Project Gutenberg's Berlin--Panorama einer Weltstadt, by Karl Gutzkow

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Title: Berlin--Panorama einer Weltstadt

Author: Karl Gutzkow

Release Date: February, 2006 [EBook #9977]
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[This file was first posted on November 6, 2003]

Edition: 10

Language: German

Character set encoding: ISO Latin-1

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BERLIN--PANORAMA EINER WELTSTADT ***




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BERLIN--Panorama einer Weltstadt

von KARL GUTZKOW




Inhaltsverzeichnis


I. "Weltstadt"-Panorama
  Cafe Stehely (1831)
  Cholera in Berlin (1831)
  Alte Bauten-neue Bauten (1832)
  Dom, Schauspielhaus-"Sechserbruecke" (1840)
  Blumenausstellung in Stralow (1840)
  Notizen (1841)
  Berlins sittliche Verwahrlosung (1843)
  Der Geist der Oeffentlichkeit (1844)
  Mysteres de Berlin? (1844)
  Impressionen-z.B.: Borsig (1854)
  Quatsch, Kroll und "Satanella" (1854)
  Neues Museum-Schlosskapelle-Bethanien (1854)
  Zur Aesthetik des Haesslichen (1873)

II. Fuer und wider Preussens Politik
  Ueber die historischen Bedingungen einer preussischen Verfassung (1832)
  Drei preussische Koenige (1840)
  Das Barrikadenlied (1848)
  Landtag oder Nicht-Landtag (1848)
  Preussen und die deutsche Krone (1848)
  Abwehr einer Verleumdung (1850)
  Varnhagens Tagebuecher (1861)
  Vorlaeufiger Abschluss der Varnhagenschen Tagebuecher (1862)

III. Drei Berliner Theatergroessen
  Ernst Raupach (1840)
  Ludwig Tieck und seine Berliner Buehnenexperimente (1843)
  Madame Birch-Pfeiffer und die drei Musketiere (1846)

IV. Aus dem literarischen Berlin
  Der Sonntagsverein (1833)
  Cypressen fuer Charlotte Stieglitz (1835)
  Diese Kritik gehoert Bettinen (1843)
  Ein preussischer Roman (1849)
  Eine naechtliche Unterkunft (1870)
  Zum Gedaechtnis Wilhelm Haerings (Willibald Alexis) (1872)
  Lyrisches aus dem Zeitungsviertel (1873)
  Louise Muehlbach und die moderne Romanindustrie (1873)




I. "Weltstadt"--Panorama




Cafe Stehely (1831)


Ob man bei Stehely einen Begriff von der Verberlinerung der Literatur
bekommen kann--ganz gewiss, oder man muesste sich taeuschen in dieser
stummen Bewegungssprache, die einen Haufen von Zeitschriften mit wilder
Begier und neidischem Blick zusammentraegt, ihn mit der Linken sichert
und mit der Rechten eine nach der andern vor die starren, teilnahmslosen
Gesichtszuege haelt. Die Eisenstange und das Schloss des Journals scheint
mit schwerer Gewalt auch seine Zunge zu fesseln--wer wuerde hier seinen
Nachbar auf eine interessante Notiz aufmerksam machen? Ein feindliches
Heer koennte eine Meile von Berlin entfernt sein, kein Mensch wuerde die
Geschichte vortragen, man wuerde auf den Druck warten und auch dann noch
ein Exemplar durch aller Haende wandern lassen--fast in der Weise, wie in
Stralow die honetten Leute vor jeder lebhafteren Gruppe vorbeigehen mit
dem troestenden Zuruf, man wuerd' es ja morgen gedruckt lesen.

Stehelys Besucher bilden natuerlich zwei Klassen, die Jungen und die
Alten, mit der naeheren Bezeichnung, dass die Jungen ans Alter, die Alten
an die Jugend denken. Jene sind Literaten in der guten Hoffnung, einst
sich so zu sehen, wie man jetzt die Klassiker sieht, weihrauchumnebelt;
diese sind Beamte, alte Offiziers, die in einem Atem von den politischen
Stellungen des preussischen Staats, den Fuessen der Elsler, den Koloraturen
der Sontag, dem Spiel der Schechner sprechen! Nichts Unerbaulicheres! Vor
dem Gespraech dieser alten Gecken moechte man sich die Ohren zuhalten, oder
in die einsamere Klause des letzten Zimmers fluechten. Schon wenn sie
angestiegen kommen, zumal jetzt im Winter; diese dummen, loyalen
Gesichter, diese Socken und Pelzschuhe, deren Tritt nicht das leiseste
Ohr erspaehen koennte. Triumphierend rufen sie um die "Staatszeitung",
forschen nach den privatoffiziellen Erklaerungen eines H., v. R., v. Wsn.
Hierauf lesen sie die Berliner Korrespondenzen in der "Allgemeinen
Zeitung", die ja wohl der Ausdruck der Berliner oeffentlichen Meinung, als
wenn es eine solche gaebe, sein sollen, und wenn sie sich dann noch an den
logischen Demonstrationen der Mitteilungen aus der "Posener Zeitung"
gestaerkt haben, fallen sie uebers Theater her und man muss sie verlassen.
Ihnen am naechsten stehen einige langgestreckte Gardeleutnants und
Referendare, die sich dadurch unterscheiden, dass die einen viel sprechen
und wenig denken, die andern wenig denken und viel sprechen. Diese geben
den Uebergang zu den schon vorhin bezeichneten Juengeren, auf die wir unten
des breiteren zurueckkommen muessen.

Es fehlt hier also durchaus nicht an den Mitteln und Elementen, sich ein
Bild der Berlinerei vorzufuehren. Man verlasse das Lokal und bei jeder
Aussicht wird man fuer sein Bild noch immer treffendere und bezeichnendere
Zuege finden. Sogleich die Ansicht einer Kirche, die ausserdem, dass sie
eine Kirche ist, auch keine ist. Wie ein Luftball, der unten einen
Fallschirm zur Sicherheit traegt, erhebt sich die stolze Vorderseite
dieses Domes, leere Steinmassen und hohler Prunk, und hinten dann das
geschmackloseste Anhaengsel einer kappenfoermigen Kuppel, die doch das
Wahre an dem ganzen Laerm ist in ihrer sonntaeglichen Bestimmung. Wiederum
vom Opernplatz aus furchtbare Steinmassen, Urkunden des Ungeschmacks aus
dem 16ten und 17ten Saekulum, Hunderte von Fenstern erinnern an die Zeiten
der Aufklaerung und der Illuminaten, die kahlen Kulturversuche finden sich
wieder in diesen leeren Waenden, die sich ohne Unterbrechung 80-90 Fuss in
die Hoehe glaetten. Gilt dies freilich mehr gegen eine vergangene Zeit, so
haelt es doch nicht schwer, das alles wiederzufinden in der
Galanteriewarenmanier der neuesten Bauten, wo der Ernst nur ein
uebertuenchter ist ...




Cholera in Berlin (1831)


... Im gegenwaertigen Augenblick beschaeftigt uns am meisten die seit dem
ersten d. M. hier wirklich angekommene Cholera: Auf der Frankfurter
Journaliere erwartet und auf die Kontumazanstalt verwiesen, hat sie einen
anderen Weg genommen, durch den Finowkanal. Die naeheren Umstaende des
ersten Cholerafalles sind in der Tat tragikomisch, der Schluss fast
balladenartig. An die Moeglichkeit, dass die Cholera nach Charlottenburg
(eine halbe Meile von Berlin) kaeme, hatte man nicht gedacht, der Hof
hatte sich im dortigen Schlosse absperren wollen und eine Anzahl
Proviantwagen war schon dahin abgegangen. Da erscholl ploetzlich von
dorther die Kunde von einem an der Cholera gestorbenen Schiffer.
Polizeibeamte und die wachslinnenen, steifen Harnischmaenner, die zur
Wartung der Cholerakranken eigens errichtete Garde, eilen hinaus und in
dem stolzen Bewusstsein, im Kampfe die ersten zu sein, tun sie sich ein
wenig zu Gute. Der Tote wird eingesargt, und des Nachts sollen ihn die
Waerter auf einem Kahne vom Schiffe abholen; doch am andern Morgen erfuhr
man, dass bis auf einen ans Ufer getriebenen Mann alle untergegangen, und
die Fischer bei Spandau einen Sarg im Netze gefangen hatten. Da nun
dieser mit der Spree in Beruehrung gekommen ist, will man weder Fische
noch Krebse essen. Jene Proviantwagen sind auch wieder zurueckgekehrt, und
soviel man weiss, wird sich der Koenig auf die Pfaueninsel bei Potsdam
begeben.

Der erste Erkrankungsfall in Berlin selbst war der eines Schiffers,
gerade in der Mitte der Stadt. Bis jetzt sollen 29 erkrankt und 21
gestorben sein. Man klagt ueber die Mutlosigkeit und Unbeholfenheit der
hiesigen Aerzte: Wir hatten gehofft, erfahrene Maenner aus den infizierten
Gegenden hieher gezogen zu sehen; doch ist von einer solchen Sorgfalt
noch nichts bekannt geworden. Die oeffentliche Stimmung ist bis jetzt noch
so ziemlich gemaessigt, doch sind Vergnuegungsoerter gegenwaertig weniger
besucht, und das Raffen nach Praeservativen, Leibbinden, Harzpflastern ist
allgemein; Dienstboten werden entlassen, manche Nahrungszweige stocken
gaenzlich. Es lassen sich die Folgen des kommenden Elends noch nicht
berechnen.




Alte Bauten--neue Bauten (1832)


... In den langweiligen Zeiten der Restauration, vor den militaerischen
Ruestungen und den Verheerungen der Cholera, waren die Kassen des Staats
reicher gefuellt als gegenwaertig. Berlin war in zunehmender Verschoenerung
begriffen; die Auffuehrung vieler oeffentlicher Gebaeude liess ebensosehr den
Geschmack bewundern, in dem sie angelegt und vollendet wurden, als die
Vorsicht loben, die einem grossen Teile unserer Proletairs eine reichliche
Nahrungsquelle sicherte. Diese Baulust ging damals auch auf Privatleute
ueber, deren Geld und Unternehmungsgeist Berlin um ein prachtvoll gebautes
Stadtquartier vergroesserte. Aber auch von dieser Seite stehen alle Plane
gegenwaertig still. Die beiden oeffentlichen Bauten, an die in diesem
Augenblick allein gedacht wird, sind die voellige Umgestaltung des
sogenannten Packhofes, eines Stapelplatzes und Warenlagers fuer die
ankommenden Kaufmannsgueter, und ein kuenftiger Neubau der Bauakademie. Wer
in Berlin gewesen ist, weiss, dass er, um vom Schlossplatze nach der
Jaegerstrasse zu kommen, sich durch die lebhafteste, aber zugleich auch
engste Passage, die Werderschen Muehlen, die Schleusenbruecken, die
Verbindung unserer Alt- und Neustadt, durchwinden muss. Spaeter wird diese
unbequeme Gegend gelichtet werden. Dicht an der genannten Bruecke wird
rechts ein freier Platz beginnen, der die Aussicht nach dem
Packhofgebaeude und der Werderschen Kirche frei macht. Gewinnen werden bei
einem solchen Projekt die Besitzer jenes Haeuserwinkels von der
Niederlagstrasse bis zur Bruecke, verlieren aber muss die kleine, winzige
Werdersche Kirche, deren Unbedeutendheit bei einer grossartigern und
freiern Umgebung nur deutlicher hervortreten wird.

Der Bau der obengenannten Akademie hat noch nicht begonnen, aber es kann
auch noch lang mit ihm anstehen, da der gegenwaertige Zustand dieses
Instituts einen so bedeutenden Kostenaufwand nicht vergilt. Diese einst
so bluehende Anstalt ist gegenwaertig durch die Eroeffnung neuer
Provinzialbauschulen und die Gewerbeakademie, die sich unter der Leitung
des Hrn. Beuth, unsers kuenftigen Handels- und Gewerbeministers, immer
mehr hebt, in die tiefste Zerruettung gesunken, so dass die Zahl der an ihr
angestellten Lehrer der der Schueler gleichkommen mag. Darum bleibt
vielleicht dieses Bauprojekt einstweilen noch unausgefuehrt....




Dom, Schauspielhaus--"Sechserbruecke" (1840)


Von meiner Wohnung aus ist mir ein Blick auf die Umgebungen des Schlosses
gewaehrt, auf eine Ueberfuelle von grossen Gebaeuden, die die Gegend von dem
Anfang der Linden bis zum Dom zu einem der merkwuerdigsten Plaetze Europas
machen. Stoerten mich nur nicht am Dom die beiden Zwillingsableger des
grossen Turms! Neben einer grossen Kuppel, die schon an sich unwesentlich
ist, da sie fuer das Innere der Kirche gar keinen Wert hat, sondern nur
als blosse architektonische Verzierung dient, haben sich noch zwei kleine
Schwalbennester wie zwei Major-Epauletts niedergelassen. Man hatte dabei
wahrscheinlich die Isaakskirche in Petersburg vor Augen; aber dort
gehoeren diese kleinen Tuerme zum Kultus, indem sie auf einzelne Kapellen
Licht fallen lassen, sie sind so zahlreich bei den russischen Kirchen
angebracht, dass sie schon dadurch etwas fuer die dortige heilige
Architektur Wesentliches vorstellen. Hier in Berlin, wo man so viel
Russisches in der Politik und den Militaeruniformen nachahmte, wollte man
auch der Hauptkirche der Stadt eine russische Perspektive geben und
Schinkel war schwach genug, die beiden kleinen Vogelbauer neben den
groessern Turm der Kirche zwecklos und unschoen hinzustellen. Ueberhaupt
wuerden die Gebaeude der Residenz mehr kuenstlerischen Wert haben, wenn
Schinkel, ein so reicher, erfinderischer, sinniger Kopf, jenen echten
Kuenstlerstolz besaesse, der ihn verhindert haette, Aenderungen seiner
urspruenglichen Bauplaene hinzunehmen. Eine hoehere Hand, deren Munifizenz
allerdings ruhmvoll anerkannt werden muss, strich ihm bei vielen seiner
vorgelegten Bauplaene meist immer das Charakteristische und Kecke weg.
Alles Hohe, Hinausspringende, Hinausragende (z.B. dreist aufschiessende
Tuerme an den Kirchen) wird von einem an sich ganz achtbaren, aber in
Kunstsachen unbequemen Sinn fuer das Bequeme, Bescheidene, Zurueckhaltende
weggewuenscht. Es ist nicht ruehmlich fuer Schinkel, dass er bei seinen
zahlreichen Baugrundrissen dem Kuenstlerstolz so viel vergeben hat.

Schinkel hat in seinen geistvoll geschriebenen Erlaeuterungen zu seinen
Bauten auch alle die Umstaende angefuehrt, die ihn bewogen, dem
Schauspielhause seine jetzige Gestalt zu geben. Wenn an einem
oeffentlichen Gebaeude die Fassade nicht einmal als Ein- und Ausgang
benutzt wird, wenn man auf einer grossen Freitreppe Gras wachsen sieht,
so regt sich unwillkuerlich das Gefuehl, das Unbenutzte auch fuer eine
Ueberladung zu halten. Doch moegen die Kenner ueber den aeussern
architektonischen Wert des Schauspielhauses entscheiden! Das Innere
dieses Theaters, wiederum nicht ausgehend von der speziellen Ansicht
Schinkels, hat ganz jenen gedrueckten Miniatur- und Privatcharakter, den
ein Haus, das frueher Nationaltheater hiess, nicht haben sollte. Es waere
vielleicht nicht noetig gewesen, dies Theater groesser, als fuer 1200
Menschen zu bauen; aber warum dieser wunderliche Charakter der Isolierung
in der Anlage des Ganzen? Ein Rang ist dem andern unsichtbar. Das
Parterre und die Parkettlogen sehen nichts von den Raengen. Man weiss an
einer Stelle des Hauses nicht, ob es an der andern besetzt ist. Eine
Uebersicht des Ganzen ist nur auf dem Proszenium und Podium moeglich, so
dass man, um zu wissen, ob das Haus besetzt war, die Schauspieler fragen
muss. Jedenfalls geht durch dieses Privatliche, das dem Hause aufgedrueckt
ist, zweierlei verloren. Einmal eine groessere gesellschaftliche
Annehmlichkeit. Da sich das ganze Publikum nicht beisammen sieht, da der
eine dem Auge des andern entzogen ist, so faellt der Charakter einer
geselligen Zusammenkunft, der so oft fuer eine schlechte Vorstellung
Ersatz geben koennte, in diesem Theater gaenzlich weg. Man kann Bruder und
Schwester im Theater haben und sieht sie nicht. Das zweite Unangenehme
dieser winkeligen Bauart ist, dass sich das Publikum nicht als solches
bildet. Publikum heisst eine Masse, die sich ihrer Kraft ansichtig ist und
das Bewusstsein einer Korporation dem Spiel gegenueber zu behaupten weiss.
Wo man im Parterre nicht sehen kann, welche Mienen der zweite Rang macht,
wo ein Besucher des Theaters nur immer auf den Ruecken des andern
angewiesen ist, da kann auch keine Totalitaet des Urteils stattfinden;
jeder ist auf sich angewiesen und der Schauspieler bleibt ohne die
richtige Wuerdigung seiner Leistung. Mir haben viele Schauspieler gesagt,
dass Berlin kein Publikum mehr hat. Der Grund liegt darin, dass die
Lokalitaet dieses Publikum verhindert, sich als solches kennenzulernen und
auszubilden....

Noch eine Bemerkung will ich hier machen. Von meinem Gasthofe fuehrt eine
Bruecke auf den Schlossplatz. Diese Passage ist nur fuer ein kleines
Brueckengeld gestattet, welches von einer Gesellschaft, die diese
Verbindung auf eigene Kosten anlegte, erhoben wird. Jeder Buergerliche
zahlt am Ende der Bruecke eine Kleinigkeit. Das Militaer ist frei. Warum?
Ich denke, weil die gemeinen Soldaten in Berlin herumzuschlendern pflegen
und von der Bedeutung dieses Brueckengeldes schwerlich eine Vorstellung
haben. Es wuerde ein ewiges Zurueckweisen sein, Haendel geben und deshalb
laesst man Soldaten frei passieren. Wie aber nun die Offiziere? Wird man
nicht annehmen, dass diese eine so kleine Verguenstigung verschmaehen und
mit echtem point d'honneur da nicht frei voruebergehen werden, wo eben
eine arme alte Frau oder ein Handwerker seinen Sechser bezahlt? Nein, ein
General geht mit einem Buergerlichen hinueber: Der Buergerliche bezahlt, der
General nicht. Ich denke nun jeden Morgen und Abend nach, wie ein so
achtbarer, auf das Feinste seines Ehrgefuehls wahrender Stand, das
preussische Garde-Offizier-Korps, sich daran gewoehnen kann, von einer
winzigen Steuer, die ihm allerdings erlassen ist, sich so loszusagen, dass
er in der Tat von jener Verguenstigung Gebrauch macht. Waer' ich Offizier,
ich wuerde es fuer beleidigend halten, wollte man mir zumuten, von einer
Steuer dieser Art, die den Aermsten trifft, mich zu befreien.

Ich schliesse daraus, wie wenig das, was wir Ehre nennen, doch als etwas
Urspruengliches im Menschen ausgebildet ist; denn sehen wir hier nicht,
dass eine in diesem Punkte sehr zartfuehlende Menschenklasse dennoch in
einer Ehrensache ganz von der Sitte und der Gewoehnung abhaengen kann und
wie leicht wir ueber etwas, das sich der Einzelne nicht gestatten wuerde,
hinweggehen, wenn es von allen angenommen wird?




Blumenausstellung in Stralow (1840)


Was rennt das Volk? Was stroemt es durch die Gassen? Alles eilt hinaus in
die Gegend des lieblichen Stralow: In die Blumenausstellung, nach dem
Hyazinthen-Flor. Eine halbe Stunde musst' ich mit meinem Wagen Queue
machen, eh' ich vor dem Eingang zu Faust und Moewes aussteigen konnte.
Schon aus weiter Entfernung, mehre Strassen vorher, riecht man die von
Hyazinthen parfuemierte Luft. Tausende von Menschen draengen sich in
grossen, feldaehnlichen Gaerten und bewundern ungeheure Anlagen von
Hyazinthenbeeten, die auf den Effekt hin gepflanzt sind, sich in den
buntesten Schattierungen abloesen, ja sogar grosse, riesige Figuren zu
bilden, z.B. einen Floratempel, ein "eisernes Kreuz" und dergleichen
Zusammenstellungen. In Harlem koennen nicht groessere Blumenmassen
beisammenstehen. Indessen gerade dies Hollaendische ist abstossend. Man
wird gegen den Reiz der Blumen unempfindlich, wenn man sie in Massen
versammelt sieht. Nun gar zur Bildung von allerhand Symbolen missbraucht,
hat die Blume nur noch den Wert der Farbe, und das Freie, Selbstaendige,
das Duftige derselben geht mit dieser Bestimmung verloren.

Hier sind meine Berliner recht in ihrem Element. Eine Anlage ohne
Schatten schreckt sie bei der gluehendsten Hitze nicht ab. Ein dumpfes
Musikgedudel nennen sie musikalische Unterhaltung. Vorn an der Kasse
zieht man ein Los, zahlt dafuer 5 Silbergroschen und gewinnt gewoehnlich
nur einen Strauss, den man auf dem Gensdarmenmarkt fuer 4 Pfennige kauft.
Was liesse sich unter dem Titel "Die Blumenverlosung" nicht fuer eine
huebsche Lokalposse schreiben. Hier laufen in Berlin soviel "volkswitzige"
Schriftsteller herum, warum erfinden diese Leute nicht dergleichen Spaesse
fuer die Koenigsstaedter Buehne? Herr Glassbrenner schreibt kleine Broschueren,
worin er Berliner sogenannte Volkscharaktere sich im geschraubtesten und
gemeinsten Berliner Jargon ueber das Hundertste und Tausendste unterhalten
laesst; nein; auf der Buehne, im sinnigen Arrangement solcher Lokalscherze
bewaehrt sich der Beruf zum Volksschriftsteller. Beckmann z.B. ist ein so
willkommnes Menschengeruest, auf welches man die drolligsten Erfindungen
haengen kann. In der Blumenverlosung denk ich mir ihn mit der gruenen
Gaertnerschuerze am Eingang eines Treibhauses und die Gewinste austeilend.
Er entfaltet die Nummer: "Sie erhalten, Madame, einen kleinen Ableger
einer neuerfundenen Pflanze, die erst kuerzlich auf der Pfaueninsel
entdeckt und aus Amerika hier eingefuehrt wurde." Die Dame sagt: "Mein
Gott, das ist ja nichts als eine Maiblume mit einem Salatblatt." Darauf
muesste Beckmann replizieren und seine botanischen Kenntnisse entwickeln.
Zum Schluss koennte durch die Blume noch eine Heirat zustande kommen. Warum
schreibt Herr Cerf keine Konkurrenzpreise aus?




Notizen (1841)


Ein Pietist Unter den Linden

Nach einigen sehr staubigen, schwuelen Tagen hatte es endlich geregnet.
Der schoenste Sonntagmorgen lockte unabsehbare Menschenscharen unter die
Linden. Am Palais des verstorbenen Koenigs tritt mich ein Mann mit einem
Orden im Knopfloche an: "Schoenes Wetter." "Schoenes Wetter." "Das macht
Gott mit einem Wort. Unser Menschenwitz haette das nicht machen koennen."
"Schwerlich." "Und der Herr ist allerwegs maechtig und gross ist sein Name,
ja gross in Ewigkeit." "Amen!" Der Fremde begann hierauf mit kraeftiger
Stimme und vielem Redetalent eine Auseinandersetzung ueber die angeborne
Suendhaftigkeit des Menschen. Da ich ruhig und fast teilnahmslos neben dem
mir gaenzlich unbekannten Manne herging, frug er mich mit fast zorniger
Ungeduld: "Ich weiss nicht, ob Sie mich verstehen?" "Vollkommen!" "Halten
Sie mich fuer einen Schwaermer?" "Ich hoere den Laerm, sehe aber kein Licht."
Diese Antwort von dem schlichten Spaziergaenger war dem Bekehrer
unerwartet. Er sah mich gross an und ging. Zu Hause fand ich in der
Rocktasche einen Busstraktat. (Gedruckt bei Wohlgemuth.)


Die Kandidaten der vakanten Aemter

Einen ruehrend-komischen Anblick gewaehrt an jedem Morgen in den ersten
Fruehstunden ein Spaziergang durch die oberen Linden und die Wilhelmstrasse
bis zur Leipziger Strasse hin. Das ist naemlich die Zeit, wo die Kandidaten
aller vakanten und nicht vakanten Aemter, die Kandidaten aus allen
moeglichen geistlichen, Schul-, Justiz- und Regierungsfaechern den
maechtigen Ministern und Raeten ihre Aufwartung machen. Schwarz gekleidet,
mit weisser Binde um den Hals, schiessen sie an dir vorueber, ploetzlich
stehen sie still, ueberlegen eine erhaltene Antwort oder ein zu stellendes
Gesuch, probieren die eingelernte Rede noch einmal, naehern sich der
verhaengnisvollen Tuer, haben nicht das Herz, kehren noch einmal um, um
sich zu erholen, und wagen es erst dann mit einem mutigen Entschluss.
Andere wollen eben von der Rechten an die Tuer eines Hotels treten, da
begegnet ihnen ein anderer von der Linken. Und doch ist nur eine Stelle
vakant! Jeder bildet sich ein, so frueh zu kommen, dass er den maechtigen
Mann, der sie vergibt, allein trifft, aber--entsetzliche Taeuschung--schon
ist das ganze Vorzimmer gefuellt und die eine Lebensfrage, auf deren
Loesung eine seit sieben Jahren verlobte Braut und ein nachgerade
ungeduldig werdendes Schwiegerelternpaar harrt, verschwimmt in den
Lebensfragen von dreissig anderen Menschen, in den Hoffnungen von
ebensoviel anderweitigen Braeuten! Geoeffnet ist hier die geheime Werkstatt
unserer Existenz, offen liegen sie da, die Gruben und Gaenge, die der
Fuchs oft schneller durchgraebt, als der still arbeitende Bergmann--ein
Anblick, zugleich komisch und zum Weinen!


Sommertheater in Steglitz

Wie weit bleibt das Sommertheater in Steglitz hinter den Anpreisungen
der Journale und den maessigsten Erwartungen zurueck! Ref. hoffte, ein
niedliches, von Holz und Backsteinen aufgefuehrtes, der Wuerde Berlins
entsprechendes Theater zu finden und fand eine Bretterbude, nicht besser
als eine Scheune, mit langen hoelzernen Baenken und einem Rang, der nichts
als eine Galeriebruestung ist. Die Hitze in dem kleinen Raume ist
unertraeglich und verlaesst man ihn, so wandelt man, wilden Tieren gleich,
in einem abgeschlossenen sandigen Vorplatze umher, nichts sehend als Luft
und Flaeche. Wer dies Theater einmal gesehen hat, besucht es nicht wieder.
Wenn hier eine Befriedigung der Schaulust geschaffen werden sollte, so
haette man etwas geben sollen nach dem Vorbilde des Hamburger Tivoli. Ein
Sommertheater ist nur unter freiem Himmel geniessbar oder es sei denn, dass
ein steinerner Bau die ersehnte Kuehlung spendet. Dass eine so armselige
Umgebung nur nachteilig auf das Interesse wirken kann, welches die
Schauspieler selbst in Anspruch nehmen, versteht sich von selbst. Sie
werden vom Publikum verspottet, ihr Ernst wird ironisiert.


Berliner Volkscharakter

Berlin macht von Jahr zu Jahr bedeutendere Fortschritte nach dem Ziele
einer seinem aeussern Umfange auch innerlich entsprechenden
Grossstaedtigkeit. Anlagen jeder Art, merkantilische, industrielle,
gesellige, werden in groesserem Stile als frueher ausgefuehrt. Manches, was
noch vor drei Jahren das hiesige Publikum beschaeftigen konnte, wird jetzt
verachtet, z.B. die Trivialitaet der sogenannten Berliner Volksliteratur,
die in "Herrn Buffey auf der Kunstausstellung" den Gipfel des Unsinns und
der widerlichsten Geschmacklosigkeit erreicht hatte. Die Koenigstaedtschen
Theaterwitze sind im Abnehmen und aus der luegenhaften Verballhornisierung
des Berliner Volks-Charakters, wie dieser sich in "Berlin--wie es isst und
trinkt" gezeichnet findet, tritt allmaehlich wieder das urspruengliche
Grundelement des Berliners heraus: Harmloseste Gutmuetigkeit, Freude am
neckenden, geselligen Scherz, hohe Achtung vor jeder geistigen
Auszeichnung, sinniger Genuss der sparsamen, aber oft anmutigen
Schoenheiten, die die Natur, im Bund mit der Kunst, dieser gewiss noch
einer bedeutenden Zukunft entgegensehenden Hauptstadt geschenkt hat.




Berlins sittliche Verwahrlosung (1843)


Im vergangenen Winter brachte jeder Tag die Kunde eines neuen, in Berlin
veruebten Diebstahls. Die dortigen Zeitungen machen aus dem ungesicherten
Zustand der Hauptstadt kein Geheimnis mehr. Die Berliner Diebe erfreuen
sich einer so originellen Organisation, dass die Polizei manchen Bewohnern
anzeigen kann, sie wuerden in kurzem bestohlen werden. Vierzehn Tage
wachen die Gewarnten: Am fuenfzehnten wird richtig bei ihnen eingebrochen.
Ein Artikel der "Vossischen Zeitung" erzaehlt, dass nachts in den
besuchtesten Strassen durch Leiteranlegung sogar die Beletagen bestohlen
werden. Wenn man diese sich taeglich wiederholenden kriminalgerichtlichen
Anzeigen liest, muss man glauben, Berlin wuerde zum grossen Teil von einer
ungebesserten Verbrecherkolonie bewohnt.

Ehe man aus diesem Gefuehl gaenzlicher Unsicherheit, das gegenwaertig in
Berlin allgemein herrschen soll, einen Schluss auf die sittlichen Zustaende
der norddeutschen Hauptstadt macht, muss man so gerecht sein, einige
Umstaende mit anzuschlagen, die in Berlin dem Diebswesen ganz besonders zu
Hilfe kommen. Geboren in Berlin und selbst einmal durch Einbruch dort
bestohlen, glaub' ich ueber diesen Gegenstand, der nachgerade die
Aufmerksamkeit jedes Sitten- und Volksfreundes beschaeftigen muss, eine
Stimme zu haben.

Den Diebstahl erleichtert in Berlin der Mangel an Aufsicht und die
Einrichtung der Haeuser. Die Zahl der Nachtwaechter ist viel zu klein.
Diese "Schnurren" sind alte ausgediente Militaers oder sonstige
Exspektanten, die aus Verzweiflung einen Dienst ergreifen, den sie fast
nur pro forma versehen. Die Nachtwaechter in Berlin sind oft hinfaellige
Greise. Mit einem spaerlichen Gehalt versehen, sind sie auf die Sporteln
ihres Dienstes angewiesen. Diese bestehen in den Ertraegnissen eines
Privilegiums, das man in fremden Staedten kaum fuer moeglich halten moechte.
Der Berliner Nachtwaechter hat ein Bund von hundert Hausschluesseln am Leib
haengen und schliesst jedem auf, der des Abends nach zehn Uhr in das erste
beste Haus einzutreten wuenscht. Die Trinkgelder sind seine Revenuen. Man
sieht, dass es die Diebe an keinem Ort der Welt so bequem haben, als
in Berlin.

Das Revier des Nachtwaechters ist zu geraeumig. Er hat mehr Strassen unter
sich, als er beaufsichtigen kann. Mit seinen Trinkgeldern beschaeftigt,
kuemmert ihn das Strassenleben sehr wenig. Er horcht nur, dass man ihn ruft,
um in ein Haus eingelassen zu werden. Gegen Morgen weckt er die Baecker,
die Brot zu backen haben. Die Rundgaenge durch die Strassen werden ohne
Aufmerksamkeit abgemacht. Der schuetzende "Kellerhals", hinter dem er
ausruht, ist sein bequemer Sorgenstuhl. Macht er seinen Rundgang, so
kuendigt ihn seine Pfeife schon an und die Diebe haben Zeit, sich waehrend
seines Voruebergehens zu zerstreuen.

Berlin muss die Zahl der Waechter verdreifachen und sie unter eine
militaerische Disziplin stellen wie Hamburg. Die Hamburger Waechter sind
eine wirkliche Schutzwache gegen die Feinde der Ordnung und des
Eigentums.

Hat man schon aus dem Vorigen gesehen, dass die Berliner Haeuser sich des
Nachts jedem beliebigen Besucher oeffnen, so ist der Hausfriede am Tage
nicht gesicherter. In Paris hoert man viel von Betruegereien in den
Kauflaeden, von Betruegereien in hunderterlei Manieren, wie sie Vidocq in
seinem Lexikon auffuehrt, aber wenig von Diebstahl oder gar naechtlichem
Einbruch. Berlin ist eine grosse Stadt geworden und war urspruenglich nur
auf eine Mitte1stadt angelegt. Die Strassen sind weitlaeufig, die Reviere
entlegen, die Haeuser sind meist zweistoeckig und nur von einigen Familien
bewohnt. Das Institut des Portiers (Hausmeister in Wien) kennt man nicht,
da dafuer die Haeuser zu klein sind. Hier gibt es keine Kontrolle der Ein-
und Ausgehenden. Jeder Hof ist frei, jede Treppe den Bettlern zugaenglich.
Den ganzen Tag reisst das Klopfen und Klingeln nicht ab. Jeder Mieter ist
froh, sich auf seine Zimmer abschliessen zu duerfen und kuemmert sich nicht
um den Nachbar, bei dem man, waehrend nebenan Gesellschaft ist, alles
ausraeumen kann. Waehrend mir vor Jahren in Berlin mein ganzes Zimmer
ausgeraeumt wurde, sass meine Wirtin ruhig im Zimmer nebenan, las den
"Beobachter an der Spree" und strickte Struempfe.

Laesst sich nun auch hierin, da Berlin nicht umgebaut werden kann, keine
Veraenderung treffen, so wird doch darum die erhoehte Wachsamkeit der
Behoerden um so dringender. Ohne eine neue Waechter- und Patrouillen-
Organisation wird in Berlin die Gefahr des Eigentums immer mehr zunehmen.

Dieser Gegenstand laesst aber noch tiefere Betrachtungen zu. Ist in Berlin
den Dieben ihr Handwerk erleichtert, wo kommen all die Diebe her? Woher
diese sittliche Verwahrlosung, von der wir taegliche Belege erfahren?
Woher gerade in Berlin diese immer mehr zunehmende Verworfenheit? Harun
Al Raschid, der verkleidet des Nachts durch die Strassen ging, Harun Al
Raschid wuerde darueber sehr tief nachgedacht haben, wenn er diese
Beobachtung an Bagdad gemacht haette.

Es ist wohl moeglich, dass nach Berlin, wo die Diebe eine so bequeme
Waechter- und Haeuserordnung antreffen, viel fremdes Gesindel zieht, und
doch steht es fest, dass Berlins Unsicherheit groesstenteils aus seinem
eignen Schosse entspringt. Die Entdeckungen und Signalemente weisen dies
aus. Es ist ein betruebendes Gestaendnis, das man sich nicht ersparen darf:
In Berlin ist die Wurzel des Volkes faul. Die Immoralitaet frisst wie ein
Krebs um sich. Die Familien sind zerruettet, zu der Armut und Brotlosigkeit
gesellt sich die Neigung zum Verbrechen; die dem Berliner eigene Keckheit
und Verwegenheit steigert das Geluest zum Entschluss, den einmaligen
Entschluss zum immerwaehrenden Handwerk; die Zuchthaeuser liefern die
Verbrecher nicht gebessert zurueck, sondern in kurzem sieht sich die
richterliche Gewalt genoetigt, den Verbrecher aufs neue einzuziehen und
ihn auf zwanzig Jahre dorthin zu schicken, wo er bereits fuenf Jahre
umsonst gesessen.

Es gibt eine moralische Erziehung und eine moralische Unerzogenheit des
Volkes. Die Fruechte derselben reifen erst in spaetern Jahren. Man wird fuer
Berlins gegenwaertige Verwilderung die Ursachen in vorangegangenen Fehlern
suchen duerfen. Eine richtige Erkenntnis dieser Fehler muss zu den Mitteln
fuehren, sie kuenftig zu vermeiden. Mein Versuch, diese Erkenntnis zu
befoerdern, wird Widerspruch finden. Ich will aber offen meine Meinung
sagen.

Aus dem Mangel an edlem geistigen Stoff, aus dem Mangel wuerdiger
oeffentlicher Tatsachen ist der zweite Grund dieser sittlichen
Verwahrlosung herzuleiten, die isolierte Vergnuegungssucht. Auch Wien ist
ohne oeffentliche Tatsachen, aber Wien hat kombinierte, nicht isolierte
Vergnuegungen. Es ist dies keine Wortantithese, sondern ein wirkliches
Sachverhaeltnis, dessen schaedlichen Einfluss auf die Sittlichkeit ich
beweisen will. Der Wiener erholt sich an der allgemeinen Freude, an der
Freude, die alle teilen. Seine Natur lockt alle, befriedigt alle. Sein
Vergnuegen ist durch Ueberlieferung seit Jahrzehnten vorgezeichnet. Musik,
Tanz, Theater, heitere Ausfluege in die schoenen Umgebungen. In Berlin
isoliert sich alles. Keine oeffentliche Vergnuegung befriedigt und so
entstehen diese Ressourcen, diese Picknicks, diese geschlossenen
Gesellschaften, diese Kraenzchen, dies Jagen nach "Privatvergnuegen", dies
Spelunkenwesen der Weinstuben, Konditoreien, Tabagien. Die Kraefte der
Familien ueberbieten sich, diese Subskriptionsessen und Ressourcenbaelle
verursachen Ausgaben, die den Handwerker in Schulden stuerzen, die
Leihhaeuser fuellen sich, der geweckte Libertinismus der Frauen reisst die
Maenner in Strudel, wo sie nicht mehr ihrer Sinne, bald auch nicht mehr
ihres Gewissens maechtig sind. Hat man nicht in Berlin eine Diebs- und
Hehlerbande entdeckt in dem Augenblick, als sie sich in einer Reihe von
Kellerstuben zu einem glaenzenden Ball vereinigt hatte? Boz kann nichts
Grelleres erfinden und Madame Birch-Pfeiffer nichts Drastischeres in
Szene setzen.

Muss man nicht hier ein spezielles schlechtes Regierungssystem, so muss man
vielleicht den ganzen modernen Staat anklagen. In meinen Pariser Briefen
hab' ich von unserer Politik gesprochen, die nur den Menschen ausbeutet,
nicht ihm hilft, das Genommene zu ersetzen. Ich habe ein Ministerium der
oeffentlichen Wohlfahrt vorgeschlagen, das sich mit positiven Schoepfungen
beschaeftigen muesse, um das Individuum vor dem Staate zu sichern, den
Acker, den man beernten will, auch zu besaeen. Hier ist ein neues Ziel,
das eine solche Institution sich stecken muesste. Zerstoert diesen
Isolierungstrieb! Bindet die Menschen fuer ihre Vergnuegungen aneinander!
Erfindet etwas im Zeitalter der Erfindungen! Erfindet etwas Geistiges,
etwas Moralisches, neben dem vielen Technischen und Materiellen! Was
koennte Berlin Ersatz geben fuer den Mangel einer heiteren und
zerstreuenden Natur? Was koennte diese Tausende von gedankenlos zum Tor
hinauswandelnden Sonntagsspaziergaengern vereinigen? Was kann das Innere
der Stadt abends bieten, wenn die Sonne untergegangen ist und man
heimkehrt und nicht in seine vier Pfaehle rueckkehren will? Denkt doch
darueber nach, ihr philosophischen Staatsmaenner, die ihr jetzt in Berlin
das Ruder in Haenden habt! Gebt dem Volke nicht etwa polizeilich
angeordnete Spektakel, sondern weckt den Trieb des Volkes, selbst
dergleichen zu erfinden oder sich an dem von fremdher gegebenen Anstoss zu
beteiligen. Ehrt die Neigung zur Oeffentlichkeit! Verbietet nicht, wie das
noch vor vier Jahren in Berlin beim Buchdruckerfest so gehaessig war,
oeffentliche Aufzuege; lasst die Menschen sich menschlich austoben, dann
werden sie nicht in die Kellerloecher kriechen und es tierisch tun. Eines
der sichersten Mittel zur Volksveredelung sind die Theater. Ich erinnere
an die wahren Worte, die ich von Guizot in meinen Pariser Briefen
mitteilte: "Ein starker Theaterbesuch leitet alle schlechten Gelueste der
niedern Volksklassen ab." Berlins Opernhaus wirkt wenig auf die
Moralitaet, das Schauspielhaus erhielt durch den vorigen Koenig ganz jenen
Privatcharakter, der in allem die Grundlage so vielen Verderbens fuer
Berlin ist, das Koenigsstaedter Theater hat zwischen Nestroys Possen und
der glaenzenden italienischen Oper, wo Rubini per Abend 800 Taler bekommt
und die Preise der Plaetze verdreifacht sind, keinen Mittelweg. Das
Theater, in Wien und Paris ein so harmloser Hebel der Sittlichkeit, ist
in Berlin eine kuenstliche Anstalt, die mit dem Volke in keiner anregenden
Verbindung steht. Entweder muss man in Berlin die Hofbuehne entschieden zur
Volksbuehne umwandeln, oder Vorstadttheater gestatten, eines fuer die
Gegend nach dem Koepenicker Felde zu und ein anderes nach der Richtung des
neuen Hamburger Tores. Nur vorlaeufig zwei solcher Theater, gut
beaufsichtigt, in Hinsicht der vorzustellenden Stuecke voellig freigegeben,
mit niedrigen Eingangspreisen. Zwei solcher Volkstheater, natuerlich mit
Aufhebung der bestehenden sogenannten Liebhabertheater, koennten den
auffallendsten Einfluss auf die Sittenverbesserung Berlins haben.

Endlich ist der dritte Punkt die Volksbildung selbst und die Religion.
Fuer die erste, insoweit sie durch Schulen erreicht wird, ist wohl in
Berlin hinlaenglich gesorgt. Nicht umsonst hat man vielleicht der vorigen
Regierung ihr Schulwesen nachgeruehmt. Aber es ist eine bekannte Tatsache,
dass Kenntnisse an und fuer sich noch nicht die Sitten reinigen. Sie
befoerdern zuweilen eher die Verschlagenheit und machen nur geschickter zu
den Verbrechen. Aus Rechnen, Lesen und Schreiben wird noch kein sittlicher
Mensch. Der Konfirmandenunterricht wird in Berlin nicht eben sehr ernst
betrieben. Das "Eingesegnetwerden" ist ein mehr buergerlicher, als
geistlicher Akt. Die Zahl der Konfirmanden ist zu gross und dem Geistlichen
fehlt in allem, so auch hier die durchgreifende Beaufsichtigung seiner
Gemeinde. Sie ist bei einer so grossen Stadt und der Freiheit vom Beicht-
zwange schwer oder ganz unmoeglich. Tun nun die Kirchen ihre Pflicht? Wird
die Religion so gepredigt, dass sie veredelnd und tief in die Sittlichkeit
des Volkes eingreifen kann?

Das ist denn wiederum ein wichtiger und ausserordentlich schlagender
Punkt, wo sich die Gebrechen der vorigen Regierung offen zur Schau geben.
Nein, das Christentum hat in Berlin die Wirkung nicht, die es haben
koennte und haben sollte. Christus wird in Berlin in einer Weise
gepredigt, die hoechst beseligend, hoechst beglueckend auf einen Einzelnen
wirken kann. Es gibt wahre Froemmigkeit in Berlin. Es gibt Versammlungen,
in denen man sich mehr erbaut als in den Kirchen, es gibt Kirchen, in
denen ein warmes, fuer den Himmel laeuterndes Christentum sicher mit dem
trostreichsten Erfolge fuer das Glueck vieler Familien gepredigt wird. Aber
was kann auf unsere Zeit der Pietismus im grossen und ganzen wirken? Ein
Lamm rettet man; was geschieht aber, um die tausend Raeudigen anzulocken?
Haben wir gesehen, dass in Berlin alles Privatsache geworden war, so ist
auch das Christentum dort Privatsache geworden. Einzelne Prediger, wie
Couard, Strauss, Arndt haben einen grossen Zulauf, aber nur von glaeubigen
Seelen, von solchen, die sich im Christentum befestigen, nicht von
solchen, die erst fuer seine Wahrheiten gewonnen werden. Die Masse geht
nicht in diese Kirchen. Sie wuerde gehen, wenn dieser theologische
Radikalismus ihr die Tugend nicht gar zu schwer machte. Man soll dort
einen ganz neuen Menschen anziehen, nicht neue Lappen auf das alte Kleid
flicken, nicht jungen Wein in alte Schlaeuche fuellen, sondern ein ganz
neugeborener Mensch werden. Dies Christentum kann nie auf die Masse
wirken, diese Besserungsmethode der Menschheit setzt einen religioesen
Heroismus voraus, der sich nur bei wenig Auserwaehlten findet und so ist
in Berlin auch die Religion, die erste Springfeder des sittlichen
Volkslebens, aus Ueberreligion ohne durchgreifende Wirkung.

