The Project Gutenberg EBook of Ideen zu einer Physiognomik der Gewaechse by
Humboldt, Alexander von



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Title: Ideen zu einer Physiognomik der Gewaechse

Author: Humboldt, Alexander von

Release Date: September 24, 2007 [Ebook #22761]

Language: German

Character set encoding: US-ASCII


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IDEEN ZU EINER PHYSIOGNOMIK DER GEWAeCHSE***





Ideen zu einer Physiognomik der Gewaechse


by Humboldt, Alexander von




Edition 1 , (September 24, 2007)





CONTENTS






Wenn der Mensch mit regsamem Sinne die Natur durchforscht, oder in seiner
Phantasie die weiten Raeume der organischen Schoepfung misst, so wirkt unter
den vielfachen Eindruecken, die er empfaengt, keiner so tief und maechtig als
der, welchen die allverbreitete Fuelle des Lebens erzeugt. Ueberall, selbst
am beeisten Pol, ertoent die Luft von dem Gesange der Voegel, wie von dem
Sumsen schwirrender Insecten. Nicht die unteren Schichten allein, in
welchen die verdichteten Duenste schweben, auch die oberen aetherischreinen,
sind belebt. Denn so oft man den Ruecken der Peruanischen Cordilleren,
oder, suedlich vom Leman-See, den Gipfel des Weissen-Berges bestieg, hat
man selbst in diesen Einoeden noch Thiere entdeckt. Am Chimborazo, sechsmal
hoeher als der Brocken, sahen wir Schmetterlinge und andere gefluegelte
Insecten. Wenn auch, von senkrechten Luftstroemen getrieben, sie sich
dahin, als Fremdlinge, verirrten, wohin unruhige Forschbegier des Menschen
sorgsame Schritte leitet; so beweiset ihr Daseyn doch, dass die biegsamere
animalische Schoepfung ausdauert, wo die vegetabilische laengst ihre Grenze
erreicht hat. Hoeher, als der Kegelberg von Teneriffa auf den Aetna
gethuermt; hoeher, als alle Gipfel der Andeskette, schwebte oft ueber uns der
Cundur, der Riese unter den Geiern. Raubsucht und Nachstellung der
zartwolligen Vikunnas, welche gemsenartig und heerdenweise in den
beschneiten Grasebenen schwaermen, locken den maechtigen Vogel in diese
Region.

Zeigt nun schon das unbewafnete Auge den ganzen Luftkreis belebt, so
enthuellt noch groessere Wunder das bewafnete Auge. Raederthiere, Brachionen,
und eine Schaar mikroskopischer Geschoepfe heben die Winde aus den
troknenden Gewaessern empor. Unbeweglich und in Scheintod versenkt,
schweben sie vielleicht jahrelang in den Lueften, bis der Thau sie zur Erde
zuruekfuehrt, die Huelle loest, die ihren durchsichtigen wirbelnden Koerper
einschliesst, und (wahrscheinlich durch den Lebensstoff, den alles Wasser
enthaelt) den Organen neue Erregbarkeit einhaucht.

Neben den entwickelten Geschoepfen traegt der Luftkreis auch zahllose Keime
kuenftiger Bildungen, Insecten-Eier und Eier der Pflanzen, die durch Haar-
und Feder-Kronen zur langen Herbstreise geschikt sind. Selbst den
belebenden Staub, den, bei getrennten Geschlechtern, die maennlichen
Bluethen ausstreuen, tragen Winde und gefluegelte Insecten ueber Meer und
Land den einsamen weiblichen zu. Wohin der Blick des Naturforschers
dringt, ist Leben, oder Keim zum Leben, verbreitet.

Dient aber auch das bewegliche Luftmeer, in das wir getaucht sind, und
ueber dessen Oberflaeche wir uns nicht zu erheben vermoegen, vielen
organischen Geschoepfen zur nothwendigsten Nahrung; so beduerfen dieselben
dabei doch noch einer groeberen Speise, welche nur der Boden dieses
gasfoermigen Oceans darbietet. Dieser Boden ist zwiefacher Art. Den
kleineren Theil bildet die trockene Erde, unmittelbar von Luft umflossen;
den groexseren Theil bildet das Wasser, vielleicht einst vor Jahrtausenden
durch elektrisches Feuer aus luftfoermigen Stoffen zusammengeronnen, und
jezt unaufhoerlich in der Werkstatt der Wolken, wie in den pulsirenden
Gefaessen der Thiere und Pflanzen, zersezt.

Unentschieden ist es, wo groessere Lebensfuelle verbreitet sey; ob auf dem
Continent, oder in dem unergruendeten Meere. In diesem erscheinen
gallertartige Seegewuerme, bald lebendig, bald abgestorben, als leuchtende
Sterne. Ihr Phosphorlicht wandelt die gruenliche Flache des unermesslichen
Ozeans in ein Feuermeer um. Unausloeschlich wird mir der Eindruck jener
stillen Tropen-Nachte der Suedsee bleiben, wo aus der duftigen Himmelsblaeue
das hohe Sternbild des Schiffes und das gesenkt untergehende Kreuz ihr
mildes planetarisches Licht ausgossen, und wo zugleich in der schaeumenden
Meeresfluth die Delphine ihre leuchtenden Furchen zogen.

