisch. Besonders wird sie auf den Schlachtfeldern geübt, den Beweis hierfür haben wir in verschiedenen der letzten Kriege erhalten. Die Soldaten rissen den Schwerverwundeten Herz und Leber aus dem Körper und verzehrten sie, oder, wenn solche im Übermaß vorhanden waren, so daß sie sie nicht auf einmal aufessen konnten, trockneten sie dieselben für später in der Sonne. Der Chinese hält nämlich diese Eingeweide, im besonderen die Leber, für den Sitz des Mutes und glaubt dadurch, daß er sie verzehrt, diesen auf den eigenen Körper zu übertragen. Vor kurzem wurde noch berichtet, daß ein Ehepaar seine Schwiegermutter, weil sie angeblich den Tod ihres Enkelkindes verschuldet hatte, tötete, das Herz aus dem Leibe riß und den übrigen Körper in Stücke zerschnitt, die dann gekocht und unter die Leute als Nahrungsmittel verkauft wurden. Zu Zeiten großer Hungersnöte ist es allgemeiner Brauch, Menschenfleisch nicht nur heimlich, sondern auch öffentlich zum Verkauf aufzubieten. — Pietätvolle Kinder lassen sich als Kräftigungsmittel für ihre Eltern Fleisch aus Arm und Bein schneiden. Damit berühren wir das Kapitel über chinesische Medizin.
Die Vorstellungen der chinesischen Ärzte über die einzelnen Organe des Körpers sind nur mangelhafte und ganz schiefe. Aus Sektionen können sie sich keinen Rat holen, da für einen Chinesen der Gedanke entsetzlich ist, als Verstümmelter das Totenreich zu betreten. Die chinesische[S. 418] Medizin kennt nur fünf Organe, die sie zu dem ganzen Weltall in eine mystische Beziehung der Harmonie, beziehungsweise bei Erkranktsein, der Disharmonie setzen. In jedem dieser Organe herrscht eines der fünf Elemente (zum Beispiel im Herzen das Feuer) vor und jedes steht auch noch mit einem der fünf Planeten, der fünf Tages- und Jahreszeiten und der fünf Geschmacksarten in Verbindung. Auf Grund solcher verworrenen Ansichten stellt der chinesische Arzt nun seine Diagnose. Er prüft zu diesem Zweck das Gesicht, die Zunge, die Haare und so weiter, vor allem den Puls. Letzterer entspricht an einer bestimmten Körperstelle einem bestimmten Organ; es gibt zweihundert Pulsarten, aus deren Beschaffenheit der Arzt nun die Krankheit erkennt und seine Anordnungen trifft, die Angaben des Kranken sind ihm nebensächlich. Die Behandlung besteht in dem Schlucken einer Unmasse von Medikamenten, die manchmal höchst problematischer Natur sind und in ekelerregenden Stoffen bestehen.
Das Opiumrauchen ist ein über ganz China verbreitetes Laster, das große Verheerungen in gesundheitlicher Hinsicht unter der Bevölkerung angerichtet hat und daher mit Recht von der Regierung neuerdings aufs schärfste verfolgt wird. Die Opiumraucher finden sich in bestimmten Räumen, den sogenannten Opiumhöhlen, ein, auf deren Diwanen sie sich niederlegen (Abb. 470). Aus dem Opiumbehälter nehmen sie ein Stückchen von etwa Erbsengröße, trocknen es an der Flamme mittels einer Nadel erst etwas aus, stecken es in den Pfeifenkopf, zünden die Masse an und ziehen den Rauch in wenigen, aber tiefen Zügen bis in die Lungen ein. Die Anzahl der Pfeifen, deren ein Raucher nötig hat, um sich in den gewünschten Zustand von Wohlbehagen zu versetzen, ist nach dem Grade der Angewöhnung sehr verschieden; ein Chinese, der dreißig bis vierzig Pfeifen am Tage raucht, wird noch als mäßiger Raucher angesehen.
Die Chinesen sind tüchtige Handwerker, die besonders auf dem Gebiete der Seidenindustrie, sowie der Herstellung von ausgelegten Gegenständen, Bronzen, feinem Porzellan, Papier, Lackarbeiten und Schnitzereien Vorzügliches und direkt Künstlerisches leisten. Auch in der Industrie zeigt sich wieder das Festhalten am Althergebrachten, denn die Herstellungsmethoden sind zumeist noch sehr primitive. — Von der Landwirtschaft der Chinesen war bereits oben die Rede. Sie geben sich auch mit der Züchtung bizarrer Zwergbäume ab, die in Blumentöpfen weiter gedeihen. Interessant ist das Fangen der Fische mittels abgerichteter Kormorane vom Boot aus (Abb. 484).