Um dem Christentume Allgemeinheit und Einfluss auf die Sittlichkeit einer
Nation zu geben, muss es entweder auf den Aberglauben wirken, wie durch
die mystischen Zauber des Formendienstes im Katholizismus, oder es muss
mit schlichter Einfachheit und ueberzeugender Waerme auf die moralischen
Grundwahrheiten zurueckgefuehrt werden. Ein protestantischer Staat kann fuer
seinen sittlichen Zweck auf die mitwirkende Kraft des Christentums nur
dann rechnen, wenn er den Predigern einen klaren, gefuehlvoll und beredsam
vorgetragenen Rationalismus zur Bedingung macht. Es ist mit der Religion
gerade wie mit der Poesie. Dem Gebildeten moegen Koerner, Tiedge und
aehnliche Talente sehr tief stehen, aber die Masse findet ihre Rhetorik
sehr schoen und begreift nicht, was uns an Novalis, Brentano und selbst an
Goethe mehr anziehen kann. Ein geistvoller Gedanke geht der Menge
verloren, waehrend sie einem Gemeinplatze zujubelt. So moegen die Denker
und Gefuehlsmenschen im Christentum die tieferen Bezuege ansprechen und
beschaeftigen: Als Religion, als sittliche Hilfsmacht wirkt das
Christentum nur durch eine talentvolle, mit Geschmack und Beredsamkeit
vorgetragene Ausbeute seiner moralischen und gefuehligen Grundwahrheiten.
Wer mir Prediger sein wollte, duerfte mir mit seiner Rechtfertigungstheorie,
mit der Wiedergeburt, der Genugtuungslehre und der ueblichen pietistischen
Polemik nicht auf die Kanzel kommen. Haette man in Berlin geistvolle und
beredte nationalistische Geistliche wie Schmaltz in Hamburg, Boeckel in
Oldenburg, Friedrich in Frankfurt, Goldhorn in Leipzig, Bretschneider in
Gotha, haette man statt einer Clique junger Kopfhaenger eine Schule
wahrhaft menschheitsveredelnder, talentvoller junger Kanzelredner
gestiftet, die Kirchen wuerden ueberfuellter und die Gefaengnisse
leerer sein.

Man mag gegen Friedrich Wilhelm IV. gestimmt sein, wie man will, soviel
ist gewiss, er will seine Laender im grossen Stil regieren. Hier waere denn
Gelegenheit genug zu den glorreichsten Schoepfungen.

[Nachtrag:]

In dem Aufsatz: "Berlins sittliche Verwahrlosung" hat man es auffallend
gefunden, dass von einem zweiten und dritten Grunde dieses Uebels die Rede
ist, ohne dass des ersten erwaehnt wird. Der erste Grund war aus der
Politik und der mangelnden Oeffentlichkeit unter dem vorigen Koenige
hergeleitet, doch musste die naehere Ausfuehrung aus unmittelbar vor dem
Druck des Blattes geltend gemachten Ruecksichten wegbleiben, deren Natur
jeder Kundige erraten wird. So viel, um wenigstens die logische Ordnung
des Artikels herzustellen.




Geist der Oeffentlichkeit (1844)


Berlin ist eine Weltstadt geworden. Frueher war Berlin nur eine grosse
Stadt. Berlin hat an Bewohnerzahl und Umfang unglaublich zugenommen, aber
in dieser aeussern Vergroesserung liegt der auffallende Fortschritt nicht
allein. Er liegt im erweiterten Anschauungs-Horizont, im Durchbruch nicht
allein von Strassen und neuen Toren, sondern im Durchbruch alter
Vorurteile und Gewohnheiten, im vermehrten geistigen Betriebskapital, in
der Zunahme eines Selbstbewusstseins, das sich mit einem grossen sittlichen
Nationalleben in Zusammenhang zu setzen verstanden hat. Es ist
ueberraschend, wie sich die schlummernden Kraefte allmaehlich entwickelt
haben. Von unten faengt das an und hoert oben, in idea1ster Hoehe, auf. Der
Eisenbahnverkehr hat Berlin endlich in jenen unmittelbaren Zusammenhang
mit andern grossen Staedte-Entwickelungen gebracht, der ihm frueher fehlte.
Frueher bezogen sich nur Potsdam, Brandenburg, Treuenbrietzen, Bernau auf
Berlin, jetzt Leipzig, Magdeburg, die Ostsee und bald Hamburg und
Schlesien. Der fruehere kleinstaedtische Geist ist gewichen, grosse Gasthoefe
sind entstanden, die Basis aller gemeinschaftlichen Unternehmungen beruht
auf breiteren Dimensionen. Man sieht das, bewundert es, oder muss
wenigstens seine Freude daran haben.

Was man in auswaertigen Zeitungen als die laufende Tagesordnung von Berlin
besprochen findet, das ist alles keineswegs Erfindung, sondern Tatsache,
durchgesprochene, lebendige Tatsache. Es stehen sich hier wirklich
Parteien und Parteien, Menschen und Menschen gegenueber. Es hat sich hier
wirklich ein Geist der Oeffentlichkeit entwickelt, dem bis zur Stunde zwar
edle und wuerdige sowohl, wie dauernde und belebende Organe fehlen, ich
meine die Organe faktischer Institutionen, dessen Ringen und Draengen aber
so maechtig ist, dass es Augenblicke geben kann, wo wir uns im Anschauen
dieser Strebungen nach Paris versetzt glauben. So wie jetzt in Berlin muss
es zur Zeit der Restauration in Paris gewesen sein. Das Katheder ist die
vorlaeufige Volkstribuene, die Wissenschaft die vorlaeufige Politik. Wie das
wogt und treibt! Keine Meinung will mehr allein stehen, eine Bestrebung
lehnt sich an die andere. In Berlin wohnen und nichts wirken, nichts
vorstellen, nichts vertreten, ist der geistige Tod, ist Nullitaet, heisst
wenigstens Nullitaet, und jeder fuerchtet sie. Man hat angefangen, die
Bedeutung eines oeffentlichen Charakters zu fuehlen. Die ruhmvol1sten Namen
aus der alten Schule sieht man im Verkehr mit den erst sich machenden aus
der jungen. Unpopulaer zu sein, wagt niemand. Jeder muss einen Kreis von
Gleichgesinnten um sich haben, er muss sich nach Anlehnungen umsehen. Kann
er nicht selbst einen Mittelpunkt bilden, so ordnet er sich unter und
wird Stammgast im Salon eines andern. Berlin hat seine Salons, in der Tat
Salons im franzoesischen Wortsinne. Ich muss sogar so weit gehen, zu
behaupten, dass es mit Geldkosten verknuepft ist, in Berlin eine eigene
Meinung zu haben. Man muss seinen offenen Mittwoch, seinen offenen
Freitag, seinen Dienstag haben, um hier ein durchgreifender, oeffentlicher
Charakter zu sein. Das ist kostspielig, hier mit Tieck, mit den Grimms,
mit Herrn von Savigny zu rivalisieren. Man muss wuenschen, dass sich diesen
Gasstroemungen von Ehrgeiz, Tendenz, Zorn, Begeisterung, Rache, ehe es
eine Explosion gibt, bald ein luftreiner Zylinder darbieten moechte, ein
Abzug ins oeffentliche, grosse Volksleben, durch irgendeine Tatsache, durch
irgendein Ereignis, durch irgendeinen Schritt weiter auf der betretenen
Bahn besonders des Ausbaues der staendischen Institutionen. Dies oder
irgend etwas anderes muss erfunden werden, um diesem Wettkampf von
Meinungen und Leidenschaften eine schoene hoehere Wahrheit zu geben und
solchen Zerruettungen vorzubeugen, wie sie z.B. jetzt infolge der
traurigen Grimmschen Erklaerung, durch welche sich zwei beruehmte Namen um
alte Liebe und Hingebung gebracht haben, schon eingetreten sind.

Einige der auf der Reise empfangenen Eindruecke moegen in bunter Reihe hier
wiedergegeben werden.

Am 29. Maerz beschloss Dr. Mundt seine vor einem gemischten Publikum
gehaltenen Vorlesungen ueber die Gesellschaftsfrage unserer Zeit. Es war
fuenf Uhr. Im Saale des Jagorschen Hauses Unter den Linden versammelte
sich so ziemlich der groesste Teil des aesthetisch- produktiven Berlins,
Dichter, Gelehrte, Musiker, Glaeubige und Pruefende, Hingegebene und
Zweifelnde, wie dies um so mehr bei einem Gegenstande der Fall sein
musste, dessen oeffentliche Behandlung in gewissen Regionen bedenklich
erschienen war. Als sich etwa 150 Personen eingefunden hatten, erschien
der Redner. Ich fuehlte mich an die Vortraege von Edgar Quinet im College
de France erinnert. Nur schade, dass sich Mundt zu sehr auf sein Heft
verliess und einen Gegenstand, der so tief in Herz und Nieren greift,
nicht mit freier Rede um so ueberzeugender darstellte. Die Waerme der
Begeisterung fehlte dem Redner nicht, eine jeweilige Handbewegung verriet
selbst seine Absicht, das, was er vorlas, als entquollen seinem innersten
Gefuehle darzustellen; doch kann ich die Bemerkung nicht unterdruecken, dass
ein selbst ungeregelter Vortrag mit Anakoluthen, Wiederholungen und allen
Klippen eines ungewohnten oratorischen Versuches dennoch eindringlicher
spricht, als ein geschriebenes Heft.

Der Inhalt der Rede erweckte die waermste Teilnahme. Bot ihr Anfang
demjenigen, der sich mit der Sozialwissenschaft unserer Tage beschaeftigt
hat, auch nichts Neues, so erhob sie sich doch in ihrem weitern Verlauf
zu einem hoeheren Aufschwunge, in welchem sich zum ernsten Denker der
sinnige Dichter gesellte. Der Redner sprach von den Rechten der Armen und
den Pflichten der Reichen. Er behandelte jenen ergreifenden Gegenstand
des Pauperismus, der jetzt nur noch alle Federn, bald aber auch
hoffentlich alle Herzen in Bewegung setzen wird. Jene ruehrende Humanitaet,
welche sich in den Schriften derjenigen Franzosen findet, die sich mit
sozialistischen Fragen beschaeftigten, hatte, man sah es, in des Redners
Herzen ein Echo gefunden. Er sprach mild und sanft von den Proletariern
der Gesellschaft, und ein gewisses kaltes Phlegma, eine gewisse
doktrinaere Selbstzufriedenheit hinderte doch nicht, dass in einigen
weihevollen Momenten ein schoener Abglanz von Gemuet und Wehmut auf seinen
Gesichtszuegen hervorbrach. Besonders war die Bemerkung, dass jetzt bei den
Fortschritten der Volksbildung der Vater beschaemt von seinem aus der
Schule heimkehrenden unterrichteteren Kinde lernen koenne, ebenso
geistreich aufgegriffen, wie zart und innig durchgefuehrt.

Ueber manches teile ich nicht des Redners Meinung. Er sprach von Owen und
wuerdigte ihn nicht genug, trotzdem, dass er mit Achtung von ihm sprach. Er
kam zu oft auf den Mangel an Poesie in Owens System zurueck. Poesie ist in
der Sozialfrage ein gefaehrliches Wort. Braucht man es zu oft, so kann man
dahin kommen, dass am Ende nichts poetischer als die Armut ist, und der
Armut soll doch abgeholfen werden. Wer vom Leben zu viel bunten Effekt
verlangt, dem wird freilich das Ziel einer allgemeinen Glueckseligkeit
unpoetisch erscheinen. So manches andere in des ehrenwerten Redners
Aeusserungen liessen mich fast besorgen, er haette das Thema der materiellen
Gesellschaftsfrage nur zum Kanevas von allerhand auf anderm Gebiet
spielenden Anmerkungen gemacht, von Anmerkungen, die ich sehr treffend,
sehr zeitgemaess, ja sehr freimuetig und gegebenen Umstaenden gegenueber kuehn
fand, die aber doch nur mehr dem idealen Gebiet angehoerten und die
Ansicht vorauszusetzen schienen, man koenne Hungernde mit Sonnenlicht
saettigen und Duerstende mit den Farben der Blumen traenken. Der Redner
kannte die praktischen Schaeden, wollte sie heilen und wich wiederum dem
praktischen materiellen Gebiete aus. Doch abgesehen von diesem Einwurf,
der ohnehin auf einem Missverstaendnis beruhen kann, hat sich Mundt ein
grosses Verdienst erworben, dass er in jener unmittelbaren Form, in der
Form der Rede, einen Gegenstand zur Sprache brachte, der immer mehr in
den Vordergrund der Debatten treten und jene welt- und gottweise
Philosophie beschaemen wird, die im Webstuhl ihrer Abstraktionen nur
Leichentuecher fuer das Leben spinnt ...




Mysteres de Berlin? (1844)


Das ist gewiss charakteristisch! Mein erster Blick auf eine der hiesigen
Zeitungen fiel auf den Vorschlag eines Fruehgottesdienstes fuer
Droschkenfuhrleute. Wahrlich, dieser Vorschlag verleugnet seinen Ursprung
nicht! Zwar ist derjenige, der ihn zunaechst machte, ein Jude (der
Besitzer der Haupt-Droschkenanstalt), aber auch das ist bezeichnend; die
spekulativen Juden, die Juden, die den Geist der Zeit verstehen,
bestreben sich hier, dem Ueberchristentum in die Haende zu arbeiten. Ein
Fruehgottesdienst fuer Droschkenfuhrleute! Man mache sich recht klar, was
darunter zu verstehen ist. Man hat naemlich gefunden, dass die
Droschkenfuehrer von frueh bis Mitternacht ihrem Herrn und Lohngeber dienen
muessen. Auch den Sonntag heiligen sie nicht. Um sie nun der Kirche nicht
gaenzlich verloren zu geben, laesst man ihnen jetzt morgens, wenn sie ihre
Wagen reinigen, wenn sie ihre Pferde anschirren, rasch von einem eigens
bestellten "Droschkenprediger" eine kurze geistliche Rede halten. Man
glaubt, wenn man so etwas erfaehrt, in England oder Pennsylvanien zu sein.
Diesem Fruehgottesdienst fuer Droschkenfuehrer muessen, wenn man konsequent
sein will, noch diese Einrichtungen folgen:

Ein Fruehgottesdienst fuer Brieftraeger.

Ein Nachmittagsgottesdienst fuer Milchkarrenschieber; denn auch diese
Fuhrleute bringen ja jeden Sonntag die Milch zur Stadt. Gut, ich glaube,
dass es wuenschenswert ist, auch die Droschkenfuhrleute an die Kirche zu
gewoehnen; aber haette die gesunde Vernunft und die Billigkeit jenes
ueberchristlichen Juden, wahrscheinlich eines Kommerzienrates, nicht einen
andern Ausweg finden koennen? Wie nun, wenn man bei den Droschkenstaellen
keinen Gottesdienst errichtet, wohl aber jedem Droschkenfuehrer es moeglich
gemacht haette, alle vierzehn Tage oder wenigstens alle vier Wochen einen
halben Sonntag frei zu haben, einen halben Sonntag, wo er die Kirche
besuchen kann? Erlaubte das die Dividende des Kommerzienrates nicht? Ihr
habt ein so grosses Mitleid mit der Seele des Droschkenfuhrmanns und sorgt
fuer seinen Kirchgang, schenkt ihr ihm dann auch, dem geplagten, an seine
Karre gebundenen Menschen, einen Erholungstag? Spannt ihr ihn einmal aus
seinem Joche aus und errichtet einen Aktienverein zu einer Mittagsfreude,
zu einer Nachmittags-Belustigung? Statt dass also die hiesigen
Ueberchristen den Kommerzienrat zwingen sollten, jedem Droschkenfuhrmann
alle vierzehn Tage oder alle drei Wochen, die Reihe herum, einen freien
Sonntag zu geben, den er als freier Mensch, Christ und Staatsbuerger
anwenden kann, wie er will, schluepfen sie ueber den Missbrauch des
privilegierten Droschkenregenten hinweg, sanktionieren die Tatsache, dass
kein Droschkenfuhrmann einen freien Sonntag hat, und sorgen nur einzig
dafuer, dass ihm morgens vor Ausfahren aus dem Stall das Evangelium
gepredigt wird! O ueber den frommen Kommerzienrat!

Wenn dem religioesen Fanatismus keine Grenzen gesteckt werden, so erleben
wir noch die krankhaftesten Erscheinungen. Die uebertriebene Heiligung des
Sonntags kann foermlich alttestamentarisch werden. Wenn sich z.B. Jemand
in den Gedanken vertieft, dass die Eisenbahnen an Sonntagen befahren
werden und das Bahnpersonal und die Lokomotivfuehrer deshalb nicht die
Kirche besuchen koennen, wuerde man einem solchen Gemuet nicht zurufen
muessen: Behuete dich der Himmel vor Wahnsinn! Der religioese Fanatismus,
der sich ferner der Armen und Kranken annimmt, hat Ansprueche auf unsere
vollkommenste Hochachtung, er steht den Geboten der reinen Humanitaet so
nahe, dass man nicht untersuchen mag, welches die Quelle seiner Hingebung,
Aufopferung und Liebe ist; wenn aber die Pflege der Armen strafend, die
Wartung der Kranken laestig und beaengstigend wird, dann muss man selbst
gegen so an sich ehrenwerte Aeusserungen des ueberchristlichen Sinnes kalt
werden. Strafend aber ist die Armenpflege, welche nur dem gibt, den sie
als rechten Glaubens erkennt; laestig und beaengstigend ist die
Krankenwartung, die uns zwischen den Schmerzen des Koerpers von der
Verworfenheit unserer Seele redet.

Es bereitet sich hier eine Menge praktischer Anwendungen des mildtaetigen
Christentums vor. Die meisten davon stehen noch auf dem Papiere, einige
sind schon ins Leben getreten, z.B. ein Magdalenenstift zur Rettung
gefallener Maedchen. Was man von letzterem hoert, laesst auf eine gesunde und
tatkraeftige Ausfuehrung dieser an sich loeblichen Absicht nicht schliessen.
Schon dass diese ungluecklichen Personen durch eine eigene Tracht kenntlich
gemacht werden, ist einer jener finstern Nebengedanken, die wir strafende
Armenpflege nannten. Wenn es einen Weg geben kann, um solche Personen
einer sichern Besserung entgegen zu fuehren, so kann es nur der sein, sie
auf eine moeglichst geraeuschlose, stillschweigend liebevolle Weise der
Gesellschaft wiederzugeben. Eine schwarze Tracht mag allerdings bewirken,
dass der, der sich dem Magdalenenstift in die Arme wirft, gleichsam die
Tuer hinter sich auf immer zuwirft und eine fast kartaeuserartige
Resignation zeigen muss, aber wie wenig Gemueter werden einer solchen
Abtoetung des letzten Restes von Stolz faehig sein! Gerade das, was Ihr
zuerst brechen wollt, diesen letzten Rest von Stolz, gerade das ist nur
das Samenkorn, aus dem sich eine neue Bluete des sittlichen Menschen
erheben kann. Was wird das Ende dieses Beginnens sein? Dass eine solche
Anstalt hinter ihrer guten Absicht zurueckbleibt und, statt gebesserter,
dem Leben wieder gewonnener Verirrten, Heuchlerinnen erzeugt, die, wie es
der Fall ist, beim geringsten verfuehrenden Anlass wieder in ihre alten
Lasterwege zurueckfallen.

Nach allem, was sich hier beobachten laesst, sieht man, dass man die Uebel,
an welchen die heutige Gesellschaft krankt, hier mehr als irgendwo
erkannt hat. Man hat sie erkannt, weil man sie fuehlt, weil sie sich zu
unabweislich von selbst aufdraengen. Aber in den Mitteln, den
gesellschaftlichen Schaeden abzuhelfen, vergreift man sich. Man will den
Schaeden unmittelbar begegnen, statt dass sie nur da wahrhaft zu heilen
sind, wo man ihrem ersten Grunde auf die Spur gekommen ist. Die Wurzel
muss man entdecken und den Wurm toeten, der an der Wurzel nagt. Das
Begiessen des welken Blattes an dem verkrueppelten Stamme fristet ihm eine
Weile das frische Ansehen des Lebens, dann aber faellt es ersterbend ab,
weil der aus der Wurzel quellende Balsam des Lebens, der Saft der
Gesundheit ihm staerkend nicht zustroemt.

Theodor Mundt sprach in seiner kuerzlich erwaehnten Vorlesung von dem
durchgreifenden Streben unserer Zeit nach "Glueckseligkeit und Vergnuegen".
Ich erschrak, wie er diese Tatsache so ohne weiteres als einen
feststehenden Satz, wahrscheinlich als die Praemisse seiner fruehern
Entwickelungen einwerfen und voraussetzen konnte. Und doch stellt sich
diesem Satze, um ihn zu widerlegen, wenig gegenueber. Er ist wahr, er ist
bewiesen; bewiesen nicht nur durch den Luxus der Reichen, sondern auch
durch die brennende Sehnsucht und Entsagungsunfaehigkeit der Armen. Am
unersaettlichsten aber in Zerstreuungen ist der Mitte1stand.
Glueckseligkeit und Vergnuegen ist mehr denn je die Devise des Berliners
geworden. Die oeffentlichen und Privatgelegenheiten zu Erholungen aller
Art haben sich reissend vermehrt. Die Strassenecken sind taeglich mit mehr
als einem Dutzend Zettel beklebt, um zu Zerstreuungen einzuladen. Dabei
ist der Zudrang zu solchen Nahrungszweigen, welche wenig Anstrengung
erfordern, unverhaeltnismaessig. Wer frueher nicht wusste, welches Gewerbe er
treiben sollte, eroeffnete einen Tabakshandel. Jetzt haben sich dazu
Anlagen von Kaffeehaeusern, Vergnuegungsgaerten, Konditoreien gesellt, die
mit derselben Schnelligkeit aufschiessen, wie hier Mode-, Schnittwaren-,
Kleiderhandlungen und Gewerbelaeden von solchen eroeffnet werden, die diese
Gewerbe nicht selber treiben, sondern nur von andern treiben lassen. Und
mitten in diesem Sausen und Brausen von Vergnuegungen dann jene Zustaende
der Not und des Elends, die Bettina jenen menschenfreundlichen Schweizer
im Anhange ihres Koenigsbuches hat schildern lassen--der Gegensatz ist
schneidend.

Auswaerts fuehlt man diesen Gegensatz fast noch mehr als hier. Auswaerts hat
man sich verwundert, wie mitten in diesen Tatsachen des dringendsten
Beduerfens, mitten in diesen beredten Schilderungen der hiesigen Verarmung
ploetzlich das Krollsche Etablissement hat auftauchen koennen. Ich gestehe,
als ich diesen von allen Zeitungen fuer einen Feenpalast ausgegebenen Ort
besuchte, konnte ich den stoerenden Gedanken, dass diese Schoepfung sehr mal
a propos gekommen, nicht unterdruecken. Zum Glueck bleibt auch dieser
"Feenpalast" hinter seinem Rufe zurueck. Schon in der Ferne, wenn man
durch Staubwolken durchzudringen vermag, sieht das Ganze wie eine grosse
Ziegelhuette aus. Man sieht ein Konglomerat von Schornsteinen und
hervorspringenden Hausecken und fuehlt sich durch den ersten Eindruck eher
abgestossen als angezogen. Dabei aergert man sich ueber die Idee, ein
solches von allen Fremden zu besuchendes Lokal auf die Achillesferse
Berlins, die Sandwueste Sahara, auf den Exerzierplatz zu bauen. Der
Berliner Staub, vergessen gemacht durch die freundlichen Anlagen des
Tiergartens, tritt wieder beizend, augenverderbend, unausstehlich in den
Vordergrund; denn recht in den Mutterschoss dieses Staubes ist das neue
Gebaeude gelegt worden. Man betritt es. Alles erscheint daran lueckenhaft,
hoelzern, durchsichtig, leichte Ware, berechnet auf einen kurzen Effekt.
Mit einem Blick uebersieht man die gewaltige Reitbahn des Vergnuegens.
Keine Abwechslung, kein lauschiges Versteck, keine Moeglichkeit des
Alleinseins. Die nackten weissen Holzwaende, mit Goldleisten zwar verziert
und hier und da bemalt, aber keine Draperien, keine Vorhaenge, das ganze
Lokal auf einen Blick in die flache Hand gegeben. Das Unterhaltende an
den Maskenbaellen in der grossen Oper zu Paris ist nicht der grosse
Tanzraum, sondern das bunte Gewuehl auf den Treppen, Korridoren, in den
Foyers, in Einrichtungen, die hier, bis auf einige wenige Logen, nicht
getroffen sind. Man kann allerdings sagen, Paris besitzt ein solches
Etablissement nicht; aber man muss hinzufuegen: Wenn man in Paris so
oberflaechlich waere, zum blossen Dasitzen, Gaffen und Begafftwerden eine
solche Unterhaltungsanstalt zu begruenden, so wuerde sie grossartiger,
geschmackvoller, charakteristischer sein. Im Kellergeschoss dieses Tempels
der Langeweile befindet sich ein so genannter "Tunnel", eine Lokalitaet
zum Rauchen, wie sie finsterer, schmutziger, erstickender kaum in London
gefunden werden kann. Man glaubt, dass die "Mysteres de Paris" hier ihren
Anfang haetten nehmen koennen. Man glaubt den tapis franc zu betreten und
sieht sich unwillkuerlich nach der Ogresse um. Aber auch die "Mysteres de
Berlin" koennten hier anfangen. Gibt es solche? Gedruckt schon eine grosse
Anzahl, und die zuerst kamen, von Schubar, schon in dritter Auflage ...
Schade, dass sich originelle Koepfe nicht leicht entschliessen werden, in
die Fussstapfen eines andern zu treten; wohl aber bliebe es wuenschenswert,
dass sich jemand der deutschen Zustaende so bemaechtigen koennte, wie Eugene
Sue der franzoesischen. Hat nicht am Ende auch Sue den Boz nachgeahmt, und
Boz wieder die alten humoristischen Romane der vorigen Jahrhunderte?
Mysterien von Berlin muessten grelle Schlaglichter auf Deutschlands
sittliche, gesellschaftliche und intellektuelle Zustaende fallen lassen,
muessten die Fackel der Aufklaerung nicht nur in die Kellergewoelbe der Armut
und des Verbrechens tragen, sondern auch in die truebe Daemmersphaere der
Schein- und Ueberbildung, der Luege und Heuchelei....




Impressionen--z.B.: Borsig (1854)


Berlin waechst an Strassen, mehrt sich an Menschen, aber man kann des
Abends um neun Uhr doch im Anhaltischen Bahnhofe ankommen und wird, mit
einer Droschke von der Wilhelmstrasse zu den Linden fahrend, glauben, in
Herculaneum und Pompeji zu sein; denn selbst die grosse Friedrichstrasse
gleicht dann schon einer verlaengerten Graeberstrasse. Auf fuenf von der
Eisenbahn herwackelnde Droschken zwei Menschen zu Fuss, einer auf dem
Trottoir rechts, einer auf dem Trottoir links. Doch es ist eigen mit der
Stille einer grossen Stadt. Am Gensdarmenmarkt feierliche Ruhe und in dem
so gespenstisch einsam daliegenden Schauspielhause stuermte vielleicht
eben ein vielhundertstimmiges da capo. In seinem Konzertsaale sang
wenigstens Jenny Goldschmidt-Lind.

Wenn man nicht in der Lage ist, seine Ankunft in Berlin vermittels
telegraphischer Depesche irgendeinem Hotelier Unter den Linden anzeigen
und sich eine Suite Zimmer im ersten Stock zweckmaessig vorrichten zu
lassen, so wird man in der Hauptstadt der Intelligenz immer einige Muehe
haben, sich in seinem Absteigequartier mit dem Wahlspruche auszusoehnen:
Laendlich, sittlich. Die Rechnungen der Hotels bleiben gewiss hinter den
Fortschritten der Zeit nicht zurueck, aber die Aermlichkeit der
Zimmerausstattungen, das Gepraege der auf allen moeglichen Auktionen
zusammengekauften Moeblierung und die scheinbare Halbeleganz gewisser,
durch uebermaessige Ausnutzung halbverwitterter Verzierungen, z.B. des
unvermeidlichen Wachstuchs auf den Fussboeden, stellt immer wieder die
Aermlichkeit des Berliner Komforts heraus, von den Betten, ihrer Enge,
ihren zentnerschweren Federpfuehlen nicht zu reden. Von Doppelfenstern ist
in der lichtliebenden Stadt wenig die Rede. Man erkennt auf diesem
Gebiete immer wieder in Berlin seine alten Pappenheimer und laesst sich's
an ihnen genuegen, wenn nur dafuer die Ausbeute an geistiger Anregung desto
belohnender zu werden verspricht.

Regen und Schnee, Sturm und Kaelte lassen die grossen Schmutzflaechen der
Berliner Plaetze und Strassen doppelt schauerlich erscheinen. Unabsehbar
sind diese Wasserspiegel. Unter den Linden fegen die Strassenkehrer eine
ganz eigentuemliche breiige Masse zusammen, ein fuenftes Element, das
bekanntlich auch nur in oder doch bei Berlin die Erfindung einer gewissen
Plastik aus Strassenkot moeglich gemacht hat. Ob sich nicht auch aus der
fluessigen und kaltgewordenen Lava, die von Kranzler bis zum Victoriahotel
stuendlich zusammengekehrt wird, wie aus Chausseestaub eine Terra cotta
fuer Eichlers plastisches Kabinett bilden liesse? An Ordnung in der
Handhabung der das Eis, den Schnee und den Schmutz betreffenden
polizeilichen Vorschriften fehlt es nicht. An jeder Strassenecke der
belebten Gegenden steht ein Konstabler, der nach dem Charakter der
preussischen Monarchie, als einer vorzugsweise spartanischen, auch nur im
Helme des Kriegers fuer den oeffentlichen Frieden sorgt. Man haette aber die
Neuerung des Helms nicht zu weit sollen um sich greifen lassen. Von der
Ehre, ihn tragen zu duerfen, hat man jetzt die Droschkenkutscher
gluecklicherweise wieder ausgeschlossen.

Eine in die Augen springende Verschoenerung der Stadt, die sie seit
einigen Jahren gewonnen, sind die nun endlich fertiggewordenen
Standbilder auf den grossen Granitwuerfeln der Schlossbruecke. Wohl ueber
zwanzig Jahre schon standen diese blanken Quadersteine und harrten ihrer
kuenftigen Bestimmung. Was hatte man nicht anfangs auf ihnen einst zu
erblicken gehofft? Heilige und Propheten, Panther und Loewen, beruehmte
Divisionsgenerale und bewaehrte wachsame Residenz-Kommandanten. Jetzt ist
"Das Leben des Kriegers" daraus geworden in griechischer Auffassung. Ob
die vielen Klagen ueber allzu grosse Natuerlichkeit dieser Gruppen einen
Grund haben, laesst sich noch nicht recht von dem heutigen Wanderer
beurteilen. Das Schneegestoeber verdeckt alle Aussicht, der durch die
einfache Trottoirreihe ohnehin beengte Fussboden ist zu nass, um irgendwo
bequem nach dem ionischen Himmel aufblicken zu koennen, der sich ueber
diesen weissen Marmorgruppen ausspannen sollte. Die armen Krieger, wie es
scheint gewoehnt an die Ebenen von Griechenland, wo sie als Ringkaempfer
bei den Nemeischen Spielen den Preis gewannen, haben heute dicke
Epaulettes von Schnee auf ihren Achseln liegen. Man darf mit ihnen
einiges Mitleid haben, man darf annehmen, dass sie frieren; denn zu
ersichtlich sind sie nach Modellen der schoensten Grenadiere vom ersten
Garderegiment gemeisselt; zu ersichtlich ist ihre Nacktheit keine
gewohnte, sondern nur ein zufaelliges Ausgezogensein bei einem
gutgeheizten Berliner Atelierofen; zu ersichtlich ist ihre nur auf die
allgemeine Militaerpflicht, die ein- und dreijaehrige Dienstzeit, die
Manoeverzeit und ein mobilisiertes Ausruecken nebst endlicher
Errungenschaft eines ehrenvollen Ordens oder einer Anstellung gehende
Allegorie. Die uebergrossen Fluegel der Viktorien sind schon fuer die
Harmlosigkeit einer Beziehung auf Griechenland zu verdaechtig. Man hat
diese Fluegel der Viktorien hier in neuerer Zeit schon zu stereotyp
neupreussisch, d.h. als Cherubimsschmuck, ausgebildet: Es sind dieselben
christlichen Viktorien, die auf Wachschen Bildern das Grab des Heilands
hueten, die den Eingang in die Kuppeldachkapelle des Schlosses bewachen
und auch sonst schon in die gewoehnlichen Verzierungen der Stadt
uebergegangen sind, selbst bei gewerblichen Zwecken. Diese mehr
christlichen als antiken Cherubim wecken in der Bekraenzung der Krieger
immer nur die Vorstellung eines seine Pflicht erfuellenden modernen jungen
Landesverteidigers, und darum scheint das Berliner Mitleid um die
erfrierenden jungen Konskriptionspflichtigen und der mehrfach geaeusserte
Wunsch, ihnen warmhaltende Maentel und Beinkleider zu schenken, nicht ganz
unmotiviert. Nur ueber die allzu natuerliche Wiedergabe der Natur hat man
sich mit Unrecht beklagt. Die jungen Grenadiere stehen so hoch, die
Granitwuerfel haben erst noch einen so ansehnlichen Ueberbau erhalten, dass
eine junge Dame schon sehr neugierig sein muss, wenn sie, aus einer
Predigt im Dom kommend, an dem modernen Griechentum auf der Schlossbruecke
ein Aergernis nehmen will ...

Die Zunahme Berlins an Strassen, Haeusern, Menschen, industriellen
Unternehmungen aller Art ist ausserordentlich. Auf Stellen, wo ich mich
entsinne, mit Gespielen im Grase gelegen und an einer Drachenschnur
gebaendelt zu haben, sitzt man jetzt mit irgendeiner Dame des Hauses,
trinkt Tee und unterhaelt sich ueber eine wissenschaftliche Vorlesung aus
der Singakademie. Wo sonst die blaue Kornblume im Felde bluehte, stehen
jetzt grossmaechtige Haeuser mit himmelhohen geschwaerzten Schornsteinen. Die
Fabrik- und Gewerbstaetigkeit Berlins ist unglaublich. Bewunderung erregt
es z.B., einen von der Natur und vom Glueck beguenstigten Kopf, den
Maschinenbauer Borsig, eine imponierende, behaebige Gestalt, in seinem
runden Quaekerhut in einer kleinen Droschke hin und her fahren zu sehen,
um seine drei grossen, an entgegengesetzten Enden der Stadt liegenden
Etablissements zu gleicher Zeit zu regieren. Borsig beschaeftigt 3000
Menschen in drei verschiedenen Anstalten, von denen das grosse
Eisenwalzwerk bei Moabit eine Riesenwerkstatt des Vulkan zu sein scheint.
Es kommen dort Walzen von 120 Pferdekraft vor. Borsig baut gegenwaertig an
der fuenfhundertsten Lokomotive. Man berechnet ein Kapital von sechs
Millionen Talern, das allein durch Borsigs Lokomotivenbau in Umsatz
gekommen ist. Es macht dem reichen Mann Ehre, dass er sich von den
gluecklichen Erfolgen seiner Unternehmungen auch zu derjenigen Foerderung
der Kunst gedrungen gefuehlt hat, die im Geschmacke Berlins liegt und dem
Koenige in seinen artistischen Unternehmungen sekundiert. Er hat sich eine
praechtige Villa gebaut und pflegt einen Kunstgarten, der schon ganz
Berlin einladen konnte, die Viktoria regia in ihm bluehen zu sehen.

Fuer gewisse industrielle Spezialitaeten gibt es in Berlin Betriebsformen,
die wenigstens auf dem Kontinente ihresgleichen suchen. Vor dem
Schlesischen Tore liegen die Kupferwerke von Heckmann. Hier werden jene
riesigen Vakuumpfannen geschmiedet, die man in den Ruebenzuckerfabriken
noetig hat; hier werden die Kupferdraehte fuer die elektrischen Telegraphen
gezogen. Heckmann bezieht sein Material direkt aus England, Schweden und
vorzugsweise Russland. Ebenso grossartig ist Ravenes Handel mit
Schmiedeeisen, Blei, Messing, Zinn und allen metallischen Rohprodukten.
Es charakterisiert den Berliner Grosskaufmann, der seine urspruenglichen
naiv-buergerlichen Triebe nicht lassen kann, dass Ravene in einem Anfall
guter Laune saemtliche verkaeufliche Weine in Bordeaux aufkaufte und sich
das Privatvergnuegen machte, das Modell einer grossartigen, aber soliden
Weinhandlung aufzustellen, an der es ihm in Berlin sehr noetig schien.
Goldschmidt und Dannenberger haben Kattunfabriken im Gange, die Tausende
von Menschen, die Bevoelkerung kleiner Stadtbezirke, beschaeftigen,
ueberdies ein pauperistisches Element enthalten, das eine umsichtige
Behandlung erfordert ...




Quatsch, Kroll und "Satanella" (1854)


Es gibt ein Wort, das man nur in Berlin versteht. Aber auch nur in Berlin
finden sich Erscheinungen, die man damit bezeichnen muss. Es ist dies der
Ausdruck: Quatsch.

Quatsch ist der Anlauf zum Witz, der, auf dem halben Wege stehen
bleibend, dann natuerlich noch hinter dem halben Verstande zurueckbleibt.
Denn man kann eine halbwegs vernuenftige Meinung, ein halbwegs ernstes
Urteil noch immer als eine leidliche Manifestation gesunder Vernunft
gelten lassen. Der halbe Verstand gehoert oft der Mystik an, die bis auf
einen gewissen Punkt auch gewoehnlich eine Art Logik fuer sich hat. Der
halbe Witz aber ist schrecklich. Er ist das absolut Leere. Er macht die
Voraussetzung, etwas Apartes bringen zu wollen und bleibt in der Grimasse
stecken. Er schneidet ein pfiffiges Gesicht und sagt eine Dummheit.
Quatsch ist nicht etwa der Unsinn. Es lebe unter Umstaenden der Unsinn!
Den Unsinn haben Aesthetiker goettlich genannt, den echten, wahren,
natuerlichen Unsinn, der die Haelfte z.B. des Wiener Witzes ausmacht. "Ein
vollkommener Widerspruch fesselt Weise und Toren", sagt Goethe; aber der
relative Widerspruch ist das ewig Gesuchte, das niemals Zutreffende, das
herren- und ziellos Herumtaumelnde und Faselnde, mit einem Wort das
Quatsche.

Berlin ist gross im Quatschen. Es kichert ueber jede Grimasse zum Witz,
wenn auch der Witz ausbleibt. Irgendeine zweimal wiederholte
absonderliche Redensart findet unverzueglich ihr Publikum. Man findet hier
Menschen, die fuer witzig gelten, weil sie keinen Satz enden wie andere
Menschen, jedes Ding mit einem andern Namen nennen, Begriffe verwechseln
und das Ernsteste im Tone der Ironie sagen. Es herrscht bei ihnen ein
ewiges Vermeiden der geraden Linie, die andere Menschen gehen; sie
fallen, sie stolpern ueber sich selbst; die Berliner nennen das alles
witzig, waehrend ein Vernuenftiger es Quatsch nennen muss. Ich sah "Mueller
und Schultze bei den Zulu-Kaffern". Der Gegensatz war burlesk genug. Die
wilden Hottentotten mit ihrem rasenden Tanze, ihrem Kriegsgeschrei, ihrem
gellenden Pfeifen, mit Gebaerden, die eine Hetze wahnsinniger Affen zu
zeigen schienen und im Grunde Furcht und Entsetzen, Grauen und Mitleid,
solches Gebaren menschlich nennen zu muessen, einfloesste, und unter ihnen
die beiden Stereotypen des "Kladderadatsch", zwar ziemlich treu im
Aeussern, aber in jedem Worte, das sie sprachen, Vertreter des absolut
Quatschen bis zum Ekel. "Schultze!" "Mueller!" "Mueller!" "Schultze!" "Bist
du et?" "Ja, ik bin et." "Hurrjeh!" usw. Man denke sich einen solchen
Scherz auf dem Palais-Royal-Theatre in Paris, wir wollen nicht einmal
sagen mit Levassor und Ravel, sondern nur mit Sainville und Kalekaire!
Das Krollsche Theater mag die Mittel nicht besitzen, gute Komiker zu
bezahlen, aber der Text von Cormon, Clairville, Dennery und wie die
Fabrikanten solcher Gelegenheitsscherze in den kleinern Pariser Theatern
heissen, wuerde nicht so unbedingt nur fade sein. Man muss das Pariser Oh!
Oh! gehoert haben bei jedem abblitzenden Einfall eines solchen
Unsinn-Textes, um zu verstehen, wie die Franzosen auch bei solchen
Veranlassungen witzig und geistreich sein koennen. Diese Berliner
Dramatisierung der Zulu-Kaffern war aber so widerwaertig, als wenn man
sich vorstellen wollte, der Naturgeist selbst erhuebe einmal seine
gewaltige Stimme, finge zu reden an und verwechselte dabei mir und mich.

Das Quatsche ist doch wohl in den Berliner dadurch gekommen, dass sein
urspruenglich einfacher, sogar naiver und kindlicher Sinn den
Anforderungen einer immer mehr anwachsenden und ueber seine geistige Kraft
hinausgehenden Stadt nicht gleichkommt. Schon das verdorbene
Plattdeutsch, das den Volksjargon bildet, traegt den Stempel der
Unzulaenglichkeit an sich. Es ist die absolute Sprache der Unterordnung,
der Beschraenktheit; es ist die Sprache der Hausknechte, Hoekerinnen,
kleinen Rentiers, der Kinder, des in die Stadt versetzten Bauers. Die
Sprechweise der Gebildeten traegt so sehr noch die Spuren vom Tonfall des
Volksdialekts, dass es zu einer ganz freien Sprachbehandlung im Sinne des
reinen Oberdeutschen hier nur bei sehr wenigen kommt. Wird nun ein so
beschraenktes und in seiner Art doch wieder sehr scharf ausgepraegtes
Sprachmaterial bestimmt, dem grossen Ideenkreise einer Stadt, die eine
Hauptstadt der deutschen Intelligenz sein will, zum Ausdruck zu dienen,
so entsteht dadurch jenes absolut Alberne, das man eine Art Geistespatois
nennen moechte. Diese Missgeburt entstand erst mit der Zeit, wo Berlins
Trieb nach oeffentlicher Bewaehrung wuchs. Seine Bevoelkerung emanzipierte
sich zum Grossstaedtischen. Die Schusterjungen machten wohl die oeffentliche
Meinung schon zu Friedrichs des Grossen Zeit; der Koenig sagte den
Katholiken, die das Fronleichnamsfest oeffentlich feiern wollten: Er haette
nichts dagegen, wenn die Schusterjungen es nicht hinderten. Allein die
literarische Vertretung des Schusterjungentums ist neu und schreibt sich
von den bekannten Eckensteherwitzen her. Dieser Fortschritt war an sich
nicht unwichtig. Es ist mit diesem Neu-Berlinertum viel gesunde Vernunft
zur Geltung gekommen und wer wuerde verkennen, dass "Kladderadatsch" ganz
Deutschland, von Saarlouis bis Tilsit, vorm Einschlafen geschuetzt hat?
Aber die "Gelehrten des Kladderadatsch" sind witzige Auslaender, die sich
nur berlinischer Formen bedienen. Ohne die Schaerfe dieses Blattes wuerden
diese Formen, wie die Erfahrungen auf den neueroeffneten hiesigen Buehnen
zeigen, ganz ins Quatsche zurueckfallen.

Die Art, wie hier in neuerer Zeit Buehnen eroeffnet worden sind (um diese
Faehrte des Geschmacklosen weiter zu verfolgen), ist eine der
unglaublichsten Inkonsequenzen einer Regierung, die in allen andern
geistigen Faechern so ausserordentlich schwierig ist. Das Ministerium
Ladenberg ging auf eine so gewissenhafte Revision der Theaterkonzessionen
aus, und in Berlin durften Kaffeehaeuser und Tanzlokale sich in Theater
verwandeln! Es ist noch ein wahres Glueck, dass unser Schauspielerstand
durch die sogenannten Tivolitheater nicht ganz verwildert ist, was
freilich in einigen Jahren immer mehr der Fall sein wird; es finden sich
immer noch einzelne Darsteller, die den Ehrgeiz besitzen, mit ihrer Kunst
nicht ganz zugrunde zu gehen. Kaum ist die naechste materielle Not
befriedigt, so werden sie bestrebt sein, den gluecklicher gestellten
Kollegen an den Hof- und grossen Stadttheatern gleichzukommen und Besseres
und Edleres zu spielen. So hat sich das hiesige Friedrich-Wilhelmstaedtische
Theater, besonders durch die Bemuehungen der trefflichen HH. Goerner und
Ascher, zu einer ueberraschenden Geschmacksrichtung, die sich in den
schwierigsten aesthetischen Aufgaben versucht, emporgearbeitet, allein im
Sommer verwandelt es sich wieder in ein Parktheater und noch ist die
Bevoelkerung zu sehr geneigt, an dem Ton Freude zu haben, der auf einigen
andern Theatern im Sinne des Quatsch angeschlagen wird. Theater ueber
Theater! Hier gehen Menschen herum, die, ohne die geringste geistige
Bildung, ohne Geldmittel sogar, eine Theaterkonzession in der Tasche
haben; andere glauben sie ohne weiteres durch ein geeignetes Fuerwort an
hoher Stelle erlangen zu koennen. Einen Zirkus zu eroeffnen oder eine Buehne
scheint nach den Gesetzen der Gewerbefreiheit einerlei und allerdings hat
jeder Spekulant recht, wenn er sich auf seine Vorgaenger beruft und z.B.
fragt: Wie kommt der Cafetier Kroll zu einer Buehne, wie kommen zwei
Gebrueder Cerf, Handlungsbeflissene, dazu, wie kommt jener einst zum
Gespoett der Vorstaedte deklamatorische Vorstellungen gebende Rhetor
Graebert dazu? Wer ist Herr Carli Callenbach, der auch ein Theater
besitzt? Diese Anarchie auf dem dramatischen Gebiete macht dem Freunde
der Literatur ganz denselben Eindruck, wie es dem Freunde militaerischer
Ordnung peinlich war, sogenannte Buergerwehr in rundem Hut und Ueberrock
die Armatur der koeniglichen Zeughaeuser tragen zu sehen. Nicht dass die
Buergerwehr als solche zu verwerfen war, aber sie bedurfte der
Organisation, sie bedurfte jener Haltung, die dem Waffendienste geziemt;
ebenso verletzt wendet sich die dramatische Muse ab, wenn man ihr opfert
wie dem Gambrinus in bayrischen Bierstuben. Man kann die treffliche
Organisation der Pariser Theater mit diesen Polkawirtschaften Thaliens in
keine Vergleichung bringen, man vergleiche wenigstens die Theater der
Wiener Vorstaedte. Die Josephstaedter Buehne ist vielleicht diejenige unter
ihnen, die am tiefsten steht und doch hat sie eine bestimmte Spezialitaet;
manches Talent, z.B. Mosenthals, entwickelte sich zuerst auf ihr,
"Deborah" erschien zuerst auf der Josephstaedter Buehne.