Aber nicht der Ozean allein, auch die Sumpfwasser verbergen zahllose
Gewuerme von wunderbarer Gestalt. Unserem Auge fast unerkennbar sind die
Cyclidien, die gefranzten Trichoden und das Heer der Naiden, theilbar
durch Aeste, wie die Lemna, deren Schatten sie suchen. Von mannichfaltigen
Luftgemengen umgeben, und mit dem Lichte unbekannt, athmen: die geflekte
Askaris, welche die Haut des Regenwurms, die silberglaenzende Leukophra,
welche das Innere der Ufer.Naide, und der Echynorynchus, welcher die
weitzellige Lunge der tropischen Klapperschlange bewohnt. So sind auch die
verborgensten Baeume der Schoepfung mit Leben erfuellt. Wir wollen hier
bescheiden bei den Geschlechtern der Pflanzen verweilen; denn auf ihrem
Daseyn beruht das Daseyn der thierischen Schoepfung. Unablaessig sind sie
bemueht, den rohen Stoff der Erde organisch an einander zu reihen, und
vorbereitend, durch lebendige Kraft, zu mischen, was nach tausend
Umwandlungen zur regsamen Nervenfaser veredelt wird. Derselbe Blick, den
wir auf die Verbreitung der Pflanzendecke heften, enthuellt uns die Fuelle
des thierischen Lebens, das von jener genaehrt und erhalten wird.

Ungleich ist der Teppich gewebt, den die bluethenreiche Flora ueber den
nakten Erdkoerper ausbreitet; dichter, wo die Sonne hoeher an dem nie
bewoelkten Himmel emporsteigt; lockerer gegen die traegen Pole hin, wo der
wiederkehrende Frost bald die entwickelte Knospe toedtet, bald die reifende
Frucht erhascht. Doch ueberall darf der Mensch sich der naehrenden Pflanzen
erfreuen. Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende Fluth, und schiebt
ploezlich (wie einst zwischen den griechischen Inseln) einen schlackigen
Fels empor; oder erheben (um an eine friedlichere Naturerscheinung zu
erinnern) die eintraechtigen Nereiden ihre zelligen Wohnungen, bis sie nach
Jahrtausenden ueber den Wasserspiegel hervorragend, absterben, und ein
flaches Corallen-Eiland bilden: so sind die organischen Kraefte sogleich
bereit, den todten Fels zu beleben. Was den Saamen so ploezlich
herbeifuehrt: ob wandernde Voegel, oder Winde, oder die Wogen des Meeres;
ist bei der grossen Entfernung der Kuesten schwer zu entscheiden. Aber auf
dem nakten Steine, sobald ihn zuerst die Luft beruehrt, bildet sich in den
nordischen Laendern ein Gewebe sammtartiger Fasern, die dem unbewafneten
Auge als farbige Flecken erscheinen. Einige sind durch hervorragende
Linien bald einfach bald doppelt begraenzt; andere sind in Furchen
durchschnitten und in Faecher getheilt. Mit zunehmendem Alter verdunkelt
sich ihre lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun, und das
blaeuliche Grau der Leprarien verwandelt sich nach und nach in ein
staubartiges Schwarz. Die Graenzen der alternden Decke fliessen in
einander, und auf dem dunkeln Grunde bilden sich neue zirkelrunde Flechten
von blendender Weisse. So lagert sich schichtenweise ein organisches
Gewebe auf das andere; und wie das sich ansiedelnde Menschengeschlecht
bestimmte Stufen der sittlichen Kultur durchlaufen muss, so ist die
allmaehlige Verbreitung der Pflanzen an bestimmte physische Geseze
gebunden. Wo jezt hohe Waldbaeume ihre Gipfel luftig erheben, da ueberzogen
einst zarte Flechten das erdenlose Gestein. Laubmoose, Graeser, krautartige
Gewaechse und Straeucher, fuellen die Kluft der langen aber ungemessenen
Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten und Moose, das bewirken in den
Tropen _Portulacca_, _Gomphrenen_ und andere niedrige Uferpflanzen. Die
Geschichte der Pflanzendecke, und ihre allmaehlige Ausbreitung ueber die oede
Erdrinde, hat ihre Epochen, wie die Geschichte des spaetern
Menschengeschlechts.

Ist aber auch Fuelle des Lebens ueberall verbreitet; ist der Organismus auch
unablaessig bemueht, die durch den Tod entfesselten Elemente zu neuen
Gestalten zu verbinden: so ist diese Lebensfuelle und ihre Erneuerung doch
nach Verschiedenheit der Himmelsstriche verschieden. Periodisch erstarrt
die Natur in der kalten Zone; denn Fluessigkeit ist Bedingniss zum Leben.
Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andre Cryptogamen abgerechnet) liegen
hier viele Monate hindurch im Winterschlaf vergraben. In einem grossen
Theile der Erde haben daher nur solche organische Wesen sich entwickeln
koennen, welche einer betraechtlichen Entziehung von Waermestoff widerstehen,
oder einer langen Unterbrechung der Lebensfunctionen faehig sind. Je naeher
dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit der Bildungen,
Anmuth der Form und des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des
organischen Lebens zu.