Die Rechtspflege in China ist eine sehr traurige. Es gibt weder Richter, noch Ver[S. 419]teidiger, noch Staatsanwälte. Der Mandarin des Ortes oder des Bezirkes übt allein das richterliche Amt in öffentlicher Sitzung aus und verhängt die Strafen; über Todesstrafe verfügt allein der Kaiser. Die gewöhnlichsten Strafen sind Stockhiebe, auch häufig bestehen sie in dem Kangtragen. Der Kang (Abb. 480) sind zwei schwere Bretter, die, mit Ausschnitten an der Innenseite versehen, um den Hals des Verbrechers, ähnlich wie eine mittelalterliche Halskrause, gelegt werden. Dieses Werkzeug, das gegen fünfzehn Kilogramm wiegt, muß für die ganze Dauer der Strafe, manchmal monatelang getragen werden. Dazu kommen als weitere Strafmittel allerlei Marterwerkzeuge, wie Daumen- und Beinschrauben und so weiter (Abb. 483). Oft übt das Volk auch Lynchjustiz aus und hängt den Übeltäter an einem Baume auf, ohne ihm ernstlich Schaden dabei zu tun; in dieser lächerlichen Haltung ist er für eine halbe Stunde dem Gespötte der Vorübergehenden preisgegeben (Abb. 486). — Wie die chinesischen Gebräuche auch sonst vielfach im direkten Gegensatze zu den unserigen stehen, so sehen wir auch den chinesischen Polizisten sich durch eine Trommel, die er anschlägt, dem Verbrecher bemerkbar machen (Abb. 485).
In China gibt es drei Religionen, zwei volkstümliche, den Konfuzianismus und den Taoismus, und eine von auswärts eingeführte, den Buddhismus. Konfuzius (geboren 551 vor Christo), chinesisch Kung-fu-tse, das heißt Kung, der heilige Meister, schuf die nach ihm benannte Lehre; eigentlich erfand er sie nicht, sondern sammelte in den ihm zugeschriebenen heiligen Büchern (Khing und Shu) die alten von der Urzeit an überlieferten religiösen Ansichten des Volkes, die nicht eine Religion im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr Lebensweisheit und Moraltheologie vorstellen. Der Taoismus rührt von Laot-se (geboren 604 vor Christi Geburt) her; seine in dem Tao-teh King niedergelegte Lehre beschäftigt sich vorzugsweise mit dem Tao, das ist dem geraden Wege, was sich vielleicht mit Vernunft oder Natur übersetzen läßt. Während diese beiden Religionssysteme auf chinesischem Boden entsprossen sind, drang der Buddhismus als eine fremde Religion im ersten Jahrhundert nach Christo aus Indien in China ein. Kaiser Ming-ti erkannte im Jahre 65 diese neue Lehre als dritte Staatsreligion für sein Reich an. Alle drei Religionen wirken in China friedlich[S. 420] nebeneinander. Dabei leben aber auch noch animistische Vorstellungen im Volke fort von Baumanbetungen und Verehrung der Wasser- und Windgeister (Feng Shui) (Abb. 487). Die Furcht vor bösen Geistern macht sich vielfach in den Gewohnheiten der Chinesen bemerkbar, so unter anderem darin, daß sie vor jeden Hauseingang einen Wandschirm stellen oder die Tür nur in einem bestimmten Winkel offenstehen lassen in der Annahme, daß alle bösen Geister geradeaus gehen und bei dieser Anordnung schwer den Eingang finden. Vor allem zeigt sich der Ausfluß des alten Dämonenglaubens in den Gebräuchen bei der Geburt eines Kindes.