Das Repertoire des Koeniglichen Theaters fand ich im Schauspiel sehr wenig
anziehend, "Waise von Lowood", "Deutsche Kleinstaedter", "Geheimer Agent"
usw. Es herrscht hier eine Unsitte, mit der sich kein noch so
wohlmeinender aesthetischer Sinn vereinbaren laesst, naemlich die Befolgung
der Spezialbefehle, welche die einheimischen und fremden hoechsten
Herrschaften ueber die Stuecke aussprechen duerfen, die sie zu sehen
wuenschen. Es ist dies eine Form des Royalismus, die in der Tat etwas
auffallend Veraltetes hat und in dieser Form in keiner Monarchie der Welt
vorkommt. Bald heisst es: "Auf hoechstes Begehren", bald: "Auf hohes
Begehren", bald: "Auf Allerhoechsten Befehl", bald nur einfach: "Auf
Befehl", unter welcher bescheidenem und auch seltener vorkommenden Form
sich die Wuensche des Koenigs zu erkennen geben. Was ist das aber fuer eine
Unsitte, dass die Kammerherren auch jeder durchreisenden, prinzlichen
Herrschaft die Stuecke bestellen, welche diese zu sehen wuenschen! Die
geistigen Armutszeugnisse, die sich Prinzen, Prinzessinnen, ab- und
zureisende kleine Dynasten und Dynastinnen mit ihren Wuenschen um dieses
Ballet, um jene Oper, um eine kleine Posse geben duerfen, sind schon an
sich klaeglich und fallen ganz aus der Rolle, welche die Monarchie
heutigen Tages zu spielen hat; aber der Gang der Geschaefte wird dadurch
auch auf eine Art unterbrochen, unter welcher Kunst und Publikum leiden.
Hat eine Prinzessin eine Empfehlung von auswaerts bekommen, die ihr eine
Schauspielerin oder Saengerin ueberbrachte, so bestellt sie die Stuecke, in
denen sie auftreten soll. Kommt der Hof aus Mecklenburg-Strelitz, so legt
man ihm die Stuecke vor, die gerade leicht anzurichten sind, er streicht
sich einige an und man liest: "Auf hoechstes Begehren: 'Der geheime
Agent'", ein Stueck, das jetzt auf jedem Liebhabertheater gesehen werden
kann. Der Koenig besitzt so viel Geist, dass ihm diese Manifestationen des
Privatgeschmacks seiner Brueder oder Neffen oder Vettern ohne Zweifel viel
Heiterkeit verursachen; er sollte aber einen Schritt weitergehen und
diesen Missbrauch der von den Kammerherren veraenderten Repertoires im
Interesse der Kunst und des Publikums verbieten. Es macht sich dies
oeffentlich kundgegebene Denken und Mitreden der "Herrschaften" in einem
Staate, der ja doch wohl ein konstitutioneller sein soll, sehr wenig nach
dem Geiste der in ihm allein anstaendigen Oeffentlichkeit.

Natuerlich ergibt sich unter solchen Umstaenden, wo die Grossen und
Maechtigen oeffentliche Fingerzeige ueber ihren eigenen Geschmack geben
duerfen, die Foerderung des Gedankenvollen und Notwendigen an einer Buehne
weit schwieriger. Wenn sich die Grossen "Satanella" oder "Aladins
Wunderlampe" kommandieren, wenn Pferde auf dem Koenigsstaedter Theater
agieren, Klischnigg, der Affenspieler, und die Zulu-Kaffern auf dem
Krollschen Theater ihr Wesen treiben, kann eine erste Auffuehrung eines
neuen Dramas im Schauspielhause nur ein kleines Publikum finden; vor
einem halbbesetzten Hause sah ich die erste Auffuehrung des "Demetrius"
von Hermann Grimm. Es war ein kleines Geheimratspublikum aus der Gothaer
Richtung; ein paar Offiziere, einige Professoren, wenig Studenten, auf
zehn Menschen immer ein bestallter Rezensent. Die Darstellung war ebenso
warm wie die Ausstattung glaenzend. Das funkelte von Farbenpracht, Frische
und Neuheit der Kostuemstoffe, ueberall, in den kleinsten Ausschmueckungen
der Waende zeigte sich ein vorhergegangenes Studium der betreffenden
Geschichte, Sitten und Kleidertrachten der Zeit, in welcher die Handlung
spielte. Das Stueck war eine Anfaengerarbeit, die kaum Talent verriet (nur
aus Ueberfuelle sprudelt der Quell einer geistigen Zukunft, nicht aus einer
Duerftigkeit, wo sich Armut den Schein der Einfachheit geben will), aber
die Darstellung ging von einem schoenen Glauben an den Wert des Stueckes
aus; nirgends sah man ihr eine Missstimmung ueber die aufgebuerdete,
undankbare und fuer die Zeit der besten Saison verlorene Aufgabe an und
mit dem halbunbewussten Pflichtgefuehl verband sich die noch immer
ausserordentlich ansprechende Natuerlichkeit der Hendrichsschen Spielweise.
Rollen, die keine Schwierigkeiten der Dialektik bieten, wird Hendrichs
immer vorzueglich spielen. Dieser Kuenstler ist ein schwacher Hamlet, aber
ein liebenswuerdiger und ueberredender Romeo. In seiner Passivitaet liegt
Poesie und da er nur die Konturen ausfuellt, die der Dichter ihm
vorzeichnet, so nimmt er durch die Treue und Einfachheit, mit der er sich
seinen Aufgaben unterzieht, ueberall fuer sich ein, wo einmal die Macht der
Gewoehnung ein Publikum fuer ihn gewonnen hat, wie in Berlin, Frankfurt und
Hamburg, wo er gewohnte Triumphe feiert.

Ich bedauerte, Dessoir nicht beschaeftigter zu finden. Dieser geistvolle
Schauspieler leidet hier an der ueblichen Abgrenzung unserer Rollenfaecher.
Der Begriff eines Charakterspielers, den er zu vertreten hat, ist so
vieldeutig. Man kann Hamlet als Liebhaber spielen, man kann ihn aber
auch, wie Dawison und Dessoir tun, als Charakterzeichnung geben. Dessoir
ist einer jener Schauspieler, die zwar in jedem Ensemble eine Zierde sein
werden, selbst wenn sie nur zweite Rollen spielen, aber Dessoir hat den
ganzen Beruf, eine Stellung einzunehmen, die ihn zum Matador einer Buehne
macht und jede bedeutende Aufgabe, die nicht ganz dem Liebhaberfache
angehoert, ihm zuweist. Alle die Rollen indessen, auf die ihn sein
kuenstlerischer Trieb hinfuehren muss, sind noch im Besitze der Herren Rott
und Doering. Es spricht fuer die geistige Anregung, die Berlin bietet, fuer
die Belohnung, die man im Beifall eines natuerlich sich hingebenden
Publikums findet, dass Dessoir darum doch seinen hiesigen, hoechst
ehrenvoll behaupteten Platz mit keinem andern vertauschen moechte.

Vom Schauspiel sagt man an der Verwaltungsstelle, es wuerde keineswegs
vernachlaessigt und es hat sich seit Dueringers Mitwirkung sehr gehoben;
dennoch muss man bei dem Vergleiche der unverhaeltnismaessigen Pracht, die
das Opernhaus umgibt, wuenschen, es wuerde doch endlich ganz von der Musik
und dem Ballett getrennt, es verfolgte seine ernste und schwierige
Aufgabe fuer sich allein. Das Schauspiel kann nur ein Stiefkind erscheinen
gegen die Art, wie die Leistungen des Opernhauses nicht etwa von der
Verwaltung geboten, sondern vom Publikum empfangen werden. Neun glaenzende
Proszeniumslogen ziehen fast ebensoviel Aufmerksamkeit auf sich wie die
Leistungen der Szene. Das Opernhaus ist das Stelldichein der hoehern und
mittlern Gesellschaft, der stete Besuchsort der Fremden, die Sehnsucht
der allgemeinen Schaulust und ein Tempel des Genusses. Nicht Paris und
Wien finden im Ballett ihre speziel1sten sinnlichen Beduerfnisse so
befriedigt wie Berlin. "Satanella" und "Aladins Wunderlampe" sind die
Ballette des Tages, die jeder gesehen haben muss und die derjenige, der
die Mittel besitzt, nicht oft genug sehen kann. Welche Fuelle von Licht,
Farbe, Glanz aller Art, von Jugend, Schoenheit und Gefallsucht! Die
musikalischen Kraefte sind hier so gross, dass z.B. an einem Abend im
Opernhause der "Prophet" gegeben werden kann, im Schauspielhause die
Zwischenaktmusik zu "Egmont" vol1staendig da ist und noch in der
Singakademie ein Konzert mit der koenigl. Kapelle begleitet werden kann.
Es ist dies nur moeglich durch die Unzahl von Akzessisten und
Exspektanten, die zwar nicht die Leistungen vorzueglich, aber alle Faecher,
auch die des Chors und des Ballettkorps so vol1staendig machen. Auf
dreissig Taenzerinnen, welche die Verwaltung besoldet, kommen ebensoviel
junge, huebsche, talentvolle Maedchen, die unentgeltlich mitwirken, nur um
der Anstalt anzugehoeren und vielleicht einmal in die besoldeten Stellen
einzuruecken. Vor der Auswahl von jungen Leuten, die Eltern und Angehoerige
"um Gotteswillen" der Verwaltung zu Gebote stellen, kann diese sich kaum
retten. Daher auf der Szene die ueberraschendste Massenentfaltung. Die
Kunst der Beleuchtung, der Glanz der Kostueme, der Geschmack der
Dekorationen ist aufs hoechste getrieben. Da steigen Feentempel aus
der Erde, da senken sich Wolkenthrone mit allen Heerscharen des
orientalischen Himmels nieder, da leuchten und blitzen unterirdische
Grotten von Ede1steinen, da sprudeln natuerliche Springbrunnen im
Mondenschein und fallen, vielfach gebrochen, in Bassins herab, an deren
Raendern die lieblichsten Gestalten schlummern. Jede Demonstration der
Szene ist ganz und vol1staendig. Nirgendwo erblickt man die Hilfsmittel
der blossen Andeutung, die an andern Buehnen die Illusion vorzugsweise in
die ergaenzende Phantasie der Zuschauer legt; hier ist die Schere der
Oekonomie verbannt, die aus Amazonenroecken von heute fuer morgen Pantalons
fuer Verschnittene macht. Hier fangen alle Schoepfungen immer wieder von
vorn an. Kein Kostuemier und Dekorateur ist an die Wiederaufstutzung alter
Vorraete gewiesen; hier regieren jene Warenmagazine, wo es immer wieder
neue Seide, neuen Sammet und fuer die geschmackvol1sten Maler neue
Leinwand gibt.

Ein Ballett in Berlin zu sehen wie "Satanella" ist in vieler Hinsicht
lehrreich. Dem Aesthetiker macht vielleicht die Grazie und herausfordernde
Keckheit z.B. der jungen Marie Taglioni eine besondere Freude, aber die
Vorstellung im grossen und ganzen mit allem, was dazu auch von Seiten des
Publikums gehoert, ist kulturgeschichtlich merkwuerdig. Dieser Marie
Taglioni sollte man eine Denktafel von Marmor mit goldenen Buchstaben und
mitten in Berlin aufstellen. Sie tanzt die Hoelle, aber sie ist der wahre
Himmel des Publikums; sie tanzt die Luege, aber sie verdient ein Standbild
als Goettin der Wahrheit. Denn man denke sich nur dies junge, reizende,
uebermuetige Maedchen mit ihren beiden Teufelshoernchen an der Stirn, mit dem
durchsichtigen Trikot, mit den allerliebsten behenden Fuesschen, mit den
tausend Schelmereien und Neckereien der Koketterie, wie nimmt sie sich
unter den ehrwuerdigen Tatsachen des gegenwaertigen Berlins aus! Dieser
kleine Teufel da, im rosaseidenen, kurzen Flatterroeckchen, ist sie etwa
die in der Vorstadt tanzende Pepita? Nein, sie ist das enfant cherie der
Berliner Balletts, und das Berliner Ballett ist das enfant cherie der
Stadt, des Hofs, ist die Kehrseite der frommen Medaillen, die hier auf
der Brust der Heuchelei von Tausenden getragen werden. Buechsel,
Krummacher, Bethanien, Diakonissen, Campo-Santo, Sonntagsfeier, Innere
Mission--was ist das alles gegen einen Sonntagabend, wenn Berlin in
"Satanella" seine wahre Physiognomie zeigt! Die Prinzen und Prinzessinnen
sind anwesend. Hinten auf der Szene funkelt ein Ordensstern neben dem
andern, jede Kulisse ist von einem Prinzen besetzt, der sich mit den
kleinen Teufelchen des Corps de ballet unterhaelt. Der erste Rang zeigt
die Generale und Minister, das Parkett den reichen Buergerstand, die
Tribuene und der zweite Rang die Fremden, die den Geist der Residenz in
der Provinz verkuenden werden, die obern Regionen beherbergen die
arbeitenden Mittelklassen und selbst die halbe Armut, der man sonst nur
Traktaetchen in die Hand gibt, hat hier das Frivo1ste aller Textbuecher
muehsam nachzustudieren, um die stumme Handlung der Szene zu verstehen.
Welche Wahrheit deckst du doch auf, du echte Berliner, in der
Treibhauswaerme der speziel1sten, koeniglich preussischen Haus-Traditionen
grossgezogene Pflanze, Marie Taglioni geheissen! O so werft doch, ihr
besternten Herren, eure Masken ab! Verratet doch nur, dass euer
Privatglaube nichts mehr liebt als die Goetter Griechenlands und dass nicht
etwa hier der Kultus des Schoenen, sondern draussen euer offizielles System
eine Komoedie ist.

Satanella verfuehrt einen jungen Studenten, dem das Repetieren seiner
Collegia bei Stahl und Keller zu langweilig scheint. Er hat eine
Verlobte, die vielleicht Geibel und "Amaranth" liest, aber niemand wird
zweifelhaft sein, dass der junge, kuenftige Referendar besser tut, sich an
Heinrich Heine, an die schoene Loreley und die Taglioni zu halten. Wie
kalt und nuechtern ist auch die Liebe eines Fraeulein Forti gegen die Liebe
einer Satanella! Es geht mit letzterer allerdings bergab und geradewegs
in die Hoelle, aber welcher Zuschauer wird der Narr sein und nicht
einsehen, dass der Satan den jungen Lebemann nur anstandshalber holt! Kann
das eine echte Hoelle sein, in der sogar schon kleine Kinder tanzen, schon
kleine Kinder mit Satanshoernern umherspringen und, wie von Selma Bloch
geschieht, ein recht widerliches Solo tanzen? Kann das die echte Hoelle
sein, deren Vorhof die wunderbarste Mondscheinnacht von Gropius mit dem
reizendsten Chateau d'eau und der stillschlummernden antiken Marmorwelt
ist? Wird irgend ein Vernuenftiger einraeumen, dass die Konsistorialraete
Recht haben, wenn sie die Venus von Milo eine schoene "Teufelinne", die
Antiken des Vatikan ueberhaupt, wie Tholuck getan, "schoene Goetzen" nennen?
Verwandelt sich all' diese Lust und Liebe, all' diese Freude und
Behaglichkeit nicht vielmehr nur rein "anstandshalber", d.h. um dem
Vorurteil zu genuegen, in Pech und Schwefel, und wird irgend jemand eine
solche Vorstellung, wo besternte Prinzen jede Attituede der
Solotaenzerinnen beklatschen, mit einer andern Meinung verlassen als der:
Ich fuehle wohl, es muss einen Mittelweg zwischen Elisabeth Fry und Marie
Taglioni, einen Mittelweg zwischen Bethanien und dem Opernhause, einen
Mittelweg zwischen den Konzerten des Domchors und Satanella geben? Diese
Berliner Ballettabende wecken einen ebenso grossen Abscheu vor der
maetressenhaften Sinnlichkeit, die durch sie hindurchblickt, wie vor der
Kasteiung des Fleisches in der neuen Lehre vom Gefangengeben der Vernunft
und dem fashionablen Buessertum, dessen neupreussische Fruechte wir
hinlaenglich kennen.

Beide Extreme gehen in Berlin auf eine erschreckende Art nebeneinander.
Sie gehen nicht etwa getrennt nebeneinander, sondern im Durchschnitt in
denselben Personen. Die Heuchelei und die Ruecksicht auf Karriere mietet
sich einen "Stuhl" in der Matthaeuskirche, nur damit an dem Schilde
desselben zu lesen ist: "Herr Assessor N. N." und die stille Sehnsucht
des wahren innern Menschen ist hier doch allein--der Genuss. Dem Genuss
bauen auch andere Staedte Altaere; die buntesten, mit Rosen geschmueckten
Altaere baut z.B. Wien. Aber Berlin ergibt sich immer mehr einer Form des
Genusses, die nur ihm ganz allein angehoert. Es ist dies die Genusssucht
eines Fremden, der in vierzehn Tagen durch seine gefuellte Boerse alles
bezahlt, was man in einer Residenz, die er vielleicht in Jahren nicht
wiedersieht, fuer Geld bekommen kann. Es ist die Genusssucht des
Gutsbesitzers, der seine Wolle in die Stadt faehrt und sich mit vierzehn
Tagen Ausgelassenheit fuer ein Jahr der Entbehrung auf seiner Scholle
entschaedigt. Dies Berliner Lecken und Schlecken hat die Bevoelkerung so
angesteckt, dass man mit Austernschalen die Strassen pflastern koennte.
Wohlleben und Vergnuegen ist die Devise des hiesigen Vegetierens geworden,
nirgend wird man z. B. den Begriff "Bowle machen" jetzt so schleckerhaft
ausgesprochen finden. Die Betriebsamkeit wird durch den Luxus wohl eine
Weile gestachelt werden, an Grossstaedtigkeit der Unternehmungen fehlt es
nicht; aber wenn die natuerlichen Kraefte versagen, tritt das Raffinement
ein und das Raffinement des Verkehrs, gewoehnlich Schwindel genannt, soll
hier in einem Grade herrschen, der keine Grenzen mehr kennt. Denn was ist
die Grenze, die man Bankrott nennt? Aus Nichts werden die glaenzendsten
Unternehmungen hervorgerufen. Mit einem Besitze von einigen tausend
Talern mutet man sich die Stellung eines Kapitalisten zu. Der Kredit gibt
nicht dem Redlichen mehr Vorschub, sondern dem Mutigen. Die
Entschlossenheit des industriellen Waghalses leistet das Unglaublichste.
Wo die groessten Spiegel glaenzen, wo die goldenen Rahmen tief bis zur Erde
niedergehen, wo in den Schaufenstern der Butiken die fabelhafteste
Scheinfuelle des Vorrats mit dem Geschmack der Anordnung zu wetteifern
scheint, kann man gewiss sein, auf hundert Faelle bei neunzig nur eine
Grundlage anzutreffen von eitel Luft und windiger Leere.

Es ist mannigfach schon eine Aufgabe der neuern Poesie, der sozialen
Romantik geworden, den Lebenswirren, die sich aus solchen Zustaenden
ergeben muessen, nachzuspueren. Der Totenwagen rasselt still und ernst
durch dies glaenzende Gewuehl. Rauschende Baelle, in der Faschingsnacht ein
Wagendonner bis zum fruehen Morgen und die Chronik der Verbrechen, die
Statistik der Selbstmorde gibt dem heitern Gemaelde doch eine daemonische
Beleuchtung. Erschuetternd war mir z.B. die Nachricht, dass der Philosoph
Beneke von der Universitaet ploetzlich vermisst wurde und wahrscheinlich
sich entleibt hat. Erst jetzt kam zur Sprache, dass dieser redliche
Forscher, der sich in der Erfahrungsseelenkunde einen Namen erworben und
besonders auf die neuere Paedagogik einen nuetzlichen Einfluss gehabt hat,
seit laenger als zwanzig Jahren nicht endlich ordentlicher Professor
werden konnte und sich mit einem jaehrlichen Gehalte von 200 Talern
begnuegen musste! Zweihundert Taler jaehrlich fuer einen Denker, waehrend es
hier Geistliche gibt, die es auf jaehrlich 5000 Taler bringen! Beneke war
ein Opfer des Ehrtriebes, der hier noch zuweilen einen edeln Menschen
ergreift, nicht auf der allgemeinen Bahn des Schwindels gehen zu wollen.
Des Mannes Erscheinen war einfach, war fast pedantisch. Er hatte vor
zwanzig Jahren die etwas steifen Manieren eines Goettinger Professors nach
Berlin gebracht. Seine Vortraege waren etwas aengstlich, seine Perioden
allzu gewissenhaft, sein System knuepfte wieder an Hume und Kant an, er
ging ueber die endlichen Bedingungen unsers Denkens nicht tollkuehn in die
Unendlichkeit; was sind Kennzeichen solcher altbackenen Soliditaet in
einer Stadt wie Berlin, wo nur die glaenzende Phrase, der saillante Witz
und Esprit, das kecke Paradoxon und jener doktrinaere Schwindel etwas
gilt, den Hegel aufbrachte, Hegel, der jahrelang die trivia1sten Koepfe,
die nur in seiner Tonart zu reden wussten oder die es verstanden, ihrem
sogenannten Denken eine praktische Anwendung auf beliebte Religions- und
Staatsauffassungen zu geben, zu ordentlichen Professoren befoerdern
konnte! Hamlet ist auch darin das grosse und Shakespearen auf den Knien zu
dankende Vorbild aller mit der Welt verfallenen Geistesfreiheit, dass er
auf des Koenigs Frage, wie es ihm ginge, antwortet: "Ich leide am Mangel
der Befoerderung."

--Wer ertruege Den Uebermut der Aemter und den Kummer Den Unwert
(schweigendem Verdienst erweist!)




Neues Museum--Schlosskapelle--Bethanien (1854)


Eine derjenigen Schoepfungen des Koenigs, in denen man unbehindert von
irgendeiner drueckenden Nebenempfindung atmet, ist und bleibt das Neue
Museum. Der Fremde wird es bei jedem Besuche wiederzusehen sich beeilen,
er wird sich der Fortschritte freuen, die die Vollendung des Ganzen
inzwischen gemacht hat, er wird sich in diesen Raeumen aller laestigen
Beziehungen auf lokale Absichten und Einbildungen erwehrt fuehlen und im
Zusammenhange wissen nur mit jenen allgemeinen deutschen
Kunstbestrebungen, die uns die Schoenheit und Pracht von Muenchen, die
Ausschmueckung des koeniglichen Schlosses in Dresden, die neuen Plaene fuer
Weimar und Eisenach, unsere neuen Denkmaeler, Kunstausstellungen,
Kunstvereine und den Aufschwung unserer Akademien geschaffen haben. Das
Neue Museum liegt in einem versteckten, zur Stunde noch beengten,
unfreundlichen Winkel der Stadt, aber es ist die traulichste Staette der
Begruessung, das heiterste Stelldichein des Geschmacks und der pruefenden,
immer mehr wachsenden Neugier der Einheimischen und der Fremden, die
sogleich hierher eilen. Es entwickelt sich langsam, aber reich und
gefaellig. Es entwickelt sich unter Auffassungen, die uns wahlverwandt
sind. Wir sind in Italien und in Muenchen vorbereitet auf das, was wir
hier wiederfinden. Diese Raeume hat mit den Eingebungen seines Genius
vorzugsweise eine grosse, freie Kuenstlernatur zu beleben, ein Dichter mit
dem Pinsel, ein Denker nach Voraussetzungen, die nicht aus dem maerkischen
Sande stammen. So stoert uns denn auch hier kein beliebter byzantinischer
Schwu1st, keine russischen Pferdebaendiger, oder Athleten oder Amazonen
erfuellen uns, waehrend wir an Athen denken wollen, mit lakedaemonischen
Vorstellungen; selbst die hier in Berlin ueberall aushaengende Devise:
"Nach einem Schinkelschen Entwurf", stoert uns nicht. Man muss Schinkel
einen erfindungsreichen und sinnigen Formendichter nennen, aber er schuf
doch wahrlich zu viel auf dem Papiere, er zeichnete zu viel abends bei
der Lampe; es waren geniale Studien und Ideen, die er ersann von
Palastentwuerfen an bis zu Verzierungen von Feilnerschen Oefen; aber es
fehlte ihm doch wohl eine gewisse Kraft, Reinheit und Einfachheit
des Stils....

Eine zweite grosse Schoepfung des Koenigs ist die (Kuppeldachkapelle des
Schlosses). Sie hat eine halbe Million gekostet und ist unstreitig eine
Zierde des Schlosses nach dem ihm eigentuemlichen Geschmack, wenn auch
eben keine Bereicherung der Kunst. Der Baumeister Schadow errichtete die
gewaltige Woelbung auf einem Platze, der bisher im Schlosse unbeachtet
gewesen war, verfallene Wasserwerke enthielt, altem Geruempel, freilich
aber auch den vortrefflichen Schlueterschen Basreliefs, die jetzt die
Treppe zieren, als Aufbewahrungsort diente. Die Spannung des mehr ovalen
als runden Bogens ist meisterhaft ausgefuehrt. Einen ueberraschenden
Eindruck wird der Eintritt in diesen Tempel jedem gewaehren, der sich erst
im Weissen Saale an den schoenen Formen der Rauchschen Viktoria geweidet
hat und zu ihm dann auf Stiegen emporsteigt, die mit lebenden Blumen
geschmueckt sind und mit Kronleuchtern, die nur etwas zu salonmaessig durch
Milchglasglocken ihre Flammen daempfen sollen. Man erwartet in der Kapelle
weder diese Groesse noch diese Pracht. Bei laengerer Betrachtung schwindet
freilich der erste Eindruck. Das steinerne, mit Marmor und Bildern auf
Goldgrund ueberladene Gebaeude wird dem Auge kaelter und kaelter. Der Altar,
wenn auch mit einem aus den kostbarsten Ede1steinen zusammengesetzten
Kreuze geziert, die Kanzel, der Fussboden, alles erscheint dann ploetzlich
so nur fuer die Schwuele der suedlichen Luft berechnet, dass man das
lebendige Wort Gottes hier weder recht innerlich vorgetragen noch recht
innerlich empfangen sich denken kann. Das Auge ist zerstreut durch das
Spiel aller hier zur Verzierung der Waende aufgebrachten Marmorarten. Da
gibt es keine Farbe, keine Zeichnung des kostbarsten Bausteins, von der
nicht eine Platte sich hier vorfaende wie in einer mineralogischen
Sammlung. Zu dieser durch die Steine hervorgerufenen Unruhe gesellt sich
die Ungleichartigkeit der Bilder. Sie scheinen alle nach dem Gedanken
zusammengestellt, die Foerderer der Religion und des Christentums zu
feiern. Aber auch dies ist ein Galerie- oder Museumsgedanke, kein reiner
Kirchengedanke. Huss, Luther, die Kurfuersten von Brandenburg stehen
vis-a-vis den Patriarchen und den Evangelisten. Da muss es an der einigen
Stimmung fehlen, die Andacht hebt sich nicht auf reinen Schwingen, man
kann in einem solchen Salon nur einen konventionellen Gottesdienst
halten. Ach, und dieser Fanatismus fuer das konventionell Religioese sitzt
ja wie Mehltau auf all' unsern Geistesblueten! Man denkt nicht mehr, man
prueft nicht mehr, man uebt Religion nur um der Religion willen. Man ehrt
sie um ihrer Ehrwuerdigkeit, man ehrt sie wie man Eltern ehrt, deren
graues Haar unsere Kritik ueber die Schwaechen, die sie besitzen,
entwaffnen soll. Das ist der Standpunkt der Salon-Religion. Man will
nicht pruefen, man will nicht forschen, man umrahmt mit Gold und Ede1stein
die Tradition, die man auf sich beruhen laesst. Man schlaegt sein
rauschendes Seidenkleid in kuenstlerische Falten, wenn man im Gebetstuhl
niederkniet; man schlaegt sein goldenes Gebetbuch auf, liest halb
gedankenlos, was alte Zeiten dachten, denkt vielleicht mit Ruehrung dieser
Zeiten, wo der Glaube von so vielem Blute musste besiegelt werden, gesteht
wohl auch seine eigenen suendigen Einfaelle und Neigungen ein, gibt sich
den Klaengen einer vom Chor einfallenden Musik mit einigen quellenden
Traenen der Nervenschwaeche und Ruehrung hin und verlaesst die Staette der
Andacht mit dem Gefuehl, doch dem Alten Rechnung getragen, doch eine
Demonstration gegeben zu haben gegen die anstoessige und in allen Stuecken
gefaehrliche neue Welt! Das ist die Religions-Mode des Tags. Fuer diese
Richtung eines vornehmen Dilettierens auf Religion kann man sich keinen
zweckentsprechendern Tempel denken als die neue Berliner Schlosskapelle.
Sie erleichtert vollkommen die manchmal auch wohl laestig werdenden
Ruecksichten einer solchen Art von Pietaet.

Weitentlegen vom Geraeusch der Stadt und nur leider in einer zu kahlen,
baumlosen Gegend liegt Bethanien, die seit einigen Jahren errichtete
Diakonissenanstalt. Man faehrt an einer neuen, im Bau begriffenen
katholischen Kirche vorueber und bewundert die grossartige Anlage dieses
vielbesprochenen Krankenhauses, das sich bekanntlich hoher Protektion zu
erfreuen hat. Dennoch soll die Stiftung eine staedtische sein und ab und
zu wird man von Bitten in den Zeitungen ueberrascht, die Bethanien zu
unterstuetzen auffordern, Bitten, die wiederum dies Institut fast wie ein
privates hinstellen. Zweihundert Kranke ist die gewoehnliche Zahl, fuer
welche die noetigen Einrichtungen vorhanden sind. Dem fast zu luxurioes
gespendeten Raume nach koennten noch einmal soviel untergebracht werden.
Man hat hier ein Vorhaus, eine Kirche, einen Speisesaal, Wohnungen der
Diakonissen und Korridore von einer Ausdehnung, die fast den Glauben
erweckt, als waere die naechste Bestimmung der Anstalt die, eine Art
Pensionat, oder Stift oder Kloster zu sein, das sich nebenbei mit
Krankenpflege beschaeftigt. Ohne Zweifel ist auch die Anlage des
Unternehmens auf eine aehnliche Voraussetzung begruendet. Bethanien soll
eine Demonstration der werktaetigen christlichen Liebe sein; die Kranken,
mag auch fuer sie noch so vortrefflich gesorgt werden, nehmen
gewissermassen die zweite Stelle ein.

Die Oberin der Diakonissen ist ein Fraeulein von Rantzau. Unter ihr stehen
etwa zwanzig "ordinierte" Diakonissen und eine vielleicht gleiche Anzahl
von Schwestern, die erst in der Vorbereitung sind. Einige der ordinierten
sind auf Reisen begriffen, um auswaerts aehnliche Anstalten begruenden zu
helfen. Die Tracht der groesstenteils jungen und dem gebildeten Stande
angehoerigen Damen ist blau, mit einem Haeubchen und einer weissen, ueber die
Schulter gehenden Schuerze. Wie gruendliche Vorkenntnisse hier
vorausgesetzt werden, ersah ich in der Apotheke, die von zwei Diakonissen
allein bedient wird. Auch ein Lehrzimmer findet sich zu theoretischen
Anleitungen. Die groben Arbeiten verrichten gemietete Maegde, die im
Souterrain an den hoechst entsprechenden praktischen Waschhaus- und
Kuechenvorrichtungen beschaeftigt sind. Auch Maenner fehlen nicht. Die
Diakonissen sind ueberhaupt mehr bei den weiblichen Kranken beschaeftigt
und muessen die schwerere Dienstleistung, die besonders im Heben und
Umbetten der Kranken besteht, dem staerkern Geschlechte ueberlassen. Man
bekommt auch hierdurch wieder die Vorstellung von einem gewissen Luxus,
der im Charakter der ganzen Anstalt zu liegen scheint. Man kann den damit
verbundenen Tendenzbeigeschmack nicht gut offen bekaempfen, da unfehlbar
ein zwangloses Behagen in der Naehe von Kranken und Sterbenden die ganze
Stimmung unsers Herzens fuer sich hat. Die Sauberkeit der Erhaltung, die
reine Luft, das Gefuehl von Komfort und Eleganz kommt doch auch den
Kranken selbst zugute.

Einen Freund der Diakonissenanstalten frug ich: Aus welchem Geiste
erklaeren diese Frauen und Maedchen sich bereit, den Leidenden mit ihrer
Pflege beizustehen? Er erwiderte: Um der Liebe Gottes willen. Unstreitig
bedarf der Mensch, um sich zu seltenen Taten anzuspornen, des Hinblicks
auf einen hoehern sittlichen Zweck. Dennoch haett' ich lieber gehoert: Diese
Institution waere von der Menschenliebe hervorgerufen. Ich glaube, der Ton
wuerde inniger, die Haltung weniger kaltvornehm sein. Ein Zusammenhalt bei
gemeinschaftlichem Wirken ist noetig, eine gleiche Stimmung muss alle
verbinden. Ob aber dazu eine Kirche, ob Gesang und Gebet beim Essen, ob
das Herrnhuter, in "Gnadau" gedruckte Liederbuch, das ich auf dem Piano
aufgeschlagen fand, dazu gehoert, moecht' ich bezweifeln. Ein anderes ist
der katholische Kultus von Barmherzigen Schwestern, die sich fuer
Lebenszeit diesem Berufe hingeben und von der Welt fuer immer getrennt
haben; ein anderes diese voruebergehende Wirksamkeit einer Diakonissin,
die nach vorhergegangener rechtzeitiger Anzeige ihren Beruf wieder
aufgeben und immer noch eine Frau Professorin oder Assessorin werden
kann. Fuer einen solchen Beruf reicht Herzensguete, Menschenliebe und eine,
durch aeussere Umstaende hervorgerufene Neigung einen so schwierigen Platz
anzutreten, vollkommen aus. Und sollte denn wirklich im 19. Jahrhundert
die Bildung der Gesellschaft, die Humanitaet der Gesinnung, die Liebe zum
Gemeinwohl, die Sorge fuer die gemeinschaftlichen Glieder einer Stadt,
eines Staats und einer Nation noch nicht so weit als werktaetiges
(Prinzip) durchgedrungen sein, dass man, um hier dreissig Frauen in einem
Geiste der Hingebung und Liebe zu verbinden, noetig hat, nach dem Gnadauer
Herrnhuter Gesangbuche zu greifen?

Man wird ein jedes Krankenhaus mit Ruehrung verlassen. Auch in Bethanien
sieht man des Wehmuetigen genug. Ich trat in ein Krankenzimmer von
Kindern. Abgezehrte oder aufgedunsene kleine Gestalten lagen in ihren
Bettchen und spielten auf einem vor ihnen aufgelegten Brette mit
bleiernen Soldaten und hoelzernen Haeuserchen. Ein blasser Knabe, der an
der Zehrung litt und vielleicht in einigen Wochen stirbt, reichte
freundlich gruessend die Hand. Einen andern hatt' ich gut auf den
Sonnenschein, der lachend in die Fenster fiel, auf die Lerchen, die schon
draussen wirbelten, auf ein baldiges freies Tummeln im erwachenden
Fruehling vertroesten, der Kleine litt am Rueckenmark und wird nie wieder
gehen koennen. Ein Krankenhausbesuch ist eine Lehre, die nach "Satanella"
und Aladins "Wunderlampe" sehr nuetzlich, sehr heilsam sein kann. Aber
Bethanien verlaesst man doch mit dem Gefuehl, dass hier, wie in unserer Zeit
ueberhaupt, noch mehr Menschen krank sind, als die da offen eingestehen,
des Arztes beduerftig zu sein.




Zur Aesthetik des Haesslichen (1873)


Himmel! Berlin sei unschoen? hoere ich einen nationalliberalen Enthusiasten
ausrufen, wie kann man einen so unzeitgemaessen Begriff aufstellen! Sie
machen sich ja Treitschke, Wehrenpfennig und wen nicht alles zu
unerbittlichen Feinden! Jetzt, wo in Berlin alles vollendet, gross, selbst
die Zukunftsgaerten von Steglitz und Lichterfelde arkadisch sein muessen!
Die Opportunitaet, die grosse deutsche Reichs- und deutsche Zentralisations-
frage bedingt den Satz: Berlin ist die Stadt der Staedte! Die Stadt auch
der Schoenheit! Hoechstens im Sommer, wenn der Staub auch in Leipzig zu arg
wird und die Sauergurkenzeit eintritt, dann gehoert ja Graubuenden und die
Schweiz auch zu Berlin!

Beginnen wir bei alledem und umso zuversichtlicher, als die Pointe
unserer pessimistischen Klagen eben auch das Deutsche Reich sein wird.

(Paris), nach den Verheerungen der Kommune, habe ich nicht wiedergesehen.
Aber das alte Paris steht mir in seinem innern Strassengewuehl, wenn es
gerade geregnet hatte oder noch das Strassenpflaster vom Morgentau
beschlagen war und Menschen und fabelhaft geformte Gefaehrte aller Art
sich zum Markte draengten, vollkommen als die alte Lutetia, die Kotstadt,
in der Erinnerung. Keineswegs aber findet dies statt von dem Bilde in
Paris in der maechtig ausgedehnten Peripherie des innern Kerns! Da ist es
auf Plaetzen, Bruecken, Verbindungswegen, Toren, Triumphboegen, selbst
Magazinen und Warenschuppen wie auf Beduerfnis nur nach dem Schoenen
angelegt und konsequent durchgefuehrt!

Berlin dagegen (ich spreche gar nicht von der Schoenheit Wiens) war die
Zentra1stadt eines kleinen Staates, der sich schon ein Jahrhundert lang
sehr fuehlte. Er konnte zwar nicht wie Frankreich Millionen, den Schweiss
der Untertanen, auf seine Hauptstadt verwenden. Aber Herrscherlaune hat
auch an Berlin gearbeitet, geflickt, herumgeputzt, hat Waelder abgehauen
und kommandiert: Hier wird jetzt ein neues Stadtviertel angelegt! Alle
Mittel schienen dafuer gerecht. Ja das Prinz Albrechtsche Palais in der
Wilhelmstrasse entstand geradezu aus einem--verweigerten Heiratskonsense
des Despoten, den man gewoehnlich Friedrich den Grossen nennt. Kolonisten
mussten nach dem Lineal bauen. Man sieht denn auch noch jetzt, teilweise
einstoeckig, diese Huetten neben den neuerdings errichteten
Prachtzinshaeusern auf der Friedrichstadt. Kurzum, es haben seit dem
Grossen Kurfuersten immer in Berlin leitende Ideen gewartet, um Berlin zu
einem, dem Ehrgeiz der Hohenzollern wuerdigen Schemel an ihrem Throne zu
machen. Schlueter, Eosander von Goethe, Knobelsdorff mussten sich an
Holland, Versailles und Rom Muster nehmen. Potsdam schadete dann spaeter
Berlin. Friedrich der Grosse, Egoist wie er war, baute lieber Palaeste fuer
sich ganz allein. Die Kirchen, die er auf dem Gensdarmenmarkt erbaute,
waren gleichsam nur "ungern gegeben", halb Marzipan, halb Kommissbrot.
Friedrich Wilhelm III. hatte Schinkels Begeisterung neben sich. Der
Monarch war in Paris und hatte sich in Petersburg verliebt, in
Petersburg, wo man auf die kuppelreichen Kirchen und langen prachtvollen
Strassenprospekte stolz sein durfte. Seinen Sohn wuerde die Geschichte am
besten Friedrich Wilhelm IV., den Kirchenerbauer nennen. Der gekroente
Romantiker hat um seine zahlreichen neuen Berliner Kirchen herum sogar
trauliche Stellen geschaffen, die uns an San Ambrogio in Mailand, an eine
entlegene Votivkirche Roms erinnern koennten. Seitdem stockt die
Verschoenerung Berlins. Die konstitutionellen Regenten tun nicht mehr, als
was ihre naechste Schuldigkeit ist. Was sich neuerdings an Verschoenerung
Berlins geregt hat, wird ueberholt durch die riesenmaessig gesteigerte
Privat-Bauwut, deren Konsequenz denn auch der haesslichste Abbruch, Schutt,
ein trauriger Anblick wie Strassburg nach der Belagerung geworden ist.

Grossartigkeit und in ihrer Art auch--Schoenheit liegt in der Avenue vom
Brandenburger Tor bis zum Schloss; aber man koennte noch hundert Jahre so
fortbauen wie jetzt und braechte doch nicht den Eindruck permanenter
Unschoenheit von Berlin fort, wenn nicht das Auge im grossen und ganzen, in
der Naehe und in der Perspektive, durch einen groesseren diktatorisch
befohlenen Schoenheitskultus befriedigt wird. Freilich liegt hier der
Schaden. Berlin ist eine demokratische Stadt! Nirgends macht sich das
kleine Gewerbe so ausgedehnt geltend, wie hier! Eine Strasse, wo nur
allein elegante Welt sichtbar wuerde, gibt es in ganz Berlin nicht!
Ueberall stemmt sich der vom Bau kommende Arbeiter, der Marktkorb der
Koechin, das Produkt des Handwerkers oder die Buerde des Lasttraegers
zwischen die Eleganz hindurch. Das nur aus wenigen Fuss Breite bestehende
Granit-Trottoir, das vor jedem Hause gelegt ist, laesst einen am anderen
dicht vorueberstreifen. Der Gebildete kommt nirgends souveraen auf, selbst
auf dem Asphalt-Trottoir der Linden nicht. Schon freiwillig weicht er den
Volksgestalten, die sich hier so frei bewegen, wie die Helden der Boerse
oder des Kriegsheeres, aus, nur um eine Szene zu vermeiden. Fast jedes
neue Prachtzinshaus hat Kellergeschosse zu Kneipen, zu Lebensmittel-
Betriebslokalen, zu Werkstaetten. So ist ganz Berlin durchzogen von einem
immerdar werkeltaetigen Eindruck. Vorstadt und innere Stadt, die ueberall
geschieden sind, sind in Berlin eine Gesamt-Anschauung in eins.

Die Partie vom Brandenburger Tore bis zum Schloss ist ein Prospekt, der,
wir wiederholen es, seinesgleichen sucht. Bewundernd wird der Fremde bis
zum Dom gelangen und sich von dem Totaleindruck aufs maechtigste gehoben
fuehlen. Selbst der Eindruck des Concordienplatzes und seiner Umgebung in
Paris moechte dagegen zurueckstehen. Ploetzlich aber am Dome sieht der
Wanderer eine kleine Bruecke, die in die innere Stadt fuehrt. Noch eben
denkt er an Paris, an die vom Quai des Louvre aus so zierlich
geschwungenen Brueckchen, die ueber die Seine fuehren. Welcher Anblick wird
ihm aber hier in Berlin zuteil! Eine Holzbruecke, frueher um sechs Pfennige
passierbar und jetzt dem Publikum freigegeben und schwerlich auf
demnaechstigen Abbruch wartend, steht augenverletzend hinter den
Grabstaetten der Koenige, ein Pendant zu den faulenden Fischerkaesten, die
in dem trueben Flusse vom Fusse des Schlosses nur allmaehlich weichen zu
wollen scheinen, ebenso wie die Torf- und Aepfelkaehne.

Besonders unschoen wird Berlin durch die ueber alle Beschreibung grosse
Ausdehnung, die man dem Holz-, Kohlen-, Steinhandel bis ins innerste
Zentrum der Stadt freigelassen hat. Dieser Handel bedarf der
umfassendsten Raeumlichkeiten. Meist besitzen alte Geschaefte solche in
Gegenden, die inzwischen durch die Baulust zur fashionablen Stadt gezogen
sind. Nun hat man keineswegs die haesslichklaffenden Luecken von Holz-,
Kohlen- und Steinhandlungen etwa verdeckt und mit der Strasse in Harmonie
gebracht durch hohe gemauerte Einfriedungen, nein, die einfache,
verwetterte, schwarze Bohlen-Planke, manchmal geflickt, lueckenhaft,
verhaesslicht durchweg die Stadt, wie denn ueberhaupt der offne
Kohlenverkauf selbst an Orten sichtbar ist, wo ihn geradezu polizeilicher
Befehl entfernen sollte. Er kann, wie z.B. am Schoeneberger Ufer, eine
ganze elegante Strasse entstellen. Endlich ist der ordinaere Bretterzaun
doch auch von dem koeniglichen Lustschlosse in Bellevue gewichen!