Diese Zunahme kann leicht von denen bezweifelt werden, welche nie unsern
Welttheil verlassen, oder das Studium der allgemeinen Erdkunde
vernachlaessigt haben. Wenn man aus unsern dicklaubigen Eichenwaeldern ueber
die Alpen oder Pyrenaeen-Kette nach Welschland oder Spanien hinabsteigt;
wenn man gar seinen Blick auf die afrikanischen Kuestenlaender des
Mittelmeeres richtet: so wird man leicht zu dem Fehlschlusse verleitet,
als sei Baumlosigkeit der Charakter heisser Klimate. Aber man vergisst,
dass das suedliche Europa eine andere Gestalt hatte, als pelasgische oder
carthagischc Pflanzvoelker sich zuerst darinn festsezten; man vergisst,
dass fruehere Bildung des Menschengeschlechts die Waldungen verdraengt, und
dass der umschaffende Geist der Nazionen der Erde allmaehlig den Schmuck
raubt, der uns in dem Norden erfreut, und der (mehr, als alle Geschichte)
die Jugend unserer sittlichen Kultur anzeigt. Die grosse Katastrophe,
durch welche das Mittelmeer sich gebildet, indem es, ein anschwellendes
Binnenwasser, die Schleusen der Dardanellen und die Saeulen des Herkules
durchbrochen, diese Katastrophe scheint die angraenzenden Laender eines
grossen Theils ihrer Dammerde beraubt zu haben. Was bei den griechischen
Schriftstellern von den Samothracischen Sagen erwaehnt wird, deutet die
Neuheit dieser zerstoerenden Naturveraenderung an. Auch ist in allen
Laendern, welche das Mittelmeer begraenzt, und welche die Kalkformation des
Jura charakterisirt, ein grosser Theil der Erdoberflaeche nackter Fels, Das
Mahlerische italienischer Gegenden beruht vorzueglich auf diesem lieblichen
Kontraste zwischen dem unbelebten oeden Gestein und der ueppigen Vegetation,
welche inselfoermig darinn aufsprosst. Wo dieses Gestein, minder
zerklueftet, die Wasser auf der Oberflaeche zusammen haelt, wo diese mit Erde
bedeckt ist, (wie an den reizenden Ufern des Albaner Sees) da hat selbst
Italien seine Eichenwaelder, so schattig und gruen, als der Bewohner des
Norden sie wuenscht.

Auch die Wuesten jenseits des Atlas, und die unermesslichen Ebenen oder
Steppen von Sued-Amerika, sind als blosse Lokalerscheinungen zu betrachten.
Diese findet man, in der Regenzeit wenigstens, mit Gras und niedrigen,
fast krautartigen, Mimosen bedeckt; jene sind Sand-Meere im Innern des
alten Continents, grosse pflanzenleere Raeume, mit ewiggruenen waldigen
Ufern umgeben. Nur einzeln stehende Faecherpalmen erinnern den Wanderer,
dass diese Einoeden Theile einer belebten Schoepfung sind. Im truegerischen
Lichtspiele, das die strahlende Waerme erregt, sieht man bald den Fuss
dieser Palmen frei in der Luft schweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den
wogenartig-zitternden Luftschichten wiederholt. Auch westlich von der
peruanischen Andeskette, an den Kuesten des stillen Meeres, haben wir
Wochen gebraucht, um solche wasserleere Wuesten zu durchstreichen. Der
Ursprung derselben, diese Pflanzenlosigkeit grosser Erdstrecken, in
Gegenden, wo umher die kraftvolleste Vegetation herrscht, ist ein wenig
beachtetes geognostisches Phaenomen, welches sich unstreitig in alten
Naturrevoluzionen (in Ueberschwemmungen, oder vulkanischen Umwandelungen
der Erdrinde) gruendet. Hat eine Gegend einmal ihre Pflanzendecke verloren,
ist der Sand beweglich und quellenleer, hindert die heisse, senkrecht
aufsteigende Luft den Niederschlag der Wolken: so vergehen Jahrtausende,
ehe von den gruenen Ufern aus organisches Leben in das Innere der Einoede
dringt.

Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu umfassen, und von
Lokalphaenomenen zu abstrahiren weiss, der sieht, wie mit Zunahme der
belebenden Waerme, von den Polen zum Aequator hin, sich auch allmaehlig
organische Kraft und Lebensfuelle vermehren. Aber bei dieser Vermehrung
sind doch jedem Erdstriche besondere Schoenheiten vorbehalten: den Tropen
Mannichfaltigkeit und Groesse der Pflanzenformen; dem Norden der Anblick
der Wiesen, und das periodische Wiedererwachen der Natur beim ersten Wehen
der Fruehlingsluefte. Jede Zone hat ausser den ihr eigenen Vorzuegen auch
ihren eigenthuemlichen Character. So wie man an einzelnen organischen Wesen
eine bestimmte Physiognomie erkennt; wie beschreibende Botanik und
Zoologie, im engern Sinne des Worts, fast nichts als Zergliederung der
Thier- und Pflanzenformen ist: so giebt es auch eine gewisse
Naturphysiognomie, welche jedem Himmelsstriche ausschliesslich zukommt.

Was der Mahler mit den Ausdruecken schweizer Natur, italienischer Himmel,
bezeichnet, gruendet sich auf das dunkle Gefuehl dieses lokalen
Naturcharakters. Himmelsblaeue, Beleuchtung, Duft, der auf der Ferne ruht,
Gestalt der Thiere, Saftfuelle der Kraeuter, Glanz des Laubes, Umriss der
Berge -- alle diese Elemente bestimmen den Totaleindruck einer Gegend. Zwar
bilden unter allen Zonen dieselben Gebirgsarten Felsgruppen, von einerlei
Physiognomie. Die Gruensteinklippen in Sued-Amerika und Mexiko gleichen
denen des deutschen Fichtelgebirges, wie unter den Thieren die Form des
Alco oder der urspruenglichen Hunderace des neuen Continents, mit der der
europaeischen Race genau uebereinstimmt. Denn die unorganische Rinde der
Erde ist gleichsam unabhaengig von klimatischen Einfluessen; sey es, dass
der Unterschied der Klimate neuer als das Gestein ist; sei es, dass die
erhaertende, Waerme-entbindende Erdmasse sich selbst ihre Temperatur gab,
statt sie von aussen zu empfangen. Alle Formationen sind daher allen
Weltgegenden eigen, und in allen gleichgestaltet. Ueberall bildet der
Basalt Zwillings-Berge und abgestumpfte Kegel; ueberall erscheint der
Trapporphyr in grotesken Felsmassen, der Granit in sanftrundlichen Kuppen.
Auch aehnliche Pflanzenformen, Tannen und Eichen, bekraenzen die Berggehaenge
in Schweden, wie die des suedlichsten Theils von Mexiko. Und bei aller
dieser Uebereinstimmung in den Gestalten, bei dieser Gleichheit der
einzelnen Umrisse, nimmt die Gruppirung derselben zu einem Ganzen doch den
verschiedensten Charakter an.