Die Geburt geht unter Beihilfe einer Hebamme vor sich. Diese Frauen pflegen ihre Tätigkeit durch ein bemaltes Schild vor ihrem Wohnhause bekannt zu machen, das auf der Vorderseite diese ihre Beschäftigung („Empfangsfrau“) kundgibt und auf der Rückseite irgend einen glückverheißenden Spruch oder eine geschickte Anpreisung ihrer gesegneten Tätigkeit, wie „flinkes Roß“ oder „leichtes Gefährt“ enthält. Bei jeder Geburt spielen Amulette eine große Rolle, um die bösen Geister zu bannen. So zieht die Gebärende besondere Strümpfe an, die der Dalai Lama eingesegnet hat, oder verschluckt Pillen aus Papier, auf dem Zaubersprüche geschrieben stehen, oder man hängt in ihrer Nähe zwei Zauberschwerter auf, das sind zwei Stäbe in Schwertform, die sich aus etwa hundert aufeinander gereihten, womöglich recht alten, Kashmünzen, zusammensetzen. Die Nabelschnur wird von der Hebamme in eine Holzkohle enthaltende Urne getan, die man sorgfältig versiegelt und zehn Jahre hindurch, mitunter auch das ganze Leben lang, aufbewahrt und im letzteren Falle mit ins Grab gibt. Manchmal wird sie auch getrocknet, um pulverisiert dem Kinde bei Blattern als Heilmittel gegeben zu werden. Die Nachgeburt muß von der Mutter der Wöchnerin, oder falls diese nicht mehr am Leben ist, von der ältesten Schwägerin am dritten Tage nach der Niederkunft unter einem Steine vergraben werden, damit sie niemand findet. Denn da sie ein von Apothekern sehr gesuchter Artikel ist, um daraus ein Heilmittel zur „Herstellung der Lebenskraft“ anzufertigen, so wird sie häufig gestohlen. Man gibt das Mittel auch einer Schwangeren vor der Entbindung ein. Einem scheintoten Kinde[S. 422] wird ein mit Öl getränktes Stück Papier auf den Nabel gelegt und angebrannt, damit die dabei sich entwickelnde Hitze durch den Nabel in den Magen ziehe und die Lebensgeister erwärme. Nach der Geburt werden rote Kerzen in der Wochenstube angezündet und die Anwesenden bemühen sich, nur Angenehmes zu erzählen, denn der neue Erdenbürger darf nur Freudiges hören und sich nicht erschrecken. Die Wöchnerin gilt für kürzere oder längere Zeit als unrein; kein männliches Wesen und kein Fremder dürfen in ihre Stube kommen. Zum Zeichen dessen hängt man an einem der Türklopfer ein Schloß auf und teilt auf einem Stück roten Papiers mit, daß ein Knabe oder ein Mädchen angekommen ist. Kein Mensch wird dann wagen einzutreten. Der Vater sieht sofort nach der Geburt im Kalender nach, ob die Stunde günstig ist. Erblickt ein Knabe um die Mittagstunde das Licht der Welt, dann wird er nicht nur am Leben bleiben, sondern auch ein bedeutender Mann werden; ein Mädchen dagegen wird sterben. Wird ein solches um Mitternacht geboren, dann wird es wohl sein Leben behalten, aber unglücklich werden; ein Knabe aber wird beständig Freude im Leben haben. Am dritten Tage gibt man dem Kinde den ersten Namen, den sogenannten Milchnamen (im Gegensatz zu dem Familiennamen), der meistens auf irgend ein Ereignis, das bei der Geburt auffiel, zum Beispiel starken Regen, Bezug nimmt. Geht der Knabe zur Schule, dann erhält er den Schulnamen, manchmal wechselt er auch diesen noch, während Mädchen Zeit ihres Lebens denselben Vornamen führen. Am achtundzwanzigsten Tage wird ein großes Fest gefeiert, zu dem die Freunde sich mit ihren Glückwünschen und Geschenken einfinden. Die Mutter überreicht dem Vater das Kind, der es als das seine anerkennt. Es wird auch am Kopfe rasiert, nur zwei kleine Büschel bleiben an den Schläfen stehen. Um den Einfluß böser Geister zu bannen, wird an ihm noch die Zeremonie des Tordurchschreitens vorgenommen. Es wird unter lauten Zymbalschlägen in feierlichem Zug durch einen Torrahmen getragen, der mitten in einem Zimmer aufgestellt ist, und erhält Speisen, Papiergeld und so weiter angeboten. Hat das Kind das erste Lebensjahr vollendet, dann werden neue Opferspenden dargebracht und daran anschließend ein neues Fest veranstaltet. Nachdem Räucherkerzen angezündet worden sind, breitet man vor den Ahnentafeln auf einer Platte im Kreise eine Geldwage, ein Buch, Schmucksachen und so weiter aus, setzt das Kind mitten hinein und beobachtet,[S. 423] welchem Stück es seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet; man schließt daraus auf seinen zukünftigen Beruf. Nach vollendetem zehnten Jahre wird wiederum ein Fest abgehalten, und dies wiederholt sich alle Dezennien. Die Kleider für ganz junge Kinder werden nach dem Muster der Priesterkleidung angefertigt; hierdurch, wie durch alle möglichen Zaubermittel, Glücksächelchen und Bildnisse besonderer Schutzgottheiten, die man ihnen umhängt, soll der Schutz der Götter gewonnen werden. Beständig ist die Mutter darauf bedacht, daß dem Kinde ein böser Geist nichts antue. Aus diesem Grunde wird manchmal ein Knabe als Mädchen und ein Mädchen als Knabe angezogen, um die Geister irrezuführen.