"Aber das Reich! Das Reich!" Ruhe, lieber Streber! An eine partie
honteuse Berlins werden wir bei Gelegenheit des Suchens nach
Reichstagspalaststaetten erinnert. Man hat daran gedacht, Raczynski oder
Kroll zu rasieren und ging dabei wahrscheinlich von der Absicht aus, den
Stadtteil, wo die Roon- und Bismarckstrassen liegen, mehr in Schwung zu
bringen. Oder wollte man, in Erinnerung an 1848, wo so manche
staatumwaelzende Proklamation von einem Staendehause herab verlesen wurde,
das deutsche Kapitol aus strategischen Gruenden isolieren? Die Architekten
scheinen durchaus auf eine Akropolis, eine Nachahmung des Bundespalastes
von Washington, bedacht zu sein. Aber bitte, bewahrt doch die Menschheit
vor diesen grossen Plaetzen, wo man in der Sonne keuchen muss, bis man
endlich die Stufen eines solchen Tempels erreicht hat! Und die Entfernung
von dem grossen Meilenzeiger am Doenhofsplatz, um welchen herum doch die
meisten Reichsboten wohnen, ist sie keiner Erwaegung wert? Schreckte nicht
die Erinnerung an die Grausamkeit Koenig Ludwigs I. von Bayern, der die
neue Muenchener Universitaet an die aeusserste Grenze der Stadt baute und die
Studenten zwang, taeglich drei-, viermal den anstrengendsten Weg durch
seine endlose, in der Hitze unertraegliche Ludwigstrasse zu machen? Nun
gut, Kroll scheint gerettet. Aber wenn fuer einen anderen Plan, den etwa
mit der Koeniggraetzer Strasse, Gaerten zerstoert werden muessen, alte
ehrwuerdige Linden abgesaegt oder im Deckerschen Garten Baeume, die zu den
Wundern Nordeutschlands gehoeren, wenn Millionen fuer Grund und Boden
gezahlt werden sollen, so lasse man doch die Gaerten dem Privatbesitz oder
der Oeffentlichkeit und im letzteren Falle zum Schmuck der Stadt. Setzt
Statuen auf diese freigelegten Gaerten! Mehr als jetzt Berlin aufweist!
Man kann auch Fontaenen dazu springen lassen, Ruhebaenke anlegen,
goldbronzierte Kandelaber aufstellen. Die Gold-Bronzierung des Gusseisens
bei Laternen und Gittern, die in Paris an fast allen oeffentlichen
Gebaeuden angebracht ist, macht besonders den Effekt eines Strebens nach
Eleganz, das dann auch die Umgebung nach sich zieht.

Eine partie honteuse Berlins ist jene Gegend vom frueheren "Katzenstiege",
jetziger Georgenstrasse, rechts von der Friedrichstrasse bis zum Gegenueber
des Monbijou. In unmittelbarer Naehe eines der schoensten Prospekte der
Welt findet sich der Fremde, der mit Staunen von der Koenigswache oder vom
Friedrichsdenkmal die Akademie entlang ein wenig weiter wandert,
ploetzlich an der Georgen- und Universitaetsstrassenecke wie unter die
Bedienten-, Kuechen- und Remisengebaeude einer fuerstlichen Hofhaltung
versetzt. Ein ganzer Stadtteil, die naechste Nachbarschaft des Kaisers,
sein vis a vis sogar, gleicht einem--"Wo die letzten Haeuser stehen".
In der Tat hiess auch frueher die vorherliegende, jetzt noch leidlich
gefaellige Dorotheenstrasse die "Letzte Strasse". Wahrlich, hier faengt die
Vorstadt schon an! Links das ehemalige Gropius-Diorama, ein Holzbau, zum
Gewerbe-Museum erhoben, dann Trockenplaetze, Milltaermontierung-Aufbewah-
rungen, Kavalleriestaelle und das ungeheure schiefwinklige Gebaeude der
Artilleriekaserne, das an den Waenden vor undenklich fehlendem Kalkbewurf
grauenhaft anzusehen, durch und durch verfallen und zum Abbruch mahnend
ist. Es ist ein Terrain, dessen jetzige Bewohnung auf die grossen Flaechen
vor den Toren verwiesen werden muss, die schon Kasernen genug aufgenommen
haben. Gefaellig liesse sich hier der Quai regulieren, die hoelzerne
Ebertsbruecke in eine steinerne oder hochgespannte eiserne verwandeln, das
gewaltige Terrain durch ein Reichstagsgebaeude in Einklang bringen mit der
Boerse, dem Museum, dem Schloss, der Universitaet und dem gruenen Baumkranze,
der drueben jenseits der Spree vom Schloss Monbijou herueber winkt. Wer
jetzt diese Gegend durchwandert, muss sich sagen, dass hier alles den
Charakter entweder des nur momentan Aushelfenden oder des Ueberlebten
traegt. Alles ist arm, unschoen, unkaiserlich.

An einigen Punkten Neuberlins, wo dasselbe gleichsam aus einem Gusse
entstanden ist, finden sich, man darf der Wahrheit nichts vergeben,
Eindruecke von einem so erhebenden Reize, als befaende man sich in Genf im
neuen Viertel des Bergues oder in Lyon. Leider sind es Gegenden der
Stadt, die vom Residenztreiben, sogar von den sonst ueberall
unvermeidlichen "Theatern" zu sehr entlegen sind. Das Luisenufer mit dem
Prospekt auf das Engelbecken, auf die neue katholische Kirche, Bethanien,
im Hintergrunde die neue Thomaskirche--man wuenschte, dieser Charakter
waere allgemein festgehalten und fuer das Ganze massgebend. Hier bildet der
Kanal den Mittelpunkt eines wahrhaft schoenen Gemaeldes. Auch an anderen
Stellen koennte es die volle Spree, wenn ein dekorativer Sinn--des
Monarchen? Des Magistrats? Der Privaten?--den schon gebotenen Anfaengen zu
Hilfe kaeme. So ist, z.B. wenn man von der Wal1strasse kommt und die
Waisenhausbruecke betritt, der hier gebotene Rundblick vollkommen von
jener Grossartigkeit, die in Wasserstaedten wie Hamburg, in den Seestaedten
Hollands so maechtig ergreift. Aber leider fehlen alle Nebenbedingungen.
Es fehlen Quais, Regulierungen der durch Haeuserabbruch offengelegten
Hinterfronten einiger Strassen, die mit einer jahrhundertalten Kruste von
Schmutz und Ungeniertheit bedeckt sind, es fehlen ausdrueckliche Gebote an
die im Wasser arbeitenden Gewerbe, die Unterlage ihres Tuns und Treibens
dem Auge etwas gefaelliger zu machen. Selbst der Blick vom durchbrochenen
Kolonnadengang des Muehlendamms ueber die Spree hinweg links zur
Stadtvoigtei koennte trotz des mehr als wuesten Gegenuebers fuer die vollere
Wirkung einer belebten, echten Hafenstrasse gewonnen werden.

Fuer solche und aehnliche Ideen schwaermten in alter Zeit die Kronprinzen!
Jetzt, wo der Fiskus fuer ein Reichstags-Gebaeude im Tiergarten auf Grund
und Boden mehr gefordert hat, als selbst die Gruender Unter den Linden
gefordert haben wuerden, muss man sich schon begnuegen, wenn nur die
staedtische Baukommission Kuenstler zu Referenten hat, die fuer Berlins
Zunahme und Wachstum einen gewissen schoepferischen Plan im grossen und
ganzen verfolgen, ohne dabei die Einzelheiten zu vergessen. Es handelt
sich nicht darum, allmaehlich die Netze und Linien eines neuen
Anbauungsentwurfes auszufuellen, nicht um die Frontenpracht der Neubauten,
es handelt sich um die Wegschaffung und Milderung der entstehenden
Luecken, um ein richtiges Erhalten und ein richtiges Zerstoeren. Freilich
ist die Macht des Besitzes so gross, dass selbst eine in solchem Grade die
Strasse entstellende Novantike wie der sogenannte "Eisbock" noch immer
nicht den Mahnungen der Polizei und Stadtbehoerde gewichen ist! Das ist
die Muehle von Sanssouci! Das soll nun gross sein! Begierig bin ich, was
aus der grossen neuen Siegesallee im Tiergarten werden wird; noch steht
dem Siegesdenkmal als Gegenpol an der Viktoriastrasse eine Litfasssaeule
gegenueber.

Auf das Haessliche in den Staffierungen der Strasse durch ihr gewohntes
Leben, die Wagen, die Droschken, die Bierflaschentransporte, das Haessliche
in Gewohnheiten und Manieren, im Sprechen, in der Geltendmachung seiner
Ueberzeugungen selbst beim schoenen Geschlecht usw. einzugehen, ist sehr
misslich. Habe ich doch ohnehin schon den Zorn zu fuerchten unserer alles
im rosenroten Lichte sehenden Optimisten.


       *       *       *       *       *

II. Fuer und Wider Preussens Politik




Ueber die historischen Bedingungen einer preussischen Verfassung (1832)


Waere Repraesentation das alleinige Element des Liberalismus, so koennte
Preussen in einer fruehern oder spaetern Zukunft noch der Stimmfuehrer
desselben werden. Aber es ist nicht so. Wir kaempfen nicht um Formen,
sondern um den Geist, der sie beleben soll. Wir duerfen nur die Initiative
der liberalen Ideen stellen und da, wo sie ins Leben eingefuehrt werden
sollen, wachen, dass sich ihre urspruengliche Reinheit erhalte; dass sich
nicht Eigennutz, sondern nur das wohlverstandene Interesse in sie mische,
nicht die Willkuer sich zu ihrem Ausleger aufwerfe, sondern dass das Gesetz
es sei, das entscheidet. Oder koennen wir uns mit dem Schwerte bewaffnen
und Konzessionen ertrotzen? Die Geschichte weiss nur von Schwertern in der
Hand des Eroberers oder des Richters. Die Voelker demonstrieren nur mit
dem Worte und wenn sie das Schwert ergreifen, so strafen sie. Sie
ertrotzen kein Gesetz, sondern strafen nur das uebertretene. Werden die
Forderungen des Liberalismus dann befriedigt sein, wenn Preussen eine
laengst versprochene Verfassung erhaelt? Nein, dann beginnen sie erst.
Jetzt stehen wir noch ruhig versammelt um die langgestreckten Grenzen
dieses Landes und sehen zu, wie der blankgeruestete Krieger seiner Ruhe
pflegt, bald rechts, bald links sich wirft, ohne aufzustehen. Den ersten
Ton, den wir in seinen Schild hineinriefen, hat das Echo noch nicht
zurueckgetragen. Fuerchtend oder hoffend warten wir die Antwort ab, die der
preussische Staat auf die Frage des Zeitgeistes geben muss. Weil noch
nichts entschieden ist, so finden wir ueberall Gesinnungen gegen Preussen,
keine Meinungen. Man verehrt es oder hasst es, fuehlt Sympathie oder
Antipathie, aber die Gruende fuer das eine gegen das andre kann man nicht
angeben. Wer fuer seinen Glauben an diesen Staat einen Beweis fuehren
wollte, blieb noch immer in der Mitte stecken: Denn wo er alle seine
Gruende gesichert glaubte, da waren sie ihm alle entflohen. Man steht vor
dem preussischen Namen entweder mit gefalteten Haenden oder mit dem
Ausdrucke eines moralischen Unbehagens, aber niemand spricht, jeder Mund
ist geschlossen. Erst der Geist, der sich in der preussischen Verfassung
offenbaren wird, kann den Widerspruch wecken, und wenn nicht alle Zeichen
truegen, so wird dieser Widerspruch der lebhafteste werden, da er im
Interesse der innersten Prinzipien des Liberalismus geltend gemacht
werden muss. Die nachfolgenden Bemerkungen sollen diese Besorgnis
rechtfertigen.

Welches Beduerfnis hat den Wunsch nach Verfassungen veranlasst? Unstreitig
das Beduerfnis eines gesicherten Rechtszustandes. Welches Recht ist unsrer
Zeit angemessen? Die Tradition? Das alte Herkommen? Uebereinkuenfte ueber
das, was man sich gegenseitig leisten und so fuer Recht ansehen wolle?
Oder ein Recht, das auch das Ziel der alten Handvesten und Vertraege
gewesen sein mag, das sich aber in der Feuerprobe der Zeit bewaehrt hat
und auf die ewigen Gesetze der Vernunft begruendet ist? Die Voelker haben
diese Frage laengst entschieden, ihre Fuersten sind noch andrer Meinung:
Entweder wollen sie das, was rechtens ist, nach den Befehlen ihres
Kabinetts feststellen, oder sie erklaeren sich bereitwillig zur
Umgestaltung der alten Regierungsform (es gibt eine revolutionierende
Reaktion), holen aber die neue nicht aus dem freien Raume der grossartigen
Geschichte unsrer Zeit, sondern aus dem Staube der Archive, aus
verwitterten Pergamentblaettern, aus den Heften moderner Doktrinaere.
Machen wir die Anwendung auf Preussen. Wenn wir das gegenwaertig dort
herrschende Regime despotisch nennen, so ist es uns natuerlich nur um
einen Namen zu tun. Wir meinen jenen humanen Despotismus, der sich von
Friedrichs II. Regierungsverfahren herschreibt. Die Menschen bilden sich
ein, jeder ihrer Schritte sei ein Beispiel von Billigkeit und
Gerechtigkeit, wenn sie andern das zukommen lassen, was sie ihnen zu
beduerfen scheinen. Aber wir beduerfen immer mehr, als wir zu beduerfen
scheinen. Und umgekehrt, soll man uns Recht widerfahren lassen, wenn wir
nicht eingestehen, dass uns Unrecht geschehen sei? Wer darf uns heilen
wollen, wenn wir behaupten, gesund zu sein? Das ist das Grunduebel der
sogenannten humanen, weisen Regierungen, dass sie vor unaufhoerlichem
Wohltun das rechte Beduerfnis gar nicht aufkommen lassen. Sie wissen schon
alles im voraus, haben mit ihren guten Handlungen alle Haende voll zu tun
und sind so eilig, dass sie nur dazu Atem finden, um sich zu loben. Daher
das Vielregieren, die Beamtenherrschaft, die desto unertraeglicher ist, je
gefaelliger sie sein will. Diese vaeterliche, ja muetterliche Sorgfalt ist
bekanntlich die Art der preussischen Regierung. Da piepsen die Kleinen
unter den Fluegeln der aengstlich wachenden Henne so zaertlich und sind so
voll Ruehrung und Dankbarkeit fuer all das Gute, was ihnen ohne Verdienst
und Wuerdigkeit erwiesen wird, dass man hier ordentlich von politischen
Traenen sprechen kann. Aber dies Vertrauen soll gestoert werden. Der Koenig
hat selbst den Grundsatz anerkannt, dass der Krieg der Vater aller Dinge
sei und die Zusammensetzung von "allgemeinen Reichsstaenden" in einem
hoechsten Dekrete versprochen. Dass ein solches Versprechen dem Lande wird
gehalten werden, ist unbezweifelt, nur soll die gegenwaertige Zeit dazu so
ungeschickt sein. Man zoegert, man weist die Bitten der Provinzia1staende
um endliche Gewaehrung zurueck; man will nicht, dass es den Anschein habe,
als gaebe Furcht dem Drohenden, was Liebe dem Hoffenden schenken wird. Von
dem dereinstigen Thronfolger ist allgemein die Ansicht verbreitet, er
werde dem vaeterlichen Versprechen nicht treu bleiben, sondern sich ihm
durch irgendeinen Gewaltstreich entziehen. Welche Annahme! Der Wille
seines Vaters wird ihm heilig sein, durch seine Befolgung wird er ihn zu
ehren wissen. Noch mehr! Sein erster Regierungsakt duerfte die Verfassung
werden, aber damit zugleich ein Fehdehandschuh, dem ganzen zivilisierten
Europa hingeworfen.

Die Doktrin unterscheidet zwei Ansichten ueber den Staat. Nach einer ist
er ein Kunstwerk, nach der andern ein Naturprodukt. Naeher bezeichnet sich
dieser Gegensatz als politischer Mechanismus und Organismus. Es ist eine
durchaus falsche Konsequenz, wenn man jenen zu einem notwendigen Eigentum
des Liberalismus, diesen zu dem der entgegengesetzten Ansicht machen
will. Die europaeischen Staaten bieten Beispiele fuer die eine Ansicht so
gut, wie fuer die andere. England, Frankreich, Spanien, selbst Russland
haben sich auf dem naturgemaessesten Wege entwickelt. Ihre politischen
Institutionen sind nicht nur auf den Geist ihres Volkes berechnet,
sondern auch durch diesen hervorgerufen. Deutschland bietet groesstenteils
das Gegenteil dar. Hier, wo man sich so sehr gewoehnt hat, immer auf die
Eigentuemlichkeit der Bewohner zu zeigen, wo man gern von Geistern der
Vergangenheit spricht, die in die Gegenwart hineinragen, und noch immer
nicht muede wird, Analogien zwischen sonst und jetzt aus unserm Gemuete,
unsrer Geschichte zu suchen, hier ist gerade im Politischen ein toter
Mechanismus aufgekommen. Wir haben ein Wuerttemberg ohne Wuerttemberger,
ein Baden ohne Badener, ein Weimar ohne Weimarer, ein Hannover ohne
Hannoveraner aus dem einfachen Grunde, weil wir umgekehrt wohl Deutsche,
aber kein Deutschland haben. Preussen ist am meisten von der Geschichte
ironisiert worden: Es repraesentiert den Zufall, das, was ist und auch
nicht ist. Hegel kann den Anfang seines Systems statt in das abstrakte
Sein auch in Preussen setzen, das Ende hat er auch wirklich darein
gesetzt. Ja, diese Ironie wird durch die preussischen Doktrinaere in
lebendiger Anschauung erhalten. Sie reden nach Preussen von keinem Staate
lieber als von England, aus demselben Grunde, warum sie Nordamerika am
meisten hassen. Dort sehen sie die Menschen gleichsam wie Naturerzeugnisse
sich gestalten. (In der Tat haben die Sachsen die Sage, sie waeren auf den
Baeumen gewachsen.) Dort entwickelt sich ein Keim aus dem andern: Da ist
nichts Fremdartiges, nichts Neues in den alten Gang hineingetragen:
Selbst die Reformation hat da englisiert werden muessen. Wer bewundert
nicht diesen Vorzug der englischen Geschichte? Wer hat es nicht beklagt,
dass Deutschland, das Mutterland, nicht diesen selben Weg der Entwicklung
einschlagen konnte? Und doch--in Preussen ist jetzt Aehnliches entdeckt.
Die Doktrinaere klagen hier Friedrich II. an, dass er in die Regierung
seines Landes ein System gebracht habe, das die Verwandtschaft mit der
einseitigen Aufklaerung seiner Zeit nicht verleugnen koenne; dass er den
Adel des Verdienstes hoeher stellte, als den der Geburt; dass er ein
Gesetzbuch gegruendet habe, was mit den Lehren eines Haller und Bonald in
zu grellem Widerspruche liege. Preussen sei berufen, die historischen
Interessen zu vertreten. Es gaebe keinen Fortschritt, als einen durch
fruehere Zustaende bedingten. Nicht in dem Willen der leicht erregten
Masse, noch weniger in den Deklamationen der heutigen Wortfuehrer und
Tageshelden liege das Gesetz der Vernunft, sondern wir seien die
Leibeigenen der Vernunft, seien ihr untertan. Weil sich nun diese
Vernunft in dem offenbart, was die Geschichte bringt, so muessten wir uns
auch andaechtig vor der Macht des Positiven beugen. Das sind die
Zauberformeln, mit denen man in Preussen die Jugend alt macht und das Alte
("Alles Hohe und Edle der Vergangenheit!" ein bekannter auf Marienburg
ausgebrachter Toast) wieder verjuengt. Auf solche sogenannte historische
Bedingungen wird die Verfassung des Landes begruendet sein.

Der Grundcharakter des germanischen Staatslebens ist die Repraesentation.
Bei unsern Vorfahren wurde keine Gewalt anerkannt, die nicht ein
foermlicher Vertrag als Recht festgestellt hatte. Was der eine dem andern
zu leisten schuldete, war die Folge einer gegenseitigen Uebereinkunft. Die
Zeit der Reformation machte diesem Verhaeltnisse ein Ende. Die Einfuehrung
des roemischen Rechts, die mit dem erwachenden wissenschaftlichen Streben
zusammenhing, zerstoerte im Volke sein urspruengliches Rechtsbewusstsein.
Das Recht wurde Sache der Gelehrsamkeit, und diese konnte nur unter dem
Schutze vermoegender Fuersten gedeihen. Die religioese Anregung band die
Gemueter nur noch insofern an die Ereignisse im weltlichen Gebiete, als
sie jener foerderlich oder hinderlich waren. Fuersten und Buerger hatten
dasselbe Interesse, sich gegen die Anmassungen des Adels sicher zu
stellen. Daraus bildete sich endlich der Begriff der fuerstlichen
Souveraenitaet. Aus fuerstlichen Bedienten wurden Beamte des Staats. An die
Stelle der Landtage traten Verwaltungen. Aus Rezessen und Abschieden
wurden Kabinettsbefehle. Gegen diese moderne Ausbildung der Souveraenitaet
reagiert unsre Zeit in zwiefacher Weise, als Revolution und Restauration.
Beide kehren sich gegen das Bestehende, beide berufen sich auf die
Geschichte, beide auf die Lehre. Aber die eine spricht von einer
Vertretung der Intelligenz, die andere von der der Interessen. Jene hat
eine Macht gewonnen, die oeffentliche Meinung; diese wird in Preussens
naechster Zukunft mit Entschiedenheit auftreten; auch sie hat eine Macht,
die Gewalt. Haben wir aber Grund, zu fuerchten? Ist es nicht der alte
Kampf der Demokratie und Aristokratie?

Es wird erlaubt sein, sich die Wege anzusehen, die die Verfasser der
preussischen Konstitution einschlagen moegen. Die gegenwaertigen
Provinzia1staende muessen die Grundlage derselben bilden. Man ruehmt die
Liberalitaet dieses Instituts und preist die Gleichstellung der drei
Staende, des Adel-, Buerger- und Bauern-, d.h. freien Grundbesitzerstandes.
Woher aber das entschiedene Uebergewicht der Aristokratie in den
Versammlungen? Welche Forderungen hat sie an die Regierungen gerichtet!
Verjaehrte Rechte nimmt sie in Anspruch, Domstifte und deren Pfruenden,
unverhaeltnismaessigen Erlass der Steuern u. dgl. Spricht man in diesem Sinne
von einer Beachtung historischer Bedingungen bei den kuenftigen
Reichsstaenden, so kann man nur wuenschen, diese nie ins Leben treten zu
sehen. Der Bauernstand ist ungebildet und gibt daher seine Rechte den
adeligen Grundbesitzern. Auch die Staedter koennen an Bildung z.B. mit den
Buergern sueddeutscher Staedte nicht wetteifern und die sie zum Landtage
schicken, sind meist staedtische Beamte, von der Regierung bestaetigt, also
mittelbar Regierungsbeamte. Wollten sie auch eine Opposition bilden, so
sind sie gegen den Adel in der Minoritaet und der Regierung gegenueber zu
schwach, wie die Landstaende am Rhein und in Westfalen bewiesen haben.

Die mittelalterlichen Staende haben ihre Freiheiten und Privilegien
vertreten. Solche besitzen die preussischen nicht oder sollen sie ihnen
noch erteilt werden? Sollen die Zuenfte wieder eingefuehrt werden? Wollen
die preussischen Koenige wieder Schutzbriefe ausstellen und Urkunden auf
ewige Zeiten? Auch ihre Beutel haben die alten Staende vertreten. Aber
unsere Zeit verlangt eine Vertretung des Nationalvermoegens, nicht des
zufaelligen Gutes, das der einzelne Stand besitzt. Eine Wiederherstellung
jenes alten Zustandes waere ein vol1staendiger Umsturz des herrschenden
Finanzsystems, das ohne eignes Verderben nicht aufgeopfert werden kann.
Es ist wahr, dass die Fuersten in den Besitz der meisten Steuern nur durch
ein Unrecht gekommen sind. Denn wenn ihnen die Staende bei dringenden
Gelegenheiten statt Geld die Erlaubnis gaben, auf fuenf oder zehn Jahre
Schlacht- oder Mahl- oder Tranksteuer zu erheben, so war diese Erlaubnis
immer nur momentan, und erst der spaeter ausgebildete Begriff der
Souveraenitaet nahm nach goettlichem Rechte von dem ewigen Besitz, was ihm
menschliches nur auf eine bestimmte Zeit zugesagt hatte. Aber jetzt ist
den Staenden mit der Zurueckgabe ihres alten Rechts sehr wenig mehr
gedient, weil sie wohl wissen, dass jene verhassten Abgaben ihnen weniger
bereitwillig wuerden gegeben werden, als der Regierung. Ehemals zahlten
auch die Ritter nichts. Soll nun jetzt ein moderner Raubadel, der ohne
offnen Angriff auf eine feine Weise pluendert, wieder organisiert werden?
Soll die Litanei des armen Landvolkes wieder sein, der liebe Herrgott
moege es behueten vor den Koeckeritz und Luederitz und vor den Kracht und
Itzenplitz? Auch die Praelaten fanden sich auf den Landtagen ein, aber nur
um Geld zu verzehren, keines zu geben. Die Geistlichkeit ist jetzt kein
Stand mehr, obschon man in Preussen Bischoefe und Erzbischoefe nach
englischem Muster angeordnet findet. Die Geistlichkeit vertrat frueher die
Rechte ihrer Praebenden, solche hat sie aber nicht mehr: Sie vertrat das
Interesse der Kirche, und wenn irgendwo durch die Bemuehungen der
Regierung die Meinung, dass die Kirche in dem Staat aufgehe, verbreitet
ist, so ist es in Preussen. Die Bauern wurden gar nicht vertreten, jetzt
sind sie es aber als freie Grundbesitzer. Soll ihnen ihr Recht wieder
genommen werden? Sollen Ritter, Staedte und Geistliche die heilige
Dreizahl bilden? Die preussischen Bauernaufstaende gegen den Adel und
Herzog Albrecht werden die Gesetzgeber vorsichtiger machen. Ueberall mag
man nach historischen Anfaengen einer den gegenwaertigen Zeitforderungen
nur einigermassen genuegenden Repraesentation forschen, im Preussischen
finden sich solche am wenigsten. Die brandenburgischen Markgrafen und
pommerschen Herzoege sind eigentlich nur zu den Staedten ihrer Territorien
in staendischen Beziehungen gewesen und zwar in einer Art, die jetzt nicht
mehr denkbar ist. Sie waren die aermsten Fuersten und die schwaechsten
zugleich. Nackt und bloss, mussten die Staedte sie bekleiden, hungernd, von
ihnen gesaettigt werden. Die maerkischen Staedte waren Republiken mit
vol1staendigem Gemeinwesen. Da sie ihren Ursprung auf Kolonisation
zurueckfuehrten, sich selbst konstituierten und Gesetze gaben, so waren es
nicht einmal Privilegien, die ihnen die Fuersten garantierten, sondern was
sie ihnen gaben war Dank und Entschaedigung fuer den Schutz, den ihnen die
Markgrafen, urspruenglich eine militaerische Behoerde, angedeihen liessen.
Noch anders war die Lage Preussens. Ein fast ganz unabhaengiger Staedtebund,
bluehend durch Handel und Gewerbe, stand hier dem deutschen Ordenskapitel
zur Seite, noch oefter gegenueber. Hier machte der Landadel mit den
maechtigen Staedten Danzig, Thorn, Elbing, Kulm, Koenigsberg gemeinschaftliche
Sache, und die deutschen Ritter, die als Herren des Landes gelten wollten,
verloren ihr Ansehen und ihre Macht immer mehr und zuletzt auch gegen
Polen ihre und des Landes Selbstaendigkeit. Alle diese Verhaeltnisse hat
die Zeit anders gestaltet. Sie wieder herzustellen, ist unmoeglich. Jede
Annaeherung an sie ist eine Halbheit, weil ein Zustand damals den andern
bedingte. Endlich fehlen auch in den neu erworbenen Teilen der preussischen
Monarchie in Sitte und Leben ueberall die Anklaenge der Vergangenheit. Die
Rheinprovinzen und Westfalen sind nicht nur in neuerer Zeit einem ewigen
Wechsel von gesellschaftlichen und rechtlichen Formen unterworfen gewesen,
sondern selbst in jener Zeit, die man neu beleben will, waren gerade diese
Gegenden ein Schauplatz der unsaeglichsten Verwirrungen, in denen sich
nichts Altes rein und urspruenglich erhalten konnte. Man denke an die
Stuerme, die jene Gegenden am Niederrhein, die Laender Juelich, Cleve, Berg
erschuettert haben! Neben den politischen Umwaelzungen, die sich hier ohne
Aufhoeren folgten, haben auch die kirchlichen und reformatorischen Zwistig-
keiten diese Laender so zerrissen, dass an eine Wiedergeburt hier nur durch
Animpfung einer neuen Bildung zu denken ist.

Vielleicht sind aber die historischen Bedingungen in einem andern Sinne
verstanden worden. Man wird keine Landschaft errichten, sondern wiederum
nach englischem Vorbilde ein Parlament mit zwei Kammern und dazu eine
dreifache Initiative. Die zweite Kammer wuerde dann die materiellen,
vielleicht auch intelligenten Kraefte vertreten, die erste aber das Ewige,
das Unveraenderliche, das Unvergessliche oder was weiss ich. Man denkt an
eine preussische Pairie mit dem Rechte der Erblichkeit. Ich erschrecke vor
den Maennern, die in ihr sitzen werden, vor den Urteilen, die sie faellen
wird. Welche Theorien werden hier zum Vorscheine kommen! Waehrend in der
zweiten Kammer die Aristokratie des Geldes herrscht, prangt in der ersten
die Aristokratie der Geburt im Vereine mit der der Doktrin. Wenn dann
einmal, etwa bei einer Verhandlung ueber die Erblichkeit, Friedrich der
Grosse in die Sitzung traete und anhoerte, wie z.B. die neuliche Erklaerung
der "Staatszeitung", nicht jedem sei es gegeben, die Majestaet des
Koenigtums zu begreifen, interpretiert wird, koennte er noch glauben, in
der Hauptstadt eines von ihm gegruendeten Staates zu sein?

Wir gehoeren nicht zu jenen Toren, die die ehrwuerdigen Truemmer frueherer
Zeiten zum Gegenstand ihres salzlosen Spottes machen. Wir bewundern die
Vergangenheit, aber wir lassen sie in ihren Graebern, da auch unsre Zeit
einen so schoenen Fruehling von neuen Ideen und Hoffnungen keimen laesst. O
wir fuerchten den Kampf mit jenen vornehmen Meinungen nicht, die sich in
Preussen so gern mit Purpurmantel, Krone und Szepter bekleiden! Unsre Zeit
zittert vor keinem Gedanken mehr. Schon viele Raetsel hat sie geloest und
auch jene nordischen Mysterien werden ihr nicht verborgen bleiben. Das
ist aber das Herrliche dieser Zeit, dass, wer die Ansicht widerlegt, auch
die Macht ueberwunden hat, die sie verteidigen wollte. Wenn ein Oedipus
kommt, stuerzt sich die Sphinx in den Abgrund.




Drei preussische Koenige (1840)


Indem ich an diese auch in der Form anspruchslosen kleinen Umrisse die
letzte Hand lege, kommt die Trauerkunde vom Tode Friedrich Wilhelms III.
Diese Botschaft musste mich, da ich in Berlin den Volksglauben, der Koenig
muesse in diesem Jahre sterben, allgemein verbreitet fand, doppelt
erschuettern. Die haeusliche Zurueckgezogenheit, in der der Verstorbene
lebte, hatte es unmoeglich gemacht, seit Jahren ueber seinen
Gesundheitszustand etwas Gewisses zu erfahren: Zeigte er sich oeffentlich,
so erschrak man zwar ueber die in letzter Zeit ausserordentlich gealterten
Zuege, aber die Haltung des Koenigs war von jeher so grad und ritterlich
gewesen, dass ihn diese auch in der letzten Zeit nicht verliess, und man an
eine noch ausgedehntere Lebensdauer glauben durfte. Umso betroffener
musste man ueber den Volksglauben sein. Man machte geltend, dass in jedem
Jahrhundert das vierzigste Jahr den Preussen einen Thronwechsel oder
irgend ein wichtiges Ereignis bringe, man sprach von den naechtlichen
Umgaengen der weissen Ahnfrau des Hohenzollerschen Hauses. Noch oft
erschien der Koenig hinter dem roten Vorhange seiner Proszeniumloge im
Theater. Nur die aengstliche Einfuehrung Schoenleins in die innern Gemaecher
des ab und zu als kraenkelnd Gemeldeten verriet ein tiefer gewurzeltes
Leiden, dem der Monarch denn am ersten Pfingsttage wirklich erlegen ist.

Laesst sich eine ergreifendere Situation denken, als ein sterbender Koenig
und ein neuer, der ihm folgt, in dem Augenblick, als der Donner des
Geschuetzes die Grundsteinlegung zu einem Denkmal Friedrichs des Grossen
verkuendete? Wie draengen sich hier in eine kurze Spanne Raum und Zeit,
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen! Wuensche und Hoffnungen
muessen lebendig werden, Besorgnisse sterben, andre koennen erwachen,
Gedanken aus den entgegengesetztesten Richtungen muessen sich
durchkreuzen. Wer hat den Schluessel, um zu erraten, was der jetzt Tote
dachte, das Volk glaubte, der neue Herrscher ahnte? Wie kommt es, dass
gerade die Erinnerung an den Begruender der preussischen Monarchie in ihrer
Stellung zu Europa die letzte oeffentliche Tatsache im Leben Friedrich
Wilhelms III. sein musste? Ist dies eine Suehne der Vergangenheit oder ein
Fingerzeig fuer die Zukunft? Den Ratschluss des Weltgeistes umhuellen noch
tiefe Nebel und erst die Geschichtsschreibung ferner Zeiten wird die
Sonne sein, die sie erhellt.

Bei den Aegyptern sprach man ueber die toten Koenige Gericht. Man wird in
oeffentlichen langen Reden und in kurzen Inschriften viel Unwahres ueber
Friedrich Wilhelm III. sagen, man wird seinem Geiste das zuschreiben,
dessen sein Herz, man wird dem Herzen zuschreiben, dessen sein Verstand
sich ruehmen durfte. Man wird in dem seine Demut finden, was vielleicht
sein Stolz war, und wird ihn vielleicht fuer das loben, wofuer er sich
selbst getadelt hat. Koenige sind wie die Phaenomene der Luft. Sie werden
von Tausenden ihres Volkes fuer dasselbe verwuenscht, wofuer sie andern
Tausenden die Heissersehnten sind. Ein Gewitter raubt der Mutter ihr Kind,
das der Blitz erschlaegt, und traenkt die duerstende Erde, die nach ihm
schmachtete.

Mag man nun mit Montaigne glauben, dass "herrschen" le plus aspre et
difficile metier ist, oder mit einem italienischen Sprichworte (von
Oxenstierna einst ironisch angewandt), dass zum Herrschen gerade das
wenigste Hirn gehoert (der Leipziger Professor Adam Rechenberg hat es
uebrigens schon 1676 in einem eignen Werke widerlegt), mag man auch von
dem, was ueber den Verstorbenen gesagt werden wird, abziehen, was der
ruehrende Moment oder persoenliches Interesse ueberfluessig hinzufuegt, so
viel wird selbst die Nachwelt nicht umstossen koennen, dass der innige
Zusammenhang der Schicksale, die die preussische Monarchie trafen, mit der
Person Friedrich Wilhelms III. ein in der Erinnerung nie erloeschendes
Licht auf ihn geworfen hat. Eine freudenlose, umflorte Jugend machte ihn
schon frueh fuer eine stillere Ergebung in das Unglueck reif. Die Maessigung,
die ihn in seinen Leidenschaften und Gefuehlen beherrschte, lehrte ihn
auch, das spaetere Glueck ohne Ueberhebung ertragen. Er nahm die Gaben des
Geschicks mit einem Gefuehl an, das ihn auf alles gefasst machte, wenn es
nur nicht ueberraschend und ohne Voraussicht kam. Heftigere Aufregungen
vermeidend beaengstigte ihn jede leidenschaftliche Anmutung und so erhielt
auch seine letzte Regierungsperiode jenen Charakter bescheidener
Selbstbeschraenkung, den Preussen, ein innerlich so kraftvoller und nach
aussen hin nicht ungedeckter Staat wohl aufgeben durfte, ohne fuer seine
Erhaltung besorgt zu sein. Friedrich Wilhelm III. war durch sein
Temperament vor uebereilten Entschliessungen geschuetzt und diese Tatsache
war vielleicht die gluecklichste Erfahrung fuer das Wohl des Staates in
einer Zeit, wo der Zeitgeist so viel leidenschaftliche Faktoren in
Bewegung setzte und es Staatsmaenner gab, die so gern neue Manifeste des
Herzogs von Braunschweig in die Welt gestreut haetten und dem Weltlauf mit
kecker Hand in die Zuegel gefallen waeren. Friedrich Wilhelm III. war nicht
so gross in dem, was er tat, als in dem, was er vermied.

Dass man sich in Preussen, da die Zeit des Zuwartens vielleicht vorueber ist
und den Horizont keine Kriegswolken trueben, nach positiven Schoepfungen
sehnt und das Feld fuer einen grossartigem Anlauf zur Staatenlenkung nun
geoeffnet sieht, beweist die aengstliche Spannung Preussens, Deutschlands,
Europas auf den Geist, in welchem Friedrich Wilhelm IV. regieren werde.
Der neue Regierungsantritt hat das vor andern Thronwechseln voraus, dass
wir hier nicht einen Juengling auftreten sehen, dessen politische Ideen
noch von dem Unterricht seiner Lehrer befangen sind, sondern einen
gereiften Mann, der jahrelang den Zeitlauf und das Terrain der ihm nun
anvertrauten Regierung gruendlich beobachten konnte. Das neue Herrscheramt
wird ihm wie ein bekanntes Buch sein, bei dessen Lektuere er sich Stellen
unterstrich und hier und dort Merkzeichen einlegte. Und dass es solcher
Stellen und Merkzeichen viele geben muesse, beweist der allgemein selbst
in Berlin verbreitete Glaube an ein neues, durchdachtes, laengst
angelegtes und bald hervortretendes System.

Man erschoepft sich in Vermutungen ueber das politische Glaubensbekenntnis
des neuen Koenigs. Man nennt ihn aristokratisch; aber verdanken nicht
gerade einige talentvolle Buergerliche ihre Berufung zum Ministerium der
Empfehlung des ehemaligen Kronprinzen? Verwechselt man nicht die
vornehmimponierende und doch gefaellige Haltung des neuen Herrschers mit
Sympathien, die durch nichts bewiesen sind? Man nennt ihn einen Freund
der Richtungen, in welchen Steffens und aehnliche reaktionaere Geister
geschrieben haben. Aber wenn der ehemalige Kronprinz Steffens persoenlich
kannte, so wird er bald gefunden haben, dass die naive Lebensunsicherheit
dieses geistvollen, aber unpraktischen Mischdenkers am wenigsten zu
seinen politischen Phantasmen und Traeumereien Vertrauen einfloessen kann.
Wie wuerde auch die grosse Vorliebe, die der ehemalige Kronprinz fuer seinen
ruhmgekroenten Ahn Friedrich II. empfinden soll, mit der Hinneigung zu
politischen Theorien stimmen, deren Vertreter, wie Haller, Leo, Steffens
und ihnen aehnliche, in Friedrich dem Grossen nur einen gekroenten
Jakobiner sehen?

Man ruehmt von jeher den Geist des neuen Herrschers. Man schreibt ihm
Verstandesschaerfe und Witz zu. Er ist kein Freund des Gamaschendienstes
und hat mehr Sinn fuer das Zivile als Militaerische. Er liebt den Umgang
mit Gelehrten und Kuenstlern, von denen viele sich seiner naehern
Bekanntschaft erfreuen. Wie harmlos er gewohnt ist, sich dem Talente
hinzugeben, bezeugt der gemuetvolle, anspruchslose Brief, den er an
Chamisso schrieb. (Siehe Hitzigs "Leben Chamissos" Bd. 2, S. 93.) Der
ehemalige Kronprinz ist ein talentvoller Zeichner und dass ihm selbst der
schriftstellerische Ausdruck nicht fremd sein duerfte, beweist der
Umstand, dass man ihn oft zum Verfasser anonymer Flugschriften machen
wollte! Von sogenannten noblen Passionen, die man Grossen eher nachzusehen
pflegt, als Kleinen, weiss man nichts. Seine Sittlichkeit wird geruehmt. Er
besucht die Kirchen anerkannt pietistischer Geistlicher; ob aus Neigung
fuer ihr theologisches System, oder aus Achtung vor ihrer oft
ausgezeichneten Rednergabe, weiss ich nicht. Jedenfalls wuerde eine
religioese Stimmung dieser Art bei ihm nicht aus einem Minus, sondern
einem Plus der Bildung entstehen; d.h. es ist moeglich, dass sie die
Frucht einer entweder gemuetlichen oder philosophischen Abneigung gegen
einseitige Verstandesreligiositaet waere. Es ist kein Zweifel, dass der neue
Herrscher historische Tatsachen den Abstraktionen vorzieht, aber es ist
wahr, dass ihm die Hegelsche Philosophie nicht unbekannt geblieben, so
wird ihm das Progressive in der Geschichte nichts Befremdendes und der
Einfluss des Verstandes auf die Gestaltung der neuen Zeit nichts
Feindseliges sein. Friedrich Wilhelm IV. wird keinen Schritt ins
Ungewisse tun. Ein Ziel hat er gewiss im Auge, wenn auch die Zeit erst
lehren muss, wo es liegt. Fuer gedankenlos halte man keine seiner
Unternehmungen. Ratgeber wird er hoeren, ihnen aber nicht immer folgen.
Reue wird ihm, trotz seines christlichen Sinnes, fuer oeffentliche Schritte
fremd sein. Er wird vielleicht bei einem Unternehmen seine Richtung
aendern, nie aber einen Schritt wieder zuruecktun. Es lodert viel Feuer in
ihm und sein Geist wird oft in den schoenen Fall kommen, heftigere
Regungen des Gemuets zu zuegeln. Der goettlichste Triumph, den uns der
Himmel schenkte, Beherrscher unserer Leidenschaften zu sein, kann ihn oft
begluecken. So urteilt die Sage und urteilt vielleicht falsch. Man kann
darnach den Versuch machen, ein Portraet zu zeichnen und muss sich zuletzt
doch eingestehen, dass der--Versuch eine Pfuscherei ist.

Es haben sich, von Herrn Varnhagen von Ense ausgebruetet, so viel kleine
Gentze jetzt aus dem Ei gepickt, dass ich wohl begierig waere, was einer
von ihnen, dem Beispiel des ehemaligen Kriegsrats Gentz folgend (der eine
Adresse an Friedrich Wilhelm III. bei seiner Thronbesteigung herausgab),
dem neuen Herrscher ans Herz legen wuerde. Mit guten Lehren aus dem
frommen Telemach, der ad usum delphini geschrieben ward, wuerde es wohl
ebensowenig getan sein, wie mit dem Macchiavell. Ein Fuerst soll keinem
Schmeichler trauen, sagt Mentor alle Augenblicke; baendige eine
Regierungsgewalt durch die andre, sagt der Florentiner; aber wir leben
nicht in Versailles und nicht in Florenz. O der guten Lehren, die man
Koenigen gegeben hat! Sie werden fast alle laecherlich, wenn man sie auf
bestimmte Faelle anwendet, oder sie setzen an Fuersten dasjenige als
lobenswert voraus, was sich an einem zivilisierten Menschen des 19.
Jahrhunderts wahrhaftig von selbst versteht. Weit schwieriger sind
Ratschlaege, die einen schwebenden Status quo betreffen. Was wuerde wohl
mit der katholischen Frage, was mit der kommerziellen Stellung Preussens
zu Russland; was mit dem Wunsch nach einer Verfassung zu beginnen sein?
Dem neuen Herrscher raten wollen? Er hat seit einer langen Reihe von
Jahren den Geschaeftsgang in der Regierung seines Vaters beobachtet: Er
wird sich laengst auf seinen eignen Antritt des Regimentes vorbereitet
haben. Wer die Entwuerfe kennte, die schon alle im Pulte harren! Es ist
leicht moeglich, dass Friedrich Wilhelm IV. fuer Europa einige
Ueberraschungen im Sinne hat.

Man spricht jetzt soviel ueber Friedrich II. Was ist es, das an ihm so
ausserordentlich gerade jetzt in die Augen spraenge? Will man einen
schlesischen Krieg? Will man eine straffgezogene Regierungssouveraenitaet?
Nein. Es ist das Persoenliche, das an Friedrich II. gerade jetzt so
bewundert wird. Preuss und andere haben so herrliche Zuege von der freien,
unabhaengigen, entschlossenen Denkungsart dieses Koenigs mitgeteilt. Man
hat in Friedrichs Schriften Ansichten gefunden, die jetzt wuerden fuer
staatsgefaehrlich erklaert werden. Es ist kein Zweifel, dass man mit dieser
Vergoetterung Friedrichs des Grossen einen Wunsch fuer seine Nachfolger
aussprechen will; denn das Lob der Vergangenheit ist immer eine Polemik
gegen die Gegenwart.