So wie die Kenntniss der Fossilien sich von der Gebirgslehre
unterscheidet; so ist von der individuellen Naturbeschreibung die
allgemeine, oder die Physiognomik der Natur, verschieden. Georg Forster in
seinen Reisen und in seinen kleinen Schriften; Goethe in den
Naturschilderungen, welche so manche seiner unsterblichen Werke enthalten;
Herder, Bueffon, Bernardin de St. Pierre, und selbst Chateaubriand, haben
mit unnachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner Himmelsstriche
geschildert. Solche Schilderungen sind aber nicht blos dazu geeignet, dem
Gemuethe einen Genuss der edelsten Art zu verschaffen; nein, die Kenntniss
von dem Naturcharakter verschiedener Weltgegenden ist mit der Geschichte
des Menschengeschlechtes, und mit der seiner Kultur, aufs innigste
verknuepft, Denn wenn auch der Anfang dieser Kultur nicht durch physische
Einfluesse allein bestimmt wird; so haengt doch die Richtung derselben, so
haengen Volkscharacter, duestere oder heitere Stimmung der Menschheit,
grossentheils von klimatischen Verhaeltnissen ab. Wie maechtig hat der
griechische Himmel auf Seine Bewohner gewirkt! Wie sind nicht in dem
schoenen und gluecklichen Erdstriche zwischen dem Oxus, dem Tigris, und dem
aegeischen Meere, die sich ansiedelnden Voelker zuerst zu sittlicher Anmuth
und zarteren Gefuehlen erwacht? Und haben nicht, als Europa in neue
Barbarei versank, und religioese Begeisterung ploezlich den heiligen Orient
oefnete, unsere Voraeltern aus jenen milden Thaelern von neuem mildere Sitten
heimgebracht! Die Dichterwerke der Griechen und die rauheren, Gesaenge der
nordischen Urvoelker verdankten groesstentheils ihren eigenthuemlichen
Charakter der Gestalt der Pflanzen und Thiere, den Gebirgsthaelern, die den
Dichter umgaben, und der Luft, die ihn umwehte. Wer fuehlt sich nicht, um
selbst nur an nahe Gegenstaende zu erinnern, anders gestimmt, in dem
dunkeln Schatten der Buchen, oder auf Huegeln, die mit einzeln stehenden
Tannen bekraenzt sind; oder auf der Grasflur, wo der Wind in dem zitternden
Laube der Birken saeuselt! Melancholische, ernsterhebende, oder froehliche
Bilder rufen diese vaterlaendische Pflanzengestalten in uns hervor. Der
Einfluss der physischen Welt auf die moralische, dies geheimnissvolle
Ineinander-Wirken des Sinnlichen und Aussersinnlichen, giebt dem
Naturstudium, wenn man es zu hoeheren Gesichtspunkten erhebt, einen
eigenen, noch zu wenig gekannten Reiz.

Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden von allen aeusseren
Erscheinungen zugleich abhaengt; wenn Umriss der Gebirge, Physiognomie der
Pflanzen und Thiere, wenn Himmelsblaeue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit
des Luftkreises, den Totaleindruk bewirken; so ist doch nicht zu laeugnen,
dass das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die Pflanzendecke ist. Dem
thierischen Organismus fehlt es an Masse, und die Beweglichkeit der
Individuen entzieht sie oft unsern Blicken. Die Pflanzenschoepfung dagegen
wirkt durch stetige Groesse auf unsere Einbildungskraft. Ihre Masse
bezeichnete ihr Alter, und in den Gewaechsen allein ist Alter und Ausdruck
stets sich erneuernder Kraft mit einander gepaart. Der riesenfoermige
Drachenbaum, den ich auf den kanarischen Inseln sah, und der 16 Schuh im
Durchmesser hat, traegt noch immerdar (gleichsam in ewiger Jugend) Bluethe
und Frucht. Als franzoesische Abentheurer, die Bethencourts, im vierzehnten
Jahrhundert die gluecklichen Inseln eroberten, war der Drachenbaum von
Oratava (den Eingeborenen heilig wie der Oelbaum in der Burg zu Athen,
oder die nordische Esche, unter der Odin und Asi zusammenkamen) von eben
der kolossalen Staerke als jezt. In den Tropen ist ein Wald von Hymeneen
und Caesalpinien vielleicht das Denkmal von einem Jahrtausend.

Umfasst man die verschiedenen Pflanzenarten, welche bereits auf dem
Erdboden entdeckt sind, und von denen *Willdenow's* grosses Werk allein
ueber 20,000 genau zergliedert, mit Einem Blick; so erkennt man in dieser
wundervollen Menge wenige Hauptformen, auf welche sich alle andere
zurueckfuehren lassen. Zur Bestimmung dieser Formen, von deren individueller
Schoenheit, Vertheilung und Gruppirung die Physiognomie der Vegetation
eines Landes abhaengt, muss man nicht (wie in den botanischen Systemen aus
andern Beweggruenden geschieht) auf die kleinsten Theile der Bluethen und
Fruechte, sondern nur auf das Ruecksicht nehmen, was durch Masse den
Totaleindruck einer Gegend individualisirt. Unter den Hauptformen der
Vegetation giebt es allerdings ganze Familien der sogenannten natuerlichen
Systeme. Bananengewaechse und Palmen werden auch in diesen einzeln
aufgefuehrt. Aber der botanische Systematiker trennt eine Menge von
Pflanzengruppen, welche der Physiognomiker sich gezwungen sieht, mit
einander zu verbinden. Wo die Gewaechse sich als Massen darstellen,
fliessen Umrisse und Vertheilung der Blaetter, Gestalt der Staemme und
Zweige, in einander. Der Mahler (und gerade dem feinen Naturgefuehle des
Kuenstlers kommt hier der Ausspruch zu!) unterscheidet in dem Mittel- und
Hintergrunde einer Landschaft Tannen- oder Palmengebuesehe von Buchen,
nicht aber diese von andern Laubholzwaeldern!