Mit sieben Jahren beginnt für die Knaben der erste Unterricht, der in dem Lesenlernen und Schreiben der Tausende von Schriftzeichen und in dem Auswendiglernen klassischer Bücher besteht. Nach einigen Jahren wird ihnen die höhere Bildung zuteil, insofern sie über Abfassung von Briefen, behördlichen Verordnungen, Kontrakten und so weiter Unterweisung empfangen und sich mit literarischen Kompositionen und poetischen Erzeugnissen beschäftigen. Nach abgeschlossenem Bildungsgang legen die jungen Leute ihre Examina ab, zu denen ein jeder, mit wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel die Barbiere und Schauspieler, zugelassen wird. Es ist dies eine uralte Einrichtung, die bereits auf ein mehr als tausend Jahre langes Alter zurückblickt. In vielen Gegenden legen die Kandidaten, wenn sie in Ehren bestanden haben, ein besonderes Gewand an, das mit vielen Bändern geschmückt ist, gehen umher, machen bei ihren Bekannten Besuche und nehmen deren Glückwünsche entgegen. Über dem Haupteingang des Hauses, in dem sie wohnen, wird ihr Name und akademischer Rang mit großen goldverzierten Buchstaben aufgetragen, ein sinnreicher Tribut an die Gelehrsamkeit, durch den in die Ein[S. 424]tönigkeit der schmalen Straßen etwas Abwechslung gebracht wird. Neuerdings beginnen mehr und mehr europäische Erziehungsmethoden in China Eingang zu finden, auch der Mädchenbildung wird jetzt mehr Beachtung geschenkt. Man läßt den Mädchen bis zu einem gewissen Grade auch schon eine Erziehung zuteil werden, das heißt ihnen Unterricht im Lesen und Schreiben, sowie in der Anfertigung von Handarbeiten, im besonderen Sticken geben. Bis dahin beschränkte sich ihre Ausbildung in dem Einüben von Begrüßungen, Verbeugungen und anderen Förmlichkeiten. In Südchina schickt man die Mädchen sogar in Pensionate.
Das Weib nimmt bei den Chinesen eine ganz untergeordnete Stellung ein. Bereits die Geburt eines Mädchens wird in der chinesischen Familie selten mit Freuden begrüßt und manchmal geradezu als ein böses Geschick verwünscht, sobald keine Knaben vorhanden sind. Dies hängt mit der Sitte der Ahnenverehrung, mit der Ansicht der Chinesen, daß die Seelen der Vorfahren nur durch die Huldigung ihrer männlichen Nachkommen ein glückliches Dasein führen, zusammen. Daher wird es allgemein als Familienunglück angesehen, wenn kein Sohn vorhanden ist, der den Ahnen die täglichen Ehren erweisen und Opfer darbringen kann, damit sie in der Unterwelt nicht ewig hungern und dürsten brauchen. Außerdem ist ein männlicher Nachkomme stets eine Stütze der Eltern, zumal er auch nach seiner Verheiratung in ihrem Hause verbleibt und sie unterhält. Kommt noch hinzu, daß er literarische Ehren erwirbt und eine gute Stellung erhält, so gereicht dies nicht nur seinen Erzeugern, sondern auch den Vorfahren zur Zierde. Eine Tochter dagegen fällt bis zu ihrer Verheiratung den Eltern nur zur Last und vermag sie späterhin nicht zu unterstützen, da sie in die Familie des Gatten übersiedelt. — Der Chinese heiratet für gewöhnlich jung, meist vor dem vollendeten zwanzigsten Lebensjahre; es ist aber nichts Ungewöhnliches, daß Knaben von sechzehn mit Mädchen von vierzehn Jahren die Ehe eingehen. Verlobungen finden häufig schon viel früher statt. Liebe knüpft sehr selten den Bund fürs Leben, sondern fast stets der Wille der Eltern, gegen den das junge Mädchen nicht ankämpfen darf. Sie bekommen die Schwiegertochter oft zu einem sehr niedrigen Preise oder gar umsonst von einer Familie, die zu arm ist, um eine Tochter aufzuziehen. Es ist in China üblich, daß die Schwiegertochter in das Haus der Eltern des Bräutigams zieht, wo sie für immer verbleibt und mitarbeiten muß; oft[S. 426] genug erfährt sie hier die grausamste Behandlung, besonders von seiten der Schwiegermutter, die das ganze Hauswesen der Sitte gemäß beherrscht, sogar tyrannisiert. Dieser Übelstand hat den Selbstmord vieler chinesischer Frauen zur Folge, da sie die Mißhandlungen und Kränkungen nicht auf die Dauer auszuhalten vermögen. In Südchina soll es sogar einen Geheimbund junger Mädchen geben, „die Gesellschaft der goldenen Regenbogen“, deren Mitglieder sich verpflichten, eher