Was koennte wohl ein heutiger Monarch an Friedrich dem Grossen lernen?
Vieles fuer die Personen, weniger fuer die Sachen. Nicht alles wuerde jetzt
so am besten geschlichtet, wie es Friedrich II. geschlichtet haben wuerde.
Wohl aber wuerde man fuer die Mittel und fuer die Ratgeber lernen koennen.
Theoretiker am Staatsruder wuerde er mit Recht fuer Schwindler erklaeren und
das Naechste wuerde ihm lieber als das Entfernte sein. Was Friedrich ueber
die Religion dachte, war nicht gut fuer die Schule, besser schon fuer die
Kirche, vortrefflich fuer die Wissenschaft. Der Voltairesche Verstand, der
ihn beseelte, war schlecht fuer den Aufbau des Neuen, aber gut zum
Niederreissen des Veralteten. Man darf diesen endlichen, witzelnden
Verstand nie zum Feldzugsplan erheben, kann ihn aber gut als Waffe
benutzen. Das klare, unbestochene, vorurteilsfreie Wesen ist an Friedrich
II. bewundrungswuerdig. Man fuehlt, wenn man seine Antworten und
Resolutionen liest, dass man fuer jedes Leiden bei seinem Gemuet wohl eben
keinen Trost, bei seinem Verstande aber Abhuelfe wuerde gefunden haben.
Seine Phantasie und sein Geschaeftseifer machten ihm das Verstaendnis jedes
ihm vorgelegten Falles sogleich klar und man hatte nicht noetig, wenn man
einen Minister verklagte, zu fuerchten, dass man an eben diesen Minister
wuerde verwiesen werden.

Die Erwartungen auf Friedrich Wilhelm IV. sind gespannt. Die erste Zeit
seiner Regierung gebuehrt der Trauer. In dem dunklen melancholischen Gruen
des Fichtenhains, der die sterblichen Ueberreste seines Vaters und seiner
Mutter beschattet, wird man ihn noch zu oft sehen, als dass man aus seinem
Auge etwas andres erraten koennte, als Traenen. Er wird nicht damit
beginnen, Schoepfungen seines Vaters umzustuerzen, er wird niemanden, der
des Seligen Vertrauen besass, aus seiner Naehe entfernen. Aber die
Aufforderung zu Taten wird nicht ausbleiben. Die Besetzung der bekannten
erledigten Ministerstelle duerfte vielleicht das erste Symptom des
Kommenden sein. Klio spitzt ihren Griffel, sinnend lehnt sie den Arm auf
das neue Blatt im Buche der Geschichte und lauscht mit laechelndernster,
mit bangfroher Erwartung.




Das Barrikadenlied (1848)


Barrikaden! Barrikaden! Eine Wehr der Buergerbrust! Jeder Freie ist
geladen, Auf zum Kampfe, Kameraden! Freiheitstod ist Himmelslust! Lasst
uns graben, lasst uns schanzen! Faesser her und Steine drauf! Trottoire,
glatt zum Tanzen, Wagen mit und ohne Franzen, Alles haelt die Kugeln auf.

Ha! Sie kommen! Nicht gezittert! Nicht den Blick zurueckgewandt! Lasst sie
schiessen! Glas zersplittert! Hinterm Wall sind wir vergittert. Freie
Brueder, haltet Stand!

Fasst mit scharfem Blick die Rechten! Zielt und drueckt die Buechse los!
Offiziere, koennt Ihr fechten? Kommandieren nur den Knechten! Fallt-in
Eures Koenigs Schoss.

Dann bedacht, auf kurzem Pfade, Bricht die erste, ziehn wir dicht In die
zweite Barrikade, In die dritte, vierte-schade, An die fuenfte folgt
Ihr nicht!

So auf Barrikadenbahnen Nur drei Tage sich gewehrt, Und beim vierten Ruf
des Hahnen Unter schwarz-rot-goldnen Fahnen Hat das Volk, was es begehrt!




Landtag oder Nicht-Landtag (1848)


Die Frage, welche jetzt so lebhaft die Gemueter bewegt, fing klein an. Der
Unterzeichnete wollte sich am Abend nach der Beerdigung die Anschauung
einer Berliner Volksversammlung verschaffen und begab sich in die Zelte,
wohin eine solche ausgeschrieben war. Er fand etwa tausend Menschen, die
in verworrenem Durcheinander ueber Wahlgesetz und Landtag sprachen. Einige
von dem Unterzeichneten zwischen die gehaltenen Vortraege geworfene
Bemerkungen erregten die Aufmerksamkeit der Umstehenden. Man machte ihn
zum Praesidenten der Versammlung, ein an sich unerquickliches Amt, das er
aber nicht zurueckwies, weil wir in einer Zeit leben, wo die Anteilnahme
am gemeinen Wesen ede1ste Buergerpflicht ist. Eine auf Grund der ferneren
Debatte verfasste und von den HH. Assessor Jung, Dr. Oppenheim und
Fabrikanten Lipke mitunterzeichnete Adresse gegen Berufung des Landtags
wurde Freitag den 24. dem Minister Arnim ueberreicht.

Inzwischen ist die Frage zur Parole des Tages geworden und gleichsam das
Symbol der Parteien. Diejenigen, welche in den Begebenheiten des 18. u.
19. Maerz eine Revolution sehen, wollen keinen Vereinigten Landtag mehr,
die, welche nur eine Revolte erblicken, verlangen ihn. Die Gruende, mit
denen man sich bekaempft, sind nicht immer redlich. Ich finde es
unredlich, sophistisch wenigstens, wenn man der grossen Masse sagt: Wollt
Ihr einen konstitutionellen Koenig? Wollt Ihr eine Kabinettsordre ohne
Beirat der Staende? usw. Man formuliert die illiberale Frage liberal, und
die Leute, so angeredet, antworten blindlings: Wir wollen einen
konstitutionellen Koenig, wir wollen nichts ohne die Staende usw. Der Koenig
ist konstitutionell, aber nur durch eine Konstitution, die wir noch nicht
haben. Der Koenig hat sich mit dem Vereinigten Landtag frueher als
absoluten Fuersten proklamiert, der Vereinigte Landtag bestand neben
diesem absoluten Fuersten, folglich kann er jetzt nicht mehr neben dem
konstitutionellen bestehen. Es ist ein Sophisma, wenn man die
Konstitutionalitaet des Koenigs durch die Berufung des Vereinigten Landtags
beweisen will.

Der Vereinigte Landtag ist ein Berliner Kind, ein Jahr alt; er war etwas
neues, er wirkte vorteilhaft auf unsere politische Atmosphaere, vorteilhaft
auch auf Lokal-Interessen. Diese letzteren verdaechtigen etwas die
Sympathie, die sich fuer ihn zu erkennen gibt. Die Buchhaendler haben noch
so viel Bildnisse und Reden-Sammlungen vom vorigen Jahre auf dem Lager:
Man denkt, das alles wird jetzt flott; man hofft eine gewisse Beruhigung,
eine Konsolidierung der Verhaeltnisse, die Boerse will endlich Kurse
notieren. Die frueheren Abgeordneten, die da merken, dass ihre Stunde
gekommen ist, regen sich auch. Sie moechten gern, das wittern wir in der
Luft, Roemertaten von Entsagung auffuehren, recht flatternd den Mantel nach
dem Winde haengen und die Luege noch mehren helfen, die uns so schon
verdaechtig genug umspinnt. Das alles sind schlimme Aussichten und
vermehren das Misstrauen in diesen alle Zeit ja rein prekaer und von der
koeniglichen Gnade abhaengig gewesenen Staatskoerper.

Man sagt, man koenne eine moralische Versammlung nicht toeten. Und doch
verlangt Ihr, dass sie sich selber toeten soll? Ich gestehe, ich moechte
nicht auf den Baenken dieses Landtags sitzen mit dem Bewusstsein, dass ich
mich ueberlebt haette, dass ich mich hinfort begraben lassen, mich ferner
unmoeglich machen soll. Viele Mitglieder des Landtags werden so denken,
vielleicht alle. Sie werden zusammenkommen, sich anblicken und die Augen
niederschlagen. Sie werden sagen: Wie kommen wir hieher? Wir sind
Provinzia1staende, wurden vereinigt ohne konstitutionellen Grundsatz, ohne
Befugnis der Gesetzgebung, ohne Macht und Auctoritaet, ja sogar erst die
Periodizitaet ist uns als Geschenk, durch den Augenblick, verliehen. Wir
haben uns immer unbehaglich und unheimlich zusammengefuehlt, wir haben
immer dahin protestiert, dass wir nicht die Staende, die 1815 versprochen
sind, vorstellen, und so koennen wir nichts anderes tun, als uns in
Provinzia1staende, was wir sind, aufloesen, nach Duesseldorf, Muenster,
Koenigsberg, Breslau gehen, fuer das Wohl der Provinzen sorgen und uns der
kleinen Freiheiten, die uns das Patent vom 3. Febr. gewaehrte, freiwillig
begeben.

Die Politik sollte diesen Fall voraussetzen, sie sollte sich ruesten
darauf:

1. dass dieser Vereinigte Landtag sehr unvol1staendig erscheinen, 2. sich
fuer inkompetent erklaeren und 3. von der noch gaerenden Aufregung
vielleicht sogar gewaltsam beanstandet werden wird.

Wuenschen das die Minister? Koennen es die Freunde des Friedens und der
Ordnung wuenschen?

Ferner: Aus dem Vereinigten Landtag soll das deutsche Parlament beschickt
werden. Und ueberall regt sich in Deutschland der Protest gegen diese
Idee. Die Frankfurter Versammlung wird erklaeren, sie wuerde von diesen
Provinzia1staenden nimmermehr Deputierte, die das preussische Volk zu
vertreten haetten, empfangen. Neue Verwirrung nach einer so wichtigen
Seite hin, der nationalen! Neue Aufforderung, bei Zeiten vorzubeugen und
solchen Verwickelungen dadurch zu entgehen, dass man den Vereinigten
Landtag, als solchen, fallen laesst. Preussen bedarf in diesem Augenblick so
dringend der allgemeindeutschen Sympathie.

Wir haben noetig erstens eine konstituierende Versammlung, welche die
Konstitution bespricht, und dann erst moegen die neuen Staende kommen, die
vielleicht wesentlich modifiziert werden durch das (National-Parlament).
Vielleicht ist das letztere wichtiger, als unsere Staende. Wenn das
deutsche National-Parlament ueber vier der wichtigsten Lebensfragen eines
Volkes zu entscheiden hat, werden die Staendekammern aller deutschen
Staaten ohnehin nur gewissermassen zu Provinzia1staenden herabsinken. Warum
streiten wir uns ueber das kuenftige Wahlgesetz? Im Augenblick handelt es
sich nur um eine konstituierende Versammlung fuer Preussen, und diese muss
allerdings auf der breitesten Unterlage angelegt sein, nicht ganz
abstrakt-numerisch, aber doch so viel wie moeglich. (Dahlmann) hat gewiss
Kenntnisse preussischer Verhaeltnisse genug, um rasch ein solches
Wahlgesetz zur konstituierenden Versammlung zu entwerfen. Er wird
vorurteilslos genug sein, sich dabei an die gegebenen Zustaende des
historischen Augenblickes, nicht an seine Goettinger Diktate zu halten.

Ich komme nochmals auf das obige Sophisma zurueck von einem
konstitutionellen Koenig, der nichts ohne den Vereinigten Landtag tun
koenne. Ich find' es geradezu machiavellistisch. Unser konstitutioneller
Koenig ist sehr jung. Er ist es vor allen Dingen durch die Konstitution,
die wir erst bekommen sollen. Ein Pressgesetz war rasch erlassen, ohne die
Staende. Da besorgte man, die Freiheit der Presse muesse doch gleich eine
beruhigende Form haben. Jetzt berufe der Koenig eine konstituierende
Versammlung durch einen Aufruf an sein ganzes Volk! Die Wahlen, so oder
so modifiziert, wenn nur ueberwiegend dem Grundsatz der Allgemeinheit
ehrlich entsprechend, werden ihm die Maenner bringen, die allein die
Gegenwart und Zukunft organisieren koennen. Es ist sophistisch, hier von
einem "Gewaltstreich" zu sprechen. Der Koenig ist in diesem Augenblick der
Ausdruck der Zeit, er will, was (wir) wollen, er gibt Gesetze, die ihm
die (Lage der Dinge) diktiert. Er kann einfach sagen: Ich habe Euch dies
und das in diesen Tagen versprochen, garantiert ohne die Staende, Inneres,
Aeusseres, Deutsches, Preussisches, Berlinisches, kein Mensch hat gesagt:
Der Koenig darf die Buergerwehr nicht ohne die Staende geben, die deutsche
Kokarde nicht aufstecken usw., und nur in der Wahlangelegenheit, da wollt
Ihr von staendischer (Zustimmung) sprechen? In der gefaehrlichsten Frage,
wo der meiste Egoismus zu fuerchten steht?

Der Vereinigte Landtag enthaelt Elemente, die uns sehr (lieb) und (wert)
sind. Seid gewiss, die werden wir alle wiederfinden in den neuen Wahlen!
Die alten Stadtverordneten aber, Gemeinderaete usw., die durch Vorrechte
gewaehlt wurden und die laermendste Agitation (fuer) den Landtag machen, die
wohl nicht, und das ist gut. Eine Beleidigung des Vereinigten Landtags
erblick' ich auch nicht. Kraeftig gesprochen kann man sagen: Es fiel so
vieles, warum nicht er? Milder gesprochen muss man sagen: Der Vereinigte
Landtag ist nur ein aus Gnade eines (absoluten) Koenigs geschenktes
(Rendezvous). Die Provinzia1staende sollen nicht sogleich vernichtet
werden. Sie moegen in ihre Provinzen gehen, dort das allgemeine
Wahlgesetz, das die konstituierende Versammlung gegeben hat, sich
mitteilen lassen und sich dort, wo sie geboren sind, auch in der Stille
aufloesen oder, waere es der Fall, dass das deutsche National-Parlament nur
Provinzia1staende um sich sehen will, einer neuen Organisation
entgegenharren. Das in (Berlin) Vereinigtsein dieser Staende ist etwas
rein Arbitraeres, Zufaelliges gewesen, und keinen Landstand kann es
beleidigen, wenn man gegen diese Vereinigung protestiert.

Also, lasst Euch nichts vorreden von Rechtsverletzung, Gewaltstreich,
einseitiger Willkuer. Das sind Gruben, die man Eurer guten, ehrlichen,
freien Gesinnung graebt. Wenn wir eine Konstitution haben und darauf
gebaute wahre Staende des Volkes, dann erst sollen die einseitigen Befehle
von oben aufhoeren. Jetzt aber, solange nichts rechtlich Bindendes da ist,
wollen wir froh sein, wenn die stuermisch gewesenen Vorboten des
angebrochenen Voelker-Fruehlings uns noch recht viel solcher Blueten vom
Baume der Majestaet schuetteln, wie diejenigen waren, welche wir in den
juengst vergangenen Tagen als Gesetze und Verheissungen empfingen. Ein
Wahlgesetz gibt jetzt nicht der Koenig sondern das Volk, die Zeit, der
Sieg des Augenblicks.

Dr. Karl Gutzkow




Preussen und die deutsche Krone (1848)


Man kann es vom hoeheren, vaterlaendischen Standpunkte aus nicht billigen,
dass sich Sueddeutschland aus den hiesigen Begebenheiten, die den
gewaltigen Umschwung unserer Verhaeltnisse hervorriefen, nur die
Ereignisse vom 18. und 19. Maerz herausgreift und auf diese schmerzlichen
Tatsachen hin bei der Wiedergeburt Deutschlands Preussen desavouiert. Denn
was man gegen die Person des Koenigs sagt, trifft in diesem Falle das
Land, trifft Preussen und viel empfindlicher Deutschland selbst.

Man beraet eine Einigung Deutschlands auf den Grund eines zu waehlenden
kuerzeren oder laengeren Oberhauptes. Seit Pfizers "Briefwechsel zweier
Deutscher" steht es fest, dass selbst die freisinnige, deutsche,
hochherzige Bewegungspartei fuer die Idee einer preussischen Hegemonie ist.
Die sueddeutschen Deputierten, die mit einem Doppelplane der Organisation,
einem monarchischen und einem republikanischen, hierher kamen, vertraten
anfangs denselben Geist, dieselbe Meinung, und noch am 18. und 19. Maerz
soll Preussen ploetzlich "unmoeglich" geworden sein? Darin liegt eine
politische Unklugheit und eine doppelte Ungerechtigkeit.

Um es ganz offen zu sagen, wonach streben wir? Wir moechten saemtliche
deutsche Fuersten auf eine Art Standesherrenschaft zurueckfuehren, ihnen in
Frankfurt (einem nicht gut gewaehlten Orte; Leipzig, Gotha, Weimar,
Nuernberg waeren besser) eine ehrenvolle und wuerdige Vertretung ihrer
Interessen und Erinnerungen geben und das ganze Reich durch ein
temporaeres oder dauerndes, erbliches oder nichterbliches Bundesoberhaupt
regieren lassen. Ohne eine sehr bedeutende Nullifikation unserer Fuersten
ginge es dabei nicht ab. Die kleineren scheinen nicht abgeneigt, solchen
Wuenschen sich zu fuegen; ja sogar groessere Fuersten, die Koenige heissen, ob
sie gleich wegen ihres Gebietes nur Herzoege oder Landgrafen heissen
sollten, ich sage, selbst groessere haben Waerme und Gefuehl fuer das
Gemeinsame genug, dass sie freiwillig ihre Souveraenitaet angeboten und auf
den Altar des Vaterlandes niederzulegen versprochen haben. Ein Koenig
sogar, der sich gegen diese Richtung anzustemmen nicht mehr kraeftig genug
fuehlte, entsagte seinem Throne und trat ihn seinem Erben ab, der dieser
idealen Richtung sich verwandter fuehlt. Von Oesterreich wuerde man immer
nur einzelne Teile seines Gebietes haben vertreten wissen wollen und wenn
auch die Wiener Bewegung, der Sturz Metternichs eine augenblickliche
Hingabe an das alte Kaiserhaus in uns erwachen liess, sie kann nur
voruebergehend sein. Warum nur voruebergehend? Weil einmal die
Persoenlichkeit des gegenwaertigen Kaisers keine ausreichende ist, zweitens
der Wiener Aufschwung der rechten freiheitsgeduengten Grundlage im ganzen
Reich ermangelt und drittens in Frankfurt nimmermehr gewuenscht werden
kann, dass Deutschland wieder in das Schlepptau der europaeischen Politik
des Hauses Habsburg genommen wird. Was man fuer [die] Reorganisation
Deutschlands tut, muss ohne organische Aufnahme oesterreichischer Elemente
geschehen. Oesterreich kann nur ehrenhalber dabei beteiligt sein.

So bliebe immer nur die preussische Anlehnung als die hauptsaechlichste und
entscheidendste uebrig. Das schlechte Preussische ist ja im Innern zerstoert
und wird noch mehr zerstoert werden durch Amalgamierung mit dem uebrigen
deutschen Stoff; das gute Preussische aber ist fuer Deutschland so
wesentlich, dass es Torheit und Verblendung waere, sollte sich auf ein
einzelnes Faktum, ueber das wir noch spaeter sprechen werden, auf eine
einzige dem Koenigtume gegebene Lehre hin diese Idee der vol1sten Aufnahme
Preussens in die deutsche Sache zerschlagen. Welchen Ersatz wollt Ihr in
Heidelberg und Mannheim bieten? Es ist sehr leicht, in tausendfacher
Anzahl Versammlungen ausschreiben, sich in Drohungen und Verwuenschungen
ergehen, Lieder singen usw., aber die nuechterne Erwaegung der Tatsachen
sollte Euch zwingen, Euren Unmut zu beherrschen und ueber die Personen
nicht die Sache zu verlieren!

Isoliert man Preussen, isoliert man die Empfindung seines jetzt sich zwar
konstitutionell bindenden Koenigs, dessen Persoenlichkeit indessen nicht so
nach Gefallen zu beseitigen ist, so koennte der deutschen Wiedergeburt
eine grosse Gefahr erwachsen. Der Provinzialgeist reagiert jetzt gegen die
Hauptstadt Preussens, pommersche und uckermaerkische Bayards wiegeln die
unzurechnungsfaehige altfraenkische Loyalitaet der Bauern und den Aerger des
Adels auf, das Heer ist verstimmt, viele seiner Fuehrer sind geradezu
verdaechtig, die ganze Maschine der Verwaltung laeuft noch in den alten
Wellen und Raedern, Polen hofft auf friedliche, unblutige Wiederherstellung
und laesst im Adressenrauschen und Fraternitaetspredigen vielleicht den
Moment der Tat voruebergehen, Russland, das geruestete, einige, feste weiss,
was es will, es trifft, ungehindert von Polen, Preussen unvorbereitet,
uneins, zoegernd, den Koenig verstimmt, abgekuehlt durch Eure Proteste, der
Strom von Osten flutet heran ... und was dann? Sued- und Westdeutschland
haben nur noch eine Einigkeit auf dem Papier und die Erinnerungen an die
militaerische Kraft des Reiches sind eben nicht erhebender und
vertrauenerweckender Art.

Preussens historische Bestimmung ist die des Werdens, des Fliessens,
Wallens, sich Gestaltens und Ausdehnens. Deutschland, Preussen in sich
aufnehmend, wird allein stark sein. Was weist Ihr Preussen zurueck? Ist es
nicht ein neues, das sich mit Euch verschmelzen will? Habt Ihr noch
Misstrauen in das von Euch bespoettelte Berlin, dem Ihr in diesem
Augenblick allein den kraeftigsten Beweis einer in Deutschland doch
moeglichen Auflehnung gegen Uebergriffe und Anmassungen der Gewalt verdankt?
Berlin hat sich nicht nur durch seinen persoenlichen Mut zur geistigen
Hauptstadt Deutschlands gemacht, sondern auch durch die Fuelle von Fragen,
die sich in politischer und sozialer Ruecksicht hier allein aufgeworfen
haben. Man kam fast nirgends ueber die patriotischen und liberalen
Abstraktionen hinaus, in Berlin lodert es radikal vom Herd des
Volkes auf.

Nenn' ich die Isolierung Preussens in diesem Augenblicke unpolitisch, so
ist sie auch ungerecht und zwar in doppelter Hinsicht. Ungerecht gegen
das preussische Volk, ungerecht sogar gegen den Fuersten. Was am 18. Maerz
verbrochen wurde, ist das Verbrechen aller deutschen Fuersten. In Wien ist
auf das Volk geschossen worden wie in Berlin, und das Blutbad wuerde
ebenso gross geworden sein wie hier, wenn man dort nicht sogleich in der
Absetzung Metternichs eine rasch ausfuehrbare Konzession gehabt haette.
Metternich stand schon so schwankend, dass er durch eine Strassenbewegung
fiel. In Berlin war der Kampf rein eine Schlacht, die man dem Militaer als
solchem lieferte, dem Militaerstaat, dem Land der Polizeityrannei, kurz,
es war ein fast persoenlicher Vernichtungskampf. Jeder deutsche Fuerst,
umgeben von solchen Generaelen, solchen militaerisch gesinnten Prinzen,
solchen militaerischen jahrhundertalten Arroganzen, haette ebenfalls feuern
lassen. Der Koenig braucht darum gar nicht persoenlich der "Wuerger" und
Schlaechter zu sein, fuer den ihn die Heidelberger Adresse erklaert. Er ist
ganz einfach der Ausdruck seiner Standesvorurteile, seiner militaerischen
Erziehung, das Echo seiner Ratgeber, das weiche Wachs seiner Brueder und
sogenannten Jugendfreunde, der Froemmlinge, der Volksveraechter jeden
Grades. Rechnet man noch hinzu, wieviel Unruhe und Unselbstaendigkeit er
in sich selbst besitzt in dem Gefuehl seiner nunmehr achtjaehrigen
widerspruchsvollen Regierung, wo ihn, den romantisch gestimmten Epigonen
vergangener Zeitrichtungen, der Sturmwind des Tages ewig im Kreise
umherwirbelte und er bei dem unleugbaren Willen, gut, gerecht, weise,
edel sein zu wollen, und dem Bewusstsein, gut, gerecht, weise, edel sich
selbst zu erscheinen, doch der Welt gegenueber immer als das Gegenteil
davon hervortrat: so ist es im hoechsten Grade ungerecht, die voellige
Umkehr und neue Geburt, zu der er am 20. Maerz die Lust bezeugte, das
Emporhalten des Reichsbanners und den Enthusiasmus eines neuen ihn
innerlichst ergreifenden Menschen abzuweisen und seine warme Hingabe an
die deutsche Sache zu erkaelten. Noch beduerfen wir, um das, was in
Frankfurt bezweckt wird, auszufuehren, der Persoenlichkeit unserer Fuersten.
Noch kann die Reue, das Beduerfnis nach Popularitaet, der geweckte
Enthusiasmus des preussischen Koenigs in die Waagschale der Frankfurter
Entschluesse das Gewicht der Entscheidung legen; warum festhalten an dem,
was am 19. in Berlin geschah und wie es in Muenchen, Kassel, Karlsruhe,
Hannover geschehen sein wuerde, wenn nicht das Volk gleich anfangs eine
kraeftige Miene gezeigt haette! Mit Worten ist in Staedten, die ich nicht
nennen will, von unseren Fuersten mehr gemordet worden, als hier in Berlin
mit Waffen.

Deutschlands Wiedergeburt unter dem preussischen Banner ist, so lange wir
in der konstitutionellen Monarchie uns bewegen wollen, die einzige
kraftvolle und Zukunft versprechende Loesung des Augenblicks. Wollt Ihr
die Einigung Deutschlands in wahrer Vollendung, so koennt Ihr nur den
Maechtigsten an die Spitze stellen und das, was Ihr an seiner Person
vermissen wollt, durch den Genius seines Volks ersetzen!

Dringen diese Ansichten nicht durch, scheitern sie an einer
unueberwindlichen persoenlichen Abneigung, so treten folgende Faelle ein:
Erstens werden wir um die Russland in Schach haltende polnische
Insurrektion betrogen, da ein unter den Auspizien des Panslawismus
friedlich geschaffenes Koenigreich Polen leicht mit dem Zaren friedlich
sich abfinden duerfte. Zweitens haetten wir die russische Invasion, die ein
innerlich zerworfenes, militaerisch unorganisiertes Deutschland, ein fuer
den Augenblick an sich selbst irrgewordenes Preussen vorfaende. Drittens
endlich, wer schuetzt uns--vor Verrat, vor einer tief angelegten,
grauenerregenden.... Intrige? All' diese Lose schlummern im Schoss der
naechsten Zukunft, wenn Sueddeutschland in seinen Ablehnungen und Protesten
so fortfaehrt, wie es begonnen, es sei denn, dass der Koenig von Preussen,
der grossen Mission seines Volkes sich unterordnend, den Wink verstaende,
den ihm Gervinus im neuesten Bulletin der "Deutschen Zeitung"
gegeben hat.




Abwehr einer Verleumdung (1850)


In N deg.. 43 dieser Zeitung sagt ein Anonymus, dem die Redaktion sogar die
Ehre erweist, seine boesen Verdaechtigungen in den Grossdruck des
politischen Textes aufzunehmen, der Unterzeichnete koennte schon deshalb
als "technischer Direktor" des K. Hoftheaters nicht berufen werden,
weil--ihm etwa die noetigen dramaturgischen Kenntnisse mangelten? Nein.
Oder weil von ihm bekannt waere, dass er zwar kein republikanischer, aber
doch sonst ein gar schlimmer und bedenklicher Autor waere? Auch das nicht!
Nun, warum denn sonst nicht? Er hat etwas viel, viel Aergeres begangen. Er
waere im Jahre 1848 von Dresden ganz besonders zu den "Maerzereignissen"
heruebergekommen. Zwar setzt der wohlwollende "Zuschauer" schuechtern
hinzu: "Wie es scheint." Verzwicktes "wie es scheint"! Warum nicht
sogleich dreister? Warum nicht sogleich geradezu gesagt, ich haette
Barrikaden befehligt?

Im Mai 1849 hab' ich in Dresden, wohin ich nicht erst zu reisen brauchte,
wirklich eine Barrikade bauen sollen. Fuenf Maenner in Sensen hielten mir
Steine entgegen und wollten mich zwingen, Hand anzulegen. Lasst mich! Ich
bin kein Baumeister! musst' ich ihnen sagen. Es half nichts: "die Sense
sollte michs schon lehren!" Erst als ich etwas unsanft sagte: Leute, ich
habe fuer die deutsche Einheit mehr mit dem Wort getan, als ich hier mit
Steinen tun kann! liess mich die damals souveraene Insurrektion meines
Weges ziehen. Freilich! Warum sass ich nicht, wird mein "Zuschauer"
fragen, auch hier versteckt in irgendeinem Keller? Warum war ich an jenem
Maerzsonntage 1848 vor dem Schlosse in Berlin und sah mir dies Wogen und
Wueten einer ungebundenen Menschenmasse an? Der schlimme "Zuschauer" sagt,
Herr Polizeipraesident v. Minutoli muesste darueber auch noch erst Bericht
erstatten. Niemand kann im geschichtlichen Interesse mehr wuenschen als
ich, dass der freundliche und um den milderen Verlauf jener Tage vielfach
verdiente Herr v. Minutoli seine damaligen Erlebnisse erzaehlte. Aber ich
wuenschte doch, Felix Lichnowski lebte noch und bestaetigte mir's, dass er
mich aufforderte: "Freund, Sie muessen reden! Sie muessen! Ich lasse Sie
nicht!" "Worueber?" "Ueber was Sie wollen! Ich bin heiser, ich kann nicht
mehr! Nur reden, nur beruhigen!--Nun denn, sagt' ich, ich habe in jenem
patriotischen, angeborenen, mark-brandenburgischen, vaterstaedtischen
Drange, von dem man damals noch nicht ahnte, dass man ihn spaeter fuer
revolutionaeren Fuerwitz erklaeren koennte, das Wort des Koenigs: Kommt und
ratet mir! so aufgefasst, dass ich ihm einen Brief uebergeben liess, worin
ich ihn bat, in die aufgeloeste Ordnung irgendeinen, die Massen nur legal
zusammenziehenden, die Gemueter zerstreuenden neuen Gedanken zu werfen, am
liebsten den der Buergerbewaffnung! "Sprechen Sie darueber! Sogleich! Hier!
Heran! Ich lasse Sie nicht mehr fort!" Ich sprach, und die Massen, die zu
allen Konzessionen, die sie kaum verstanden, noch etwas Neues,
Handgreifliches, leicht Verstaendliches hinzuempfingen, zerstreuten sich.
Es ist bekannt, dass der Koenig denen gedankt hat, die an jenem
Sonntagmorgen zum Schlosse hielten. Freilich, sehr exaltiert, sich ohne
Portefeuille fuer einen Politiker zu halten! Sehr exaltiert, nicht wie
jener Feigling im "reisenden Studenten" in den Mehlkasten zu springen und
zu rufen: Brennt's noch? Wer damals in den Mehlkasten sprang, der kam
freilich fuer immer sehr weiss heraus.

Einige Tage gaerte das, alle ergreifend, noch so fort. Und wenn mein
"Zuschauer" sagt: Vor dem 18. Maerz schon haett' ich "Taetigkeit entwickelt",
so will ich ihm sagen, was ich vor und nach dem 18. Maerz fuer "Taetigkeit
entwickelte." Am 6. kam ich mit Weib und Kind nach Berlin, um meinen
Urlaub dort zu verleben. Von da bis zum 18. schrieb ich im Hotel de
Russie mein Schauspiel: Ottfried. Und vom 22. Maerz bis 22. April, also
waehrend der vollen Bluete der Revolution, sass ich am Krankenbette eines
Kindes, am Sterbebette einer Frau. O Du leidiger "Zuschauer"! Ich
beantworte Deine boese Anklage so ausfuehrlich nicht wegen des "technischen
Direktors" (der nicht mir, nur jener Anstalt fehlt), sondern deshalb,
weil diese in Berlin eingerissene Enthuellungssprache, dies mystische: Der
war gestern in der und der Strasse! Man hat ihn da und dort mit dem und
dem verkehren sehen usw. eine wahre Schmach unserer Zeit ist und an die
truebsten Tage roemischer Delatorenwirtschaft erinnert.

Wenn man von mir sagt, dass ich bei dem mir mannigfach eingeraeumten
Berufe, fuer die deutsche Schaubuehne theoretisch und praktisch zu wirken
und an jedem Hoftheater die aesthetische Initiative ergreifen zu koennen,
doch immer noch so "taktlos" bin, in politischen Dingen mehr links als
rechts zu stehen, so kann ich mich dagegen nicht verteidigen und werd' es
nicht. Aber den Vorwurf, dass ich in meinem Leben je gewuehlt, agitiert
oder konspiriert haette, weis' ich mit Verachtung zurueck.

Dresden, 23. Februar 1850.

Dr. Karl Gutzkow




Varnhagens Tagebuecher (1861)


Wir moegen nicht das Schlimme wiederholen, das sich schon reichlich in
manchen Blaettern ueber Ludmilla Assings neue Mitteilungen aus dem Nachlass
ihres Oheims (zwei Baende, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1861) gesagt findet.
Die Ausdruecke der Anfeindung und Verachtung kommen meist aus der Region,
wo man sich durch die guten Seiten dieser Tagebuchnotizen
getroffen fuehlt.

Wer die Zeit von 1835-43 (dies die Jahre, die die vorliegenden zwei
ersten Baende treffen) mit all dem Unmut und dem Druck persoenlichster
Benachteiligung durchlebt hat, dem Varnhagen in seinen Aufzeichnungen
Worte leiht, der entschuldigt das meiste von dem, was andere hier
verurteilen wollen. Ihm bleibt es eine Erquickung, noch einmal bis in die
kleinsten Details jenen traurigen Zeiten der Verfolgung und endlich zu
Fall gekommenen Tyrannei nachzuleben. Ihm gewaehrt es einen hohen Genuss,
sich sagen zu koennen: An alledem warst auch du mit den tiefsten Atemzuegen
deines Lebens beteiligt, fuehltest dieselben Gewaltschlaege der Schergen,
hofftest auf dieselben Sonnenblicke der bessern Zeit! Bis ins einzelnste
lebt sich ein aelteres Geschlecht in diesen Varnhagenschen Mitteilungen
noch einmal wieder sein eigenes Leben durch.

Und auch das ist eine der guten Seiten dieser Veroeffentlichungen, sie
lehren Hingebung an Zeit und Menschen, Verehrung und Pietaet vor der
gemessenen Stunde, auch vor fremder Bildung, fremdem Lebensschicksal und
vollends vor dem eigenen, soweit wir nur zu oft geneigt sind, immer nur
in hastiger Erwartung des Zukuenftigen unsere Befriedigung zu finden. Je
massenhafter die Zeit ihre Strebungen ansetzt, je verallgemeinerter die
Wirkungen des Zeitgeistes sind, desto erhebender diese Beachtung des
Einzellebens, diese sinnige Beobachtung des Individuellen und
Persoenlichen. Letztere Beobachtung ist bei Varnhagen nicht ganz von der
Neugier, noch weniger lediglich vom Gefallen an dem medisanten Gefluester
der Goettin Fama eingegeben; sie entspringt aus einem Persoenlichkeitskultus,
den wir nicht verwerfen oder um seiner etwaigen Abnormitaeten willen
verurteilen wollen.

Welche Fuelle von interessanten Mitteilungen diese beiden Baende enthalten,
ist in allen Zeitungen schon gesagt worden. Wir koennen allerdings den
verstehen, der die Moeglichkeit, solche Tagebuecher zu fuehren, in mehr
bedenklichen als guten Charaktereigentuemlichkeiten finden will; das vor
uns liegende Endergebnis solcher Art oder Unart ist jedoch lehrreich und
nuetzlich. So viel laesst sich bei jedem einigermassen Urteilsfaehigen
voraussetzen, dass ihm nicht jede dieser fluechtig hingeworfenen Aeusserungen
massgebend sein wird--es kann in ihnen getadelt werden, was vielleicht
alles Lobes wert ist--aber luftreinigend wirken diese Explosionen;
Behutsamkeit werden sie nach allen Seiten hin verbreiten. Wie gut tut es
nur allein schon den Hochgestellten und Maechtigen, dass sie ueberall sich
eingestehen muessen: Hier ist zwar nicht durch Anschlag vor Fussangeln
gewarnt, aber huete dich bei jedem Schritt, unvorsichtig und unbedacht
zu sein!

Auch darin muessen wir eine hoechst interessante Wirkung dieser
Veroeffentlichungen sehen, dass wir die ausserordentliche und fast
unglaublich scheinende (Natuerlichkeit) kennenlernen, die in gewissen
hoehern Regionen waltet. Moeglich, dass zwei Dritteile dieser hier vom Hofe,
den Prinzen, den Staatsmaennern Preussens aus den oben genannten Jahren
mitgeteilten Anekdoten unrichtig erzaehlt oder leere Erfindungen des
Geruechts sind; dennoch bleibt immer noch genug zurueck, um uns ein Bild
dieser steten Agitation zu geben, die um die hervorragenden Erscheinungen
der Erdenmacht sich auf- und abbewegt. So stuermt der Zugwind am meisten
um grosse, alleinstehende Kirchen und laesst schon in der Legende den Teufel
da sein lustigstes Spiel treiben. Varnhagen hat Fuersten und Regierende
genug selbst gesprochen, teilt Aeusserungen von erlauchten Lippen genug
selbst mit, die sein eigenes Ohr vernommen, um die Vorstellung zu
erwecken: So also beaengstigt euch Herrschende doch die Zeit und die
tausendfache Verpflichtung, die gerade euch stets mahnend zur Seite
steht! So jagen euch die unfertigen Gestaltungen dieser irdischen Welt
hin und her; so bringt der Vorwitz und die Torheit und welche
Leidenschaft der Menschen nicht--! unablaessig Wirkungen hervor, deren
Ursachen wir Fernstehenden kaum ahnten! In den Zeitungen stand das alles
so kalt und so abgeschlossen fertig da, was sich hier hinter den Kulissen
so heiss siedend und wallend erst formte, so unfertig, so nur wie
vorlaeufig! Diese Haende konnten maechtige Fahrzeuge zimmern und doch nicht
dem Sturm und den Wellen gebieten! Wir haben seit langem nicht so auf den
Sieg des Wahren und Gerechten vertraut wie nach der Lektuere dieser
Tagebuchmitteilungen, die uns die Gewalthaber der Erde als ebenso
hilfsbeduerftige Menschen schildern, wie wir selbst sind.




Vorlaeufiger Abschluss der Varnhagenschen Tagebuecher (1862)


Es wuerde ueberfluessig sein, das Erstaunen und die mannigfachen Bedenken
ueber die Existenz und die fruehzeitige Herausgabe der Varnhagenschen
Tagebuecher zu wiederholen. Ihr oeffentliches Vorhandensein ist nun einmal
ein Begegnis wie ein Naturphaenomen, das sich aller Berechnung entzieht.
Selbst eine Anklage und vor allem die gerichtliche Verfolgung erscheint
uns im vorliegenden Falle wenig angebracht, da man nur einfach zugeben
sollte, dass es sich hier um ein literarhistorisches Ereignis, ein
psychologisches Raetsel, um eine in dem Leben eines ausgezeichneten Mannes
uns bis jetzt noch unvermittelt erscheinende Anomalie handelt. Die
Entwaffnung dessen, der durchaus entruestet sein und bleiben will, sollte
in den Vorzuegen des Schriftstellers selbst liegen, der uns so lange Jahre
hindurch ein Muster der Maessigung und des Strebens nach dem Kerngehalt der
Zeit und Welt erschien. Ihn jetzt ploetzlich so ganz abirren zu sehen von
derjenigen Bahn, in welcher von ihm so viel Bedeutendes und Bleibendes
geleistet worden ist, das ist eine Erscheinung von so fragwuerdiger
Seltsamkeit, dass sie uns nur psychologisch, biographisch, zeitgeschicht-
lich beschaeftigen, am wenigsten Anlass geben sollte, die Herausgabe des
Buches zu einem Vergehen zu stempeln. Selbst noch das Irrgewordensein
eines bedeutenden Mannes kann ein Schauspiel bieten, das interessant und
lehrreich ist.

Bis nahe an die Grenze der Unzurechnungsfaehigkeit sind allerdings diese
Aufzeichnungen aus den Jahren 1848 und 1849 vorgerueckt. Aber waren wir
denn alle, die wir jene Tage miterlebten, frei von einer krankhaften
Exaltation unsers Empfindens und Denkens? Wer haette nicht damals sich
mitten auf die Strasse stellen und seine Stimme laut erschallen lassen
moegen, um vor hereinbrechenden Gefahren zu warnen? Falsche Volksfuehrer zu
entlarven, Abtruennige mit feierlichem Protest dem Fluch aller Zeiten
preiszugeben? Beim Rollen und Donnern der Kanonen, bei den Salven, die
auf Volkshaufen abgefeuert wurden, beim Krachen des beginnenden
Barrikadenbaues trieb die aufgeregte Phantasie, die Liebe zum Vaterland,
zur Freiheit, ja wohl auch nur die Vorstellung von unbesonnenen,
falschen, der naechsten Klugheit widersprechenden Massregeln die sonst
ruhigsten Gemueter in die Vorzimmer der Minister, in die Kabinette der
Fuersten, um ihre Meinungen geltend zu machen. Jeder Tag brachte neuen
Zuendstoff, um die Gemueter in Flammen zu setzen; und was Varnhagen hier
oft nur mit kurzen Worten niederschrieb: "Es sind Schurken, Halunken,
Boesewichter!" das alles wurde oft genug von uns selbst ausgerufen oder
zwischen den Zaehnen gemurmelt. Es liegt uns die treueste, die lebendigste
Vergegenwaertigung einer Zeit vor, die leider fuer die Wiederaufnahme
dessen, was sie uns haette bringen sollen, mit einem unfruchtbar und
nutzlos voruebergehenden Jahr nach dem andern sich uns schon zu weit zu
entruecken droht. Eine junge Generation tritt immer mehr in den
Vordergrund, ohne jene Zeit erlebt, ihre Erfahrungen benutzt zu haben. Es
waere ein unermessliches Unglueck fuer unser Vaterland, wenn die Stunde der
Erloesung von unsern gegenwaertigen, von den Regierungen ja selbst fuer
unhaltbar erklaerten Zustaenden zu einer Zeit schluege, wo die Lehren der
Jahre 1848 und 1849 bereits vergessen waeren.

Deshalb schon und um dieser nuetzlichen Vergegenwaertigung der Lage willen,
in welche Deutschland bei einer verhaengnisvollen Krisis immer wieder aufs
neue wird geraten koennen, sollte man das Exzentrische dieser Publikationen
mit Ruhe hinnehmen. Manche von denen, die hier als "Schurken" und
"Halunken" bezeichnet werden, leben allerdings noch, aber sie moegen doch
nicht glauben, dass man sie um deshalb, weil sie hier so genannt worden
sind, nun wirklich dafuer halten und in der Geschichte als solche stempeln
wird. Viele davon moegen ernsthaft genug ihr Teil verschuldet haben, aber
auch diese moegen annehmen, dass die oeffentliche Meinung an ihre Reue und
an manche bessere Besinnung glaubt. Vor allem verraet der Ton dieser
beiden neuerschienenen Baende, dass der Verfasser der "Tagebuecher" wirklich
an der Zeit krank war und ueber die Taeuschung seiner Hoffnungen oft sein
Herz brechen fuehlte. Die Wahrheit, mit welcher dieser Schmerz empfunden
und geschildert wird, ist in der Tat erschuetternd und versoehnt uns nicht
nur mit der Herbheit seiner Aufzeichnungen selbst, sondern ueberhaupt mit
manchen Zuegen in Varnhagens Charakter, mit welchen wir uns frueher nicht
hatten befreunden koennen. Wir begegnen hier einem Glauben an die Rechte
der neuen Zeit und an den letztlichen Sieg der Freiheit, einem Glauben an
den Wert und den Adel des Volks, wie er sich schoener nicht in den Werken
der beruehmtesten Freiheitshelden, nicht reiner bei Franklin findet.

Auch diese neuen Baende werden vielen Federn Anlass bieten, in mannigfacher
Weise auf ihren interessanten Inhalt einzugehen. Unserer Zeitschrift
fehlt dazu der Raum. Nur eine Bemerkung wollen wir nicht unterdruecken,
die auf den politischen Charakter Preussens und Berlins geht. Jene Jahre
waren allerdings die der allgemeinen Verwirrung, aber am verworrensten
sah es doch wohl in Berlin aus. Wir denken hierbei nicht an die
Bassermannschen Gestalten, nicht an die ratlose, hin und her geaeffte
Buergerwehr, nicht an den zu allen Zeiten schwer zu bewaeltigenden
Strassengeist Berlins, sondern an die Sphaere der Intelligenz und der
privilegierten Politiker. Letztere rekrutierten sich eigentuemlicherweise
aus frondierenden Beamten und pensionierten oder auf Disposition
gestellten Militaers, wie denn Varnhagen selbst ein solcher zur
Disposition gestellter Diplomat war. Das Hin und Her, das Zutragen,
Besserwissen, die Medisance, das Klatschen gerade dieser Sphaere ist so
hoechst auffallend, dass man die Gefahren des Throns weit weniger versucht
wird in der demokratischen Sphaere zu suchen als da, wo der Thron seine
Stuetzen zu suchen pflegt. Eitelkeit, Unzuverlaessigkeit, Rachsucht,
haemische Schadenfreude verbinden sich hier mit einer muessiggaengerischen
Phantasie, die unausgesetzt sich selbst und andere alarmiert und an einen
Nachen denken laesst, der im Sturm nur durch die Unruhe und das Hin- und
Herlaufen seiner Passagiere untergeht. Dies ist ein bedenklicher
Charakterzug jener Menschen und Gegenden, welche bekanntlich die deutsche
Hegemonie und im Fall der Gefahr unsere Kriegsfuehrung anstreben. Denkt
man sich diese spezifisch berlinisch-preussischen Elemente beim Beginn
eines Feldzugs oder am Vorabend einer Schlacht, so darf uns so
ausserordentlich viel Weisheit, so ausserordentlich viel (nur durch die
Furcht!) aufgeregte Phantasie, verbunden mit der im schwatzhaftesten
Dreiachteltakt gehenden Suada, die niemanden zu Worte kommen laesst,
ernstliche Besorgnisse einfloessen.