Sechszehn Pflanzenformen bestimmen hauptsaechlich die Physiognomie der
Natur. Ich zaehle nur diejenigen auf, welche ich bei meinen Reisen durch
beide Welttheile, und bei einer vieljaehrigen Aufmerksamkeit auf die
Vegetation der verschiedenen Himmelsstriche zwischen dem 55sten Grade
noerdlicher und dem 12ten Grade suedlicher Breite, beobachtet habe. Die Zahl
dieser Formen wird gewiss ansehnlich vermehrt werden, wenn man einst in
das Innere der Continente tiefer eindringt, und neue Pflanzengattungen
entdeckt. Im suedoestlichen Asien, im Inneren von Afrika und Neuholland, in
Sued-Amerika vom Amazonenstrome bis zum Gebirge Chiquitos hin, ist uns die
Vegetation noch voellig unbekannt. Wie, wenn man gar ein Land entdeckte, in
welchem holzige Schwaemme, z. B. Calvarien oder Moose, hohe Baeume bildeten?
Nekera dendroides, ein deutsches Laubmoos, ist in der That baumartig, und
die tropischen Farrenkraeuter, oft hoeher als unsere Linden und Erlen, sind
fuer den Europaeer noch jezt ein eben so ueberraschender Anblick, als dem
ersten Entdecker ein Wald hoher Laubmoose seyn wuerde! Groesse und
Entwickelung der Organe haengt von der Beguenstigung klimatischer
Verhaeltnisse ab. Die kleine, aber schlanke Form unserer Eidechse dehnt
sich im Sueden zu dem kolossalen und gepanzerten Koerper furchtbarer
Crocodyle aus. In den ungeheuern Katzen von Afrika und Amerika, im Tiger,
im Loewen und Jaguar, ist die Gestalt eines unserer kleinsten Hausthiere
nach einem groesseren Maasstabe wiederholt. Dringen wir gar in das Innere
der Erde, durchwuehlen wir die Grabstaette der Pflanzen und Thiere, so
verkuendigen uns die Versteinerungen nicht bloss eine Vertheilung der
Formen, die mit den jetzigen Klimaten in Widerspruch steht; nein, sie
zeigen uns auch kolossale Gestalten, welche mit den kleinlichen, die uns
gegenwaertig umgeben, nicht minder contrastiren, als die einfache
Heldennatur der Griechen gegen die Charaktergroesse neuerer Zeit. Hat die
Temperatur des Erdkoerpers betraechtliche, vielleicht periodisch
wiederkehrende Veraenderungen erlitten; ist das Verhaeltniss zwischen Meer
und Land, ja selbst die Hoehe des Luftozeans und sein Druck nicht immer
derselbe gewesen: so muss die Physiognomie der Natur, so muessen Groesse und
Gestalt des Organismus, ebenfalls schon manchem Wechsel unterworfen
gewesen sein. Unfaehig, diese Physiognomie des alternden Planeten nach
ihren gegenwaertigen Zuegen vollstaendig zu schildern, wage ich nur
diejenigen Charaktere auszuheben, welche jeder Pflanzengruppe vorzueglich
zukommen. Bei allem Reichthum und aller Biegsamkeit unserer
vaterlaendischen Sprache, ist es ein schwieriges Unternehmen, mit Worten zu
bezeichnen, was eigentlich nur der nachahmenden Kunst des Malers
darzustellen geziemt. Auch wuenschte ich, das Ermuedende des Eindrucks zu
vermeiden, das jede Aufzaehlung einzelner Formen unausbleiblich erregen
muss.

Wir beginnen mit den *Palmen*, der hoechsten und edelsten aller
Pflanzengestalten. Denn ihr haben stets die Voelker (und die frueheste
Menschenbildung war in der asiatischen Palmenwelt, oder in dem Erdstriche,
der zunaechst an die Palmenwelt graenzt) den Preis der Schoenheit zuerkannt.
Hohe, schlanke, geringelte, bisweilen stachliche Schaefte mit anstrebendem,
glaenzendem, bald gefaechertem, bald gefiedertem Laube. Die Blatter sind oft
grasartig gekraeuselt. Der glatte Stamm erreicht bis 180 Fuss Hoehe. Die
Palmenform nimmt an Pracht und Groesse ab, vom Aequator gegen die
gemaessigte Zone hin. Europa hat unter seinen einheimischen Gewaechsen nur
einen Repraesentanten dieser Form, die zwergartige Kuestenpalme, den
Chamaerops, der in Spanien und Italien sich noerdlich bis zum 44sten
Breitengrade erstreckt. Das eigentliche Palmenklima der Erde hat
21 deg.. mittlerer Waerme. Aber die aus Afrika zu uns gebrachte Dattelpalme,
welche minder schoen als andere Arten dieser Gruppen ist, vegetirt noch im
suedlichen Europa in Gegenden, deren mittlere Temperatur 14 deg.. also mehr als
doppelt groesser, als die von Berlin, ist. Palmenstaemme und
Elephantengerippe liegen im noerdlichen Deutschlande im Inneren der Erde
vergraben, und ihre Lage macht es wahrscheinlich, dass sie nicht von den
Tropen her gegen Norden geschwemmt wurden; sondern, dass in den grossen
Revoluzionen unseres Planeten die Klimate, wie die durch sie bestimmte
Physiognomie der Natur, vielfach veraendert worden sind.