sich das Leben zu nehmen, als zu heiraten. — Der Heirat geht als Regel die Verlobung voraus, von der einer nur mit großer Schwierigkeit und unter großem Geldaufwand loskommen kann. Stirbt der Jüngling vor der Hochzeit, so gehört seine Braut trotzdem seiner Familie an und wird als seine Witwe angesehen. Einer der seltsamsten Gebräuche ist ihre Trauung mit dem Geiste ihres verstorbenen Bräutigams. Er wird durch eine Tafel vertreten, die eine weibliche Verwandte bei der Trauung trägt und die nachher in den Ahnensaal kommt; im übrigen spielt sich die Zeremonie so ab, als ob der Bräutigam noch lebte. Drei Tage nach solcher Hochzeit legt die Braut Trauer an und richtet sich lebenslänglich als Witwe ein; sie adoptiert auch einen Sohn, der den Familiennamen des Verstorbenen weiterführt und die Pflege der Ahnen übernimmt. — Nachdem ein Austausch von Geschenken stattgefunden hat, wird die im Brautkleid aufs schönste geschmückte Braut (Abb. 489 und 492) auf einer Hochzeitssänfte (Abb. 488) in das Haus der Schwiegereltern getragen (Abb. 490), wo sie sofort diesen sowie den Großeltern, ganz gleich ob sie leben oder nicht, ihre Ehrerbietung erweist; Vater und Mutter sitzen dabei, und das Paar kniet vor ihnen nieder. In gleicher Weise muß es der Ahnentafel seine Ehrerbietung erweisen (Abb. 491) und abwechselnd aus demselben Becher Reiswein trinken. Damit ist die Ehe geschlossen.
Das Los der Chinesin ist, sobald sie in das Haus ihres Gatten übergesiedelt ist, ein trauriges; sie gilt ihm nicht als Gefährtin, sondern als Sklavin, wird dementsprechend auch behandelt und unter Umständen auch verprügelt. Etwas mehr Achtung genießt sie erst, sobald sie einem oder mehreren Söhnen das Leben gegeben hat, und in dem Maße als sie älter wird, gewinnt sie an Ansehen in ihrem eigenen Hause, bis sie schließlich im Kreise ihrer Söhne und Schwiegertöchter dieselbe ehrfurchtgebietende Stellung einnimmt, wie vordem ihre eigene Schwiegermutter. — Verheiratete Frauen pflegen sich täglich zu besuchen, ihre Freundinnen zu kleinen Gesellschaften einzuladen, auf denen, wie bei uns, viel geklatscht wird, und häufig in die Tempel zu gehen. Neuerdings macht sich mehr und mehr eine Wandlung in der Lebensweise der Frauen bemerkbar. Während bis dahin es streng verboten war, daß die beiden Geschlechter miteinander zusammen kommen, haben neuerdings in Peking einige Prinzessinnen und Frauen der guten Gesellschaft die europäische Mode des zu Hause Empfangens eingeführt, bei welcher Gelegenheit sich beide Geschlechter dann treffen. — Dem Manne steht das Recht zu, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, und dies aus achterlei Gründen: wegen ungebührlichem Verhaltens[S. 427] gegen seine Eltern, wegen Unfruchtbarkeit, Ehebruch, Abneigung, Eifersucht, böser Krankheit, Schwatzhaftigkeit und Diebstahl an seinem Eigentum. Erst seit dem Jahre 1873 hat auch die Frau ein gewisses Recht auf Scheidung erlangt, die sie unter Beistand des Vaters oder eines Verwandten vor dem Richter einreichen kann.
Daß eine Witwe sich wieder verheiratet, gehört nicht zum guten Ton. Wohl tut dies eine Frau der niederen Schichten aus Armut, aber in den Familien der Vornehmen und Reichen kommt eine zweite Ehe selten vor; die Wiederheirat würde dem zweiten Mann nur zur Schande gereichen. Auf der anderen Seite fällt auch wieder ins Gewicht, daß die Frau, die dem Gedächtnis des Verschiedenen treubleibt, dessen Erbin wird; sie bekommt alle beweglichen und festen Hinterlassenschaften, kann über sie schalten und walten wie sie will, verfügt über das ganze Haus mit allen Nebenfrauen, Dienern und Sklaven und kann dieselbe väterliche Gewalt über ihre Kinder wie der verstorbene Familienvater ausüben. Unter Umständen kann ihr nach dem Tode auf höhere Anweisung von Peking aus die Ehre zuteil werden, daß ihrem Andenken eine Ehrenpforte errichtet wird, die den gegenwärtigen und zukünftigen Geschlechtern verkündet, wie gewissenhaft sie ihre Pflichten als Witwe erfüllt hat. — Für die chinesische Witwe ist eine Mindesttrauer von drei Jahren vorgeschrieben; trauert sie ihr ganzes Leben lang, so wird ihr dies hoch angerechnet.