       *       *       *       *       *

III. Drei Berliner Theatergroessen




Ernst Raupach (1840)


Raupach scheint jetzt Berlin gegenueber einen schweren Stand zu haben.
Selbst seine Freunde fuehlen sich in der Teilnahme, die sie ihm sonst zu
schenken pflegten, erschoepft. Und doch find' ich, dass seine neuern Sachen
nicht schlechter sind, als die frueheren, dass sie denselben Zuschnitt
haben und dieselbe Kenntnis der Buehneneffekte verraten. Sollte vielleicht
die sehr glueckliche Stellung dieses Mannes beneidet werden? Raupach hat
von der koenigl. Buehne einen jaehrlichen Gehalt von 600 Talern und bezieht
fuer jeden Akt seiner Dramen ausserdem noch 50 Taler. Seine Dramen (muessen)
zwar nicht angenommen werden, aber sie werden es fast immer, jedenfalls
wird jedes angenommene Stueck ausserordentlich beguenstigt und kann auf
schnel1ste Erledigung rechnen. Wie schoene Kraefte koennten nicht fuer die
Buehne gewonnen werden, wenn man andern dramatischen Talenten nur einen
Teil dieser Beguenstigungen zuwendete! Denn nur aus einem intimen
Anschliessen an eine Buehne, die willfaehrig selbst schwaechere Versuche
darstellte, kann Lust und Kraft fuers Theater gezeitigt werden. Wird man
seiner Fehler nicht ansichtig, so lernt man niemals, sie vermeiden. Dass
Raupachs Stellung fuer die in der dramatischen Literatur aufkeimende
Bewegung hemmend ist, liegt auf der Hand. Seine weitbauschigen Dramen
werden an der hiesigen Buehne nach alten eingegangenen Verpflichtungen
bevorzugt und jaehrlich nur vier solcher Dramen--und den andern ist die
Haelfte der Theater-Abende und Memorial-Vormittage entzogen.

Eine Frage ist auch die: (Was treibt Raupach, Dramen zu schreiben?) Der
Ehrgeiz, sich als Theater-Dichter zu bewaehren? Nein, er ist dafuer
anerkannt. Eine innere Notwendigkeit, ein Drang des Nichtlassenkoennen?
Das schon eher: Ich glaube sogar, dass Raupach nach dem Mass seiner Kraefte
von seinen Stoffen begeistert ist. Nun wird man ihm doch gewiss noch zehn
Jahre goennen muessen: auf jedes Jahr vier Dramen: macht die Aussicht, aus
seinem unverwuestlichen Schaffenstrieb noch 40 Dramen zu erhalten! Sollt'
es nicht da eine Grenze geben? Besaesse Raupach die Vielseitigkeit eines
Kotzebue, dann waere die Aussicht minder abschreckend. Allein immer
derselbe Stelzengang Schillerscher Geschichtsauffassung, immer dieselben
den Schauspielern desselben Theaters auf den Leib zugeschnittenen
Charaktere--man muss das Publikum bedauern, weil es bei aller Mannig-
faltigkeit doch im Grunde nichts Neues sieht, und die Schauspieler,
weil sie die Kraft ihres Gedaechtnisses an das nur allzuleicht
Vergaengliche verschwenden ...




Ludwig Tieck und seine Berliner Buehnenexperimente (1843)


Es bestaetigt sich denn wirklich, dass nach des Sophokles "Antigone" nun
des Euripides "Medea" die Ehre hat, vom Koenigl. Hoftheater in Berlin zur
Darstellung angenommen und zu demnaechstiger Auffuehrung bestimmt zu sein.
Als den Urheber dieses Planes bezeichnet man ziemlich einstimmig den geh.
Hofrat Tieck. Mendelssohn ist bereits daran, die Choere zu instrumentieren.
Die Philologen freuen sich schon auf die gelehrten Abhandlungen, mit
denen sie die Spalten der Berliner Zeitungen werden fuellen koennen.

Die aesthetische, lebendige, durch und fuer die Zeit lebende Kritik kann
aber in diese Freude nicht einstimmen. Im Gegenteil muss sie dieses
pseudoartistische Treiben mit gerechtem Unwillen erfuellen. Sie muss es
unerschrocken aussprechen, dass die Vergeudung der Kraefte, die eine solche
scheinbare Wiederbelebung des verfallenen Staubes alter Zeiten kostet,
eine unverantwortliche Beeintraechtigung der Gegenwart ist. Ja, nicht nur
eine Beeintraechtigung, sondern eine Beleidigung der Gegenwart.

Tieck missachtet unsere Zeit. Er mag sich in dieser gehaessigen Gesinnung
gegen sein Jahrhundert gefallen, wo er will, in seinen Dresdener
Leseabenden, unter den Eichen von Sanssouci, ueberall, nur nicht da, wo er
durch seinen Einfluss der Gegenwart ihr lebendiges Recht, das Recht des
Lebens, entzieht. Ja er mag auf einem Privattheater alle Dramen von
Aeschylus bis Holberg nach seinen Angaben vorfuehren lassen, nur eine dem
Volk, eine der Zeit und ihren Rechten angehoerende Buehne sollte vor dem
Schicksal bewahrt sein, das Opfer dilettantischer Liebhabereien und
literarhistorischer Proteste gegen die Mitwelt zu werden. Ist Herr v.
Kuestner schwach genug, sich freiwillig, aus Kassenzweck, solchen
Chimaeren, die seinem dramaturgischen Bildungsgange gaenzlich fremd,
hinzugeben,--so ist dies schlimm. Ist sein Einfluss so gering, dass er
unfreiwillig der gehorsame Diener der ihm angedeuteten Wuensche sein
muss,--so ist es noch schlimmer.

Das Mittel, welches Ludwig Tieck ergreift, um unserer Zeit seine
gruendliche Verachtung zu erkennen zu geben, ist ein dilettantisches
Experiment, welches, auf Sand gebaut, einen Nutzen fuer Kunst und
Literatur nie und nirgends bringen kann. Wird uns "Antigone" bessere
Liebhaberinnen, wird uns "Medea" bessere tragische Muetter bringen?
Beduerfen wir in einer Zeit, wo es der Schauspielkunst gerade an der
Wahrheit der Natur und den unmittelbaren Affekteingebungen gebricht,
jambenkundige Verssprecher und Verssprecherinnen? Beduerfen wir zur
Belebung des Sinnes fuer hoeheres Schauspiel solcher Hilfsmittel, die,
ueberwiegend von der Musik unterstuetzt, durchaus ein fuer das rezitierte
Drama nur zweideutiges Ergebnis erzielen koennen? Ist die Weltanschauung
der antiken Tragoedie eine erhebende fuer das Christentum, eine belehrende
fuer den modernen Dichter, der ein ganz anderes Fatum zu schildern hat,
als das blinde, hoffnungslose, starre antike? Werden Dichter,
Schauspieler und Publikum sich durch solche aus der Luft gegriffene
Mittel bessern, vervollkommnen, veredeln?

Ich hoere, ein derlei praktischer Nutzen wuerde auch mit den Zitierungen
jener klassischen Gespenster gar nicht bezweckt. Nun denn, so sei es die
Sache an sich, so sei es das reine Experiment des Literarhistorikers, der
befriedigte Gusto des artistischen Gourmands. Dann muss man herzlich die
Taeuschung bemitleiden, in welcher sich jeder befindet, der diese von
Lampen erhellte, im Zimmerraum eingeschlossene und von moderner Musik
unterstuetzte Tragoedie fuer die griechische der alten Welt halten kann.
Deckt das Dach einer Reitbahn ab, hebt die Parkett- und Parterreplaetze
fuer den tanzenden Chor auf, gebt etwas, das ungefaehr aussieht, wie die
Ruinen alter Theater in Rom und Sizilien, und wir wollen unsere
Gymnasiasten klassen- und coetusweise in eure antiquarischen Spielereien
fuehren! Das, was uns da als des Sophokles "Antigone" und als des
Euripides "Medea" gegeben wird, ist aber auch nicht die Sache an sich,
ist nicht eure unschuldige Gelehrsamkeit, nicht eure harmlose Freude am
Gewesenen. Nein, einen Wechselbalg schiebt ihr uns unter mit ganz offen
polemischer Tendenz. Ihr luegt dem Publikum ein Kunstgenre vor, das nie
existiert hat, als in eurer Eitelkeit, eurem Hasse gegen die Gegenwart,
die das Unglueck hat, juenger zu sein als ihr! Um von den "Goetzen des
Tages" abwendig zu machen, erfindet ihr falsche Goetter, Goetter, die nie
existiert haben, Heroen bei Lampenlicht, Oelgoetzen, Oedipe mit Souffleur-
kastenbegeisterung, Kreons, die auf Abgaenge spielen, Choere, die sich auf
den Kontrapunkt verstehen! Luege ist euer Beginnen, Zwitterwesen, luftige
Seifenblase, aus Tonpfeifen erzeugt! Schaemt euch, so eure Zeit zu betruegen
und die Kunst zu hintergehen.

Der Grundzug der ganzen literarischen Laufbahn Tiecks ist die Frivolitaet.
Frivol nenn' ich alles, was Maschine ist und sich fuer Organismus ausgibt,
alles, was Luft ist und Erde sein will, alles, was Willkuer ist und den
Schein der Notwendigkeit annimmt. Nie ist Tieck ueber das belletristische
Prinzip hinausgekommen, nie durchgedrungen zur sittlichen Idee aller
Kunst. Nie war ihm etwas anderes heilig als die Form; Inhalt war ihm
laestig, Ernst drueckend, das Erhabene nur willkommen, wenn es moeglicher-
weise in den Scherz umschlagen konnte. Wer liesse ihn nicht in dieser
seiner Art gewaehren? Er sei, er bleibe ironisch, aber die Ironie hat ihre
Grenzen. Die Ironie hoert auf, wo die Tendenz beginnt. Wir meinen unter
Tendenz nicht irgendeine Pedanterie der Wissenschaft oder eine Tyrannei
der Kunst, wir meinen jene Tendenz vom Willen zur Tat, vom Mittel zum
Zweck, vom Anfang zum Ende. Sei ironisch im Sommernachtstraum deiner
Haeuslichkeit, deiner Novellen, sei ironisch unter den Puck- und
Trollgeistern, die dich im gruenen Waldrevier deiner Talente bewundern und
bedienen--aber lass vor den heiligen Raeumen des Ernstes deine Schelmenkappe
zurueck: Geschichte, Moral, Volksbildung, Kritik und die Buehne, was sie
jetzt ist, die Buehne als Traeger und Organ hoeherer Sittlichkeit: das sind
Begriffe, in welcher die Ironie wenigstens nicht als Regulator auftreten
darf.

Blickt man auf Tiecks literarische Laufbahn zurueck, so muss sich
unwillkuerlich die Stirne runzeln. Was sieht man? Einen regen, berufenen,
reichausgestatteten Geist, der von seinen Gaben keinen Gebrauch zu machen
weiss, wenigstens keinen, der ueber einige heitere und witzige Schriften
hinausging. Das Theater schien sein naechster Beruf. Er waere gern
Schauspieler geworden und wuerde in dieser Laufbahn, von der ihm Schroeder
abriet, vielleicht Grosses geleistet haben. Er persiflierte in seinen
unauffuehrbaren Komoedien Iffland, ohne auch nur die Spur eines Ersatzes
fuer ihn geben zu koennen. Er und seine Genossen, die Schlegel, machten
Richtungen laecherlich, von denen sie spaeter eingestehen mussten, dass sie
noch lange nicht so verderblich waren, wie die ohnmaechtigen romantischen
Produkte, ueber welche Tieck in seinen spaetern dramaturgischen Blaettern
berichten musste. Aus Verzweiflung, dass "Ion", "Alarcos", "Oktavian" usw.
fuer die persiflierte Richtung keinen Ersatz boten, warf man sich auf
Calderon, Shakespeare, Goethe, die man wiederum so ueberpries, dass sich
zwischen Altem und Neuem foermlich eine unueberschreitbare Kluft oeffnete
und der Begriff des Klassischen ins Ungeheuerliche, schier
Anbetungswuerdige erstarrte. Tieck, der das zu allen Perioden seines
Lebens Neue nur immer tadeln, das Alte aber ueberschwenglich nur loben
konnte, Tieck hat bei unleugbar reichen Mitteln, bei unleugbarer
Buehnenkenntnis, nicht ein einziges Buehnenstueck schreiben koennen. Nicht
ein Trauerspiel, nicht ein Lustspiel, vom Schauspiel zu schweigen, das
diese romantische Koterie nicht auf die unbesonnenste und noch jetzt, fuer
jeden Produzierenden gefaehrlichste Weise in Verruf gebracht hat. Bei so
viel Witz, bei so viel dramatischer Routine nicht ein Lustspiel! Freilich
muss das Bewusstsein solcher Ohnmacht an dem ehrgeizigen Manne nagen und
ihn gegen seine Zeit so missstimmen, dass er sich lieber in die antike
Buehne wirft, als frei und tuechtig der Gegenwart Rede zu stehen....




Madame Birch-Pfeiffer und die drei Musketiere (1846)


Herr von Kuestner scheint sich als General-Intendant zu halten. Eine
Einnahme von 220 000 Talern soll lebhafter fuer ihn gesprochen haben, als
alle Verteidigungen der Presse, als saemtliche Paragraphen seines mit
Unrecht angefeindeten "Theater Reglements". Ob diese Einnahme rein als
eine Folge der guten Verwaltung oder nicht vielmehr ueberwiegend ein
notwendiges Ergebnis der gesteigerten Theaterlust und des durch die
Eisenbahnen vermittelten Fremdenzuflusses ist, steht dahin. Jedenfalls
ist es gefaehrlich, bei Kunstinstituten, die doch die Berliner Hoftheater
sein sollen, einen zu grossen Nachdruck auf Zahlen zu legen. Die
Leidenschaft fuer "Ueberschuesse" ist eine der gefaehrlichsten
Intendanten-Krankheiten. Sie kann sich in ein hitziges Fieber verwandeln,
bei welchem sich alle Begriffe von Geschmack und Kunstsinn verwirren.

Ich sagte, die neuen Berliner Theatergesetze waeren mit Unrecht
angefeindet worden. Sie lesen sich streng, waren aber den eingerissenen
alten und den zu verhuetenden neuen Missbraeuchen gegenueber eine
Notwendigkeit. Bei ihrer Abfassung haette konstitutionell verfahren werden
sollen, d.h. die Mitglieder der Koeniglichen Buehne haetten in die
Gesetzgebungs-Kommission eine Anzahl Repraesentanten muessen waehlen duerfen.
Aller Zeitungslaerm und Kulissenaerger waere durch dies konstitutionelle
Verfahren vermieden worden. Die Gesetze jedoch, die nun da sind, flossen
aus einem Bewusstsein, das offenbar nur das Gute wollte und denselben
Willen bei jedem treufleissigen Kuenstler voraussetzte. Dagegen sich
auflehnen und einen Laerm schlagen, als wenn dem redlichen Kuenstlerstreben
das Palladium der Freiheit entwendet waere, verraet geringe Ueberlegung. Die
Theatergesetze des Herrn von Kuestner sind nicht ohne Fehler, aber in den
Hauptgrundsaetzen nur zu billigen.

Auch Verbesserungen des Personals scheinen wenigstens im Schauspiel
beabsichtigt zu werden. Dem Fraeulein von Hagn soll die Last, das ganze
Repertoire auf ihrem schoenen griechischen Nacken zu tragen, endlich
erleichtert werden. Sie fuehlt sich gewiss sehr gluecklich, einen Teil ihrer
Rollen an andere abzugeben und, wenn sie verreist (was sie waehrend drei
der besten Theatermonate darf), ihre Partien in andern Haenden
zurueckzulassen als in denen ihrer Schwester Auguste. Fraeulein Viereck ist
vom Wiener Burgtheater, das einen wahren Blumenflor der besten weiblichen
Buehnenkraefte besitzt, nach Berlin uebergegangen, eine hohe, plastisch edle
Erscheinung, von etwas herbem Ton und noch nicht taktfest in
empfindungsvollen Modulationen des Vortrags, jedenfalls mehr die Rollen
repraesentierend, als sie schaffend; doch wird das Talent dafuer sich schon
mit den Rollen entwickeln. Was Fraeulein Viereck nicht besitzt, diesen
unmittelbaren poetischen Ausbruch einer "freud- und leidvoll" bewegten
weiblichen Natur, das wird Fraeulein Wilhelmi aus Hamburg bringen, ein
Talent, das an der Elbe hochgeruehmt wird und, wie man vernimmt,
gleichfalls von der grossmuetigen Entsagung des Fraeuleins von Hagn Vorteile
ziehen wird. So bildete sich ja in Berlin ein Verein von Liebreiz und
Talent, dessen Erwerbung Herrn von Kuestner alle Ehre macht. Clara Stich
fuer die Naivitaet, Charlotte von Hagn fuer die keck gestaltende, geniale
weibliche Charakterrolle, Fraeulein Viereck fuer die Salondamen, Fraeulein
Wilhelmi fuer die schwungvollen jugendlichen Heldinnen der Tragoedie, Frau
von Lavallade fuer duldende und zurueckgesetzte Gemueter, Madame Crelinger
fuer die Medeen und Dr. Klein'schen Zenobien, Madame Birch-Pf----

Halt! Wir kommen aus der Sphaere des Personals in die des Repertoires; denn
es scheint, als haette Herr von Kuestner die fruchtbare Buehnendichterin mehr
aus Ruecksicht auf ihre Feder, als auf ihre Darstellungsgaben engagiert.
Sie ist ihm als Schriftstellerin benoetigter, denn als Mimin. Er wuenschte
ihre Stuecke gleich aus erster Hand zu haben und benutzte eine durch den
Abgang der Madame Wolff entstandene, allerdings gewaltige Luecke, um diese
mit Madame Birch-Pfeiffer auszufuellen.

Ich habe die Verfasserin des "Hinko" in meinem Leben zweimal spielen
sehen. Vor dreizehn Jahren in Muenchen die Maria Stuart und vor zwei
Jahren in Frankfurt am Main Maria Theresia. Beide Male hinterliess sie mir
einen sozusagen grossartigen Eindruck. Es war etwas Volles, Gerundetes in
ihrer Leistung. Das klangvolle Organ sprach zwar etwas den bayrischen
Dialekt, was fuer Maria Stuart eine eigentuemliche Nuance war; aber auf
Maria Theresia passte ohne Zweifel die oberdeutsche Mundart; denn Maria
Theresia hat schwerlich je so gesprochen, wie ein Mitglied der
Koeniglichen Buehne in Berlin sprechen sollte. Madame Birch-Pfeiffer
stattete die Kaiserin mit vielem Gemuet und mancher derben Gestikulation
aus. Kenner wollten finden, dass sie uebertreibe, andere, dass sie monoton
waere. Genug, ueber ihre Verdienste als Kuenstlerin gestehe ich, kein
Urteil zu haben.

Auch gegen ihre Stuecke wage ich, selbst Dramatiker, nichts zu sagen. Sie
ist weit mehr als unsere deutsche Madame Ancelot. In Paris wuerde sie wie
der Koloss von Rhodos das ganze Repertoire vom Odeon jenseits der Seine
bis zu den Delassements comiques am Boulevard du Temple beherrschen. Sie
wuerde klassisch sein fuer das Theatre francais, romantisch fuer die Porte
St. Martin. Sie wuerde sich bald von ihrer eigenen Phantasie, bald von
deutschen und englischen Romanen (nicht von franzoesischen, denn dem
franzoesischen Romandichter muss der Dramatiker sein Sujet abkaufen!)
befruchten lassen. Die Buehnenkenntnis, die Kulissen-Phantasie, die
Lampen-Rhetorik dieser Schriftstellerin ist selbst ueber eine kuehle
Anerkennung erhaben. Ihr Talent lobt sich selbst.

Dennoch ist es ein Unglueck, dass Herr von Kuestner in seiner Bewunderung
von Madame Birch-Pfeiffer zu enthusiastisch ist. Er sollte sich darin
maessigen. Er sollte einsehen, dass ein Stueck mit folgendem Titel:

(Anna von Oesterreich.

Schauspiel in vier Abteilungen und sechs Akten, nach dem Roman:

Die drei Musketiere von Alex. Dumas, frei bearbeitet von Charl.
Birch-Pfeiffer.

Erste Abteilung. Ein Taschentuch.

Zweite Abteilung. Der Musketier.

Dritte Abteilung. Der Kardinal

Vierte Abteilung. Zwoelf Tage spaeter.)

mit oder ohne diese Titel-Aushaengeschilder nicht auf die Koenigliche Buehne
gehoert. Herr von Kuestner sollte sich hueten, seinen Gegnern mit solchen
Fehlgriffen die Waffen in die Hand zu geben.

Aber in der Tat! Diese drei Musketiere haben sich vom Alexanderplatz auf
den Gensdarmenmarkt verirrt und werden, statt ueber die Koenigsstaedter ueber
die Koenigliche Buehne schreiten. Die Rollen sind ausgeteilt. Hendrichs,
Doering, die Hagn, die Crelinger, die besten Truppen ruecken fuer Alexandre
Dumas und seine in die Uniform der Madame Birch-Pfeiffer gesteckten drei
Musketiere ins Feld. Herr von Kuestner glaubt die hohe Aufgabe, jaehrlich
sich mit 220 000 Talern zu "rechtfertigen", nur durch ein solches
Repertoire loesen zu koennen. Wenn auch Graf Bruehl sich im Grabe umdrehen
sollte, wenn auch Graf Redern, auf dem Trottoir Unter den Linden einen
Augenblick still stehend und den neuesten Theaterzettel an einer
Strassenecke lesend, laecheln, hoechst ironisch laecheln sollte, Herr von
Kuestner fuehrt doch die drei Musketiere der Madame Birch-Pfeiffer auf!

Frueher war das Verhaeltnis so: Wenn Madame Birch-Pfeiffer ein Stueck
gezeitigt hatte, so kam es an die General-Intendantur. Graf Redern sah,
ob diese Arbeit von der fruchtbaren Schriftstellerin selbst herruehrte
oder ob sie sich, wie Kuehne sagte, wieder einen Roman "eingeschlachtet"
hatte. Die Originalversuche, z.B. "Rubens in Madrid", "Die Guenstlinge"
usw. wurden mit Courtoisie angenommen und gegeben; die "Wuerste" aber
gingen hinueber in die Koenigsstadt. Dort wohnten die Hinkos, die
Pfefferroesels, die Scheibentonis und wie die edlen Gestalten alle heissen,
die Madame Birch-Pfeiffer nicht selbst geschaffen hat, sondern aus den
Romanen Storchs, Doerings, Spindlers, Bulwers usw. mit der daranhaengenden
Handlung entlehnte. Auch die drei Musketiere wuerde Graf Redern (nicht als
Kavalier, sondern als Kunstrichter!) in die Koenigsstadt geschickt haben.

Herr von Kuestner, der noch kein einziges Drama von Julius Mosen gegeben
hat, befolgt ein anderes System. Er wirbt die drei Musketiere bei sich
an, stattet sie mit Glanz aus und wuerde auch "Den ewigen Juden", wenn ihn
Mad. Birch-Pfeiffer "bearbeitet" haette, ohne Zweifel fuer sich behalten
haben. Ich meine nun, dieses System waere sehr verwerflich und der
allgemeinsten Entruestung wuerdig. Ich meine, die Vorgesetzten des Herrn
von Kuestner muessten ihm entschieden andeuten, dass es dem preussischen
Staate mit den 220 000 Talern oder, anders ausgedrueckt, mit dem
Ueberschusse von einigen tausend Talern nicht so dringend waere. Ich meine,
dass sogar Mad. Birch-Pfeiffer so bescheiden haette sein und sagen koennen:
"General-Intendant, Sie revoltieren die Presse! Geben Sie die Stuecke, die
schon zehn Jahr im Pulte der Regie liegen! Machen Sie mir keine Feinde!"
Allein Macht und Uebermut gehen Hand in Hand. Die Leute dort denken:
Solange wir im Rohre sitzen, schneiden wir uns unsere Pfeifen ...

Deshalb weise Herr von Kuestner seinen ueber die Massen protegierten
Guenstling in die Schranken, die ihm gebuehren! Vielleicht glaubt man
mir's, vielleicht nicht, dass ich mit schwerem Herzen an die Abfassung
dieser Zeilen gegangen bin. Ich achte jedes wahre Talent auf der Stufe
seines Wertes. Ich habe noch nie gegen Mad. Birch-Pfeiffer geschrieben;
ich goenne ihr alle nur erdenklichen Erfolge ihrer resoluten Feder; ich
will mich am wenigsten auf eine Analyse ihrer Original-Dramen einlassen,
ich will nicht spotten und selbst fuer die ironischen Stellen dieses
Protestes um Nachsicht bitten. Aber die herbste Missbilligung treffe Herrn
von Kuestner, der monatelang keine Neuigkeiten auffuehrt, in den Berliner
Zeitungen offiziell das Publikum von dieser oder jener maskierten
Vorbereitung unterhaelt und dann ploetzlich in aller Stille, zur
guenstigsten Theaterzeit, mit einer Birch-Pfeifferiade, die in die
Koenigsstadt gehoert, hervortritt! Werden die Berliner Zeitungen das in der
Ordnung finden? Werden sie alle vor "den drei Musketieren" ins Gewehr
treten? Ich fuer mein Teil, selbst wenn ich nie eine Zeile fuer die Buehne
geschrieben haette, wuerde es unverantwortlich finden, dass die Berliner
Hofbuehne diesen, aus schnoeder Gewinnsucht oft in nicht vierundzwanzig
Arbeitsstunden zusammengeschriebenen Fabrikenkram in ihr Repertoire
aufnehmen darf.


       *       *       *       *       *


IV. Aus dem literarischen Berlin




Der Sonntagsverein (1833)


Wer kennt nicht den Berliner Sonntagsverein, den Rival der
Mittwochsgesellschaft? Wenigstens ist es noch nicht vergessen, dass der
wirkliche Geheime Intendanzrat Saphir vor vier, fuenf Jahren in Berlin
jenen ersten Verein gruendete und ihn witzig nicht die sondern den
Sonntagsgesellschaft nannte, um jede Beziehung auf die Sontag in diesem
Namen zu unterdruecken und bei der Nachwelt der Vermutung zuvorzukommen,
als sei Willibald Alexis, der Enthusiast, jenes Vereins Stifter gewesen.
Saphir wusste diese Gesellschaft bald zu bevoelkern. Die Zahl seiner
Schueler und Verehrer war beinahe ebenso gross als die seiner Feinde.
Saphir zeigte, dass der Witz nichts gelernt zu haben brauchte, dass die
Phantasie alle Luecken ausfuelle und der Goetterfunke auf keine
Schulzeugnisse sehe. Das war das Signal zu einer Autorensaat, die aus den
seinen Gegnern ausgeschlagenen Zaehnen aufwuchs und sich mit Begeisterung
unter seine Fahne stellte.

Die Seidenwarenhaendler in der Breiten Strasse tobten, dass ihre
Ladendiener, statt die Waren richtig zu messen, Versfuesse massen, um
Scharaden, Logogriphe und Raetsel zu machen, die sie am folgenden Tage mit
klopfendem Herzen in Saphirs Blaettern abgedruckt sahen. Die Kopisten auf
dem Stadtgerichte sollten Ehescheidungsdekrete, Verfuehrungsgeschichten
und Schlaegereien ins Reine schreiben und uebten sich in der literarischen
Polemik, mit der sie dem Satir in der Behrenstrasse immer willkommen
waren. Die Studiosen, die bei Savigny die Pandekten hoerten, machten
humoristische Ausfluege und beschwerten das Felleisen der "Schnellpost"
und des "Couriers", dieser weltbekannten Institute ihres grossen
Generalpostmeisters. Gar nicht zu erwaehnen, dass fuer die Juden ein ewiges
Laubhuettenfest der Poesie angebrochen war, dass sie sich ihre satirischen
Adern oeffnen liessen und unter dem Schutze ihres grossen Messias alles
taten, wozu er selbst sie die Handgriffe lehrte. Damals bluehte die
Sonntagsgesellschaft und trug herrliche Fruechte, von denen sie zum Besten
der Ueberschwemmten vor Jahren einige Spenden bekannt machte. Spaeter kam
die Gesellschaft unter den Vorsitz meines liebenswuerdigen Freundes
Oettinger. Dann kam die Reihe an die Letzten, um die Ersten zu werden.
Diese sind auch noch heute der Stamm, sie haben sich von Saphir
emanzipiert und hoeren nicht gern, dass man sie an die Schule ihrer Talente
erinnert. Die beiden vorliegenden Baende ["Rosetten und Arabesken.
Novellen, poetische Gemaelde und satirische Skizzen der juengern
Serapionsbrueder. "] fuehren den Nebentitel "Spenden aus dem Archive des
Sonntagsvereins" und geben den Massstab fuer das, was dieser war, ist und
sein koennte.

Zwanzig Koepfe haben hier ihre Phantasien, ihre Ideen, ihre Einfaelle und
Ausfaelle mitgeteilt. Jede Kunstform hat ihren Repraesentanten gefunden,
und man ist zweifelhaft, nach welchem Gesichtspunkte man die grosse Zahl
sondern soll. Darf ich nach den Vornamen gehen? Dann kaemen z.B. Ludwig
Schneider und Ludwig Liber zusammen, die freilich auch zusammen gehoeren,
weil sie kuerzlich mit zwei grossen goldnen Verdienstmedaillen belohnt
worden sind, Ludwig Schneider (auch Both genannt), der das Glaubens-
bekenntnis eines Landwehrmanns geschrieben hat, und Lieber Ludwig, wollt'
ich sagen, Ludwig Liber, von dem "Herzensergiessungen ueber die richtige
Mitte" ausgegangen sind. Doch, wie gesagt, das ist alles zu weitlaeufig
und ich begnuege mich nur anzuzeigen, dass diese beiden Baendchen eine
Musterkarte von Trivialitaeten, geistlosen Gedankenspaenen, kurz von
literarischen Berolinismen sind, einzelne Sachen von Heinrich Smidt, W.
Fischer und selbst Schneider ausgenommen. Und selbst der Mittlere sagt
in einem Neujahrsliede zum Jahre 1832:

Es schwand ein Jahr, und welch ein Jahr vorueber! Vergebens sucht Ihr es
im Buch der Zeit!

Wie billig, fragt man den Verfasser, wo es denn geblieben sei? Solcher
Ungereimtheiten findet man zu Dutzenden. Die "satirischen Kleinigkeiten"
von Wilhelm John erregen allerdings Gelaechter, weil sie bewunderungs-
wuerdig fade sind. Man hoere: "Die Erfahrung der letzten Zeit hat gelehrt,
dass Enthusiasten haeufig Esel, aber Esel niemals Enthusiasten sind.
Hieraus koennte man schliessen, der Enthusiasmus sei eine solche Eselei,
dass sich nur Enthusiasten, aber keine Esel dazu verstehen koennen." Wie
dumm! Ferner: "Die groebsten Ausfaelle werden gewoehnlich am meisten gegen
diejenigen gerichtet, welche die feinsten Einfaelle haben." Ich haette
Lust, das erste Glied dieses Satzes wahr zu machen, wenn unser John Bull
es nur mit dem zweiten koennte. Ferner: "Der Witz des Poebels gleicht
mitunter dem rohen Metall, das nur der Politur bedarf, um zu glaenzen."
Herr John, Sie werden doch nicht auf sich selbst sticheln? "Die Sucht,
originell zu sein, hat das Originelle an sich, dass sie Narren bildet."
Ach! Es ist genug.

Die Metamorphose von Herrn Smidt ist eine geistvolle Phantasie, die dem
Verfasser Ehre macht. Doch kommt von den Novellen keine ueber dies
Mittelmass hinaus.




Cypressen fuer Charlotte Stieglitz (1835)


Heraus aus deinem Schneckenhause, du deutscher Gallert, Volk genannt!
Heraus aus deinen ohnmaechtigen Zweideutigkeiten, du lederhaeutiger Eunuch!
Was wollt Ihr mit Moral, mit dem Stolz auf Eure gesunde, rotbaeckige,
laechelnde Vernunft? Wie weit kommt Ihr mit Eurem Achselzucken, Eurer
Pruederie und Eurer sittlichen Traegheit, die sich gern auf die grossen
Fragen der Weltgeschichte streckt und sich damit bruestet, die kleinste
Pfeife der grossen Orgel zu sein? Eure Grundsaetze sind morsch geworden,
da Ihr sie in den Boden der Geschichte nicht mit brennenden Spitzen
eingepfaehlt habt. Zitternd muesst Ihr fuehlen, dass Ihr bei dem ewigen
Sichhingeben, gleichviel ob an die Ordnung der Dinge, wie sie ist, oder
wie sie veraendert werden soll, recht klein, zusammengeschrumpft,
unbedeutend und nichts als eine Zahl zu andern Tausenden geworden seid!
Ihr erschreckt, dass es noch Menschen gibt, welche den innern Prozess der
Seele durchmachen; die mit blutigem Schweisse daran arbeiten, in den
Geheimnissen des Geistes ein Gebaeude aufzubauen, und sich lieber unter
seinen Truemmern begraben, als dass sie die Welt so hinnaehmen, wie sie auf
der Strasse, in der Schule, in der Kirche, in der Konversation Euch
geboten wird! Seit dem Tode des jungen Jerusalem und dem Morde Sands ist
in Deutschland nichts Ergreifenderes geschehen, als der eigenhaendige Tod
der Gattin des Dichters Heinrich Stieglitz. Wer das Genie Goethes besaesse
und es schon aushalten koennte, dass man von Nachahmung sprechen wuerde,
koennte hier ein unsterbliches Seitenstueck zum "Werther" geben. Denn es
sind ganz moderne Kulturzustaende, welche sich hier durchkreuzen, und doch
ist der Grabeshuegel, der aus ihnen hervorragt, wieder so sehr Original,
dass die Phantasie des Dichters nicht lebendiger befruchtet werden kann.

Ein Geistlicher hat an dem winterlichen Grabe dieses Weibes ueber ihr
Beginnen den Fluch ausgesprochen. Es war seines Amtes. Aber wir sind
nicht alle ordiniert und auf das Symbol geschworen, und doch hoert man
rings von ungeheurer Verwirrung summen, von Nervenschwaeche, von falscher
Lektuere und alles schlaegt sich stolz an seine Brust, die etwas aushalten
kann, und kehrt pfiffig die Eingeweide seines Verstandes heraus, um zu
zeigen, wie gesund, ohne Verknotung, ohne allen Mangel sie sind: Und sie
zeigen lachend die Matrikel ihres Lebens, das sie in Gotha beim Geheimrat
Arnoldi versichert haben, und furchtsame, aber kuehne Philosophen
behaupten den alten elenden Satz, dass Selbstmord die unzulaenglichste
Feigheit verrate. Wenige nur ahnen es, dass hier eine ungeheure
Kulturtragoedie aufgefuehrt ist, und die Heldin des Stueckes bis auf den
letzten Moment fuer zurechnungsfaehig erklaert werden muss vor dem Tribunal
einer Meinung, die die Wehen unsrer Zeit versteht. Es gilt hier ueberhaupt
nicht das Urteil, sondern die Erklaerung.

Das erste Motiv des tragischen Aktes ist auch hier die Liebe; denn es war
ein Opfer, das das hehre Weib ihrem Manne brachte. Aber diese Liebe war
eine volle, gesaettigte; eine Liebe, die sich an grossen Tatsachen erwaermt,
und welche allein imstande ist, Maenner zu begluecken. Es war nicht eine
allgemeine, durch das Band der Gewohnheit zusammengehaltene Neigung, die
bei den meisten Frauen sich zuletzt auf die Tatsache der Kinder wirft,
und von diesen aus den Mann mit einem matten aber treuen Feuer umfaengt.
Es war noch weniger jene egoistische Liebe der Schoenheit, die nur um
ihrer selbst willen sich hingibt, wo sie Anbetung findet. Sondern das
hoechste Ideal der Liebe lag hier vor; eine objektive, fundierte,
angelegte Liebe; eine Liebe, die sich auf Tatsachen stuetzt, welche fuer
beide Teile des Bandes gemeinschaftlich waren, auf eine Weltansicht, auf
wechselseitige Zulaenglichkeit und auf das Lebensprinzip des Wachstums und
des Erkenntnisses. Diese Liebe war erfuellt, sie hatte Staffage. Beide
Teile standen sich gleich und Eins durfte fuer das Andre nicht verantwort-
lich sein. Ideen vermittelten hier Kuss und Umarmung. Sinnlicher Platonismus
wartete hier; und ich glaube, die jungen Maenner des Jahrhunderts werden
nicht eher gluecklich sein, bis nicht die Liebe ueberall wieder diesen
idealen Charakter angenommen hat, den sie sogar vor vierzig Jahren schon
hatte.

Charlotte hatte vor dem Todesstosse in Rahels Briefen gelesen. Rahel wuerde
ihren Gemahl niemals haben so ungluecklich machen koennen, denn sie wollte
keine Resultate, wie Charlotte; sie ergab sich nur dialektischen
Umtrieben, dem Genuss, die Dinge von einem ihr nicht angebornen Standpunkt
anzusehen: Rahel zog, wie Lessing, das Suchen der Wahrheit der Wahrheit
selbst vor. Charlotte kannte diese Resignation des Gedankens nicht: sie
war kein Zoegling der Frivolitaet, wie Rahel, zu deren Fuessen einst die
Mirabeaus und Catilinas des preussischen Staates und der Periode 1806
gesessen hatten. Rahel war Negation, Brillantfeuer, Skeptizismus und
immer Geist. Sie nahm keinen Gedanken auf, wie er ihr gegeben wurde;
sondern wuehlte sich in ihn hinein und zerbroeckelte ihn in eine Menge von
Gedankenspaenen, welche immer die Form des Geistreichen und ein Drittel
von der Physiognomie der Wahrheit hatten. Rahel unterhandelte mit dem
Gedanken: sie war kein Weib der Tat: wie kann sie Selbstmord lehren!
Charlotte war Position, dichterisch, glaeubig und immer Seele. Sie beugte
sich vor den Riesengedanken der Zeit und der Tatsache, und ihr Geist fing
erst da an, wo es galt, sie zu ordnen. Charlotte war System: und weil sie
nicht alles kombinieren konnte, was die Zeit brachte (koennen wir's?), so
blieb ihr nichts uebrig, als ihr grosser, starker, goettlicher Wille.
Charlotte konnte sterben auch ohne die Rahel. Wie aber und wodurch alles
bis auf diese Hoehe kam, wird nur durch Heinrich Stieglitz einzusehen
sein; denn wir sagten schon, dass hier nichts ohne die Liebe war.

Heinrich Stieglitz, wie man ihn sieht im braunen Rock und Quaekerhut,
luftdurchschneidend, in stolzer und berechneter Haltung, ging aus den
Bildungselementen hervor, welche vorzugsweise die Berliner seit zehn
Jahren charakterisiert haben. Er liebte Hegel, Goethe, die Griechen, die
Philologie, die preussische Geschichte und die deutsche Freiheit,
russisches Naturleben, polnische Begeisterung, alles ineinander und
nebenbei musste er auf der Koenigl. Bibliothek in Berlin mit Bedienten und
Dienstmaedchen verkehren, welche fuer ihre Herrschaft die entlehnten Buecher
holten, ueber welche er das Register fuehrte. Himmel, Erde und Hoelle lagen
hier ziemlich nahe. Wo Einheit? Wo Ziel und Ende? Stieglitz dichtete; man
wollte nicht zugeben, dass er originell war. Es ist alles so oed und trist
in Deutschland: die Dinge sind alle Geschmackssache geworden, und da, wo
in der Restauration Geist, Leben oder meinetwegen auch nur das Aufsehen
war und die Tonangabe, fand Stieglitz schneidenden Widerspruch. So geriet
er, der mit Hafizen schwelgte und auf den asiatischen Gebirgsruecken
sattelte, in Gefechte mit Saphir! Seine Ideale wurden profaniert. Menzel
wies ihn kalt zurueck, weil er keine Originalitaet antraf. Die
Julirevolution brach an und ergriff auch seine Muse, wie seine Meinung.
Da erschienen die "Lieder eines Deutschen", vom Tiersparti vergoettert,
und doch vom Repraesentanten des Tiersparti, von Menzel, wiederum nicht
anerkannt. Wo ein Ausweg? Stieglitz liebte die Goethesche Poesie und die
Freiheit und konnte keine Bruecke finden. Er fuehlte sich unheimlich in dem
Systeme des Staates, der ihn besoldete; denn die Fragen der Welt fanden
Eingang in sein empfaengliches Herz. Aber auch hier wieder soll alles
Meinung, Wahrheit und die Prosa der Partei sein. Ist die Freiheit ohne
Schoenheit? Kann man nicht mehr Dichter sein und Stolz der Nation, wie es
frueher war, wo der alte Grenadier sang? Ach, der unglueckliche Dichter
ging noch weiter in seiner Verzweiflung. Er sass im Schimmer der
naechtlichen Lampe, Ruhe auf der Strasse, das weisse Papier, das
Leichenhemde der Unsterblichkeit, durstig nach Worten der Unsterblichkeit
vor ihm. Im Nebenzimmer schlug Charlotte zuweilen auf das Klavier an. Der
Dichter weinte. Denn war ihm eine andere Leiter zum Himmel im Augenblicke
sichtbar, als die, welche sich aus einem solchen zitternden Tone
aufbaute? Wo Wahrheit? Wo Licht, Leben, Freiheit? Wo alles, was man haben
muss, um ein grosser Dichter zu sein? Wo der Hass eines Dante, rechter,
tiefer, ghibellinischer Hass; nicht jener Hass, den wir unglueckliche Kinder
unsrer Zeit mit einer seltsamen Eiskruste unsrer von Natur weichen Herzen
affektieren? Wo die Blindheit eines Milton? Wo der Bette1stab Homers? Wo
die Situation eines Byron, geschaffen aus eignem Frevel und der
rikoschettierenden Rache des Himmels? Wo Wahrheit und ein grosses,
stachelndes, unglueckliches Leben? Ach, nichts als Luege, als heitrer
Sonnenschein, reichliches Auskommen und der Bekanntschaft laestiger
Besuch. Der arme Heinrich liegt krank an der Miselsucht, wo ist des
Meyers Tochter, die sich fuer ihn opfre? Ich meine es treu mit diesen
Worten und fuehle, welche tragische Wahrheit in ihm liegt. Sie drueckt den
Schmerz unsrer poetischen Jugend aus, von der die altkluge oeffentliche
Meinung verlangt, dass sie sich zusammenscharen solle und sich
aneinanderreihe, um das zu besingen, was die Weltgeschichte dichtet. So
fuehl' ich es wenigstens: vielleicht dachte Stieglitz anders. Vielleicht
dachte er an seine Verse und abstrahierte vom Momente; vielleicht dachte
er an die Stellung in der Literaturgeschichte und an die Sonderbarkeit,
dass gerade Homer, Virgil, Ariost, Petrarca zu ihrer Zeit so viel gemacht
haben; vielleicht dachte er nur an die Persoenlichkeit, wie sie zu allen
Zeiten unabhaengig von den Zeiten, dichterisch sich ausgesprochen hat: er
fand, dass man eine grossartige Staffage seines Schicksals haben muesse, um
originell zu sein in der Lyrik, erhaben im Drama, interessant im
Infanteristenausdruck, in der oratio pedestris; und lechzte nach einem
Ereignis, das sein Inneres revolutionieren sollte.