Zu den Palmen gesellt sich in allen Welttheilen die Pisang oder
*Bananenform*, die Scitamineen der Botaniker, _Heliconia_, _Amomum_,
_Strelitzia_. Ein niedriger aber saftreicher, fast krautartiger Stamm, an
dessen Spitze sich duenn und lokkergewebte, zartgestreifte,
seidenartig-glaenzende Blaetter erheben. Pisanggebuesche sind der Schmuck
feuchter Gegenden. Auf ihrer Frucht beruht die Nahrung aller Bewohner des
heissen Erdguertels. Wie die mehlreichen Cerealien oder Getreidearten des
Nordens, so begleiten Pisangstaemme den Menschen seit der fruehesten
Kindheit seiner Kultur. Asiatische Mythen setzen die urspruengliche Heimath
dieser naehrenden Tropenpflanze an den Euphrat, oder an den Fuss des
Himalus in Indien. Griechische Sagen nennen die Gefilde von Enna als das
glueckliche Vaterland der Cerealien. Wenn diese, durch die Kultur ueber die
noerdliche Erde verbreitet, und dort einfoermige weitgedehnte Grasfluren
bildend, wenig den Anblick der Natur verschoenern, so vervielfacht dagegen
der sich ansiedelnde Tropenbewohner durch Pisangpflanzungen eine der
herrlichsten und edelsten Gestalten.

*Malvenform*, _Sterculia_, _Hibiscus_, _Lavatera_, _Ochroma_. Kurze aber
kolossalisch dikke Staemme mit zartwolligen, grossen, herzfoermigen, oft
eingeschnittenen Blaettern, und prachtvollen oft purpurrothen Bluethen. Zu
dieser Pflanzengruppe gehoert der Affenbrodbaum, _Adansonia digitata_, der
bei 32 Fuss Hoehe 30 Fuss Durchmesser hat, und der wahrscheinlich das
groesste und aelteste organische Denkmahl auf unserm Planeten ist. in
Italien faengt die Malvenform bereits an, der Vegetation einen
eigenthuemlichen suedlichen Charakter zu geben.

Dagegen entbehret unsere gemaessigte Zone im alten Continent leider ganz
die zartgefiederten Blaetter, die *Form der Mimosen*, _Gleditsia_,
_Porleria_, _Tamarindus_. Den vereinigten Staaten von Nord-Amerika, in
denen unter gleicher Breite die Vegetation mannichfaltiger und ueppiger als
in Europa ist, fehlt diese schoene Form nicht. Bei den Mimosen ist eine
schirmartige Verbreitung der Zweige, fast wie bei den italienischen
Pinien, gewoehnlich. Die tiefe Himmelsblaeue des Tropenklimas durch die
zartgefiederten Blaetter schimmernd, ist von ueberaus malerischem Effekte.

Eine meist afrikanische Pflanzengruppe sind die *Heidekraeuter*; dahin
gehoeren auch die _Andromeda_, _Passerinen_ und _Gnidien_, eine Gruppe, die
mit der der Nadelhoelzer einige Aehnlichkeit hat, und eben deshalb mit
dieser durch die Fuelle glokkenfoermiger Bluethen, desto reizender
contrastirt. Die baumartigen Heidekraeuter, wie einige andere afrikanische
Gewaechse, erreichen das noerdliche Ufer des Mittelmeers. Sie schmuekken
Welschland und die Cistus-Gebuesche des suedlichen Spaniens. Am ueppigsten
wachsend habe ich sie auf den afrikanischen Inseln, am Abhange des *Pics*
von *Teyde* gesehen. Bei uns in den baltischen Laendern, und noch
noerdlicher hin, ist diese Pflanzenform gefuerchtet, Duerre und
Unfruchtbarkeit verkuendigend. Unsere Heidekraeuter, _Erica vulgaris_ und
_tetralix_ sind gesellschaftlich lebende Gewaechse, gegen deren
fortschreitenden Zug die ackerbauenden Voelker seit Jahrhunderten mit
wenigem Gluekke ankaempfen. Sonderbar, dass der Hauptrepraesentant dieser
Form blos einer Seite unsers Planeten eigen ist. Von den 137 jezt
bekannten Arten von _Erica_ findet sich auch nicht eine einzige im neuen
Continent von Pensilvanien und Labrador bis gegen Nootka und Alaschka hin.

Dagegen ist bloss dem neuen Continent eigenthuemlich die *Cactusform*, bald
kugelfoermig, bald gegliedert, bald in hohen, vielekkigen Saeulen, wie
Orgelpfeifen, aufrechtstehend. Diese Gruppe bildet den hoechsten Contrast
mit der Gestalt der Liliengewaechse und der Bananen. Sie gehoert zu den
Pflanzen, welche Bernardin de St. Pierre sehr gluecklich die
vegetabilischen Quellen der Wueste nennt. In den wasserleeren Ebenen von
Suedamerika suchen die von Durst geaengsteten Thiere den _Melonen-Cactus_,
eine kugelfoermige, halb im duerren Sande verborgene Pflanze, deren
saftreiches Innere unter furchtbaren Stacheln versteckt ist. Die
saeulenfoermigen Cactus-Staemme erreichen bis 30 Fuss Hoehe und
candelaberartig getheilt, haben sie eine auffallende Aehnlichkeit der
Physiognomie mit einigen afrikanischen Euphorbien.