Die Chinesen, wie überhaupt alle Ostasiaten, gelten im allgemeinen für ziemlich wollüstig, und ihr moralisches Leben entspricht wenig unseren europäischen Sittlichkeitsbegriffen. Daher ist unter ihnen das Prostitutionswesen ungemein verbreitet. Die chinesischen Freudenmädchen (Abb. 493) sind in luxuriösen Bordellen untergebracht, die wegen ihrer blauen Jalousien die blauen Häuser (Tsing Lao) genannt werden. In den Städten, die an Flüssen liegen,[S. 428] dienen dem gleichen Zwecke die sogenannten Blumenboote, eigens dazu gebaute, am Lande verankerte Schiffe. Ihre Insassen sind meistens armer Leute Kinder, die diesen entweder entführt oder von ihnen im frühesten Alter gekauft worden sind, um sie systematisch für ihren Beruf vorzubereiten. Bereits mit sechs bis sieben Jahren werden sie in ihn eingeführt, indem sie die älteren Kurtisanen und deren Besucher bedienen müssen. Sodann erhalten sie im Singen und Lautespielen, sowie im Lesen, Schreiben und Malen Unterricht, um die sie besuchenden Gäste auch genügend unterhalten zu können, sobald sie mit etwa vierzehn Jahren ihr Gewerbe aufnehmen. Daher spielten die Blumenmädchen in früheren Zeiten eine ähnliche Rolle in China wie die Hetären im alten Griechenland. Die Jünglinge suchten sie auf, um von ihrer Bildung und guten Erziehung etwas zu profitieren. Heute soll dies teilweise auch noch der Fall sein, wenngleich bei diesen Besuchen das sexuelle Moment wohl mehr im Vordergrund steht.
Auch die männliche Prostitution ist in China in solchem Maße verbreitet wie wohl nirgends auf der Welt; besonders sollen die nördlichen Provinzen und das Küstengebiet ein wahres Eldorado für die Homosexualität abgeben. Diese männlichen Liebesdiener setzen sich hier größtenteils aus jungen Männern zusammen, die von früher Jugend an, ähnlich wie ihre weiblichen Kolleginnen, besonders für diesen Zweck vorbereitet werden; es sind die sogenannten Sian-Kôn. Im Alter von vier bis fünf Jahren werden sie ihren Eltern abgekauft, auch wohl geraubt und in besonderen Lusthäusern auferzogen. Hier erfahren sie eine besondere Pflege, um eine schöne Körperform zu erhalten, und werden für ihren zukünftigen Beruf noch besonders geschult. Diese Sian-Kôn finden in ihrer Blütezeit dann ihren Liebhaber, der sie aushält; andere richten sich selbständig ein, wohnen in Bordellen und empfangen hier den Besuch ihrer Verehrer geradeso wie die Freudenmädchen. Neben dieser gleichsam organisierten Prostitution gibt es noch die freie, die Gelegenheitsprostitution; es gehören ihr zumeist Schauspieler, Lastträger, Wagenschieber, Straßenbummler und ausgediente, ihres Jugendreizes verlustig gegangene Männer der ersten Gruppe an. Ein besonders starkes Kontingent stellen dazu die Schauspieler; das Theater in Peking ist gewissermaßen der Nährboden für sie, wo sie sowohl auf der Bühne als auch im Zuschauerraum sich besonders breit machen und sich nicht selten der Gunst reicher Chinesen erfreuen. „Der Saal, das Parterre, die Logen sind mit einer Schar junger Leute angefüllt von oft weiblichem Gang, aber in männlicher Kleidung aus Stoffen von glänzenden Farben und feinstem Gewebe; sie gehen von Tisch zu Tisch, spenden ein Lächeln hierhin, geben einen Wink dorthin, nehmen von diesem einen Leckerbissen, von anderen einen Scherz zweifelhaften Charakters entgegen und lassen sich schließlich an einem Tische bei Leuten nieder, denen sie bekannt sind, oder welche ihnen den[S. 429] Eindruck des Reichtums erwecken“ — alles dieses, wie wir es an unseren Prostituierten in bestimmten Lokalen beobachten.