Toericht, wenn man Stieglitz den Vorwurf macht, dass er seine Gattin in
diesen Strudel hineinriss. Sie musste wissen, was seine Stirn in Runzeln
zog, und musste teilen, was an seinem Wesen nagte. Sie stand auf der Hoehe,
sein Unglueck zu begreifen. Sie fuehlte wohl, dass dem Manne eine Staffage
seiner Begeisterung fehlte. Das gewoehnliche Geschwaetz der Tanten, welche
ein Interdikt legen auf Annaeherungen zwischen ihren Nichten und
sogenannten Schoengeistern, Kraftgenies und Demagogen, die Philisterei
grosser und patriotischer Staedte, welche ihren Toechtern nur angestellte
und offizielle Juenglinge zu lieben erlaubt und jedem Manne, der Buecher
macht, den Rat gibt, unbeweibt zu bleiben, der lieben Kinder, des Brotes
und auch der Poesie selbst wegen, welche ja besser gedeihe ohne
buergerliche Ruecksichten und Witwenkassen; diese ganze Misere kam nicht in
Charlottens Seele. Es ist ganz falsch, ihr lieben geschwaetzigen
Robberspielerinnen und Ehefrauen aus der gemaessigten Zone, wenn ihr
glaubt, die naerrische Doktorin Stieglitz, das beklagenswerte Wesen, habe
sich deshalb beendigt, um ihrem Manne Ruhe zu schaffen, aus dem Bereich
der vierwoechentlichen Waesche zu bringen und ihm die Sorgen zu ersparen:
Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Daran dachte sie nicht, die
stolze Seele. Nicht Ruhe, sondern Verzweiflung goennte sie ihrem Manne.
Sie gab sich als Opfer hin, nicht um ihn zu heilen, sondern in recht
tiefe Krankheit zu werfen. Sie wollte seiner Melancholie einen grellen,
blutroten, und ach! nur zu gewissen Grund geben. Sie wollte ihn von der
Luege befreien und gab sich hin dem Tode, jung, liebreizend, mitten im
Winter gleichgueltig gegen die Hoffnung des Fruehlings, resigniert auf den
gewiss noch langen Faden der Parze, bereit, das fuerchterliche Geheimnis
des Todes zu erproben, lange, lange vor dem Muessen, resigniert auf jede
Freude und Anmut, welche in der Zukunft noch fuer sie liegen konnte.

Die Tat ist geschehen. Das Grab ist still. Schnee bedeckt den Huegel. Die
Neugier ist befriedigt. Was soll man schliessen? Ihr nichts: wir alle
nichts. Was soll Heinrich Stieglitz? Armer Ueberlebender! Du bist ein
ungluecklicher Rest. Aber dein Unglueck, das nun da ist, ist ohne Energie.
Dein Unglueck ueberragt dich! Du bist ihm nicht gewachsen. Was wirst du
tun? Die ungeheure Tat besingen? Gewiss, ein Totenopfer steht dir an.
Dante haette dieser Anregung nicht bedurft; Goethe gar nicht. Wil1st du
die Tatsache ueberwinden, sie aufnehmen in dein Blut und unterbringen in
den Zusammenhang deiner Gedanken, so musst du so gross sein, wie dennoch
Dante und Goethe. Wirst du oeffentlich von dem Opfer zehren, das im
Geheimen dir die Liebe gebracht hat? Ich beschwoere dich, bring' an das
Risiko deiner Verse nicht den gewaltigen Schmerz heran, den du
empfindest! In dem Ganzen liegt zu viel Demuetigung, dass nicht das Ende
eine Komoedie sein koennte. Wahrlich, Poesie ist nun hier nichts mehr; das
Motiv und die Staffage ist groesser als das, was sich darauf bauen laesst. Es
ist nicht mehr die Welt, in der hier etwas Seltnes vorgegangen ist,
sondern ein enger Raum von vier Waenden, eine Buehne von drei Waenden; denn
es ist eine Tragoedie. Aber noch ist die Tragoedie nicht vol1staendig. Ein
Gedicht rundet sie nicht ab.




Diese Kritik gehoert Bettinen (1843)

(Nil divini a me alienum puto.)


Wie man nach einem Mittagsmahle, wo man beizende Speisen zu sich genommen
hat, die uns austrocknen und einen brennenden, kaum zu ertragenden Durst
erzeugen, einen Trunk des reinsten, erquickendsten Quellwassers die
verschmachtende Kehle hinunterschuettet und mit Wollust die benetzte Lunge
zum Atmen ausdehnt, so erquickt, so erfrischt das neue Buch Bettinens. Im
Kristallglase ihrer stilistischen Schoenheiten, mit all den wunderlichen,
eingeschliffenen Blumen ihrer gewohnten Darstellungsweise kredenzt die
anmutige Zauberin uns diesmal nicht etwa berauschenden Schaumreiz, der
uns die Welt im phantastischen Rosenlichte zeigen soll, nicht suedliches
Rebenblut, durchduftet von den Blueten des Orients oder gewuerzt von
zerstossenen Perlen der Maerchenwelt, sondern diesmal nur reine, frische
Quellflut, reines kristallhelles Nass vom Borne der Natur, aus der
Zisterne der gesunden Vernunft. O welche Labung, dies herrliche,
gedankenklare, gesinnungsfrische Buch! Nach so viel tausend gewuerzten
Speisen, die uns die Philosophie dieser Tage aufgetischt hat, nach dieser
taeglichen salzigen Heringskost unserer modernen Literatur, nach diesem
ewigen Sauerkohl unserer philisterhaften Denk-, Schreib-, Lese- und
Lebensmethode ein solches Buch! Ein solcher Trunk aus den Bergen, ein
volles Glas, wo die Felsen-Kuehle mit tausend Tropfen die innere Wand
beschlaegt! All ihr modernen Rheinweinpoeten und knallenden
Champagnersaenger, das konntet ihr nicht geben, was Bettina gibt, Labung
und Kuehlung, Erquickung und Staerkung, Trost fuer das Vergangene und Mut
fuer das Werdende!

Das neue Koenigsbuch dieser merkwuerdigen Frau ist kein Buch in dem Sinne,
dass es wie herbstliches Geblaetter eine Weile raschele und unterm
Winterschnee vergessen sein wird, sondern es ist ein Ereignis, eine Tat,
die weit ueber den Begriff eines Buches hinausfliegt. "Dies Buch gehoert
dem Koenig", es gehoert der Welt. Es gehoert der Geschichte an, wie Dantes
"Komoedie", Macchiavellis "Fuerst", wie Kants "Kritik der reinen Vernunft".
Es sagt Dinge, die noch niemand gesagt hat, die aber, weil sie von
Millionen gefuehlt werden, gesagt werden mussten. Man wird diese Dinge
bestreiten, man wird des Frauenmundes, der sie ausspricht, spotten und
man bestreitet und spottet schon lustig in den Allgemeinen und gemeinen
Zeitungen unserer Tage. Aber bei Erscheinungen dieser Art heisst es, das
starke Ende kommt nach. Mit des kuehnen Strauss' "Leben Jesu" ging es
ebenso. Vor dem wahrhaft Bedeutenden erschrickt man erst, ehe man vor ihm
niederfaellt.

Wer noch nicht nach den beiden kleinen Baenden gegriffen hat, wer noch
schwankt, ob man ein Buch interessant finden soll, das man nicht wie
einen Roman in einem Zuge, sondern in den "bekannten sieben Zuegen", wie
die Studenten sagen, trinken und allmaehlich in sich aufnehmen muss, dem
diene folgendes als Erlaeuterung: Das merkwuerdige Buch traegt seinen
persischen Titel wirklich mit vollem Recht. Es ist keine Affektation in
diesem Titel. Dies Buch gehoert wirklich dem Koenig und musste so heissen,
durfte nicht anders. Es ist ein Brief, ein offener Brief, an den Koenig
geschrieben und geradezu an Friedrich Wilhelm IV. Es ist eine Adresse der
Zeit, von einem Weibe, einer mutigen Prophetin verfasst, und deshalb von
Tausenden von Maennerunterschriften bedeckt, weil Bettina hier nur das
Organ einer allgemeinen Ansicht, die kuehne Vorrednerin ist, die Jeanne d'
Arc, die nicht mit ihrem Arme, sondern mit ihrer Begeisterung, mit ihrem
Glauben das Vaterland retten will. Traurig genug, dass nur ein Weib das
sagen durfte, was jeden Mann wuerde hinter Schloss und Riegel gebracht
haben. In diesem wunderbaren Zusammentreffen von Umstaenden, in diesem
Zufall, dass eine Frau, der man die "Wunderlichkeit" ihres Genies und
ihrer gesellschaftlichen Stellung wegen nachsieht, aufsteht und eine
Kritik unserer heutigen Politik, eine Kritik der Religion und der
Gesellschaft veroeffentlicht, wie sie vor ihr Tausende gedacht, aber nicht
einer so resolut, so heroisch, so reformatorisch-grossartig ausgesprochen
hat, darin liegt etwas, was goettliche Vorsehung ist. Dem bedraengten
Kampfe der Zeit ist ein Engel mit feurigem Schwerte zum Entsatz gekommen.
Windet Euch, baut Buecher auf Buecher auf, sprecht Anathema ueber Anathema,
die Macht einer Inspiration, die Macht einer Offenbarung, ausgesprochen
in einem Weibe, das keine Professur, keine Ehre und irdische Anerkennung
haben will, diese Glut einer Ueberzeugung, die sich wie ein feuriger Strom
durch die Lande waelzen wird, ist nicht zu daempfen, nicht auszuloeschen.
Den Handschuh fuer die Freiheit wirft hier die Poesie hin; die Poesie ist
immer ein Ritter, gegen den alle Streiche in die Luft fahren.

Bettina gehoert zu denen, die ohne Falsch wie die Tauben, aber auch klug
wie Schlangen sind. Sie redet zunaechst nicht zum Koenig von Preussen. Sie
malt zwar seine Politik, die Politik seiner Ratgeber, sie malt einen
Minister nach dem Leben, aber, ihrer Poesie und dem "Anstand" gemaess,
kleidet sie ihre Polemik in das Gewand der Allegorie. Sie spricht
scheinbar von anno 7, scheinbar von Frankfurt am Main, scheinbar von
Napoleon und laesst die Frau Rat, Goethes Mutter, statt ihrer reden.
Sentimentale und Tartueffe-Gemueter, die immer wollen, dass man die Sachen
von den Personen scheidet und deren steter Jammer die "Indiskretionen"
sind, werden es schreckhaft finden, wie man der in geweihter christlicher
Erde auf dem Frankfurter Friedhof schlummernden Frau Rat die
Verantwortung so himme1stuermender Gedanken, wie Bettina ihr in den Mund
legt, andichten kann. Wer aber zu Schleiermachers Fuessen gesessen, weiss,
welche Rolle Sokrates in Platons Dialogen spielt. Xenophon, der auch vom
Sokrates berichtet, mag den anregenden Lehrer nur die Dinge reden lassen,
die er wirklich gesprochen hat, Plato aber machte aus Sokrates einen
Begriff, eine poetische Individualitaet, wie sie der Dramatiker schafft.
Sokrates spricht beim Plato, was Plato will. Und Sokrates wird dafuer im
Jenseits nicht mit Plato zuernen. Der Vater ist verantwortlich fuer den
Sohn, der Staat fuer den Buerger (Bettina fuehrt diese Pflicht mit
besonderer Vorliebe aus), der Lehrer fuer den Schueler. Von grossen Menschen
bleiben die Genien nachwirkend und leben fort in dem, was aus ihrem Geist
geboren wird. Und so ist auch jenes Daemonion, jene hoehere Weihe und
ploetzliche Offenbarung, was der Frau Rat innewohnte, wie dem Sokrates,
nicht mit ihr verweht und verflogen, sondern hat mit geisterhaften
Fittichen auch ihren Sohn Wolfgang umrauscht und umrauscht noch jetzt
Bettinen, die es wagen darf, den kuehnen Heldengeist jener Frau mitten
unter den Truggespenstern des Tages zu zitieren und sie von den Grimms,
von Ranke, von Humboldt reden zu lassen, als wenn sie vom Pfarrer Stein
und dem Buergermeister von Holzhausen redete.

Der erste Band des Koenigsbuches ist der Religion, der zweite dem Staate
gewidmet. Die Beweisfuehrung in beiden ist die des urspruenglichsten
Radikalismus. Ein Geist, gefesselt seit Jahrhunderten an Vorurteil, Lug
und Trug, ein Genius, niedergehalten von tausend Ruecksichten der
Selbsttaeuschung und Denkohnmacht, scheint sich hier zu erheben, wie
Pegasus aus dem Joche auffliegt mit seinen gefluegelten Hufen, der Bahn
der Sonnenrosse zu. Wie die rosenfingrige Eos streut Bettina Morgenroete
aus. Sie hat die Tafeln eines neuen Gesetzes in ihren kuehnen Haenden, noch
sind sie leer, aber nicht ein Wort der Luegen, die darauf standen und die
sie mit dem Hauche ihres Mundes von ihnen tilgte, wird wieder auf ihnen
stehen duerfen. Sie gibt Negation, aber in der Negation die vol1ste
Positivitaet des freien Menschengeistes. Diese Freiheit ist keine
indische. Sie ist kein Behagen, keine traeumerische Wollust in sich
selbst, sondern ringende, kaempfende Freiheit, griechische Freiheit, wie
sie sich in der Palaestra, in der Akademie, auf den olympischen Spielen
erprobte. Auch diese Freiheit baut, aber nicht lichtscheue Kapellen im
Waldesdunkel, sondern freischwebende Warten und Tempel auf den luftigen
Bergeshoehen. Die blinkende Art bahnt den Weg durch Gestruepp und Genist
nicht ins blinde, wilde Ungefaehr hinein, sondern nach einem erhabenen,
edlen Plane, nach einem Grundrisse, der das All umfasst, Gotteswuerde und
Menschenwohl. Sie ist konservativ, diese Polemik im hoechsten, im
majestaetischen Stil; denn was verdiente mehr konserviert zu werden als
die Natur, die Vernunft und der freie Geist!

Die uebliche, salarierte, verdammende und seligsprechende Theologie
unserer Zeit wird ueber den ersten Band ihr schwarzes Kleid zerreissen und
siebenmal Wehe! rufen. Dieser erste Band steht vom christlichen
Standpunkte auf dem Fundament einer absoluten Glaubensunfaehigkeit.
Bettina weist hier jede Vermittelung zwischen der Vernunft und dem Dogma
ab. Kein mystisches Blinzeln mehr mit den geheimnisvollen Moeglichkeiten
der Nachtseite des Lebens, keine Deutung mehr, keine Allegorie, sondern
die einfache Frage: Kann Wein Wasser, kann Wasser Wein werden? Man sage
nicht, dass sich Bettina durch diese absolute Negation des Christentums
ganz aus den Voraussetzungen der modernen Welt hinauseskamotiert. Ein
Blick auf unsere Zeit und ihre wissenschaftlichen Kaempfe lehrt, dass fuer
die Freiheit schon unendlich viel gewonnen waere, koennten wir nur auf der
Haelfte des Weges, den Bettina schon zuruecklegte, Huetten und Zelte bauen,
geschweige Kirchen im Sinne dieser Haelfte. Der Erfolg dieses Buches, wie
weit er der freisinnigen Theologie unserer Tage zu Hilfe kommen wird,
laesst sich noch nicht ermessen. Erst muss die wilde Jagd der Gegner kommen.
Warten wir die Gespenster der Wolfsschlucht ab!

Eingreifender aber noch und unmittelbarer wirkend ist der zweite Band.
Man hat diese Partie des Buches kommunistisch genannt. Man hoere, was er
enthaelt, und erstaune ueber dies sonderbare Neuwort: Kommunismus. Ist die
heisseste, gluehendste Menschenliebe Kommunismus, dann steht zu erwarten,
dass der Kommunismus viele Anhaenger finden wird.

Dieser zweite Band ist den Verbrechern und den Armen gewidmet. Man hat
schon drucken lassen, Bettina wolle die Verbrecher zu Maertyrern stempeln
und zoege die Diebe den ehrlichen Leuten vor. Das letzte ist kindisch, das
erste ist wahr. Man schreibt so viel Baende ueber die Gefaengnisse, ueber die
Verbrecher, ueber die Straftheorien, man stiftet auch Besserungsanstalten,
und doch bleibt es unwiderleglich, dass die wahre Politik, die Politik im
Lichte unserer Zeit, die sein sollte, den Verbrechen zuvorzukommen. Moegen
wir nun an die urspruenglich gute oder urspruenglich boese Menschennatur
glauben, so haben wir doch wenigstens von unserer Erziehung und Bildung
einen so hohen Begriff, dass wir von ihrer Anwendung auf die Menschennatur
Wunder voraussetzen. Warum verrichten wir diese Wunder so selten? Warum
misslingen sie so oft? Unsere gewoehnlichen Quacksalbereien muessen doch
wohl nicht ausreichen, um die immer garstiger werdenden Schaeden der
Gesellschaft zu heilen. Die alte Leier von den Volksschulen usw. ist ganz
verstimmt, sie lockt keinen Hund mehr vom Ofen, geschweige dass sie
bezauberte und Menschen zu Menschen machte. Der Cholera gegenueber war es
mit aller Medizin aus. Da schuf man neue Spitaeler, neue Quarantaenen, neue
Gesundheitsdistrikte und behielt vom Alten nichts mehr, als hoechstens die
sonst so verachteten Hausmittel. Nun, die moralische Cholera ist da:
jeder Winter z.B. in Berlin bringt die sittliche Brechruhr, nicht etwa
sporadisch, sondern so allgemein, dass die Gefaengnisse keinen Platz haben.
Guter Gott, man vermehrt die Zahl der Nachtwaechter und Gensdarmen, die
Buerger treten zusammen und bilden unter sich eine Sicherheitsgarde. Einer
sperrt sich ab gegen den andern und der Stoerer dieses atomistischen
Staates wird unschaedlich gemacht. Wenn eine solche Politik von der Not
des naechsten Augenblicks geboten wird, so muss man sie gelten lassen;
erhebt man aber ihren praktischen Wert zu einer theoretischen, dauernden
Bedeutung, so fragt man billig, ist die christliche Welt darum
achtzehnhundert Jahre alt geworden? Gibt es keinen Ausweg, die Verbrechen
schon im Keime zu ersticken? Ist der Staat immer und ewig nur ein
Konglomerat von Egoismus, in dem sich nur der lauter, rein und gluecklich
erhaelt, den gleich bei der Wiege die holde Gunst des Zufalls
angelaechelt hat?

Neulich hat ein Geistlicher an einem vielbesprochenen Grabe ein
herrliches Wort gesagt. Die Leiche des im Duell gefallenen Herrn von
Goeler in Karlsruhe wurde bestattet und der Geistliche, der keinen Beruf
hatte, dieser Leiche so zu schmeicheln, wie es die Zeitungen getan
hatten, aeusserte in seiner wuerdigen Rede, als er vom Duell sprach: Er
muesste fuer das Christentum erroeten, wenn er bedachte, dass der milde Geist
der Christuslehre noch so wenig in die Menschheit eingedrungen waere, um
nicht Vorkommnisse, wie jenen Streit, fuer immer unmoeglich zu machen. Er
sagte: Erroeten! Der Geistliche, ein frommer Diener des Wortes, erroetete
fuer die geringe Wirkung seiner Lehre. Erroetet wohl ein Beamter fuer den
Staat, der ihn besoldet, ein Minister fuer die Lappalien, die er in seinem
Portefeuille einschliesst, erroeten unsere Richter fuer die Verbrecher?
Nein. Hoechstens der arme Knecht zittert, der die Delinquenten abtun muss.
Was nennen sie denn noch im 19. Jahrhundert Politik? Was konservieren
denn unsere grossen Staatsmaenner nur als sich? Wie ist es moeglich, dass
durch diese Politik der Buerokratie, der Edikte, der Verbote, der
Allianzen, Paraden, Gleichgewichtsinteressen usw. ein Lichtstrahl jener
wahrhaft konservativen Politik dringen kann, die vor allen Dingen den
Menschen dem Menschen bewahrt? Bettina erhebt sich, wenn sie auf dieses
Gebiet kommt, zur Seherin, zur Prophetin. Sie richtet an den Koenig, dem
sie ihr Buch gewidmet hat, so hinreissende, so feurige Apostrophen, dass es
ruehrend ist, wenn man sich sagen muesste, der Brief ist unsterblich, aber
er wird seine irdische Adresse verfehlen.

Wer im zweiten Band jede Behauptung der Frau Rat woertlich verstehen
wollte, bewiese nur, dass er zu den Langweiligen gehoert. Kein Langweiliger
hat Sinn fuer den Humor. Humoristisch ist aber ein grosser Teil der
sittlichen Revolutionen zu verstehen, die die kuehne Opponentin mit den
Verbrechern zu stiften vorschlaegt. Es ist ihr wahrhaftig nicht darum zu
tun, einen Raeuberhauptmann zum Feldherrn, einen Schinderhannes zum
Kriegsminister zu machen, sondern sie beklagt in greller, ihr
eigentuemlicher Ausdrucksweise, dass das Kapital von Mut, Schlauheit und
Standhaftigkeit, was von den Verbrechern konsumiert wird, nicht auf
edlere und dem Gesamtwohl nuetzliche Zwecke verwandt wird. Die Dialektik
dieser Beweisfuehrung ist teils Ueberzeugung, teils Neckerei. Es ist
durchaus ein platonisch-sokratischer Geist, der die kunstvollen Gespraeche
belebt, mit dem Scharfsinn und dem hohen Fluge der Divination zugleich
gepaart, jene sokratische Ironie, die scherzend die schon gefangenen
Voegel der Gegenpartei wieder flattern laesst, um sie nach kurzer Freiheit
wieder aufs neue einzufangen. Fast im schaeumenden Uebermass dieser Ironie
sind die "Gespraeche mit einer franzoesischen Atzel" geschrieben. Hier ist
selbst die Frau Rat die ueberfluegelte. Der schwarze Vogel auf dem Ofen mit
seinen klugen Augen, seiner kecken Federhaube auf dem Kopfe, scheint ein
verzauberter Hoellenbote zu sein. Der kleine Spitzbube wettert und
schimpft wie ein Kapuziner, der nicht dem Himmel, sondern dem Teufel
dient. Er moechte, dass die ganze Welt des Teufels waere und schwaetzt die
Dinge, die oben stehen, kopfueber nach unten und umgekehrt. Es wird nicht
an Leuten fehlen, die die E1ster beim Wort nehmen und ihre wilden
Plaudereien als bare Blasphemie an die geistlich-weltliche Hermandad
denunzieren werden. Bettina waere mit der phantastischen Lyrik ihrer Seele
humoristisch genug, fuer die Atzel aufzutreten und sie zu verteidigen, wie
einst auf einem Konzil sogar die Heuschrecken ihren Anwalt fanden.
Verschluckte einst eine Ratte eine Hostie und verrichtete Wunder, warum
soll der Teufel nicht in eine Atzel fahren? Die Polemik, die naechstens
die evangelische Kirchenzeitung gegen diese Atzel eroeffnen wird, wird
sehr komisch sein.

Das ausgezeichnete Werk behandelt aber zu ernste Fragen, als dass es
komisch schliessen duerfte. Es schliesst mit dem Septimenakkord des tiefsten
Schmerzes, es schliesst erschuetternd, herzzerreissend, tragisch. Wessen
Auge ueber dieser Schilderung des Elends im Berliner Voigtlande verweilen
kann, ohne in Traenen zu schwimmen, der muss ein Herz von Marme1stein
haben. Bettina teilt die Aufzeichnungen eines edlen Menschen mit, der in
dem sogenannten Berliner Voigtlande die von der Armut bewohnten Haeuser
durchwanderte, an die Tueren pochte, eintrat und sich nach den bittern
Lebensumstaenden, die hier zusammengepfercht sind, gruendlich erkundigte.
Die Namen sind genannt, die Tueren bezeichnet, hier hoert jede Fiktion auf.
Tausende von Menschen leben hier in Hunger und Kummer, schlafen auf
Stroh, stuendlich gewaertig, ausgepfaendet und auf die Strasse geworfen zu
werden mit Greisen und Saeuglingen, im ewigen Kampf, entweder zu hungern
oder zu betteln oder aus Verzweiflung zu stehlen, gehetzt von der Polizei
und verlassen von jener Behoerde, die ihr naechster Schutz und Schirm sein
sollte, der staedtischen Armendirektion. Fuer die Mitteilung dieses
Gemaeldes verdient Bettina den Dank jedes fuehlenden Herzens. Jede Traene
dieses Bildes wiegt die kostbarsten Brillanten einer stilistischen
Phantasie auf; dieser echte, lebenswahre Murillo steht hoeher als jede
idealische Transfiguration. Es kriecht Ungeziefer durch diese Farben,
aber die Farben sind echt und der Fuerst, dem sie ihr Buch widmete, hat in
dem Augenblick, als er diese Schilderung las, sicher einen Hofball
abbestellt, sicher die Zuruestungen eines glaenzenden, nur Staub
aufwuehlenden Manoevers auf die Haelfte des angesetzten Etats reduziert.
Denn nicht die Armut allein durchschneidet hier unser Herz, nein, auch
die Schilderung der Tugenden, die noch in der Verzweiflung dieser
Menschen nicht erstorben sind, die Schilderung einer hochherzigen
Anhaenglichkeit an das Vaterland und den Fuersten, die sich selbst in
diesen Lumpen noch erhalten hat. Eine arme Bettlerin ueberbrachte der
Ordenskommission (fuenf Orden), die ihr gestorbener Mann im
Freiheitskriege erworben. Die Ordenskommission gab ihr ein fuer alle Mal
fuenf Taler (kaum den aeussern Wert der Dekorationen) und nun hungert sie.
Wenn auch die hohen freisinnigen Philosopheme der kuehnen Frau, die dieses
Werk geschrieben, von den Menschen, die sie in dem (Pfarrer) und dem
(Buergermeister) treffend charakterisiert hat, verworfen werden, von
diesem Anhang kann man nicht glauben, dass er spurlos voruebergehen wird.
Nicht nur, dass die Berliner Armendirektion, eines der unpopulaersten
Institute der Residenz, einer gruendlichen Reorganisation unterworfen
werden muss, auch die hoehere, den ganzen Staat umfassende, ja ich nenne
sie die (kommunistische) Frage: was soll geschehen, um den Menschen dem
Menschen zu retten, das Band der Bruderliebe wieder anzuknuepfen und einer
unheilschwangern, furchtbar drohenden Zukunft vorzubeugen? Diese Frage
wird um Antwort draengen und die Antwort wird nicht in Phrasen, nicht in
Almosen, sondern in durchgreifenden Schoepfungen bestehen muessen. Und der
edlen Frau, die diese Frage dicht an den Stufen des Throns aufwirft, auf
dem Parkett der eximierten Gesellschaft, unter Luxus, sybaritischer
Indolenz und transzendentaler, nichtsnutziger Nasen- und Bonzenweisheit,
dieser edlen Frau steht der bescheidene Feldblumenkranz eines solchen
Verdienstes prangender, als weiland ihre schoensten Blumenkronen aus der
Periode ihrer romantischen Naturmystik.

Mit beklommener Erwartung sehen alle die, welche von dem Buche ergriffen
wurden, nun auf den, dem es gewidmet ist. Numa Pompilius hatte seine
Egeria, eine geheimnisvolle Sybille, die ihm die Weisheit lehrte, mit der
er Rom aus einem Raeuberstaate zu einem geordneten Gemeinwesen erhob. Der
Koenig von Preussen wird Bettinen nicht zu seinem ersten Minister machen,
aber er hat ihr Buch in der Handschrift durchblaettert, er hat die Widmung
gestattet und es mit seinen tausend zensurwidrigen Freiheiten vorweg
gegen die Verfolgung der Polizei in Schutz genommen. So darf Deutschland
und Preussen insbesondere hoffen, dass von der maechtigen Beredsamkeit einer
Feuerseele, die hier im Namen der Zeit wie eine Prophetin am Wege ihn
angesprochen, wenn nicht ein begeisternder Funke, der zur Tat zuendet,
doch eine warme Erregung, die Schonung und Duldung uebt, in ihm
zurueckgeblieben ist.




Ein preussischer Roman (1849)


Die kluge und soviel man wusste ziemlich demokratisch gesinnte Fanny
Lewald hat einen Roman ("Prinz Louis Ferdinand") geschrieben, der ihr die
Ehre einbringen wird, Mitglied des Treubunds zu werden. Ich sehe ihre
sonst so freiheitgluehende Brust schon mit einem Ordenszeichen geschmueckt,
das ihr in feierlicher Sitzung unter allen Berliner Offiziers- und
Beamtenfrauen Graf Schlippenbach anheften wird. Denn was auch vom
Standpunkt der Hofdamen aus in diesem biographischen Roman gegen die
Etikette und eine gewisse loyale Pietaet fuer hohe und hoechste Personen
gesuendigt sein mag, die besonneneren Mitglieder der Preussenvereine wissen
sehr wohl, dass man den Royalismus auf alte Art nicht mehr predigen kann.
Dies edle Kern- und Grundgefuehl preussischer Herzen kann nicht mehr
ueberall der Ausfluss unmittelbaren Instinktes sein wie weiland, als der
Friedrich-Wilhelm-Staat noch in patriarchalischen Banden schlummerte,
sondern dies Gefuehl muss jetzt "vermittelt" werden, in der Sprache der
Neuzeit reden, gemischt und verquickt mit dem Neusilber der Mode. Das hat
Fanny Lewald redlichst getan. Man kann nun doch wieder aufblicken zu
jenen strahlenden Meteoren, die man Prinzen nennt. Man kann doch den
Beweis fuehren, dass auch in jenen Regionen menschlich empfunden,
liebenswuerdig geschwaermt, edel gedacht wird. Man hat doch endlich einmal
den vol1sten Gegensatz gegen diese Irrgaenge der Literatur, die schon die
Poesie nur noch bei den Handwerkern und Bauern suchen wollte. Die Graefin
Hahn rettete der Poesie den Adel, Fanny Lewald, die strenge Richterin
Diogenens, rettete ihr wieder die Koenige und die Prinzen.

Wir erfahren in diesen drei mit grosser Gewandtheit geschriebenen Baenden,
dass es an der Grenzscheide des Jahrhunderts einen Prinzen von Preussen
gab, der ein wenig stark von der Geniesucht seiner Zeit angesteckt war,
sich vom Zopf Friedrichs des Grossen und derer, die diesen Zopf fuer das
Palladium des preussischen Staats hielten, emanzipieren wollte, Musik
trieb, viel Schulden machte, Militaerexzesse beguenstigte, die Franzosen
und ihre Republik hasste und um jeden Preis dem "Korsen" den Glanz
preussischer Waffen fuehlbar machen wollte. Als ihm die Diplomatie 1806
seinen Willen tat und den Krieg erklaerte, fiel er in dem ersten Gefecht
gegen eine Nation, die er liebte (denn er umgab sich mit Franzosen), aber
deren liberale Grundsaetze er hasste. Es ist dieser Prinz Louis Ferdinand
so oft als eine Heldengestalt, als ein junger tatendurstender Alexander
geruehmt worden, dass man sein Leben wohl fuer beachtenswert, seinen Tod
ruehrend finden kann. Wie aber sieht es mit einer naeheren Pruefung dieses
Ruhmes aus? Wie muss sich der Biograph, der Dichter stellen, um diese
aeusserlich blendende Erscheinung ihrem wahren Kern und Wesen naeher
zu bringen?

Wir gestehen, dass Fanny Lewald ihren Helden vom Gesichtspunkt des Weibes
sehr wahr auffasste. Statt aller Kritik ueber ihn hat sie sich ganz einfach
in ihn verliebt. Ich finde diesen Zug in ihrem Buche fuer den schoensten.
Da ist kein nuechternes Raesonnement, da ist keine Pruefung, kein Abwaegen
von Mehr oder Minder, sie liebt den Prinzen, wie ihn Rahel Levin geliebt
hat. Und gerade das muss den Treubund entzuecken, gerade daraufhin kann
Graf Schlippenbach sagen: Seht da eine Demokratin, eine Juedin, eine
eifrige Verfechterin der Grundsaetze ihrer Freunde Simon und Jacoby, seht
da eine Maerzheldin, die mitten im Zeitalter der Barrikaden Triumphpforten
fuer preussische Prinzen baut! Wie wir mit Blumenkraenzen unsern
Garderegimentern entgegenwallen und sie mit Treubundshuldigungen in den
Bahnhoefen empfangen, wenn sie mit demokratenblutgefaerbten Bajonetten in
ihre Kasernen heimziehen, so jauchzen in diesem Buche Maenner und Frauen
einem Prinzen entgegen, der im Grunde nichts fuer die Menschheit leistete,
sich aber als Hohenzoller fuehlte! Und eine Demokratin traegt uns hier die
schwarzweisse Fahne voran! Eine Feindin der aristokratischen Literatur!
Die beruehmte Gegnerin unserer unuebertrefflichen Ida!

Fanny Lewald wird sich ueber den Grafen Schlippenbach, noch mehr aber ueber
mich, der ihn so reden laesst, sehr erzuernen. Sie wird, ich seh' es, alle
diese Konsequenzen ihrer Liebe und Begeisterung fuer einen preussischen
Prinzen zurueckweisen, sie wird, ich hoer' es, ausrufen: Kleinliche
Menschen die ihr seid, kann man denn nicht mehr dem Zuge seines Herzens
folgen? Soll denn alles, alles Partei sein? Soll es denn nicht mehr
moeglich bleiben, dass man jede bedeutende Erscheinung der Menschenwelt,
sie tauche nun auf in einem Auerbachschen Schwarzwald-Dorfe oder einer
George Sandschen Mare au Diablo oder auf dem Parkett der Ministerhotels
und Prinzenpalaeste, mit Interesse, ja mit Liebe umfasst und das Schoene,
Wahre, Strebsame auf allen Klimmstufen der Gesellschaft anerkennt? Das
hat sich Fanny Lewald gedacht, als sie diesen Roman schreiben wollte. Sie
hat sich ohne Zweifel noch groesseres gedacht. Sie hat das Bild eines
zerfallenden Staates zeichnen wollen, sie hat geglaubt, einer sich jetzt
unueberwindlich duenkenden Gegenwart den Spiegel der Vergangenheit
vorhalten zu koennen, indem sie im Staat, der Gesellschaft, im Militaer und
Zivil die Grundgebrechen schilderte, an welchen der Stolz und die
Eitelkeit jener Tage krankte, ohne es zu wissen. Diese polemische
Tendenz, der auch manche vortreffliche Seite ihres Werkes gewidmet ist,
ermutigte sie, jenes Bild eines Prinzen als Mittelpunkt ihrer Dichtung
festzuhalten und so den Vorwuerfen zu begegnen, gegen die sie als strenger
demokratischer Charakter empfindlich sein musste.

Wie dem aber sei, sie ist ihrem weiblichen Herzen zum Opfer gefallen. Sie
hat, angeregt von Varnhagen von Ense, jene bedeutsam Zeit schildern
wollen, wo sich in der Tat trotz Goethes Spott "Musen und Grazien in der
Mark" begegneten und Schlegel, Gentz, Fichte, die Rahel und ihre "Kreise"
mit einem liebenswuerdigen, genialen Prinzen des koenigl. Hauses in
Beziehungen kamen. Es hatte sie das interessiert, besonders Rahels wegen,
mit der sie sich in ihrem Roman auffallend identifiziert. Aber der Erfolg
ist bei vielen vortrefflichen Eigenschaften ihres Werkes nicht gelungen.
Statt, wie eine kuenstlerische Intuition ihr sagen musste, den Prinzen
episodisch zu benutzen, stellte sie ihn in den Vordergrund. Statt ihren
Roman z.B. durch eine Figur wie Karl Wegmann zu heben und zu tragen und
alle jene bedeutenden Menschen nur zuweilen in ihr Werk hineinragen zu
lassen, macht sie diese selbst zu Haupttraegern der Handlung und gibt eine
romantische Biographie, statt eines Romans. Prinz Louis bleibt immer der
Mittelpunkt. Sie dichtet ihm Empfindungen an, die zu beweisen sind, sie
gruppiert Menschen um ihn, die sie als edel, mindestens bedeutungsvoll
erscheinen laesst, waehrend sie doch meist nur frivol und sittenlos sind.
Diese Pauline Wiesel, eine feine Berliner Kurtisane beruechtigten
Andenkens, erscheint bei unserer Verfasserin so relativ wertvoll und
interessant, so drapiert mit dem grossen Umschlagetuch grell-moderner
Ideen und grossblumiger Empfindungen, dass man erstaunt, wenn man sich
denken muss: Was wird Diogena zu diesem Buche sagen? Wenn sich bei dieser
Dame die Schichten der aristokratischen Gesellschaft zerbroeckeln und in
die ihr eigene grossstaffierte Salon- und Boudoir-Romantik zerblaettern, wo
Liebe und Skandal bunt durcheinanderlaufen und parfuemierte Billetts, von
galonierten Jockeys auf silbernen Tellern praesentiert, alle Schmerzen
"unverstandener" Seelen aushauchen, so gesellt sich hier wenigstens
Gleiches und Gleiches, und wir sind doch bewahrt vor der Fanny
Lewaldschen Zumutung, jene Berliner Beamtentoechter interessant zu finden,
die beim Blasen der Gardekuerassiere an die Fenster rennen, sich in Helme
und Epauletten verlieben und Prinzen vollends alles gewaehren, was Prinzen
nur von Buergerstoechtern fordern koennen. Henriette Fromm, Pauline Wiesel
sind "Damen" dieses Berliner Schlages gewesen und verdienten nicht von
der Poesie so ausstaffiert zu werden, wie dies in unserm Gedenkbuch
geschieht. Welche grossen Worte sind da an Niederes verschwendet! Welche
gemeinen Gesinnungen bunt aufgeputzt! Wer hat Berlin beobachtet und kennt
nicht jene Buhlerei der Muetter und jungen Frauen um Prinzengunst, wie sie
nach den Tagen der Lichtenau dort Mode war? Spaeter moegen die Opfer dieser
Zustaende mehr gelernt haben als Madame Rietz wusste, sie moegen franzoesisch
parliert, Goethe und Schiller gelesen haben und mit Gentz und Schlegel in
Beruehrung gekommen sein; sie bleiben aber darum doch, was sie sind, mag
auch Varnhagen von Ense noch so milde Lichter ueber sie ausgegossen haben.
Die arme Lewald, in dem Drang das Judentum zu heben und eine Juedin Rahel
Levin mit Prinzen von Preussen in Verbindung gebracht darzustellen, ist
hier von ihrem Herzen und dessen kuehnsten Fluegen geblendet gewesen und
hat eine Sphaere fuer dichtungswuerdig gehalten, die es nicht war. Mamsell
Caesar, die Berliner Geheimsekretaerstochter, verdiente ebensowenig diesen
Aufwand von Seelenmalerei wie Henriette Fromm, die am Tage nach der
Verlobung an einen Oekonomen mit einem Prinzen auf- und davonging. Ein
Prinz kann doch meist nur von oben herab lieben, von oben herab einer
Buergerlichen schmeicheln, nur in aller Kuerze sie auffordern: Sei mein!
Einen (Roman) von Gefuehl, Entwicklung, Herausstellung der ede1sten Triebe
des Menschen gibt es da hoechst selten und im vorliegenden Fall gewiss
nicht. Wer kann Fanny Lewald in dieser Verirrung anders folgen als bloss
mit einem gewissen anekdotischen Interesse? Zu empfehlen, aufmerksam zu
machen, zu bewundern gibt es da nichts. Man liest es mit Neugier, mit
Spannung, wuerde aber erschrecken, wenn die Verfasserin verriete, sie
haette beim Niederschreiben dieser Blaetter auch nur im entferntesten
gedacht: (Entnehmt euch daraus etwas!)

Einzelne Schilderungen sind der Verfasserin vortrefflich gelungen;
unstreitig immer die, wo sie sich eines gedrueckten, leidenden Zustandes
der Gesellschaft annehmen kann. Sie empfindet mit der Armut, mit dem
gedemuetigten Stolze, mit der getretenen Menschenwuerde. Sie hat in ihrem
reinen und aufrichtigen Bekenntnis des Judentums eine Schule der
Beobachtung und des Mitgefuehls fuer die Nachtseiten der Gesellschaft
durchgemacht. Warum erhob sie sich von dem strengen Gericht, das sie ueber
die Militaerzustaende Preussens von 1806, das Kasernenleben, das Ghetto, die
Bestechlichkeit der Beamten, die Ohnmacht und den Duenkel der Minister
anstellte, nicht auch zur Wahrheit ueber ihren aristokratischen Helden
selbst und noch mehr zur Wahrheit ueber das prahlende Zuschautragen des
Herzens bei den Weibern, die in diesem Gemaelde aufrauschen? Warum wandeln
diese so pomphaft daher und bringen uns den abgenutzten Gefuehlskram
unserer blasierten Frauenromane von 1840 zum Kauf? Ist es nicht eitle
Flitterware? Ist nicht selbst Rahels Liebesschmerz und entsagende
Grossgefuehligkeit um die koenigliche Hoheit affektierter Kram? Erschliessen
uns diese Verirrungen, wenn sie stattfanden (und sie muessen es wohl, da
Varnhagen von Ense laut Widmung dieses Werkes Taufpate ist), irgendeine
grosse Perspektive auf die Tiefe der Menschenbrust? Ich kann der
Verfasserin ueberall folgen, wo sie praktisch und verstaendig ist. Wo sie
aber Gefuehl geben will, Idealitaet in ihrem Sinn, da befinden wir uns doch
eben nur in derselben Sphaere, die sie an der Graefin Hahn hat bekaempfen
wollen: Hass gegen das Uebliche, Feindschaft gegen die gewoehnlichen Gleise
der Liebe, die sich in ihrer suessen Monotonie Jahrtausende lang durch die
Herzen der Menschheit ziehen. Sind euch denn die Muetter, die verheirateten
Frauen ewig gleichgueltig und nur diese Rahelen, diese Henrietten und
Paulinen der poetischen Betrachtung wuerdig? Es waere eine rechte Erquickung
gewesen, wenn wir in diesem Buche neben den vielen Weibern mit starkem
Herzen auch ein junges, schoenes und bedeutendes mit einem nur guten
angetroffen haetten.

Das Buch schliesst wie eine Symphonie mit unaufgeloester Dissonanz! Der
Held stirbt, und--das Ganze ist zu Ende. Alle Faeden, welche die
Verfasserin anspann, um uns zu unterhalten, sind zerrissen. Eben noch
Licht, und ploetzlich Nacht. Dieser Schluss ist eine Kritik des Werkes. Er
sagt, dass mit dem Tode des Helden der ganze Apparat des Romans in Nichts
zusammensinkt, und es im Grunde nur ein Spuk war, der ihn umgab, kein
wirkliches, daseinberechtigtes Leben. Fanny Lewald hat so den Trieb nach
Wahrheit, so die schoene, oft grausame Leidenschaft aufrichtiger
Ueberzeugung, dass sie unstreitig fuehlte: Die Menschen, die ich da mit dem
Prinzen zusammenkettete, sind nach seinem Tod unnuetz, und keine Seele
mehr wird nach ihnen fragen. Ein ernstes Drama soll wie ein Grab enden,
ein ernster Roman aber wie ein Kirchhof. Das Auge soll mit Schmerz nach
vielen Graebern sich umsehen und nicht wissen, welches von ihnen allen den
Immortellenkranz verdient.




Eine naechtliche Unterkunft (1870)


In jenen, noch dem ersten Drittel unseres Jahrhunderts angehoerenden
Tagen, wo Berlin rundum keine andere grosse Stadt in der Nachbarschaft
hatte, als eine solche, die erst nach einer Postreise von zwanzig Meilen
zu erreichen war, bildete sich jene noch jetzt nicht vollkommen
ueberwundene eigentuemliche Naivitaet oder, nennen wir es beim richtigeren
Namen kleinstaedtische Unzulaenglichkeit aus, die den Charakter des
Berliner Pfahlbuergertums in manchem bezeichnen duerfte. Die Sperre gegen
eine Welt, die damals dem Berliner schon hinter Potsdam fuer gleichsam wie
"mit Brettern vernagelt" galt, war eine beinahe hermetische. Daher auch
die Langsamkeit, womit sich der Zeitgeist, die freiheitliche Entwicklung
Preussens erst allmaehlich, ja mit Beweisen voelliger Unbeholfenheit und
Unreife anschickte, dem Fortschritt des uebrigen Europa zu folgen.

Noch bis zur Maerzrevolution befand sich im koeniglichen Schlosse, dicht
unter der Wohnung des Monarchen, in jenem Portal, das seit dem Jahre 1848
dem Publikum nicht mehr als Durchgang geoeffnet ist, ein alter Rumpelkasten,
Portechaise genannt, an deren mit gruenem Kattun verhangenem Fenster
unorthographisch zu lesen stand: "Wer sich dieser Portechaise bedienen
will, melde sich in der Nagelgasse." Letztere, jetzt zur "Rathausstrasse"
avanciert, begrenzt die suedoestliche Front des neuen Rathauses--gelegentlich
bemerkt eines Baues, dessen Grossartigkeit den Stil, den kraeftigen Griffel
des 19. Jahrhunderts in so ueberwaeltigendem Masse bezeichnet, dass bei allem
Reiz, den ein alter Rest der Vergangenheit, die "Gerichtslaube", fuer die
Tafeln der Chronik in Anspruch nehmen darf, ihn die Gegenwart doch fuer ihre
Ueberlieferungen an die Zukunft wie einen sinnstoerenden--Druckfehler
beseitigen darf.

Und auf dem Gensdarmenmarkt, an derjenigen Seite des "franzoesischen
Turms", die dem Wechselgeschaeft der Herren Brest und Gelpke gerade
gegenueber liegt, wuchs nicht nur in den Winkeln, die von den duerftigen
Anbauten der beiden stolzen "Gensdarmenmarkttuerme" gebildet werden, das
helle, frische, gruene Gras, untermischt zuweilen mit "Butterblumen",
sondern es war sogar moeglich, dass die damalige schutzmannlose, nur auf
jene "Polizeikommissarien" mit den Dreimastern und karmoisinroten Kragen
und Aufschlaegen am Rock angewiesene Zeit in einem dieser Winkel--einen
alten ausgedienten Leichenwagen duldete, der entweder durch irgendein
Missverstaendnis zur Ueberwinterung dort stehengeblieben oder sonst aus dem
Inventar des Leichenfuhrwesens in der Georgenstrasse ausgestrichen war.
Die Deichsel fuer die Rosse, die uns zum ewigen Frieden fahren, fehlte
nicht. Aber die schwarze Draperie schillerte schon ins vollkommen
Roetliche. Die Totengraeber Hamlets haetten hier Betrachtungen anstellen
koennen ueber die Vergaenglichkeit alles Irdischen. Ludwig Devrient, drueben
von Lutter und Wegener kommend und sich auf die Rolle besinnend, die der
grosse Mime am Abend zu spielen hatte, mag manchen verstohlenen Blick
hinuebergeworfen haben auf den alten Charonsnachen, der manchmal fehlte,
nach kurzer Pause sich aber immer wieder einstellte unter den gewoelbten
Tuermen, um deren Saeulen und Saeulchen die Spatzen und die Kraehen und die
Habichte nisteten. Berlin, das gegenwaertig alles brauchen kann, selbst
die Denkmaeler von den Graebern, Berlin, das jetzt die Bronzebilder der
Toten von den Kirchhoefen stiehlt, liess diesen alten Leichenwagen
unangetastet.