Wie diese gruene Wasen in den pflanzenleeren Wuesten bilden, so beleben die
*Orchideen* den vom Licht verkohlten Stamm der Tropenbaeume und die oedesten
Felsenritzen. Die Vanillenform zeichnet sich durch hellgruene saftvolle
Blaetter und durch vielfarbige Bluethen von wunderbarem Baue aus. Diese
Bluethen gleichen bald den gefluegelten Insekten, bald den zarten Voegeln,
welche der Duft der Honiggefaesse anlokket. Das Leben eines Malers waere
nicht hinlaenglich, um alle die prachtvollen Orchideen abzubilden, welche
die tiefausgefurchten Gebirgsthaeler der peruanischen Andeskette zieren.

Blattlos, wie fast alle Cactusarten, ist die *Form der Casuarinen*, einer
Pflanzengestalt, bloss der Suedsee und Ostindien eigen. Baeume mit
schachtelhalmaehnlichen Zweigen. Doch finden sich auch in andern
Weltgegenden Spuren dieses mehr sonderbaren als schoenen Typus. *Plumier's*
_Equisetum altissimum_, die Ephedra aus Nord-Afrika, die peruanischen
Colletien und das sibirische Calligonum Pallasia, sind der Casuarinenform
nahe verwandt.

So wie in den Pisanggewaechsen die hoechste Ausdehnung, so ist in den
Casuarinen und in den *Nadelhoelzern* die hoechste Zusammenziehung der
Blattgefaesse. Tannen, Thuja und Cypressen bilden eine nordische Form, die
in den Tropen selten ist. Ihr ewig-frisches Gruen erheitert die oede
Winter-Landschaft. Es verkuendigt gleichsam den Polarvoelkern, dass, wenn
Schnee und Eis den Boden bedekken, das innere Leben der Pflanzen, wie das
Prometheische Feuer, nie auf unserm Planeten erlischt.

Parasitisch wie bei uns Moose und Flechten, ueberziehen in der Tropenwelt
ausser den Orchideen auch die *Pothosgewaechse* den alternden Stamm der
Waldbaeume. Saftige, krautartige Stengel mit grossen, bald pfeilfoermigen,
bald gefingerten, bald laenglichen aber stets dik-adrigen Blaettern. Blumen
in Scheiden. _Pothos_, _Dracontium_, _Arum_, leztere dem Norden fehlend,
aber in Spanien und Italien mit saftvollem Huflattig, hohen Distelstauden
und _Acanthus_, die Ueppigkeit des suedlichen Pflanzenwuchses bezeichnend.

Zu dieser *Arumform* gesellt sich die Form der *Lianen*, beide in heissen
Erdstrichen von Sued-Amerika in vorzueglicher Kraft der Vegetation.
_Paullinia_, _Banisteria_, _Bignonien_. Unser rankender Hopfen und unsere
Weinreben erinnern an diese Pflanzengestalt der Tropenwelt. Am Orinoco
haben die blattlosen Zweige der _Bauhinien_ oft 40 Fuss Laenge. Sie fallen
theils senkrecht aus dem Gipfel hoher Swietenien herab; theils sind sie
schraeg wie Masttaue ausgespannt, und die Tigerkatze hat eine
bewundernswuerdige Geschiklichkeit, daran auf- und abzuklettern.

Mit den biegsamen sich rankenden Lianen, mit ihrem frischen und leichten
Gruen, kontrastirt die selbststaendige Form der blaeulichen *Aloegewaechse*;
Staemme, wenn sie vorhanden sind, fast ungetheilt, enggeringelt und
schlangenartig gewunden. An dem Gipfel sind saftreiche, fleischige,
lang.zugespitzte Blaetter stralenartig zusammengehaeuft. Die hochstaemmigen
Aloegewaechse bilden nicht Gebuesche, wie andere gesellschaftlich lebende
Pflanzen. Sie stehen einzeln in duerren Ebenen, und geben der Tropengegend
dadurch oft einen eigenen melancholischen (man moechte sagen afrikanischen)
Charakter.

Wie die Aloeform sich durch ernste Ruhe und Festigkeit, so charakterisirt
sich die *Grasform*, besonders die Physiognomie der baumartigen Graeser,
durch den Ausdruck froehlicher Leichtigkeit und beweglicher Schlankheit.
Bambusgebuesche bilden schattige Bogengaenge in beiden Indien. Der glatte,
oft geneigt-hinschwebende Stamm der Tropen-Graeser uebertrift die Hoehe
unserer Erlen und Eichen. Schon in Italien faengt im _Arundo Donax_ diese
Form an, sich vom Boden zu erheben, und durch Hoehe und Masse den
Naturcharakter des Landes zu bestimmen.

Mit der Gestalt der Graeser ist auch die der *Farrenkraeuter* in den heissen
Erdstrichen veredelt. Baumartige, oft 35 Fuss hohe Farrenkraeuter haben ein
palmenartiges Ansehen; aber ihr Stamm ist minder schlank, kuerzer,
schuppig-rauher als der der Palmen. Das Laub ist zarter, lokker gewebt,
durchscheinend, und an den Raendern sauber ausgezakt. Diese kolossalen
Farrenkraeuter sind fast ausschliesslich den Tropen eigen, aber in diesen
ziehen sie ein gemaessigtes Klima dem ganz heissen vor. Da nun die
Milderung der Hitze bloss eine Folge der Hoehe ist; so darf man Gebirge,
die 2 bis 3000 Fuss ueber dem Meere erhaben sind, oder die Hoehe unsers
deutschen Brokkens, als den Hauptsiz dieser Form nennen. Hochstaemmige
Farrenkraeuter begleiten in Sued-Amerika den wohlthaetigen Baum, der die
heilende Fieberrinde darbietet. Beide bezeichnen die gluekliche Region der
Erde, in der ewige Milde des Fruehlings herrscht.