Ist ein Chinese erkrankt, so nimmt er zunächst seine Zuflucht zu dem Übernatürlichen, da vielleicht einer der bösen Geister, möglicherweise ein erzürnter Vorfahre, die Krankheit verhängt haben könnte. Deshalb wirft sich die Familie vor dem Ahnenaltar nieder und fleht um Genesung. Tritt diese nicht ein, dann wendet man sich an den Arzt, aber zunächst nur, um die Diagnose von ihm zu erfahren, das heißt ob das Leiden von einem Geiste der Vorfahren ausgeht oder von einem „bettelnden“ Geiste; darunter versteht man Geister, die entweder keine Angehörigen mehr haben oder von diesen keine genügende Verehrung erfahren, oder solche, die im Kriege, auf der hohen See oder im fremden Lande verendeten; sie sind zu „Bettlern“ verdammt, leben von der öffentlichen Fürsorge, und rächen sich daher durch Heraufbeschwören von allerlei Unheil, wie Hungersnot, Überschwemmungen, Krankheit und so weiter. Die Behandlung in solchem Falle ist einfach, der beleidigte Geist muß versöhnt werden. Zu diesem Zwecke verbrennt man Papiergeld (in Form kleiner Boote, Nachahmung der Silbertaels) entweder bei erzürnten Vorfahren vor dem Hausaltar oder bei erzürnten Bettelgeistern vor der Haustüre. Als letzte Zuflucht wird noch ein Bonze geholt, der mit Beschwörungen gegen die bösen Geister vorzugehen hat. Läßt sich auch hierdurch die Auflösung des Kranken nicht aufhalten und steht sein sicheres Ende bevor, so trifft man bereits Vorbereitungen zum Begräbnis. Man nimmt dem Sterbenden Maß zu einem Leichengewande, das wattiert sein muß, weil die Seele kalte Gegenden zu passieren hat — auch ein Fußofen wird ihm aus diesem Grunde mitgegeben — und spricht in seiner Gegenwart ruhig von seinem bevorstehenden Ende. Damit noch nicht genug, trägt man ihn auch meistens aus dem Zimmer heraus oder gar auf die Straße, denn er darf nicht in seinem Bette sterben, weil sich[S. 430] vielleicht ein Geist im Bette oder Zimmer aufhält, der die Überlebenden dann heimsuchen könnte. — Die Leiche wird in einen Sarg gelegt und dieser versiegelt. Beim Begräbnis (Abb. 494 bis 496) werden besondere Leute gemietet, die möglichst viele und laute Klagen anstimmen. Jedoch findet das Begräbnis nicht sofort statt, sondern es können Wochen, selbst Monate vergehen, ehe man den Leichnam der Erde anvertraut. Je höher der Verblichene im Range stand, um so später erfolgt die Beisetzung. Reiche Chinesen werden einbalsamiert und während dreier Monate — bei dem verstorbenen Kaiser dauerte es sechs Monate lang — auf einem Katafalk, um den beständig große rote Kerzen brennen, in ihrem Staatszimmer vor dem Altare der Ahnen aufgebahrt; die Wände des Raumes schmücken große Vorhänge aus weißem Tuch, auf dem in Tusche fromme Wünsche, religiöse Ausrufe und Lobpreisungen auf den Toten geschrieben stehen. Bei den ärmeren Leuten wird der Sarg bald der Erde überliefert, aber der Tote noch drei Jahre lang als anwesend im Hause gedacht, und in seinem Namen werden alle Anordnungen, seien sie zivilrechtlicher, behördlicher oder religiöser Natur getroffen. Solange die Trauer dauert, darf die Erbschaft nicht angetreten werden; auch ist es verboten, irgend ein Fest, nicht einmal eine Hochzeit oder Verlobung, währenddem zu feiern. Jedoch fällt dem ältesten männlichen Familienmitglied die Pflicht zu, dem Verschiedenen seine weitere Verehrung in dem Darbringen von Nahrung, Geld und Kleidern in Papier zu bezeigen; aus diesem Grunde geht das Verlangen eines jeden Chinesen dahin, sich einen männlichen Nachfolger zu verschaffen; wenn ihm dies Glück versagt ist, adoptiert er sich einen solchen; stirbt er, bevor sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist, so stellt ihm die Familie pflichtgemäß einen Nachfolger. Alle Jahre unternimmt die gesamte Bevölkerung einen Umzug zu den Gräbern der Toten und bringt ihnen Opfer dar; diese Zeremonien, bei denen ein großes Gepränge[S. 431] entfaltet wird, beginnen in den ersten Tagen des April und dauern zwei bis drei Wochen; alle Familienstreitigkeiten müssen dann beseitigt werden. Die Familienmitglieder begeben sich sämtlich zum Grabe ihres Angehörigen, das Oberhaupt stellt ein Opfer, aus Lebensmitteln, Früchten und Wein bestehend, auf das Grab und zündet Lichter an, dazu legt es alle möglichen Gegenstände, die der Tote im Jenseits gebrauchen könnte, wie Wagen, Boote, Pferde, Sänftenträger, Diener, Geld und so weiter, allerdings nur in Nachahmung aus Papier (Abb. 497 und 498), begießt sie mit Alkohol und zündet das Ganze an. Während dieser Feierlichkeit macht die Familie neun Kotau, das heißt Verbeugungen vor dem Grabe. — Die „bettelnden“ Geister verfallen der öffentlichen Wohltätigkeit; man bringt ihnen ebenfalls an besonders dazu festgesetzten Tagen solche Opfer dar; eine jede Familie trägt zu dieser öffentlichen Fürsorge nach Maßgabe ihres Einkommens bei, und die Summe, die hierbei einkommt, ist nicht unbeträchtlich; nach Yates sollen jährlich gegen fünfzig Millionen dafür ausgegeben werden.