Abends, wenn der Sturm brauste, die Laternen, ohne Gaslicht und manchmal
quer ueber die Strassen hinweggezogen, in aechzenden Toenen hin und her
schaukelten, die Wagen der Vornehmen und Reichen dumpf ueber ein noch
naturwuechsiges Pflaster rollten, hier und da ein Leierkasten aus einem
Keller wie ein ferner Unkenruf ertoente und in den Strassen jener
gespenstische Mann umging, der ein Faesschen in der Hand tragend, aus einer
bis zu seinen Ohren, ja bis zur Nase hinaufreichenden stolzen roten
Kravatte mit einem gewissen wuerdevollen Anstand, aber geisterhaft hohl,
den Ausruf hervorpresste: "Neunaugen! Neunaugen--!", da schlich sich
froestelnd, die Haende in abgetragene, viel zu kurze, geflickte Beinkleider
gesteckt, einen verschossenen Frack auf dem ausgehungerten Leibe, einen
mannigfach bruechigen, beulenreichen Filzhut auf dem Haupte, eine
verwitterte, magere, kleine Gestalt ueber den Markt, auf welchem oede
Stille herrschte, nachdem sich eben die Zuschauer des Schauspielhauses,
die vielleicht eine neue Posse von Raupach ausgezischt, verlaufen hatten.

Der sich scheu Umblickende hatte keine Wohnung. Sein Name war von den
Sternen hergekommen. Dort oben am blitzenden Nachthimmel stand die
Konstellation, die ihm den Vornamen gegeben. Besonders zur Winterszeit
leuchtete sein Stern hellauf in einem Licht, das alle andern Sterne
ueberstrahlte. In den Sternen auch hatte er seine eigentliche Behausung,
nicht in der Dorotheen-, nicht in der Friedrichstadt. Vorsichtig naehert
er sich dem Leichenwagen ... Bist du heute wieder da, alter Freund--? Hat
dich Charon heute Nacht nicht noetig, um vom "Tuermchen" im "Voigtland"
eine Leiche auf die Anatomie zu fahren--? Schont der "Leichenkommissarius"
seine Gaeule, wenn er sie erst hier einspannt, um einen Armen im
"Nasenquetscher" auf Saturns grosses Brach- und Nivellierungsfeld, auf den
Friedhof, zu fahren--?.... Und husch--! Die verwitterte Gestalt,
herabgekommen wie der Apotheker von Mantua, der an Romeo Gift verkaufte,
weil die Geschaefte der ueblichen Pharmakopoe so schlecht gingen, hebt die
Vorhangsfetzen des Wagens auf und schiebt sich langsam hinein in ein
damaliges--Asyl fuer Obdachlose.

Fand sich wohl ein Stueck Holz, eine Planke darin vor--den Traegern mit den
langen Floeren am Dreimaster benoetigt, um den Sarg in die Grube zu
senken--so rueckt sie der lebende Tote so, dass sein Haupt mit den langen
weissen Haaren eine Stuetze findet beim Sichausstrecken. Vielleicht achtet
er auch die neue Beule nicht viel an seinem wettererprobten Zylinder,
wenn er damit dem harten Holz einige Weiche gibt und die hohle, gefurchte
Wange aufstuetzt. Ruhen wird er; er wird schlafen. An diesem schwarzen
Wagen huscht die von einem Ball bei "Dalichows" in der Dorotheenstrasse
kommende Schoene aus dem Volke, der Spieler, der im Hinterzimmer eines
"Italieners"--wir meinen nicht gerade des damaligen Austern-Sala-Tarone
--einen gluecklichen Wurf getan, der in der Nacht gerufene Arzt, der um
Mitternacht sein Coupe nicht anspannen lassen kann, schnell und scheu
vorueber. Selbst der Nachtwaechter haelt sich in der Ferne, dort, wo ein
Ruf: "Waechter--!" ihm ein Trinkgeld fuers Einlassen in ein verschlossenes
Haus, dessen Schluessel an seinem klirrenden Eisenbunde haengt, sicherer
einbringt, als wenn er hier Posto fasste in der duester-unheimlichen Ecke
an einer Kirche, wo vielleicht damals--der junge Fournier als feuriger
Kandidat in franzoesischer Sprache predigte und sich nicht traeumen liess,
wie uebel spaeter einem Konsistorialrat der Wetteifer mit dem leidenschaft-
lichen Pathos eines Schauspielers bekommen konnte.

Der Obdachlose war ein Dichter ohne Verleger. Er lebte in einer Zeit, wo
die Journale Berlins unter Zensur standen. Ein Absatz von 500 Exemplaren
war schon die allergluecklichste Chance fuer--"Belletristik". Ein Honorar
von einem Taler zahlte man fuer ein Gedicht, von fuenfzehn Silbergroschen
fuer eine Reihe von Lueckenbuessern, damals "Aphorismen", "Streckverse",
"Sternschnuppen" oder aehnlich genannt. Ach ja, die Sterne, die hatten es
dem halben Polen angetan. Er hatte sich die Sprache Schillers und Goethes
angeeignet, sang Dithyramben, Oden, Bardenlieder--alles in einem Stil,
der an Pindar erinnerte--seiner Unverstaendlichkeit wegen. Aber schon in
jener Zeit war die Lektuere frivol. Lieber wollte man Clauren lesen, als
Klopstock. Die Gebildeteren hatten gerade van der Velde. Sogar die
Aesthetiker sprachen zwar von Goethe, nippten aber, wie in dem Hinterzimmer
des "Italieners" Rosoglio, so an den "Teufelselexieren" von Hoffmann. Was
war da der verkommene Traeumer, der noch bei Ossian stand und bei Jean
Paul! Der einen Gedanken, der ihm aufgeblitzt bei seinem jeweiligen
Erwachen in seinem dunkeln Leichenwagen (--und wo denken wir wahrer,
fuehlen wir tiefer als in der Naehe der Toten!--) nur dadurch schlagend,
zuendend, lapidar zu machen glaubte, dass er ihn immer enger und enger,
immer epigrammatischer und epigrammatischer, zuletzt in zwei Zeilen
draengte, wie bei Rochefoucauld und Montaigne, jedes Wort eine ganze
Welt--aber--die Zeile laut Quartalsberechnung des Journals drei bis
vier Pfennige!

Dieser Obdachlose hiess Orion Julius. Seine Werke stehen nicht in den
Katalogen der Leihbibliotheken. Wer sich aber die Muehe geben will, in
alten Jahrgaengen des "Freimuetigen", des "Gesellschafters" zu blaettern,
der wird dort--dem naechtlichen Bewohner des Leichenwagens am
Gensdarmenmarkt zuweilen begegnen.




Zum Gedaechtnis Wilhelm Haerings (Willibald Alexis') (1872)


Einstimmig berichtete die deutsche Presse das im Dezember vorigen Jahres
zu Arnstadt in Thueringen erfolgte Ableben Wilhelm Haerings, genannt
Willibald Alexis, mit dem Ausdruck der innigsten Teilnahme. Die
gewandtesten dichterischen Gaben, edle menschliche Eigenschaften, ein
Charakter voll Gesinnung und ein herbes tragisches Schicksal hatten die
Nachrufe, ganz in der ungeteilten Hingebung, wie sie in den Blaettern
erschollen, verdient.

Wenn die "Allgemeine Zeitung", diesmal spaeter kommend als andere Organe
der Oeffentlichkeit, ihren Nachruf nicht ganz in dem Ton einer blossen
Trauerrede am Grabe haelt, sondern persoenlicher auf den Verstorbenen
eingeht, so wolle man darin ein Bestreben erblicken, uns das Bild des
Dahingegangenen recht nahe zu ruecken. Schon die Wendung dieser Nachrufe,
dass der Tod den Ungluecklichen, der fast fuenfzehn Jahre in geistiger und
koerperlicher Paralyse gelebt hatte, "von seinen Leiden erloeste", ist
nicht vollkommen zutreffend. Die liebevol1ste Hingebung einer erst in
spaetern Jahren geheirateten Gattin, einer geborenen Englaenderin, die
Pflege derselben, die an Geduld ihresgleichen suchte, diese war es, die
erloest wurde. Der Gegenstand eines bewunderungswuerdigen Kultus der Liebe
selbst fuehlte kaum sein Leid in ganzer Groesse. Die Stunden, die Tage, die
Jahre schwanden an dem Beklagenswerten in seinem Rollsessel gleichmaessig
dahin. Er glaubte, die volle Klarheit seiner Ideen zu besitzen und nur am
Aussprechen derselben verhindert zu sein. Eine in Westermanns
"Monatsheften" gegebene photographische Abbildung der aeusseren Erscheinung
Haerings in den Tagen seines Leidens zeigt einen--lachenden Demokrit, der
der Welt gegenueber sein besseres Teil gefunden zu haben scheint. In der
Tat gibt das Bild den vollen Gegensatz der geistesklaren Zeit des edlen
Toten, wo seine Mienen in der Regel den Ausdruck der Besorgnis, des
aengstlich aufgeregten Beschaeftigtseins durch die Zeit, des baenglichen
Erwartens duesterer oeffentlicher Erlebnisse trugen.

Von "Leiden erloest"? Gewiss! Aber doch noch zu modifizieren. Die ganze
Sehnsucht eines an die Bedingungen Norddeutschlands gebundenen Herzens
ging bei Haering auf idyllisches "Am Land"-Wohnen. In seinen jungen Jahren
suchte er einen ihm innewohnenden Trieb, irdische Hilfsquellen, die ihm
zu Gebote standen, zu Spekulationen und sogar im Sinn unserer heutigen
neuen grossstaedtischen Gruender-Ideen zu verwenden, mit seiner Liebe zur
Natur zu vereinigen. Wie mit Ironie auf seinen Namen suchte er unter den
alten Eichen und in den Fischerhuetten Heringsdorfs an der Ostsee den
Besuch eines poetisch gelegenen Seebades zu foerdern. Spaeter gab er seine
dortige Besitzung mit ihren nur relativen Schoenheiten auf und zog sich,
seiner ganzen Kraft sich noch bewusst und mit literarischen Plaenen, deren
einige auch dort noch ausgefuehrt wurden, nach Arnstadt, einer ohne
Zweifel--ich kenne den altberuehmten Ort nicht--reizend gelegenen Stadt,
die schon manchen Dichter angezogen hat. Da erzaehlt man von Haerings
anmutiger Besitzung, von seiner Liebe zur Natur selbst trotz seiner
geschwaechten Geisteskraefte. Wenn die Rosen bluehten, sammelten liebliche
junge Maedchen, Verwandte seiner Gattin, die sich schon entblaetternden
verbluehten Blumen und bewarfen damit den im Rol1stuhl Sitzenden. Anakreon
wuenschte sich solche Spiele mit der Jugend. Auch unser Dulder lachte
herzlich. Ist ihm also das demokritische Antlitz der Photographie bis
zuletzt geblieben, so rief ihn der Tod aus einer Welt, die er bei alledem
und alledem ungern verliess. Sein Lebensende war keineswegs das seines
gekroenten Widersachers in Sanssouci, der ihm einst auf eine vertrauens-
volle Uebersendung eines seiner "maerkischen Romane" oder bei einer
sonstigen Annaeherung, welche Huld und Guete voraussetzte, die bekannt-
gewordenen rauhen, verletzenden Worte entgegenherrschte: "Er haette sich
von ihm in seiner politischen Haltung eines Bessern versehen." Auch
Friedrich Wilhelm IV. hatte das Los, gelaehmt zu werden wie Dr. Haering.
Aber jener bot ein Bild des Jammers, wenn er unter den Baeumen Sanssoucis,
die den an Plaenen und Ideen ueberreichen genialen Kronprinzen einst unter
sich hatten wandeln, zeichnen, malen, studieren sehen, gefahren wurde und
nichts mehr von der Welt erkannte. Haering liess sich in seinem Rollsessel
an seine Blumen fahren und pflegte diese.

Unsere juengere Generation macht sich das Leben eines solchen
abscheidenden Charakters frueherer Tage nach aeussern Notizen leicht
zurecht. Geboren den 23. Juni 1797, Studierender der Rechte, Referendar,
Mystifikator des Publikums mit einer Nachahmung Walter Scotts--dann eine
Zusammenfassung seiner letzten Taetigkeit, die dem "brandenburgischen
Roman" gewidmet gewesen--und der Kern scheint getroffen zu sein. Und
dennoch bieten diese Momente fuer den Forscher, der dem Sein und Werden,
dem Umirren und Wegeverfehlen, dem Suchen und Finden in der Literatur
folgt, bei weitem nicht die genuegenden Anhaltspunkte. Man las bisher ueber
Haering nur Zusammenfassungen, kurze Resuemees einer dahineilenden Zeit,
die ihre Opfer der Pietaet rasch vollzieht, immer bedacht, nur bald wieder
auf sich selbst zurueckzukommen.

Bei solchen Resuemees fehlt natuerlich auch das Zuviel nicht. Die
"maerkischen Romane" des dahingegangenen Vortrefflichen sind in der Tat
nicht ganz so hoch zu stellen, wie sie etwa die Ankuendigung des
Buchhaendlers stellt, der sie als Eigentum besitzt und sie gern "in jeder
deutschen Huette eingebuergert" sehen moechte. Diese Romane sind reich an
Vorzuegen aller Art. Doch reissen sie nicht durch eine maechtige und
eigentuemliche Erfindung fort. Es sind sinnig gedachte, doch nur mit
reproduktiver Umstaendlichkeit langsam sich fortbewegende Kulturstudien
(uebertreibend bis zu Phantasien) ueber eine Mark Brandenburg, die jetzt
mit Gewalt aus einer bescheidenen Magd in eine seither verkannte Koenigin
aufgeputzt werden soll. Das Toilettenstueck ist ja im vollen Gange. Haette
man nicht Berechtigung, jetzt auszurufen: Wollt doch nicht Feigen lesen
von den Disteln, und Trauben von den Dornen! Wollt doch nicht die alten
Gesetze dessen, was schoen ist, auf den Kopf stellen! Seitdem unsere
Reichstagsabgeordneten ihre Exkursionen nach Potsdam machen und erstaunt
zurueckkehren, dort so herrliche Baeume, grosse Gewaesser, sogar in Berlins
naechster Naehe Spuren von "Gegend" zu finden, hat man die maerkischen
Tannen- und Fichtenwaelder, diese durchsichtigen Linienregimenter, ueberaus
poetisch, ja im verwehten Flugsand und dessen duerftiger Vegetation
landschaftliche Stimmung finden wollen. Kauft man dann noch gar in
Gruender-Compagnien diesen Sand mit Fichtenwaeldern in Masse und will
Deutschland einladen, dort Huetten, d.h. Villen, zu bauen, dann zwingt in
der Tat die Ausserkurssetzung des Murg- und Nero-Tals, des rauschenden
Waldes um Eisenach oder Berchtesgaden zum Widerspruch--auch gegen die
Uebertreibung des Poetischen, das sich in Haerings maerkischen Romanen
finden soll. In allem Ernst, durch das Preisen und Aufputzen des
Duerftigen, Aermlichen, Unzulaenglichen der Mark versuendigt man sich an
jener Welt, die seither fuer schoen gegolten hat und deren Zaubergewalt
auch dem maerkischen Romantiker Haering selbst zu oft vor die Seele trat,
als dass es ihn nicht maechtig nach dem Sueden haette ziehen, zu dem
Gestaendnisse zwingen sollen: "Ja in Neapel!" Seine "Wiener Bilder" sind
eine wahre Befreiung des Gemuets vom Tifteln einer Stimmung, die sich auch
in Pankow und Schoenhausen bei Berlin (ja, ja, die Eichen und Erinnerungen
Schoenhausens sind schoen, und waere nur dem Park mehr Pflege zu wuenschen!)
dem grossen Naturgeiste nahe fuehlen moechte. In dem frisch geschriebenen
Buche, das wir nannten, wird dem deutschen Sueden, der blauen Donau, den
schneebekraenzten Alpen, seinen Menschen und Sitten ihr volles
Recht zuteil.

Vor sechs Jahren, bald nach den Tagen von Koeniggraetz und Nikolsburg,
brachte die "Allg. Ztg." einen Aufsatz: "Willibald Alexis und die
'preussische' Dichtung unserer Zeit." Der Verfasser war einer der
begabtesten unserer juengern Erzaehler, Wilhelm Jensen. Dieser, selbst aus
Deutschlands nordischer Mark, aus den Herzogtuemern, gebuertig, glaubte mit
seinem beredten Fuerwort einen Beitrag zu geben zur Annaeherung zwischen
deutschem Sued und Nord. Der Streit, welcher in der Familie gefuehrt worden
waere, hiess es, muesste auch in der Familie geschlichtet werden. "Wenn ein
Dichter oder irgendein Mann der Gegenwart es vermag, die Abneigung
auszutilgen, welche sich des deutschen Suedens gegen den Norden, gegen
Preussen und vor allem gegen dasjenige, was man sich gewoehnt hat, als den
Kern und Typus dieses Volkes anzusehen, gegen die Mark Brandenburg und
ihre Hauptstadt bemaechtigt hat, so ist es Willibald Alexis." Der junge
Nordlandssohn fordert Sueddeutschland auf, an diese Quelle der Versoehnung,
"die Werke des Hrn. G. W. Haering", sich zu begeben. Scherenberg, setzt er
hinzu, Hesekiel, Fontane (Namen, die seit Jahren die Ansprueche auch der
"Kreuzzeitung" auf den Parnass vertreten) reihen sich dann bei dem
Vermittler an den Hauptvertreter der geistigen Versoehnung an, welchem der
vielleicht feurigste Mund, der sich je ueber einen noch lebenden Autor
ergangen hat, Opfer der Anerkennung bringt, die in der Tat den Leser
fortzureissen vermoegen, weil der frische Geist der Huldigung Satz fuer Satz
zu gleicher Zeit Behauptungen aufstellt, die frappieren, zum Nachdenken
reizen, zuweilen als unhaltbar, oft aber als treffend erscheinen duerfen
und somit zuletzt den Leser in einen Strudel von Herrlichkeiten
fortreissen, die er alle in Willibald Alexis' Romanen finden soll....

Das Wahre daran sei dahingestellt. Soviel steht fest, Haerings, des
ungluecklichen Mannes, dem wir das innigste Andenken bewahren, Entwicklung
ging nicht mit so ausgedehnten Schwingen, nicht mit solchen Adlerfluegeln.
Niedrig war der Strich seines Fluges niemals. Niemals--um ebenfalls
maerkisch zu reden--glich er dem Kiebitz, der bald links, bald rechts die
Beine verschraenkend am Meeresstrande dahinstreicht. Nein, was konnte an
sich kuehner sein, als ein Erstlingswerk mit dem Namen Walter Scotts
einzufuehren? Eine Tat, die man damals als Eulenspiege1streich belachte.
Jetzt hat uns die "Kritik des gesunden Menschenverstandes" so
gewissensstreng gemacht, dass wir in der Wiederholung eines solchen alten
Literaturspasses einen bedenklichen Kasus verletzter Moral--"Zuchtlosigkeit"
sagten ja wohl die alten "Grenzboten"--erblicken wuerden! Aber der
belletristische Trieb des jungen Exreferendars tastete lange bald nach
diesem, bald jenem Gebiete hin, folgte allerlei Impulsen, kuenstlich
gepflegten Neigungen. Seine Natur liess nichts frei aus einem uebervollen
Innern hervorstroemen. Selbst die Chronik der Buehnen Berlins weist einige
dramatische Anlaeufe auf, die schnell wieder aufgegeben wurden. Die "Allg.
Ztg." bucht einmal die Ereignisse. So darf sie auch die Zeiten nicht
ueberspringen und die Tage nicht vergessen, wo Haering noch zu den
Unentschlossenen gehoerte, wo Ludwig Boerne jenen mit gutem Essig und gutem
Oel (beim Salat will das alles sagen) angerichteten "Haerings-Salat"
schrieb, Erinnerungen an die Zeit, wo Wilhelm Haering und Ludwig Robert,
damals zensurgemaesse Belletristen der Restaurationsperiode, den zum Besuch
nach Berlin gekommenen Frankfurter Humoristen, der einen allbewunderten
Aufsatz ueber die Sontag geschrieben hatte, durch die Strassen und
Gesellschaften Berlins fuehrten, worauf bei jeder Vorstellung eines
eilends vorueberschiessenden Bekannten regelmaessig derselbe Dialog
hervorgebracht wurde. Vorstellung: "Hofrat! Boerne!" Verwunderung und
Entzuecken: "Boerne? Sontag? Goettlich!" Es war die Zeit nach der
Julirevolution, wo so mancher in Liberalismus gar so weise und vorsichtig
machte und nur den Anschauungen des Polizeistaates verfiel. In jenen
Tagen bot besonders die Haltung einer grossen Leipziger Buchhandlung mit
ihren einflussreichen Blaettern und Sammelwerken, die im literarischen
Verkehr wenigstens Nord- und Mitteldeutschlands entschieden den Ton
angaben, den Mittelpunkt fuer eine Richtung, der sich auch Haering allzu
eng anschloss. Die junge aufstrebende Bewegung der Geister innerhalb der
schoenen Literatur, dann die sich vorzugsweise aus dem Universitaetsleben
entwickelnde philosophische Kritik wurden von dorther bekaempft. Aus jener
Zeit stammt der "Neue Pitaval", wo schon der Name des Mitherausgebers,
Kriminaldirektors Hitzig, auf diejenige Berliner Sphaere schliessen laesst,
wo man freisinnig am Teetisch war, im Buero aber tat, was die
Obern wollten.

Und auch darin irren sich unsere schnell zusammenfassenden, nur aus dem
Konversationslexikon orientierten Nekrologe, dass sie schon von "grossen
Erfolgen" z.B. des "Cabanis" sprechen. Nein, unser wackerer Freund hat
sich redlich muehen, gegen eine "See von Plagen" und "die Pfeile des
Geschicks" ruesten muessen. Ein junger Verleger namens Fincke wollte das
Manuskript des "Cabanis" durchaus in sechs Teilen bringen. Da musste der
letzte und vorletzte Band jeder kaum 100 Seiten betragen! Diese
unglueckliche Idee, die ein warmes, spannendes Interesse bei einem
sprunghaft, abgerissen gearbeiteten Werk nicht aufkommen liess, wurde nur
durch eine fuer jene Zeit des bedruckten Loeschpapiers ueberraschend
geschmackvolle Ausstattung einigermassen wiedergutgemacht. Missmutig ueber
die Art, wie sich die Buchhaendler zu den Autoren zu stellen pflegen,
begruendete Haering selbst eine Buchhandlung. Die Operationen seines
Kapitals deckte ein anderer Name. Auch hier traten Misserfolge,
Bekuemmernisse, Verwicklungen aller Art ein. Die Hoffnung auf eine
Wuerdigung seiner maerkischen Romane, die zunaechst durch Haerings maechtig
pulsierendes Heimatgefuehl und vielleicht auch durch Nachahmung des
vielgepriesenen Kleistschen "Kohlhaas" hervorgerufen wurden, betrog ihn
nur innerhalb Berlins nicht. Nach aussen hin fand sich kein Interesse. Nur
die "Inexpressibles" des Hrn. v. Bredow belustigten....

Das Jahr 1848 ueberraschte unsern rastlos taetigen, immer geistesfrischen
Wilhelm Haering in Italien. Eine Stellung, die er zur "Vossischen Zeitung"
antrat, fuehrte ihn rasch in die richtige Strasse der Bewegung, bewahrte
ihn vor unklarem Waehlen und Handeln in Tagen, wo so viel geirrt, so viel
bereut worden ist. Diesem Entschluss, einem viel gelesenen Blatte seinen
emsigen Fleiss, seine gewandte Federfuehrung, sein reiches Wissen auf allen
Gebieten nutzbar zu machen, widmete er sich mit voller Hingebung. Er tat
es mit befreitem, von Vorurteilen erloestem Sinn. So vieles, worauf auch
er in den vormaerzlichen Tagen noch Nachdruck gelegt hatte, war ja
vergessen. Alles Mehr oder Minder, alles So oder So hatte neuen, groesseren
Geschenken des Jahrhunderts Platz gemacht. Jene vormaerzliche Annaeherung
an einen Fuersten, von welchem er Anerkennung seiner patriotischen
Vorliebe fuer maerkische Doerfer, Sandwege mit einsam frierenden Halmen,
Tannenwaelder mit Eichhoernchen und gewissen wie schon gedoerrt auf die Welt
kommenden Blueten, speziell maerkischen Rispengattungen (ich charakterisiere
eine Naturbetrachtung, die uns mit Adalbert Stifter im Salzkammergut
entzuecken, zwischen "Schierke und Elend" nur zur Verzweiflung bringen
kann)--diese Annaeherung konnte ihm keine Demuetigung, keine oeffentlich
auferlegte Kraenkung mehr bringen. In den vormaerzlichen Tagen besuchte ich
ihn in Berlin. Wie leise hauchte er jedes Wort! Wie spionenhaft belauscht
fuehlte sich all sein Tun! Ganz in Varnhagens Weise spuerte er ueberall
Ungewitter und Heimliches in der Luft. Dieser Druck war endlich gefallen
und die schoenste Frucht der Erhebung durch die Zeit wurde Haerings bester
Roman: "Ruhe ist die erste Buergerpflicht." In diesem ausgezeichneten
Gemaelde hatte man nichts von den weglosen Laengen seiner maerkischen Walter
Scottiaden, von den langen Konversationen nicht mithandelnder Personen,
von den gewissen Theater-Reminiszenzen in den Situationen und Charakteren.
Hier waren die historisch erwiesenen Persoenlichkeiten wie im Portraitstil
gehalten. Haugwitz, Lucchesini, die Pioniere des preussischen Unterganges,
traten so greifbar und in so spannend verbundenen Situationen vor unser
Auge, dass uns noch jetzt, jedesmal wenn die Droschke gemuetlich durch die
Linden- oder Bruederstrasse schlendert, die in den historischen Haeusern
derselben (wenn sie nicht schon demoliert sind) spielenden Begebenheiten
dieses Romans einfallen. Preussen war durch Olmuetz auf die abschuessige
Seite der schiefen Ebene geraten. Ueber dem ganzen Gemaelde lag das bange
Vorgefuehl neuer verhaengnisvoller Stuerme, die fuer das damals von
Manteuffel regierte Preussen heraufziehen muessten....




Lyrisches aus dem Zeitungsviertel (1873)


... Fuer die bedeutendsten neuern Erscheinungen auf dem Gebiete der
gebundenen Rede gelten jetzt Hamerling und Scheffel, jener unter
oesterreichischen, dieser unter rheinischen Voraussetzungen--wozu die dem
norddeutschen Ohr unertraeglichen falschen Reime (reiten und leiden)
gehoeren. Eingefuehrt sind hier beide--dieser durch Studenten, die in
Heidelberg studierten; jener durch Wienerinnen, die sich hieher
verheirateten. Schule, Salon, Konversation und Journalistik haben wenig
zu ihrer Verbreitung getan, und noch jetzt wuerde der gebildete Kalkulator
(Rechnungsrat), der einen gefuehlvollen Sonntagmorgenspaziergang im
Tiergarten unternimmt, seine Stimmung ganz durch den Dichter Ferrand
befriedigt fuehlen, der vor 30 Jahren in Berlin fuer einen klassischen
galt. Die Berliner Poeten, die sich spaeter auf einem traurig
untergegangenen Schiffe "Argo" versammelten, sind teils aus dem Leben
geschieden, teils in andere Winde zerstreut oder an andere Berufszweige,
z.B. Theaterkritiken zu schreiben, uebergegangen. Wir kommen hiebei, ohne
diese Metamorphose heute naeher zu besprechen, der "Vossischen Zeitung"
sehr nahe, und nehmen vom Buechertisch ein in Goldschnitt gebundenes
zierliches Baendchen: "Gedichte von Hermann Kletke." (Berlin, Schroeder
1873).

Wie ein Redakteur en Chef, der sechsmal in der Woche eine Zeitungsnummer
mit zuweilen 10 eng gedruckten Beilagen zu beschaffen hat, der von
hundert Gesuchen, Reklamationen, selbst Erwaegungen technischer
Schwierigkeiten mit dem Umbrecher (metteur en pages) stuendlich in
Anspruch genommen wird, noch Stimmung gewinnen und diese erhalten kann,
sich der lyrischen Muse zu widmen, begreift sich nur aus dem Gesetz der
Kontraste und dem selbst fuer das politische Gebiet zum Rechnungtragen,
zur Ruecksichtnahme, zur Maessigung gestimmten weichen Naturell des hier in
Frage stehenden Dichters selbst. Die heilige Nacht, die, ach! manchem
politischen Redakteur (gluecklich, wer um 9 Uhr abschliessen darf!) allein
zur Erholung uebrig bleibt, spielt denn auch in Verbindung mit dem Mond
und den Sternen, dem Brunnengeplaetscher, den Waechtern usw. in den
wohlgeformten, nur etwas zu epigrammatisch kurz gehaltenen Gedichten
Kletkes eine hervorragende Rolle. Im Gefolge der Nacht gehen Traum, Tod,
Jenseits, die vollkommenen Gegensaetze des Leitartikels, der uns des
Morgens beim Kaffee an die Gegenwart fesselt. Fuer jede "Ente", die unser
Dichter in seiner Zeitung wider Willen hat schwimmen lassen muessen,
rudert hier ein Schwan. Die Schwaene, die Blumen, die Nachen, die Sonne
und besonders das sonst den Lyrikern wenig zustroemende Gold, der ganze
Apparat der deutschen Lyrik, sind vom Dichter umgesetzt in Situationen
anziehender Art, das Gold in Abendroeten, ins Gluehen der Maedchenwange, in
den Wellenspiegel des Sees, auch in die Tiefen eines gepriesenen edlen
Charakters. Kurz, es gibt sich ein in dieser nihilistischen Zeit, und
zumal auf dem Gebiete der Publizistik, in der Tat seltenes, kindlich
reines, weihevolles Leben in diesen Gedichten kund. Und keineswegs ist es
ein Leben nach der Richtschnur ueberlieferter Traditionen. Selbst den
Greis ergreift noch der Reiz des Schoenen, die maechtig wieder auflebende
Erinnerung, der Ton geht zuweilen in die dem Saturn trotzende Weise des
Hafis ueber--aber bald (und vielleicht zu oft fuer diese immer gleiche
Pointe) naht Sturm, oder bricht Nacht herein, oder pocht der Tod an die
Tuer und macht so dem vorgefuehrten Bild ein Ende. Wenn wir ferner als
tadelndes Wort noch von einer gewissen zuweit getriebenen Knappheit der
Form sprechen, so ist allerdings damit zunaechst ein Lob ausgesprochen,
das des Entferntseins jeder phrasenhaften Prolixitaet; aber doch ist die
Uebertragung der stuendlichen Parole, die ein Redakteur en Chef im Munde
fuehren muss: "Nur kurz! Nur kurz!" auf den lyrischen Mitteilungsdrang
bedenklich. Bei Gedichten ist der Rotstift nicht angebracht. Es ist
diesen zarten Eingebungen schaedlich, wenn man sie zweimal lesen muss, um
sie zu verstehen, wie die weiland Gubitzschen Rezensionen in der
"Vossischen Zeitung". In der Tat sind viele der Kletkeschen Gedichte so
kompress in der Form gehalten, so zugleich von irgendeinem zufaelligen, dem
Leser nicht sofort gelaeufigen Umstande veranlasst, dass es ein laengeres
Verweilen kostet, eine Vertiefung in die gebrauchten Bilder, um in die
Konstruktionen und ihren Sinn einzudringen. Am ungezwungensten bewegt
sich des Dichters Humor. Im Scherz, angeregt von Vorkommnissen des
taeglichen Lebens, besonders der Familie, fliesst die dichterische Sprache
mit kristallner Klarheit voll und maechtig. Den Gesellschaftsliedern laesst
sich unmittelbare Sangbarkeit und vor allem Geschmack nachruehmen.
Letzterer wird doch wohl bei den Trinkliedern unserer Zeit nicht immer
eingehalten? Man glaubt jetzt manches derartige, das dem Jahrhundert
besonders zu gefallen scheint, nur fuer eine Tafelrunde geroeteter
Nasen bestimmt.




Louise Muehlbach und die moderne Romanindustrie (1873)


Heute ist Auktion des Louise Muehlbachschen Nachlasses! Nicht ihrer
Manuskripte--denn diese gingen mit noch nicht getrockneter Tinte sofort
in die Druckereien--sondern ihrer Moebel, Teppiche, Vorhaenge, Penduelen,
Gemaelde, Vasen und der aegyptischen Andenken, die alle in einer Etage der
Potsdamer Strasse charakteristisch gruppiert standen! Hoffentlich hat die
enthusiastische Ueberschaetzung, die der so ploetzlich der Welt Entrueckten
jenseits des Ozeans zuteil wurde, ein reiches Kontingent von
amerikanischen Steigerern herbeigefuehrt, das auch fuer eine alte
Stahlfeder, die von ihr gebraucht wurde, fuenfzig Dollars zu zahlen bereit
ist! Denn ganz Berlin ist erstaunt ueber die Zerruettung der Louise
Muehlbachschen Vermoegensverhaeltnisse! Die Verstorbene hatte die
glaenzendsten Honorare bezogen. Sie soll vom Khedive aussergewoehnliche
Geldspenden erhalten haben. Sie gab Diners und Soupers von lukullischer
Fuelle. Sie reiste ohne die mindeste Einschraenkung wie eine Fuerstin. Bei
alledem soll fuer ihre noch unversorgte Tochter nichts als eine
Schuldenlast vorhanden sein, wodurch die Bedauernswerte vielleicht
genoetigt sein duerfte, die Erbschaft nur "unter der Wohltat des Inventars"
anzutreten.

Mitten aus angefangenen Romanen, die des Morgens gegen 10 Uhr einer
Stenographin zwei bis drei Stunden lang diktiert wurden, ist die
merkwuerdige Frau durch den Tod abgefordert worden, den unerbittlichen
Tod, den sie durch kein Zeichen ihres Lebens und Verhaltens als auch fuer
sie schon herannahend geahnt hatte. Wenn es vol1staendig "diesseitige"
Menschen gibt, Individuen, fuer die man sich im Jenseits, falls man nicht
mit den alten Aegyptern an die Seelenwanderung glauben wollte, nirgends
eine passende Unterkunft und Anknuepfung denken kann, so sind dies die
reinen Lebens- und Genussnaturen. Louise Muehlbach war eine solche. Sie war
die ewig Unerschrockene, immer Mutige, immer auf der Bresche Stehende.
Imperterrita haette sie irgendein Romantiker der Spanier in einem Drama
genannt, das sich vielleicht aus ihrem fruehern romantischen Leben selbst
haette formen lassen. Ihren Freunden wird der resolute, mutige, keine
Gefahr oder Anstrengung scheuende, etwas breit-mecklenburgische Klang
ihrer Stimme unvergesslich bleiben. Keine Niederlage drueckte sie zu Boden.
Die freudigste Zuversicht, Siegesgewissheit, Trotz bei jedem Unternehmen
lag in ihren Zuegen, in ihren Worten. Widersprachen die Tatsachen, so
hatte sie der Auswege so viele wie ein Feldherr, der nach einer verlornen
Schlacht doch noch seinen Rueckzug imposant zu maskieren versteht.

Auf den "Berliner Buechertisch" koennte nur ihr letztes, von Fluechtigkeiten
wimmelndes Werk "Kaiser Wilhelm und seine Helden" gehoeren, verlegt von
einer hiesigen Buchhandlung (Werner Grosse), die nur einen massenhaften
Absatz in den mittlern und untern Regionen anstrebt. Es war eine schon
von ihren zerruetteten Finanzen herstammende Unsitte, dass sich die in den
Stoffen bedraengte Frau, die durchaus ihre alten Erfolge wieder erobern
wollte, an lebende maechtige Persoenlichkeiten anschloss, schon den
Erzherzog Johann von Oesterreich als Romanstoff verarbeitete, waehrend der
ehemalige Reichsverweser noch ruhig auf seinem Schloss in Steiermark sass,
an Napoleon schrieb (siehe die "Enthuellungen aus den Tuilerien"), weil
sie Hortense und die napoleonische Romantik verherrlichen, auch a tout
prix an den Feierlichkeiten bei Einweihung des Suezkanals beteiligt sein
wollte usw. Die Unsitte der "Aktualitaet" ist jetzt durch den ehemaligen
Welfenagitator Meding, genannt Samarow, so weit gediehen, dass wir Romane
zu lesen bekommen, wo in einer Szene Lasker mit Bismarck ueber einen
Kompromiss unterhandelt, Herr v. Keudell dabei eine Zigarre raucht und
Lothar Bucher, ans Fenster gelehnt, scheinbar gleichgueltig eine englische
Zeitung liest. Die Poesielosigkeit, die Unbildung, das Yankeetum unseres
Zeitalters sind die Befoerderer dieses ans Kindische streifenden
Missbrauchs einer raschen und gewandten Feder geworden, die sogar nicht
mehr angesetzt wird. Die Phantasie, die nur den Bogen fuellen will,
bedient sich der Stenographie. Yankeetum nennen wir hier jene fast an den
Urzustand von Wilden erinnernde masslose Schausucht, die gierig durch die
Masse sich mit eingestemmten Armen Bahn bricht und alles anstaunt, alles
belorgnettiert, alles im Bild anschaulich gemacht sehen will,
Hinrichtungen, Schreckensvorfaelle, Weltausstellungsspektakel usw. Ganz
Nordamerika leidet an diesem Sensationsfieber, waehrend sich doch Europa,
nach einigen Aufregungen, laengst, wenigstens in den Kreisen der Bildung,
beruhigt hat. Sollte man glauben, dass ein New-Yorker Blatt Louise
Muehlbach nicht bloss nach Wien, sondern auch nach Ems schickte, um dort
das diesjaehrige (so stille, friedliche, von nicht der mindesten
"Sensation" begleitete) Erscheinen des Kaisers an der Kraehnchen-Quelle zu
beobachten und zu beschreiben! Sie flog von Wien nach Ems, machte dann
selbst in Marienbad eine Kur, erkaeltete sich, legte sich in Berlin ohne
die mindeste Ahnung ihres gefahrvollen Zustandes ins Bett und ist im
bewusstlosen Zustande, ohne Schmerzgefuehl, aus dem Leben geschieden. Als
man ihre Leiche neben meinem alten Kampfgenossen Theodor Mundt in die
Grube senkte und manchem des wuerdigen Sydow Sargweihe-Rede als zu herb
noch im Ohre klang, haette ich, wenn hier Laien-Grabreden Sitte waeren, dem
Thema: "Richtet nicht--!" erwidern moegen: Auch diese Prunk- und
Prahlsucht, die du zu verurteilen scheinst--forsche nur nach,
Priester!--, es lag ihr bloss die weibliche Liebe zugrunde! Liebe zuerst
zu ihrem Gatten, der ihr bedeutender, anerkennenswerter erschien, als ihn
die schulmaessige Wissenschaft Berlins wollte aufkommen lassen, oder
diejenige Berliner Anerkennung, der man nur mit Titeln und Orden
imponieren kann! Die Liebe war es, die auch allmaehlich die
mephistophelische, satirische, ja zynisch verbitterte Verachtung der Welt
annahm, die sich allmaehlich des Gatten und zurueckgesetzten Professors
bemaechtigt hatte! Liebe, Liebe allein liess den Schein entstehen, als wenn
die moderne Literatur mit dem Adel, mit der Kaufmannswelt, mit den
tausend Anmassungen und hochgetragenen Nasen der Anmassung ringsum
rivalisieren koennte! Es ist ein alter Satz, den George Sand nur
wiederholt hat, wenn man ihn als von ihr herruehrend anfuehrt, dass unsere
Fehler die Uebertreibungen unserer Tugenden sind. Dies auf das allerdings
erschreckende Systeme de bascule angewandt, wie Louise Muehlbach
verstanden hat, sich bei den bekannten Lieferanten von Luxus- und
Genussgegenstaenden einen Kredit von Tausenden zu machen und zu erhalten,
gibt einen Einblick in die Stufenfolge der Entwicklung der Charaktere.
Die Verschwendung dieser Frau war nicht ganz die Folge der persoenlichen
Eitelkeit, sondern eine Folge des Widerstandes, den der erlaubte Ehrgeiz
geistig Schaffender der breitspurigen, vom Gluecke beguenstigten
Alltagswelt leisten moechte. "Erlaubt"--? sagte ich von ihrem Ehrgeiz?
Nun, in Bezug auf "Friedrich der Grosse und die Seinen" und "Kaiser
Joseph" moechten wir in unsers Helmerding so koestlich vorgetragenes
Couplet mit dem Refrain: "Dazu gehoert wahrhaftig doch Talent!" mit
einstimmen.

In fast allen Berichten ueber die Gegenwartsliteratur findet man den Satz
aufgestellt: dass der eigentliche poetische Ausdruck der Zeit der Roman
sei. Besonders bei Einleitungen zu einer Besprechung ueber einen neu
erschienenen Roman von N. N. begegnet man regelmaessig diesem Axiom von
fragwuerdiger Tragweite. Haette der betreffende Autor, dessen Zeltkamerad
und wahrscheinlicher taeglicher Zigarrenkastengenosse der Rezensent zu
sein pflegt, zufaellig ein Drama als epochemachend zu bezeichnen, so wuerde
ihm niemand, der die Unzahl der ueberall erstehenden Theater erwaegt und
das trotz der "Krachs" wieder beginnende Billet-Rennen, widersprechen
koennen. Aber genau erwogen ist jener Satz weder fuer den Roman noch fuer
die Buehne erweislich. Wenn z.B. heute ein origineller, aus Kunst und
Naivitaet geschaffener Geist wie Robert Burns der deutschen Literatur,
die aehnliches nur in den Ansaetzen einiger verschollener "Naturdichter"
besitzt, geschenkt werden koennte, warum sollte er nicht in den Vordergrund
treten und wieder auch fuer die Berechtigung der Lyrik zeugen koennen! Von
einem Hindurchgehenmuessen des aesthetischen Begriffs, wie Carriere sagen
wuerde, in "welthistorischer Entwicklung", ausschliesslich durch den Roman,
scheint mir gar keine Rede. Macht gute Dramen, und alle Welt wird davon
erfuellt sein! Macht ein "reizendes" Epos (ich spreche berlinisch), und es
wird auf jedem Toilettentisch liegen!

Schon deshalb muss man jenen Einleitungssatz zu den Rezensionen ueber die
Romane von N.N. und N.N. ablehnen, weil die Ablagerung der
schriftstellerischen Impotenz im Roman eine Ausdehnung angenommen hat,
die schreckenerregend ist. Junge Maedchen ohne jede Lebenserfahrung, nur
von den Reminiszenzen ihrer Lektuere erfuellt, haeufen Bogen auf Bogen und
finden Gelegenheit, ihre Konvolute drucken zu lassen. Frauen
"erfinden"--man kann wohl nach dem Sprichwort sagen: "auf Teufelholen"
--Geschichten von geraubten Kindern, unterdrueckten Testamenten,
Brandstiftungen, Nichtanerkennungen illegitimer Kinder, Eindringlingen,
die sich, nachdem sie das Herz einer Graefin gewonnen haben, als
Galeerensklaven entpuppen, oder sie nehmen Geschichtsstoffe, die in einer
Weise zusammengeknetet werden, die den Melangen der Kuechenrezepte
entspricht. Gewisse Memoiren-Exzerpenten, die jahrein jahraus ihre 8-9
Baende zusammenbringen, die dann vorher schon in der Unzahl unserer
illustrierten Blaetter verwertet worden waren, schreiben mit umso groesserem
Vertrauen, als sie nur von Menschen gelesen oder als langweilig beiseite
gelegt werden, die nicht wieder schreiben. Kritik existiert fuer diese
Buchmacherei nicht. Wer soll sie ueben, wer soll sie lesen, durchblaettern,
als hoechstens ein auf massenhaftes "Abtun" angewiesener Rezensent in den
"Blaettern fuer literarische Unterhaltung"? Nur die Reklame haelt sie,
worunter nicht die Anzeige "unterm Strich" zu verstehen ist, sondern die
den obern Zeilen ebenbuertige redaktionelle Meinungsaeusserung, in der Regel
ein vom Autor oder von dem Verleger selbst besorgtes Referat, das jeden
Tadel ausschliesst. Die Redaktionen der meisten hiesigen Zeitungen sind
froh, wenn sie nur irgendwie die Buecherstoesse, die sich bei ihnen
namentlich gegen Weihnachten aufhaeufen, in solcher Art erledigen koennen.

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Berlin--Panorama einer Weltstadt,
von Karl Gutzkow.





End of Project Gutenberg's Berlin--Panorama einer Weltstadt, by Karl Gutzkow

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BERLIN--PANORAMA EINER WELTSTADT ***

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