Noch nenne ich die Form der *Liliengewaechse*, (_Amaryllis_, _Pancratium_)
mit schilfartigen Blaettern und prachtvollen Bluethen, eine Form, deren
Hauptvaterland das suedliche Afrika ist; ferner die *Weidenform*, in allen
Welttheilen einheimisch; und wo _Salix_ fehlt, in den _Banksien_ und
einigen _Proteen_ wiederholt; *Myrthengewaechse*, (_Metrosideros_,
_Eucalyptus_, _Escallonia_) *Melastomen-* und *Lorbeerform*.

Es waere ein Unternehmen, eines grossen Kuenstlers werth, den Charakter
aller dieser Pflanzengruppen nicht in Treibhaeusern oder in den
Beschreibungen der Botaniker, sondern in der grossen Tropen-Natur selbst,
zu studiren. Wie interessant und lehrreich fuer den Landschaftsmaler ware
ein Werk, welches dem Auge die aufgezaehlten sechszehn Hauptformen, erst
einzeln, und dann in ihrem Contraste gegen einander, darstellte. Was ist
malerischer, als baumartige Farrenkraeuter, die ihre zartgewebten Blaetter
ueber die Mexikanischen Lorbeereichen ausbreiten! Was reizender, als
Pisanggebuesche von hohen Bambusgraesern umschattet! Dem Kuenstler ist es
gegeben, die Gruppen zu zergliedern, und unter seiner Hand loest sich (wenn
ich den Ausdruk wagen darf) das grosse Zauberbild der Natur, gleich den
geschriebenen Werken der Menschen, in wenige einfache Zuege auf!

Am gluehenden Sonnenstral des tropischen Himmels gedeihen die herrlichsten
Gestalten der Pflanzen. Wie im kalten Norden die Baumrinde mit duerren
Flechten und Laubmoosen bedekt ist, so beleben dort Cymbidium und duftende
Vanille den Stamm der Anacardien und der riesenmaessigen Feigenbaeume. Das
frische Gruen der Pothosblaetter und der Dracontien kontrastirt mit den
vielfarbigen Bluethen der Orchideen. Rankende Bauhinien, Passifloren und
gelbbluehende Banisterien umschlingen den Stamm der Waldbaeume. Zarte Blumen
entfalten sich aus den Wurzeln der _Theobroma_, wie aus der dichten und
rauhen Rinde der Crescentien und der _Gustavia_. Bei dieser Fuelle von
Bluethen und Blaettern, bei diesem ueppigen Wuchse und der Verwirrung
rankender Gewaechse, wird es dem Naturforscher oft schwer zu erkennen,
welchem Stamme Bluethen und Blaetter zugehoeren. Ein einziger Baum mit
Paullinien, Bignonien und Dendrobium geschmuekt, bildet eine Gruppe von
Pflanzen, welche, von einander getrennt, einen betraechtlichen Erdraum
bedekken wuerden.

In den Tropen sind die Gewaechse saftstrotzender, von frischerem Gruen, mit
groesseren und glaenzenderen Blaettern geziert, als in den noerdlichern
Erdstrichen. Gesellschaftlich lebende Pflanzen, welche die europaeische
Vegetation so einfoermig machen, fehlen am Aequator beinah gaenzlich. Baeume,
fast zweimal so hoch als unsere Eichen, prangen dort mit Bluethen, welche
gross und prachtvoll wie unsere Lilien sind. An den schattigen Ufern des
Madalenenflusses in Sued-Amerika waechst eine rankende Aristolochia, deren
Blume, von vier Fuss Umfang, sich die indischen Knaben in ihren Spielen
ueber den Scheitel ziehen.

Die ausserordentliche Hoehe, zu welcher sich unter den Wendekreisen nicht
blos einzelne Berge, sondern ganze Laender erheben, und die Kaelte, welche
Folge dieser Hoehe ist, gewaehren dem Tropen-Bewohner einen seltsamen
Anblik. Ausser den Palmen und Pisanggebueschen umgeben ihn auch die
Pflanzenformen, welche nur den nordischen Laendern anzugehoeren scheinen.
Cypressen, Tannen und Eichen, Berberisstraeucher und Erlen (nahe mit den
unsrigen verwandt) bedekken die Gebirgsebenen im suedlichen Mexiko, wie die
Andeskette unter dem Aequator. So hat die Natur dem Menschen in der
heissen Zone verliehen, ohne seine Heimath zu verlassen, alle
Pflanzengestalten der Erde zu sehen; wie das Himmelsgewoelbe von Pol zu Pol
ihm keine seiner leuchtenden Welten verbirgt.

Diesen und so manchen andern Naturgenuss entbehren die nordischen Voelker.
Viele Gestirne und viele Pflanzenformen, von diesen gerade die schoensten,
(Palmen und Pisanggewaechse, baumartige Graeser und feingefiederte Mimosen)
bleiben ihnen ewig unbekannt. Die krankenden Gewaechse, welche unsere
Treibhaeuser einschliessen, gewaehren nur ein schwaches Bild von der
Majestaet der Tropenvegetation. Aber in der Ausbildung unserer Sprache, in
der gluehenden Phantasie des Dichters, in der darstellenden Kunst der
Maler, ist uns eine reiche Quelle des Ersatzes geoefnet. Aus ihr schoepft
unsere Einbildungskraft die lebendigen Bilder einer exotischen Natur. Im
kalten Norden, in der oeden Heide, kann der einsame Mensch sich aneignen,
was in den fernsten Erdstrichen erforscht wird, und so in seinem Innern
eine Welt sich schaffen, welche das Werk seines Geistes, frei und
unvergaenglich, wie dieser, ist.






***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IDEEN ZU EINER PHYSIOGNOMIK DER GEWAeCHSE***



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September 24, 2007

            Project Gutenberg TEI edition 1
            Ralf Stephan



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***FINIS***