Kinder werden gewöhnlich in kleinen Kisten beigesetzt, sehr arme Leute hüllen die Leiche in Strohmatten und legen sie einfach auf das Grab Erwachsener. Da ein Baby noch keine Zähne hat und auch nicht essen kann, ist es nach der Ansicht der Chinesen noch kein Mensch und braucht nicht wie dieser begraben zu werden. Daher stiften wohltätige Leute „Babytürme“, in denen die kleinen Kinder armer Leute mit Würde und Anstand beerdigt werden können. Reiche Leute haben am Rande des Familienfriedhofs einen Begräbnisplatz für Kinder, da ein Kind nicht mit Erwachsenen zusammen begraben werden darf. Eine der rührendsten Sitten in China ist das Suchen der Seele eines toten Kindes durch seine Mutter. Diese zieht mit einer Laterne und einem Kleidungsstück ihres Lieblings aus, um nachzusehen, wo er seine Seele habe fallen lassen;[S. 432] sie bewegt die Laterne hin und her und ruft das Kind mit den Worten: „Komm heim, komm heim!“ — eine Mutterstimme, sagen die Chinesen, reiche tausend und aber tausend Li (ein Li = vierhundertzweiunddreißig Meter) weit — und eine andere Frau antwortet darauf mit „Ich komme“; man glaubt dann, daß das Seelchen der Mutter nach Hause folge. — Eine höchst phantastische Totenzeremonie in Tientsin zeigt unsere farbige Kunstbeilage.
Mandarine, bedeutende Personen, sowie Leute, die durch Mildtätigkeit und Güte diese Ehre verdient haben, werden auf öffentliche Kosten in kostbaren Mausoleen, die aus Granit oder Nephrit gebaut, mit gebrannter Emaille geschmückt sind und ein Wohngebäude mit Saal für Totenzeremonien enthalten, beigesetzt. Weltberühmt sind die Gräber der Kaiser aus der Mingdynastie, im besonderen das Grabmal des Herrschers Yung-Lo bei Peking. Eine kilometerlange Allee von seltsam geformten steinernen Riesentieren (Abb. 499 und 500), Kriegern und Ministern, von denen ein jedes Bildnis aus einem einzigen Felsblock gehauen ist, führt zu einem großen Hügel, auf dem sich das Grab dieses berühmten Kaisers inmitten alter Eichen, Zedern und Sykomoren, ein Tempel auf einer weißen, von einer skulpturenreichen Balustrade umgebenen Marmorterrasse erhebt, und dessen gelbes Dach auf sechzig, drei Meter im Umfang messenden Holzsäulen ruhend die goldene Ahnentafel beschattet. Ursprünglich scheint man im Altertum bei chinesischen Begräbnissen auch Menschenopfer dargebracht zu haben; bis vor wenigen Jahrhunderten war dies nachweislich noch bei kaiserlichen Begräbnissen der Fall.
Eine ebenso entsetzliche Unsitte, die noch bis vor ganz kurzem geübt wurde, war das Lebendigbegraben. Dieses schauerliche Los traf gewöhnlich solche Leute, die für ihre Familie oder Gemeinde eine moralische oder physische Gefahr bedeuteten, wie leidenschaftliche Spieler, unverbesserliche Opiumraucher, Diebe und Raufbolde, sowie Aussätzige. Der chinesischen volkstümlichen Auffassung erscheint diese Unsitte aber gar nicht so ungeheuer, denn ihr zufolge ist das Leben nach dem Tode nur eine Fortsetzung des Lebens auf der Erde.